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Eine schöne Offizierstochter, ein geheimnisvoller Fremder und ein verhängnisvolles Missverständnis: „Die Kurierreiterin“ jetzt als eBook bei dotbooks. Die Kurpfalz Ende des 17. Jahrhunderts: Mit dem Verlust ihrer Eltern, die als Offizier und Hofdame dem Gefolge des pfälzischen Kurfürsten angehörten, endet für Franziska eine unbeschwerte Kindheit. Sie muss sich fortan als Magd in der Poststation verdingen. Als ein Reiter aus Paris in der Schankstube von einem bald bevorstehenden Einfall französischer Truppen berichtet, fasst Franziska einen Entschluss: Sie will den Fürsten vor dem feindlichen Überfall warnen – und bricht zu einem abenteuerlichen Ritt voller Gefahren auf. Immer dicht auf den Fersen ist ihr hierbei der geheimnisvolle Fremde aus Paris … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Kurierreiterin“ von Rena Monte. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 471
Über dieses Buch:
Die Kurpfalz Ende des 17. Jahrhunderts: Mit dem Verlust ihrer Eltern, die als Offizier und Hofdame dem Gefolge des pfälzischen Kurfürsten angehörten, endet für Franziska eine unbeschwerte Kindheit. Sie muss sich fortan als Magd in der Poststation verdingen. Als ein Reiter aus Paris in der Schankstube von einem bald bevorstehenden Einfall französischer Truppen berichtet, fasst Franziska einen Entschluss: Sie will den Fürsten vor dem feindlichen Überfall warnen – und bricht zu einem abenteuerlichen Ritt voller Gefahren auf. Immer dicht auf den Fersen ist ihr hierbei der geheimnisvolle Fremde aus Paris …
Über die Autorin:
Rena Monte studierte Geschichte und Rechtswissenschaft und veröffentlichte unter verschiedenen Pseudonymen zahlreiche historische Romane. Bei dotbooks erscheinen die Romane Die schöne Verräterin, Das Herz der Falknerin und Die Zauberin von Toledo. Außerdem schrieb sie für die Tempelritter-Saga die folgenden Bände:
Die Tempelritter-Saga – Band 1: Der Fluch der Templer
Die Tempelritter-Saga – Band 3: Der Emir von Al-Qudz
Rena Monte lebte als freie Autorin in der Nähe von München und zeitweise in der Toskana. Sie verstarb 2014.
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Neuausgabe April 2015
Copyright © der Originalausgabe 2009 by Rena Monte
Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Darja Vorontsova
ISBN 978-3-95824-188-6
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Rena Monte
Die Kurierreiterin
Roman
dotbooks.
Melodisches Posthorn
An diesem heißen Sommertag ballten sich schon mittags dunkle Gewitterwolken am Horizont zusammen. Eine plötzliche Windbö fuhr in das Birkenwäldchen, das hinter den Stallungen der Posthalterei lag, neigte die biegsamen Äste fast bis zum Erdboden, riss ein paar zarte Blätter ab und wirbelte den Sand auf, der sich in den Fahrrinnen zahlreicher Kutschen gesammelt hatte.
Ein fernes Grollen war zu hören, und die Wirtin rief von drinnen, die Dienstmagd solle schleunigst vor dem drohenden Gewitterguss die Wäsche von der Leine nehmen.
Aber Franziska sah keinen Grund zur Eile. Nicht nur, dass der Wind die Wolken langsam wieder auseinandertrieb, sie hatte auch deutlich hören können, dass es sich bei dem entfernten Poltern um eine Kutsche handelte, die sich in großer Geschwindigkeit der Posthalterei näherte.
Sie lauschte auf die ersten Töne, die der Postillion seinem Horn entlockte. Denn ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, an der Melodie des Horns die verschiedenen Kutschen unterscheiden zu können.
»Na, hoffentlich handelt es sich nicht um ein paar adelige Herrchen, die mit ihren Damen hier übernachten wollen«, flüsterte sie seufzend vor sich hin. Denn das würde bedeuten, Zimmer und Betten herrichten zu müssen. Und diese Herrschaften ließen die Räumlichkeiten am nächsten Morgen meist in wilder Unordnung zurück. Halb ausgetrunkene, oftmals auch zerbrochene Weinflaschen lagen in der Kammer verstreut umher, angebrochene Schminktöpfe und verschiedene Haarspangen schwammen im Wasser der Waschwanne, die einen fettigen Rand angesetzt hatte, und nicht selten hatten die Damen ihre schmutzige Unterwäsche achtlos vor das Bett geworfen.
Der gleichmäßige Ruf des Horns, ohne besonders kunstvolle Rhythmen, zeigte ihr an, dass die tägliche Postkutsche wie immer zur Mittagszeit vorfahren müsste. Diese Reisenden waren zumeist hungrig und durstig, und das würde viel Arbeit in der Küche und Wirtsstube mit sich bringen. Am liebsten war ihr allemal noch der Kastellan des Schlosses Heidelberg, der es stets eilig hatte, kaum das Wechseln der Pferde abwarten konnte und den Kutscher zur Weiterfahrt drängte. Schon dem Klang des Horns war seine Ungeduld zu entnehmen.
Zu den von ihr bevorzugten Gästen gehörte jedoch an erster Stelle der Erzbischof von Mainz, der für gewöhnlich mit einigen anderen geistlichen Herren in benachbarten katholischen Gebieten seine Amtsbrüder aufzusuchen pflegte. Der livrierte Kutscher der erzbischöflichen Equipage hatte anscheinend eine besondere musikalische Ausbildung genossen. Denn der Ruf seines Horns klang wie der erste Takt eines Chorals.
Franziska besann sich darauf, dass diese Melodie schon öfters in der kurfürstlichen Schlosskapelle zu hören gewesen war, wenn sie an der Hand der Mutter den Gottesdienst besucht hatte. Und als der Erzbischof ihr einmal mit einem jovialen Lächeln in die Wange gekniffen hatte, während sie ihm den saftigen Rehbraten servierte, hatte sie gewagt, nach der Melodie zu fragen, die dem Ruf des Horns gleichkam.
»Verzeiht mir die Frage, Exzellenz! Könnte es sein, dass Euer Kutscher es so unnachahmlich versteht, den ersten Takt eines Chorals mit seinem Horn zu Gehör zu bringen, den ich als ›Jesus meine Freude‹ zu erkennen glaube?«
Der Erzbischof hatte sie erstaunt betrachtet. Aber ehe er noch antworten konnte, war die Wirtin wie eine Furie herbeigeeilt und hatte Franziska in die Küche gezerrt.
