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Zwischen 70.000 und 80.000 Stunden im Leben verbringt der Durchschnittsmensch am Schreibtisch. Mitten in der Wissensgesellschaft arbeiten wir mit Strukturen aus der Industriegesellschaft: Abgesessene Kernarbeitszeit und exzessive Überstunden gelten als Beweis für echtes Engagement. Der volkswirtschaftliche Verlust durch Langeweile und Ineffizienz im Job ist enorm. Die Lösung dieses Dilemmas liegt in einer menschenfreundlicheren, flexiblen und mobilen Arbeitsauffassung – nenn wir sie Easy Economy. Machen Sie aus Ihrer Festanstellung eine Freianstellung! Wir werden es erleben – das Ende des Büros, wie wir es kennen.
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Seitenzahl: 365
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Für mehr Freiheit in der Festanstellung
Markus Albers ist Politologe und Journalist. Er lebt als freier Autor in Berlin und berichtet für die Zeitschriften brand eins und Monocle aus aller Welt. Zuvor schrieb er für stern und SPIEGEL, das SZ-Magazin sowie die Welt am Sonntag. Er ist Managing Partner der Agentur Rethink. Seine eigene Arbeitsbiografie wechselte stets zwischen festen und freien Beschäftigungen, das Thema seines Buches ist damit auch ein Lebensthema.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig.
Copyright © 2013 Markus Albers, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
www.markusalbers.com
Umschlaggestaltung: Hißmann, Heilmann, Hamburg
Umschlagmotiv: © Getty Images (Vorderseite), Brandon Harman (Rückseite)
Herstellung und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-5562-1
»Es ist verrückt, die Dinge immer gleich zu machen und dabei auf bessere Ergebnisse zu hoffen.«
Albert Einstein, Physiker und Nobelpreisträger, 1879-1955
Wie wir in Zukunft arbeiten und leben werden, wissen wir nicht mit Bestimmtheit, dazu gibt es zu viele Wildcards in der Entwicklung. Aber dass wir ganz anders leben und arbeiten werden, das ist sicher. In jedem Fall haben alle Veränderungen das Potenzial zum Besseren, können dazu beitragen, dass wir Unliebsames hinter uns lassen und positive Energien freisetzen. Und es gibt viel zu verbessern in unserer Arbeitswelt. Zu viele Zwänge hindern uns daran, wirklich produktiv zu sein. Zu viele unnötige Erschwernisse und Verwaltungsprozesse hindern uns daran, uns auf das wirklich Wichtige, das Wertschöpfende, zu konzentrieren. Zu viel Zeit verbringen wir vielleicht auf dem Weg zur Arbeit, zu selten können wir die Anforderungen der Arbeit mit den Bedürfnissen des Privaten in Einklang bringen, zu selten gelingt es uns vielleicht, eine echte Work-Life-Balance zu schaffen. Und auch der Stress bei der Arbeit scheint zuzunehmen, psychische Beanspruchungen und Burnout sind häufig die Folge.
Es gibt also gute Gründe sich mit der Entwicklung unserer Arbeit näher auseinanderzusetzen, sich zu fragen, wie es zukünftig gehen kann, wie wir Arbeit so weiterentwickeln, dass wir Lust darauf haben, dass wir Befriedigung darin finden und dass wir insgesamt als Wirtschaft davon profitieren, damit wir weiter erfolgreich sind im globalen Spiel der Kräfte.
Die Arbeitswelt befindet sich gerade im Prozess der Transformation der vierten industriellen Revolution: Nach der Einführung der Schreibmaschine und der industriellen Mechanisierung (1.), dann des Kopierers, des Telefons und der Steuerungstechnik (2.), anschließend der Entwicklung des Internets mit Email und Video-Kommunikation (3.), sind wir jetzt im Übergang zur vierten Revolution begriffen, mit Social Media, Echtzeitpräsenz, Cloud Services und mobilem Arbeiten, dem Internet der Dinge und Cyber-Physical Systems. Damit wird sich Leben und Arbeiten radikal verändern.
Die damit verbundenen neuen Möglichkeiten der Technologie kommen zusammen mit einem sich schnell transformierenden System gesellschaftlichen Zusammenlebens. Verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen tragen dazu bei, dass die Menschen nach einer neuen Balance zwischen Arbeit und Freizeit suchen. Familien werden kleiner, Single-Haushalte nehmen zu, beide Eltern arbeiten begleitend zur Erziehung, immer ältere Menschen müssen von Angehörigen und Freunden mit versorgt und betreut werden, Haustiere wollen Gassi gehen. Und immer mehr Menschen haben es satt, täglich Stunden für den Weg zur Arbeit zu vergeuden. Es gibt also viele gute Gründe für eine neue Work-Life-Balance, für mehr Flexibilität in der Wahl des Arbeitsortes, der Arbeitszeit und auch der Arbeitsprozesse. Zukünftig wird dann der Wohnort eher in Übereinstimmung mit dem Lebensstil und individuellen Vorlieben gewählt als in Hinblick auf den Standort des Arbeitgebers. Es wird zukünftig verstärkt multilokal zu Hause, im Büro, in dezentralen Co-Working-Centern oder unterwegs gearbeitet.
Eine höhere Anspruchshaltung der Beschäftigten einerseits bedarf dann auf der anderen Seite aber auch mehr Selbstverantwortung, mehr Selbststeuerung und mehr Engagement seitens der Beschäftigten. Und es kommt noch etwas hinzu: Junge Menschen, wir nennen die gerade ins Arbeitsleben einsteigende Generation gerne Gen Y, leben den digitalen Lifestyle. Sie wurden mit dem Internet sozialisiert, sie denken in diesen digitalen und mobilen Kategorien. Es ist leicht abzusehen, dass deren digitaler Lifestyle der Work-Life-Style der nächsten Jahrzehnte werden wird.
Unter dem Titel „Morgen komm’ ich später rein“ skizziert der Autor Markus Albers in diesem Buch eine Vision von „mehr Freiheit in der Festanstellung“. Er beschreibt in anschaulicher Weise - garniert mit vielen Zitaten, Gesprächsnotizen, Studienergebnissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Prognosen – wo wir heute stehen und welcher Weg zur „Easy Economy“ führen kann, ja führen wird. Er nimmt die Effizienzkiller in der tradierten Bürowelt unter die Lupe, identifiziert das Schreibtisch-Paradoxon und untersucht die Potenziale der lange schon thematisierten Telearbeit. In einer Reflexion zur Entwicklung des Büros wie wir es heute kennen. wird deutlich, wie teilweise längst überholte Arbeitsparadigmen heute immer noch in den Büros von Unternehmen und Verwaltungen sichtbar sind.
Mit dem Ansatz der „Easy Economy“ skizziert der Autor eine zukünftige Arbeitswelt, die durch große Freiheiten, Chancen und Möglichkeiten sowie durch Kreativität und Motivation der Menschen gekennzeichnet ist. Er zeigt anschaulich an konkreten Beispielen aus dem internationalen Kontext was heute schon möglich ist, was fortschrittliche Unternehmen heute schon umgesetzt haben und wie sie in Zukunft agieren und sich weiterentwickeln werden. Er zeigt also nicht nur Theorien und Visionen auf, sondern auch mögliche Wege sowie Chancen und Risiken ihrer Umsetzung.
