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Die Menschheit steht vor dem größten Wendepunkt der Geschichte … Galilei und Kopernikus. Leonardo da Vinci, Dürer und Michelangelo. Luther und Shakespeare. Die Fugger und die Medici. Unsterbliche Namen, die mit ihren Werken und Entdeckungen für eine Kulturepoche stehen, die ihresgleichen sucht: die Renaissance. Doch so glanzvoll und bedeutend die politischen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen einerseits waren, so düster und tragisch war die Renaissance auf der anderen Seite. Die Pest entvölkerte fast ein Drittel Europas, massive soziale Spannungen entluden sich in Aufständen bis hin zu den Bauernkriegen und der Inquisition fielen Zehntausende zum Opfer. Ian Goldin und Chris Kutarna, als zwei der international führenden Vordenker der Globalisierung, zeigen, dass die Menschheit – wie damals zur Zeit der Renaissance am Ende des Mittelalters – vor der umfassendsten Transformation seit einem halben Jahrtausend steht. Mit riesigen Chancen und gleichsam gewaltigen Risiken. Die Autoren ziehen einen spannenden Vergleich und zeigen, dass alles, was unsere heutige Zeit bestimmt, Mega-Cities, Massenmigration, religiöser Fanatismus wie der des IS oder revolutionäre Erfindungen, auch so den Verlauf der Renaissance bestimmte.
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Seitenzahl: 591
Für Olivia und Alex und ihr gedeihliches Leben in der zweiten Renaissance.
Ian Goldin
Für meinen Vater, den Mann, der von allen, die ich kenne,
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
1. Auflage 2016
© 2016 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Copyright der Originalausgabe © 2016 by Ian Goldin and Chris Kutarna. Translated from the English language: AGE OF DISCOVERY. Navigating the Risks and Rewards of Our New Renaissance. First published by: Bloomsbury Publishing Plc.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Almuth Braun
Redaktion: Werner Wahls
Korrektorat: Sonja Rose
Umschlaggestaltung: Melanie Melzer
Umschlagabbildung: Shutterstock/Urheber: Janaka Dharmasena; Shutterstock/Urheber: D Line; Shutterstock/Urheber: WEB-DESIGN; Shutterstock/Urheber: yskiii; Shutterstock/Urheber: V9; Shutterstock/Urheber: Khvost; IStock/Urheber: Aleksandar Vozarevic
Satz: inpunkt[w]o, Haiger
ISBN Print 978-3-89879-998-0
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-929-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-930-5
Stimmen zu Die zweite Renaissance
Danksagung
1Scheitern oder prosperieren?
Teil I: Die Fakten, die ein Zeitalter zur Renaissance machen
2Die Neue Welt
3Neue Vernetzungen
4Der vitruvianische Mensch
TEIL II: Die Blütezeit der Genialität
5Kopernikanische Revolutionen
6Kathedralen, Gläubige und Zweifler
Teil III: Blütezeit der Risiken
7Die Syphilis breitet sich aus, Venedigs Glanz verblasst
8Der gebrochene Gesellschaftsvertrag und seine Spaltwirkung
Teil IV: Wettlauf um unsere Zukunft
9David
Über die Autoren
Weitere Bücher von Ian Goldin
In einer Zeit der großen globalen Herausforderungen und beispiellosen Chancen ist Die zweite Renaissance ein unverzichtbarer Leitfaden und eine großartige Reise durch unsere aktuellen stürmischen Zeiten. In ihrem lebendig geschriebenen Buch, das genau zum richtigen Zeitpunkt erscheint, zeichnen Ian und Chris einen Pfad, der in ein neues goldenes Zeitalter der menschlichen Kreativität, des Ideenreichtums und großer Potenziale führt.
Arianna Huffington, Chefredakteurin,The Huffington Post
DiezweiteRenaissance ist ein wichtiges Buch in einer Zeit, in der sich die Welt spaltet und auf Rückzug gestellt hat. Ian und Chris nehmen uns mit auf eine eindrucksvolle Reise und erinnern uns an unsere gemeinsame Humanität und die Bedeutung der Zusammenarbeit, des Mitgefühls und Ideenreichtums. Wir dürfen nicht wieder anfangen, Mauern zu bauen, die Zugbrücke hochzuziehen und in Furcht und Angst zu leben. Dieses Buch wird der Welt dabei helfen, das Potenzial der kollektiven Intelligenz mutig auszuschöpfen und sicherzustellen, dass wir die Lektionen aus der Vergangenheit lernen und die Chancen erkennen, die in dieser »Zweiten Renaissance« vor uns liegen.
Sir Richard Branson, Gründer der Virgin Group
In diesem wunderbaren Buch gibt es viele Dinge zu bewundern. Die Renaissance erzeugte ein Crescendo an neuen Ideen, das sich auf die ganze Bandbreite der menschlichen Unternehmungen und damit auf ein Jahrhundert der grundlegenden Veränderungen erstreckte. Es erzeugte aber auch gegenseitige Abhängigkeiten, Risiken, Instabilität, Verwirrung und Ängste. Das gegenwärtige Zeitalter fühlt sich ganz ähnlich an. Die Autoren legen überzeugend dar, dass es unmöglich ist, inmitten dieser überwältigenden Komplexität einen präzisen Kurs zu bestimmen. Die Fähigkeit, mit Selbstvertrauen, aber auch Demut durch unsichere Gewässer zu navigieren, sowie das Bekenntnis zu grundlegenden Werten, insbesondere unsere Fähigkeit zu Kreativität und Empathie, werden uns dabei helfen – als Individuen und Gesellschaft. Dieses Buch ist Pflichtlektüre für jedermann.
Michael Spence, Nobelpreisträger in Wirtschaftswissenschaften
In dieser großartigen Schilderung der Parallelen zwischen unserer Zeit und der Renaissance zeigen die Autoren, was wir aus der ersten Renaissance lernen können – als Orientierungshilfe und Warnung. Wenn wir uns an ihre Worte halten, können wir das Beste unseres heutigen Potenzials freisetzen und die Fallstricke unserer Zeit vermeiden. Dieses Buch hat pädagogischen Wert und ist zugleich eine äußerst anregende Lektüre.
A. C. Grayling, Philosoph, Autor und Master des New College of the Humanities
Dieses faszinierende Buch behandelt ein bemerkenswert breites Themenspektrum. Die Autoren setzen die heutigen globalen Trends in eine historische Perspektive und bewerten zugleich die derzeitigen Herausforderungen und politischen Optionen. Ihren Worten zufolge leben wir in einem Zeitalter, in dem mehr auf dem Spiel steht als je zuvor, dabei sind sie weder Techno-Utopen noch Untergangstheoretiker. Diese ausgewogene Analyse sollte alle interessieren, die sich über die Zukunft der Menschheit Gedanken machen.
Lord Martin Rees, Astronomer Royal und ehemaliger Präsident der Royal Society
In einem Zeitalter der eiligen und oft simplifizierenden Analysen zeichnen Ian und Chris ein gehaltvolles, lehrreiches Porträt unser derzeitigen Situation. IndemDie zweite Renaissanceeindrucksvolle Parallelen zum Renaissancezeitalter herstellt, um die Chancen und Herausforderungen zu identifizieren, die unser Zeitalter bestimmen, bietet es uns allen – einschließlich aller aufstrebenden Michelangelos und da Vincis – grundlegende Erkenntnisse.
Reid Hoffman, Gründer und Chairman, LinkedIn
Die zweite Renaissanceidentifiziert die zentralen Alternativen, mit denen wir heute konfrontiert sind, und sendet einen Aufruf zum Handeln aus, den wir nicht überhören sollten. Ich kann dieses zum richtigen Zeitpunkt erschienene, überaus wichtige und lesbare Buch nur wärmstens empfehlen.
Kumi Naidoo, International Executive Director, Greenpeace
Die zweite Renaissance ist eine äußerst notwendige Dosis an Perspektive in unserer zunehmend kurzfristig orientierten Welt. Die Autoren treten einen Schritt vom Alltag zurück, um zu verdeutlichen, dass unsere heutige Zeit mit ihrem erbarmungslosen Tempo, ihren neuen Technologien und der allgegenwärtigen Vernetzung eine Art zweite Renaissance ist ... Mit dieser Perspektive können Führungspersönlichkeiten lernen, langfristig kluge Entscheidungen zu treffen, ohne sich allzu sehr von kurzfristigen Volatilitäten beeinflussen zu lassen.
Dominic Barton, Global Managing Director, McKinsey & Company
Die zweite Renaissance ist ein faszinierendes Buch, das eine Verbindungslinie zwischen dem beeindruckenden Zeitalter der Krisen und Kreativität – der Renaissance – und den dramatischen Veränderungen herstellen will, die wir in der heutigen Welt erleben. Die Autoren ziehen überzeugende Parallelen zwischen den rasanten technologischen und kulturellen Entwicklungen, die derzeit stattfinden beziehungsweise stattgefunden haben, und den Herausforderungen, mit denen die Gesellschaften konfrontiert sind, die diese Veränderungen bewältigen müssen. Das Buch liefert allen, die sich für die Belastungen der modernen Welt und die Frage, wie andere Zeitalter mit ihren jeweiligen Herausforderungen umgegangen sind, außerordentliche Erkenntnisse.
Andrew Hamilton, Präsident, New York University, und ehemaliger Vice-Chancellor, Oxford University
Abgesehen davon, dass Die zweite Renaissance eine faszinierende Lektüre ist, liefert es das notwendige Gesamtbild, um die Herausforderungen zu verstehen, die von den ständigen Innovationswellen geschaffen werden, mit denen wir heute konfrontiert sind. Unsere wundervollen neuen Technologien können zum Guten und zum Schlechten verwendet werden, um Leben zu retten oder Leben zu vernichten. Dieses Buch illustriert sehr gut, dass im Leben (wie beim Schach!) jeder Vorteil zugleich Chancen und Gefahren birgt, und dass diejenigen siegen werden, die das Neue bestmöglich nutzen und gleichzeitig vom Alten lernen. Ich weiß besser als die meisten, dass »Genie« ein überstrapazierter Begriff ist, den Autoren gelingt es jedoch, ihn in ihrem Buch zu rehabilitieren, indem sie zeigen, dass aus individueller Brillanz kollektiver Erfolg wird, wenn individuelle Freiheit breite Chancen in der Gesellschaft freisetzt.