»Was fällt dir ein!«, hatte sie mit schriller Stimme Franziska angefahren. »Einer Dienstmagd steht es nicht zu, einen hohen geistlichen Herrn mit aufdringlichen Fragen zu belästigen. Wenn du auch als Tochter einer Hofdame der Kurfürstin und eines Offiziers der kurpfälzischen Truppen geboren wurdest, jetzt bist du Magd bei deinem Onkel, dem Posthalter. Deine Eltern sind allzu frühzeitig gestorben, und du kannst froh sein, dass wir dich als nutzloses Kind bei uns aufgenommen haben. Ich fürchte jedoch, dass du mit deinem unverschämten Benehmen unsere bisher anständige Posthalterei in Verruf bringen wirst.« Drohend hatte sie einen hölzernen Kochlöffel durch die Luft pfeifen lassen, und Franziska war drei Schritte zurückgesprungen, um den Schlägen zu entgehen, die sie schon öfter zu spüren bekommen hatte.
Das schrille Geschrei der Wirtin war damals bis in die Schankstube gedrungen, wo der Posthalter soeben einen Bierkrug vor den Kutscher der erzbischöflichen Equipage hingestellt und sich an seinem Tisch niedergelassen hatte, um die letzten Neuigkeiten aus Mainz zu erfahren. Verärgert über diese Störung hatte er die Küche betreten, seiner Frau den Kochlöffel entwunden, schützend seinen Arm um Franziska gelegt und sich mit vor Zorn gerötetem Gesicht seiner Frau zugewandt: »Wenn du noch ein einziges Mal das Kind meiner verstorbenen Schwester malträtierst, werde ich dich mit dem größten Holzlöffel deiner eigenen Küche grün und blau schlagen.«
Die Wirtin hatte laut geheult und behauptet, dass die verkommene Dirne versucht habe, den Erzbischof durch lose Reden zu verführen.
»Weiber!«, hatte der Posthalter verächtlich gebrummt und angeordnet, dass von jetzt ab die Wirtin persönlich den Erzbischof bedienen solle. »Ob ihm das besser gefällt, wage ich allerdings zu bezweifeln«, hatte er noch hinzugefügt.
Bis zum heutigen Tag hatte Franziska jedenfalls nicht in Erfahrung bringen können, ob der erzbischöfliche Kutscher mit seinem Horn tatsächlich die ersten Takte eines Chorals zu intonieren verstand. Zuweilen hatte sie in der vergangenen Zeit sogar geglaubt, dass ihr die Sehnsucht nach ihrem verlorenen Elternhaus diese Melodie vorgegaukelt hätte.
Diesmal waren nur wenige Reisende zur Mittagszeit angekommen. Mit steifen Beinen waren sie dem unbequemen Gefährt entstiegen, dessen Federung zu wünschen übrig ließ und den holprigen Straßen kaum angemessen war. Der Kutscher hatte mit geübtem Sprung den Bock verlassen und schon draußen laut nach der Wirtin gerufen, sie solle ihm und den Reisenden eine gute Mahlzeit auftischen.
»Spute dich! Denn wir müssen noch vor Einbruch der Dunkelheit die nächste Poststation erreichen!«
Franziska war an den Wagenschlag getreten und half einem älteren Herrn aus der Kutsche, der neben dem Trittbrett stehen blieb, um einem zarten Mädchen herabzuhelfen. Dabei hatte er es um die schlanke Taille gefasst, hielt sie länger umarmt, als es nötig gewesen wäre, und trug sie über den Straßendreck in das Gasthaus. Hinter ihnen folgte ein Ehepaar in mittleren Jahren, das missbilligend den Kopf schüttelte.
»Nie und nimmer ist das seine Tochter, wie er uns das während der Fahrt weismachen wollte«, flüsterte die Dame ihrem Ehegatten zu.
Als Letzter schwang sich ohne Schwierigkeiten ein junger Mann aus der Kutsche, der eine Mandoline unter dem Arm trug. Er musterte Franziska und lächelte sie an. »Schade, dass wir noch heute weiterfahren müssen«, bedauerte er und vollführte einige Tanzschritte. »Ich hätte heute Abend gerne für dich ein paar lustige Melodien aufgespielt, die dich fröhlich gestimmt hätten. Warum siehst du nur so ernst aus?« Er fasste sie an den Schultern und drehte sie zu sich um.
Franziska ließ ihn gewähren. Sie hatte schon bei weitem zudringlichere Annäherungsversuche erlebt. Aber ihrem Onkel, der jetzt aus der Tür trat, gefiel dieser Auftritt in keiner Weise.
»Spann die Pferde aus und reite sie zur Tränke!«, befahl er Franziska. »Und richte Karl aus, dass er die Kutsche säubern und frische Pferde anschirren soll!«
Seine Worte klangen grob, aber Franziska wusste schon seit längerer Zeit, dass Onkel Albert es gut mit ihr meinte. Um sie vor den Schikanen seiner Frau und den Belästigungen durch männliche Gäste zu schützen, hatte er es ihr schon frühzeitig zur Pflicht gemacht, die ermatteten Pferde zur Tränke zu führen. Er hatte sie auf den sattellosen Pferderücken gehoben und dem Pferd einen sanften Klaps gegeben, sodass es sich langsam in Bewegung gesetzt hatte.
Sie wird es schon lernen, sich oben auf dem Pferderücken zu halten, hatte er gedacht. Notfalls kann sie sich an der Mähne festklammern, denn die Pferde kennen ja den Weg zum See von allein. Verdutzt hatte er bemerkt, dass Franziska ihr Reitpferd bereits im Hof in einen schnellen Trab versetzt hatte. Ehe er ihr noch etwas zurufen konnte, war sie im Birkenwäldchen verschwunden.
Der Postmeister ahnte nicht, wie glücklich er seine Nichte mit dem Auftrag gemacht hatte, täglich die ermüdeten Kutschpferde zur Tränke zu reiten. Franziska konnte ihr Glück kaum fassen, obwohl sich in ihre Freude auch Wehmut mengte. Schmerzhaft empfand sie die Erinnerung an wilde Ritte, die sie gemeinsam mit ihrer Gespielin Liselotte durch die pfälzischen Wälder unternommen hatte.
Die Bauern hatten ihnen den Spitznamen ›Rauschenblattenknechte‹ angehängt, weil diese stürmischen Reiterinnen sogar die Blätter der Bäume zum Rauschen brachten. Manchmal schüttelten sie allerdings auch drohend die Fäuste, wenn nämlich die beiden Mädchen über ungemähte Wiesen galoppierten. Aber niemals hatten sie sich beim Kurfürsten Karl Ludwig über seine Tochter Liselotte beschwert. Denn die beiden Mädchen baten immer um Vergebung, wenn die Hufe ihrer Pferde das Gras niedergedrückt hatten, und am nächsten Tag brachten sie den Bauern eine Flasche Rotwein vom edelsten Gewächs der pfälzischen Reben.
