Meconomy - Markus Albers - E-Book

Meconomy E-Book

Markus Albers

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Beschreibung

Willkommen in der Meconomy: Wir machen unsere Hobbys zum Beruf und verlegen unseren Lebensmittelpunkt dorthin, wo wir am glücklichsten und produktivsten sind. Wir müssen uns selbst wie eine Marke positionieren, unsere Stärken ausbauen und Dinge, die wir nicht so gern oder gut machen, an andere auslagern, vielleicht sogar an Dienstleister in fernen Ländern. Wir machen uns leichteren Herzens selbstständig, aber vor allem werden wir selbstständiger denken und fühlen. Es wird ein gutes, aufregendes und erfülltes Leben sein, aber nicht jeder wird es führen können. Nur jene mit guter Ausbildung, Bereitschaft zu lebenslangem Lernen, kultureller Offenheit, technologischer Neugier und Glauben an die eigenen Fähigkeiten werden dazugehören. Das heißt zugleich: Viele werden durch dieses Raster fallen. Die Meconomy wird hart werden und sie wird die Gesellschaft in der Mitte spalten. Wie wir in dieser neuen Arbeits- und Lebenswelt Erfolg haben, erklärt dieses Buch anhand vieler Fallbeispiele, aktueller Studien und praktischer Tipps.

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MARKUS ALBERS

ME

CONOMY

Wie wir in Zukunft leben und arbeiten werden – und warum wir uns jetzt

Inhaltsverzeichnis

» Warum ich dieses Buch schreibe

6

» Einleitung

12

» Was ist heute anders?

18

Das Ende des Büros und seine Folgen

19

Willkommen in der Meconomy

21

Das Leben als Baukasten

23

Was der Arbeitsforscher sagt

27

Wie Digital Natives die Arbeitswelt verändern

31

„Sicherheiten gibt’s eh keine mehr. Macht doch, wofür Euer Herz schlägt“

35

Ich bau mir das Leben, wie es mir gefällt

39

Bloß nicht im mittleren Management vergammeln

42

Machen Sie jetzt, was Sie lieben

46

Von Google lernen

48

Werden Sie der Anführer Ihres eigenen Stammes

51

» Was macht mich glücklich?

56

Die wichtigsten Glückstheorien im Schnelldurchlauf

57

Die Datenbank der Glücksforscher

59

Neugier, Komfortzone, Arbeit und Flow

61

Ein Leben im Einklang mit meiner Natur?

67

Woher kommt mein Selbstbild?

69

Authentizität und Fremdwahrnehmung

71

Kurze Kulturgeschichte der Individualisierung

73

Patchwork-Identität

76

» Was kann ich können?

81

Besser werden

82

Jetzt helfe ich mir selbst

84

Lifehacking

87

Wie schaffe ich es, Dinge zu schaffen?

91

Dinge geregelt kriegen – oder auch nicht

94

Getting Things Done in Deutschland

98

Dekonstruiertes Wissen und Universalgenies

101

Die besten Jobs sind noch gar nicht erfunden

106

Bildung mit YouTube und iTunes

109

Wie Schule, Lehre und Uni jetzt reagieren müssen

113

Was in der deutschen Bildung falsch läuft

116

» Wie werde ich arbeiten?

121

Arbeit als Quelle des Glücks

122

Leidenschaft und Geduld

127

BrandMe – warum Selbstmarketing so wichtig ist

130

Tue, was du liebst – liebe, was du tust

135

Selbstständig aus der Krise herauskommen

139

Wie ich morgen schon ein globales Unternehmen sein kann

143

Wie viel Zeit bleibt uns, unsere Träume zu verwirklichen?

147

Die neuen Laptop-Unternehmer

150

Eine Generation von Gründern

156

Der Businessplan zur Meconomy

158

Die wachsende Bedeutung der Kreativwirtschaft

162

Soll ich gehen oder bleiben?

164

Kann ich in dieser Arbeitszukunft mithalten?

168

Vorsicht: Vereinsamung: die Coworking-Lösung

170

Die sinkenden Kosten der Selbstverwirklichung

175

» Wo will ich leben?

179

Anleitung zur persönlichen Globalisierung

180

MobileWe: Grenzenlose Lebensplanung

183

Digitale Nomaden

185

Der Zusammenhang von Ort und Zufriedenheit

188

Hitparade der Traumorte

192

Langzeitreisen als Lebensstil

197

Auswandern in Zeiten von Time-Shift und Geoarbitrage

201

Das modernste Land der Welt?

207

Bauernhöfe zu Büros!

210

Stadt oder Land? Eine alte Frage, neu verhandelt

213

Sommerhaus, jetzt

217

» Von der Me- zur Weconomy

221

Allein oder gemeinsam?

222

Solidarität in der Meconomy

224

Der Thinktank im Kanzleramt

227

Neue Strukturen für die Digitalen Ureinwohner

231

Lifestyledesign und Verantwortung – wie passt das zusammen?

235

Partizipation und Ethik

238

Reformen für die Kreativwirtschaft

242

Der Sozialstaat für die Generation Facebook

245

Start-up Deutschland

249

Die Ressource Information

253

Die Weconomy

256

Zurück aus der Zukunft: Lifehacking im Alltag

261

» Danke

265

» Material

267

» Literatur

273

» Über den Autor

275

» Impressum

276

Warum ich dieses Buch schreibe

„Starting your own business is risky, but the recent economic turmoil suggests that we should recalibrate our notions of safety. The working world used to be divided into safe but boring jobs, and exciting but risky ones. Of late, many of the supposedly safe professions have been decimated – which should help us let go of illusions of safety.“

