Digitale Erschöpfung - Markus Albers - E-Book

Digitale Erschöpfung E-Book

Markus Albers

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Beschreibung

Die digitale Arbeitswelt trat mit einem großen Versprechen an: kreativere und zufriedenere Mitarbeiter, produktivere Unternehmen. Tatsächlich sind flexible Arbeitszeiten und Home Office heute oft Standard. Trotzdem sind viele Menschen durch die digitale Lebensverdichtung stärker belastet als je zuvor. Markus Albers, selbst Unternehmer und ursprünglich Verfechter des Neuen Arbeitens, experimentierte deshalb mit Nichterreichbarkeit und Not-to-do-Listen. Mit Führungskräften aus der Wirtschaft entwarf er Wege aus der digitalen Erschöpfung – und das zur rechten Zeit. Denn im Moment wird in den Unternehmen der Rahmen für digitales Arbeiten festgelegt. Ein smarter Wegweiser in Zeiten von Burn-out und Dauerstress.

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Über das Buch

Viele Menschen sind heute stärker belastet als je zuvor und pressen immer mehr Leistung in ihren Tag. Der Weckruf war für den Autor, selbst Unternehmer und ursprünglich Verfechter des Neuen Arbeitens, ein Satz seiner 4-jährigen Tochter: »Starr nicht immer auf dein Handy, Papa!« So ein Vater wollte er nicht sein und begab sich auf die Suche nach dem Weg aus der digitalen Lebensverdichtung. Er experimentierte mit Nichterreichbarkeit, dem Dumbphone und Not-to-do-Listen. Zusammen mit Führungskräften aus der Wirtschaft entwarf er Wege aus der digitalen Erschöpfung – und das gerade zur rechten Zeit. Denn im Moment wird in den Unternehmen der Rahmen für digitales Arbeiten festgelegt.

Hanser E-Book

Markus Albers

Digitale Erschöpfung

Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen

Carl Hanser Verlag

Inhalt

INTRO

Der Schmerz

IRRWEGE

Wie konnte es so weit kommen?

Neue Arbeit – Fluch oder Segen?

Die Forderungen der New-Work-Apologeten

7.30 Uhr: Die exponentielle Gefahr

9 Uhr: Die Großraum-Falle

11 Uhr: Die Lehre der zwei Kalender

13 Uhr: Die Tage mal Kaffee trinken?

14 Uhr: Der Fluch des Kollaborierens

15 Uhr: Weshalb die digitalen Werkzeuge alles nur schlimmer machen

16.30 Uhr: Ein schöner Tag

21 Uhr: Warum sind alle immer so beschäftigt?

23.30 Uhr: Verdammt, wieso bin ich immer noch online?

4.30 Uhr: BITTE! LASS! MICH! SCHLAFEN!

Zweieinhalb Wochen später: Das permanente Unerledigtsein

AUSWEGE

Langsamer werden

Geräte abschalten

Komplexität reduzieren

Technik gezielt einsetzen

Automatisieren und Nein sagen

Prioritäten setzen und durchsetzen

Arbeit klüger organisieren

Unternehmen vorsichtig verändern

Zusammenarbeit neu denken

Nicht so viel auf Berater hören

Das Büro anders gestalten

Introspektion bei der Arbeit verteidigen

Auf die Zukunft setzen

Menschlichkeit bewahren

OUTRO

Was ich beim Schreiben dieses Buches gelernt habe

Dank

Literatur

Register

Bis vor einigen Jahren bekam ich etwa 350 E-Mails pro Tag, was eine erschöpfende, zeitfressende tägliche Aufgabe für mich darstellte, über die ich ordentlich schimpfte. Heute hat sich diese Zahl dank Social Media und Messaging-Diensten um mehr als die Hälfte reduziert. Aber die Situation hat sich insgesamt verschlimmert. Dieser Tage erreichen mich Nachrichten aus so vielen Richtungen, dass das unglaublich ablenkend ist und schwieriger zu bewältigen.

WALT MOSSBERG

Was für eine Leistung ist inzwischen ein Moment der Ruhe, was für ein kleines Wunder, einschlafen oder uns in Ruhe mit einem Freund unterhalten zu können – und was für eine mönchische Disziplin erfordert es, uns vom Mahlstrom der Nachrichten abzuwenden und einen Tag lang nur dem Regen und unseren eigenen Gedanken zu lauschen.

ALAIN DE BOTTON

Je mächtiger und origineller das Denken, desto mehr wird es sich zur Religion der Einsamkeit hingezogen fühlen.

ALDOUS HUXLEY

Intro

Der Schmerz

Vielleicht fing es damit an, dass meine Tochter Milla mich immer öfter so komisch anschaute. Neugierig, aber auch leicht abschätzig, als wüsste sie schon, was als Nächstes kommt. Und ich das Handy dann natürlich in der Tasche ließ. Weil ich ihr die Genugtuung nicht gönnte, recht zu haben. Machtspielchen mit einer Vierjährigen.

Und wenn sich Milla dann wieder ihrem Malbuch zuwandte oder der Schaukel auf dem Spielplatz, dann holte ich das Smartphone natürlich sofort aus der Tasche, schnell, unauffällig, nur ein kurzer Blick auf Hüfthöhe. Nur mal eben checken, dass nicht doch noch ein Kunde geschrieben hat. Dass die Kollegen auch wirklich die Präsentation rausgeschickt haben. Rauskriegen, warum vorhin eine SMS an meinem Hosenbein summte.

Und natürlich gab es jedes Mal etwas, das meine Aufmerksamkeit erforderte. Meist gar nicht die Information, wegen der ich geschaut hatte, sondern eine ganz andere Neuigkeit, Anfrage, Problemmeldung. Auf die ich nur kurz antworten musste. Oder die Terminverschiebung bestätigen. Wegen der ich mal eben schnell eine Nummer nachschauen und rüberschicken sollte. Oder flott das Dokument überfliegen, bevor es – ja, noch heute, Deadline drängt – an den Kunden ging.

So wanderte das Handy langsam höher, aus Hüfthöhe zur Brust, dann Richtung Kinn. Ich mit zwei Daumen tippend, die Augen hektisch zwischen Bildschirm und Kind hin und her flickernd. Komm schon, hab’s gleich, Mist, vertippt, so, jetzt aber, raus das Ding, Moment, richtige Mail-Adresse? Lieber noch mal nachschauen …

Und zack: Hatte sie mich wieder erwischt. Schaute hoch vom Malen oder über die Schulter von der Schaukel. Ertappte mich in flagranti mit dem leuchtenden Bildschirm vor der Nase, die Daumen schuldbewusst über der Tastatur eingefroren. Und dann kam dieser Satz, den Milla am Anfang noch im Spaß sagte, über den wir beide gelacht hatten. Der aber inzwischen jeden Tag kam, mehrmals am Tag, der nicht mehr neckend klang, sondern verletzt:

»Starr nicht immer auf dein Handy, Papa!«

Und ich wand mich erst (»Hab’s gleich«, »Kleinen Moment noch«), wurde weinerlich (»Tut mir ja leid, ich will ja auch viel lieber mit dir spielen«, »So, jetzt, ach …«), dann aggressiv (»Verdammt noch mal, Papa muss eben auch manchmal arbeiten«, »Stell dich nicht so an, bin doch gleich wieder bei dir«). Derweil der Cursor des E-Mail-Programms im Augenwinkel lockend blinkte: Tipp weiter! Du bist noch nicht fertig! Deine Kollegen warten!