Heute erschien Franziska dieses alles wie ein Traum. Sie empfand jedoch die Erlaubnis, die Pferde der Poststation reiten zu dürfen, als ein wertvolles Geschenk ihres Onkels.
Der Stallknecht knurrte wütend vor sich hin, als Franziska ihm die Befehle seines Herrn übermittelte. »Faule Schlampe«, fuhr er das Mädchen an. »Das Putzen ist deine Arbeit.«
Franziska versagte sich eine Antwort, verzog ihr Gesicht zu einem spöttischen Grinsen, schwang sich auf den braunen Trakehner und führte das zweite Kutschpferd am Zügel neben sich her.
Im Wald war es schattig und kühl. Der Weg zum See war morastig, denn es hatte am Vortag heftig geregnet. Aber heute blitzte die Sonne zwischen den Stämmen der Buchen hervor und veranstaltete auf diese Weise ein Wechselspiel von Licht und Schatten.
Franziska warf den Kopf in den Nacken, um ein wenig von den Sonnenstrahlen zu erhaschen, und begann fröhlich, ein erdachtes Lied zu singen. Die Pferde spitzten die Ohren und fielen im Rhythmus der Melodie in einen leichten Trab.
Sie wählte eine seichte Stelle am Ufer eines kleinen Waldsees, der es den Pferden ermöglichte, ihre Köpfe bis zu der flachen Oberfläche zu senken und das klare Wasser zu trinken. Franziska ließ sie gewähren und schwang sich in die niedrige Astgabel einer nahe gelegenen Weide, um von ihrem erhöhten Sitzplatz aus die Pferde beaufsichtigen zu können.
Als sie hinter sich ein Rascheln hörte, gab ihr das keinen Anlass zur Sorge. Noch niemals war ihr an dem abgelegenen See irgendein Mensch begegnet. Nicht einmal ein Wanderer hatte sich bisher in diesen tiefen Forst verirrt. In den Zweigen der Bäume hausten jedoch viele Eichhörnchen, die Bucheckern sammelten und von Zweig zu Zweig hüpften. Franziska schaute nach oben, um diese possierlichen Tiere zu beobachten.
Sie stieß einen lauten Schrei aus, als jemand sie plötzlich an den Beinen packte und auf den Waldboden herabzog. Einen Augenblick lang fürchtete sie, dass Karl ihr gefolgt sein könnte. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass er versuchen würde, sie zu belästigen. Nur die Furcht vor seinem Herrn hatte ihn bisher davon abgehalten, sie gegen ihren Willen zu umarmen.
Franziska atmete erleichtert auf, als sie erkannte, wer sich neben ihr auf dem Waldboden niedergelassen hatte. Es war der junge Musikant, der sie nach dem Aussteigen aus der Postkutsche so vertrauenerweckend angelächelt hatte. Dennoch war ihr etwas beklommen zumute.
»Warum sind Sie nicht mit den anderen zum Essen in die Gaststube gegangen? Die Wirtin versteht sich sehr gut auf die Zubereitung schmackhafter Gerichte.«
Der junge Mann lachte leise. Aber diesmal gefiel ihr sein freundliches Lächeln nicht.
Er fasste unter ihr Kinn, hob ihren Kopf und sah ihr in die Augen. »Weil es sehr viel schmackhaftere Dinge gibt als die Speckknödel dieser hässlichen alten Wirtin.«
Sein Augenausdruck jagte Franziska leichte Furcht ein. Sie hatte dieses Flackern schon des Öfteren bei Karl gesehen, wenn er sie im Stall ins Stroh geworfen hatte, ohne jedoch weitere Übergriffe zu wagen. Denn einmal war der Posthalter plötzlich in der Stalltür erschienen, hatte dem Knecht einige kräftige Ohrfeigen verpasst und ihm mit Entlassung gedroht.
Hier aber war ihr Onkel weit entfernt, und sie hatte auch keine Mistgabel, mit der sie sich Karl bisher vom Leibe gehalten hatte. Franziska versuchte, den Musikanten in ein Gespräch zu verwickeln. »Wo haben Sie denn Ihre Mandoline? Sie wollten mir doch etwas vorspielen?«
Jetzt lachte der junge Mann aus vollem Halse. »Es gibt viel schönere Spielarten als das Zupfen auf den Saiten meines alten Instruments. Ich zeige dir das gern. Sei doch nicht gar so spröde! Einen Kuss wirst du mir doch nicht verwehren.« Er fing an, ihre Bluse aufzuknöpfen.
Franziska zögerte nicht lange. Sie griff zur Reitgerte, die sie zwischen den Wurzeln des Baums abgelegt hatte. Mit aller Kraft fuhr sie ihm durch das Gesicht. Laut aufschreiend warf sich der Mann, der sich über sie gebeugt hatte, neben ihr zu Boden.
Franziska rannte zu den Pferden, sprang auf den Rücken des Trakehners und presste kraftvoll ihre Fersen in seine Flanken, sodass er mit einem Satz ans Ufer sprang. Noch während sie schon losgaloppierte, ergriff sie den Zügel des anderen Pferdes.
Der junge Musikant saß mit fassungslosem Gesicht auf dem Waldboden. Er hatte keinerlei Anstalten gemacht, sie zu verfolgen.
»Aber ich wollte dir doch keine Gewalt antun, sondern nur ein wenig mit dir spielen!«, gab er als Entschuldigung an.
Franziska drehte sich noch einmal um. »Spiel auf deiner Mandoline! Das bekommt dir besser!«, rief sie dem Musikanten als spöttischen Abschiedsgruß zu.
Grinsend wurde sie von Karl empfangen. Er war soeben ohne Eile dabei, die Radnaben einzufetten. »Hol die frischen Pferde und spann sie in die Deichsel!«, beauftragte er entgegen dem Befehl seines Herrn das Mädchen. »Und beeil dich, oder hast du im Wald zu viel Kraft verloren? Ich habe dem Mandolinenspieler erklärt, wo er dich finden kann. Dir hat doch sein Spiel sicher gefallen.«
»Mistkerl!«, stieß Franziska empört hervor.