Alain de Botton, Monocle‚ Small Business Guide‘ 2009/10

Eigentlich war der Plan wasserdicht. Ich hatte meine gut dotierte Festanstellung aufgegeben, denn ich wollte frei sein. Wollte raus aus dem Bürotrott, weg von der Fremdbestimmung, aus dem Klein-Klein von Meetingterror und Anwesenheitspflicht. Ich hatte mit „Morgen komm ich später rein“ sogar ein Buch darüber geschrieben, dass wir neuerdings arbeiten können, wann und wo wir wollen – Hauptsache, der Job wird erledigt. Und obwohl ich bei der Recherche für das Buch viele fortschrittliche Unternehmen fand, die ihren Mitarbeitern diese Freiheit einräumten und damit sehr erfolgreich waren, wusste ich doch: Mein alter Arbeitgeber, die Zeitschrift Vanity Fair, bei der ich als Managing Editor gearbeitet hatte, gehörte nicht dazu. Und die meisten anderen Medienunternehmen, die ich kannte, auch nicht. Journalisten sind immer im Dienst. Und gefälligst auch immer am Schreibtisch. Es könnte ja noch etwas passieren.

Also hatte ich beschlossen, mein Konzept des Überallarbeitens – das ich „Easy Economy“ genannt hatte – zunächst einmal in dem Status auszuprobieren, in dem es am einfachsten zu verwirklichen ist: als Selbstständiger. Ich hatte viele Kontakte, ein vorzeigbares Portfolio, viele Ideen und verlangte einen komfortablen Tagessatz. Ich würde unterwegs von irgendwo auf der Welt Artikel recherchieren und Konzepte entwickeln. Würde, wenn ich wieder in Deutschland war, Verlage und Agenturen beraten oder Vorträge halten. Und sollte ich mal für ein paar Monate Fernweh verspüren, würde ich einfach das nächste Buch schreiben. Auf Bali, in Buenos Aires, Bangkok – oder Born am Darß. Ich sah ein Leben vor mir, wie ich es immer erträumt hatte: unabhängig, kosmopolitisch, komfortabel.

Dann kam die Wirtschaftskrise.

Zunächst dachte ich, was wohl alle dachten: Geht vorbei, betrifft mich nicht. Dann fingen die ersten Menschen in meinem Umfeld – Profis, die ich als optimistisch und saturiert kannte – an schwarzzumalen. Die Aufträge würden weniger, die Budgets kleiner, die Kunden unfreundlicher. Schließlich merkte ich es selbst. Redakteure riefen nicht zurück. Honorare wurden gedrückt, Jobs, die ich für sicher hielt, von einem Tag auf den anderen storniert. Alles nicht dramatisch, aber doch schwierig, unsicher, irgendwie schlecht gelaunt.

Wollte ich wirklich ausgerechnet jetzt meine Vision von globaler Mobilität, maximaler Freiheit und Selbstverwirklichung im Job umsetzen? Oder ging es nun gar nicht mehr darum, später reinzukommen, sondern überhaupt noch? Nicht rumzicken, keine unrealistischen Ansprüche stellen und bitte schön: vor Ort und erreichbar sein. Überstunden machen, bevor einen die Kurzarbeit erwischt. Das waren doch in der Rezession die neuen Anforderungen an Arbeitnehmer und Freiberufler. Ich sollte wohl besser meine Reisepläne verschieben, die Kollaborations-Software einmotten und mich um einen ordentlichen 9-to-5-Job bemühen, solange es noch welche gab. Sollte mich freuen, wenn ich jeden Tag an meinen Schreibtisch gehen durfte.

Oder?

Nach einigen Tagen des Grübelns und vielen langen Diskussionen mit Freunden und Kollegen beschloss ich, zu tun, was jeder analytische Macher nach gründlichem Abwägen getan hätte: erst mal gar nichts. Vielleicht ging diese Krise ja doch von selbst vorbei. Jedenfalls mochte ich meine Theorien nicht beim ersten Widerstand über Bord werfen, auch wenn ich mir vorkam wie der Mann, der gegen den Flüchtlingsstrom auf einen Vulkanausbruch zuläuft.

An einem dieser Tage, an denen ich mich ernsthaft fragte, ob die Entscheidung, meine Führungsposition in der Redaktion aufzugeben, nicht doch etwas übereilt gewesen war, summte mein Telefon mit einer SMS: „Vanity Fair sofort eingestellt, alle gekündigt“, benachrichtigte mich ein früherer Kollege aus der Redaktionssitzung. Da wusste ich: Es war klüger gewesen, das sinkende Schiff auf eigene Initiative und mit einer Vision zu verlassen, als mich mit schlechtem Gefühl an eine Festanstellung zu klammern, die so fest ja eben doch nicht war. Meine freigestellten Exkollegen jedenfalls hatten es jetzt erst mal nicht leicht: Die Kündigung hatte sie überrascht, die meisten hatten keinen Plan B. Dazu kam: Wenn 80 Zeitschriftenmitarbeiter auf einen Schlag nach neuen Jobs suchen, wird es eng. In den folgenden Monaten entpuppten sich viele krisensicher geglaubte Jobs selbst bei Traditionsmarken als sehr wackelig: Märklin, Rosenthal, Schiesser, Karstadt, Opel – Sicherheit fürs Leben war dort, anders als für frühere Generationen, nicht mehr zu finden.

Ich hingegen merkte, dass die anfängliche Auftragsflaute nur an der Unsicherheit der Unternehmen zu Beginn der Krise gelegen hatte. Meine Theorie war offenbar doch nicht so blauäugig. Es konnte tatsächlich sein, dass ich mein freies, ungebundenes und glückliches Leben auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten würde führen können. Inzwischen verdiene ich – vorausgesetzt, ich nehme mir nicht zwischendurch frei – mindestens so viel wie als Festangestellter. Meine Arbeitsweise, manchmal vor Ort im Büro zu sein, manchmal aber auch von einem Café in Lissabon aus zu arbeiten, stellt keiner mehr infrage. Das Leben ist nicht immer einfach, aber näher an die Easy Economy kann man wahrscheinlich nicht kommen.

