Die Zeugen - Alexander Apeitos - E-Book

Die Zeugen E-Book

Alexander Apeitos

0,0

Beschreibung

Eine Mutter, die den Mord an ihrer Tochter rächt. Eine Polizistin, die sich nicht unterkriegen lässt und mit ihrem kriminalistischen Spürsinn einem brutalen Mörder das Handwerk legt. Ein Politiker, der krank vor obsessiver Liebe ist. Die Crime-Experten und erfolgreichen Podcaster Steffi (»Von Mord und Totschlag«) und Alex (»Wahre Verbrechen«) nähern sich in ihren Kurzgeschichten, basierend auf wahren Kriminalfällen aus Deutschland, dem Verbrechen von einer ganz neuen Seite. Fiktive Ich-Erzähler berichten über ihre Begegnungen mit der dunklen Seite der Täter. Grausame Fakten eingebettet in spannende Augenzeugenberichte lassen keinen Zweifel: Das Interesse an Kriminalfällen ist so alt wie das Verbrechen selbst. Kriminalgeschichten basierend auf wahren Fällen: -  »Geheimcode 5421« : Der Vierfachmord von Eislingen - »Mord unter Kollegen«: Der Bestatter-Mord - »Der Nachbar«: Der Berliner S-Bahn-Mörderu. v. m.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 187

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Danke, dass Sie sich für unser Buch entschieden haben!

Sie wollen mehr über uns & unsere Bücher erfahren, über unser Programm auf em Laufenden bleiben sowie über Neuigkeiten und Gewinnspiele informiert werden?

Folgen Sie

auch auf Social Media

& abonnieren Sie unseren Newsletter

Eine Mutter, die den Mord an ihrer Tochter rächt. Eine Polizistin, die sich nicht unterkriegen lässt und mit ihrem kriminalistischen Spürsinn einem brutalen Mörder das Handwerk legt. Ein Politiker, der krank vor obsessiver Liebe ist.

Die Crime-Experten und erfolgreichen Podcaster Steffi („Von Mord und Totschlag“) und Alex („Wahre Verbrechen“) nähern sich in ihren Kurzgeschichten, basierend auf wahren Kriminalfällen aus Deutschland, dem Verbrechen von einer ganz neuen Seite. Fiktive Ich-Erzähler berichten über ihre Begegnungen mit der dunklen Seite der Täter. Grausame Fakten eingebettet in spannende Augenzeugenberichte lassen keinen Zweifel: Das Interesse an Kriminalfällen ist so alt wie das Verbrechen selbst.

Schon mein Vater ist Bestatter gewesen. Als er sich zur Ruhe setzte, trat ich in seine Fußstapfen. Bestatter ist ein sicherer Beruf, denn gestorben wird schließlich immer. Ich hoffe, Sie nehmen mir meinen schwarzen Humor nicht übel. Jeder entwickelt Strategien, um mit dem Unabänderlichen fertig zu werden. Aber keine Sorge, die Toten haben sich noch nie beschwert. Gegenüber den Angehörigen eines Verstorbenen bin ich stets freundlich und zuvorkommend bei gleichzeitiger Zurückhaltung. Für einen Bestatter ist Empathie deshalb eine weitere unabdingbare Eigenschaft, die man mitbringen sollte. Umso überraschter war ich, als Markus Künzel in unserer Stadt ebenfalls ein Bestattungsunternehmen eröffnete. Abgesehen davon, dass es hier nicht noch einen weiteren Totengräber gebraucht hätte – er passte so gar nicht in unsere Branche.

Dieses Buch beruht auf wahren Begebenheiten. Die beschriebenen Geschichten spiegeln tatsächliche Ereignisse wider, wie sie von den Beteiligten erlebt und berichtet wurden. Zum Schutz der Privatsphäre der handelnden Personen wurden deren Namen geändert.

Alexander Apeitos, geboren 1987 in Berlin, ist geprüfter Fachwirt im Gesundheits- und Sozialwesen, Autor und Podcaster. 2018 startete er seinen True-Crime-Podcast „Wahre Verbrechen“, welcher seit der Veröffentlichung bereits mehrere Millionen Mal gestreamt wurde. Als Autor verfasst er Kriminalkurzgeschichten, zudem ist er Live-Podcaster und Speaker.