Vom Eingang ertönte die Stimme des Kutschers. »Wie lange dauert das noch?«, rief er ungeduldig und ließ laut sein Posthorn erschallen. Karl setzte sich unter den strengen Blicken des Posthalters schnell in Bewegung, um die frischen Pferde aus dem Stall zu holen und anzuschirren. Die Reisenden kamen aus der Gaststube und bestiegen, vom vielen Wein zwar wohlgelaunt, aber ein wenig schwankend, die Kutsche.
Als Letzter erschien der Musikant, jetzt wieder mit der Mandoline unter dem Arm. Er war wohl hungrig geblieben und warf Franziska einen bösen Blick zu. Sie sah auf seiner Wange den roten Striemen, den sie ihm mit der Gerte zugefügt hatte, und empfand fast Mitleid.
Noch während der Wagen anrollte, hörte sie schon die keifende Stimme der Wirtin: »Räum die Gaststube auf und wasch das Geschirr!«
Offensichtlich war sie mit der Höhe des Trinkgelds nicht zufrieden. Denn während Franziska ihren Befehlen nachkam, brummte sie ununterbrochen verärgert vor sich hin, dass diese Leute es nicht wert gewesen seien, sie mit einer Mahlzeit zu bewirten, mit der sie sich viel zu viel Mühe gegeben hätte.
Sie warf zwei Blechteller auf den Küchentisch, auf denen sie mit grimmigem Gesicht einige Mohrrüben und Kartoffeln verteilte, nachdem sie zuvor alle Fleischstücke sorgsam herausgefischt hatte.
»Wenn ihr mit der Arbeit fertig seid«, wandte sie sich an Franziska und das Küchenmädchen, »könnt ihr essen, obwohl sogar das, was die Gäste übrig gelassen haben, für euch nichtsnutzige Dirnen eigentlich zu schade ist.«
Als sie die Küche verlassen hatte, zog das Küchenmädchen die Schüssel mit dem Schweinefleisch näher zu sich heran und grabschte sich mit den Fingern einige Stücke heraus. Sie schluckte eilig, ohne sich Zeit zum Kauen zu nehmen, und begann zu husten.
»Nimm dir, Franziska!«, brachte sie unter Erstickungsanfällen hervor. »Der alte Drachen wird bald zurück sein und das Fleisch für die eigene Abendmahlzeit holen.«
Aber ehe noch Franziska zugreifen konnte, hatte die Wirtin wieder die Küche betreten. Argwöhnisch betrachtete sie die Fleischschüssel.
»Wahrscheinlich hat sie die einzelnen Brocken gezählt«, meinte die Küchenmagd leise. »Aber in der Speisekammer steht noch ein Apfelkuchen. Davon werden wir uns jeder ein Stück genehmigen, ehe die Mäuse sich daran gütlich tun.«
Dieser Plan erwies sich jedoch als undurchführbar, weil die misstrauische Wirtin die Vorratskammer abgeschlossen und den Schlüssel an ihren Schlüsselbund gehängt hatte, den sie stets an ihrem Schürzenband mit sich herumtrug.
»Schade«, seufzte die Küchenmagd Berta. »Komm mit in den Garten! Dort werden wir uns ein paar Äpfel pflücken. Wir müssen nur aufpassen, dass uns Karl nicht dabei erwischt. Er wird uns verpetzen, wenn wir uns nicht durch gewisse Dienste seine Schweigsamkeit erkaufen. Du weißt doch, was ich meine?« Sie vollführte eine obszöne Bewegung.
Franziska schüttelte den Kopf. »Ich muss noch einmal in den Stall und die Kutschpferde trocken reiben.«
Sie drehte Berta den Rücken zu und überquerte den Hof. Da sie den See überstürzt verlassen hatte, schöpfte sie an dem stets plätschernden Brunnen frisches Wasser und gab den Tieren noch einmal zu trinken. Mit einem Strohwisch rieb sie den beiden Kutschpferden das Fell trocken, das durch den schnellen Ritt leicht dampfte. Sie liebte diese Arbeit, weil das Fell der Pferde dadurch weich und glatt wurde. Wenn ihr das besonders gut gelungen war, legte sie ihr Gesicht gegen den Hals ihres Lieblingspferdes, das dann seinen Kopf wandte und leise wieherte.
»Morgen werden wir beide in aller Frühe ausreiten«, flüsterte sie zärtlich.
Da vor sechs Uhr für gewöhnlich keine Postkutsche eintraf, würde man die Dienstmagd nicht vermissen. Das Ziel ihres Ausritts stand schon für sie fest. Wie immer würde sie die Schranke aufsuchen, wo Zöllner an der Grenze zur Kurpfalz Wache hielten. Das Mädchen war ihnen keine Unbekannte, und wahrscheinlich hätten sie ihr den Grenzübertritt nicht verwehrt, wenn sie darum gebeten hätte, im angrenzenden Forst Pilze oder Beeren sammeln zu dürfen, wie sie es auch früher mitunter getan hatte. Aber Franziskas Gedanken gingen weiter. Eines Tages, so dachte sie, wenn mein Heimweh gar zu stark ist, werde ich mit dem Pferd den Grenzbalken überspringen und in einem wilden Galopp die Flucht ergreifen. Aber wohin eigentlich? Am kurfürstlichen Hof ist wohl niemand mehr, der sich an mich erinnern wird.
Noch immer musste sie jedes Mal mit den Tränen kämpfen, wenn sie an den Tag dachte, an dem der Postmeister ihr den Tod des Kurfürsten Karl Ludwig mitgeteilt hatte. Aber wenigstens Karl, der Bruder ihrer Spielgefährtin Liselotte, müsste sich doch an sie erinnern. Aber diese Zeiten lagen eben doch schon sehr lange zurück.
Gefährliche Grenze
Irgendetwas Außergewöhnliches musste an der Grenze geschehen sein. Denn schon von Weitem bemerkte Franziska, dass trotz der frühen Stunde mehrere Kutschen und auch einzelne Reiter vor dem rot-weiß gestreiften Grenzbaum einen Stau bildeten. Vier Zöllner waren aus der Wachstube getreten und führten mit den Wartenden erregte Gespräche. Franziska konnte aus der Entfernung nur einzelne Wortfetzen verstehen, auf die sie sich keinen Reim machen konnte: »König Ludwig – Schwägerin Liselotte – gesetzliche Erbfolge – gerechte Ansprüche – französische Armee«.
Sie spürte, dass am heutigen Morgen keiner der Zöllner dazu aufgelegt sein würde, mit ihr ein paar Scherzworte zu wechseln. Darum bog sie in einen schmalen Waldweg ein und führte ihr Reitpferd am langen Zügel auf einen baumbestandenen Hügel, der ihr Deckung, gleichzeitig aber auch Aussicht auf das Zollhaus bot.