Ich habe seitdem viele Menschen kennengelernt, denen es ganz ähnlich ging wie mir: Von alten Gewissheiten enttäuscht, haben sie sich entschieden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und endlich das zu tun, was sie mögen. Sie gründeten ein Unternehmen für elektronisches Lernen, erfanden ein kleines Programm fürs iPhone, das es Menschen ermöglicht, ihre eigene Produktivität zu verbessern. Sie machten sich mit einer Agentur für Virtuelle Persönliche Assistenten selbstständig, arbeiteten im Winter in Südamerika oder immer von einem kleinen Häuschen in der Uckermark aus.

Für manche ist die Lehre aus der Krise, dass sie umso mehr an ihren Sicherheiten festhalten, vor allem: an der Festanstellung, so sie noch eine haben. Das ist verständlich und kurzfristig wohl auch vernünftig, aber auf längere Sicht nicht unbedingt die beste, jedenfalls nicht mehr die einzige Strategie. Manche kündigten ihre gut bezahlten Jobs, weil sie sich von der Krise nicht einschüchtern lassen wollten oder diese sogar als Chance sahen. Viele Berufsanfänger machten sich in der aktuellen Wirtschaftslage keine Hoffnungen auf die sichere Festanstellung und begannen von ihrem Wohnzimmer aus, nur mit dem Laptop bewaffnet, ein Geschäftsmodell zu verfolgen.

Es ist kein Zufall, dass der Ansatz der Easy Economy, also des mobilen, flexiblen und selbstbestimmten Arbeitens, auch in ökonomisch angespannten Zeiten funktioniert. In Wahrheit, so denke ich inzwischen, funktioniert er dann sogar besser. Die Krise ist – zumindest gefühlt – schon wieder vorbei, doch sie hat einen grundlegenden Mentalitätswandel bewirkt. Sie war der Katalysator für eine Entwicklung, die Experten schon vorher unaufhaltsam erschien, die nun aber noch einmal beschleunigt, vor allem aber für viele erstmals sichtbar wurde.

Am Ende stehen Lebens- und Arbeitsbiografien, die kaum noch etwas mit denen unserer Elterngeneration zu tun haben. Wir machen unsere Hobbys zum Beruf und verlegen unseren Lebensmittelpunkt dorthin, wo wir am glücklichsten und produktivsten sind. Wir müssen uns selbst wie eine Marke positionieren, unsere Stärken ausbauen und Dinge, die wir nicht so gern oder gut machen, an andere Experten auslagern, vielleicht sogar an Dienstleister in anderen Ländern. Wir machen uns leichteren Herzens selbstständig, aber vor allem werden wir selbstständiger denken und fühlen. Es wird ein gutes, aufregendes und erfülltes Leben sein, aber nicht jeder wird es führen können. Nur jene mit guter Ausbildung, Bereitschaft zu lebenslangem Lernen, kultureller Offenheit, Neugier und Glauben an die eigenen Fähigkeiten werden dazugehören. Das heißt zugleich: Viele werden durch dieses Raster fallen. Die neue Arbeitswelt, nennen wir sie „Meconomy“, wird hart werden, und sie wird die Gesellschaft in der Mitte spalten.

Zugegeben: Nicht jeder kann seine Leidenschaft zum Beruf machen, kann sich aus den Fesseln des Bürotrotts befreien und sich in der modernen Welt selbst verwirklichen. Von diesem Buch wird profitieren, für wen die Möglichkeiten der digitalen Ökonomie, der globalen Mobilität und der individuellen Markenbildung verlockend klingen. Wer unter der Fremdbestimmung einer Festanstellung leidet und sich überlegt, endlich mal etwas Sinnvolles mit seinem Leben anzustellen. Wer schon selbstständig ist, sich aber mit Routineplackerei und Brotjobs durchschlägt. Wer neue Jobs erfinden will, die es heute noch gar nicht gibt. Wer als Arbeitgeber wissen will, wie er künftig die besten Mitarbeiter anlockt. Dieses Buch ist nicht für Menschen geschrieben, die wohlige Routine, pünktlichen Feierabend und eine komplett berechenbare Zukunft schätzen. Es gibt auch Berufsbilder, in denen das Versprechen der Meconomy schlicht nicht funktioniert. Dies ist ein Buch, das hauptsächlich für eine Zielgruppe geschrieben wurde: Wissensarbeiter, auch Kreative Klasse genannt. Also Menschen, die mit Informationen umgehen, die eher Produkte entwickeln als herstellen, die eher digitale als handwerkliche Dienstleistungen anbieten, die hauptsächlich am Computer arbeiten. Das sind heute schon etwa 50 Prozent aller Jobs, Tendenz steigend, aber es sind eben nicht alle.

Vor allem aber wird die Meconomy für uns alle hart, weil wir mit weniger Sicherheiten auskommen müssen, ohne manche Leitplanken der alten Wirtschaftsordnung. Der Staat, die Sozialversicherungssysteme und viele politische Ordnungsmuster werden sich an diese neue Welt anpassen müssen, wenn sie noch eine Gültigkeit für die Menschen haben sollen. Wer sich statt auf seine Leidenschaften und Fähigkeiten weiter auf die staatlichen Netze, gelernte Routinen und den vertrauten Arbeitsalltag verlässt, wird es schwer haben, wird vermutlich zu den Verlierern gehören. Die netten Jahre sind vorbei. Jetzt kommen die aufregenden, die fordernden, die Jahre voller Gefahren und Gelegenheiten.