Stefanie Plugge-Henze, geboren 1988 in Detmold, ist Autorin und Podcasterin. Sie ist die kreative Kraft hinter dem erfolgreichen True-Crime-Podcast „Von Mord und Totschlag“. Unter dem Pseudonym Caja Berg schreibt sie Kurzgeschichten über wahre Verbrechen und Podcast-Skripte für externe True-Crime-Produktionen.

Alexander Apeitos, Stefanie Plugge-Henze

Die Zeugen

Wahre Verbrechen Von Mord und Totschlag

Im Andenken an meinen Papa: Deine Weisheit, Liebe und Geduld haben mein Leben geprägt. Dieses Buch ist ein Zeichen meiner ewigen Dankbarkeit und Liebe zu dir.

– Steffi

Für Mama. Ich liebe dich.

– Alex

VORWORT

GEHEIMCODE 5 4 1 2

MORD UNTER KOLLEGEN

DIE VERLORENE TOCHTER

DER NACHBAR

ACHT SCHÜSSE

DER FALL IHRES LEBENS

SELBSTJUSTIZ

TOD AUF DER PFERDERANCH

TÖDLICHE EIFERSUCHT

QUELLEN

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist uns eine große Freude, euch mit unserem ersten Buch in die Welt der wahren Verbrechen zu entführen – diesmal auf eine etwas andere Art und Weise.

Die Idee zu diesem Buch entstand aus dem Wunsch, wahre Kriminalfälle nicht nur im Stil, wie ihr ihn aus unseren Podcasts kennt, zu behandeln. Stattdessen wollten wir einen Ansatz wählen, der die Realität mit der Fiktion verbindet und so eine besondere Atmosphäre schafft.

Deshalb haben wir uns entschlossen, fiktive Ich-Erzählerinnen und -Erzähler ihre Geschichten über echte Verbrechen erzählen zu lassen. Diese Erzählperspektive ermöglicht es uns, tiefere Einblicke in die Gedanken und Emotionen der beteiligten Personen zu gewähren und das Geschehene auf eine eindringliche und zugleich spannende Weise zu beleuchten.

Die Mischung aus tatsächlichen Ereignissen und fiktiven Erzählungen soll Spannung und Vorfreude wecken – auf jede einzelne der neun Geschichten, die euch in dem Buch erwarten.

Während des Schreibprozesses haben wir uns intensiv mit den Verbrechen auseinandergesetzt, die wir hier darstellen. Es war eine Reise voller Entdeckungen und Herausforderungen, die uns oft an unsere Grenzen brachte. Doch die Vorstellung, euch durch unsere Geschichten in die Tiefe dieser Verbrechen eintauchen zu lassen, hat uns immer wieder aufs Neue motiviert.

Wir laden euch ein, euch mit uns auf eine aufregende Reise zu begeben und die Welt der wahren Verbrechen aus einer neuen Perspektive zu erleben. Wir hoffen, dass diese Erzählweise euch ebenso fesseln und faszinieren wird wie uns.

In gespannter Erwartung auf eure Reaktionen,

Steffi und Alex

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich zwei Tage nach diesem schrecklichen Verbrechen zum Haus von Daniel gegangen bin. Seine Eltern und Schwestern, die wenige Stunden zuvor hier ihr Leben verloren, hatte ich nicht gekannt. Dennoch war es mir ein Bedürfnis, meiner Bestürzung über diese grausame Tat Ausdruck zu verleihen. Ich war damals 19 Jahre alt und hatte vorher noch keine Berührungspunkte mit dem Tod gehabt. Sie wissen selbst, dass dieses Thema in dem Alter unter normalen Umständen nicht das attraktivste bei Jugendlichen ist.

Bevor ich mich auf den Weg machte, ging ich in einen Drogeriemarkt, kaufte eine von diesen roten Grabkerzen, machte einen Abstecher zu einem Blumengeschäft und nahm dort einen kleinen Strauß gelber Osterglocken mit – passend zum Osterwochenende.

Meine Knie fühlten sich an, als bestünden sie aus weichem Pudding. Mein Hals war ganz trocken, meine Hände dafür umso feuchter. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so eine unangenehme Beklemmung verspürte – vielleicht kann ich mich deshalb auch noch so gut daran erinnern.

