Die Zisterne - Jennifer Blake - E-Book

Die Zisterne E-Book

Jennifer Blake

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Beschreibung

Was idyllisches Refugium hätte werden sollen, verwandelt sich für die sensible Künstlerin Laurel in einen Ort des Grauens: Seit sie mit ihrem zehn Jahre jüngeren Geliebten Alec ihren Garten neu gestaltet, werden kaltblütig Anschläge auf sie verübt. Laurels Hund wird vergiftet, ihre Werkstatt geht in Flammen auf, sie fühlt sich beobachtet, verfolgt, belauert. Auch Alec wird zur Zielscheibe des grenzenlosen Hasses. Doch selbst in ihren schrecklichsten Angstträumen ahnt Laurel nicht, welches Motiv der Täter haben könnte. Noch liegt es im Dunkeln - uneinsehbar wie der tiefe Grund ihres finsteren Brunnens...

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Seitenzahl: 477

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Die Zisterne

Eine Serie brutaler Anschläge versetzt Laurel in Angst und Schrecken. Über Nacht verwandelt sich ihr Leben in einen Albtraum. Schutzlos ist sie dem Hass eines Unbekannten ausgeliefert, dessen heimtückische Übergriffe nicht nur ihr zu gelten scheinen, sondern auch ihrem Geliebten Alec. Um wenigstens Alec zu schützen, sieht sie nur einen Ausweg: Sie muss sich von ihm trennen. Doch genau darauf hat der Täter nur gewartet. Denn jetzt hat Laurel niemanden mehr, der sie retten kann …

Die Handlung und Figuren dieses Romans sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen

sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

Jennifer Blake

Die Zisterne

Roman

Aus dem Amerikanischen von Andrea Schwinn

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Cora Verlag GmbH & Co. KG, Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Garden Of Scandal

Copyright © 1997 by Patricia Maxwell

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam

Konzeption/Reihengestaltung: fredeboldpartner.network, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: by pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz

Satz: D.I.E. Grafikpartner, Köln

ISBN 978-3-95576-146-2

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

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1. KAPITEL

Wie der Blitz kam sie aus dem hell erleuchteten Haus gerannt. Mit durchdringender, klarer Sopranstimme rief sie irgendetwas dem riesigen schwarzen Schäferhund zu, der bedrohlich laut knurrte. Zu dem Zeitpunkt, als die morsche Fliegengittertür wieder hinter ihr zufiel, war sie schon fast die ganze Treppe an der Vorderveranda heruntergestürmt. Dem Mann kam sie beinahe wie ein Racheengel vor, als sie so in ihrem hauchdünnen, wehenden Nachthemd auf ihn zurannte. Ihr langes Haar wehte wie eine Fahne im Wind, es schimmerte silberblond im Mondlicht. Kaum schienen ihre Füße den Boden zu berühren; die makellos reinen Züge ihres Gesichts wirkten angespannt. Alec Stanton glaubte, niemals zuvor ein so faszinierendes Geschöpf gesehen zu haben.

„Sticks! Bei Fuß!“ rief sie, während sie sich geschmeidig unter den tief hängenden Zweigen der Magnolie hindurchduckte. Sie hielt den Blick fest auf den Hund gerichtet, der nun auf der niedrigen moosbewachsenen Mauer stand und wütend das Anwesen verteidigte. Das Tier knurrte wieder; das Grollen schien aus den tiefsten Tiefen seiner mächtigen Brust zu kommen. Sticks ließ Alec nicht aus den Augen und fletschte die Zähne, das Nackenfell gesträubt. Als die Frau näher kam, schob sich der Hund schützend vor sie. „Was ist denn, mein Junge? Warum regst du dich so auf?“ Ihre Stimme klang wachsam, aber nicht ängstlich.

Dann entdeckte sie Alec. Sie blieb so abrupt stehen, dass ihr langes Haar nach vorn wehte und sich wie ein Umhang aus Mondstrahlen um ihre bloßen Arme schmiegte. Sie ballte die Hände zu Fäusten, straffte sich und stand schließlich so erstarrt da wie eine bleiche Marmorstatue.

Für Alec hörte der Hund plötzlich auf zu existieren. Auch vergaß er völlig, weshalb er eigentlich hier war, in dieser wuchernden Wildnis, die ursprünglich einmal der Vorgarten der alten Villa „Ivywild“ gewesen war. Wie in Trance trat er einen Schritt aus der Dunkelheit heraus.