Garry Kasparov, Chairman, Human Rights Foundation und Dreizehnter Schachweltmeister
Ian und Chris haben es gewagt … die großen Fragen zu stellen und zu beantworten: Woher kommen wir, was machen wir falsch – und richtig! –, und wohin versuchen wir zu gehen? Wir sollten ihnen für ihren Wagemut danken und ihre Herausforderung annehmen, Risiken einzugehen, die Grenzen des Möglichen immer weiter hinauszuschieben, nüchtern an Probleme heranzugehen und vor allem optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Christine Lagarde, Geschäftsführende Direktorin, Internationaler Währungsfonds
Erleben wir eine neue Renaissance? In diesem überaus anregenden Buch betrachten Ian und Chris die heutigen Drehkreuze der Innovation und verweisen auf moderne Versionen des einstigen einflussreichen Stadtstaats Florenz im Zeitalter der Medici. Unser Zeitalter, so ihr Argument, ist ein Zeitalter der Erforschung. Aber genau wie zu Zeiten Da Vincis und Da Gamas bringen neue Technologien und die globale Integration neue Gefahren, aber auch neuen Wohlstand mit sich: Pandemien, religiöser Fanatismus, Krieg. Jeder sollte diesen Aufruf zu einem neuen Humanismus lesen, der bereit ist, unsere moderne Renaissance gegen Angriffe zu verteidigen, die bereits begonnen haben.
Niall Ferguson, Laurence A. Tisch Professor für Geschichte, Harvard University
Die zweite Renaissance bietet eine erfrischende Abwechslung von den oberflächlichen Analysen und sterilen Rezepten der Rechten und Linken. Seine Vision lautet, dass die derzeitige Welle an Innovation und Fortschritt – unter anderem in der Kommunikation und den Wissenschaften – Chancen für eine weltweit sprudelnde Kreativität bietet. Die weise Schlussfolgerung lautet, dass diese Möglichkeiten vertan werden, wenn die Bürger nicht handeln und Nationen sich nicht organisieren, um sie auszuschöpfen. Ein wichtiges und beeindruckendes Buch.
Edmund Phelps, Nobelpreisträger in Wirtschaftswissenschaften
Die zweite Renaissance ist eine wichtige Erinnerung, die Chancen, die in den zahlreichen Herausforderungen liegen, mit denen wir heute konfrontiert sind, zu erkennen und zu ergreifen. Wir haben immer wieder enorme Fortschritte gemacht, indem wir neue Lösungen gefunden haben. Es gibt keinen Grund zu Pessimismus.
Hans-Paul Bürkner, Chairman, The Boston Consulting Group
In einer Zeit der saloppen Rhetorik und grellen Schlagzeilen scheint in Die zweite Renaissance die Hoffnung durch, dass wir gemeinsam lernende Gesellschaften fördern können, die uns dabei helfen, sicher durch unser verworrenes 21. Jahrhundert zu navigieren. Werden wir untergehen oder prosperieren? Mit einer brillanten Mischung an unverbrauchtem Witz und nüchternen Gedanken sind Ian und Chris für uns alle Herausforderung und Inspiration zugleich. Eine Pflichtlektüre für gegenwärtige und zukünftige Führungspersönlichkeiten auf der ganzen Welt.
Asha Kanwar, Präsident, Commonwealth of Learning
Mit dem Buch Die zweite Renaissance liefern Ian und Chris ein Meisterstück mit einer überaus wichtigen Botschaft: wie wir die heutigen Krisen überwinden und wahre Größe erlangen können.
Vijay Govindarajan, Coxe Distinguished Professor an der Tuck School of Business und auf derNew York Times-Bestsellerliste.
Jetboote sind so schnell, dass sie geradezu über das Wasser fliegen und eine beeindruckende Wasserfontäne hinter sich lassen, auch »Hahnenschwanz« genannt. Das ist eine der großen Lektionen des Lebens: dass niemand seinen eigenen Hahnenschwanz sehen kann; wir kennen die Wirkung nicht, die wir auf andere haben, während wir durch das Leben rasen.
Zivilisationen, Epochen, Ären und Zeitalter – was auch immer – können ihre Wirkung auf die Geschichte nicht erkennen. Aber was Ian und Christian vollbracht haben, ist nichts weniger, als eine Momentaufnahme der rasanten Innovationen und Entdeckungen zu machen, ihre Risiken und Nutzen zu untersuchen und unseren eigenen Hahnenschwanz zu extrapolieren. Dass ihnen das gelungen ist, während Flugzeuge fliegen, Computercodes geschrieben, die neuesten Errungenschaften gefeiert, aber ihre Nebeneffekte und unbeabsichtigten Wirkungen noch nicht erkannt wurden, ist eine beachtliche historische und prognostische Leistung. Sie haben uns ein Geschenk der Selbstreflexion dargebracht, das in der Tat selten ist. Ich kann nicht glauben, dass das Buch, das eine derart schwere Aufgabe bewältigt, so leichtfüßig daherkommt.
Larry Brilliant, ehemaliger Executive Director,Google.org
Dieses Buch behandelt ein ungewöhnlich breites Spektrum an Themen, historischen Verweisen und Disziplinen. Ohne die Anleitung und Orientierung durch ausgewiesene Experten, Recherchehelfer, Freunde und die Unterstützung vieler anderer Menschen, wäre es nicht möglich gewesen. Außerdem hätten wir uns keine reichere und anregendere Gemeinde beziehungsweise großzügigere und kenntnisreichere Quellen wünschen können, als unsere Kollegen von der Oxford Martin School sowie der Kollegen aus zahlreichen Fachgebieten der Universität von Oxford.
Der Bezug auf das Renaissancezeitalter hilft uns, die Gegenwart und die Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten, vor denen wir stehen, besser zu verstehen. Die Betrachtung unserer Zeit aus dem Blickwinkel der historischen Perspektive rückt unsere oftmals verwirrende Welt in den richtigen Kontext. Die Geschichte bedarf jedoch der sorgfältigen Interpretation, da viele Konzepte, die heute zum prägenden Bestandteil unserer Gesellschaft geworden sind – zum Beispiel die »Wissenschaft« – vor einem halben Jahrtausend völlig anders verstanden wurden. Wir sind Diarmaid MacCulloch und Howard Hotson, beide Professoren für Geschichte an der Universität von Oxford, die uns auf großzügige Weise Orientierung boten, äußerst dankbar. Ihr außerordentliches Wissen über das 15. und 16. Jahrhundert hat uns dabei geholfen, die Balance zu finden zwischen der Weisheit vergangener Jahrhunderte, die aufgrund unserer gemeinsamen Menschheitsentwicklung bis heute relevant ist, und den Dingen, die durch gesellschaftlichen und technologischen Wandel obsolet geworden sind.
Was die zeitgenössische Seite unserer Geschichte angeht, danken wir Eugene Rogan dafür, dass er uns mit Nadia Oweidat bekannt gemacht hat, deren Erkenntnisse unser Verständnis des Extremismus vertiefte. Angus Deaton ließ uns an seinem Wissen und seinem Zahlenmaterial über Volkswirtschaft teilhaben. Terry Dwyer und Kazem Rahimi halfen uns, medizinische Themen zu verstehen. Frischgebackene Absolventen der Fakultäten Geschichte, Theologie, Physik, Chemie, Medizin, Wirtschaftswissenschaften, Politik und Philosophie der Universität von Oxford dienten uns als Recherchehelfer, die unsere Fakten, Quellen und Argumente überprüft und ergänzt haben. Dafür danken wir Ernesto Oyarbide, Jonathan Griffiths, Julian Ratcliffe, Paul Taylor und Gerhard Toews. Besonderen Dank schulden wir Maximilia Lane, die sich als Expertin im Aufspüren von Fakten erwies, die kein anderer fand, und zahlreiche Verbesserungen des Textes beisteuerte. Überflüssig zu erwähnen, dass wir allein für eventuell noch vorhandene Irrtümer verantwortlich sind.
Die Bodleian Library ist eine internationale Schatztruhe, und wir sind Richard Ovenden, dem verantwortlichen Bibliothekar, für seine enthusiastische Unterstützung zutiefst dankbar. Ebenso dankbar sind wir Nick Millea, dem verantwortlichen Bibliothekar für die Abteilung Landkarten, sowie Michael Athansan, dem stellvertretenden Bibliothekar derselben Abteilung, der uns die historischen Karten beschaffte, die in diesem Buch abgebildet sind.
Wir danken den Verlegern, die uns die Genehmigung zum Abdruck ihrer Materialien erteilten, und Claire Jordan für die Beschaffung der notwendigen Genehmigungen, sowie erneut Diarmaid MacCulloch für die Überlassung seiner Landkarten von Europa im 16. Jahrhundert.
Ians Arbeit an diesem Buch ist der Unterstützung seitens Lindsay Walker zu verdanken, die seinen täglichen Terminkalender managte, und Laura Lauer, administrative Leiterin der Oxford Martin School, deren professionelle und entgegenkommende Leitung Ian ermöglichte, sich die Zeit freizuschaufeln, um sich auf die Fragen und Antworten in diesem Buch zu konzentrieren.
Chris hätte ohne die immense Geduld seines Geschäftspartners Dave Anderson und seiner Promotionsbetreuerin Vivienne Shue diesem Buch nicht mehrere Jahre widmen können. Beide opferten ihre eigenen Meilensteine für seine. Chris ist auch Jim Gallagher zu tiefem Dank verpflichtet, der ihn das Schreiben lehrte, sowie Rick Boven von der Boston Consulting Group, der ihm zeigte, wie man Worte mit Bedeutung füllt.
Unser Agent Esmond Harmsworth ist seit den Anfängen der Buchkonzeption unser Partner gewesen und hat uns dabei geholfen, das Thema zu definieren und einen Verleger zu finden. Wir danken dem Vorstand von Bloomsbury, Nigel Newton, der ein begeistertes Interesse an dem Manuskript zeigte, und Ian Hallsworth, der sich als exzellenter Lektor erwiesen hat und mit seinen Kollegen in einer nach unserem Dafürhalten geradezu beispielhaften Partnerschaft zusammengearbeitet hat.