Als ich an dem eierschalengelben Haus der Familie Klein ankam, fiel mein Blick sofort auf die weiß getünchte Bank, die neben dem Hauseingang stand. Auf dem verwitterten Holz hatten schon einige Nachbarn, Bekannte und Freunde der Familie Blumengestecke niedergelegt. Davor befand sich ein winziges Meer aus flackernden Trauerkerzen. Ich legte meinen Blumenstrauß zu den anderen, zündete meine Kerze an und stellte sie zu dem kleinen Lichtermeer.

Daniel tat mir so leid. Zugegeben: Gut kannte ich ihn nicht. Er ging in meine Parallelklasse. Aber hin und wieder hatten wir auf dem Schulhof mal ein paar Worte gewechselt. An Daniel kam man aber auch irgendwie nicht vorbei, jeder auf dem Wirtschaftsgymnasium wusste, wer er war. Nicht nur, weil er extrovertiert war, sondern auch, weil er im Schultheater als wirklich guter Laiendarsteller aufgefallen war.

Wer mir auch unheimlich leidtat, war Daniels bester Freund Christopher Fischer – auch ihn muss das Verbrechen sehr erschüttert haben. Christopher ging auf das gleiche Wirtschaftsgymnasium wie Daniel und ich. Ich weiß aber nicht mehr, ob die beiden Jungen auch in einer Klasse gewesen sind. Was ich aber noch sehr gut in Erinnerung habe, ist, dass Christopher wie Daniels Schatten war. Er klebte förmlich wie ein ABC-Pflaster an ihm. In der Schule gingen sogar Gerüchte herum, dass es sich, zumindest von Christophers Seite aus, nicht nur um eine Freundschaft handelte. Das wäre an sich ja auch nicht weiter verwerflich gewesen, aber irgendwie ... Die beiden passten von ihrem Wesen her so gar nicht zusammen. Christopher war eher ein schüchterner Typ. Aber vielleicht war es ja grade auch das, was ihre Freundschaft ausmachte. Christophers Vater sagte irgendwann mal gegenüber einem Journalisten, dass die beiden Jungen wie zwei Zahnräder ineinandergepasst hätten.

Am Morgen des Karfreitags frühstückten die beiden Freunde bei den Eltern von Christopher, bevor sie beschlossen, den restlichen Tag bei Daniel verbringen zu wollen. Dort angekommen, bot sich ihnen ein schreckliches Bild. Daniels Eltern lagen im Eingangsbereich des Hauses – tot. Erschossen. Es musste alles sehr schnell gegangen sein, denn sie hatten nicht einmal mehr die Gelegenheit gehabt, sich ihre Jacken auszuziehen. Doch als hätte das Entsetzliche damit nicht schon seinen Höhepunkt erreicht, offenbarte sich im Obergeschoss des Hauses ein weiterer Albtraum. Auch Daniels beide Schwestern hatte der Mörder hingerichtet.31 Schüsse wurden in dieser Nacht abgegeben. Können Sie sich vorstellen, dass dies unbemerkt von anderen Bewohnern der Straße blieb? Aber genau so war es. Niemand hatte etwas von dem Vierfachmord mitbekommen. Womöglich hatte niemand in der Nachbarschaft die Schüsse gehört, weil selbst gebaute Schalldämpfer aus Plastikflaschen benutzt worden waren. Aber das kam natürlich erst viel später heraus. Zunächst schien es unerklärlich, dass es keine Zeugen des brutalen Verbrechens gab.

Nach der fürchterlichen Entdeckung setzte Daniel einen Notruf ab. Als die Einsatzkräfte am Haus der Familie Klein angekommen waren, kauerten die beiden Freunde auf dem Bürgersteig. Sie sollen fix und fertig gewesen sein – verständlicherweise. Die Nachricht vom Tod der Familie machte im Ort schnell die Runde und so wussten schon bald alle, dass der 18-Jährige von einem Tag zum nächsten alle seine nächsten Angehörigen verloren hatte. Mich überkam damals allein bei dem Gedanken daran, dass Daniel sich jetzt wahrscheinlich wie der einsamste Mensch auf dieser Welt vorkommen musste, ein seltsames Gefühl. Es war eine Mischung aus Mitleid, aber auch Angst. In den ersten Tagen war ja gar nicht klar, wer die Familie getötet hatte.