Das Smartphone gewann jedes Mal. Ich schrieb die Mail zu Ende, die SMS oder die WhatsApp-Nachricht. Milla war beleidigt oder traurig oder irgendwann abgestumpft – so genau konnte ich das auf die Entfernung nicht sagen, und da kam ja auch schon wieder ein Anruf vom Co-Geschäftsführer …

Vielleicht fing es auch damit an, dass ich mich nicht mehr nur in Restaurants auf die Toilette verabschiedete, um ungestört E-Mails zu checken, sondern auch zu Hause. Was meine Lebensgefährtin schnell durchschaute, weshalb ich seitdem mit Kontrollrufen durch die Badezimmertür leben muss (»Was machst du da so lange?«), selbst wenn ich mich nur rasiere oder … Sie wissen schon.

Oder vielleicht fing es damit an, dass wir in unserem Unternehmen entschieden, etwas gegen die E-Mail-Flut tun zu wollen, weshalb wir eine sogenannte digitale Kollaborationsplattform anschafften, also eine im Web-Browser und als App auf dem Smartphone laufende Software, die es erlaubt, den Stand von Projekten zu kontrollieren, Dokumente zur Freigabe zu schicken und gezielt mit allen an einem Projekt beteiligten Kollegen zu kommunizieren. Klang großartig. Keine Mails mit Kopien an alle mehr. Keine Versions-Verwirrung mehr, weil Dokumente als Anhang verschickt werden. Und ich könnte endlich von überall aus auf alle relevanten Informationen zugreifen, ohne dafür am Schreibtisch sitzen zu müssen.

Spätestens der letzte Teil hätte mich misstrauisch machen müssen.

Am Tag der Einführung des neuen Tools bekam ich tatsächlich etwas weniger E-Mails als sonst. Dafür machte es alle fünf Minuten »Ping«, weil jemand mir über die neue Plattform ein Dokument zur Prüfung zugeteilt hatte. Oder die Änderung an einem Dokument. Oder den Kommentar eines dritten Kollegen zur Änderung. Oder den Kommentar zum Kommentar … Sie ahnen, was ich meine. Als ich mich an diesem Abend mit dem Fahrrad auf den Heimweg machte, hatte ich bereits erste Zweifel, ob dieses zusätzliche Stück Technologie unsere durch Technik verursachen Probleme würde lösen können.

Als ich zu Hause ankam, hatte ich 22 neue Benachrichtigungen auf meinem Handy. Die Fahrt dauert 14 Minuten.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Dies ist kein Buch über Handysucht. Auch keines über E-Mail-Terror. Oder über die Schrecken des Digitalen. Zu all dem gibt es bereits Bücher, und die meisten sind meiner Meinung nach Unsinn. Sie behandeln Symptome, als wären sie Ursachen. Sie geben Werkzeugen die Schuld an den Fehlern ihrer Benutzer. Und sie beschwören eine vermeintlich bessere vordigitale Zeit, als wir alle glücklicher waren, unverstellter kommuniziert haben, ausgeglichenere Kinder großzogen, besser lernten und produktiver arbeiteten. Ich glaube, dass das so nicht stimmt, dass die Verklärung des Vergangenen uns noch nie weitergebracht hat und dass es – kurz gesagt – auch zu spät ist: Die Digitalisierung aller Bereiche unseres Lebens hat gerade erst angefangen. Sie wird nicht wieder weggehen.

Es geht also nicht darum, misanthropisch zu meckern. Oder nostalgisch zurückzuschauen.

Es geht aber sehr wohl darum, uns zu fragen, ob wir mit der Art und Weise, wie wir mit unserer entfesselten, digitalisierten, verflüssigten und in jede Ritze unserer Existenz eindringenden Arbeitswelt richtig umgehen. Meine feste Überzeugung: Wir haben keine Ahnung. Wir basteln herum wie kleine Kinder, die zum ersten Mal einen Lego-Baukasten ausprobieren. Manche Steine sehen schön aus, andere sind unverständlich. Einige passen direkt zusammen, andere nicht. Wir puzzeln und stecken, und ein paar Sachen machen Klick. Aber erst wenn wir – meist gemeinsam mit Spielkameraden – erkennen, dass diese Teile, nach bestimmten Regeln kombiniert, genau das tun, was wir wollen, schaffen wir es, aus ihnen etwas Großes, Zusammenhängendes zu konstruieren. Mit dem wir dann ganz neue Spiele spielen können. Und das Verständnis dieser Mechanik befähigt uns dann, unendlich viele weitere Dinge, Fantasien, ganze Welten zu schaffen.

Ich weiß schon, das klingt jetzt alles ein bisschen abstrakt und ein bisschen pathetisch. Aber schenken Sie mir ein wenig Vertrauen, es wird gleich konkreter.

Für mich läuft es auf eine Frage hinaus, die dann doch ganz einfach ist: Wie verbinde ich die Liebe zum Job mit der Liebe zu meiner Familie? Wie meinen Optimismus, dass wissenschaftlicher Erkenntniszuwachs, technologischer Fortschritt und die ordnende Kraft freier Märkte unser Leben letztlich besser machen werden, mit der Beobachtung, dass wir gerade jetzt ein ziemlich miserables Leben führen? Kurz: Wie schaffen wir es, an dieser historischen Weichenstellung, an der sich entscheidet, wohin wir den Einfluss der Technisierung der Arbeitswelt auf unser restliches Leben steuern wollen, nicht die falsche Abbiegung zu nehmen?

Denn eines ist klar: So, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.

Irrwege

Wie konnte es so weit kommen?

Als ich im Jahr 2008 mein Buch Morgen komm ich später rein veröffentlichte, war die Arbeitswelt reif für eine Revolution. Privat setzten wir moderne Technik ein, um Dinge gemeinsam mit Menschen zu machen, ohne mit ihnen am selben Ort zu sein: Wir mailten und chatteten, skypten und schrieben gemeinsam an Texten in Google-Docs. Nur bei der Arbeit war das nicht angekommen. Da mussten wir morgens in ein Büro fahren, den ganzen Tag am Schreibtisch ausharren und durften nicht gehen, ehe nicht auch der Chef das Licht ausgemacht hatte. Gegen diese Präsenzkultur, diesen altmodischen Schreibtischzwang schrieb ich an – und rannte bei vielen offene Türen ein: Universitäten und Unternehmen luden mich ein, meine Thesen vorzustellen. Ich hielt Keynotes auf Kongressen, debattierte in Ministerien und Thinktanks. Bis heute gebe ich nahezu wöchentlich Interviews zum Thema, halte Vorträge oder sitze in Diskussionsrunden.