Und schließlich danken wir unseren Familien und Freunden, die während der vielen Stunden, die dieses Buch in Anspruch genommen hat, zu uns standen und uns den Rücken gestärkt haben.
Ian Goldin und Chris Kutarna
Oxford, Januar 2016
Wenn Michelangelo in unserer heutigen Zeit, inmitten den Turbulenzen, die unser modernes Zeitalter kennzeichnen, wiedergeboren werden würde, würde er scheitern oder erneut zu Ruhm gelangen?
Jedes Jahr strömen Millionen von Menschen in die Sixtinische Kapelle, um ehrfürchtig Michelangelo Buonarrotis Werk DieErschaffungAdams zu bestaunen. Noch mehr Menschen strömen in den Louvre, um Leonardo da Vincis MonaLisa zu bewundern. Fünf Jahrhunderte lang haben wir diese Meisterwerke der Renaissance sorgfältig konserviert und als Objekte der Schönheit und Inspiration verehrt.
Sie sind aber auch eine Herausforderung.
Die Künstler, die diese genialen Kunstwerke von 500 Jahren geschaffen haben, lebten keineswegs in einem magischen Zeitalter universeller Schönheit, sondern eher in einer äußerst turbulenten Zeit, die von historischen Meilensteinen und Entdeckungen gekennzeichnet war, aber auch von verheerenden Katastrophen. Dank Gutenbergs Erfindung der Druckerpresse (in den 1450er-Jahren), Kolumbus’ Entdeckung der Neuen Welt (1492) und Vasco da Gamas Entdeckung der Seeroute zu Asiens Reichtümern (1497), war die Welt auf beispiellose Weise näher zusammengerückt. Das Schicksal der Menschheit veränderte sich in mancherlei Hinsicht sogar radikal. Der Schwarze Tod war endlich besiegt, Europas Bevölkerung befand sich auf dem Weg der Regenerierung und allgemeine Gesundheit, Bildung und Wohlstand nahmen zu.
Diese Bedingungen brachten das Genie zum Blühen, das zeigen die Leistungen jener Zeit (insbesondere zwischen den 1490er-Jahren und den 1520er-Jahren) wie Kopernikus’ revolutionäre Theorie über einen Kosmos, in dem die Sonne den Mittelpunkt bildet (1510er-Jahre) und andere bahnbrechende Fortschritte, die in einem breiten Spektrum an Disziplinen, von der Biologie über Technik und Navigation bis zur Medizin erzielt wurden. Grundlegende allgemein bekannte »Wahrheiten«, die über Jahrhunderte – wenn nicht Jahrtausende – Bestand hatten, wurden plötzlich über den Haufen geworfen: Die Erde stand nicht still. Die Sonne drehte sich nicht um die Erde. Die »bekannte« Welt bildete nicht einmal die Hälfte des gesamten Planeten. Das menschliche Herz war nicht die Seele, sondern ein Muskel mit Pumpfunktion. In wenigen Jahrzehnten ließ der Buchdruck die Buchproduktion von einigen Hundert auf Millionen Exemplare pro Jahr anschwellen, und die darin veröffentlichten seltsamen Fakten und neuen Ideen verbreiteten sich schneller und weiter als je zuvor.
Aber auch die Risiken und Gefahren erlebten eine neue Blütezeit. Grauenhafte neue Krankheiten verbreiteten sich wie Lauffeuer auf beiden Seiten des nun erdteilverbindenden Atlantiks. Mithilfe einer »neuen« Waffe, dem Schießpulver, eroberten die Osmanen in einer beeindruckenden Serie an Land- und Seesiegen, die einen bedrohlichen Schatten über ganz Europa warfen, den östlichen Mittelmeerraum für den Islam. Martin Luther (1483–1546) nutzte die neue Drucktechnik, um flammende Predigten gegen die katholische Kirche zu verbreiten, die zum Auslöser einer gewaltigen Welle an religiös motivierter Gewalt wurden, die den gesamten Kontinent erfasste. Die Kirche, die seit mehr als 1000 Jahren jede Herausforderung ihrer Autorität überstanden hatte und zur wichtigsten und allgegenwärtigen Autorität im europäischen Leben geworden war, spaltete sich unter dieser immensen Belastung.
So waren die Zeiten beschaffen, als Michelangelo am 8. September 1504 im italienischen Florenz seine Statue David auf dem Hauptplatz der Stadt enthüllte. Die imposante Statue aus feinstem Carrara-Marmor mit ihrer stolzen Höhe von mehr als fünf Metern und einem Gewicht von mehr als sechs Tonnen war ein Monument des Reichtums der Stadt und der Fertigkeiten ihres Erschaffers (siehe Abbildung 1.1).
Die alttestamentarische Geschichte von David und Goliath, die von einem tapferen jungen Krieger handelt, der nach echter Underdog-Manier in einem einzigen Kampf einen unwahrscheinlichen Sieg über einen feindlichen Riesen errang, ist bestens bekannt. Dem Moment, den Michelangelo in Marmor verewigte, haftet jedoch etwas ganz Neues, Unbekanntes an. Er muss diejenigen, die dem Moment der Enthüllung der Statue beiwohnten, in einige Verwirrung gestürzt haben. Davids Gesicht und Nacken sind gespannt. Seine Augenbrauen zusammengezogen und sein konzentrierter Blick richtet sich auf einen fernen Punkt. So steht er da, nicht triumphierend einen Fuß auf den Leichnam seines Feindes platziert (das Standardporträt), aber bereit und mit der unbarmherzigen Entschlossenheit desjenigen, der weiß, welchen Schritt er als Nächstes tut, aber nicht weiß, welche Folgen er haben wird. Und dann erkennen die Betrachter plötzlich klar die Botschaft des Künstlers: Michelangelo hat in David den schicksalhaften Augenblick zwischen Entschluss und Handlung verewigt; zwischen der Erkenntnis, was er tun muss, und dem Mutfassen zur Ausführung des Unvermeidlichen.
Die Betrachter erkannten wohl diesen Moment wieder. Denn sie lebten in ihm.
Das gilt auch für uns.
Das gegenwärtige Zeitalter gleicht einem Wettkampf: zwischen den positiven und den negativen Konsequenzen der globalen Vernetzung und der menschlichen Entwicklung; zwischen den Kräften der Inklusion und der Exklusion; zwischen der Blütezeit der Genialität und der Blütezeit der Risiken und Gefahren. Ob wir untergehen oder uns zu neuer Blüte aufschwingen, ob das 21. Jahrhundert als eines der besten oder schlimmsten Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte in die Geschichtsbücher eingeht, hängt davon ab, was wir alle tun, um die Möglichkeiten zu fördern und die Gefahren zu dämpfen, die dieser Wettkampf mit sich bringt.
Abbildung 1.1 Ein in Stein gemeißelter Augenblick. Michelangelo Buonarroti (1475–1564), David (1501–1504) – Detail. Florenz. Bildnachweis: Art Resource.
Der Einsatz könnte nicht höher sein. Jeder von uns hat das gefährliche Glück, in einem historischen Augenblick geboren worden zu sein – einem entscheidenden Augenblick –, in dem Ereignisse und Entscheidungen, die zu unseren Lebzeiten getroffen werden, die Bedingungen unzähliger zukünftiger Lebenszeiten diktieren werden.
Ja, jede Generation glaubt von sich, maßgeblich zu sein, aber dieses Mal trifft es zu. Die langfristigen Fakten sprechen lauter, als unsere Egos es je könnten. Die Urbanisierung der Menschheit, die vor ungefähr 10.000 Jahren von unseren steinzeitlichen Vorfahren begonnen wurde, hat in unserer eigenen Lebenszeit die 50-Prozent-Marke überschritten.1 Wir sind die erste Generation der urbanen Epoche. Die weltweite Kohlendioxidemission hat die Treibhausgase in der Atmosphäre auf ein beispielloses Niveau getrieben; 14 der 15 heißesten Jahre seit dem Beginn der Klimaaufzeichnung fielen in das 21. Jahrhundert.2 Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ist die Zahl der Armen weltweit zurückgegangen (um mehr als eine Milliarde Menschen seit 1990) und gleichzeitig hat die Weltbevölkerung zugenommen (um ungefähr zwei Milliarden Menschen). Die Zahl der lebenden Wissenschaftler übertrifft die Zahl aller Wissenschaftler der Geschichte, die bis 1980 gelebt haben, und – was zum Teil ihren Errungenschaften zu verdanken ist – die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den vergangenen 50 Jahren stärker angestiegen als in den vorhergehenden 1000 Jahren.
Aber auch kurze Zeiträume können Geschichte machen. Das Internet, das vor 20 Jahren praktisch noch nicht existierte, vernetzte im Jahr 2005 eine Milliarde Menschen, im Jahr 2010 zwei Milliarden Menschen und im Jahr 2015 drei Milliarden Menschen. Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Menschheit online.3 China hat sich von einem isolierten, selbstgenügsamen Land in den größten Exporteur und die größte Ökonomie der Welt verwandelt. Indien folgt ihm auf den Fersen. Die Berliner Mauer ist weg und der Zusammenprall zweier unversöhnlicher Wirtschaftsideologien, der die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hat, ist mit ihr verschwunden. All diese Dinge wirken wie uralte Nachrichten, wenn man sie gegen die Schlagzeilen hält, die uns seit der Jahrtausendwende beherrschen: der 11. September, verheerende Tsunamis und Wirbelstürme, eine globale Finanzkrise, die selbst die bestbezahlten Gehirne der Welt auf dem linken Fuß erwischte, eine nukleare Kernschmelze im hypersicheren Japan; Selbstmordattentäter im Herzen von Paris, der Stadt der Liebe; Aufstände gegen die Ungleichheit – und glücklichere Ereignisse wie die Explosion von mobilen und sozialen Medien, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die Erfindung des 3D-Drucks, der Bruch mit langwährenden Tabus wie der gleichgeschlechtlichen Ehe, die Entdeckung von Gravitationswellen und der Entdeckung erdähnlicher Planeten, die um nahegelegene Sterne kreisen.
