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Nach dem letzten Krieg
Nach dem Ende der Welt ist die Pazifikküste der ehemaligen Vereinigten Staaten in einen blutigen Bürgerkrieg verwickelt. Die Clans, die das Gebiet unter sich aufgeteilt haben, setzen sich gegen Kräfte zur Wehr, die eine starke Zentralregierung etablieren wollen. Scheinbar zwischen allen Fronten stehen die Esper, Pazifisten, die ihren Anhängern das Erreichen großer psychischer Kräfte versprechen. Doch in Wirklichkeit stecken hinter den Espern ganz andere Kräfte, die im Verborgenen agieren und das Schicksal der Welt manipulieren wollen …
Für „Die Zentrale der Esper“ wurde Poul Anderson mit dem Hugo und dem Prometheus Award ausgezeichnet. Die Erzählung erscheint als exklusives E-Only bei Heyne und umfasst ca. 57 Seiten.
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Seitenzahl: 113
POUL ANDERSON
DIE ZENTRALE DER ESPER
Nach dem Ende der Welt ist die Pazifikküste der ehemaligen Vereinigten Staaten in einen blutigen Bürgerkrieg verwickelt. Die Clans, die das Gebiet unter sich aufgeteilt haben, setzen sich gegen Kräfte zur Wehr, die eine starke Zentralregierung etablieren wollen. Scheinbar zwischen allen Fronten stehen die Esper, Pazifisten, die ihren Anhängern das Erreichen großer psychischer Kräfte versprechen. Doch in Wirklichkeit stecken hinter den Espern ganz andere Kräfte, die im Verborgenen agieren und das Schicksal der Welt manipulieren wollen …
Für »Die Zentrale der Esper« wurde Poul Anderson mit dem Hugo und dem Prometheus Award ausgezeichnet. Die Erzählung erscheint als exklusives E-Only bei Heyne und umfasst ca. 57 Seiten.
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Titel der Originalausgabe
NO TRUCE WITH KINGS
Aus dem Amerikanischen von Walter Brumm
Überarbeitete Neuausgabe
Copyright © 1964 by Poul Anderson
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Covergestaltung: Stardust
Die ganze Messe war betrunken, und die jüngeren Offiziere am unteren Ende der langen Tafel waren nur wenig geräuschvoller als die Dienstälteren in der Nähe des Colonels. Teppiche und Vorhänge vermochten kaum den wirren Lärm aus Rufen, trampelnden Stiefeln, dröhnenden Faustschlägen auf Eichenholz und Gläsergeklirr zu dämpfen, der zwischen den massiven Steinwänden widerhallte. Im rauchverhangenen Dämmerlicht unter der Saaldecke bewegten sich die Regimentsfahnen in der Zugluft, als wollten sie ihren Teil zum allgemeinen Chaos beitragen. Darunter tanzte der Lichtschein der Wandleuchter und des prasselnden Kaminfeuers über Trophäen und Waffen.
Der Herbst kommt früh ins Bergland, und es stürmte draußen. Wind umheulte die Wachttürme, und auf den Höfen trommelte der Regen, ein leiser und gleichmäßiger Unterton, der Gebäude und Korridore erfüllte und unwillkürlich an die alte Geschichte denken ließ, nach der die Toten der Einheit jedes Jahr in der Nacht des neunzehnten September aus ihren Gräbern stiegen und an den Festlichkeiten teilzunehmen versuchten. Doch ließ sich dadurch niemand beunruhigen, weder hier noch in den Mannschaftsunterkünften. Die dritte Division, die Division der Berglöwen, genoss den Ruf, die wildeste und ungezügeltste Einheit in der Armee der Pazifischen Staaten von Amerika zu sein, und die Rolling Stones von Fort Nakamura galten unter ihren Regimentern als das wildeste.
»Los, Charlie! Fang schon an. Du hast die beste Stimme in der ganzen verdammten Sierra«, rief Colonel Mackenzie. Er öffnete den Kragen seiner schwarzen Litewka und warf sich in den Stuhl zurück, die Beine von sich gestreckt, die Pfeife in der einen und das Whiskyglas in der anderen Hand. Ein untersetzter Mann mit blauen, von zahllosen Fältchen umgebenen Augen in einem narbigen Gesicht. Sein spärliches kurzgeschnittenes Haar begann zu ergrauen, aber sein Schnurrbart war noch immer von einem geradezu herausfordernden Rot.