Mit einem Satz griff der Hund an; vierzig Kilo Muskeln, Sehnen und todbringende Wut. „Aus! Sticks, aus!“ schrie die Frau, doch es war offensichtlich, dass das Tier nicht mehr gehorchen konnte oder wollte.

Alles, was Alec je gelernt hatte, kam ihm instinktiv und schlagartig wieder in Erinnerung. Er wich zurück, um den Aufprall des schweren Hundekörpers abzuschwächen; gleichzeitig umfasste er den massigen Schädel mit eisenhartem Griff. Sofort fand er die entscheidenden Punkte und drückte fest zu, während er in die Knie ging. Innerhalb weniger Sekunden war alles vorbei. Als Alec sich aufrichtete, lag das Tier benommen und flach atmend auf dem Weg.

Die Frau kniete sich mit einem Schreckenslaut hin und zog den Kopf des Hundes auf ihren Schoß.

„Keine Sorge, der wird wieder“, beschwichtigte Alec sie sanft.

Sie antwortete nicht, aber er merkte, wie sie den Atem anhielt, als sich der Hund leise jaulend zu bewegen anfing. Abrupt hob sie den Kopf, ihre Augen schimmerten feucht. „Sie hätten ihn umbringen können!“

„Wenn ich das gewollt hätte, wäre er jetzt tatsächlich tot. Ich habe ihn nur für ein paar Minuten außer Gefecht gesetzt, damit wir ungestört ein paar Dinge besprechen können.“ Er hätte sie auch darauf hinweisen können, dass ihr kostbarer Sticks im Begriff gestanden hatte, ihm die Kehle zu zerfleischen, doch das hätte momentan wohl wenig gebracht.

Sie umschlang den Hund fester. „Sie befinden sich auf Privatbesitz. Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

Die ganze Sache lief so ganz anders als geplant. Er hatte ganz höflich anklopfen und ihr dann in aller Ruhe auf der Veranda den Grund für seinen Besuch erklären wollen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es ihm den Atem verschlagen würde beim Anblick dieser in ein Nichts gehüllten Frauengestalt. In seinen kühnsten Träumen hatte er sich nicht ausgemalt, dass ihm so etwas je passieren könnte, nicht ihm, und schon gar nicht bei dieser Frau hier. Dass er ihren Hund ausgeschaltet hatte, war ein ganz miserabler Anfang gewesen. „Es tut mir Leid, falls ich ihm wehgetan haben sollte“, entschuldigte er sich.

„Ja, das merkt man!“ Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Er hätte mich eben nicht angreifen dürfen.“

„Er hat doch nur … Er wollte mich doch nur beschützen!“

Natürlich, das hätte unter Umständen ja auch angebracht gewesen sein können. Alec geriet etwas aus dem Gleichgewicht und versuchte, Boden zu gewinnen. „Sie sind Mrs. Bancroft, Laurel Bancroft, nicht wahr?“

„Na und?“

„Ich wollte eigentlich mit Ihnen sprechen.“ Das war wirklich sein ursprüngliches Anliegen gewesen, doch nun war irgendwie alles anders geworden. Wer wusste, wohin das führen mochte.

Sie blieb unnachgiebig. „Ich wüsste nicht, was wir zu besprechen hätten.“

„Ihre Haushälterin, Maisie Warfield, ist eine enge Freundin meiner Großmutter. Sie meinte, Sie bräuchten unbedingt Hilfe für Ihren Garten, den Sie seit dem Tod Ihres Mannes ziemlich vernachlässigt hätten.“ Seine Großmutter hatte noch sehr viel mehr erzählt. Hätte er doch nur etwas besser zugehört! „Ich bin nicht ganz unerfahren, was Gartenarbeit betrifft“, fügte er hinzu.

Sie betrachtete ihn eine ganze Weile überaus aufmerksam. „Sie sind Miss Callies Enkel?“ stieß sie plötzlich verblüfft hervor.

Ihr Erstaunen verletzte ihn ein wenig, daher nickte er nur kurz.