Besonders beachtenswert ist dabei auch die Reflexion zu den möglichen Wirkungen moderner Arbeitskonzepte in der „Easy Economy“ auf den in der Zukunft immer härter werdenden „War for Talents“. Einer der entscheidenden Faktoren für eine positive Weiterentwicklung unserer Wirtschaft und von Unternehmen wird es sein, wie gut das Recruitment hoch und höchst qualifizierter Mitarbeiter funktioniert und wie attraktiv die Beschäftigungsbedingungen der Unternehmen sind. Die Kreativität und Motivation der Wissensarbeiter wird über Erfolg und Misserfolg ganz wesentlich mitentscheiden.
Mindestens genauso interessant und wichtig ist die Auseinandersetzung mit den Wirkungen und Folgen der Entwicklung von Arbeit auf die globalen Probleme in der Energieversorgung und für den Klimawandel. Es scheint schier unvermeidbar, dass wir unser arbeitskontextbezogenes Mobilitätsverhalten auch unter diesen Gesichtspunkten nachhaltig verändern und in eine neue Richtung lenken. Neue Möglichkeiten der Telekooperation und der digitalen Zusammenarbeit lassen es zukünftig möglich erscheinen, dass der Reiseaufwand tatsächlich erheblich zurückgehen und die regelmäßige und oft unnötige Fahrt zur Arbeit teilweise vermieden werden könnte.
Die Zukunft der Arbeit ist nie da, sie liegt immer vor uns. Es ist also ein Weg zu beschreiten zu einer „Easy Economy“, ein Weg der mit nachhaltigen Änderungen in der Arbeit verbunden sein wird. Die im Buch skizzierten Entwicklungen sind nachhaltig und unumkehrbar, sie werden sich evolutionär vollziehen und nicht revolutionär. Obwohl: In der Retrospektive betrachtet werden wir dann doch von einer Revolution der Arbeit sprechen.
Nicht alles was wir uns ausdenken, wird auch genauso eintreten. Aber vieles wird dann doch so kommen wie wir es denken, auch weil wir es denken. Insofern ist es mehr als sinnvoll, nachzudenken, querzudenken, vorauszudenken. Denken Sie mit!
Prof. Dr. Wilhelm Bauer
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Stuttgart
»If it's not fun, why do it?«
Firmenmotto Ben&Jerry’s
Achtung - das nun Folgende geht Sie wahrscheinlich etwas an: Wenn Sie jeden Tag ins Büro fahren. Wenn Sie acht, neun, oder mehr Stunden am Schreibtisch verbringen. Wenn Sie dieser Zustand nervt. Weil Sie das Gefühl haben, das richtige Leben da draußen nur durchs Fenster ihres Arbeitsplatzes mitzuerleben, als passiver Zuschauer. Weil Sie nie genügend Zeit haben für Familie, Freunde, Hobbys oder auch nur den Einkauf. Weil Sie sich fragen: Muss das so sein?
Dann wird Sie interessieren, dass Sie womöglich einer aussterbenden Spezies angehören: der Gattung des Bürosklaven. Dass sie Opfer eines Lebens- und Arbeitsstils sind, den es eigentlich gar nicht mehr geben müsste. Es wird Sie interessieren, dass das strenge Korsett des Berufsalltages, in das Sie sich täglich zwängen - der ermüdende Weg zur Arbeit, das monotone Absitzen bis zum Feierabend, die immer gleiche Routine, die den Großteil ihrer wachen Lebenszeit auffrisst - dass all das schon heute irrsinnig altmodisch ist. Wir arbeiten - mitten in der Wissensgesellschaft - mit Strukturen, Abläufen und Vorurteilen aus der Zeit der Industriegesellschaft. Trotz angeblich virtueller Arbeitsplätze, digitalem Nomadismus und fragmentierten Jobbiografien wollen Vorgesetzte ihre Mitarbeiter immer noch den ganzen Tag sehen, gelten abgesessene Kernarbeitszeit als Leistungsnachweis und exzessive Überstunden als Trophäe der Engagierten.
Noch bedeutet der Job für die meisten Menschen gerade hierzulande täglichen Trott von neun bis sieben. Das muss sich ändern. Durch die altmodische Anwesenheitspflicht wird zum Beispiel eine erfolgreiche Verbindung von Berufstätigkeit und Familie fast unmöglich. Mit teuren Tagesmüttern und einem permanent schlechten Gewissen erkaufen sich junge erfolgreiche Eltern heute den Nachwuchs-Wunsch. Doch Kollegen belächeln insgeheim Mütter und Väter, die mal wieder früher Feierabend machen und die meisten Vorgesetzten nehmen noch immer niemanden ernst, der nicht bereit ist, im Ernstfall 12-Stunden-Schichten zu knechten. So wird Elternschaft zum ständigen Stressfaktor und oft genug sind es dann doch wieder gut ausgebildete Frauen, die entnervt ihre Karriere aufgeben - menschlich gesehen traurig, volkswirtschaftlich ein Wahnsinn.
Es wird dringend Zeit, damit aufzuhören. Sagen Sie dem Bürotrott auf Wiedersehen. Sie sind - ehrlich gesagt - schon ziemlich spät dran: Unternehmen auf der ganzen Welt lassen ihre Mitarbeiter neuerdings arbeiten wann, wo und wie sie wollen. Egal, in welcher Branche und in nahezu jeder Position. Bisher waren Festangestellte oft neidisch auf Freiberufler: Kontrolle über die eigene Zeiteinteilung, Arbeiten von zu Hause oder gar am Strand in Shorts und T-Shirt, ausgeschlafene Vormittage im Ausgleich für durchgearbeitete Nächte - derartige Annehmlichkeiten schienen bislang das Privileg der Selbstständigen zu sein. Doch genau das ändert sich nun. Wir erleben die fundamentale Neudefinition eines der mächtigsten Ordnungsmuster unseres Lebens - des Arbeitstages im Büro. Wir stehen vor einer grundlegenden Umwälzung der Art, wie Arbeit und Produktivität organisiert werden. Die gute Nachricht: Sie bringt Festangestellten ein Maß an Freiheit und Selbstbestimmung, wie es bisher nur Freiberufler kannten. Die schlechte Nachricht: Niemand bekommt diese Freiheit geschenkt - Sie müssen sie sich nehmen.
Gehen Sie tagsüber ins Kino oder shoppen. Spielen Sie mit ihren Kindern, stellen die Waschmaschine an oder machen ein Nickerchen. Integrieren Sie Ihre Hobbys, persönlichen Interessen und Ihre Freunde in Ihren Tagesablauf, der bislang nur vom Berufsleben geprägt war. Und machen Sie dabei keine Abstriche im Job, was Leistung, Zuverlässigkeit und Karriere angeht. Im Gegenteil: Begegnen Sie Kollegen und Vorgesetzten produktiver, gelassener und souveräner.
Wenn Sie selbst Manager oder Unternehmer sind, zeigt Ihnen dieses Buch, wie sie eine höhere Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit, eine geringere Krankheits- und Kündigungsrate und deutlich reduzierte Kosten für Immobilien und Infrastruktur erreichen. Wie Sie in der globalisierten 24-Stunden-Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben, Kreativität und Innovation stimulieren und die besten Talente an Ihr Unternehmen binden - indem Sie sich und Ihren Mitarbeitern Freiheit und Flexibilität einräumen.
Wie das gehen soll?