Dieses Buch erscheint als E-Book, gerade weil es davon handelt, dass wir heute viele klassische Institutionen nicht mehr brauchen, sondern Dinge heute selbst in die Hand nehmen können und weil ich den Beweis mit diesem Buch selbst antreten möchte – ich suche mir meine Leser selbst, ohne großen Verlag oder Buchhandlungen im Rücken – beziehungsweise: Die Leser finden, so hoffe ich, das Buch. Außerdem halte ich das digitale Format bei bestimmten Veröffentlichungen für überlegen: Ganz abgesehen davon, dass es immer komfortablere Lesegeräte gibt und dass die Paid-Content-Debatte, ob man also Inhalte im Internet verkaufen kann, an Fahrt gewinnt – der Hauptgrund, dieses Buch als E-Book zu veröffentlichen, ist Geschwindigkeit. Mein Verlag hätte bis zum kommenden Herbst gebraucht, es zu drucken und in die Buchhandlungen zu bringen – also fast ein Jahr. Die Thesen sind aber jetzt aktuell, und sie sollen jetzt diskutiert werden können.

Das heißt nicht, dass es dieses Buch nie auf Papier geben kann. Es zuerst digital zu veröffentlichen ist ein Experiment, auf dessen Ausgang ich selbst gespannt bin. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir helfen zu beweisen, woran ich fest glaube: dass dieser Vertriebsweg – nach Dokumenten, Musik, Fotos und Filmen – auch für längere Texte in naher Zukunft dramatisch an Relevanz gewinnen wird.

Einleitung

„The future of business will be more startups, fewer giants, and infinite opportunity.“Chris Anderson

Manchmal müssen wir aus der Bahn geworfen werden, um zu wissen, wo es hingehen soll. Manchmal brauchen wir einen ordentlichen Schubs von außen, um Veränderungen zu akzeptieren, von denen wir schon lange ahnten, dass sie unumkehrbar sind. Und manchmal wollen wir einfach mal etwas Neues ausprobieren, weil das Alte so komisch schal schmeckt und vermutlich eh bald umkippt.

Spätestens die Weltwirtschaftskrise hat uns die Grenzen vieler Werte und Regeln aufgezeigt, die noch unseren Eltern Sicherheit und Verlässlichkeit boten. Wir ahnten es schon, aber jetzt war es unübersehbar – kaum noch etwas bot existenzielle Sicherheit: der lebenslange Job? Die großen Unternehmensmarken? Die Altervorsorge? Marode oder komplett hinfällig. Die scheinbare Berechenbarkeit unseres Lebensrhythmus, der tägliche Weg zur Arbeit, das Sparen für die Rente – alles schien plötzlich hoffnungslos veraltet. Unzuverlässig. Falsch. Es war zum Verzweifeln. Oder man konnte in diesen Katastrophenmeldungen eine gute Nachricht entdecken: Denn was erwartet uns statt des patriarchalischen Systems von Rheinischem Kapitalismus, Reihenhaus, Rente? Vielleicht ja ein Leben, das wir schon seit einigen Jahren vorgeschmeckt haben, das wirklich zu kosten uns aber immer zu risikoreich erschien. Ein Leben, das uns Freiheiten, Entscheidungsoptionen und Wege der Selbstverwirklichung eröffnet, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren.

Für die kluge Zeitschrift Monocle war 2009 das „Rethink year“ – das Jahr des Umdenkens. Die Menschen hätten gelernt, sich auf ihre Fähigkeiten zu verlassen, sagte mir Chefredakteur Andrew Tuck, der Stimmen aus aller Welt zu diesem Thema veröffentlicht: „Es gab schreckliche Verluste für viele, aber auch einige heilsame Korrekturen.“ Auch Tuck glaubt, dass es nun einfacher ist, sich neu zu erfinden: „Ich kenne Menschen, die vom Fotoagenten zum Koch umgeschult haben oder vom Banker zum Bauern und die in beiden Bereichen gut sind. Ich finde das toll. Es ist nie zu spät, zu tun, woran einem wirklich liegt.“ Viele hätten in und nach der Krise gelernt, was sie wirklich glücklich macht.

Tu, was du liebst, heißt es, dann wirst du keinen Tag deines Lebens arbeiten. Was früher nach schwülstiger Selbstfindungsromantik klang, wird heute plötzlich möglich. Nicht zuletzt die digitale Ökonomie macht es einfacher und zugleich notwendiger, Zielgruppen, Anhänger und Märkte für Tätigkeiten und Produkte zu finden, für die wir brennen. Das Leben wird zu einem Baukasten der Möglichkeiten. Modular können wir uns genau jene Teile zusammensetzen, die zu uns passen.

Hierüber tauschen sich von überall in der Welt neuerdings Menschen aus – wie sich die alltäglichen Dinge des Lebens mithilfe von praktischen Tricks und moderner Technik besser bewältigen lassen. Sie versuchen so, ihre persönliche Produktivität zu optimieren, weil der gute alte Bürotag von neun bis fünf zunehmend der Vergangenheit angehört und wir dank diesem Ende der Anwesenheitspflicht erstmals ein wahres Interesse daran haben, Dinge schneller und effizienter geregelt zu bekommen, um danach freizuhaben. In meinem letzten Buch, „Morgen komm ich später rein“, habe ich gezeigt, wie man durch mobile und flexible Arbeitsweise heute weniger Zeit im Büro verbringt und Zeit für andere Dinge gewinnt. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Was passiert dann? Wie nutzt man nun diese Zeit? Für immer mehr Menschen lautet die Antwort: Bildung, Fähigkeiten erweitern, Selbstverbesserung.

Gleichzeitig machen die neuen Kommunikationstechnologien auf der Basis von Internet und mobilen Services das Bilden, Motivieren und Mobilisieren von Gruppen immer einfacher. So kann heute jeder von uns zum Anführer seines eigenen „Stammes“ werden, wie der Marketing-Experte Seth Godin das nennt. Die heute 18- bis 25-Jährigen gelten schon jetzt als die „kreative Generation“, denn sie sind es gewohnt, nicht nur zu konsumieren, sondern genauso selbstverständlich zu produzieren. Auch dies ist für jeden von uns eine nie dagewesene Chance der Selbstverwirklichung.