Es scheint, als würden wir jeden Tag einen neuen Schock erleben. Und der Schock selbst ist der schlagendste Beweis, dass dieses Zeitalter vollkommen anders ist als andere, weil es seine Daten aus sich selbst heraus generiert. Schock ist unser persönlicher Beweis für den historischen Wandel – ein psychischer Zusammenprall zwischen Erwartungen und der Realität – und er ist das unermüdliche Thema in unserem Leben. Er rüttelt uns auf und regt uns an und wird es auch weiterhin tun. In diesem Moment sprechen wir kaum über Geotechnik, organische Energie, superintelligente Maschinen, biotechnische Plagen, Nanofabriken oder künstliche menschliche Chromosomen, aber schon in der nahen Zukunft – Überraschung! – könnte es passieren, dass wir über nichts anderes mehr sprechen.
Aus Unkenntnis der großen Richtung lassen wir uns von unmittelbaren Krisen und den Ängsten, die sie auslösen, bedrängen, um nicht zu sagen, tyrannisieren. Wir ziehen uns zurück, anstatt offen auf die Herausforderungen zuzugehen. In einem Zeitalter, das beherztes Handeln verlangt, neigen wir zu Verzagtheit. Global betrachtet, gibt das die derzeitige Stimmung wieder. Unter den US-Bürgern, die einst die größten Förderer und Befürworter des Freihandels waren, wächst inzwischen die Ablehnung.4 Weltweit häuft beziehungsweise verteilt die Industrie Rekordsummen an Bargeld an ihre Aktionäre, anstatt das Geld zu investieren. Ende 2015 hielten die globalen Unternehmen schätzungsweise mehr als 15 Billionen Dollar in Bargeld und Bargeldäquivalenten – viermal so viel wie noch vor einem Jahrzehnt.5 Insgesamt verteilten die Unternehmen des S&P 500 fast alle Gewinne des Jahres 2014 an ihre Aktionäre (in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen), anstatt in neue Projekte und Ideen zu investieren.6 Sowohl der extreme rechte Flügel der Politik (der die Öffnung der Gesellschaft für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Immigration und globale Verantwortlichkeiten zurückdrehen möchte) als auch die extreme Linke (die versucht, die Öffnung der Gesellschaft für Handel und privatwirtschaftliche Unternehmungen rückgängig zu machen) erfahren in großen Teilen der entwickelten Welt einen vermehrten Zulauf. In den 1990er-Jahren war das Wort »Globalisierung« allgegenwärtig. Für viele bedeutete es unter anderem ein weltweites Zusammenrücken und das Versprechen einer besseren Welt für alle. Heute ist das Wort zunehmend unpopulär (außer unter Politikern, die es als bequemen Sündenbock für die Probleme missbrauchen, für die sie keine Lösung finden) (siehe Abbildung 1.2).
Abbildung 1.2 Die Zahl der Google-Sucheingaben für »Globalisierung« sinkt seit einem Jahrzehnt. Quelle: Google Trends (2015). »Interest over Time: Globalization«. Aufgerufen unterwww.google.com/trends.
Was uns fehlt und wir so dringend brauchen, ist Perspektive. Mit der richtigen Perspektive können wir den Wettbewerb erkennen, der unser Leben definiert, und unseren eigenen Willen besser gegen die breiteren Kräfte behaupten, die die Welt prägen. Wenn sich Erschütterndes ereignet, wir schockiert sind, können wir einen Schritt zurücktreten und das Ereignis in einen breiteren Kontext stellen, was uns eine größere Kontrolle über seine Bedeutung (und unsere Reaktion) ermöglicht. Zivile und politische Führer müssen perspektivisch denken, um eine überzeugende Vision zu entwickeln, die eine Beziehung zwischen den großen Triebkräften der Veränderung und unserem Alltagsleben herstellt. Geschäftsleute brauchen eine klare Perspektive, um sich im Chaos der allgegenwärtigen Informations- und Nachrichtenflut zu orientieren und kluge Entscheidungen zu treffen. Die Jugend braucht Perspektiven, um Antworten auf ihre großen, brennenden Fragen und einen Weg zur Verwirklichung ihrer Leidenschaften zu finden. Eine Perspektive zu haben befähigt uns, die Summe der einzelnen gelebten Tage in ein übergeordnetes Narrativ zu verwandeln. Und erhöht unsere Chancen, das 21. Jahrhundert gemeinsam zum besten Jahrhundert der Menschheitsgeschichte zu machen.
»Perspektive ist Orientierung und Eingangstor; ohne sie gelingt nichts wirklich gut.«7 Als Leonardo da Vinci (1452–1519) diese Worte schrieb, beriet und betreute er andere Künstler, er hätte aber leicht seine gesamte Generation beraten können. Als Zeitgenosse Michelangelos (1475–1564) lebte Leonardo in genau dem Augenblick des schicksalhaften Wettkampfes, den Michelangelo in Marmor gemeißelt hatte. Um eine Perspektive über unser derzeitiges Zeitalter zu gewinnen, müssen wir nur zurücktreten, einen Blick in die Vergangenheit werfen und erkennen: Das ist alles schon dagewesen. Die Kräfte, die vor 500 Jahren in Europa zusammenspielten, Genialität freisetzten und die soziale Ordnung umwälzten, sind in unserer Lebenszeit erneut aktiv. Nur dass sie heute stärker und weltumspannend sind.
Das ist die zentrale Botschaft dieses Buches. Sie sollte uns mit einer Mischung aus Hoffnung und Entschlossenheit erfüllen. Hoffnung, weil wir die Renaissance 500 Jahre später immer noch als eines der aufgeklärtesten und strahlendsten Zeitalter der Menschheit feiern. Wenn wir unser eigenes goldenes Zeitalter erreichen wollen, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen. Die Bedingungen sind gegeben. Wir können diesen Augenblick nutzen und eine neue Blütezeit herbeiführen, die die Blütezeit der Renaissance oder irgendeine andere Hochzeit in der Geschichte in Bezug auf ihre Größenordnung, ihre geografische Reichweite und ihre positiven Folgen für das Wohlergehen der Menschheit bei Weitem in den Schatten stellen wird. Dazu brauchen wir Entschlossenheit, denn dieses neue goldene Zeitalter wird nicht von alleine eintreten; wir müssen es errichten.
Das ist kein einfaches Unterfangen. Im Jahr 1517 schrieb Niccolò Machiavelli (1469–1527), einer der größten Philosophen seiner Zeit und Gründungsvater der modernen politischen Wissenschaften:
Wer die Zukunft voraussehen will, muss sich mit der Vergangenheit beschäftigen, denn menschliche Ereignisse ähneln stets denen vergangener Zeiten. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass sie von Menschen herbeigeführt werden, die von immer gleicher Leidenschaft angetrieben wurden und immer angetrieben sein werden. Das Ergebnis ist, dass in jedem Zeitalter die gleichen Probleme auftreten.8
Wir sind gewarnt. Die Renaissance war eine Zeit der großen Aufstände und Umstürze, die die Gesellschaft bis zur Bruchstelle und gelegentlich darüber hinaus belastete. Nun riskieren wir erneut große Turbulenzen – auf individueller und gesellschaftlicher Ebene und als Spezies. Einige Male sind wir bereits gestrauchelt. Diese Episoden haben viele von uns zu Zynikern und Kassandras gemacht. Wenn wir erneut zu wahrer Größe gelangen wollen, zu der die Menschheit durchaus befähigt ist, müssen wir uns das Vertrauen bewahren, dass sie erreichbar ist. Wir müssen alles tun, um diese Größe Wirklichkeit werden zu lassen. Der Nutzen des Fortschritts muss einer möglichst breiten Gemeinschaft zugutekommen. Und wir müssen uns gegenseitig helfen, die Erschütterungen zu überstehen, die niemand kommen sieht.
Wir stellen die Gegenwart in vier Buchabschnitten als eine zweite Renaissance dar.
Teil I, »Die Fakten, die ein Zeitalter zur Renaissance machen«, legt die wichtigen harten Fakten unseres Zeitalters dar und entkräftet die saloppe und oft unverantwortliche Rhetorik, die heute die öffentliche Diskussion bestimmt. Wir treten einen Schritt zurück und verdeutlichen die verbindenden und entwicklungsorientierten Kräfte, die die Renaissance vor 500 Jahren definierten und die die Welt, in der wir leben, im vergangenen Vierteljahrhundert völlig verändert hat. Kolumbus’ Entdeckungsreisen, der Fall der Berliner Mauer – beide Ereignisse unterstreichen den Zusammenbruch langwährender Barrieren der Ignoranz und der Mythen und die Öffnung unverbrauchter, weltweiter Systeme des politischen und wirtschaftlichen Austausches. Gutenbergs Druckerpresse, das Internet – beide Technologien haben die menschliche Kommunikation von Grund auf verändert: Informationsfülle, billige Informationsverteilung, radikale Vielfalt und eine breite Partizipation.
Damals wie heute lagen dem menschlichen Fortschritt entwicklungsorientierte Kräfte zugrunde: Fortschritte im Gesundheitswesen, steigende Bildung und Wohlstand. Epidemien und Kriege, die beiden größten Verhinderer des Fortschritts im Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte, wurden in den Jahrzehnten vor Beginn der Renaissance seltener. Heute ist das Massensterben auf weiten Schlachtfeldern Vergangenheit – selbst unter Berücksichtigung der Gewalt im syrischen Bürgerkrieg –, und erfolgreiche Kampagnen gegen Krankheiten und altersbedingte Gebrechen haben die Lebenserwartung weltweit um fast zwei ganze Jahrzehnte erhöht.9 In der ersten Renaissance wurden Lese- und Rechenfertigkeiten, die einst privilegierte Kenntnisse einer kleinen Elite gewesen waren, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Heute ist die heranwachsende Generation junger Erwachsener die erste Generation in der Geschichte, die beinahe weltweit alphabetisiert ist.
Diese Revolutionen auf den Gebieten Technologie, Demografie, Gesundheit und Volkswirtschaft haben der Summe der menschlichen Aktivitäten eine enorme Dynamik und Vitalität verliehen. Mit jedem Dynamikschub akkumulieren und reinvestieren wir mehr Humankapital und intensivieren unsere weltweiten Handels-, Tausch- und Kommunikationsbeziehungen, bis – wie Teil II darlegen wird – eine neue »Blütezeit der Genialität« entsteht, die uns einen weiteren großen Schub verleiht.