Dieses Buch kann Ihnen helfen, einen neuen pragmatischen Weg zu finden, wie Sie diese Prinzipien in Ihrem Unternehmen und auf Ihren Beruf anwenden können. Egal, ob Sie ein Angestellter sind oder in der Führungsetage sitzen. Es wird Ihnen konkrete Beispiele zeigen. Es wird Menschen zu Wort kommen lassen, die diese neue Art zu arbeiten bereits verwirklicht haben. Chefs, die damit die Produktivität steigern. Mitarbeiter, die endlich eine bessere Balance zwischen Beruf und Freizeit erreicht haben. Wissenschaftler, die erklären, warum so die Zukunft der Arbeit aussehen wird. Wir sind die erste Generation, die diese dramatische gesellschaftliche Umwälzung erlebt: eine Revolution der Art und Weise, wie wir unser Leben um unseren Job herum organisieren. Wir stehen vor dem Tod einer Institution, die unseren Vätern und Müttern Sicherheit, Struktur und Lebenssinn gab und ihren Tagesablauf ordnete. Die gleichzeitig einen allumfassenden Zeitterror ausübte, das Denken prägte und allem Sein ihren Stempel aufdrückte. Wir werden es erleben: das Ende des Büros, wie wir es kennen.
Dieses Buch birgt ein Versprechen. Es lautet: Sie müssen nicht so weitermachen wie bisher. Und dieses Buch möchte eine Vision vermitteln. Dass wir dank moderner Technik und eines Wandels gesellschaftlicher Werte freier und selbstbestimmter arbeiten werden als die Generation unserer Eltern. Dass wir endlich Beruf und Freizeit auf eine Weise vereinen können, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Und dass wir so vielleicht - ganz automatisch - zu glücklicheren Menschen werden.
Es spricht viel dafür, dass diese radikale Entwicklung nicht aufzuhalten ist. Wenn Sie zwischen etwa 16 und 50 Jahre alt sind und zu den so genannten Wissensarbeitern gehören - also nicht am Band stehen, sondern, grob gesagt, viel Zeit vor dem Computer verbringen - werden Sie Teil dieser neuen, freien Arbeitswelt sein. Sie werden nicht mehr jeden Tag ins Büro gehen und Ihr Leben am Schreibtisch absitzen. Besser, Sie fangen gleich heute an, sich dafür zu interessieren. Denn morgen kann es bereits losgehen. Komische Vorstellung? Gewöhnen Sie sich schon mal dran. Es kommt noch besser.
Ein Hinweis vorweg: Dieser Wechsel erfordert eine Menge Mut. Aber vor allem macht er sehr viel Spaß.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe zu viel Lebenszeit im Büro verbracht. 12-Stunden-Tage, wenn der Chef mal wieder einen Spezialauftrag hatte. Nachtschichten und Sonntage vor der Deadline. Dazu der Fron der täglichen Routine. Die Erkenntnis ist eigentlich schockierend: Ich habe den Großteil der wachen Minuten meines Erwachsenenlebens an einem Schreibtisch vor dem Computer gesessen. Vielleicht geht es Ihnen ja so wie mir - ich arbeite gern. Ich mag Kollegen, ich mag die Herausforderung eines spannenden Jobs, ich bin kein müßiggängerischer Misanthrop - oder jedenfalls nur an schlechten Tagen. Die einzige Glückstheorie, die ich gelten lasse, ist jene des Psychologen mit dem schwierigen Namen Mihaly Csikszentmihalyi, der behauptet, wir fänden unsere größte Zufriedenheit im so genannten »Flow«, also dem konzentrierten Abarbeiten von Aufgaben, die wir sehr gut beherrschen, die aber doch so anspruchsvoll sind, dass wir von ihnen gefordert werden. Für mich ist das ein Zustand, den ich am häufigsten im Job erlebe. Glück hat für mich eine Menge mit Arbeit zu tun. Klingt etwas traurig? Ist laut Csikszentmihalyi aber bei den meisten Menschen so. Weshalb es in diesem Buch auch nicht darum gehen kann, nie mehr zu arbeiten. Vielleicht ein bisschen weniger. Vor allem aber: Selbstbestimmter. Flexibler. Freier. Auch als Festangestellter.
Weshalb sieht der durchschnittliche deutsche Joballtag so trist aus? Warum gehen wir immer noch jeden Tag ins Büro? Verschwenden acht, neun oder mehr Stunden unserer Lebenszeit mit Monotonie, Missmanagement und zickigen Kollegen in deprimierenden Räumen? Wir sitzen alle zu viel vor dem Monitor. Der Job frisst unsere Freizeit auf, obwohl wir wissen, dass uns die besten Ideen meist nicht bei der Arbeit kommen. Zwischen Meetings, Deadlines und purem Abwarten, bis der Chef Feierabend macht, haben viele Menschen das Gefühl, sie hätten in vier oder fünf Stunden effizienter, selbstbestimmter Zeit genauso viel leisten können. Und sie haben Recht.
Ich bin seit zwölf Jahren Journalist. Meine Erfahrungen als Freiberufler und Festangestellter zeigen mir immer wieder ein fundamentales Dilemma: Selbstständige arbeiten meist effizienter, haben mehr Freiheit, mehr Spaß, manchmal sogar mehr Geld. Bloß keine klassische Karriere. Sie lässt sich nur innerhalb von Unternehmen machen, doch wählt man diesen Weg, ist man sofort wieder in allen oben beschriebenen Ärgernissen des Büroalltags gefangen. Gespräche mit erfolgreichen aber notorisch unzufriedenen Freunden und Bekannten bestätigen den Befund. Es muss einen Mittelweg zwischen beiden Extremen geben.
Wenn Uwe Schimanski einen Anruf seiner Kollegen bekommt, muss er manchmal eine Hand vom Steuer seines Segelboots nehmen. Der Mitarbeiter der deutschen IBM ist leidenschaftlicher Segler und verlegt seinen Arbeitsplatz regelmäßig auf schwankende Planken. »Durch den Freiheitsgrad meiner Arbeit kann ich mich irgendwo hinbewegen, wo mein Bötchen gerade liegt«, erzählt er, »zu einem Zeitpunkt, wenn nicht die Autobahn gerade zu ist. Und dann kann ich von meinem Boot aus arbeiten, bis das Wochenende beginnt.« Auch für Arztbesuche hetzt sich der 55-Jährige nicht vor Dienstbeginn ab oder muss sich eigens freinehmen: Derartige private Termine und Erledigungen plant er ganz entspannt, zu einem Zeitpunkt, wenn er wenig Zeit dafür aufwenden muss. Und wenn er morgens hört, dass zur Rush-Hour mal wieder viel Verkehr ist, fährt er einfach ein paar Stunden später zur Arbeit, »statt im Stau unnötig Zeit und Benzin zu verbrauchen«. Kurz: Er teilt sich seine Anwesenheit im Büro so ein, »dass ich möglichst produktiv bin unter bester Ausnutzung der Ressourcen. Und die Familie hat auch noch was davon.« Dieser scheinbar luxuriöse, für Uwe Schimanski aber ganz normale Arbeitsrhythmus macht ihn zu einem hocheffizienten und gleichzeitig extrem entspannten Mitarbeiter. Die Kehrseite der Medaille: Wenn er Urlaub hat, muss er auch erreichbar sein. Für ihn haben erst schnelles Internet, Handys mit E-Mail-Funktion und ein flexibles Arbeitsverständnis seines Unternehmens diese Emanzipation vom Büro möglich gemacht: »Die technischen Gegebenheiten hält keiner auf. Wer sie bewusst für sich einsetzt, kann nur gewinnen.«
Mark Wells aus Minneapolis ist ein Riesenfan der Dave Matthews Band, einer Rock-Formation, die bekannt ist für großartige Live-Auftritte. Darum hat er schon immer versucht, seine Helden so oft wie möglich auf der Bühne zu sehen. Aber weil die Band ständig durch die USA tourt, war das früher fast unmöglich, denn Wells arbeitet in der Zentrale der größten amerikanischen Elektronikmarktkette Best Buy. Er entwickelt Online-Schulungen für Verkäufer in den Filialen, saß also den ganzen Tag am Computer. Dass er diese Arbeit im Grunde von überall aus machen konnte, änderte nichts an der Tatsache, dass er jeden Tag ins Büro musste. Doch eine Arbeitszeitrevolution namens ROWE, von der später noch zu lesen sein wird, hat sein Leben komplett umgekrempelt: Nun reist er seiner Lieblingsband quasi permanent hinterher, obwohl er genauso festangestellt ist wie zuvor. Seine Arbeit erledigt er per Laptop, seinen Schreibtisch in der Firmenzentrale sieht er fast gar nicht mehr.