Captain Hulse stand auf und schmetterte die erste Strophe eines Soldatenlieds in den von Lärm und Rauch erfüllten Raum. Die anderen stimmten brüllend und grölend in den zweideutigen Refrain ein.
»Bitte um Entschuldigung, Sir.«
Mackenzie drehte sich schwerfällig zur Seite und blickte in Sergeant Irwins Gesicht. Der Ausdruck des Mannes ernüchterte ihn. »Ja?«
»Ein Telegramm, Sir. Major Speyer bittet Sie, sofort zu ihm zu kommen.«
Speyer, der nichts vom Alkohol hielt, hatte sich an diesem Abend freiwillig zum Dienst gemeldet. Mackenzie dachte an die letzten Nachrichten aus San Francisco und fröstelte. Der Refrain dröhnte durch die Messe; niemand merkte es, als der Colonel aufstand und seine Pfeife ausklopfte.
Er ignorierte den dumpfen Druck in seinem Schädel, schritt aufrecht zur Tür und nahm automatisch sein Koppel mit der Pistolentasche vom Garderobenhaken. Das Gegröle aus der Messe verfolgte ihn durch den langen Korridor.
Vereinzelte Wandleuchter erhellten den Korridor nur notdürftig. Porträts früherer Kommandanten beobachteten den Colonel und den Sergeanten aus Augen, die im Halbdunkel versteckt lagen. Die Schritte hallten laut über den Steinboden.
Mackenzie ging zwischen zwei Feldgeschützen hindurch, die den Treppenaufgang flankierten. Es waren Beutestücke aus dem Krieg gegen Wyoming, Erinnerungen an eine Zeit, die über eine Generation zurücklag. Der Colonel stieg schnaufend die Treppe hinauf. Die Entfernungen in diesem Fort waren größer als es seinen nicht mehr jungen Beinen gefiel. Aber es war ein altes Fort, und jedes Jahrzehnt hatte ihm etwas hinzugefügt. Seine granitenen Kasematten und schweren Mauern waren ein Schlüssel zur Nation, sie sperrten und bewachten eine lange Strecke der gebirgigen Ostgrenze. Mehr als eine Armee hatte sich an ihnen die Zähne ausgebissen, bevor Nevada unterworfen war, und viele junge Männer waren von diesem Fort ausgezogen, um unter feindlichen Kugeln zu sterben.
Aber wir sind nie von Westen her angegriffen worden, dachte Mackenzie ahnungsvoll. Mein Gott, das kannst du uns doch ersparen, nicht wahr?
In der Befehlszentrale war es um diese Stunde still. Der Raum, wo Sergeant Irwin seinen Schreibtisch hatte, lag verlassen; um so deutlicher hörte man draußen den Wind um die Ecken heulen. Regen peitschte gegen die schwarzen Fensterscheiben und rann in Strömen daran herunter. Mackenzie öffnete die Tür zum nächsten Raum und hörte Irwin neben sich mit unsicherer Stimme sagen: »Hier ist der Colonel, Sir.« Er schluckte, dann schloss er hinter Mackenzie die Tür.
Speyer stand neben dem Schreibtisch, einem zerkratzten alten Möbel mit wenig darauf: einem Tintenfass, einer Briefablage, dem Lautsprecher und Mikrophon einer Sprechanlage, einer Photographie von Nora, die in den zwölf Jahren seit ihrem Tod verblasst war. Der Major war groß und hager, hakennasig und kahlköpfig. Seine Uniform sah immer irgendwie ungebügelt aus. Aber er hatte das schärfste Gehirn in der ganzen Division, dachte Mackenzie; und bei Gott, es gab keinen Menschen, der so viele Bücher gelesen hatte wie Phil. Offiziell war er Mackenzies Adjutant, in Wirklichkeit sein Hauptratgeber.