Diese schöne neue Arbeitswelt, in der auch Festangestellte arbeiten konnten, wann und wo sie wollten, war schon damals nicht nur eine Vision, es gab erste ermutigende Beispiele, dass das ging. Und es ging sogar ziemlich gut: Unternehmen waren produktiver, Mitarbeiter kreativer und zufriedener. Ich war sicher – das ist die Zukunft, und die Zukunft wird besser als das Heute. Aber viele meiner Zuhörer waren skeptisch: War das nicht nur ein Hype aus den USA, der lediglich Technologie-Start-ups betraf? Wollten die Menschen das überhaupt? Konnte jeder so eigenverantwortlich arbeiten? Und was war mit all jenen Jobs, die man eben nicht von unterwegs oder aus dem Homeoffice erledigen konnte?

Gute Einwände, die ich alle gern diskutierte, und trotzdem war ich sicher: Die Entwicklung hin zu einer zeitlich und räumlich dramatisch flexibleren Arbeitswelt würde kommen. Sie würde eine einmalige Emanzipation des Individuums von den Zwängen des Nine-to-five-Arbeitstages bringen. Und sie würde unser Verständnis von Job, Sicherheit, Lebensplanung und Glück auf den Kopf stellen. Immer mehr gerade junge Menschen werden sich sagen: Wenn es den geregelten Arbeitstag, den eigenen Schreibtisch und die sichere Festanstellung eh nicht mehr gibt – warum mache ich dann nicht gleich mein eigenes Ding? Mache mich selbstständig, folge meinen Leidenschaften? Was wiederum mithilfe moderner Technik so einfach und risikolos geworden war wie noch nie zuvor, wie ich in meinem zweiten Buch Meconomy argumentierte, das wiederum auf erhebliches Medienecho stieß.

Schnell fand ich mich unter Gleichgesinnten wieder: Unternehmensberater und Coaches, Büroplaner und IT-Experten, die eines einte: die Überzeugung, dass die Arbeitswelt sich gerade radikal wandelt und damit auch unser Leben. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis der Widerstand nachließ. Es gab Rückschläge, zum Beispiel als Marissa Meyer bei Yahoo auf einen Schlag das Homeoffice abschaffte und alle zurück ins Büro beorderte. Oder als Best Buy – eines der interessantesten Beispiele – seine sogenannte »Results Only Work Environment« – also eine nur an den Ergebnissen, nicht an Präsenzpflicht orientierte Arbeitsumgebung – beendete, weil sie dem neuen CEO nicht gefiel.

Aber die Tendenz war klar: Im Jahr 2000 boten nur 4 Prozent aller deutschen Unternehmen mobiles und flexibles Arbeiten an, 2006 waren es schon 18,5 Prozent, 2012 dann 60 Prozent. Mittlerweile ist die Zahl der mobilen Mitarbeiter hierzulande größer als die der stationären: 54 Prozent der Berufstätigen in Deutschland arbeiten laut einer aktuellen Studie »teilweise oder ausschließlich« mobil. Sie erledigen ihre Arbeit von wechselnden Orten aus oder auf Reisen und nutzen dabei Laptops (97 Prozent), Smartphones (93 Prozent) oder Tablets (62 Prozent). Das bedeutet im Umkehrschluss: Nur noch 46 Prozent der Beschäftigten sitzen ausschließlich an einem stationären Arbeitsplatz. Heute wünschen sich 62 Prozent der Deutschen, regelmäßig von zu Hause aus arbeiten zu dürfen. Und für 90 Prozent der Beschäftigten ist bei der Arbeitgeberwahl familienfreundliche Flexibilität ebenso wichtig wie das Gehalt.

Neues Arbeiten ist inzwischen also Mainstream: Zuletzt verkündeten gleich mehrere große deutsche Konzerne, dass sie voll auf diesen Trend setzen. Bosch rief den sogenannten Next Generation Workplace ins Leben und rüstet sich damit nicht zuletzt in IT-Anwendungen für die Zukunft. Die Unternehmensgruppe will in den kommenden Jahren rund 800 Millionen Euro in das Projekt investieren. Das Ziel ist es, bestens vernetzte Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen – im Zentrum steht darum vor allem Kollaborationssoftware, die eine Reduktion des E-Mail-Aufkommens und eine noch einfachere Kommunikation zwischen den Mitarbeitern ermöglichen soll. Im Kern geht es der Unternehmensgruppe, die die Robert Bosch GmbH und ihre rund 440 Tochter- und Regionalgesellschaften in rund 60 Ländern umfasst, um die Beseitigung von Hürden für mobiles und effizientes Arbeiten. »Unsere Mitarbeiter müssen von jedem Standort der Welt aus einfach zusammenarbeiten können – innerhalb und außerhalb des Büros«, sagt Elmar Pritsch, IT-Chef von Bosch.

Ungefähr zur gleichen Zeit verkündete Henkel-Chef Kasper Rorsted, der kurz danach zu Adidas wechselte, in der FAZ, dass er der Anwesenheitspflicht im Büro nicht viel abgewinnen könne. »Mir ist egal, wo meine Leute arbeiten, Hauptsache, die Leistung stimmt.« Von ihm aus könnten seine Mitarbeiter auch »zwischendurch ins Fitnessstudio gehen und mir hinterher die Finanzanalyse schicken«. Die Präsenzkultur werde aussterben, so Rorsted. Anwesenheit am Arbeitsplatz sei keine Qualifikation und kein Leistungsausweis. Die Digitalisierung werde das endgültig beenden. Er selbst sei 200 Tage pro Jahr unterwegs, nur mit Koffer und Smartphone. Generell wollten junge Leute freier entscheiden, wann und wo sie arbeiteten. »Als ich neulich eine 27-jährige Frau eingestellt habe, hat die gesagt, ich arbeite gern zehn Stunden oder auch mal mehr«, so Rorsted. Sie wolle aber entscheiden können, wo sie wann sitze.

Siemens-Personalchefin Janina Kugel (mehr zu ihr im Kapitel »Unternehmen vorsichtig verändern«, Seite 164) gab derweil zu Protokoll, die Anforderungen in der modernen Berufswelt wüchsen, aber dafür gebe es auch deutlich mehr Flexibilität. »Nehmen wir mal die Büroarbeit. Da gab es früher starre Anwesenheitszeiten für alle. Heute kann ich selbst als Vorstandsmitglied relativ zeitig Feierabend machen, meine Kinder ins Bett bringen und danach noch mal E-Mails bearbeiten. Das ist doch ein echter Gewinn.« Klassische Karrieresymbole wie das eigene Eckbüro mit möglichst vielen Fenstern verlören derweil an Bedeutung.

Ungefähr zur gleichen Zeit veröffentlichte das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IFW) eine Studie, nach der Unternehmen, die ihren Beschäftigten mehr Wahlmöglichkeiten bei Arbeitszeit und -ort lassen, innovativer sind als die Konkurrenz. Eine um 11 bis 14 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, bessere Arbeitsergebnisse zu erzielen, haben laut IFW diejenigen Unternehmen, die auf die sogenannte Vertrauensarbeitszeit setzen, bei der die Anwesenheit im Büro nicht mehr kontrolliert wird. Microsoft Deutschland ging noch einen Schritt weiter und führte als erstes Unternehmen hierzulande per Betriebsvereinbarung auch noch den Vertrauensarbeitsort ein. Nun können Microsoftler tatsächlich offiziell arbeiten, wann und wo sie wollen … Hauptsache, die Arbeit wird gemacht.