Die Dänin Camilla Kring, eine Ingenieurin, die ihre Doktorarbeit über Work-Life-Balance geschrieben hat, war es gewohnt, als faul bezeichnet zu werden, weil sie morgens wenig zustande bekommt. Dann fand sie heraus, dass Wissenschaftler die Menschen in A- und B-Typen einteilen - erstere sind Frühaufsteher, letztere Morgenmuffel. Kring identifizierte sich eindeutig als B-Typ, sah die gesellschaftliche Tragweite ihres scheinbar persönlichen Problems und gründete die »B-Society«, um für die Rechte der Langschläfer zu kämpfen. »Tatsächlich sind wir B-Typen genauso produktiv wie andere Menschen, nur zu unterschiedlichen Zeiten«, sagt sie. Das gängige Arbeitszeitmodell stammt für sie aus der Zeit der agrarischen Gesellschaft, als Bauern den Tag früh beginnen mussten, und aus den Schichtarbeitssystemen der Industriezeit. Weil aber Landwirte und Industriearbeiter einen immer kleineren Anteil der Bevölkerung ausmachen, sollen sich nun bitte auch die Arbeitszeiten ändern. »In Dänemark gibt es viele Diskussionen darüber, dass wir eine Innovationsgesellschaft werden«, so Kring. »Wenn man mit dem Kopf arbeitet, geht es aber nicht darum, wie viele Stunden man am Schreibtisch verbringt, sondern wann man am produktivsten ist und die besten Ideen hat.« Auch über die B-Society werden Sie später noch mehr erfahren. Hier nur so viel: Sie ist ein Riesenerfolg.
Überall auf der Welt ist dieser Tage eine Umwälzung unserer Arbeitsfomen zu erleben, eine Neudefinition der Art wie wir Zeit und Leistung messen, ein Ende unseres Daseins als stets gestresste Schreibtischsklaven. Sie wird vorangetrieben von Menschen wie Uwe Schimanski, Mark Wells und Camilla Kring. Vielleicht gehören Sie auch bald dazu.
Mitte der neunziger Jahre, zu Zeiten der New Economy und der mit dem Internet verbundenen technischen Innovationen war uns schon einmal eine neue Art des Arbeitens versprochen worden. Jeder einzelne von uns modernen Berufstätigen sollte von nun an eine selbstgenügsame Produktionseinheit darstellen. Wir würden künftig als so genannte »Flexecutives« mobil und vernetzt sein. Wir würden unser papierloses Büro per Laptop und Handy mit uns herum tragen. Wir würden uns als digitale Nomaden von überall ins weltweite Netz und damit in die Arbeitsabläufe einklinken. Der amerikanische Wissenschaftler Nicholas Negroponte schrieb 1995 das damals visionäre und heute immer noch aktuelle Buch Total Digital am Notebook in einer einsamen Hütte auf der griechischen Insel Patmos, bevor er wieder an sein hochtechnisiertes Forschungsinstitut in den USA zurückkehrte. Ich kann mich erinnern: So wollte ich auch arbeiten.
Die Realität sah anders aus: Gerade die Programmiersklaven der Startup-Unternehmen mussten 14-Stunden-Schichten knüppeln und mit dem Schlafsack unter dem Schreibtisch schlafen, bevor ihr Unternehmen erst an die Börse und dann Pleite ging. Und wer versuchte, sich mit verheddertem Kabelsalat und den unfassbar langsamen Modems jener Zeit von unterwegs ins Internet einzuwählen und dann zusah, wie sich quälend zäh einzelne Websites auf dem kleinen Bildschirm aufbauten, wünschte sich auf der Stelle an seinen Büroschreibtisch mit schneller Internetverbindung zurück. Handys waren damals teuer, konnten kaum etwas außer telefonieren und ihre Benutzer wurden zudem als Angeber abgestempelt.
Auf den ersten Blick war also das freiere Arbeiten mit mehr Flexibilität, Individualität und in der Folge auch mehr Spaß eines jener luftigen Versprechen, die die New Economy nie einhielt. Tatsächlich steckte aber ein wahrer Kern darin, der erst mit dem technischen Fortschritt ein paar Jahre später Wirklichkeit werden konnte. So wie wir mit MySpace, Facebook und dem Web 2.0 insgesamt die Renaissance des tot geglaubten Online-Geschäftsmodells erlebt haben, so wie Amazon und Ebay tatsächlich unsere Art einzukaufen verändert haben, SPIEGEL-Online unsere Art Nachrichten zu lesen, E-Mail unsere Art zu kommunizieren, wie Communities und Blogs doch eine reichweitenstarke Gegenöffentlichkeit zu etablierten Medien bilden, so ist hinter unserem Rücken plötzlich auch die Arbeitsrevolution möglich geworden, die uns damals versprochen wurde. Sechs Faktoren machen Freiangestellte und Easy Economy erst heute möglich:
Die Technik war im Jahr 2000 einfach noch nicht so weit. Heute ist sie es. Mobile, leistungsstarke Endgeräte, weit verbreitete schnelle Internetverbindungen sowie Web-basierte Workflow-Software, weltweite Dokumentenstandards und komplett digitalisierte Arbeitsabläufe emanzipieren den Arbeitnehmer immer mehr von Zeit und Raum. »Du bist die Festplatte, wir sind dein Backup«, brachte es 2007 die Werbung des Herstellers Lacie für externe Speichermedien auf den Punkt. Wir haben erstmals wirklich alle notwendigen Informationen und Werkzeuge in unserem Laptop, unserem Smartphone und unserem Kopf, um von überall aus arbeiten und trotzdem Verbindung zur Firma halten zu können. Wo die technischen Möglichkeiten konsequent angewendet werden, ändert sich eben doch die Art, wie wir arbeiten und leben.
Die Kosten für die Mobilisierung und Emanzipation des Arbeitnehmers vom Büro sinken gen Null: »Eine Internet-Standleitung kostete in den Neunzigern noch vierstellige Summen pro Monat - eine gleich schnelle DSL-Leitung heute fast nichts mehr. Auf diese belastbare und günstige Web-Anbindung von Mitarbeitern habe ich zehn Jahre lang gewartet«, sagt der Geschäftsführer einer Berliner Agentur im Interview in Kapitel 8. Chris Anderson, Chefredakteur der Zeitschrift Wired und Autor des Bestsellers The Long Tail hat als nächsten Trend »Free«, also »Umsonst« ausgemacht: Der Preis von technischer Infrastruktur wie Bandbreite, Transistoren auf Chips und Speicher sinkt - in Relation zu ihrer Nützlichkeit - permanent so stark, dass er heute als nahezu Null betrachtet werden kann.