Das positive Vermächtnis der Renaissance bestand in einer explosionsartigen Zunahme der Genialität, die sich in außerordentlichen Errungenschaften in der europäischen Kunst, Wissenschaft und Philosophie manifestierte, die in der Geschichte unvergleichlich sind. Sie brachten Europa in den folgenden Jahrhunderten auf den Kurs in Richtung einer wissenschaftlichen Revolution und Aufklärung. Wir befinden uns derzeit erneut inmitten einer explosionsartigen Entfaltung von Genialität, deren Umfang und Reichweite die erste Renaissance bei Weitem in den Schatten stellt. Das wissen wir erstens, weil alle Bedingungen erneut gegeben sind, und zweitens aufgrund der Zahl der fundamentalen Durchbrüche, die wir bereits verzeichnen. Wir werden zeigen, wie die Kräfte, die derzeit auf uns wirken – und die wir in Teil I identifizieren werden –, dazu beitragen, der Genialität zu einer neuen Blütezeit zu verhelfen, und wir werden einen Eindruck von den tief greifenden Veränderungen geben, die diese Blütezeit für die Menschheit bereithalten wird. Außerdem beschreiben wir unsere zunehmenden Möglichkeiten, kollektive Errungenschaften zu erzielen: unsere neue, disruptive Fähigkeit zur weltweiten Zusammenarbeit und zum Wissensaustausch, die die Grenzen des Möglichen immer weiter ausdehnt. Während der Renaissance entstanden in kollektiver Anstrengung die größten Kathedralen der Welt. Heute ermöglicht die weltweite Kollaboration die Entwicklung neuer Heilmethoden für Krankheiten. Das geschieht, indem die Wissensbasis der Menschheit in ein multilinguales Instrument verwandelt und das sichtbare Universum analysiert und kartiert wird.
Teil III, »Blütezeit der Risiken«, bringt den hoffnungsvollen Überschwang durch Mahnung zur Vorsicht ins Gleichgewicht. Dieselben verbindenden, entwicklungsorientierten Kräfte, die die menschliche Vorstellungskraft antreiben, sorgen zugleich für eine gefährlich hohe Komplexität und Konzentration unserer Aktivitäten. Diese doppelten Folgen des rasanten Fortschritts machen uns für eine besonders gefährliche Form der Risiken anfällig: systemische Risiken. Vor 500 Jahren lösten systemische Erschütterungen einige der verheerendsten Krisen aus – merkwürdige neue Krankheiten, die sich wie eine biblische Plage über die Menschheit ausbreiteten und ganze Regionen entvölkerten; ruinöse Finanzkrisen in neuen Kreditmärkten; den Untergang ganzer Gemeinden entlang der Seidenstraße, als sich mit der neu entdeckten Seeroute nach Asien ein vorteilhafterer Handelsweg eröffnete. Die Finanzkrise von 2008 hat uns gelehrt, systemische Risiken ernst zu nehmen, aber wir sind uns noch nicht vollständig darüber im Klaren, wie weit sie sich bereits ausgebreitet haben.
Auch in unserer Nationalpolitik und unserem geopolitischen System nehmen die systemischen Risiken zu. Ein Renaissancezeitalter bringt große Sieger und große Verlierer hervor. Die Bande unseres traditionellen Gesellschaftsvertrags werden schwächer, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, da die Technologien, die Solidarität und sogar Rebellion ermöglichen und fördern, demokratisiert werden und an Einfluss gewinnen. Vor 500 Jahren unterhöhlten das Fegefeuer der Eitelkeiten, Religionskriege, die Inquisition und häufige Volksaufstände den Frieden, in dem Genialität gedeiht, und löschten einige der brillantesten Köpfe des Zeitalters aus. Heute versuchen die Stimmen des Extremismus, Protektionismus und der Xenophobie erneut, die Bande zu zerreißen, die die Genialität beflügeln, während der wachsende Unmut der Bevölkerung unsere öffentlichen Institutionen der Legitimität beraubt hat, die sie benötigen, um wagemutig zu handeln.
Unsere Reise endet mit Teil IV, »Wettlauf um unsere Zukunft«. Wir legen dar, was wir gemeinsam tun müssen – Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft –, um die Größe zu erlangen, die dieses Zeitalter ermöglicht, und die Krisen zu überwinden, die es bereithält. Werden wir erneut den Glanz der ersten Renaissance erstrahlen sehen? Ihr düsteres Elend erleben? Oder beides? Das sind die Fragen – unser Goliath–, mit denen wir uns ohne Scheuklappen auseinandersetzen müssen.
Zuerst müssen wir jedoch drei Fragen klären.
Geschichtsstudenten auf der ganzen Welt setzen sich seit mehr als einem Jahrhundert mit dieser Frage auseinander. »Weder zeitlich noch in Bezug auf seinen Inhalt, seine Reichweite oder seine Bedeutung ist das Konzept Renaissance definiert. Es leidet unter Schwammigkeit, Unvollständigkeit und Zufälligkeit ... es ist beinahe ein nicht verwendbarer Begriff.«10 Das schrieb der niederländische Historiker Johan Huizinga im Jahr 1920. Seitdem ist die akademische Debatte undurchsichtiger geworden. Das Hauptproblem, das Historiker mit dem Begriff »Renaissance« haben, ist, dass er irrtümlicherweise den Eindruck vermittelt, diese Epoche sei ein reines Vergnügen gewesen. Er wurde erstmalig von dem italienischen Kunsthistoriker Giorgio Vasari (1511–1574) in seinen 1550 erschienenen zwei- bzw. dreibändigen (1568) biografischen Kunstlexika verwendet, um jüngste künstlerische Trends zu glorifizieren und sie von dem bisherigen gotischen Stil abzugrenzen. Die europäischen Historiker des 19. Jahrhunderts übernahmen ihn und erweiterten seine Bedeutung, um eine Zeit der künstlerischen, kulturellen und intellektuellen Blütezeit zu beschreiben (eine Bedeutung, die sich im Englischen bis heute in Ausdrücken wie dem Renaissance Man – Universalgenie – erhalten hat). Damit lieferten sie aber keine nüchterne Beschreibung der Epoche, in der Leonardo, Michelangelo und ihre künstlerischen Zeitgenossen lebten, sondern weckten die Vorstellung, das »Europa der Renaissance« habe andere Zivilisationen sprunghaft überholt – eine Idee, die sowohl Ursprung als auch Rechtfertigung für den europäischen Imperialismus des 19. Jahrhundert bildete.11
Heute weisen Historiker gerne darauf hin, dass das »Europa der Renaissance« auch seine hässlichen Seiten hatte. Wir sollten nicht vergessen, dass in weniger als zehn Jahren, nachdem Michelangelo seine Fresken in der Sixtinischen Kapelle fertiggestellt hatte, Masern und andere europäische Krankheiten beinahe die Azteken, Inkas und andere indigene Bevölkerungen in der Neuen Welt ausgerottet hätten. Wenn Historiker den Begriff »Renaissance« verwenden, gehen sie damit kritisch und vorsichtig um. In erster Linie meinen sie damit eine »Wiedergeburt« bestimmter Wissensgebiete, Stile und Werte des griechischen und römischen Altertums im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts.
In diesem Buch beginnen wir mit der populären Bedeutung des Begriffs Renaissance, das heißt, der Beschreibung einer seltenen Phase der allgemeinen Blütezeit. Dieses Konzept ist ein guter Ausgangspunkt, da es auch eine gute Beschreibung unsere gegenwärtige Welt liefert. Allerdings nur, wenn wir in der Lage sind, beide Seiten derselben Medaille zu sehen. Im Verlauf der Betrachtung dieser beiden Seiten betonen wir, dass die Renaissance damals wie heute Gutes und Schlechtes, Genie und Gefahr im Überfluss birgt. Am Ende kommen wir zu einer klaren Definition: Eine Renaissance ist ein Wettkampf um die Zukunft in einem Moment, in dem außerordentlich viel auf dem Spiel steht.
Die Geschichte ist ein unteilbares Ganzes: Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie Handlungsfäden, die ein Kapitel mit dem nächsten verweben. Historiker unterteilen die Menschheitsgeschichte in Epochen und definieren deren jeweiligen »Anfang« und ihr »Ende«, um das Verständnis unserer Entwicklung zu erleichtern und den breiten Geschichtsverlauf zu verdeutlichen, aber diese Zäsuren dienen lediglich der groben Orientierung und sind keineswegs fest gefügt.
In diesem Buch beleuchten wir in erster Linie ein einziges Jahrhundert, und zwar die Zeit von 1450 bis 1550. Das Jahr 1450 ist ein solider Ausgangspunkt. Leonardo da Vinci wurde 1452 geboren, und in der Zeit von 1452 bis 1454 fanden mehrere Ereignisse statt, die der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein ganz anderes Gesicht geben sollten, als der ersten Hälfte. Die folgenden Ereignisse fanden ungefähr zur gleichen Zeit statt: England und Frankreich beendeten ihren Hundertjährigen Krieg, eine gewalttätige Unterbrechung und Zerstörung des täglichen Lebens, die seit 1337 angedauert hatte; Konstantinopel, die Hauptstadt des antiken römischen Ostreiches und seit mehr als 1100 Jahren Bollwerk der europäischen Zivilisation gegen östliche Invasoren, kapitulierte unter den neuen, mit Schießpulver bestückten Kanonen des Osmanischen Reiches; und die kriegerischen italienischen Stadtstaaten – Mailand, Venedig, Florenz, Neapel und der Kirchenstaat – formierten sich zur Italienischen Liga, einem gegenseitigen Nichtangriffspakt, der es der gesamten italienischen Halbinsel ermöglichte, abzurüsten und ihre Energien in friedliche Vorhaben zu investieren.12
Aus ähnlichen Gründen definieren wir 1990 als ungefähres Anfangsdatum einer zweiten Renaissance. In nur wenigen Jahren fanden folgende Ereignisse statt: das Ende des Kalten Kriegs, der Fall der Berliner Mauer, Chinas Eintritt in die Weltwirtschaft und der Beginn des kommerziellen Internets. Plötzlich schien uns die Welt eine andere zu sein. Und wie wir in Teil I sehen werden, belegen belastbare Daten, dass diese Periode in der Tat anders war.