»Was bei Beratungsfirmen oder im IT- und Medienbereich schon gang und gäbe ist, erfasst nun die großen traditionellen Arbeitgeber der Republik«, kommentiert das Handelsblatt: »Ein mächtiger Ruck quer durch alle Branchen ist zu beobachten.« Bei BMW gilt seit Anfang 2014 die neue Vereinbarung »Flexibel arbeiten, bewusst abschalten: Mobilarbeit bei BMW«, die auf eine optimale Balance zwischen Büro- und Mobilarbeit zielt. »Damit möchten wir unseren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, nicht nur ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten, sondern auch den Arbeitsort frei zu wählen«, so Milagros Caiña Carreiro-Andree, Vorständin der BMW-Gruppe für Personal- und Sozialwesen. Am Ende zähle das Ergebnis, und nicht wann und wo es erbracht wurde.

Die Lufthansa wiederum testet gerade ein Pilotprojekt namens »LH New Workspace« – eine Kombination aus neuartigem Bürokonzept, Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice-Option. Eine Revolution für die Airline, in der über Jahrzehnte Anwesenheitspflicht herrschte. Und die Otto Group lud mich ein, ihre digitale Transformation hin zu mehr Transparenz und Flexibilität als Berater auf Vorstandsebene zu begleiten. Auch bei Daimler ist das Thema Chefsache: Der Konzern will sein altes Arbeitskonzept komplett umwerfen und es den Wünschen seiner Mitarbeiter anpassen. Das Unternehmen fragte über 80.000 seiner Mitarbeiter aus Verwaltung und Entwicklung: »Wie wollt ihr in Zukunft arbeiten?« Und die antworteten mit einer Mehrheit von über 80 Prozent: »Wir wollen räumliche und zeitliche Autonomie.« Als Konsequenz will der Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche nun »alles auf den Prüfstand stellen« – Firmenhierarchien, Meetingkultur und Leistungsbewertung. Daimler-Angestellte sollen in Zukunft dort arbeiten dürfen, wo sie möchten – zu Hause auf der Couch, mit den Füßen in einem See oder im Lieblingscafé.

Und auch die Politik hat das Thema entdeckt: »Viele Beschäftigte sind offen für Flexibilität«, sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und startete einen »Arbeitszeitdialog« mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und Kirchen.

Die Schlacht scheint also gewonnen. Nur: Wieso freue ich mich dann nicht? Warum habe ich dieses nagende Gefühl, dass etwas nicht stimmt? Wieso beschleicht mich die Angst, einen riesigen Fehler gemacht zu haben? Mit dafür verantwortlich zu sein, dass die Welt nicht besser, sondern schlechter wird? Dass die Menschen nicht selbstbestimmter und glücklicher sind, sondern gestresster, getriebener … und irgendwie: erschöpfter?

Laut dem Digital Work Report 2016 des Unternehmens Wrike ist fast jeder zweite Deutsche demnach vom Multitasking überfordert (47 Prozent). 40 Prozent der Befragten klagen über zu viele E-Mails, 35 Prozent über zu viele ineffiziente Meetings. Auf die Frage, ob die Arbeitsbelastung im Vergleich zum Vorjahr zugenommen hätte, antwortete ein Viertel der Befragten, dass sie »signifikant zugenommen« habe, für 47 Prozent ist sie immerhin »leicht angestiegen«.

In einer Studie für das Arbeitsministerium fanden die Experten von Nextpractice vor Kurzem heraus, dass mobile Arbeit nicht nur mit Selbstbestimmung, sondern auch mit Leistungsdruck und sozialer Kälte verbunden wird. Die Forscher identifizierten sieben »Wertewelten« unter Arbeitnehmern – und diese sehen das Thema teils stark unterschiedlich. Während die Gruppen »Engagiert Höchstleistungen erzielen«, »Sich in der Arbeit selbst verwirklichen« und »Balance zwischen Arbeit und Leben finden« flexible Arbeitsmodelle ausgesprochen positiv betrachten, sehen die Gruppen »Sorgenfrei von der Arbeit leben können« und »Sinn außerhalb seiner Arbeit suchen« diese deutlich kritischer.

Ähnlich sieht es bei der Digitalisierung der Arbeit aus. Diese wird von einem Teil der Befragten als Hilfsmittel am Arbeitsplatz betrachtet, während andere eine mit ihr einhergehende Entgrenzung der Arbeitswelt hinein ins Private und entsprechenden Druck befürchten. Die einen freuen sich über höhere Arbeitseffizienz und positiven Stress, die anderen kritisieren zunehmenden Druck und Stress durch eine voranschreitende Rationalisierung der Arbeit. Einig sind sich die Befragten aller Wertewelten darin, dass ein massiver qualitativer Umschwung in der Arbeitswelt stattgefunden hat, in dessen Folge die Arbeit einen größeren Stellenwert im Leben eingenommen hat – auf Kosten von Hobbys und Privatleben. Über alle Wertewelten hinweg herrscht die Einschätzung vor, dass der Höhepunkt hier bereits erreicht wurde. Da dürften die Befragten sich irren, fürchte ich, denn die Entwicklung hat vielleicht erst begonnen.

Auch Ingrid Schmidt, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, schlug in einem Interview mit dem SpiegelAlarm. Die Arbeitsorganisation werde sich komplett verändern, aber: »Die Arbeit muss ja gemacht werden, und kein Mensch ist 24 Stunden am Tag leistungsfähig. Einfach abends zwischen 18 und 24 Uhr arbeiten und tagsüber Kinder versorgen, geht nicht. Die Versuchung zur Selbstausbeutung ist riesig. Es gibt menschliche Grundbedürfnisse, die bei aller Digitalisierung mitbeachtet werden müssen.« Arbeitgeber könnten nicht einfach anordnen, »dass ein Mitarbeiter mal eben um drei Uhr nachts mit den USA telefonieren und dann morgens um neun Uhr wieder im Büro sein soll. Bei aller Notwendigkeit von Flexibilisierung: Der Mensch hat ein Ruhebedürfnis, und man kann ihn nicht wie eine Maschine behandeln.«

In Frankreich reagierte inzwischen sogar der Gesetzgeber: Ein neues Arbeitsgesetz, das zum Januar 2017 in Kraft trat, verpflichtet Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten, Regelungen in Kraft zu setzen, die das Einsickern von Arbeit ins Privatleben reduzieren. Arbeitsministerin Myriam El Khomri hatte schon 2015 eine Studie in Auftrag gegeben, die vor den gesundheitlichen Folgen eines – wie sie das nannte – Info-Übergewichts warnt: Immer mehr Franzosen, so belegte die Untersuchung, kommen nicht von ihrer Arbeit los, auch dann, wenn sie gar nicht am Arbeitsplatz sind. Der französische Arbeitsrechtler Patrick Thiebart hält die Einmischung der Politik hier für richtig und notwendig, denn die digitale Überlastung von Arbeitnehmern führe bereits zu medizinischen Problemen: »Wenn ein Mitarbeiter das ganze Wochenende über E-Mails bekommt und auch nachts bis 23 Uhr, dann wird das nach einiger Zeit natürlich negative Folgen für seine Gesundheit haben.«