„Aber Sie sind doch kein Gärtner!“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin Ingenieur. Während des Studiums habe ich jedoch nebenbei als Gärtner gejobbt, um mir etwas dazuzuverdienen.“ Sie sollte nur nicht glauben, es machte ihm etwas aus, vorschnell eingestuft zu werden.

„Ich kann mir keinen Ingenieur leisten“, wandte sie ein.

Er fühlte sich versucht ihr zu sagen, dass sie seine Dienste gern umsonst in Anspruch nehmen könnte – jede Art von Dienst und zu jeder Zeit. Zum Glück besaß er noch so viel Verstand, das nicht auszusprechen. „Ich biete Ihnen Gartenarbeit zum üblichen Tarif an.“

„Warum?“

Dieses eine Wort hing für eine Weile zwischen ihnen in der Luft, während Sticks den Kopf hob und sich schüttelte. Der Hund sah Alec kurz an und wandte dann den Blick ab, fast als schämte er sich. Er jaulte erneut leise auf und begann, wie um Entschuldigung bittend, die Hand seiner Herrin zu lecken.

Alec beobachtete ihn stumm. „Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, aber sagen wir einfach einmal – weil ich Geld brauche.“

„Sie könnten doch jederzeit einen lukrativeren Job finden!“

„Ich brauche eine gewisse Flexibilität und möchte mich nicht durch eine Vollzeitbeschäftigung binden.“

Sie streichelte den Kopf des Hundes und erhob sich dann. „Weil Sie nicht gern Anzüge tragen? Oder ist es wegen Ihres Bruders?“

Sie wusste alles über ihn und Gregory; das hätte er sich denken können. Das war einer der Vorteile von Kleinstädten. Und gleichzeitig der größte Nachteil. Er gestattete es sich, sie einmal flüchtig anzusehen, ehe er den Blick wieder abwandte, dennoch brannte sich ihr Bild, der Anblick ihrer schmalen Gestalt, in sein Bewusstsein ein. Er schluckte.

„Falls Sie mein Mitgefühl erwarten …“

„Nein.“ Er brachte sie mit einer abrupten Handbewegung zum Schweigen. „Mitgefühl brauchen wir nicht. Keiner von uns beiden.“

Sie erstarrte. „Meine Situation hat nicht das Geringste mit Ihrer zu tun!“

Er neigte den Kopf zur Seite. „Ich meinte meinen Bruder und mich“, korrigierte er sie sanft. „Obwohl ich Sie tatsächlich auch hätte mit einbeziehen können.“

Sie erwiderte nichts darauf und sah ihn nur wortlos an. Der Mondschein erhellte ihr Gesicht, das so zart und durchscheinend wirkte, dass sich alle Gefühlsregungen darauf widerzuspiegeln schienen. Er sah ihre Augen, dunkelblau wie die Ägäis und gleichzeitig so klar und tiefgründig, als wüsste sie besser Bescheid über die Menschen, als ihr lieb war. Vor allem über die Männer und ihre niederen Instinkte.

Und seine waren im Moment absolut niedrig. Sie muss gerade eben erst geduscht haben, dachte er; er konnte noch den frischen Duft nach Seife wahrnehmen. Und dieser Duft wirkte erregender auf ihn als alles, was er bisher erlebt hatte. Sein Verlangen nach ihr steigerte sich beinahe ins Unerträgliche. Sie machte einen so zerbrechlichen Eindruck, und doch ging eine ungeheure innere Stärke von ihr aus, wie sie jetzt so vor ihm stand, eine unnahbare Fremde in der Dunkelheit. Sie war ein Wesen aus Fleisch und Blut; ein wenig scheu vielleicht, aber dennoch in höchstem Maß selbstbeherrscht, ja, beinahe hoheitsvoll. Sie war auch nicht vollkommen; feine Fältchen zeichneten sich um ihre Augenwinkel ab, und ihre Oberlippe war nicht so voll wie ihre Unterlippe. Trotzdem fand er sie so schön, dass er den Blick kaum von ihr wenden konnte. Nein, es würde niemals klappen. Bestimmt wollte sie nichts mit dem kalifornischen Hippie-Enkel von Callie Stanton zu tun haben. Auf sie wirkte er sicher wie ein großer Junge mit mehr Muskeln als Köpfchen. Es war ja auch wirklich geradezu lachhaft. Nur, dass er das Ganze nicht zum Lachen fand.