Mein Vater ist Polizist. Er versuchte, mir die Sorge, dass auch meiner Familie so etwas passieren könnte, zu nehmen. Er sagte, dass nach all den schockierenden Berichten in der Zeitung und den bedrückenden Nachrichten im Radio vieles darauf hindeute, dass der Täter mit besonderer Aggression aus einem zutiefst persönlichen Motiv gehandelt haben musste. 31 Schüsse – ein klassischer Overkill, wie er mir erklärte: Der Täter tut mehr, als nötig ist, um sein Opfer zu töten. Außerdem ließ sich der Berichterstattung entnehmen, dass im Haus der Familie Klein nichts entwendet worden war und dass die Ermittler keine Einbruchsspuren feststellen konnten. Selbst Laien war damit klar, dass höchstwahrscheinlich kein Raubmord stattgefunden hatte.

Was unterdessen allerdings wohl niemand ahnte, war, dass ausgerechnet Daniel und Christopher in das Visier der Ermittler geraten waren. Einige Tage nach den Morden, es muss Mitte April 2009 gewesen sein, machten zunächst Gerüchte die Runde, dass die beiden Freunde verhaftet worden waren. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass das Entsetzen bei uns allen groß war. Nur wenige Stunden später wurde die Nachricht durch die Medien bestätigt. Es war für mich kaum vorstellbar, dass sich zwei meiner Schulkollegen im Gefängnis befanden, während für mich nach den Osterferien der normale Schulalltag wieder begann.

Aber so richtig krass wurde es, als bekannt wurde, dass Christopher ein Geständnis abgelegt hatte. Er sagte, dass sich Daniel den Mord an seiner Familie ausgedacht und ihn gebeten habe, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Erst sagte Christopher, er habe nur die Mutter erschossen, dann erklärte er, er habe alle Familienmitglieder allein ermordet. Außerdem verriet Christopher den Vernehmern, wo sich das Waffenversteck befand. Die Tatwaffe, samt der Kleidung, die sie während der Morde trugen, hatten sie im nahe gelegenen Waldstück in einem Erdloch vergraben.

Aber erst, als den beiden Freunden der Prozess gemacht wurde, kam das ganze Ausmaß ihrer Taten ans Tageslicht. Ich wusste damals zum Beispiel nicht, dass die zwei Mitglieder in unserem örtlichen Schützenverein gewesen waren. Wovon ich aber gehört hatte, war der Einbruch in das Vereinsheim der Schützen, bei dem 17 Pistolen und 15.000 Schuss Munition geklaut worden waren. Sie liegen richtig: Dafür waren niemand Geringere als Daniel und Christopher verantwortlich gewesen.

Ich wusste auch nie, was es bedeutete, wenn sich Christopher und Daniel ab und zu die Zahlen „5 4 1 2“ zuriefen. Erst während der Verhandlung kam heraus, dass es sich dabei um einen Geheimcode handelte. Die 5 stand für alle Familienmitglieder der Familie Klein: Vater, Mutter, die beiden Schwestern und Daniel. Die 4 stand für die Mitglieder, die getötet werden mussten. Die 1 symbolisierte, dass nur Daniel die Nacht zum Karfreitag überleben sollte und die 2 stand symbolisch für die Freundschaft zwischen den beiden Jugendlichen. Glauben Sie nicht auch, dass das ein klares Zeichen dafür ist, dass sie die Tat schon lange im Vorfeld geplant haben mussten?

Während der Berichterstattung über den Prozess kam dann auch der Tatablauf ans Licht: Am Abend des 9. April 2009 gingen Daniels Eltern zum Feiern in eine Kneipe. Die Schwestern, beide Pädagogikstudentinnen, machten es sich im Obergeschoss des Hauses gemütlich und schauten gemeinsam einen Film an. Irgendwann zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr schlichen sich Christopher und Daniel in das Zimmer. Sie richteten ihre Waffen auf die beiden jungen Frauen. Eine der Schwestern soll noch gefragt haben, was der Scheiß denn solle, dann drückten sie ab – 19-mal.