Die Unternehmensberatung Deloitte analysiert in einer aktuellen Studie, dass, obwohl wir privat Social Media lieben, diese sich bei der Arbeit wie eine lästige Mühsal anfühlten. »Unsere Untersuchungen zeigen, dass Stress, Schlafmangel und die permanente Notwendigkeit, fokussiert zu bleiben, Arbeit schwerer denn je macht.« Grund sei vor allem die Schwerfälligkeit vieler Unternehmen, sich organisatorisch, strukturell, in Sachen Zielsetzungen und Leistungsmanagement auf die neue digitale Zeit einzustellen.

Es mehren sich also die Zeichen, dass das emanzipatorische Potenzial des Digitalen im Alltag an seine Grenzen stößt. Die Hoffnung vieler Menschen, dass Technologie uns ein besseres Leben ermöglichen kann, weicht zusehends der Ernüchterung. In der Populärkultur gewinnen Dystopien an Konjunktur: Im viel gelesenen Roman The Circle karikiert der US-amerikanische Autor Dave Eggers eine Arbeitswelt, in der die Protagonistin permanent über diverse digitale Kanäle mit der Firma und den Kollegen verbunden sein muss, will sie nicht als Außenseiterin gelten. Und die hochgelobte britische Science-Fiction-Fernsehserie Black Mirror zeichnet ein ums andere Mal das düstere Bild einer Gesellschaft, in der der Einzelne nur noch technologisch vermittelt zu seinen Mitmenschen in Beziehung zu treten vermag.

Insofern ist die Digitale Erschöpfung, von der hier die Rede sein soll, eine doppelte. Gemeint ist sowohl die konkrete, individuelle Erschöpfung, die das Always-On des Digitalen in uns Menschen auslöst. Aber ebenso die abstrakte, begriffliche eines sich erschöpfenden Heilsversprechens.

In diesem Buch werde ich versuchen, praktische Wege aufzuzeigen, wie wir es schaffen können, trotz der unumkehrbaren Digitalisierung unserer Arbeitswelt – und in der Folge unseres gesamten Lebens – dennoch Inseln der Autonomie, der Introspektion und des unverstellten menschlichen Miteinanders zurückzuerobern. Wie Unternehmen sicherstellen können, dass mehr Technik auch wirklich zu mehr Zufriedenheit, Kreativität und Produktivität der Mitarbeiter führt. Wie Familien die allgegenwärtigen Gadgets sinnvoll steuern und ihren Kindern beibringen können, klug damit umzugehen. Ob und in welchem Umfang Politik und Tarifparteien regulierend eingreifen sollten. Und wie wir als Gesellschaft unseren Werterahmen so aussteuern, dass wir bei allem Fortschritt unsere Menschlichkeit bewahren.

Neue Arbeit – Fluch oder Segen?

Das eigentliche Versprechen der Neuen Arbeit war es nie, Technik um ihrer selbst willen einzusetzen. Es ging darum, mit neuen, intelligenteren Arbeitsweisen effizienter zu sein. Dann zu arbeiten, wenn man am produktivsten ist. Zwischendurch private Dinge erledigen zu können und so die Arbeit von acht oder neun Stunden in fünf zu erledigen. Das geht, davon bin ich fest überzeugt, das habe ich oft genug selbst ausprobiert. Die spannende Frage ist ja nur, was wir mit den gewonnenen drei bis vier Stunden machen sollen? Nach meiner Theorie: Alles, bloß nicht arbeiten!

Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Wir quetschen immer Leistung und Ergebnisse in unseren Tag, stehen ständig unter Strom, schalten nie ab. »Arbeitsverdichtung« nennen Experten das. Klingt harmlos, ist es aber nicht. Schon weil die Arbeit längt auch unser Privatleben erreicht hat. »Lebensverdichtung« wäre ein passenderer Begriff. Die Manie, To-do-Listen abzuarbeiten, wird zum Mantra.

Einige Zahlen: 84 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer sind erreichbar, nachdem sie das Büro verlassen haben. 46 Prozent geben an, keine 5-Tage-Woche zu haben, sondern auch abends und an den Wochenenden zu arbeiten. Die Deutschen leisten durchschnittlich rund drei Überstunden pro Woche, und nicht einmal die Hälfte dieser Überstunden wird bezahlt. Tendenz steigend. Zudem ist die Mehrheit der Beschäftigten auch während des Sommerurlaubs für Kollegen, Vorgesetzte und Kunden erreichbar. 67 Prozent antworten auf dienstliche Anrufe, E-Mails oder Kurznachrichten, so eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. 20 Prozent arbeiten mit ihrem Smartphone, Tablet oder Computer, kurz bevor sie schlafen gehen.

Kein Wunder also, dass Krankenkassen Alarm schlagen. Über 50 Prozent aller von ihnen Befragten haben regelmäßig Schlafprobleme, 13 Prozent sogar jede Nacht. Die Zahl der Fälle von psychischen Erkrankungen, die wohl auf Stress zurückzuführen sind, stieg seit 1994 um 120 Prozent. Durch psychische Erkrankungen verursachte Fehlzeiten erhöhten sich in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent. »Flexibilität braucht klare Schranken«, mahnt der geschäftsführende Vorstand des AOK-Verbands, Uwe Deh. Ein frommer Wunsch – der Trend geht in die andere Richtung: Mehr als zwölf Prozent der Vollerwerbstätigen arbeiten über 48 Stunden pro Woche – also mehr als gesetzlich erlaubt, bei den Selbstständigen sind es sogar 53 Prozent. »Der 24/7-Wahnsinn verschleißt unsere Gesundheit und vernichtet unsere Lebenszeit«, urteilt die Zeit. Dabei seien es ausgerechnet die alternativen Arbeitszeitmodelle, die zu maximaler Ausbeutung führten. All das kostet nicht zuletzt eine Menge Geld: Die wirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf 225 Milliarden Euro pro Jahr – eine Zahl, die weiter steigen wird.