Mit der Arbeitswelt verändern sich auch die Geschäftsmodelle. „What would Google do?“, fragt der amerikanische Autor Jeff Jarvis und gibt die Antwort für viele Branchen: Auch sie müssen sich neu erfinden – müssen viele ihrer ehemaligen Geschäftsgeheimnisse offenlegen und ihre Produkte von Kunden und Subunternehmern auf unerwartete Weise remixen lassen. Chris Anderson, Chefredakteur der klugen Technologiezeitschrift Wired, hat als neuen Trend „Free“ identifiziert – das Verschenken von Produkten und Dienstleistungen, um dann auf verschiedene neue Weisen doch wieder Geld zu verdienen. Fest steht: Viele Geschäftsmodelle wandeln sich gerade grundlegend. Und die meisten Unternehmen haben heute noch keine Antwort auf diese Veränderungen. Das bedeutet zweierlei: 1) Egal, wie stabil und groß unser Arbeitgeber bislang war – sein Erfolg in der Zukunft, und damit unser Job, ist ungewiss. 2) Die Barrieren für einen erfolgreichen Markteintritt neuer Player sind so niedrig wie nie. Wenn niemand weiß, wie es weitergeht, können genauso gut wir es sein, die die Zukunft miterfinden.

Wir sind im positiven Sinne auf uns selbst zurückgeworfen. Die kleinste sinnvolle Einheit, auf die wir uns in der Wissensgesellschaft verlassen können, ist unser Kopf.

Wir selbst.

In diesem Buch möchte ich zehn zentralen Entwicklungen nachgehen, die meiner Meinung nach unsere Arbeits- und damit Lebenswelt in den kommenden Jahren prägen werden:

1) Tradierte biografische Routinen und Eckdaten der Lebensplanung wie Festanstellung, sichere Rente, 9-to-5-Arbeitstag oder klassische Ausbildung verlieren zunehmend an Wert. Immer mehr von dem, was die Existenz unserer Eltern noch überschaubar machte, ist für die Generation der unter 40-Jährigen bestenfalls von sentimentalem Wert.

2) Viele der Jungen stehen klassischen staatlichen Strukturen reserviert gegenüber, nehmen Sicherheitsversprechen im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr für bare Münze. Sie setzen stärker auf Eigeninitiative und Unternehmertum denn auf klassische Karrierewege. Wenn die Sozialstandards langfristig nicht zu halten sind – so die Devise –, dann will ich wenigstens Freiheit haben.

3) Arbeit wird zunehmend mobil und flexibel, wir verbringen nicht mehr den Großteil unseres Lebens in Büros. Dieser veränderte Arbeitsalltag ergibt sich vor allem durch technologische Neuerungen, und durch sie kristallisieren sich auch alternative Berufsfelder heraus. Weil Wissen, Fähigkeiten und Geschäftsmodelle immer schneller veralten, müssen wir uns permanent neu erfinden. Die Floskel des lebenslangen Lernens ist für uns harte Realität.

4) Wir haben das Gefühl, auf uns selbst gestellt zu sein. In der Folge wird Individualität als Lebensziel für viele immer wichtiger. Andere fühlen sich von der Entwicklung aber auch abgehängt und überfordert.

5) In diesem Wandel steckt eine enorme Chance. Denn durch die kommunikativen Möglichkeiten des Internets finden wir nicht nur viele Gleichgesinnte, mit denen gemeinsam wir Neues lernen können. Die Technologie dient zugleich als großes Bildungslaboratorium. Die Vermittlung von Wissen wird zunehmend kostenlos, global, individuell und zugleich sozial organisiert.

6) Gleichzeitig verschafft uns dieser kommunikative Anschluss an die Welt erstmals die Möglichkeit, unsere Leidenschaften zum Beruf zu machen, Geld mit dem zu verdienen, was uns begeistert. Im Internet finden wir Kunden, Gleichgesinnte und also Geschäftsmodelle – allerdings auch den größtmöglichen Wettbewerb. Wir müssen also nicht nur unser Leben stärker in die Hand nehmen, wir können es erstmals auch.

7) Es reicht nicht mehr, Dinge einmal zu lernen und dann im Job zu funktionieren. Wir müssen uns vielmehr als Marke inszenieren, müssen Personal Branding betreiben, um im weltweiten Wettbewerb um Arbeitskräfte mitzuhalten. Auch hierbei helfen die Link-Ökonomie des Internets und die Rückbesinnung auf unsere Stärken und Leidenschaften.

8) Glücksforscher sagen, dass wir mit dieser selbstbestimmten, abwechslungsreichen und doch fordernden Art, unsere Arbeit und unser Leben zu gestalten, alle Voraussetzungen erfüllen, um glücklich zu sein.

9) Personal Branding sowie die zunehmend mobilere und flexiblere Natur von Arbeit erlauben uns, die Orte auszusuchen, an denen wir zufrieden und produktiv sind. Leben und Arbeit sind nicht mehr an einen Arbeitgeber und einen Wohnort gebunden. Wir werden global mobil. Auch das kann uns glücklicher machen.

10) Weil wir zunehmend selbst bestimmen, wie, wo und mit wem wir unser Geld verdienen, stellt sich die Sinnfrage verstärkt. Der Trend, ökonomisches und soziales Engagement zu verbinden, nimmt zu. Wir wollen Gutes tun, glücklich sein und Geld verdienen. In der alten, patriarchalischen, hierarchischen und unflexiblen Arbeitswelt schloss sich das in der Regel aus. In der Meconomy ist es geradezu Voraussetzung für den Erfolg.