Einer der Zöllner, der sich mit goldenen Epauletten auf seiner Uniform als ranghoher Offizier auswies, ließ sich Papiere zeigen, die er längere Zeit mit gerunzelter Stirn studierte.
»Was soll das?«, rief einer der Postkutscher wütend. »Warum werden wir hier wie Verbrecher behandelt?«
Franziska konnte genau verstehen, was ihm der Offizier antwortete. Denn er hatte seine Stimme erhoben und befahl den Insassen der Postkutsche, sofort auszusteigen, und verwickelte jeden einzelnen Reisenden in ein längeres Gespräch. Ein junger Mann wurde trotz seines lauten Protestes von einem der Zöllner mit gezogenem Säbel in das Zollhaus geführt. Eine auffallend hübsche Dame fiel in Ohnmacht und ließ sich in die Arme eines Zöllners sinken, der nicht so recht wusste, was er mit dieser unverhofften Last anfangen sollte.
Franziska beobachtete eine stattliche Kutsche mit einem Adelswappen auf dem Wagenschlag. Von der Poststation war sie es gewohnt, dass die Kutschen der Adeligen besondere Vorrechte genossen. Sie wurden auf Verlangen stets sehr schnell abgefertigt. Vielleicht hatte der Kutscher sich angemaßt, ohne Kontrolle die Grenze passieren zu wollen. Vielleicht hatte er von seinem hohen Kutschbock aus den Offizier mit unhöflichen Worten aufgefordert, augenblicklich die Barriere zu öffnen.
Der Offizier schien allerdings in seiner Ehre gekränkt. Jedenfalls musste der Kutscher absteigen und irgendwelche Papiere vorzeigen, während der vornehm gekleidete Insasse sich lässig in das dunkelblaue Polster zurücklehnte und wortlos an dem hochrangigen Grenzwächter vorbeischaute, als sei dieser Luft. Das hätte er besser lassen sollen, dachte Franziska. Denn der Offizier bedeutete ihm mit einer herrischen Handbewegung, dass er sich zur weiteren Abfertigung in den rückwärtigen Hof fahren lassen solle.
Ein splitterndes Geräusch und ein darauf folgendes Geschrei führten zu einer allgemeinen Verwirrung. Einige Pferde, die nicht mit Scheuklappen versehen waren, stiegen laut wiehernd in die Höhe und brachten so die angehängten Gefährte in ein bedrohliches Schwanken. Die Kutscher fluchten, mehrere Damen stießen hysterische Schreie aus, während die dazugehörigen Herren sie je nach Temperament mit Umarmungen oder Scheltworten zu beruhigen versuchten.
Von ihrem erhöhten Standort aus erkannte Franziska schnell, was geschehen war. Einer der Reiter, der ungeduldig in der langen Reihe gewartet hatte und deutlich nervös auf und ab gegangen war, hatte sich plötzlich in den Sattel seines Reitpferds geschwungen, war an der langen Reihe der Wartenden vorübergaloppiert und mit einem kühnen Satz unter anfeuernden Rufen an sein Pferd über die Grenzbarriere gesprungen.
»Ihm nach!«, schrie der Offizier mit überschnappender Stimme, die deutlich seine Aufregung verriet. Zwei Zöllner sprangen in den Sattel ihrer Pferde, die sie stets vor dem Zollhaus angebunden hatten, weil man doch immer mit irgendeinem Zwischenfall wie diesem rechnen musste. Franziska hatte manchen Bemerkungen der oft gelangweilten Zöllner entnommen, dass diese schon immer sehnsüchtig auf eine Abwechslung solcher Art gewartet hatten.
Aber in der Aufregung ließen sie wohl ihre Pferde nicht hoch genug springen. Die Hufe der Vorderfüße berührten den hölzernen Grenzbalken und zersplitterten ihn auf der ganzen Länge. Franziska konnte beobachten, dass ein paar Fußgänger, die vielleicht nur zum Beerensammeln unterwegs waren oder in der Kurpfalz jenseits der Grenze einen Verwandten besuchen wollten, mit Leichtigkeit die zerstörte Barriere übersprangen.
Bei diesem Anblick konnte Franziska ein vergnügtes Lachen nicht unterdrücken. Dabei hatte sie jedoch alle Vorsicht außer Acht gelassen. Erschreckt zuckte sie zusammen, als jemand sie an beiden Armen packte und hochzog. Sie sah in das Gesicht eines bewaffneten Soldaten.
»Was gibt es da zu lachen?«, fuhr er sie an. »Die Zollstation ist keine Bühne, auf der ein lustiges Theaterstück zu sehen ist.«
Franziska senkte den Kopf und nahm eine demütige Haltung an, die der Soldat offensichtlich als verdächtig empfand.
»Warum treibst du dich hier in der Nähe der Grenze herum?«
Franziska versuchte, möglichst harmlos zu wirken. »Ich wollte Pilze und Beeren sammeln und wusste nicht, dass ich in die Nähe der Grenze gelangt war.«
Der Soldat warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Aha, sammeln wolltest du! Und wo ist dein Korb? Oder hattest du etwa die Absicht, Beeren und Pilze in die Satteltasche deines Pferdes zu stecken? Da wäre dir nur ein ungenießbarer Brei übrig geblieben. Viel eher glaube ich, dass du für die Franzosen spionieren wolltest. Komm mit! Du bist arretiert. Ich werde dich als äußerst verdächtige Person dem Offizier melden.«
Wieso Franzosen?, dachte Franziska. Sie verstand gar nicht, was er damit meinte. Aber sie ärgerte sich über ihre Sorglosigkeit. Denn die Hektik an der Zollstation hätte sie doch warnen müssen, dass vielleicht auch die nächste Umgebung bewacht wurde. Da sie aber kein schlechtes Gewissen hatte, folgte sie dem uniformierten Mann, der ihr Pferd am Zügel führte, um ihre Flucht zu verhindern.
Der Offizier mit den goldenen Epauletten machte eine abwehrende Bewegung. »Wen bringst du denn da? Ich habe weiß Gott anderes zu tun, als mich mit einem umherstreunenden Frauenzimmer zu befassen. Muss ich mich hier denn um alles kümmern?«
Der Soldat war sichtlich verärgert. Er hatte ein Lob erwartet. »Aber vielleicht ist sie eine Spionin. Dieses Mädchen saß in lauschender Haltung oben auf dem Hügel und beobachtete die Zollstation.«
Der Vorgesetzte wandte sich ihm zu. Sein Interesse war geweckt. »Dann führe die verdächtige Person in die Wachstube! Ich werde diese mutmaßliche Spionin sogleich verhören.« Er befahl den Zöllnern, auch weiterhin eine strenge Untersuchung aller Reisenden vorzunehmen, und folgte dem Soldaten, der Franziska unsanft vor sich herstieß.