»Nun, was gibt's?«, fragte Mackenzie. Der Alkohol schien sein Denken nicht zu beeinträchtigen, er ließ ihn die Dinge um ihn vielmehr mit geschärftem Bewusstsein wahrnehmen: den trockenen, heißen Geruch, den die Lampen ausstrahlten – wann würden sie endlich einen Generator bekommen, der groß genug wäre, elektrische Beleuchtung einzuführen? Er fühlte die kalten Steinplatten unter seinen Füßen und sah den Riss im Verputz der Nordwand. Der Ofen in der Ecke reichte kaum aus, um die feuchte Kälte zu vertreiben. Mackenzie gab sich zuversichtlich, steckte beide Daumen hinter sein Koppel und ließ sich auf die Absätze zurückwippen. »Nun, Phil, was ist los?«
»Ein Telegramm aus San Francisco«, sagte Speyer. Er hatte ein Stück Papier in seinen Fingern hin und her gewendet, das er jetzt Mackenzie herüberreichte.
»Warum keine Radiobotschaft?«
»Ein Telegramm kann man nicht so leicht abhören. Dies hier ist übrigens verschlüsselt angekommen. Irwin hat es für mich in Klartext geschrieben.«
»Was ist das wieder für ein Unsinn?«
»Lies es, Jimbo, dann wirst du es selbst sehen. Es ist sowieso an dich gerichtet. Direkt vom Hauptquartier.«
Mackenzie konzentrierte sich auf Irwins Gekritzel. Die üblichen Formalitäten der Anrede, dann:
Sie werden hiermit verständigt, dass der Senat der Pazifischen Staaten Owen Brodsky, früher Richter der Pazifischen Staaten, von seinem Amt entbunden und unter Anklage gestellt hat. Seine Nachfolge tritt in Übereinstimmung mit dem Gesetz sein bisheriger Stellvertreter Humphrey Fallon an. Die Existenz subversiver Elemente, die für das Land eine öffentliche Gefahr bedeuten, hat Richter Fallon veranlasst, ab 21 Uhr des heutigen Tages über die gesamte Nation das Kriegsrecht zu verhängen. Im Zusammenhang damit ergehen an Sie folgende Anweisungen:
1. Bis zur öffentlichen Proklamation des Kriegsrechts gelten für die obige Verlautbarung die üblichen Geheimhaltungsvorschriften.
2. Alle verfügbaren Bestände an Waffen und Munition sind bis auf zehn Prozent einzuziehen und unter Verschluss zu halten. Es sind Wachen aufzustellen.
3. Das Regiment hat Fort Nakamura nicht zu verlassen, bis Entsatz eintrifft. Ihre Ablösung besteht aus einem Bataillon unter Colonel Simon Hollis, das morgen früh von San Francisco abrücken und in fünf Tagen in Fort Nakamura eintreffen wird, zu welchem Zeitpunkt Sie das Kommando an ihn abgeben werden. Colonel Hollis wird diejenigen Offiziere und Mannschaften bezeichnen, die durch Angehörige seines Bataillons ersetzt werden. Das Bataillon wird im dort stationierten Regiment aufgehen. Sie werden die ausgetauschte Truppe nach San Francisco zurückführen und sich bei Brigadegeneral Mendoza im neuen Fort Baker melden. Um Zwischenfälle zu vermeiden, ist diese Truppe bis auf die Pistolen der Offiziere zu entwaffnen.
4. Zu Ihrer privaten Information: Captain Thomas Danielis ist zu Colonel Hollis' Adjutanten ernannt worden.
5. Sie werden nochmals darauf hingewiesen, dass über das Territorium der Pazifischen Staaten von Amerika das Kriegsrecht verhängt ist. Der nationale Notstand erfordert vollständige Loyalität zur gesetzmäßigen Regierung. Alle Ansätze zur Meuterei und Befehlsverweigerung sind streng zu ahnden. Jeder, der Brodsky oder seine Anhänger unterstützt, ist des Hochverrats schuldig und wird dementsprechend zur Rechenschaft gezogen werden.
Gerald O'Donnell, Stabschef der
Armee der Pazifischen Staaten von Amerika
Über die Berge rollte der Donner wie Artilleriefeuer. Es dauerte eine Weile, bis Mackenzie sich rührte, und dann tat er es nur, um das Telegramm wieder auf den Schreibtisch zu legen.
»Sie haben es gewagt«, sagte Speyer tonlos.
»Was?« Mackenzie drehte den Kopf und starrte dem Major ins Gesicht. Speyer sah es nicht, denn er blickte auf seine Finger, die eine Zigarette drehten. Er stieß seine Worte schnell und abgehackt heraus.