Unsere Berufswelt hat sich verändert: Nichtlineare Jobbiografien sind heute für viele Menschen normal. Was der Soziologe Richard Sennett 1998 noch als Problem des entwurzelten »flexiblen Menschen« kritisierte, ist heute häufig Alltag: Wir haben nicht mehr einen Job bis ans Ende unseres Lebens, wir brauchen nicht mehr nur den Beruf, um unserem Leben eine Struktur zu geben, und das ist auch gut so. Die Globalisierung ist in unserem Berufsleben zunehmend kein abstrakter Begriff mehr, sondern pragmatischer Alltag: Internationale Teams, Outsourcing sowie Kunden und Geschäftspartner aus aller Welt sorgen dafür, dass wir nachts E-Mails aus Indien bekommen oder abends Anrufe aus den USA. Mit einem klassischen 9-to-5-Arbeitstag ist das kaum zu vereinbaren.
Der zunehmende weltweite Wettbewerb motiviert Unternehmen, permamente Effizienzoptimierung zu betreiben: Wer seine Mitarbeiter per Notebook und Datenverbindung in die Freiheit entlässt, steigert Produktivität, Zufriedenheit und Flexibilität. Gleichzeitig spart er an Immobilien und Infrastruktur. Beides zusammen macht Firmen fit im Kampf gegen internationale Wettbewerber.
Die Gefahren durch Terroranschläge und Naturkatastrophen motivieren vor allem in den USA viele Unternehmen, die Krisenresistenz ihrer Produktionsprozesse zu überdenken. Zentralisierte Infrastrukturen sind anfälliger als vernetzte. Alle Arbeitsplätze und Informationen in einem Bürogebäude zu versammeln, bedeutet, dass die Produktion stillsteht, wenn hier etwas schief geht. Mitarbeiter an verschiedenen Orten arbeiten zu lassen und diese digital zu vernetzen, heißt, dass die Arbeit auch im Katastrophenfall weitergehen kann. Das mag hierzulande überängstlich wirken, wird in Amerika aber heiß diskutiert.
Die gesellschaftlichen Parameter sind verschoben: Dass Frauen heute berufstätig sind, ist weitgehend Normalität. Männer wiederum fordern mehr Teilhabe am Familienleben, wollen auch Zeit mit ihren Kindern verbringen. Deshalb ist für die meisten Paare die zentrale gemeinsame Herausforderung geworden, Familie und Job zu vereinbaren. Unser Bedürfnis nach einem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben, der viel beschworenen Work-Life-Balance, ist insgesamt gestiegen: Wir definieren uns nicht mehr ausschließlich über beruflichen Status, sondern wollen ein in vielerlei Hinsicht erfülltes Leben haben. Der demografische Wandel und die damit beschriebene Alterung der Bevölkerung in der westlichen Welt wird zu einem zunehmend dramatischen Nachwuchskräftemangel führen. Wer künftig die besten Köpfe für sein Unternehmen gewinnen will, muss ihnen Freiheit und Flexibilität anbieten. Außerdem werden wir alle später in Rente gehen - deshalb müssen Arbeitsplätze künftig stärker altersverträglich gestaltet sein.
All diese Faktoren lassen sich nicht mehr mit der altmodischen, aber verbreiteten Lebensweise vereinbaren, den ganzen Tag in ein Büro eingesperrt zu sein. Die Lösung des Schreibtischdilemmas liegt in einer flexiblen und mobilen Arbeitsauffassung. Wer kennt nicht das wunderbare Gefühl, morgens mal später zur Arbeit zu müssen, mehr Zeit für Kinder, Frühstück und Zeitungslektüre zu haben, vielleicht noch kurz in Ruhe seine E-Mails zu checken oder draußen in der Sonne einen Kaffee zu trinken. Nicht selten geht man dann mit mehr Lust ins Büro, hat vielleicht vorher schon eine gute Idee entwickelt für eines der Projekte, an denen man gerade sitzt. Oder nachmittags: Man geht zwei Stunden früher nach Hause und entdeckt geradezu ein Paralleluniversum, sieht die Welt mit den Augen der anderen, die nicht den ganzen Tag im Büro hocken müssen. Zugegeben: Ärzte, Lehrer oder Schichtarbeiter haben diese Option nicht. Wer alles zur beschriebenen Zielgruppe der Wissensarbeiter oder der kreativen Klasse gehört, wird später im Buch noch detailliert diskutiert.
Wirklich effektiv ist nur, wer sich dem zähen Trott der 9-to-5-Routine komplett entzieht. Das wird nicht einfach, denn wir alle haben gelernt, wie Arbeit auszusehen hat - nämlich den ganzen Tag am Schreibtisch sitzend. Was künftig aufhören muss: Der Spott der Kollegen, wenn man morgens später kommt, dafür aber abends länger bleibt. Die schiefen Blicke des Chefs, wenn man aus dem Büro verschwindet, um einzukaufen. Das Schuldgefühl, an einem Meeting nur telefonisch teilzunehmen oder früher Feierabend zu machen, um sein Kind abzuholen. Die totale Unmöglichkeit, im Büro zu sagen: »Ich muss den Kopf freibekommen und gehe heute Nachmittag ins Museum.« Oder: »Ich arbeite morgen zu Hause.« Oder gar: »Die nächsten zwei Wochen erreicht ihr mich auf der Finca.« Erst wenn wir solche Sätze ganz lässig aussprechen, werden wir alle zu »Freiangestellen«.
Fortschrittliche Firmen räumen ihren Mitarbeitern schon heute maximale Freiheit ein. Die Idee: Manager müssen weg von der Logik der Anwesenheitspflicht. Arbeitnehmer dafür das Konzept des Feierabends aufgeben, der Trennung zwischen Job und Freizeit. Wir brauchen nicht mehr dumpf Zeit am Schreibtisch abzusitzen, sondern können Arbeit erledigen, wann und wo sie anfällt. Dafür - das ist der Preis - müssen wir hochflexibel und fast immer erreichbar sein. Doch erstmals haben wir nun einen Anreiz, den Arbeitstag aus Eigeninteresse effizienter zu gestalten: Wer heute sowieso acht oder neun Stunden im Büro bleiben muss, weil Kollegen und Chef auch noch da sind, hat keinen Grund, seine Arbeit schneller zu erledigen. Wer sich aber künftig den Tag beliebig einteilen kann, der wird sehr wohl versuchen, seine Aufgaben schnell abzuarbeiten, um dann frei zu haben. Zum Glück haben wir alle noch erhebliche nicht genutzte Produktivitäts- und Effizienzreserven. Dazu später mehr. In den USA erlösen große Konzerne wie Google oder Best Buy ihre Mitarbeiter von Schreibtischzwang und Stechuhr. Auch in Deutschland sind es innovative Branchenführer wie SAP, BMW, IBM oder die Deutsche Bank, die begriffen haben, dass Arbeit nicht gleich Anwesenheit ist, dass Spaß und Flexibilität zu mehr Kreativität führen. Nennen wir diese Art der neuen Arbeitsorganisation und der daraus resultierenden Gewinne für Arbeitgeber und Arbeitnehmer »Easy Economy«.