Wir beziffern das Ende der ersten Renaissance auf ungefähr das Jahr 1550. Wir müssen die Weiterentwicklung der Ideen und Ereignisse natürlich bis zu ihrem Ende weiterverfolgen, um ihre Bedeutung für das übergeordnete Gesamtgeschehen zu verdeutlichen. In der Praxis liefert ein Jahrhundert jedoch eine gute Perspektive über zahlreiche Veränderungen. Bereits um 1550 zeichneten sich die positiven und negativen Konsequenzen der Renaissance ab – die Ergebnisse der klugen und weniger klugen Entscheidungen, die die Menschen in dieser Zeit getroffen hatten.
Wir treffen keine Prognose über das wahrscheinliche Ende der zweiten Renaissance. Das gegenwärtige »Zeitalter« ist jedoch breiter angelegt, als das laufende Jahr oder das laufende Jahrzehnt. Vielmehr handelt es sich um ein Phänomen – einen Wettkampf –, der das gesamte 21. Jahrhundert prägen wird.
Renaissancen, so wie wir sie definieren, finden sich in jeder Zivilisation. Was sich im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts ereignete, weist einige breite Parallelen zur klassischen Maya-Periode (300–900 n. Chr.), den ersten Jahrhunderten der koreanischen Chosŏn-Dynastie (1392–1897), dem islamischen Goldenen Zeitalter (750–1260), Chinas Tang-Dynastie (618–907), Indiens Gupta-Reich (320–550) und dem Mogul-Reich unter Akbar, genannt »der Große« (1556–1605), auf. Wir ermutigen alle, sich mit diesen Epochen auseinanderzusetzen, um größere Erkenntnisse über unsere heutige Zeit zu gewinnen. Dieses Buch gewinnt seine Perspektive aus einem bestimmten Moment in der europäischen Geschichte.
Warum? Nicht weil das Europa des 15. Jahrhunderts die am höchsten entwickelte Zivilisation der damaligen Zeit war. Diese Auszeichnung gebührt China, die dieses Privileg über viele Jahrhunderte bewahrt hat. Bereits im 12. Jahrhundert war Chinas damalige Hauptstadt Kaifeng eine Millionenstadt. 300 Jahre vor Gutenberg erzeugten chinesische Blockdrucker bereits Bücher im Massendruck, und zwar so billig, dass sich selbst Haushalte mit bescheidenen Einkünften Bücher leisten konnten.13 Das Staatswesen des Osmanischen Reiches des 15. und 16. Jahrhunderts, das sich an Europas östlicher Türschwelle befand, war ebenfalls wesentlich höher entwickelt und kosmopolitischer, als alles, was Machiavelli beschrieb. Und die bei Weitem größte Glaubensgemeinschaft der Welt waren die Moslems, nicht die Christen. Europa galt als unterentwickeltes Hinterland. Viele Weltkarten aus jener Zeit spiegeln diese Auffassung wider. Mit Beginn der Renaissance setzte jedoch ein abrupter Wandel ein. In den folgenden Jahrhunderten schloss Europa zu anderen Zivilisationen auf, überholte sie auf fast allen Gebieten des menschlichen Fortschritts und prägte die grundlegenden Strukturen der Welt, in der wir heute leben. Europa ist sozusagen der engste Verwandte, der bis zur Gegenwart die unmittelbarsten Lektionen bietet.
Natürlich gibt es im Detail viele Unterschiede zwischen den heutigen Ereignissen und den Ereignissen vor 500 Jahren. Bedeuten diese Unterschiede jedoch, dass wir die Lektionen ignorieren sollten, die uns die Vergangenheit über unser eigenes Zeitalter der Blüte von Genie und Gefahr zu vermitteln hat? Das müssen Sie selbst entscheiden. Wir glauben, dass Sie zu derselben Erkenntnis kommen werden:
Wir befinden uns in einer zweiten Renaissance.
1 Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (2014). World Urbanization Prospects: The 2014 Revision Highlights. New York: United Nations.
2 Geenhalgh, Emily (2015). »2014 State of the Climate: Earth’s Surface Temperature.« National Oceanic and Atmospheric Administration. Aufgerufen unter www.climate.gov.
3 Internet Live Stats (2015). »Internet Users.« Aufgerufen unter www.internetlivestats.com/internet-users.
4 Pew Research Center (9. Novvember 2010). »Public Support for Increased Trade, except with South Korea and China. Fewer See Benefits from Free Trade Agreements.« Pew Research Center Global Attitudes and Trends. Aufgerufen unter www.people-press.org.
5 Rasmus, Jack (21. September 2015). »Global Corporate Cash Piles Exceed $ 15 Trillion.« TelesurTV. Aufgerufen unter www.telesurtv.net/english/opinion; Dolan, Mike (2014). »Analysis: Corporate Cash May Not All Flow Back with Recovery.« Reuters. Aufgerufen unter www.reuters.com.
6 Bost, Callie und Lu Wang (6.Oktober 2014). »S&P 500 Companies Spend Almost All Profits on Buybacks.« Bloomberg. Aufgerufen unter www.bloomberg.com.
7 DaVinci, Leonardo (145-1519) (1955). »Chapter XXIX: Precepts of the Painter – of the Error Made by Those Who Practice without Science.« In The Notebooks of Leondardo da Vinci, herausgegeben von E. MacCurdy. New York: George Braziller.
8 Machiavelli, Niccolò (1469-1527) (1940). »Discourses on the First Ten Books of Titus Livius, Third Book, Chapter XLIII: Natives of the Same Country Preserve for All Time the Same Characteristics.« In The Prince and the Discourses, herausgegeben von C. E. Detmold, M. Lerner, L. Ricci und E. Vincent. New York: The Modern Library.
9 Pettersson, Therese und Peter Wallensteen (2015). »Armed Conflicts, 1946-2014.« Journal of Peace Research 52(4): S. 536-550.
10 Huizinga, Johan (1959). »The Problem of the Renaissance.« In Men and Ideas: History, the Middle Ages, the Renaissance (Essays by Johan Huizinga). New York: Meridian Books.
11 Brotton, Jerry (2002). The Renaissance Bazaar: From the Silk Road to Michelangelo. Oxford: Oxford University Press.
12 Hale, J. R. (1985). War and Society in Renaissance Europe, 1450-1620. London: Fontana Press.
13 Asian Art Museum (2015). »The Invention of Woodblock Printing in the Tang (618-906) and Song (960-1279) Dynasties.« Aufgerufen unter education.asianart.org.
Von den außerordentlichen, wenngleich ziemlich natürlichen Umständen meines Lebens, ist der erste und ungewöhnlichste Umstand, dass ich in diesem Jahrhundert geboren wurde, in dem sich uns die ganze Welt geöffnet hat.
Girolamo Cardano (1501–1576)14
Im Jahr 1450 stammte der größte Teil des Wissens Europas über die Welt aus der Bibel. Die Erde war 6000 Jahre alt. Seit der Sintflut waren 4500 Jahre vergangen. Die Völker Europas, Asiens und Afrikas waren Nachkommen der drei Söhne Noahs. Das war allgemein anerkanntes Wissen, das sich oft in Abbildungen der Erde, mappae mundi genannt, widerspiegelte, die Jerusalem ins Zentrum der Welt rückten, den Osten (in dem die Sonne aufging) an die Spitze platzierten und entlang den Rändern alle möglichen Ungeheuer darstellten (siehe Abbildung 2.1).
Abbildung 2.1 Die Welt gemäß der Bibel (um 1300 n. Chr.) Ricardus de Bello (1285). TerrarumOrbis.MitfreundlicherGenehmigungderBodleianLibraries,UniversitätvonOxford.
Die exakteste Karte der weiten Welt, die europäischen Gelehrten damals zugänglich war, stammte von Ptolemäus, einem griechischen Mathematiker aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., dessen kartografische Hauptarbeit, die Geographie, erst kurz zuvor (ungefähr im Jahr 1400) entdeckt worden war (siehe Abbildung 2.2).
Abbildung 2.2. Die Welt nach Ptolemäus (um 150 n. Chr.) Johannes Schott (1520) nach Ptolemäus (2. Jahrhundert n. Chr.). Die bekannte Welt. Straßburg: Ballerman & Sohn. Mit freundlicher Genehmigung der Bodleian Libraries, Universität von Oxford.
Dieser Kartograf hatte eindeutig eine gute Vorstellung vom Mittelmeerraum, Nordafrika, der arabischen Halbinsel und dem Nahen Osten. Jenseits dieser Gebiete und Gewässer nimmt die Genauigkeit seiner Weltkarte jedoch schnell ab. Ptolemäus’ Indischer Ozean (unten rechts) ist von Land umschlossen. Afrika hat keine Südspitze, Indien fehlt die Halbinsel und Asien hat keine Ostküste. Amerika und der Pazifik fehlen ganz. Außerdem ist der Maßstab völlig falsch. Ptolemäus glaubte, seine Karte umspanne fast die Hälfte des gesamten Globus. Tatsächlich deckt sie weniger als ein Fünftel einer Hemisphäre ab.
Im Jahr 1450 verfügte Europa über keinerlei Daten, mit denen sich diese frappierenden Irrtümer hätten korrigieren lassen.* Scheinbar undurchdringliche Grenzen machten es wenig wahrscheinlich, dass Europa je dazu in der Lage sein würde. Im Westen war nur Wasser. Die Gelehrten wussten, genau wie Ptolemäus gewusst hatte, dass die Welt rund sein musste. Das war jedem klar, der an Europas Westküste stand und die leichte Wölbung des Horizonts wahrnahm, oder der versuchte, das Rätsel zu lösen, warum das Segeln eines sich nähernden Schiffes stets vor seinem Rumpf am Horizont erscheint. Aber niemand wusste, welche weiteren Landmassen sich im Unbekannten verbargen, ob es überhaupt welche gab, und wenn ja, ob sie erreichbar waren. Es war buchstäblich kein Ende in Sicht. Die Angst vor hoffnungslosen Entfernungen in Kombination mit dem Glauben an die Wahrheiten der Offenbarung und der griechischen Mythen ließen die meisten Schiffe in bekannten Gewässern verharren.
* Auch hier hinkte Europa anderen Zivilisationen hinterher. Bereits 1402 demonstrierten Weltkarten am Hofe der koreanischen Chosŏn-Dynastie die Kenntnis der afrikanischen Südspitze, die ihren Ursprung wahrscheinlich in Arabien und dem Handel mit China hatte.