Nachdem sie den ersten Teil ihres Plans hinter sich gebracht hatten, zogen sich die beiden Mörder frische Klamotten an und statteten Daniels Eltern in der Gaststätte einen Besuch ab. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen! Wenige Minuten zuvor hatten die beiden zwei Menschenleben kaltblütig ausgelöscht und jetzt scherzten sie fröhlich mit dem Ehepaar Klein, das nicht den Hauch einer Ahnung hatte, dass ihre beiden ältesten Kinder ermordet worden waren – von ihrem jüngsten Sohn und dessen bestem Freund. Und was den dreifachen Eltern noch bevorstand – das hätten sie sich bestimmt nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen ausmalen können.

Die beiden Freunde blieben nicht lange in der Kneipe, bis sie sich von Daniels Eltern verabschiedeten und sich auf den Weg zurück zum Haus der Familie Klein machten. Dort angekommen, zogen sie ihre Täterkleidung an, die sie auch schon bei der Ermordung der beiden Schwestern getragen hatten, und legten sich im Flur auf die Lauer. Die Ermittler konnten rekonstruieren, dass das Ehepaar Klein gegen 00.30 Uhr die Kneipe verließ und sich auf den Nachhauseweg machte.

Daniels Eltern mussten die Haustür grade erst hinter sich ins Schloss fallen gelassen haben, als sie in die Gesichter ihrer Mörder blickten, die sofort das Feuer eröffneten. Nachdem Christopher und Daniel Teil zwei ihres Planes in die Tat umgesetzt hatten, machten sie sich daran, die Beweismittel verschwinden zu lassen. Die Nacht verbrachten sie im Haus von Christophers Eltern.

Am nächsten Morgen setzten sie sich – so, als sei nichts gewesen – an den Esstisch und frühstückten. Die Mutter des damals 19-Jährigen sagte später in einem Interview, dass sie vor allem die Tatsache schockierte, dass sowohl Daniel als auch ihr Sohn Christopher sich ganz normal verhielten und sie keine Anzeichen entdeckte, die sie stutzig werden ließen. Nichts ahnend saß sie mit zwei Mördern bei warmen Brötchen und frisch gepresstem Orangensaft zusammen.

Während des Prozesses sagte auch ein Psychiater aus. Er hatte die beiden Angeklagten begutachtet und kam zu dem Schluss, dass sowohl Daniel als auch Christopher voll schuldfähig waren – sie mussten sich also der Tragweite ihrer Handlungen voll bewusst gewesen sein. Christopher habe sich unauflösbar mit seinem besten Freund zusammenschweißen wollen, meinte der psychiatrische Gutachter. Damit lieferte der Experte auch eine Erklärung dafür, warum sich der damals 19-Jährige zu der schrecklichen Tat überreden ließ. Eine Liebschaft zwischen den beiden Angeklagten konnte er nicht erkennen. Damit wurde auch das Gerücht entkräftet, dass die beiden Jugendlichen die Familie ermordeten, weil der angeblich strenge Vater die Liebesbeziehung zwischen den beiden nicht tolerieren wollte.

Das wahre Motiv für die fürchterlichen Morde konnte auch während der Gerichtsverhandlung nicht eindeutig geklärt werden. Die Verteidigung beharrte darauf, dass Daniel sich von seinem unnachsichtigen Vater und den beiden Schwestern, die ihn angeblich gemobbt hatten, befreien wollte. Vielleicht hatten die Anwälte eine Erklärung, warum auch Frau Klein sterben musste. Aber daran kann ich mich nicht erinnern. Die Staatsanwaltschaft hingegen stufte diese Aussage als Schutzbehauptung ein. Sie glaubte, dass das Motiv der beiden Jugendlichen Habgier war. Daniel soll gewusst haben, dass er mehrere Hunderttausend Euro erben würde, wenn seine Familie ums Leben käme. Es hat sogar eine Liste gegeben, auf die Daniel all seine Wünsche schrieb, die er sich mit seinem gemordeten Reichtum erfüllen wollte. Christopher habe er auch an dem Erbe beteiligen wollen.