»Aber das ist ja Franziska!«, rief einer der Wachhabenden, die sich drinnen aufhielten.
Der Offizier betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. »Du kennst dieses Mädchen? Gibt es eine enge Verbindung zwischen euch? Dann werde ich auch dich verhören müssen. Denn dieses Frauenzimmer steht unter dem Verdacht, für die Franzosen zu spionieren.«
Der Wachhabende starrte Franziska mit offenem Mund an. Man sah ihm an, dass er die Vor- und Nachteile erwog, wenn er zugab, Franziska zu kennen. Er entschloss sich, gegenüber seinem Vorgesetzten vorsichtig zu sein, um nicht in irgendeine Unannehmlichkeit verwickelt zu werden.
»So genau kenne ich sie eigentlich nicht. Manchmal reitet sie hier in den Wäldern herum.«
So ein Feigling, dachte Franziska empört.
»Aha!«, rief der Offizier hoch befriedigt. »Da ist uns ja ein munteres Vögelchen ins Netz gegangen.«
Der Soldat, der Franziska festgenommen hatte, nickte befriedigt. Wahrscheinlich erhoffte er sich eine Beförderung.
»Natürlich hast du keinen festen Wohnsitz«, herrschte der Offizier Franziska an.
Franziska, die ihre Festnahme bisher nicht einmal als Irrtum, sondern nur als dummen Scherz angesehen hatte, spürte plötzlich, dass sie sich in Gefahr befand. Womöglich würde man sie zur Polizeistation in die Hauptstadt transportieren und dort einem strengen Verhör unterziehen, wobei man ihr wahrscheinlich die Worte im Munde herumdrehen würde. Sie sah sich schon hilflos in einem dunklen Verlies.
»Aber natürlich habe ich hier in der Nähe einen Wohnsitz«, sagte sie mit möglichst fester Stimme. »Ich bin die Nichte des Posthalters Albert Weidenfeld. Zu meinen Aufgaben gehört es, neben der Arbeit in Küche und Gaststube, die Kutschpferde zu betreuen. Ich reite sie zur Tränke und verschaffe ihnen durch erholsame Ritte in die Wälder die nötige Bewegung.«
Der Offizier schüttelte ungläubig den Kopf. Sie sah, dass er sich ärgerte. Sollte dieses Mädchen wirklich eine Dienstmagd in der Poststation sein? Vielleicht sogar die Nichte des Posthalters? Er weigerte sich, ihren Worten Glauben zu schenken.
»Das hast du dir ja sehr schön ausgedacht, du verdorbene Dirne! Ich werde jetzt persönlich deinen angeblichen Onkel aufsuchen. Wehe, wenn du gelogen hast. Ich verspreche dir, dass ich dich kräftig stäuben und an den Schandpfahl binden lasse.« Er wandte sich an den Soldaten. »Binde sie, und lege sie vor dich über die Kruppe ihres Pferdes, das wahrscheinlich sogar von ihr gestohlen wurde. Ich mache dich persönlich dafür verantwortlich, dass uns diese Spionin nicht entkommt.«
Franziska wusste, dass jeder Protest vergeblich sein würde. Der Offizier hatte sich nun einmal in den Gedanken verrannt, eine Spionin erwischt zu haben. Die Enthüllung der Wahrheit würde ihm nicht gefallen.
Draußen stauten sich immer noch einige Kutschen vor dem Schlagbaum. Die Reisenden fühlten sich für ihre Wartezeit jedoch voll entschädigt, als sie den merkwürdigen Abtransport eines gefesselten Mädchens beobachten konnten. Schnell machte das Gerücht die Runde, dass es sich um eine festgenommene Spionin handeln würde.
»Man sollte es kaum glauben«, sagte einer der Reisenden. »So ein hübsches Mädchen, das nun im Turm enden wird.«
»Wahrscheinlich wird sich alles als falsche Beschuldigung herausstellen«, meinte ein anderer. »Sieh dir doch nur diesen Wichtigtuer in seiner Prachtuniform an! Er hat sich irgendjemanden ausgesucht, den er beschuldigen kann, um ihn bestrafen zu können.«
»Sei froh, dass du es nicht bist«, flüsterte seine Frau. »Und rede nicht so laut! Sonst bist du der Nächste!«
Der Offizier hatte einem der Zöllner befohlen, ihm den Steigbügel zu halten, während er sein Pferd bestieg. Er ritt in einem langsamen Trab voraus und drehte sich ab und zu um, ob die Gefangene auch ordnungsgemäß gefesselt war, sodass sie keine Möglichkeit finden konnte, ihrem Bewacher zu entkommen.
Als die Poststation in Sicht kam, versuchte Franziska, sich aus ihrer demütigenden Haltung ein wenig aufzurichten. Aber der Soldat, der einen Verweis durch seinen Vorgesetzten fürchtete, gab ihr einen leichten Schlag mit der Reitgerte. »Bleib liegen und füge dich! Ich möchte dir keine unnötigen Schmerzen zufügen. Denn einer der Zöllner hat mir insgeheim zugeflüstert, dass du die Wahrheit gesagt hast.«
Warum hatte er nicht den Mut, offen zu mir zu stehen?, dachte Franziska traurig. Bis heute hatte ich diese Zöllner für meine Freunde gehalten.
Noch niemals hatte sie solche Scham empfunden wie in diesem Augenblick, als sie in Fesseln auf dem Vorplatz der Poststation unsanft vom Pferd gehoben wurde. Der Erste, der aus dem Haus gelaufen kam, war Onkel Albert. Er hatte den Offizier bemerkt und beeilte sich, diesen hohen Herrn zu begrüßen. Erst dann fiel sein Blick auf Franziska, die an einem kurzen Seil von dem Soldaten festgehalten wurde.
»Aber, was ...«, setzte der Postmeister zu einer Rede an. Der Offizier ließ ihn jedoch nicht ausreden. »Wir haben diese Dirne im Wald oberhalb der Zollstation aufgestöbert, während sie die Vorgänge vor dem Zollhaus beobachtete. Sie steht unter dem dringenden Verdacht, für die Franzosen zu spionieren.«
Der Postmeister ließ sich nicht länger das Wort abschneiden. Schließlich war er eine angesehene Persönlichkeit. »Verehrter Herr«, sagte er trotz dieser ehrerbietigen Anrede ohne Scheu. »Hier muss ein bedauerlicher Irrtum vorliegen. Franziska ist die Tochter meiner verstorbenen Schwester, einer kurpfälzischen Hofdame. Ihr hoch angesehener, leider auch verstorbener Vater war ein verdienter Offizier bei den kurpfälzischen Truppen. Mit dieser Herkunft ist der Verdacht, den Sie hegen, völlig absurd.«
Franziska konnte beobachten, dass der Soldat zusammensackte. Er wusste, dass er die Blamage einer fälschlichen Verdächtigung bitter bezahlen musste. Vielleicht würde ihn sein Vorgesetzter als Warnung für alle anderen sogar Spießruten laufen lassen. Denn der Offizier war dunkelrot vor Zorn angelaufen.