All das wirft viele neue Fragen auf, mit denen sich dieses Buch beschäftigen soll. Im ersten Teil, „Was ist heute anders?“, werden die veränderten Rahmenbedingungen der Meconomy zusammengefasst. Ob und wie dieser Wandel uns zu zufriedeneren Menschen machen kann, wird im zweiten Abschnitt diskutiert: „Was macht mich glücklich?“ Im dritten Kapitel erfahren wir unter dem Titel „Was kann ich können?“, was wir wissen müssen, um in der Meconomy Erfolg zu haben, und wie wir dieses Wissen erwerben. „Wie werde ich arbeiten?“, fragt der vierte Abschnitt. Anhand vieler Beispiele und Studien wird hier erklärt, warum wir heute unsere Leidenschaften zum Beruf machen können und müssen. Dass uns diese Jobs, aber auch eine gesunde Portion Fernweh in die Ferne tragen können, sehen wir im fünften Kapitel, „Wo will ich leben?“, in dem es um unsere neue globale Mobilität geht. Am Ende soll es im sechsten Teil um die Frage gehen, weshalb die Meconomy keine rein egoistische Lebensanschauung mit sich bringt, sondern im Gegenteil eine neue Kultur der Empathie und des sozialen Engagements befördert. Gleichzeitig wird gefragt, welche Rolle der Staat mit seinen Institutionen dabei spielen kann und welche politischen Reformen jetzt nötig sind: „Von der Me- zur Weconomy“.

„Meconomy“ ist dabei ein unbedingter Aufruf zur Tätigkeit. Ein optimistischer Gegenentwurf zu Weltuntergangsszenarien, Krisendepression und Passivitätslehren von „Durchtauchen“, Aushalten und Abwarten. Es ist ein Lebensbaukasten – die Aufforderung, seine Existenz nicht zu erleiden, sondern aktiv zu formen. Es wendet sich an den Einzelnen, der seine Karriere stärker selbst in die Hand nehmen möchte. Aber auch an den Arbeitgeber, der verstehen möchte, welcher Wandel in den Bedürfnissen hochqualifizierter Arbeitskräfte auf sein Unternehmen zukommt. Mit vielen Beispielen aus der Praxis und verständlicher theoretischer Unterfütterung fasst es den aktuellen Diskussionsstand internationaler Wissenschaftler, Unternehmer und Praktiker zusammen. Wir leben in unübersichtlichen Zeiten. Ich möchte nicht darüber klagen, sondern erklären, warum es nicht anders sein kann. Was wir daraus lernen. Und wie wir die neuen Entwicklungen nutzen können, um für uns und unsere Kinder ein besseres Leben zu bauen.

Was ist heute anders?

„This is the modern world that I’ve learnt about

This is the modern world, we don’t need no one

To tell us what is right or wrong -

Say what you like cause I don’t care

I know where I am and going too

It’s somewhere I won’t preview.“

The Jam:‚(This is) The Modern World‘

Das Ende des Büros und seine Folgen

Wie wollen wir eigentlich leben? Diese Frage treibt nicht nur Berufseinsteiger um, sondern auch jene ältere Generation, die immer viel gearbeitet und spätestens in der Krise nun gemerkt hat, dass ein größtenteils im Büro verbrachtes Leben vielleicht nicht unbedingt das erfüllteste ist. „Es ist seit den 70er-Jahren etwas aus der Mode gekommen, Zeit zu haben“, schreibt Claudia Voigt im Kulturspiegel. „Wer Zeit hatte, war entweder alt oder hatte schon in jungen Jahren verloren.“ Wir haben zu Unrecht und zu lange das Glück am Arbeitsplatz gesucht, haben elf oder zwölf Stunden am Tag in Büros verbracht und uns dabei aufgerieben. „In dieser Hinsicht hat die aktuelle Wirtschaftskrise etwas Gutes“, findet die Spiegel-Autorin. „Sie ist so tiefgreifend und systemerschütternd, dass plötzlich Raum entsteht für Fragen: Wie haben wir eigentlich gelebt? Was war uns wichtig, was waren unsere Werte? Soll das so weitergehen? Und: Wie wollen wir eigentlich leben?“

Sie plädiert für ultraflexible und vor allem kürzere Arbeitszeiten, weil man auch in nur 30 Wochenstunden kluge Ideen entwickeln kann. Dafür, wirklich nur zum Arbeiten ins Büro zu kommen, statt dort Kaffee zu trinken, private E-Mails zu lesen oder sich Musik aus dem Netz zu laden. Schimpft gegen die Pflicht zu Daueranwesenheit und Überstunden in Führungspositionen. Sie findet es gut, Geld gegen Zeit zu tauschen und sich diese frei einteilen zu können. Ein wichtiger Artikel, weil er einen Zusammenhang zwischen neuer Arbeitswirklichkeit, Wirtschaftskrise und Sinnfrage nennt, den ich auch so sehe: „Wie wollen wir leben? Viel Arbeit, wenig Zeit: Lange galt das als einziger Weg zu einer erfolgreichen Existenz. Doch die Krise wird das ändern – zum Glück.“ Und weil er eine Frage stellt, die ich in diesem Buch zu beantworten versuche: „Was fangen nun jene Menschen an, die heute schon nicht mehr rund um die Uhr an ihrem Arbeitsplatz sind?“

Willkommen in der Meconomy

Plötzlich schienen die Cover der unterschiedlichsten Zeitschriften voll von Themen wie den Fragen nach Sinn und Selbstverbesserung angesichts der Wirtschaftskrise zu sein. Auf dem Wissensmagazin der Süddeutschen Zeitung prangte als Zeile: „Das gute Leben – Alternativen zum Leistungswahn.“ Der Focus titelte „Glück, selbst gemacht“, und behauptete: „Die Deutschen entdecken den Spaß, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.“ Die Junge Karriere forderte in derselben Woche auf der Titelseite: „Erfinden Sie Ihren Job neu“, und fragte: „Arbeiten Sie noch oder leben Sie schon? Wie Sie sich und Ihren Beruf neu ausrichten – mit oder ohne Chef!“ Irgendetwas geschah hier.