Der Anwalt von Christopher war der Meinung, dass sein Mandant sich an den Morden beteiligte, weil für ihn die Aussicht, seinen besten Freund zu verlieren, schlimmer war, als das Leben von vier Menschen auszulöschen.

Hatte Christopher zunächst behauptet, alle vier Opfer erschossen zu haben, ging die Anklage nun davon aus, dass beide Jugendlichen auf Daniels Eltern und seine Schwestern geschossen hatten. Nach dem Verbrechen konnten an den Händen der beiden Freunde Schmauchspuren gesichert werden. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie kurze Zeit zuvor in der Nähe einer Waffe gewesen sein mussten, die abgefeuert worden war.

Der Richter teilte die Einschätzung der Staatsanwaltschaft und erkannte in den Taten das Mordmerkmal der Habgier. Daniel, zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt, wurde nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt und erhielt die in Deutschland höchstmögliche Strafe: lebenslange Haft mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Christopher, der ja behauptet hatte, die Morde allein ausgeführt zu haben, kam mit einer vergleichsweise milden Strafe davon. Da ihm eine Entwicklungsstörung attestiert wurde, wurde er nach dem Jugendstrafrecht verurteilt – obwohl er zum Tatzeitpunkt ein Jahr älter als Daniel war. Der Richter verurteilte ihn, im Rahmen der Möglichkeiten, die das Jugendstrafrecht bietet, ebenfalls zu der höchstmöglichen Strafe. Christopher musste die nächsten zehn Jahre in einer Haftanstalt verbringen.

Im April 2019, als sich die Morde zum zehnten Mal jährten, titelte eine Zeitung, dass Christopher noch vor Ablauf seiner Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden war. Doch das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, war auf dem Schulhof vor den Osterferien 2009 – ebenso wie Daniel. Was Christopher heute macht – keine Ahnung. Daniel müsste mittlerweile 33 Jahre alt sein und möglicherweise noch immer im Knast sitzen. Irgendwie ist es eine Ironie des Schicksals, wenn man überlegt, dass sein Plan gewesen sein soll, das Erbe seiner Eltern zu berappen, um ein Leben in Saus und Braus zu führen – stattdessen fristet er nun die besten Tage seines Lebens hinter Gittern.

Schon mein Vater ist Bestatter gewesen. Als er sich zur Ruhe setzte, trat ich in seine Fußstapfen. Bestatter ist ein sicherer Beruf, denn gestorben wird schließlich immer. Ich hoffe, Sie nehmen mir meinen schwarzen Humor nicht übel. Jeder entwickelt Strategien, um mit dem Unabänderlichen fertig zu werden. Aber keine Sorge, die Toten haben sich noch nie beschwert. Gegenüber den Angehörigen eines Verstorbenen bin ich stets freundlich und zuvorkommend bei gleichzeitiger Zurückhaltung. Die Menschen, die in mein Bestattungsunternehmen kommen, haben einen schweren Verlust erlitten. Jeder, der schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, weiß, wie überwältigend der seelische Schmerz sein kann. Für einen Bestatter ist Empathie deshalb eine weitere unabdingbare Eigenschaft, die man mitbringen sollte.

Umso überraschter war ich, als Markus Künzel in unserer Stadt ebenfalls ein Bestattungsunternehmen eröffnete. Abgesehen davon, dass es hier nicht noch einen weiteren Totengräber gebraucht hätte – er passte so gar nicht in unsere Branche.

Ein Mann, der sein Arbeitsleben den Toten widmet, sollte sein Hemd nicht bei jeder Gelegenheit offen tragen. Ich meine, wir sind ja nicht bei „Bestatter sucht Frau“. Die nicht geschlossenen Knöpfe offenbarten nicht nur die protzige Goldkette, die er stets trug, sondern auch eine ausgeprägte Brustbehaarung. Die Haare hatte er immer zu einer aufwendigen Föhnfrisur gestylt, die wie ein Helm aus Beton wirkte.