Seine Wut richtete sich zunächst einmal gegen den Postmeister. »Ihre Nichte hat offensichtlich hier keine gute Erziehung genossen, wenn Sie ihr gestatten, ohne Begleitung in den Wäldern herumzustreunen. Sie scheint von Ihnen allzu sehr verwöhnt worden zu sein, und ich rate Ihnen gut, dieses Mädchen strenger anzufassen. Sie sollten nicht zu sparsam mit der Rute sein.«
Der Posthalter blieb ruhig und beherrscht. »Ich habe das verwaiste Kind bei mir aufgenommen, das mir ans Herz gewachsen ist und das allen aufgetragenen Pflichten willig nachkommt. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, die ermatteten Postpferde nicht nur zu füttern und zu tränken, sondern auch in der Umgebung zu bewegen. Ich verlange, dass man meine Nichte sofort von ihren Fesseln befreit!«
»Binde sie los!«, befahl der Offizier seinem Untergebenen. Franziska glaubte zu hören, wie seine Zähne knirschten.
Während der Soldat mühselig das allzu fest geknüpfte Seil löste, ertönte plötzlich ein schrilles Geschrei vor der Eingangstür der Poststation. »Was hat diese Dirne nur wieder angestellt?« Mit wehender Schürze kam die Wirtin herbeigestürzt.
Der Posthalter ging ihr drei Schritte entgegen, zog sie mit festem Griff an sich und umklammerte sie wie mit einem Schraubstock.
»Sieh nur, Weib, was man unserer armen Nichte angetan hat! In diesen unsicheren Zeiten, in denen man sogar von Kriegsplänen der Franzosen spricht, ist niemand vor falschen Verdächtigungen sicher, nicht einmal ein Kind.«
Die Wirtin begann zu weinen, aber nicht aus Mitleid, wie Franziska sehr genau wusste, sondern weil der Postmeister seiner Frau mit einem immer härteren Zugriff erhebliche Schmerzen zufügte.
»Beruhigt Euch, gute Frau«, sagte der Offizier, der das jammervolle Weinen falsch auslegte. Mit einem knappen Kopfnicken verabschiedete er sich, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon.
Der Soldat blieb mitten im Hof stehen, während der Posthalter seine Nichte umarmte und gemeinsam mit seiner Frau, die er noch immer fest gepackt hielt, ins Innere des Hauses führte. Der allein gelassene Soldat, der wütend darüber nachdachte, wie er denn nun zurück zur Zollstation kommen sollte, wagte nicht, um ein Pferd zu bitten, und machte sich zu Fuß auf den Weg. Eilig hatte er es nicht. Denn er hoffte, dass sich bis zu seiner Rückkehr der Zorn seines Vorgesetzten gelegt hatte.
Die Wirtin, die ihr Ehemann aus seinem Schraubstock entlassen hatte, floh laut heulend in die Küche und stieß grobe Schimpfworte und Verwünschungen gegen Franziska aus. »Ich habe es ja immer gewusst, dass dieses Mädchen verdorben ist!«
Franziska schmiegte sich in den Arm ihres Onkels. »Ich danke dir von Herzen, dass du mir gegen den schrecklichen Offizier beigestanden hast«, flüsterte sie dankbar.
Aber der Postmeister schob sie energisch von sich. »Mit einem Danke ist es nicht getan. Wir müssen ein ernstes Wort miteinander reden. Vielleicht war der Hinweis des Offiziers über die Wirksamkeit einer Rute gar nicht so schlecht.«
Franziska riss entsetzt die Augen auf und wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Warum bist du, ohne um Erlaubnis zu fragen, zur Zollstation geritten?«, fragte ihr Onkel ärgerlich. »Während deiner Abwesenheit sind drei Kutschen vorgefahren, unter anderem der Kastellan von Schloss Heidelberg, der sehr ungehalten war, weil er warten musste.«
Franziska sah schuldbewusst zu Boden. »Verzeih mir, Onkel«, bat sie leise. Wie konnte sie ihrem Onkel erklären, dass es das Heimweh und die Trauer um ihre verlorenen Eltern waren, die sie immer wieder zur kurpfälzischen Grenze trieben? Onkel Albert hatte stets mit Liebe versucht, ihr das Elternhaus zu ersetzen.
Der Postmeister hatte mehr erwartet als diese leise Bitte um Verzeihung. »Ich werde dich bestrafen müssen, damit so etwas niemals mehr vorkommt. Von jetzt ab verbiete ich dir jegliche Ausritte. Karl wird die Pferde zur Tränke reiten, und du wirst statt seiner von jetzt ab die Kutschen säubern. Außerdem wirst du unter Aufsicht meiner Frau wieder die Bedienung in der Gaststube übernehmen. Und ich will keine Klagen hören.«
Franziska begann zu weinen. Aber ihre Tränen versiegten schnell, weil sie es gewohnt war, immer einen Ausweg zu finden. Vielleicht konnte sie es erreichen, dass der Erzbischof von Mainz ihr die Möglichkeit bot, die Klosterschule zu besuchen, obwohl sie wie alle anderen am kurpfälzischen Fürstenhof Calvinistin war. Aber hatte sie über die strenge Erziehung im Kloster nicht schon schreckliche Dinge gehört? Vor allem gab es dort sicherlich keine Pferde, auf denen sie reiten durfte.
Vielleicht war es besser, ihren Onkel zu versöhnen, indem sie sich ganz besondere Mühe gab, ihren Pflichten nachzukommen. Noch während sie diesen Vorsatz fasste, fühlte sie sich wie eine Heuchlerin. Natürlich lag es ihr am Herzen, sich dankbar gegenüber Onkel Albert zu zeigen, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es ihr vor allem darum ging, alle Bevormundung abzuschütteln, damit sie sich eines Tages auf den Weg in die Kurpfalz machen konnte, um ihr Elternhaus wiederzusehen, in dem sie eine glückliche Kindheit verbracht hatte.