Deutsche Arbeitgeber und Gewerkschaften streiten sich derweil nicht nur um die Lösung des Problems, sondern über die Frage, ob es überhaupt eines gibt. Politiker scheinen unsicher, auf welche der beiden Seiten sie sich schlagen sollen. So fordern Gewerkschaften schon seit Längerem eine sogenannte Anti-Stress-Verordnung. Diese soll verhindern, dass Angestellte mehr als acht Stunden täglich arbeiten und während der Freizeit berufliche E-Mails erledigen müssen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte die Forderung unterstützt und gesagt, es gebe einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme an psychischen Erkrankungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erteilte dem Gesetz aber vorerst eine Absage. Die Arbeitgeber dürfte das gefreut haben. Sie wollen, dass betriebliche Schutzmaßnahmen freiwillig bleiben. Dass Arbeitsstress die Ursache für psychische Krankheiten sein soll, bezeichnete Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, VBW, gegenüber der Süddeutschen Zeitung als »platte Behauptung«. Krankheitsursache sei nicht der Stress am Arbeitsplatz, sondern die »Stresssumme«: »Wenn man morgens ins Fitnessstudio hetzt, danach im Stau steht und abends noch einkauft, entsteht chronischer Stress.« Zu Stressfaktoren zählt er die ständige Erreichbarkeit nicht nur für den Arbeitgeber, sondern auch für Familie und Freunde. Ob aus chronischem Stress letztlich eine Krankheit erwachse, hänge auch von genetischen Bedingungen und Kindheitstraumata ab.

Zwar ist eine knappe Mehrheit der Deutschen für eine solche Anti-Stress-Verordnung, so das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK. 52 Prozent der Befragten sprechen sich für eine rechtlich verbindliche Regelung gegen Arbeitsstress aus, vier von zehn Deutschen lehnen sie ab. Doch konkrete Regelungen dürften schwierig sein, wie das Personalmagazin Haufe analysiert. Bereits bei der ersten Diskussion des Themas äußerte sich der damalige Staatssekretär im BMAS, Gerd Hoofe, skeptisch zu gesetzlichen Plänen. »Regulierungen sind kein Allheilmittel«, sagte Hoofe damals im Interview mit dem Personalmagazin. Er warnte mit Blick auf die damaligen Verordnungsentwürfe davor, »Allgemeinplätze in eine Verordnung« zu schreiben: »Das Versprechen, mit verbindlichen Anforderungen mehr Handlungsdruck auszuüben, wird nicht wirklich eingelöst.« Zudem gebe es bei psychischer Gesundheit keine eindeutigen Grenzwerte wie zum Beispiel für Lärm und Gefahrstoffe.

Die Partei Die Linke polemisiert, die Bundesregierung verweigere auf Druck der Arbeitgeber jede Aktivität. »Wir brauchen dringend gesetzliche Leitplanken, um die Beschäftigten vor zu hoher Arbeitsbelastung und ausufernden Arbeitszeiten zu schützen«, so der Linke-Abgeordnete und ehemalige Gewerkschafter Klaus Ernst. »Ein erster Schritt wäre die Reduzierung der Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden. Darüber hinaus brauchen wir einen wirksamen Schutz der Beschäftigten vor ständiger Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit und mehr Einfluss der Beschäftigten auf das zu leistende Arbeitsvolumen.«

Derweil drängen die Arbeitgeber in die entgegengesetzte Richtung. Weil nach Rechnung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mittlerweile zwei Drittel aller Beschäftigten einen digitalisierten Arbeitsplatz haben, fordert ihr Präsident Ingo Kramer eine Deregulierung des Arbeitszeitgesetzes, vor allem der sogenannten Mindestruhezeit von elf Stunden: »Es sollte möglich sein, auch einmal über zehn Stunden hinaus zu arbeiten und den Ausgleich hierfür an anderen Tagen zu nehmen«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Das Arbeitszeitgesetz schreibt den Acht-Stunden-Tag vor, lässt aber schon jetzt viele Ausnahmen zu. Der Arbeitgeberpräsident fordert stattdessen, das Arbeitszeitrecht von einer Tageshöchstarbeit auf eine Wochenarbeitszeit umzustellen. »Es geht nicht darum, die Arbeitszeiten pauschal zu verlängern, sondern flexibler auf die Wochentage verteilen zu können«, sagt er. Für den Linken-Politiker Ernst will die Arbeitgeberlobby damit »das Arbeitszeitgesetz schleifen und notwendige Ruhezeiten verkürzen. Das ist ein direkter Angriff auf die Gesundheit der Beschäftigten.«

Für die BDA ist die Initiative hingegen logische Konsequenz aus der zunehmenden Digitalisierung. »Arbeitszeitflexibilität räumt Unternehmen die im globalen Wettbewerb erforderliche zeitliche Beweglichkeit ein und sichert damit Arbeitsplätze. Sie stärkt die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben und macht einen Arbeitsplatz vor allem für Fachkräfte attraktiv«, frohlockt der Arbeitgeberverband in einer Stellungnahme auf seiner Website: »Diese Chancen dürfen nicht durch eine Diskussion um ›ständige Erreichbarkeit‹ gefährdet werden. Niemand muss ständig erreichbar sein. Ein ausreichender Schutz vor tatsächlicher Inanspruchnahme ist durch die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes gewährleistet.« Ob das so stimmt, ist mindestens umstritten.

Denn wir sprechen keineswegs nur von einem deutschen Phänomen. So berichtete beispielsweise der britische Guardian kürzlich, dass in Großbritannien geschätzte zehn Millionen Arbeitstage aufgrund von Stressbelastung verloren gehen. Um vor allem die viel zitierte Work-Life-Balance besser auszutarieren – also die Kunst, berufliche und private Anforderungen unter einen Hut zu bekommen –, setzen auch in Großbritannien viele Unternehmen sowie die Regierung auf flexible und mobile Arbeitsmodelle.

Mediziner fürchten jedoch zunehmend, dass gerade diese den Stress nur vergrößern. Ohne feste Kernarbeitszeiten arbeiten die Menschen ständig ein bisschen: Jede E-Mail und jeder Anruf, die wir außerhalb unserer Arbeitszeit beantworten, erhöhen laut Psychologen den Stresslevel. Das Problem wird zunehmend allgegenwärtig: Laut einer aktuellen Studie verbringen Erwachsene schon heute mehr Zeit mit Technologie als schlafend im Bett. Und die alte Präsenzkultur, in der jeder so lange im Büro bleiben musste wie seine Kollegen, wurde abgelöst durch eine neue, erbarmungslosere: Jeder glaubt, er müsse online genauso regelmäßig und lange erreichbar sein wie sein Team, seine Kunden, seine Vorgesetzten. Laut einer groß angelegten Metastudie, für die über 600.000 Erwerbstätige in Europa, den USA und Australien untersucht wurden, erhöhen überlange Arbeitszeiten das Schlaganfallrisiko um ein Drittel.

In Vorträgen erzähle ich gern, dass ich zwei kleine Töchter habe. Und dass, wenn die beiden in vielleicht 15 Jahren ins Berufsleben eintreten werden, sie mich bestimmt fragen: »Papa, was war eigentlich dieser Feierabend?« Das gibt meist einen Schmunzler, zumindest aber besorgt gerunzelte Augenbrauen im Publikum. Aber ich meine das ernst: Konzepte wie der regelmäßige Weg zur Arbeit, der Nine-to-five-Tag, das Büro als Ort, wo Aktenschränke und Kopierer stehen – oder eben der für alle gleiche und verbindliche Feierabend mit all den kulturellen Konnotationen, die daran hängen –, werden dann nur noch Nostalgie sein. Ich habe das immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesehen, habe die Vorteile der Selbstbestimmtheit betont. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Vielleicht ist der Feierabend gar nicht altmodisch, sondern im Gegenteil hochmodern. Vielleicht brauchen wir ihn dringend zurück. Vielleicht lohnt es sich, für ihn zu kämpfen.