„In der Krise stellen die Menschen wieder vermehrt die Frage nach dem, was wirklich wichtig ist“, analysierte die Süddeutsche. Manche probten den Ausstieg aus einem System, das sie als sinnentleert empfänden, und eine neue Generation von Sozialwissenschaftlern denke über andere Gesellschaftsmodelle nach: „Wo alte Gewissheiten erschüttert werden, wächst bei vielen die Bereitschaft, Neues zu wagen.“

Der Münchner Soziologe Ulrich Beck sieht in Sachen neuer Lebenskonzepte gar „einen unglaublichen Reformbedarf wie zu Beginn der Industrialisierung“. Horst Opaschowski, wissenschaftlicher Leiter der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen und Berater von Wirtschaft und Politik, sekundiert, die weltweite Krise sei eine „Wendezeit“, die er gar mit der 68er-Bewegung vergleicht. „Damals war die gleiche Aufbruchstimmung wie jetzt.“ Deutschland stehe am Beginn einer Periode der Erneuerung: „Zukunftsvisionen werden nicht länger nur mit Produktvisionen verwechselt. Und mehr mit unternehmerischem Mut als mit Staatsgläubigkeit wollen die Bundesbürger Wege in die Zukunft beschreiten.“

Auch in einer aktuellen Untersuchung des Zukunftsinstituts von Trendforscher Matthias Horx wird die Wirtschaftskrise als reinigendes Gewitter gewertet, als Beschleuniger für einen überfälligen Umbruch. Mitarbeiter wandelten sich zunehmend zum Selbstunternehmer. Starre Hierarchien, behäbige Kommunikationsstrukturen und lineare Unternehmensabläufe passten immer weniger zur schnell drehenden digitalen Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts. Selbstständigkeit, freiberufliche Projektarbeit, temporäre Arbeitslosigkeit oder Multijobbing kennzeichneten die neue Arbeitswelt. Der Wunsch nach einer sinnvollen beruflichen Tätigkeit und nach Selbstverwirklichung im Job würden in der Ökonomie von morgen zur entscheidenden Produktivitätskraft für zukunftsfähige Unternehmen.

Das Leben als Baukasten

Die fast zur selben Zeit erschienene Titelgeschichte von Handelsblatt Junge Karriere setzt genau hier an. Der Ableger der großen Wirtschaftszeitung beschreibt eine neue Generation von Arbeitnehmern, die die Prozesse im Unternehmen selbst gestalten und sich weiterbilden wollen – die den Job und sich selbst neu erfinden. „Neue Pfade beschreiten und Ideen ausprobieren, das ist wichtiger als je zuvor“, so das Fazit der Autoren, denn: „Wer sich heute für einen Beruf entscheidet und eine Stelle annimmt, muss davon ausgehen, in seinem Leben eine Vielzahl von Stationen zu absolvieren.“

Der Soziologe Richard Sennet schätzt, dass ein Amerikaner in 40 Arbeitsjahren elfmal den Job wechselt und dreimal sein gesamtes Know-how austauscht. Hierarchien verflachen auch in Deutschland, gesetzliche Regulierungen gehen zurück, Arbeitsverhältnisse werden kürzer. „Darin liegt die Chance, sich selbst zu verwirklichen, aber auch das Risiko, der Entwicklung nicht mehr folgen zu können“, so die Junge Karriere.

Dieses Phänomen ist heute so aktuell wie nie, aber es ist nicht neu. Schon 1960 prägte der Management-Professor Douglas McGregor den Begriff des „Self-Actualizing Man“ – des sich selbst neu erfindenden Menschen, der nach Selbstverwirklichung strebt, indem er seine Talente und Möglichkeiten im Unternehmen ausnutzt. Richard Sennett beklagte Ende der 90er-Jahre den neuen „flexiblen Menschen“, der zwischen stets neuen Herausforderungen des sich permanent wandelnden Kapitalismus sein wahres Ich zu verlieren droht. Um die Jahrtausendwende konnte der US-Soziologe Richard Florida dieser unsteten Lebensweise hingegen viel Positives abgewinnen: Seine „Kreative Klasse“ arbeitet ideengetrieben, ist extrem mobil, hat lieber viele lockere Bekanntschaften als wenige enge Freunde und ist allgemein jederzeit bereit, Job, Wohnort – sprich: ihr Leben – zu verändern.

Und das ist auch nötig, derzeit mehr denn je. Der Dienst nach Vorschrift läuft aus, „und damit sterben auch die klassischen Jobs“, so Arbeitsmarktforscher Frank Wießner. Produktionsprozesse werden automatisiert oder in Billiglohnländer verlegt. Arbeitnehmer müssen immer wieder neue Qualifikationen erwerben und mit immer schneller veraltendem Expertenwissen punkten. „Die wissensintensiven Berufe boomen“, so Wießner.

Die Wirtschaftskrise hat diese schon länger wirksamen Tendenzen verstärkt, fokussiert, teils einfach nur sichtbar gemacht. Für die Generation der 20- bis 35-Jährigen sind es keine abstrakten soziologischen oder ökonomischen Theorien – es ist die Welt, in der sie leben und in der ihnen ganz neue Fähigkeiten abverlangt werden, um zurechtzukommen. Ihre Eltern tun sich oft bereits schwer, sich in diese zutiefst unsichere, hochbewegliche und zugleich von enormen Möglichkeiten geprägte Existenz hineinzudenken. In einer Titelgeschichte über die „Krisenkinder“ schrieb der Spiegel im Sommer 2009: „Das Lebensgefühl der Unsicherheit nimmt jetzt, in der Krise, noch zu. Dieses Gefühl ist es, was diese Generation in allen Milieus verbindet.“