In ihrer Erinnerung schien es ihr ein Paradies gewesen zu sein. Denn als Spielgefährtin von Liselotte, der Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig, hatte sie viele Freiheiten genossen. Niemand hatte daran Anstoß genommen, dass sich die beiden Mädchen im Park mit den sogenannten Raugrafen herumtummelten, den Kindern der Louise von Degenfeld, einer Geliebten des Kurfürsten, die er sich ganz ohne Heimlichkeit, wenn auch zum Gespött seiner Gemahlin, hielt. Später hatte er Louise sogar ›zur linken Hand‹ geheiratet. Aber die Raugrafen deswegen Bastarde zu nennen, wäre weder Liselotte noch ihr selbst jemals in den Sinn gekommen.
Als Liselotte gegen ihren Willen mit Philipp von Orléans, dem Bruder des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV., verheiratet wurde, hatte Franziska großes Mitleid empfunden. Arme Liselotte, die am französischen Hof leben musste, wo es .angeblich ziemlich frivol zuging. Außerdem war ein Gerücht im Umlauf, dass Liselottes Ehemann Philipp mehr halbwüchsigen Jungen als seiner Gemahlin zugetan war. Da hatte sie selbst es doch hier auf der Poststation bei Weitem besser als die sicher heimwehkranke Liselotte in Paris.
Denn Skandale, wie sie sich am kurpfälzischen Hof ereignet hatten, als der Kurfürst einen Pastor gefunden hatte, der die Ehe mit Louise von Degenfeld segnete, waren in der Familie des Postmeisters undenkbar. Empört hatte Onkel Albert seiner Nichte vor gar nicht langer Zeit von den Kränkungen erzählt, die man Charlotte, der rechtmäßigen Gemahlin von Karl Ludwig, angetan hatte. Die in Heidelberg akkreditierten Botschafter grüßten die verstoßene Kurfürstin nicht mehr, die Dienerschaft lachte ihr ins Gesicht, und schließlich nahm man ihr auch noch ihren Sohn Karl weg, der einem Erzieher übergeben wurde, der nur mit ihm sprach, um ihn zu schelten.
Schlimm war es, wie man die Mutter ihrer Jugendgespielin Liselotte behandelt hatte. Zum Glück gab es die liebevolle Tante Sophie, der Liselotte eine Zeit lang anvertraut worden war, um diese Querelen von ihr fernzuhalten. Seitdem verband die beiden, wie man allgemein hörte, bis zum heutigen Tag eine echte Zuneigung.
Franziska seufzte, als sie an ihre eigene Tante dachte, die Wirtin der Poststation, die das verwaiste Kind vom ersten Tag an als nutzlosen Esser bezeichnet hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass die kinderlose Frau sie jemals tröstend in den Arm genommen hätte, wenn sie über den allzu frühen Verlust ihrer Mutter weinte. Ganz im Gegenteil hatte sie jede kleine Nachlässigkeit mitleidlos bestraft.
Als Onkel Albert einmal Zeuge wurde, wie die Postmeisterin seine Nichte mit einem Stecken auf die Hand schlug, weil ihr bei der Küchenarbeit ein Becher zu Boden gefallen war, hatte er im Beisein von Franziska seiner Frau ernsthafte Vorhaltungen gemacht. »Du weißt doch, was die strenge Erziehung des jungen Karl bewirkt hat, den man seiner Mutter, der Kurfürstin, weggenommen hat, um ihn einem Erzieher zu übergeben, der Schikanen, ja sogar Schläge mit dem Stecken für ein gutes Erziehungsmittel hielt. Der arme Junge, der schließlich überhaupt nicht mehr wusste, was man von ihm wollte, wurde ängstlich und verkrampft und ein rechter Einfaltspinsel. Lass dir das als schlechtes Beispiel dienen!«
Die Wirtin hatte etwas gemurmelt, dass Schläge noch niemand geschadet hätten, hatte von da an aber aufmerksam darauf geachtet, dass ihr Mann nicht in der Nähe war, wenn sie den Kochlöffel auf Franziskas Rücken tanzen ließ.
Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. »Wo bleibst du denn, du faule Trine?«, ertönte die Stimme des Stallknechts Karl. »Putz die Kutsche, derweil ich die Pferde zur Tränke reite.«
Als sie in den Hof trat, empfing er sie mit einem höhnischen Lächeln. »Schau dir die Polster an! Da ist es einem Fräulein anscheinend in dem schwankenden Gefährt schlecht geworden, sodass sie sich entleeren musste. Ich wünsche dir viel Vergnügen.«
Fröhlich pfeifend entfernte er sich mit den beiden Pferden.
Franziska dachte an ihre guten Vorsätze, holte Wasser vom Brunnen und begann mit einer Bürste die unangenehme Arbeit, bei der sie ein Würgen unterdrücken musste.
Sie hatte die Reinigung noch nicht vollständig beendet, als sie die keifende Stimme der Wirtin vernahm: »Wie lange schrubbst du denn noch die Kutsche? Du trödelst wohl absichtlich herum, damit dir die Küchenarbeit erspart bleibt. Komm jetzt auf der Stelle, ehe die hungrigen Gäste sich beschweren.«
Hinter ihr tauchte in der Abendsonne ein Schatten auf. Sie fürchtete schon, dass die Wirtin ihr mit dem Kochlöffel zusetzen wollte. Als sie sich jedoch umwandte, sah sie in das Gesicht des Postmeisters. Sein Zorn schien verraucht zu sein.
»Es ist gut so«, sagte er und nahm ihr die Putzbürste aus der Hand. »Geh jetzt hinein und mach dich in der Gaststube nützlich! Die Küchenmagd genügt für Handreichungen beim Kochen.«
Es hätte nicht viel gefehlt, und Franziska wäre ihrem Onkel um den Hals gefallen. Er würde sie auch weiterhin beschützen, da war sie sich ganz sicher.
Aber möchte ich das überhaupt?, dachte sie voller Zweifel. Denn noch einmal mag ich meinen Onkel, der mir liebevoll ein neues Zuhause geboten und einen treu sorgenden Vater ersetzt hat, nicht enttäuschen. Niemals werde ich ihn grundlos verlassen, um in mein kurpfälzisches Traumparadies zurückzukehren.
Belauschte Gespräche
In der Gaststube herrschte eine seltsam gespannte Stimmung. Die Reisenden, die für gewöhnlich nach einigen Gläsern Wein fröhlich miteinander plauderten, spießten lustlos die ausgezeichneten Kartoffelknödel auf die Gabel und stocherten in dem Pilzragout herum, als ob man ihnen giftige Fliegenpilze vorgesetzt hätte.
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