Dieses Buch will den Weg aufzeigen zu einer effizienteren und besser gelaunten Art, Leben und Arbeit miteinander zu verbinden. Obwohl die gegenwärtige Situation in all ihrer Tristesse angeprangert werden muss, ist meine Grundhaltung konstruktiv und optimistisch. Alle Voraussetzungen, durch moderne Arbeitstechniken eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu erreichen, sind da. Wir müssen sie nur nutzen.
Der Begriff »Telearbeit«, von dem in diesem Buch regelmäßig die Rede ist, klingt bereits etwas angestaubt. Immer wieder wird auch behauptet, das Konzept habe seine beste Zeit bereits hinter sich und sei im Grunde gescheitert. Das liegt vor allem an der begrifflichen Verengung dieser Definition auf »Menschen, die zumindest teilweise am Computer zu Hause arbeiten, statt ins Büro zu gehen«. Die Wirklichkeit ist komplexer und aufregender. Der an der Universität Tokio lehrende Architekt Martin van der Linden hat sie auf den schönen Nenner »Post-Telework-Condition« gebracht, zu deutsch: der Zustand nach der Telearbeit. Gemeint ist eine Berufswelt, in der die Technologie es möglich macht, zu jeder Zeit und an jedem Ort zu arbeiten und in der die Menschen dies darum beim Kunden tun, in Flugzeugen, Zügen, zu Hause oder auch im Büro. Van der Linden: »Die Wahrnehmung und das Konzept des Büros durchleben einen dramatischen Wandel. Die klare Trennung zwischen Telearbeit und Büroarbeit verwischt immer mehr, während wir das Entstehen der Post-Telework-Condition beobachten.«
Die Trendforscher der britischen Future Foundation bestätigen dies in ihrer Prognose fürs Jahr 2020: Die reguläre Telearbeit werde bis zu diesem Zeitpunkt durchaus zunehmen, wenn auch nicht so stark wie das in der Vergangenheit teilweise vorausgesagt wurde. Der Grund: »Wir stellen fest, dass die eigentlich zugrunde liegende Idee von „Telearbeit“ zunehmend veraltet ist, beruht sie doch auf einem Konzept aus der Industriegesellschaft, dass nämlich Arbeit und Zuhause zwei unterschiedliche Orte sind.« Die Foundation schlägt für die vielen unterschiedlichen und neuen Arbeitsformen, die künftig massiv zunehmen werden, den Begriff »FreE-Working« vor. Er bezeichnet die große Anzahl von Arbeitnehmern, »die Technologie nutzen, um an einer Vielzahl von Orten außerhalb ihres eigentlichen Arbeitsplatzes zu arbeiten - wenn sie denn überhaupt noch einen solchen haben.«
Auch Hermann Hartenthaler, der in den »T-Labs« für die Telekom Innovationen wie das Büro der Zukunft erfindet, beobachtet den globalen Trend, in flexiblen Strukturen zusammenzuarbeiten, an verschiedenen Orten auf der Welt, zu verschiedenen Zeiten: »Wenn man mit Kollegen in den USA oder Asien kollaboriert, muss man oft frühmorgens oder spätabends arbeiten. Das macht man natürlich gern von zu Hause aus.« Die Grenze zwischen Privat- und Arbeitsbereich, zwischen Arbeiten im Büro, zu Hause oder unterwegs löse sich zunehmend auf: »Wir haben zum Beispiel eine kleine Box entwickelt, wenn man die zu Hause an den Laptop anschließt, hat man nicht nur Zugang ins Firmennetz, sondern sogar dieselbe Telefonnummer wie im Büro.« Dies sei nicht die starre Telearbeit der achtziger und neunziger Jahre mit großer Infrastruktur zu Hause, sondern flexibel und klein: »Ich habe meinen Laptop und da ist alles drauf.«
Uwe Schimanski, der bei IBM in den neunziger Jahren das so genannte »e-place«-Modell eingeführt hat (davon später mehr) und damit einer der Pioniere von zeit- und raumunabhängigen Arbeitsweisen ist, findet den Begriff »Telearbeit« ebenfalls veraltet und nennt den heutigen Zustand des Immer-und-überall-aktiv-Seins schlicht »Mobiles Arbeiten«.
Ob »Post-Telework-Condition«, »FreE-Working«, oder »Mobiles Arbeiten« - ich werde diese verschiedenen Ausprägungen der Einfachheit halber, und um Begriffsverwirrung zu vermeiden, weitgehend synonym verwenden, gelegentlich einfach von »Telearbeit« sprechen, oder eben allgemeiner von der »Easy Economy«. Gemeint ist dabei nicht nur die klassische Vorstellung des Angestellten, der auch zu Hause an den Rechner gehen darf, sondern gemeint sind alle Schattierungen und Ausprägungen neuer flexibler Arbeitsformen, die technischer Fortschritt und sozialer Wandel inzwischen möglich machen.
Vor dem Frühstück - es gab Rührei und frische Mangos - bin ich heute am Strand Laufen gewesen. Die Sonne war gerade aufgegangen und spiegelte sich glitzernd im Meer bei Pranburi in Thailand. Meinen doppelten Espresso habe ich mit vor die Hütte genommen, jetzt logge ich mich ins schnelle W-Lan-Netz des Resorts ein, und beantworte zuerst ein paar dringende Mails. Ich sitze - entschuldigen Sie das Klischee, aber so sieht es hier wirklich aus - unter einer Palme, schaue aufs Wasser. Der Wind kühlt angenehm, nachher werde ich schnorcheln gehen. Die Schlagzeilen in Deutschland: Koalitionskrach und Blitzeis. Ich schließe die Website von Google-News schnell wieder und dann - arbeite ich.
Die Generation unserer Eltern - vor allem die Väter - hat fast ihr ganzes Leben in Büros verbracht. Viele Menschen meiner Altersgruppe haben sich versprochen, es besser zu machen, flexibel zu bleiben, sich nicht vom Arbeitstrott dominieren zu lassen, lieber ungewöhnlich zu leben. Aber irgendwann mit Mitte Dreißig sind sie dann eines Morgens aufgewacht und haben gemerkt: Gar nichts machst du besser. Gehst jeden Tag ins Büro, sitzt da vor dem Computer, gehst wieder nach Hause. Mir ging es ähnlich. Zum Glück bin ich Journalist und also tat ich, was Journalisten in einer solchen Situation tun: Sie recherchieren. Muss das Leben so sein, funktioniert Arbeit eben so? Kann eine Gesellschaft nur durch Stechuhren zusammengehalten werden? Oder geht es auch ganz anders? Wenn ja, wie und wo? Heraus kam dieses Buch.
Ich habe meine These beim Schreiben gleich getestet: Kann ich heutzutage arbeiten, wann und wo ich will? Ein Teil dieses Buches entstand darum unterwegs auf der ganzen Welt. Ich habe auf der Terrasse einer Finca auf Ibiza geschrieben. In einer tief verschneiten, einsamen Holzhütte in Norwegen nach einem Tag Langlauftraining. Am Pool eines Designhotels in Bangkok, bevor es mit dem Wassertaxi ins Restaurant ging. Im Hof eines Damaszener Hauses in Damaskus, neben dem Laptop eine Tasse mit Kardamom-Kaffee. Und eben an diesem einsamen Strand in der Nähe des königlichthailändischen Badeortes Hua Hin.