Laurel erschauerte ein wenig unter seinem eindringlichen Blick. Wie schwarz seine Augen waren, als bestünden sie nur aus Pupillen, als seien sie tiefe, schwarze, unergründliche Seen. Er war groß und breitschultrig, ein solider Fels in der Dunkelheit, die sie beide umgab. Instinktiv wusste sie, dass er in der Lage war, sie vor allem zu beschützen, was im Dunkel auf sie lauern mochte. Dennoch fühlte sie sich in seiner Gegenwart nicht sicher. Er war einfach zu groß, zu stark, zu – schnell. Wie rasch und wirkungsvoll er den armen Sticks ausgeschaltet hatte, war ein gefährlicher Trick gewesen. Darüber hinaus sah er auch zu exotisch aus mit seinem langen schwarzen Haar, das er mit einem Lederriemen zum Pferdeschwanz gebunden hatte; dazu die dichten, langen Wimpern, das kantige Gesicht und der wie ein Blitz geformte silberne Ohrstecker, den er im linken Ohrläppchen trug … Er war ganz in Schwarz gekleidet, von den Stiefeln und den Jeans bis zu dem ärmellosen T-Shirt, das nicht nur seine muskulösen Arme und Schultern zur Geltung brachte, sondern auch eine kunstvolle Tätowierung über Brust und Oberarm – soweit sie erkennen konnte, handelte es sich dabei wohl um einen Drachen.

Sie wich seinem dunklen Blick aus, betrachtete flüchtig die Tätowierung und musste ihm dann doch wieder in die Augen sehen. Ihre Fingerspitzen begannen zu kribbeln, und sie kämpfte mit aller Macht gegen den Impuls an, diesen eintätowierten Drachen zu berühren, dessen – nein, Alecs – warme, glatte Haut zu streicheln und die Muskeln darunter zu spüren. Wenn sie es gewagt hätte, hätte sie das Ungeheuer vielleicht mit einer gespreizten Hand bedecken und sich vorstellen können, seinen Herzschlag – Alecs? – zu fühlen.

Sie hielt den Atem an und wich vor diesem Gedankengang zurück, als hätte sie sich verbrannt. War sie denn völlig von Sinnen? Mit ihren einundvierzig Jahren war sie doch mindestens zehn Jahre älter als er! Sie war zu lange allein gewesen, das stand zumindest fest. Sie hatte sich so sehr an ihre Einsamkeit und Isolation hier in „Ivywild“ gewöhnt, dass sie, ohne nachzudenken, einfach nur im Nachthemd aus dem Haus geeilt war. Und noch schlimmer – plötzlich schwelgte sie in den wildesten Fantasien, nur weil sie allein mit einem attraktiven Mann war. Kein Zweifel, sie wurde langsam sonderlich.

Die warme Frühlingsnacht schien sie förmlich zu dem Mann vor ihr hinzudrängen. Überdeutlich nahm sie den betörenden Duft der Magnolienblüten wahr. Das Gezirpe der Grillen bildete dabei eine endlose, monotone Untermalung der Gefühle, die sie durchströmten. Sticks war wieder auf die Beine gekommen und schmiegte sich nun an ihre Knie. Diese Berührung war eine willkommene Ablenkung von dem seltsamen Bann, der sie gefangen zu halten schien.

„Hören Sie“, sagte sie, und ihre Stimme klang rauer als beabsichtigt. „Eigentlich wollte ich einen älteren Mann einstellen, damit er die Bäume beschneidet, die Hecke schert und eventuell ein oder zwei Rosenbeete anlegt …“

Er fiel ihr ins Wort. „Ich kann das alles in der halben Zeit schaffen.“

„Dessen bin ich mir sicher; das Problem ist nur …“

„Das Problem ist, dass Sie Angst vor mir haben. Ich entspreche nicht ganz den Vorstellungen des hinterwäldlerischen Hillsboro, Louisiana. Ich sehe nicht so aus, wie man hier aussehen sollte. Ich bin nicht der grobschlächtige, aber blitzsaubere Typ, der nichts anderes im Kopf hat als Angeln, Jagen und Biertrinken. Ich passe einfach nicht hierher.“ Sein Tonfall wurde versöhnlicher. „Sie allerdings auch nicht, Laurel Bancroft.“

Sie presste die Lippen hart aufeinander. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, meinte sie schließlich.

„Wirklich nicht?“ Sein Lächeln verlosch so rasch, wie es gekommen war, und doch hatte der kurze Augenblick seine Züge weicher wirken lassen und ihm das Aussehen und die verheerende Anziehungskraft eines dunklen Engels verliehen. Güte hatte in seinem Blick gelegen – und grenzenloses Verstehen. Das bestärkte sie einerseits in ihrer Unabhängigkeit, gleichzeitig zog es diese in Zweifel; es lobte ihren Mut und tadelte zur selben Zeit ihre Unnachgiebigkeit; es lotete den Grad ihrer Einsamkeit aus, bot Trost und versprach Linderung. Dann war es vorbei. Sie kämpfte gegen die Kälte an, die sie befiel. Vergebens. Sie atmete tief durch. „Das ist es nicht; beziehungsweise möchte ich nicht gern annehmen, dass ich so kleinlich bin. Es ist nur so, dass ich momentan keine weiteren Probleme brauchen kann.“

„Sie benötigen Hilfe, und ich brauche Geld. Das macht uns zu einer Interessengemeinschaft.“ Er klang ganz sachlich; es war eher eine Erklärung als eine Bitte.

Sie streckte ärgerlich die Hand aus. „So einfach ist das nicht!“

„Nein, nicht ganz. Mein Bruder hat Krebs im Endstadium. Wussten Sie das? Ich habe unbezahlten Urlaub von meiner Firma in Los Angeles genommen, um mit ihm zusammen Grannie Callie besuchen zu können. Jetzt möchte er gern hier bleiben. Gute Hausmannskost und ein ruhiges Leben mögen helfen oder auch nicht, den Versuch wert ist es allemal. Trotzdem soll mich der Teufel holen, wenn ich hier auf Kosten meiner Großmutter lebe. Natürlich könnte ich einen dauerhafteren und vor allem lukrativeren Job bekommen, keine Frage. Aber dann wäre ich wohl den ganzen Tag außer Haus, und genau das kann ich nicht brauchen. Sie wohnen ganz in der Nähe, die Arbeit dürfte nicht zu einengend sein. Ich arbeite schnell und zügig, und ich bin nicht zu stolz, Anweisungen zu befolgen. Ich kann eine Rose von einer Steckrübe unterscheiden, ich verstehe etwas von Maurerarbeiten und kann klempnern, je nach Bedarf. Was verlangen Sie denn sonst noch?“

Ja, in der Tat, was wollte sie mehr? Nichts, außer endlos weiter dieser tiefen, wohlklingenden Stimme zu lauschen … Was Grund genug zur Wachsamkeit war. „Es ist keine große Sache“, wehrte sie ab. „Ich hätte irgendwann gern einen kleinen Brunnen in der Mitte der Rosenbeete, sobald alles in Ordnung gebracht worden ist. Doch dafür täte es mir Leid um Ihre Zeit, geschweige denn um Ihre Fähigkeiten.“

Da war es wieder, dieses Lächeln, das sie gegen ihren Willen wärmte. „All das ist unter diesen Umständen nicht so wichtig. Mir täte es noch mehr Leid, wenn Sie mir eine Absage erteilen würden.“

„Ich glaube nicht, dass …“

„Ich sage Ihnen mal etwas.“ Er kam einen Schritt auf sie zu. „Den ersten Tag arbeite ich umsonst. Wenn Sie dann meinen, es bringt nichts – ist die Sache erledigt. Gefällt Ihnen aber, was ich getan habe, verhandeln wir noch einmal neu.“

„Das geht doch nicht!“ protestierte sie.

„Ein faires Angebot. Mehr nicht. Sagen wir, morgen früh um acht?“

Sie musste verrückt sein, denn allmählich kam ihr das Ganze tatsächlich beinahe vernünftig vor. Was spielte es für eine Rolle, ob sie nun ihn einstellte oder den alten Pender von nebenan oder gar den jungen Randy Nott, der auch für ihre Schwiegermutter Gelegenheitsarbeiten übernahm? Dieser Mann hier würde eine gute Hilfe sein, eine fähige und tüchtige noch dazu. Womöglich war er mehr als nur fähig, aber darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. Nur ein paar Tage, allenfalls eine Woche, dann war er ohnehin wieder fort. Einem plötzlichen Entschluss folgend, sagte sie: „Lieber um sieben, damit Sie möglichst viel schaffen, ehe es zu heiß wird.“

„Sie sind der Chef.“

Irgendwie kam sie sich nicht so vor. Er nickte einmal kurz, dann verschwand er in der Dunkelheit. Kurz darauf hörte Laurel, wie ein Motorrad angelassen wurde, der Motor heulte auf, ein Blitzstart, und wenig später umgab sie wieder die Stille des Abends. Obwohl es warm war, fröstelte sie. Fest schlang sie die Arme um sich. Sticks jaulte auf, als empfände er ihr Unbehagen. „Was sagst du dazu, alter Junge?“ flüsterte sie kaum hörbar. „Habe ich jetzt einen Fehler gemacht?“ Der Hund sah schwanzwedelnd in die Richtung, in der Alec Stanton verschwunden war. Laurel schloss die Augen und seufzte. „Das dachte ich mir.“

Ihr neuer Angestellter erschien pünktlich am nächsten Morgen. Kaum war Laurel in ihre alten Jeans und das verwaschene gelbe T-Shirt geschlüpft, da hörte sie sein Motorrad auch schon in der Zufahrt zum Haus.

Maisie Warfield, die Haushälterin, war noch nicht da. Ehe sie morgens kam, musste sie immer erst ihren „Alten“ – so pflegte sie ihren kurz vor der Pensionierung stehenden Mann zu nennen – zur Arbeit fahren. Laurel wollte nicht abwarten, bis Alec Stanton an der Haustür klingelte. Sie nahm ihre Schuhe und ging zum Seiteneingang des Hauses. Wenigstens brauchte sie sich keine Gedanken wegen Sticks zu machen. Der Hund war noch auf der verglasten hinteren Veranda eingeschlossen, wo er die Nacht verbracht hatte.

Die knallrote Harley-Davidson nahm sich vor dem alten viktorianischen Haus so auffallend aus wie ein poppiger Sticker auf einem alten Spitzenkleid. Alec Stanton selbst war nirgends zu sehen, weder in der Zufahrt noch im Vorgarten. Doch dann vernahm Laurel ein Geräusch und ging ihm nach. Er hatte bereits zu arbeiten angefangen und riss gerade die wild wuchernden grünen Kletterpflanzen von der Seitenwand des Hauses. Als er Laurel kommen hörte, drehte er sich um und nickte kurz zur Begrüßung.

„Das ganze Haus sollte dringend gestrichen werden, aber vorher müssten mindestens ein Dutzend Bretter von der Verkleidung wieder festgenagelt werden. Wenn Sie das nicht bald machen lassen, fallen noch mehr herunter.“

„Ich weiß“, erwiderte sie knapp.

„Ich könnte …“

„Das kann ich selbst veranlassen“, fiel sie ihm abwehrend ins Wort. „Sie habe ich wegen des Gartens eingestellt.“

Er riss eine weitere lange Ranke herunter, die Wurzeln würde er später ausgraben. Dann zog er sich die Gartenhandschuhe aus und steckte sie sich in den Hosenbund. Mit kritischem Blick betrachtete er das Haus; die Veranden mit ihren Holzbalustraden und den kunstvoll geschnitzten Stützpfosten; den runden Turm auf dem Dach. „Was für eine herrliche alte Villa“, meinte er. „Es wäre ein Jammer, sie verfallen zu lassen.“

„Das habe ich auch nicht vor“, teilte sie ihm gereizt mit. „So, und wenn Sie sich jetzt bitte wieder …“

„Es gehörte der Familie Ihres Mannes, nicht wahr? Ich meine mich zu erinnern, so etwas von Grannie gehört zu haben. Wie sind Sie bloß daran gekommen?“

„Es wollte sonst niemand haben.“ Und das war tatsächlich die Wahrheit. Das Haus hatte so gut wie leer gestanden, als Laurel es zum ersten Mal gesehen hatte. Sadie Bancroft, ihre Schwiegermutter, war ausgezogen, nachdem ihr Mann sie in den sechziger Jahren verlassen hatte. Und Zelda, die Schwester ihres Mannes, hatte sich ebenfalls nicht dafür interessiert. Ihr hatte es gereicht, in dem großen, alten Kasten aufwachsen zu müssen, und ihr war unverständlich gewesen, warum Laurel inständig darum gebeten hatte, dort einziehen zu dürfen, nachdem sie und Howard geheiratet hatten. Selbst Howard hatte sich über den aufwendigen Unterhalt des Hauses beschwert und oft während ihrer fünfzehnjährigen Ehe davon gesprochen, sie sollten sich doch lieber ein kleineres, moderneres Haus zulegen. Aber dabei war es dann auch geblieben.

„Es ist ziemlich groß für eine Person.“

„Ich habe es gern groß“, entfuhr es Laurel.

Alec schmunzelte nachdenklich, und sie errötete grundlos. „Womit soll ich anfangen?“

„Wie bitte?“ Sie zuckte zusammen.

„Sie wollten mir doch sagen, was ich zuerst tun soll.“

„Ach, ja. Ja, natürlich.“ Sie drehte sich hastig um und lief voraus in den Vorgarten. Sie hatte vorgehabt, ihm zu helfen und ihm in erster Linie zu sagen, was sie gern behalten wollte und was entfernt werden musste. Schon bald merkte sie, dass das unnötig war. Er kannte sich ausgezeichnet aus mit Pflanzen, seine Zeit als Gärtner hatte sich offenbar bezahlt gemacht. Auch war er sehr gewissenhaft. Er fing nicht zu arbeiten an, ehe er nicht alle Gartengeräte inspiziert und sie anschließend gereinigt, geölt oder geschliffen hatte.

„Sie könnten eine neue Heckenschere gebrauchen“, schlug er vor und strich mit dem Daumen über die breite Scherenklinge. „Das würde Ihnen die Arbeit wesentlich erleichtern.“

Er hatte Recht, das wusste sie selbst. „Ich werde Maisie bitten, mir eine mitzubringen, wenn sie das nächste Mal in die Stadt geht.“

„Es ist auch kein Benzin mehr für den Rasenmäher da.“

„Das kann sie dann gleich mitbesorgen.“

Eine Weile sah er sie aus dunklen, unergründlichen Augen an. „Wissen Sie, dass Ihr Auto einen Platten hat? Die anderen Reifen sind ebenfalls schon so brüchig, dass Sie wohl nicht mehr sehr weit damit kommen werden.“

„Ich gehe nicht oft aus“, erwiderte sie und wich seinem Blick aus.

„Wie ich von Granny hörte, gehen Sie niemals aus, schon seit Jahren nicht mehr. Sie lesen nur oder töpfern im Schuppen hinter der Garage. Warum?“

„Es gibt keinen besonderen Grund dafür. Ich bin einfach sehr gern allein. „Sie warf ihm einen kühlen Blick zu, ehe sie sich abwandte. „Ich bin im Haus, falls Sie etwas benötigen.“

Ihr Rückzug war reiner Selbstschutz. Sie musste keine Erklärung darüber abgeben. Es ging diesen Mann gar nichts an, ob sie nun zu Hause blieb, ausging, töpferte oder auf einem Besen zum Mond flog. Und erst recht konnte sie auf jemanden verzichten, der sie beobachtete, ihr ungebetene Ratschläge erteilte und sich in ihre Privatangelegenheiten einmischte. Sie würde ihn für seine heutige Arbeit bezahlen und ihn dann entlassen. Sie war vorher ohne Alec Stanton zurechtgekommen, sie würde es auch weiterhin schaffen.

Im Laufe des Tages wurde es jedoch immer unübersehbarer, was er alles leistete. Er entfernte Dutzende von wild nachwachsenden Kiefernablegern und Sassafraslorbeer, so dass der ungestrichene Gartenzaun plötzlich wieder in seiner ganzen Länge sichtbar wurde. Er befreite die alte Bauernrose in der Ecke aus einem Gewirr von Geißblattranken, und unter einem dichten Gestrüpp von Schlingpflanzen kam eine verwitterte Gartenbank aus Zypressenholz zum Vorschein. Die Zweige, Äste und Ranken warf er auf einen Haufen, den er schließlich anzündete. Schon bald stieg eine schmale Rauchsäule zum Himmel.

Laurel zwang sich, nicht zu ihm hinüberzusehen. Doch trotz aller guten Vorsätze fand sie seltsamerweise immer wieder irgendetwas in der Nähe des Fensters zu tun. Warum auch nicht. Es war schließlich ganz normal, wenn man ab und zu aus dem Fenster sah.

Irgendwann am Vormittag hatte er sich das Hemd ausgezogen. Sein breiter Rücken glänzte vor Schweiß, an seinen muskulösen Armen klebten vertrocknete Blätter. Schweißtropfen rannen ihm auch über die Brust und den straffen Bauch in den Hosenbund. Ihm war heiß, er schwitzte, er war schmutzig – und er war atemberaubend. Laurel nahm es ihm übel, dass er sie dazu brachte, das zu registrieren.

Das Letzte, was sie wollte, war, sich in Gedanken mit einem Mann zu befassen. Sie war wunderbar ohne Mann zurechtgekommen; seit dem Tod ihres Mannes hatte sie kaum mehr an Liebe oder Sex gedacht. Und so würde sie es auch beibehalten.

„Ich habe kaltes Huhn und etwas Obstsalat zum Mittagessen vorbereitet“, verkündete Maisie jetzt. „Soll ich für Sie und Alec den Tisch draußen auf der Veranda decken?“

Laurel fuhr herum und errötete schuldbewusst. Die rundliche weißhaarige Maisie Warfield stand in der Tür und trocknete sich gerade die Hände an einem Küchenhandtuch ab. In ihren blauen Augen lag ein heimlich belustigter Ausdruck.

„Nein. Nein, lieber nicht. Sie können ihm ein Sandwich und etwas Kaltes zu trinken in den Garten bringen.“

Maisies Lächeln erstarb, sie stemmte eine Hand auf die Hüfte. „Warum? Haben Sie etwas gegen Alec?“

„Selbstverständlich nicht. Ich möchte nur lieber allein sein.“ Laurel drehte sich wieder zum Fenster und ignorierte Maisies sichtliches Befremden.

„Er wird schon nicht beißen!“

Sie wandte sich abermals um und sah ihre Haushälterin an. „Ich weiß. Trotzdem habe ich nicht vor, mit ihm zu essen.“

„Sie bleiben also lieber im Haus, statt ihm Gesellschaft zu leisten.“

„So ist es.“

Maisie zuckte mit den Schultern. „Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.“

Laurel erwiderte nichts darauf. Sie hatte zu große Angst, ihre Haushälterin könnte Recht haben.

2. KAPITEL

Alec arbeitete wie ein Besessener. Die Sonne brannte auf ihn herab, der Schweiß floss ihm in Strömen den Oberkörper herunter. Er band sich ein Tuch um die Stirn und schuftete weiter. Das Hemd klebte ihm klatschnass am Körper und behinderte ihn in seinen Bewegungen, also zog er es aus. Auf seinen Armen brannten die Kratzer, die er sich bei der alten Bauernrose zugezogen hatte, doch er schenkte dem Schmerz keine Beachtung. Es tat gut, endlich mal wieder die Muskeln bewegen zu können. Ihm gefiel, wie die Sonne heiß auf seinen Rücken brannte, er liebte den Geruch von Holz, Erde, Gras und Laub. Es erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung, die alten Sträucher und Pflanzen zurechtzuschneiden und zu sehen, wie aus dem Chaos allmählich wieder so etwas wie eine gewisse Ordnung entstand.

Er musste beweisen, dass er etwas von dieser Arbeit verstand, damit er den Job bekam, doch das war noch nicht alles. Vor allem wollte er Laurel Bancroft davon überzeugen, dass er wirklich besser war als die Einheimischen. So wie sie heute Morgen angezogen war, hatte er zunächst geglaubt, sie würde ihm vielleicht bei der Arbeit helfen. Darauf hatte er sich gefreut, doch dann war sie ins Haus gegangen und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Seitdem hatte er sie nicht mehr gesehen. Nach allem, was man so hörte, zog sie sich gern zurück. Grannie Callie hatte ihm erzählt, dass sie seit dem Tod ihres Mannes das Haus kaum noch verlassen hatte. Die Leute fanden, sie sei ein wenig wunderlich geworden. Sie hielten sie zwar nicht direkt für verrückt, aber sie entsprach auch nicht dem gewohnten Bild einer jungen Hausfrau, die zum Einkaufen ging, sich Seifenopern im Fernsehen ansah oder im Club Tennis spielte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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