Das Thema betrifft mich auch persönlich: Ich habe 2010 ein Unternehmen gegründet, das inzwischen 25 Mitarbeiter hat. Wir versuchen, viele Ideen der Neuen Arbeit umzusetzen: Möchte jemand »morgen später reinkommen«, weil er Handwerker im Haus hat, oder früher gehen, um das Kind von der Kita abzuholen, ist das bei uns kein Problem. Zwischendurch mal einen Tag Homeoffice? Klar! Damit wir alle unterwegs arbeitsfähig sind, haben wir in moderne Technik investiert: Alle Workflows sind digitalisiert. Dank Web-basierter Kollaborationsplattform kann ich vom Handy aus alle relevanten Dokumente aufrufen, können meine Mitarbeiter mir Dinge zur Freigabe schicken, unterhalten wir uns über einzelne Aufgaben direkt auf der Projektmanagement-Ebene und schicken in der Folge dramatisch weniger E-Mails. Das ist alles fein, genau so soll modernes Arbeiten gehen. Ich bin im Zug, am Flughafen oder im Restaurant genauso produktiv wie im Büro.

Der Nachteil: Ich kann überall und immer arbeiten, also tue ich das auch. Weil die Kollegen mein Feedback brauchen. Weil sich die Kernarbeitszeit auch bei unseren Kunden so weit aufgelöst hat, dass der eine morgens um acht telefonieren will und der andere abends um neun. Aber auch, weil es eine Sucht ist. Der ständige Kick, dass auf dem Smartphone meine Entscheidung gefragt ist oder ein neues Produkt angeschaut werden kann, scheint unwiderstehlich. Dass meine Tochter mehrmals täglich sagt »Papa, starr nicht immer auf dein Handy«, ist inzwischen nicht mehr lustig gemeint. Ich leide darunter. So ein Vater will ich nicht sein, und so ein Mensch auch nicht. Aber: Hier swipe ich, ich kann nicht anders.

Die Zukunft der Arbeit ist schon da – aber ist sie ein riesiger Fehler? Noch vor wenigen Jahren wurde diskutiert, ob mobile und flexible Arbeitsmodelle auch für Festangestellte eine Modeerscheinung sind, ein Phänomen aus dem Silicon Valley, das hierzulande höchstens Technologieunternehmen adaptieren. Das Bild hat sich radikal gewandelt:

Die Frage, ob die neue Arbeitswelt kommt, ist eindeutig beantwortet: Ja, sie kommt.

Die Frage, die sich Unternehmen jetzt stellen, ist: Wie kommt sie? Was müssen wir tun, damit wir mitspielen können?

Die Frage, die wir uns alle stellen müssten, lautet: Wollen wir das wirklich? Wie können wir die Entwicklung so gestalten, dass unser Leben, wie wir es kennen, nicht fundamentalen Schaden nimmt?

Und zwar nicht nur das Arbeitsleben, denn wenn alles Arbeit wird, bleibt auch im Privaten nichts, wie es ist. Wir sehen das in Ansätzen schon heute: Es gibt keinen Feierabend mehr. Wir schalten nie ab. Wir arbeiten immer und überall. Arbeit sickert nicht nur zunehmend in alle Lebensbereiche ein – sie wird das Leben.

Jeder kennt das: dieses ständige Gefühl des Gehetztseins. Nie fertig zu werden. Immer alles nur ›gerade so‹ hinzubekommen. Nie mal abschalten zu können. Keine Zeit für sich zu haben, fürs Nachdenken, Träumen. Für Genuss, Zweisamkeit, Familie. Denn da ist immer schon die nächste E-Mail, die nächste Telko, der nächste Punkt auf der To-do-Liste, die nächste Deadline. Wir funktionieren als Teil dieser Kommunikations- und Effizienzmaschine – aber leben wir? Steuern wir noch die Maschinen und die Algorithmen, oder steuern sie uns bereits?

Es ist eine schmerzhafte, aber nicht von der Hand zu weisende Erkenntnis: Die technologisch getriebene Arbeitsrevolution, die uns von Anwesenheitspflicht und Schreibtischzwang befreien und uns mehr Selbstbestimmung, mehr Freiheit und Lebensqualität bringen sollte – sie versklavt uns nun auch jenseits des Büros.

Das hat drei Gründe:

Ökonomisch/arbeitsorganisatorisch: Unternehmen müssen verstehen, dass sie nicht das Neue einführen und das Alte trotzdem beibehalten können. Wenn Arbeitgeber erwarten, dass ihre Mitarbeiter noch mal den Rechner aufklappen, wenn die Kinder im Bett sind, und am Wochenende Mails beantworten, dann können sie nicht gleichzeitig verlangen, dass sie am nächsten Morgen wieder um 9 im Büro sind und bis 18 Uhr bleiben. Die Versuche, das Thema mit Regeln einzugrenzen, wirken bislang gestrig und naiv: Wenn bei Volkswagen abends die E-Mail-Server ausgehen, mailen die Mitarbeiter eben vom Privat-Account weiter. Wenn Daimler alle im Urlaub eingegangenen Nachrichten automatisch in den Papierkorb des E-Mail-Programms verschiebt, dann sagen selbst die Teilnehmer eines vom Autor geleiteten Führungskräfte-Seminars, dass sie das keineswegs entspannter macht, im Gegenteil.

Menschlich/psychologisch: Wir erleben gerade einen massiven Kulturwandel. Es gibt neue Werkzeuge, mit denen wir über Raum und Zeit hinweg mit anderen kommunizieren und zusammenarbeiten können. Uns fehlen aber die Absprachen, wie wir mit ihnen umgehen wollen. Wir haben schlicht nicht genug Zeit, Konventionen zu entwickeln. Denn die digitale Transformation schreitet nicht langsam fort, sie reißt uns förmlich mit sich. Während Angestellte in großen Unternehmen noch darüber diskutieren, wie viele Empfänger man bei E-Mails CC: nehmen sollte, kaufen ihre Chefs bei Technologieanbietern digitale Kollaborationsplattformen, mit denen man von überall Dokumente austauschen, Projekte managen und sich über die Arbeit unterhalten kann. Die, gerade weil sie so praktisch und allgegenwärtig sind, ihre global vernetzten Tentakel noch fester um unser Privatleben schlingen. (Zwei der populärsten, Basecamp und Slack, tragen übrigens inzwischen dem Problem Rechnung, indem sie Nutzern die Möglichkeit bieten, die ständige Flut an Benachrichtigungen zeitweise auch mal auszuschalten. Bei Slack heißt dieses neue Feature ganz prosaisch »Bitte nicht stören!«, bei Basecamp hat es den sprechenden Titel »Die Arbeit kann warten«.)