Naja, sagen Sie: Für einen freiberuflichen Journalisten und Buchautor ist das wohl ein bisschen einfacher als für einen festangestellten Büromenschen. Stimmt natürlich - und auch wieder nicht. Denn wenn Sie die Botschaft dieses Buches beherzigen, können Sie bald ganz ähnlich arbeiten. Sie müssen sich diese Freiheiten nur nehmen - geschenkt wird Ihnen vermutlich nichts. Sie müssen dabei Schritt für Schritt vorgehen und strategisch klug.
Wenn ich bei der Recherche für dieses Buch Menschen erzählt habe, dass ich herausfinden möchte, wie man sich aus dem Bürotrott befreit - aus der Tretmühle des morgens aufstehen ... duschen ... den immer gleichen Weg zur Arbeit gehen ... an den immer gleichen Schreibtisch ... den Tag mit seinen immer gleichen Konferenzen und Büroritualen . abends wieder nach Hause . essen .. Sofa . fernsehen ... schlafen ... und am nächsten Tag von vorn ... das richtige Leben passiert derweil irgendwo da draußen - als ich das also Menschen erzählte, hat eigentlich jeder wissend genickt. Und dann gleich rationalisiert: Klar, kenn' ich. Aber was soll man machen? Bei uns ist gerade so viel zu tun. Der Chef fordert immer mehr. Den Kollegen geht es auch nicht besser. In drei Monaten ist Urlaub ... eine Leier der Sachzwänge, die fast immer gleich klang.
Vielleicht muss man also gar nicht erklären, was an Büroarbeit nervt. Ich will es trotzdem kurz tun, denn jenseits der diffusen täglichen Unzufriedenheit gibt es jede Menge spannender Fakten zu diesem Thema, die Sie wahrscheinlich noch nicht kennen. Ich werde also im ersten Drittel des Buches zeigen, was alles falsch läuft in unserem Arbeitsalltag. Das wird nicht schön, manchmal sogar regelrecht deprimierend. Halten Sie durch. Die Belohnung folgt. Denn das zweite Drittel wird zeigen, wie es besser geht. Es werden Unternehmen präsentiert, die ihren Mitarbeitern extrem große Freiheit einräumen. Es sind sehr erfolgreiche Unternehmen, die verstanden haben, wie Arbeit in Zukunft funktioniert. Neben einer kurzen Kulturgeschichte der Kreativität und verblüffenden Erkenntnissen zum Zusammenhang von Arbeitszeit und Effektivität kommen Ökonomen und Zeitmanagement-Forscher ebenso zu Wort wie mutige Unternehmer, die Flexibilität fördern - und vom Ergebnis begeistert sind. Wissenschaftler berichten von Einfällen, die den Menschen beim Abwasch kommen, Personalchefs vom Produktivitätszuwachs durch Heim- und Halbtagsarbeit, Psychologen vom Zusammenhang zwischen Muße und Kreativität, Sozialwissenschaftler von Zukunftskonzepten, um unseren überreglementierten Arbeitswahn zu beenden. Nicht zuletzt erzählen immer wieder Angestellte von ihren Erfahrungen mit den neuen Arbeitsmodellen.
Ihnen werden in diesem Buch Menschen begegnen, die tagsüber einkaufen gehen, zum Sport, ins Kino oder mit ihren Kindern eine Bootstour unternehmen. Obwohl sie hoch bezahlte Jobs haben und fest angestellt sind. Diese Menschen sind keine Aussteiger - im Gegenteil. Sie sind Profis, die ihren Unternehmen wertvolle Dienste erweisen. Sie sind auch keine Freiberufler, keine Mitglieder der »Digitalen Bohème«, die mit ihrem MacBook im großstädtischen Straßencafé sitzen und entweder an vagen Projekten laborieren oder ihr Blog schreiben. Es sind Festangestellte mit Steuerkarte, Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ihre Arbeitgeber haben erkannt, dass hervorragende, kreative Mitarbeiter immer vor allem Freiheit brauchen, um zu funktionieren. Ihre Vorgesetzten haben verstanden, dass Arbeit etwas ist, das man tut - nicht ein Ort, an den man sich begibt. Ihre Personalchefs haben eingesehen, dass man Leistung nicht über Anwesenheit messen kann und dass Unternehmen viele Millionen in Bürogebäude stecken, die ihre Mitarbeiter unglücklich machen.
Sie alle haben erkannt, dass Menschen gerne ins Büro gehen - aber nicht jeden Tag. Dass Menschen gern arbeiten - aber dass ihr Leben nicht nur aus Arbeit besteht. Dass Vertrauen besser ist als eine Stempeluhr und dass Menschen zur Hochform auflaufen, wenn man ihnen erlaubt, die Arbeit ihrem Lebensrhythmus anzupassen und nicht umgekehrt. Es sind - kurz gesagt - die neuen Freiangestellten.
Im letzten Drittel gebe ich ein paar praktische Tipps, wie Sie selbst dahin kommen. Wie Sie als Angestellter Ihrem Chef klar machen, dass Sie da ein paar Ideen hätten, wie Sie Ihre Arbeit noch viel besser erledigen können. Wie Sie als Abteilungsleiter oder Teamchef Ihre Leute motivieren können wie nie zuvor. Wie Sie als Manager oder Geschäftsführer mehr Produktivität, mehr Mitarbeiterzufriedenheit und weniger Fluktuation erreichen und nebenbei noch Immobilienkosten senken. Und wie Sie - egal in welcher Position Sie arbeiten - künftig viel öfter sagen können: »Morgen komm ich später rein.«
Kapitel 1
»Das Konzept des Büros kann als einer der beständigsten Begriffe in jeder Kultur gesehen werden, denn Regierungssysteme oder Herstellungsprinzipien mögen sich bis zur Unkenntlichkeit verändern, aber in jeglicher Organisation menschlicher Wesen, die über die kleinste Gruppe hinaus geht, zeigen sich das Wort Büro und die Idee, die es repräsentiert als stabile Komponenten der Sprache.«
The Architects Journal, 1973
Wir verbringen in unserem Leben durchschnittlich zwei Wochen nur mit Küssen, sechs Wochen mit Vorspiel beim Sex, 16 Stunden mit dem Orgasmus. Wir treiben im Schnitt 19 Monate lang Sport, neun Monate lang spielen wir mit unseren Kindern. In unserer Lebensbilanz stehen 16 Monate Wohnungsputz und zwei Wochen Beten. Wir sitzen sechs Monate auf der Toilette. Und sieben Jahre im Büro.