Im Osten lauerten deutlichere Gefahren: Europas Vision endete, wo die türkische Macht begann. Die polyethnischen und polyreligiösen Osmanen unter Sultan Mehmed II. eroberten das christliche Konstantinopel im Jahr 1453, tauften es in Istanbul um und beendeten auf diese Weise die Geschichte des einst so mächtigen Römischen Reiches. In den folgenden 100 Jahren vertrieben die militärischen Siege der Osmanen zu Land und zu Wasser die europäischen Mächte (vor allem die Handelsimperien von Venedig und Genua) aus dem östlichen Mittelmeerraum, der gesamten Balkanhalbinsel, dem Gebiet um das Schwarze Meer, der nordafrikanischen Küstenregion und einem Großteil des Nahen Ostens.
Im Jahr 1550 hatte Europa jedoch bereits ein ganz anderes Bild von der Welt. Neue Beweise, die mithilfe der Seefahrt und der Beobachtung gewonnen wurden, konkurrierten mit alten Wahrheiten und machten diese allmählich obsolet. In den Jahren 1487/88 entdeckte der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Dias die Südspitze Afrikas. Zehn Jahre später wurde diese von seinem Landsmann Vasco da Gama umrundet, der anschließend die afrikanische Ostküste entlang segelte, den Indischen Ozean überquerte und im Hafen von Kalkutta (beziehungsweise Kozhikode) einlief, der »Gewürzstadt.« Seine Reise bewies, dass Ptolemäus sich geirrt hatte: Der Indische Ozean war kein Binnenmeer. Diese Neuigkeit bedrohte die Existenz zahlreicher Gemeinden, die sich entlang der Seidenstraße zwischen Asien und Europa gebildet hatten. Die Seidenstraße war eine äußerst lukrative Handelsroute, die auf Grundlage der Überzeugung entstanden war, dass keine Seeroute existierte. Weniger Bedeutung für die Zeitgenossen, aber von großer Bedeutung für die Weltgeschichte war der Umstand, dass Christoph Kolumbus im Jahr 1492 auf seiner Suche nach einer neuen Seeroute nach Asien auf die Insel Hispaniola (heute Haiti und Dominikanische Republik) stieß. Er hatte die Neue Welt entdeckt.*
* Ganz genau, die Karibik; John Cabot, der im Auftrag der Britischen Krone entsandt worden war, entdeckte Nordamerika im Jahr 1497
Die Erfolge dieser Entdecker spornten zu immer gewagteren Expeditionen auf der Suche nach Wahrheit und Schätzen an. Die Portugiesen erforschten weiter ihre Seerouten gen Osten Richtung Asien. Da Gama war zwar nur mit wenigen bedeutsamen Schätzen nach Lissabon zurückgekehrt, aber in den folgenden fünf Jahren machten mehr als ein Dutzend portugiesische Expeditionen, an denen ungefähr 7000 Mann beteiligt waren, die Vorteile deutlich, die seine Entdeckungen gebracht hatten. Ausgerüstet mit Schießpulver eroberten sie 1507 die Meerenge von Hormus (damals wie heute ein Engpass für alle Handelswege durch den Persischen Golf), die westindische Hafenstadt Goa im Jahr 1510 und ein Jahr später Malakka, den wichtigsten Umschlaghafen für Gewürze. 1513 hatten sie die Hafenstädte in Südchina erreicht und hielten ein Beinahe-Monopol über die Handelsroute durch den Indischen Ozean. Im Westen folgte der spanische Eroberer Hernán Cortés den Fußstapfen Kolumbus’, landete 1504 auf Hispaniola und trug dazu bei, Kuba unter spanische Herrschaft zu bringen (1511–1518) und auf dem amerikanischen Kontinent die Azteken zu unterwerfen (1518–1520), die in dem Gebiet des heutigen Mexiko lebten. Abgesehen von ihren reichen Städten besaßen die Azteken einige der fruchtbarsten Äcker der Welt und hatten ein ausgefeiltes Bewässerungssystem entwickelt, um große Mengen Mais, Kürbis und Bohnen anzubauen. In dem Bestreben, beim Entstehen neuer Imperien nicht hinter den anderen europäischen Nationen zurückzubleiben, schickten die Franzosen 1524 Giovanni da Verrazano los, um die Ostküste Nordamerikas zu erobern, und 1534 Jacques Cartier auf seine erste von drei Expeditionen entlang des Sankt-Lorenz-Stroms.
Das weitaus ehrgeizigste Vorhaben unternahm Ferdinand Magellan (1480–1521), der im Jahr 1519 – genau wie vor ihm Kolumbus – auf der Suche nach einem Seeweg nach Asien von Spanien aus Richtung Westen segelte. Er nahm an, dass die Gewässer rund um die Südspitze von Südamerika, genau wie das Kap der Guten Hoffnung, befahrbar seien und er nach ihrer Umsegelung wesentlich schneller zu den Gewürzinseln (Indonesien) gelangen würde, als wenn er Richtung Osten segelte. Er lag halb richtig. Er fand seinen Weg um Kap Hoorn und der Wasserweg wurde nach ihm benannt (Magellanstraße). Außerdem entdeckte er einen neuen Ozean auf der anderen Seite, den er wegen seiner günstigen Winde »Pazifik« (»friedlich«) nannte. Magellan, der seinen Kurs immer noch auf Basis der alten ptolemäischen Annahmen berechnete, hatte die Entfernung auf der Westroute von Spanien nach Asien auf ungefähr 130 Längengrade geschätzt.15 Tatsächlich waren es jedoch 230, und den Unterschied machte Magellans sogenannter Pazifik. Der größte und wildeste »friedliche« Ozean der Welt erstreckt sich über 130 Millionen Quadratkilometer – er bedeckt ein Drittel der Erdoberfläche. Fünf Schiffe mit 237 Mann Besatzung stachen von Spanien aus Richtung Westen in See. Drei Jahre später, die geprägt waren von Hunger, Mord und Totschlag, Aufständen und Schiffbruch, kehrte ein einziges Schiff mit 18 Mann Besatzung zurück und lieferte Europa mit der Weltumrundung den definitiven Beweis über die Größe und Gestalt der Erde.
Die krönende Leistung der Kartografen in diesem Zeitalter der Entdeckungen war die Weltkarte, die Gerard Mercator (1512–1594) im Jahr 1569 veröffentlichte (siehe Abbildung 2.3). Er integrierte Jahrzehnte der Erforschung, Navigation und kartografischen Arbeit in sein Werk, und das Ergebnis ersetzte Ptolemäus Weltkarte als endgültiges Abbild unseres Planeten. Mit einigen Anpassungen – Australien blieb bis ins 17. Jahrhundert unentdeckt – ist seine Weltkarte bis heute die grundlegende Vorlage für unsere Landkarten.
Abbildung 2.3 Die Welt nach Mercator (1569) Rumold Mercator (1569).Nova et Aucta Orbis Terrae Descriptio ad Usum Navigantium Emendate Accommodata. Antwerpen: Plantin Press. Mit freundlicher Genehmigung der Bibliothèque Nationale de France.
Mercators Weltkarte beschränkte sich allerdings nicht darauf, die neuen Daten zusammenzutragen. Sie skizzierte die Grundlagen für eine neue und (in einem überaus frommen Zeitalter) geradezu ketzerische Philosophie: dass sich das Wissen, welches sich durch unmittelbare Beobachtung (das Buch der Natur) gewinnen lässt, durchaus von der Weisheit der Antike und den Offenbarungen der Heiligen Schrift unterscheiden, ja, ihnen sogar widersprechen kann. Dekorative Seeungeheuer, religiöse Ikonen und vage Schnörkel wurden durch eine klare Orientierung, die den Norden zu ihrem Bezugspunkt machte, erkennbare Küstenlinien und präzise Linien, die die Längen- und Breitengerade angaben, ersetzt. Asien und Afrika wurden auf ihre wahren Proportionen zurückgeführt, und Europa, das Ptolemäus am Rand angesiedelt hatte, wurde in Anerkennung seiner neuen Rolle als Dirigent globaler Ströme, in den Mittelpunkt gerückt. Eine neue Welt entstand.
Vor gerade einmal 30 Jahren standen wir vor einer scheinbar ebenso undurchdringlichen Grenze. Sie war kein Weltmeer, sondern ideologischer Natur. Aber sie stellte einen vergleichbaren Wettkampf dar – zwischen der Macht der offiziellen Autoritäten, die »Wahrheit« zu diktieren, und der Macht der eigenen Beobachtung, um Alternativen zu finden.
Wir wussten damals nicht, was wir heute wissen, nämlich dass zu viel zentrale Planung Staaten zu wirtschaftlicher Stagnation und zum Zusammenbruch verurteilen kann. In den 1970er-Jahren schien der Kommunismus eine dauerhafte valide Alternative zum Kapitalismus zu sein, den die demokratischen Staaten praktizierten. Immerhin schien der Kommunismus zu funktionieren. Die kommunistischen Länder erwiesen sich als allgemein in der Lage, in Form von Ernährung, Bildung und staatlicher Gesundheitsfürsorge für grundlegenden Wohlstand zu sorgen. Die Sowjetunion realisierte zudem Quantensprünge in den Wissenschaften und nicht zuletzt der Weltraumerforschung, die unter kapitalistischen Beobachtern Angst und Neid auslösten.
Und so war die Menschheit gespalten – politisch durch den Eisernen Vorhang, physisch durch die Berliner Mauer. Sie bildete zwei Fronten, die einen Wettkampf zwischen zwei antagonistischen, mit Nuklearwaffen ausgerüsteten Weltanschauungen austrugen. Auf der einen Seite befand sich die Erste Welt: Nordamerika, Westeuropa, die Asien-Pazifik-Region und ihre Verbündeten. Auf der anderen Seite stand die Zweite Welt: die Sowjetunion (seit der Bolschewistischen Revolution von 1917), Osteuropa (seit es nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischen Einfluss geriet), China (seit der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949) und andere kommunistische Länder. Die verbleibenden Länder wurden als Dritte Welt bezeichnet. Da viele von ihnen arm waren, wurde der Begriff »Dritte Welt« allmählich gleichbedeutend mit Unterentwicklung im Allgemeinen (heute ist diese Bezeichnungen negativ belegt) (siehe Abbildung 2.4).