Gesellschaftlich/politisch: Der Gesetzgeber hinkt der Debatte permanent hinterher. Während das Arbeitsministerium versucht, sich dem Thema unter dem Stichwort Arbeiten 4.0 mit live ins Netz übertragenen Diskussionsrunden und Positionspapieren voller Buzzwords wohlwollend zu nähern, während Gesetzesinitiativen gegen Arbeitsstress versanden und die Arbeitgeberlobby zugleich am Arbeitszeitgesetz sägt, schafft die ökonomische Macht des Faktischen in Form neuer IT und Arbeitsabsprachen in Unternehmen ständig neue Tatsachen (wie die Betriebsvereinbarung zum Vertrauensarbeitsort bei Microsoft Deutschland, dank der Mitarbeiter ganz offiziell von überall arbeiten dürfen). Die Frage ist ja: Welche Weichen müssen jetzt – auch in politischer Regulierung und gesellschaftlichen Werten – gestellt werden, damit die nächste Generation nicht in einer Welt aufwächst, die so keiner wollte. Die einfach passiert ist.

Neulich habe ich wieder einmal einen Vortrag zum Thema Neue Arbeit gehalten. Am Ende gibt es immer eine Diskussionsrunde, und die meisten Fragen habe ich schon hundertmal gehört, spule die Antworten freundlich, aber routiniert ab. Diesmal stand ein Herr auf, räusperte sich und sagte: »Herr Albers, das ist ja alles schön und gut, nur: Wird es die Menschen eigentlich glücklicher machen?« Früher hätte ich ausgeholt, von Selbstverwirklichung und Flow, Kontrolle über die eigene Zeit und der Macht des Self Branding gesprochen. Dieses Mal bekam ich eine Weile kein Wort heraus und murmelte dann nur: »Ehrlich? Ich weiß es nicht.« Der Raum war still. Die Veranstaltung zu Ende. Die Gäste schauten mich etwas betreten an. Und ich wusste: Ich muss die Antwort finden.

Die Forderungen der New-Work-Apologeten

Nun haben Sie sicher schon gemerkt, dass ich kein Maschinenstürmer bin. Kein Technikfeind, kein Fortschrittsverhinderer. Im Gegenteil. Ich glaube, dass die meisten Forderungen, die das Neue Arbeiten mit sich bringt, aus guten Gründen postuliert werden, und dass die Veränderungen, die das mit sich bringt, im Kern positiv sind. Nur nicht immer in der Umsetzung. Um das zu verstehen, muss man sich anschauen, worum es hier überhaupt geht.

Was ist dieses Neue Arbeiten eigentlich genau und was konkret wollen seine Befürworter? Die stammen übrigens aus ganz verschiedenen Lagern: Unternehmensberater versprechen dadurch mehr Effizienz. IT-Konzerne wollen die entsprechende Hard- und Software verkaufen. Architekten hoffen auf lukrative Büro-Neu- und -Umbauten. Coaches und Berater verkaufen Schulungen und Change-Management-Programme. Politiker erkennen im Neuen Arbeiten einen unumkehrbaren Trend, der reguliert werden muss. Manager wollen damit schlichtweg moderner arbeiten, produktiver und effizienter. Personalabteilungen hoffen, die Attraktivität der Arbeitgebermarke zu stärken. Unternehmer und Vorstände sehen sie als notwendigen Teil der überall stattfindenden digitalen Transformation, die zu implementieren ihre Kernaufgabe ist. All diese Interessengruppen haben sich in letzter Zeit auf einen Kern von Glaubenssätzen geeinigt, die noch vor wenigen Jahren in Deutschland durchaus umstritten waren, heute aber als Common Sense gelten dürfen. Um zu verstehen, warum aus einer gut gemeinten Bewegung derzeit so viel Negatives entsteht, muss man zunächst einmal begreifen, worin eigentlich genau dieses Neue Arbeiten besteht.

An erster Stelle steht die Forderung, dass Mitarbeiter überall arbeiten können und dürfen sollten – nicht nur im Büro. Um das zu gewährleisten, müssen alle Arbeitsprozesse im Unternehmen digitalisiert werden und jeder muss von extern auf diese digitalen Daten zugreifen können. Das bedeutet dann zugleich, dass die Rolle des Büros sich ändert: Es ist nicht mehr der Ort, an dem ich alle meine Arbeitswerkzeuge finde – die habe ich immer bei mir. Ich gehe nicht mehr ins Büro, um auf einen Bildschirm zu schauen – das kann ich von überall –, sondern um mich punktuell mit meinen Kollegen persönlich auszutauschen und gemeinsam kreativ zu sein. Sodass danach jeder wieder seiner Wege gehen kann. Das neue Büro braucht ein neues Design: weniger Einzelräume, mehr Fläche, also Großraum. Mehr Orte für zufällige Begegnungen, auch Serendipity genannt. Unterschiedlich gestaltete Bereiche für unterschiedliche Arbeitssituationen. Und oft auch Desk-Sharing, also: kein eigener Schreibtisch mehr. Damit die Teams arbeitsfähig bleiben, auch wenn sie sich nicht jeden Tag persönlich treffen, brauchen sie zeitgemäße Kommunikationstools: digitale Kollaborationsplattformen und Projektmanagement-Software, Filesharing-Tools, firmeninterne Social Networks, Meeting-Software (idealerweise mit Video- und Screensharing-Funktion).

Dieses neue System muss von oben gelebt werden. Sprich: Der Manager/Abteilungsleiter/Chef muss raus aus dem Eckbüro und in die Fläche. Muss den Desktop-Rechner gegen den Laptop tauschen. Ist – statt sich hinter dem Vorzimmer zu verschanzen – jederzeit ansprechbar. Allgemein bedeutet dieser Wandel für Führungskräfte, dass sie lernen müssen, loszulassen und zu vertrauen. Chefs, die ihre Schäfchen permanent sehen müssen, um auch zu glauben, dass sie arbeiten, sind in der neuen Arbeitswelt fehl am Platz.

Treiber dieser Entwicklung sind nicht nur die neuen technologischen Möglichkeiten und die jungen Arbeitskräfte der Generationen Y und Z, die selbstverständlich digitale Werkzeuge erwarten sowie die damit einhergehende Flexibilität, Transparenz und Selbstbestimmtheit. Der dritte Treiber ist ein arbeitsorganisatorischer: Immer mehr Unternehmen erkennen, dass Zeit als Messgröße von Leistung aus der Industriegesellschaft stammt: Wer seine Zeit an der Maschine abgeleistet hat, hatte seine Arbeit getan. Heute, in der Wissensgesellschaft, ist Arbeitszeit keine gute Orientierung mehr – auch wenn jemand acht Stunden vor dem Rechner gesessen hat, weiß man nicht genau, was er dabei geleistet hat. Unternehmen gehen darum – wo möglich – immer mehr dazu über, Leistung in Ergebnissen zu messen. Wann und wo diese erzielt werden, ist dem Arbeitgeber egal. In Deutschland entstand aus dieser Einsicht die Betriebsvereinbarung der sogenannten Vertrauensarbeitszeit, einige Unternehmen haben auch bereits den Vertrauensarbeitsort eingeführt.