»Ich kann mir vorstellen, was geschehen ist. Die Kriegspartei hat nach Amtsenthebung gerufen, seit Brodsky den Grenzkompromiss mit Westkanada getroffen hat. Und Fallon – ja, der hat eigene Ambitionen. Aber seine Partisanen sind eine Minderheit, und das weiß er. Seine Ernennung zum stellvertretenden Richter hat die Kriegspartei ein wenig besänftigt, aber er wäre trotzdem nie auf reguläre Weise Richter geworden, weil Brodsky nicht eher als er an Altersschwäche sterben wird, und weil der Senat zu mehr als fünfzig Prozent aus nüchtern denkenden, selbstzufriedenen Feudalherren besteht, die keineswegs der Ansicht sind, dass die PSA einen göttlichen Auftrag haben, den Kontinent der Wiedervereinigung zuzuführen. Ich verstehe nicht, wie ein vollständig und unbehindert zusammengetretener Senat Brodskys Amtsenthebung beschlossen haben könnte. Ich hätte es für wahrscheinlicher gehalten, dass sie Fallon absetzen würden.«
»Aber der Senat ist einberufen worden«, sagte Mackenzie. »Wir haben es in den Radionachrichten gehört.«
»Gewiss. Gestern sollte in einer Sitzung der Vertrag mit Westkanada ratifiziert werden. Aber die Feudalherren oder Oberhäupter, wie man sie nennen will, sind über das ganze Land verstreut, jeder in seinem Bezirk. Sie müssen nach San Francisco kommen. Ein paar einkalkulierte Verzögerungen – zum Teufel, es braucht bloß eine Brücke der Eisenbahnstrecke nach Boise zufällig in die Luft fliegen, und ein rundes Dutzend von Brodskys treuesten Gefolgsleuten kann nicht rechtzeitig zur Stelle sein! Aber dafür hat Fallon seine Anhänger vollzählig beisammen, und weil so viele von den anderen fehlen, hat die Kriegspartei eine klare Mehrheit. Dann kommen sie noch an einem Feiertag zusammen, wo kein Bürger sich um die Vorgänge im Senat kümmert. Die Folge? Brodsky wird seines Amtes enthoben und angeklagt – und wir haben einen neuen Richter!« Speyer steckte seine Zigarette in den Mund und fummelte in seinen Taschen nach einem Zündholz. Seine Kiefermuskeln zuckten.
»Bist du sicher, dass es so gewesen ist?«, murmelte Mackenzie. Er dachte flüchtig an eine Segelpartie, die er einmal im Puget Sund unternommen hatte. Eine Nebelbank hatte sich vor die Küste geschoben, und plötzlich war alles kalt und undurchsichtig gewesen. Es gab nichts, was man mit den Händen hätte greifen können. Genauso war es jetzt.
»Natürlich bin ich nicht sicher!«, knurrte Speyer. »Niemand wird es genau wissen, bis es für Gegenaktionen zu spät ist.« Er schwenkte die Streichholzschachtel in einer wilden Geste.
»Sie haben auch einen neuen Mann im Hauptquartier, wie man sieht.«
»Klar. Sie müssen jeden, dem sie nicht voll vertrauen können, so schnell wie möglich ablösen, und De Barros war Boskys Mann.« Ein Zündholz flammte auf. Speyer inhalierte den Rauch. »Du und ich, wir gehören natürlich auch zu den unsicheren Kantonisten. Das Regiment soll entwaffnet werden, damit keiner auf die Idee kommt, Widerstand zu leisten, wenn der neue Colonel eintrifft. Du siehst, dass er trotzdem ein Bataillon mitbringt, nur für den Fall. Wenn es nicht so wäre, hätte er ein Flugzeug nehmen und morgen hier sein können.«
»Warum nicht die Eisenbahn?«
»Wahrscheinlich wird alles rollende Material im Norden gebraucht, um Truppen hinzubringen, falls die dortigen Feudalherren revoltieren. Die Täler sind ihnen ziemlich sicher, mit friedlichen Bauern und den Niederlassungen der Esper. Keiner von ihnen wird Fallons Soldaten Widerstand leisten, wenn sie durchmarschieren, um die nördlichen Garnisonen zu besetzen.« Speyers Stimme bebte vor Zorn.
»Und was wollen wir unternehmen?«