Wenn Künzel sprach, war es, als würde ein Donner grollen. Er sprach so laut, dass die Menschen in seiner Umgebung ihre Gespräche einstellten und zuhörten, was er zu sagen hatte – und er hatte viel zu sagen. Je abenteuerlicher die Geschichten waren, die er zum Besten gab, desto wilder gestikulierte er mit seinen fleischigen Händen. Eines muss ich ihm aber lassen: Mit seinem Lachen, das wie ein wild gewordener Presslufthammer klang, gelang es ihm, auch den schwermütigsten Menschen ein Lächeln abzuringen. Vielleicht, weil sie dachten, wenn sie nicht lachen, könnten sie in seinem nächsten Sarg landen.

Künzel stellte seinen Besitz gerne zur Schau und ließ alles, was ihm gehörte, als besonders wertvoll erscheinen. Es dauerte nicht lange, bis er in der ganzen Stadt bekannt war wie ein bunter Hund. Was ironisch ist, wenn Sie bedenken, dass sein Geschäft eher schwarz war.

Sooft Künzel konnte, fuhr er mit seiner Frau auf dem Beifahrersitz mit dem Leichenwagen durch die Straßen. Das Maskottchen seines Bestattungsinstitutes, ein zugegebenermaßen niedlicher Chihuahua, war bei den täglichen Spazierfahrten stets mit von der Partie. Meine Kollegen und ich tuschelten über Künzel, diesen sonderbaren Zeitgenossen, der es anscheinend dennoch schaffte, Aufträge an Land zu ziehen. Niemand konnte den Mann und seine fantastischen Geschichten so recht einordnen.

Mir erzählte er einmal bei ein paar Bieren auf dem Schützenfest seine gesamte Lebensgeschichte – und das, obwohl uns ein gemeinsamer Kollege erst kurz zuvor miteinander bekannt gemacht hatte. Schon damals beschlich mich das ungute Gefühl, dass Künzel hinter seinem lauten Lachen eine dunkle Seite zu verstecken versuchte. Er quasselte wie ein Wasserfall und erzählte, dass er als Sohn eines Diplomaten in Afrika geboren wurde und wegen der Tätigkeit seines Vaters in Kanada aufgewachsen war. Dort sei er sehr erfolgreich unter die Bestatter gegangen. Ich erinnere mich allerdings nicht mehr, wann Künzel sich letztlich in Deutschland niederließ.

Seinen größten Auftrag hat er im Dezember 2004 erhalten. Sie erinnern sich bestimmt noch an die schwerwiegenden Tsunamis im Indischen Ozean, die durch ein Erdbeben ausgelöst wurden. 230.000 Menschen verloren durch die verheerende Kraft der Wassermassen und die damit einhergehende Zerstörung ihr Leben. Nebst Polizisten, Ärzten und anderen freiwilligen Helfern sei man auch auf Künzel zugekommen und habe ihn gebeten, die Bestattung von 8000 Opfern zu übernehmen. Er brüstete sich damit, dass er durch den Auftrag gute Kontakte geknüpft hätte. Was gibt es auch Besseres als eine Katastrophe, um als Bestatter neue Geschäftskontakte zu akquirieren?

Dem Leiter des Krematoriums im Ort erzählte Künzel eines Tages, dass er einen Großauftrag aus Italien erhalten hätte. 5000 Leichen versprach er ihm – ein Geschäft, das es kein zweites Mal geben würde. Doch es gab es schon kein erstes Mal, denn der versprochene Großauftrag ging nie bei dem Krematorium ein.

Nachdem Künzel in unserer Stadt aufgetaucht war, dauerte es nicht lange, bis die meisten Menschen, die mit ihm zu tun hatten, wussten, dass man sein Wort nur selten für bare Münze nehmen konnte. Schnell zeigte sich ein Muster: Künzel erzählte wilde Geschichten, in denen er mit spannenden Erlebnissen und Erfolgen prahlte, gefolgt von Versprechen, die meistens zu gut erschienen, um wahr zu sein – und am Ende platzten seine Zusicherungen auch immer wie Seifenblasen. Ich glaube, uns allen war bewusst, dass in Künzels Leben nichts alles Gold war, was glänzte. Aber niemand ahnte, dass sein Scheinleben noch viel ausgeprägter war.

Erst später erfuhr ich, was ich damals bereits vermutete: Künzel, der mit Geburtsnamen eigentlich Schneider hieß, war weder in Afrika geboren, noch war sein Vater ein Diplomat gewesen. Tatsächlich war Künzel in der Großstadt geboren wor