Das scheint Ihnen noch kurz? Dann bedenken Sie, dass dies ein Durchschnittswert ist, der Rentner, Arbeitslose, Invalide sowie Hausfrauen und -männer mit einrechnet. Die Tatsache ist deprimierend, aber unbestreitbar: Keine Tätigkeit außer Schlafen (24 Jahre und vier Monate) nimmt den modernen Menschen so sehr in Anspruch wie seine Arbeit für den Lebensunterhalt, für keine wendet er als Erwachsener mehr Zeit und Energie auf und an keinem Ort - für etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen ist es der Schreibtisch - verbringt er mehr wache Zeit. Effektiv ist das in der Regel nicht. Vor allem die verordnete Aufmerksamkeitspflicht, nach der im Büro das jeweils Neue immer am wichtigsten ist, wirkt desaströs. Eine aktuelle Studie zeigt: Büromenschen verbummeln im Durchschnitt 2,1 Stunden pro Tag durch Ablenkungen. Die University of California fand heraus, dass sich Wissensarbeiter im Schnitt elf Minuten mit einer Aufgabe beschäftigen, bevor ihre Aufmerksamkeit durch einen Anruf, eine Mail oder Kollegen einem anderen Thema zugeführt wird. Dann dauert es durchschnittlich 25 Minuten, bevor sie sich wieder der alten Aufgabe widmen können. Derweil kommen aber neue Aufgaben hinzu, die so wichtig scheinen, dass die alte vollkommen in Vergessenheit gerät. Testpersonen hatten in ihrem fragmentierten Arbeitsalltag zwölf verschiedene Projekte gleichzeitig zu erledigen. »Angesichts der Auswirkungen der ständigen Unterbrechungen auf die Produktivität von Unternehmen ist es überraschend, dass Manager so wenig beunruhigt sind«, sagt Jonathan B. Spira, Chefanalyst des New Yorker Technikberatungsunternehmens Basex. Der amerikanische Psychiater Edward Hallowell nennt die ständige Ablenkung im Büro »Attention Deficit Trait (ADT)« - eine Folge kommunikativer Überlastung. Wer ADT hat, zeigt Symptome wie leichte Aggression, innere Unruhe und Konzentrationsstörungen.
Das vielleicht überzeugendste Experiment veranstaltete der Psychiater Glenn Wilson von der University of London im Jahr 2005. Wilson ließ drei Gruppen im IQ-Test gegeneinander antreten: Eine Testgruppe war ungestört, die zweite wurde während des Tests durch E-Mails und Telefonanrufe abgelenkt, die dritte hatte kräftig Marihuana geraucht. Erwartungsgemäß schnitten die Bekifften um durchschnittlich vier IQ-Punkte schlechter ab als die nüchternen ungestörten. Das schlechteste Ergebnis erzielten jedoch die Abgelenkten: Wer zwischendurch E-Mails und Telefonanrufe bekam, lag im Ergebnis noch mal sechs IQ-Punkte hinter den Testpersonen mit psychoaktiven Substanzen im Blut. »E-Mail verursacht heute die meisten Probleme in unserem Arbeitsalltag«, fasst Karen Renaud von der Universität Glasgow eine Studie zusammen, für die sie die Computer von 177 Menschen überwachte. Die Probanden checkten ihr elektronisches Postfach bis zu vierzigmal pro Stunde. Ein Drittel gab an, sich durch die Masse an E-Mails und den Druck, diese schnell zu beantworten, gestresst zu fühlen. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Wie Sie sich gegen dieses kommunikative Dauerfeuer selektiv abschotten, lesen Sie im Kapitel »5=9 Stunden«.
Dass dieses permanente Büro-Multitasking Geld kostet, liegt auf der Hand. Für die US-Wirtschaft bezifferten Forscher des Beratungsunternehmens Basex den Schaden auf jährlich etwa 588 Milliarden Dollar. Wissenschaftler des Henley Management Colleges kamen nach der Befragung von 180 Führungskräften aus Deutschland, Großbritannien, Dänemark und Schweden zu dem Schluss, dass Manager im Durchschnitt allein dreieinhalb Jahre ihres Lebens mit unwichtigen oder überflüssigen E-Mails verplempern.
Ähnlich unproduktiv sind in der Regel die ewigen Meetings. Experten bestätigen, was wir eigentlich alle wissen. Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung: »Zieht man eine Sitzung in die Länge, wird die Chance immer größer, dass zweitklassige Lösungen vorgeschlagen und am Ende gewählt werden.« Scott Adams, der Erfinder der »Dilbert«-Comics, nennt ganz oben auf seiner Büro-Hassliste den Typen der »absichtsvollen Sadisten«. Diese »setzen exzessiv lange Sitzungen an, egal zu welchem Thema, aber ohne klares Ziel. Es gibt keine Toilettenpausen (funktioniert am besten in Kombination mit Kaffee) und sie berufen Meetings am liebsten am Freitagabend oder in der Mittagspause ein.« Um die Rolle eines absichtsvollen Sadisten zu spielen, so Adams, kombiniere man am besten Ernsthaftigkeit und Hingabe mit einer soziopathischen Geringschätzung für das Leben anderer Menschen.
Aber im Ernst: 20 bis 30 Prozent der Besprechungen könnte man sich allein deshalb schenken, weil der Chef eigentlich schon vorher weiß, welches Ergebnis er erreichen will, hat die Kieler Managementberaterin Angelika Behnert herausgefunden. Bei einer Umfrage unter 800 leitenden Angestellten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gaben 2006 61 Prozent der Befragten an, die meisten Meetings seien unproduktiv, wenn nicht ganz vergebens.
Dieses Ergebnis dürfte niemanden überraschen, der sich abends ausgelaugt und entnervt aus dem Büro nach Hause schleppt. Mit sinnlosen Besprechungen, schlecht organisierten Projekten oder unproduktivem Warten auf den Feierabend, mit unnötigen E-Mails, ausufernden Telefonaten, und übermäßig plauderigen Kollegen vergeudet der moderne Arbeitnehmer mindestens ein Drittel seiner Bürozeit (mehr zu den Details dieser Rechnung später). Ein Paradox: Wir gehen jeden Morgen ins Büro um unseren Job zu machen. Dabei ist es - genau betrachtet - vielleicht der schlechteste Ort, um konzentriert zu arbeiten. Übereifrige Kollegen verschaffen allen anderen Extraarbeit, Sensible brauchen täglich Zuwendung und Streicheleinheiten, Klassenclowns verlangen nach Publikum, um von ihren Wochenendexzessen zu erzählen, Selbstverliebte lassen jeden im Großraumbüro noch am kleinsten Fortschritt ihres jeweiligen Projekts teilhaben. Den Luxus, sich vor diesem Kommunikations-Tsunami in ein Einzelbüro zurückzuziehen, genießen gerade mal 33 Prozent der deutschen Beschäftigten. 27 Prozent teilen sich die Arbeitswabe mit einem Kollegen, die restlichen 40 Prozent ertragen Mehrpersonenbüro oder Großraum, so eine Studie des Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Nicht immer sind die Menschen, deren Nähe wir hier zwangsweise ertragen, die produktivsten, motiviertesten oder - mal ehrlich gesagt - cleversten Zeitgenossen.
Selbst die klugen und netten Kollegen stehlen unsere Arbeitszeit. Eva Busse, eine promovierte deutsche Journalistin, die für verschiedene große Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet hat und inzwischen in London lebt, beschreibt das so: »Die produktivste Zeit im Büro waren für mich immer die ersten zwei, drei Monate, wenn man noch nicht so viele Menschen kennt. Danach fangen die sozialen Kontakte an. Man muss sich dafür interessieren, was dieser Kollege am Wochenende gemacht hat oder beim Liebeskummer von jener Kollegin mitfühlen. Man verbringt viel Zeit am Kaffeeautomaten und muss dann abends länger bleiben, weil man seine Arbeit nicht fertig bekommen hat.«
Aus gutem Grund persiflieren erfolgreiche TV-Serien wie das britische The Office den Büroalltag als Ansammlung von Irrationalität, Menschenfeindlichkeit und Zeitverschwendung. Ebenso wie die deutsche Fassung Stromberg