Heute ist diese Spaltung beziehungsweise Aufteilung der Welt überholt.
Abbildung 2.4 Die politische Aufteilung der Welt um 1980. Quelle: Center for Systemic Peace (2015). »Polity IV Project, Political Regime Characteristics and Transitions, 1800–2014.« Integrated Network for Societal Conflict Research. Aufgerufen unterwww.systemicpeace.org/inscrdata.html.
In den 1980er-Jahren traten die Missstände der Zentralwirtschaft – archaische Industrien, verzerrte Anreize, gleichgültige Arbeiter – schmerzhaft offen zutage, und selbst die größten Volkswirtschaften der Zentralwirtschaft beugten sich schließlich der ökonomischen Realität. Deng Xiaoping öffnete China und seine Volkswirtschaft, die damals eine Milliarde Menschen umfasste, und begann die Handelsbeziehungen zum Westen zu normalisieren. Und Michail Gorbatschow prägte die Begriffe Perestroika (»Umgestaltung«) und Glasnost (»Offenheit«). Der wirtschaftliche Zusammenbruch einer Reihe von Ländern – von den Philippinen bis Sambia, Mexiko, Polen, Chile, Bangladesch, Ghana, Korea, Marokko und anderen – veranlasste diese zu einer Suche nach einem besseren Wachstumsmodell. Die Handelsbarrieren, die die nationalen Industrien schützen sollten, erwiesen sich langfristig als schädlich: Allein auf Basis des Binnenhandels konnten die heimischen Industrien weder die notwendige Größe noch die Qualität erlangen; auch waren sie nicht wettbewerbsfähig genug, sich außerhalb ihrer zollgepufferten Grenzen zu behaupten. Eine zunehmende Zahl an Ländern kapitulierte unter der Schuldenspirale und einer rasant steigenden Inflation. Sie brauchten Hilfen von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, die im Gegenzug auf der Einführung eines neuen, exportgetriebenen Wirtschaftsmodells bestanden und folgende Maßnahmen forderten: Abbau der Handelsbarrieren, Öffnung der einheimischen Märkte für den Wettbewerb und Auslandsinvestitionen, Schutz des Privateigentums und Ansporn zur Integration in globale Finanz- und Fertigungsketten. In wenig mehr als einem Jahrzehnt traten zusätzliche vier Milliarden Menschen in den Weltmarkt ein.16
Gorbatschow hielt die Ursachen des schlechten Zustands der Sowjetunion für politisch bedingt und verwandelte die Kapitalismuswelle in eine Demokratisierungswelle. Im Jahr 1989 erkämpfte die polnische Solidarność-Bewegung das Recht für die polnischen Bürger, ihre eigene Regierung zu wählen. Innerhalb von zwei Jahren hatten sich Ungarn, Bulgarien und die damalige Tschechoslowakei für eine demokratische Zukunft entschieden und Ostdeutschland hatte die Berliner Mauer eingerissen. Im Dezember 1991 löste sich die Sowjetunion auf, Russland wählte zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Präsidenten (Boris Jelzin) und auf einmal erstreckte sich die Demokratie bis nach Nordasien.
Als der Kalte Krieg endete, begannen die Völker, die sich aus geopolitischen Sicherheitserwägungen auf der einen oder anderen Seiten den autoritären Regeln ihrer jeweiligen Machthaber gebeugt hatten, ihrem Ärger gegen die Konzentration von Macht und Reichtum im eigenen Land Luft zu machen. 1980 wurden die meisten Länder Lateinamerikas von Militärjuntas regiert: Guatemala, El Salvador, Honduras, Panama, Peru, Chile, Paraguay, Bolivien, Brasilien, Argentinien und Surinam. Im Jahr 1993 waren alle diktatorischen Militärregime durch demokratische Revolutionen hinweggefegt. In zwei Dritteln der 46 Länder der Region Subsahara-Afrika übernahmen in derselben Zeit gewählte Volksvertreter die Macht – einschließlich Südafrikas, von dem viele geglaubt hatten, es würde Jahre, wenn nicht Generationen dauern, bis die Apartheid abgeschafft würde. Alles in allem ist die Zahl der formalen Demokratien von 1970 bis heute von einem Drittel auf drei Fünftel der UN-Mitgliedsstaaten gestiegen17 (siehe Abbildung 2.5).
Natürlich gibt es nach wie vor politische Differenzen. Wenn »Demokratie« bedeutet, 1. Mehrheitsregeln, die auf Basis von freien und gerechten Wahlen bestimmt werden, 2. Schutz von Minderheiten, 3. Respekt vor den Grundrechten der Menschen und 4. Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetz, dann leben nur 47 Prozent der Länder oder 48 Prozent der Weltbevölkerung in einer Demokratie.18
Abbildung 2.5 Die politische Welt um 2015. Quelle: Center for Systemic Peace (2015). »Polity IV Project, Political Regime Characteristics and Transitions, 1800–2014.« Integrated Network for Societal Conflict Research. Aufgerufen unterwww.systemicpeace.org/inscrdata.html.
Und in zahlreichen Ländern ist die Demokratie bedroht. Die einst mächtige russische Volkskammer (Duma) ist heute wenig mehr als ein Stempelkissen für Putins politische Agenda. In Lateinamerika, der Türkei, Ungarn, dem Nahen Osten und Nordafrika hat die Pressefreiheit als Folge der Versuche nervöser Regierungen, die verschlechterten Wirtschaftsbedingungen zu verschleiern, erhebliche Rückschläge erlitten. In den entwickelten Demokratien nimmt die Wahlbeteiligung stetig ab und die bürgerlichen Freiheiten werden im Namen der öffentlichen Sicherheit immer weiter beschnitten. (Seit Edward Snowden im Jahr 2013 die Überwachungsaktivitäten der NSA preisgab, wird dieser einst weggeschwiegene Konflikt zwar laut diskutiert, aber nicht beendet.) Auf der anderen Seiten machen die Revolutionen des Arabischen Frühlings, die seit 2010 die arabische Welt erschüttert haben, die Auflösung der Militärjunta von Myanmar im Jahr 2011, die zaghaften politischen Reformen auf Kuba, Hongkongs Regenschirm-Revolution, die für freie Wahlen kämpfte, die Massendemonstrationen von 2014 und sogar die gewandelte Rhetorik der Chinesischen Kommunistischen Partei deutlich, dass ein gewisses Maß an »Demokratie« überall auf der Welt Voraussetzung für »Legitimität« ist.
Im Verlauf der 1990er-Jahre, als sich das Konzept der »Herrschaft des Volkes« ausbreitete, wurde die Wirtschaftsleistung zum Lackmustest für die politische Führung. Die Realpolitik der globalen Sicherheit war für die Wähler kein vorrangiges Thema mehr, nachdem die Bedrohung durch die Sowjetunion und das kommunistische China gebannt waren und prosaische Wohlstandsfragen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten: Beschäftigung, Bildung, Gesundheit und Ernährung, Infrastruktur und Technologie, Währungsstabilität und Umwelt. »Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf«, lautet der berühmte Satz, mit dem Bill Clinton in seiner Wahlkampagne von 1992 auf George H. W. Bush reagierte – den amtierenden Präsidenten, dessen außenpolitische Leistungen zwar unbestritten aber plötzlich irrelevant waren.
Der wachsende globale Konsens, der dem Wirtschaftswachstum höchste Priorität einräumte, überwand zahlreiche politische Differenzen zwischen den Staaten. Die Welthandelsorganisation (WTO), die seit ihrer Gründung im Jahr 1995 ein Symbol für diesen Konsens ist, zählt inzwischen 161 Mitglieder, darunter alle großen Volkswirtschaften der Welt (als letzte große Ökonomie trat Russland 2012 der WTO bei).19 Abgesehen von der gegenseitigen Öffnung unserer Binnenmärkte haben wir mittels der WTO auch unsere internen Regeln und Institutionen neu geordnet und aneinander angepasst. Die Dynamik der globalen Handelsabkommen ist in den vergangenen Jahren allerdings ins Stocken geraten. Finanzielle, soziale und Umweltkrisen haben der Wachstumsrhetorik, die diese Dynamik einst befeuert hat, einen Dämpfer verpasst. Aber fast 20 Jahre der WTO-Verhandlungen und Konfliktbeilegung haben bereits globale Handelsbarrieren abgebaut. In entwickelten Ökonomien liegen die durchschnittlichen Importzölle bei fast null, und derzeitige regionale Freihandelsinitiativen, wie zum Beispiel die Transpazifische Partnerschaft (TPP) zwischen den USA und elf anderen Staaten aus der Pazifikregion sowie die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den USA und der EU zielen auf einen Abbau zahlreicher zollfremder Handelsbarrieren ab.* Regionale Klubs – die EU (1993 umgewidmet), das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA (seit 1994), die Freihandelszone des Verbands Südostasiatischer Nationen – kurz ASEAN (1992) –, der lateinamerikanische MERCOSUR (1991) und die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft SADC (1992) haben die politische und wirtschaftliche Harmonisierung unter engen Nachbarn vertieft.
* Zu den üblichen zollfremden Handelsbarrieren gehört zum Beispiel die unterschiedliche Behandlung ähnlicher Produkte seitens der Regulierungsbehörden der jeweiligen Länder. Zum Beispiel kann ein Großteil des amerikanischen Rindfleisches nicht in die EU verkauft werden, weil viele der wachstumsfördernden Hormone, die von amerikanischen Viehzüchtern verwendet werden, in der EU verboten sind.
Nur ein einziges Land – Nordkorea – lehnt die Vorstellung eines Weltmarktes nach wie vor ab. Doch selbst dort bahnt sich diese Idee ihren Weg. Pjöngjangs Elite trinkt inzwischen rund 2500 Tonnen importierten Kaffee pro Jahr (ausgehend von null im Jahr 1998) und chattet auf 2,5 Millionen Smartphones (ausgehend von null 2009).20 Ausgehend von deutlich unter 50 Prozent im Jahr 1980 ist nun fast die gesamte Weltbevölkerung wirtschaftlich miteinander verknüpft.
Demokratie und Marktwirtschaft haben ihren Eroberungszug um die Welt vollendet.