Timm Klotzek, Chefredakteur der Zeitschrift Neon, die als Sprachrohr, Kummerkastentante und Ratgeber der unter 30-Jährigen gilt, meint, es gebe für seine Leser ein zentrales Anliegen: „Die große Frage ist: Was wird aus mir?“ Die Krisenkinder machen das Beste aus einer von enormer Unübersichtlichkeit geprägten Situation, und sie machen das schon sehr gut. Sie sind weltweit mobil. Im Think Tank 30, der jungen Ideenschmiede des Club of Rome, trifft sich die gut ausgebildete Elite dieser Generation und spricht über die Probleme der Welt. Einer ist gerade aus den USA gelandet, zwei aus London, einer aus Mali. Einer hat neulich eine Weltreise gemacht und in 25 Ländern Videokonferenzen mit Schulen organisiert. „Es mögen nur fünf oder zehn Prozent dieser Generation sein, die ein wirklich globales Leben führen, aber das strahlt auf den Rest der Generation aus und wird zum Modell“, so Jugendforscher Klaus Hurrelmann. „Flexibilität, Mobilität, Globalität, das ist ihre Dreieinigkeit“, schreibt der Spiegel.

Dazu kommt eine zunehmende Suche nach Sinn im Geldverdienen, der Wille, auszutreten aus den trüben Arbeitsroutinen und Sachzwängen, die den Alltag ihrer Eltern noch so oft geprägt haben. Klar: Jede junge Generation will aufregender leben als die vorhergehende. Aber die aktuelle hat – gesellschaftlich und technologisch – erstmals so viele Mittel, dies auch wirklich umzusetzen, wie vielleicht keine zuvor. Und zurück in die alten Sicherheiten geht es ja eh nicht mehr.

Darum wollen sie mitreden, wenn es darum geht, ihre Jobs zu definieren. Laut einer Studie des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie von 2004 möchten 71 Prozent Prozesse mitgestalten. Zwei von drei Arbeitnehmern wollen ihre Fähigkeiten laufend weiterentwickeln und in ihrer beruflichen Laufbahn gefördert werden. Laut Arbeitsmarktklima-Index von 2009 steigt die Zufriedenheit am Arbeitsplatz mit jenen Aufgaben, die Mitarbeiter erfüllen dürfen.

Doch genau dieses Bedürfnis der Mitarbeiter, sich einzubringen, kreativ zu sein, Vorschläge nicht jedes Mal von Hierarchien und Gremien zerreden zu lassen, erfüllen viele Unternehmen heute noch nicht: Der DGB-Index „Gute Arbeit“ befragte 8000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aller Regionen, Einkommensgruppen, Branchen, Betriebsgrößen, Beschäftigungsverhältnisse gemäß ihrem Anteil an den abhängig Beschäftigten. Die meisten stuften sowohl Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten in ihrem Job als auch das Potenzial für Kreativität sowie die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten als nur „mittelmäßig“ ein.

Was der Arbeitsforscher sagt

Werner Eichhorst ist der stellvertretende Direktor Arbeitsmarktpolitik am Bonner Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA). Er wird oft von der Bundesregierung nach Berlin eingeladen, wenn die Politiker mal wieder wissen wollen, wie es weitergeht. Auch im Fernsehen ist er oft zu sehen. Ein klassischer Politexperte also. Auch solche Menschen haben heute ein Facebook-Profil, auf dem man erfährt, dass der 40-Jährige Erik Satie, Bill Murray und Gerhard Richter mag, Montaigne liest und den Film „Amelie“ gut findet. Eichhorst ist also ein ziemlich moderner Wissenschaftler, und darum wollte ich hören, was er zum Thema Meconomy denkt:

Herr Eichhorst, die Wirtschaftskrise flaut ab, doch der Schrecken sitzt tief, viele alte Gewissheiten und Institutionen sind erschüttert. Müssen wir uns und unsere Jobs nun neu erfinden?

Werner Eichhorst: Zumindest Berufseinsteiger, die sich derzeit überall Einstellungsstopps und prekären Arbeitsverhältnissen gegenübersehen, müssen jetzt besonders kreativ sein. Gegenwärtig kommt eine ganze Welle von hochqualifizierten und hochmotivierten Leuten in den Arbeitsmarkt, die nicht ohne Weiteres eine Stelle finden werden, die ihren Ansprüchen genügt. Sie werden die eine oder andere Warteschleife durchlaufen müssen und in dieser Zeit sicher auf die Idee kommen, mal etwas Neues auszuprobieren. Wären feste Jobs mit guter Bezahlung bis zur Rente beliebig verfügbar, würden sie auch von den Jüngeren sicher gern angenommen. Nun ist die Situation aber aufgrund struktureller Veränderungen und der aktuellen Krise in der Wirtschaft nicht so. Jeder ist also gehalten, sich mit eigener Anstrengung und eigener Kreativität über Wasser zu halten – das ist die ganz zentrale Herausforderung für den Einzelnen.

Wie sieht das in Zahlen aus?

Eichhorst: Zwar zeigen unsere Studien, dass immer noch 55 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland unbefristet in Vollzeit arbeiten und dass diese Zahl auch in den letzten Jahren gar nicht stark zurückgegangen ist. Auch gibt es insgesamt mehr Arbeitsplätze als noch vor fünf oder zehn Jahren. Wir haben also einen größeren Arbeitsmarkt als früher, auch viele Frauen und frühere Arbeitslose sind neu in diesen Markt eingetreten. Wir sehen – bei einem relativ stabilen Kern – zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich Selbstständigkeit, Zeitarbeit und Teilzeit. Zugleich sind die Übergangsphasen am Berufseinstieg eher länger geworden. Auch Höherqualifizierte machen heute mehr Volontariate, Praktika und zusätzliche Qualifikationsphasen, viele von ihnen haben zunächst eine befristete Beschäftigung. Das ist für die meisten bereits ein normales Einstiegsverhältnis, sozusagen eine verlängerte Probezeit.

Wird bald alles wieder so werden wie vor der Krise?

Eichhorst: