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»Lange dachte ich, ich sei Atheistin, brauche und kenne keinen Gott, will keine Kirche, nichts davon. Aber an irgendetwas Höheres habe ich immer schon geglaubt, ich wollte es nur nicht sehen.« Für Nina Brunetto spielte Religion lange Zeit keine Rolle. Ihre Kindheit und Jugend waren von Vorurteilen vor allem gegenüber der Institution Kirche geprägt, wie sie ihr in ihrem Umfeld und durch die Medien vermittelt wurden. Dennoch begegnen ihr auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben immer wieder Menschen und Momente, die sie zum Nachdenken über ein mögliches "Mehr" zwischen Himmel und Erde bringen. Und als sie bei einer Einladung zum Abendessen im großen Kreis unerwartet ihren Platz neben dem Abt findet, wird das Gespräch mit dem Mann des Glaubens zu einem echten Wendepunkt in ihrem Leben. Ein persönliches und ehrliches Buch über den ungewöhnlichen (Um-)Weg einer jungen Frau von der überzeugten Atheistin zur engagierten Christin.
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Seitenzahl: 196
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024
ISBN 978-3-7365-0556-8
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2018
ISBN 978-3-7365-0568-1
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher
Lektorat: Marlene Fritsch
Covergestaltung: Anja Marschhäuser
Covermotiv: nerudol/iStock.com und NYS444/iStock.com
www.vier-tuerme-verlag.de
Nina Burnetto
Dinner mit dem Abt
Mein Umweg zum Glauben
Vier-Türme-Verlag
Dinner mit der Autorin
Vorwort von Abt Michael Reepen
Es war für die Abtei Münsterschwarzach ein echtes Experiment, eine »Buchmesse im Kloster« stattfinden zu lassen, an der verschiedene christliche Verlage teilnehmen würden. Mein Wunsch war es, dass wir Wege finden, wie die christliche Botschaft heute zu den Menschen kommt. Ich bin davon überzeugt, dass sie gerade in der heutigen Zeit den Menschen Wegweisung und Richtung geben kann. Bei allem, was Religion und Kirche im Lauf der Geschichte immer wieder daran verdunkelt hat, beinhaltet diese Botschaft der Liebe und Barmherzigkeit noch immer eine Antwort auf die Fragen unserer Zeit.
Dann wurde unser Experiment im Mai 2023 Wirklichkeit: Autoren, Verlage und Buchhändler bildeten mit den Besuchern ein bunt gemischtes Publikum. Es war echtes Interesse an spiritueller Literatur zu spüren. Am Abend hatten der Vier-Türme-Verlag und die Abtei zu einem festlichen Abendessen im Kloster eingeladen. Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatte ich schon über den Tag kennengelernt, andere waren mir noch fremd.
Normalerweise sitzt der Abt bei solchen Anlässen mit den Honoratioren des Abends »am Hochaltar«, weil es oft so erwartet wird. Dieses Mal war allerdings der Speisesaal so vorbereitet, dass den Gästen mit Tischkärtchen bestimmte Plätze zugewiesen wurden. Ich musste erst suchen, wo ich denn sitze. An einem Tisch war noch ein Platz frei und das war der meine. Ich kannte eigentlich nur die Benediktinerin, die dort schon Platz genommen hatte. Als ich mich niederließ, spürte ich das Erstaunen der Gäste, dass ich an ihrem Tisch sitze. Und ich meinerseits fand es lustig und interessant, mit mir ganz fremden Menschen den Abend zu verbringen. Nach und nach stellten sich alle vor.
Neben mir saß eine sympathische junge Frau – wie ich später erfuhr, war es Nina Brunetto, die Autorin dieses Buchs. Wir kamen ins Gespräch. Sie war die Partnerin eines Autors unseres Verlages. Es stellte sich heraus, dass sie mit Kirche und Religion nicht viel am Hut hatte. Ich fand das interessant und dachte mir: Das sind genau die Menschen, die Benedikt in seiner Regel meint, wenn er schreibt: »Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen ›Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen‹. Allen erweise man die angemessene Ehre« (Regel Benedikts 53,1f). Er fragt also nicht, ob jemand katholisch oder evangelisch ist oder irgendeine andere oder gar keine Religion hat. Er sieht den Menschen und in ihm sieht er Christus. Im Kloster sollen alle Menschen willkommen sein, die auf der Suche sind und eine Sehnsucht in ihrem Herzen haben.
Mönche sind ein Leben lang Sucher, Gott-Sucher. Deshalb freuen wir uns über Menschen, die mit uns auf der Suche sind. Wir bieten den Raum, Anteil zu nehmen an unserer Weise, Gott zu suchen. So fand ich es interessant, mich mit meiner Tischnachbarin über ihre Suche auszutauschen. Ich hörte ganz wach hin, als sie davon sprach, dass sie als Kind Gebete gesprochen hatte und auch immer wieder in Berührung mit dem Göttlichen kam. Das schien ihr gar nicht bewusst gewesen zu sein.
Ich staune immer wieder, auf welche Weise Gott Menschen ansprechen kann, wie unterschiedlich sie von ihm berührt und getroffen werden. Ich bin in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Der Glaube, das Gebet und die kirchliche Sozialisation waren selbstverständlich. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass ich Glaube und Kirche immer als Freiheit erleben durfte. In dieser Atmosphäre bin ich groß geworden, und es gab mir Halt und Orientierung. Mein Gottesbild hat sich dabei immer wieder verändert. Als Kind war es der gute Vater im Himmel. Als Jugendlicher habe ich ihn als Freund entdeckt, dem ich alles erzählen kann, der mich versteht, bei dem es keine Missverständnisse gibt. Er ist mit mir Fahrrad gefahren und ich habe mit ihm einfach gesprochen. Später wurde mir das stille Sitzen, das Sein in Gottes Gegenwart wichtig. Egal, was ich tue und wo ich bin, ich werde von ihm liebevoll angeschaut. Ich kann nicht aus ihm herausfallen. Der Vers aus der Apostelgeschichte trifft meine Gottesbeziehung: »In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir« (Apostelgeschichte 17,28).
Nina Brunettos Buch gibt Zeugnis einer spannenden Suche nach Gott. Es lässt spüren, dass es um ein tiefes Inneres geht, das die Autorin ahnt, schon geschmeckt hat und das sie nicht mehr loslässt. Das Buch kann eine Ermutigung sein, die Spuren Gottes im eigenen Leben zu entdecken. Sie sind oft unscheinbar, versteckt, zeigen sich auf verschlungenen Wegen erst im Nachhinein. Manchmal scheint das Erlebte überhaupt nichts mit Gott zu tun zu haben. Und doch ist er präsent – auch in allen biografischen Brüchen und scheinbaren Ungereimtheiten.
Münsterschwarzach, im Winter 2023 Abt Michael Reepen
Dinner mit dem Abt
Wieso sollte jemand ausgerechnet mich hier platzieren? Neben dem Abt höchstpersönlich? Ich war niemand. Wusste nicht mal, ob ich hier sein durfte. Die Hände unsicher im Schoß gefaltet, stellte ich mich den anderen am Tisch vor. Sechs Menschen, alle mehr oder weniger mit der Kirche verbandelt. Verlagsleute, Autoren und Autorinnen, Buchhändler und Buchhändlerinnen – und ich. Die Sängerin, die eigentlich nur Begleitung war und hübsch aussah. Ich versuchte, die Schrift auf dem Platzkärtchen neben mir zu entziffern – der Platz war noch leer –, als sich bereits der ganze Tisch ehrfürchtig einer ankommenden Person zuwandte: das lange schwarze Gewand, das große Kreuz vor der Brust. Etwas orientierungslos wie wir alle erkannte er seinen Platz und setzte sich genauso verwundert, wie ich es war, neben mich. Ein Raunen am Tisch: »Oho, der Abt höchstpersönlich. Willkommen an unserem bescheidenen Tisch.«
Lautes Lachen. Ich rutschte unsicher auf meinem Stuhl herum. Nachdem er sich dem ganzen Tisch vorgestellt hatte, streckte er mir die Hand entgegen: »Entschuldigen Sie, wer Sie sind, habe ich jetzt gar nicht mitbekommen. Warum sind Sie hier?«
Beinahe hätte ich laut losgelacht und gesagt: »Das frage ich mich auch!«, aber ich lächelte stattdessen, gab dem Abt meinen besten Händedruck – nicht zu lasch und nicht zu fest – und stellte mich vor: »Ich bin Nina und eigentlich nur die Begleitung von einem Ihrer Autoren. Er hatte heute eine Lesung hier und ich habe die Musik beigesteuert. Also, ich bin auch die Lebensgefährtin beziehungsweise seine Frau, wissen Sie?«
Hätte ich meinen Nachnamen nennen sollen? Zu spät. Der Abt lächelte vergnügt. »Ach, schön, schön.«
Genau. Schön, schön. Hoffentlich kam keiner hier am Tisch darauf, dass ich mich fühlte wie eine Hochstaplerin kurz vor dem Auffliegen.
Sobald alle Gäste ihren Platz gefunden hatten, hielt der wohl bekannteste Autor und Mönch des Klosters, Anselm Grün, eine kurze Begrüßungsansprache. Und dann kam das, was ich bereits befürchtet hatte: »Nun lassen Sie uns gemeinsam das Tischgebet sprechen.« Während alle anderen den Kopf senkten und ihre Hände auf dem Tisch oder im Schoß verschränkten, tat ich es ihnen gleich und spinkste im Augenwinkel, was ich tun musste. Bloß nicht auffliegen, dachte ich. Tu einfach so, als wäre das Tischgebet für dich das Normalste auf der Welt.
Schon nach einer Minute war es vorbei. Alle bekreuzigten sich. Ich versäumte es beschämt, doch gerade noch rechtzeitig kam mir das leise »Amen« über die Lippen, und keiner bemerkte meine Verfehlung. Glück gehabt. Während der erste Gang und – Gott sei Dank! – der Wein serviert wurde, begannen auch schon die Gespräche unter den Gästen. Man fragte sich darüber aus, für welchen Verlag man arbeite, welches Buch man veröffentlicht habe, tauschte sich über den Buchhandel aus. Die ältere, auf mich ganz erhaben wirkende Benediktinerin an unserem Tisch erzählte, welches Kloster sie wo geleitet hatte, der Abt hörte zu und freute sich sichtlich an der Gesellschaft. Nur ich fand keinen richtigen Anschluss. Natürlich nicht. Ich hatte es ja auch schon von vornherein genau so erwartet. Man liegt, wie man sich bettet. Ich lächelte, nickte, versuchte, mich zu beteiligen, wusste aber nichts Kluges zu sagen und hielt mich stattdessen an meinem Weinglas fest. Mit den Lippen. Dabei waren die Menschen um mich herum so nett und freundlich, sie lächelten viel, waren offen, neugierig. Und wir alle waren in der gleichen Situation: Wir kannten uns nicht und waren von einer gewieften Frau im Verlag absichtlich von unseren Bekannten, Freunden, Kollegen getrennt platziert worden. Schließlich sind die Kirche und auch dieses Kloster Orte der Begegnung. Mein Mann und ich waren dennoch wie alle anderen sehr verwundert, als uns am Eingang zum Festsaal gesagt wurde, an welchen beiden Tischen wir sitzen würden. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich unter den vielen möglichen Kombinationsmöglichkeiten zwischen den rund einhundert Gästen ausgerechnet neben dem Abt saß. Manche hätten wohl behauptet, da wäre so etwas wie Fügung im Spiel gewesen.
Ich saß also weiter da, versuchte unbeholfen, mich in die Gespräche einzubringen, was mir nicht so richtig gelingen wollte. Der Wein wurde zum Glück immer wieder von freundlichen Brüdern, die sich Schürzen um ihren schwarzen Habit gebunden hatten, nachgeschenkt. Solange ich mein Glas zum Mund führte, musste ich nicht reden und konnte nichts Dummes, Ungehobeltes oder Taktloses sagen. Doch dann wandte sich der Abt zu mir: »Und Sie machen also Musik? Darf ich fragen, welcher Art? Ich entschuldige mich, dass ich nicht bei der Lesung war.« Kurze Irritation meinerseits. Der Abt entschuldigte sich? Bei mir? Ich sammelte mich. Sollte ich ihm jetzt sagen, dass ich ein Stück von Lana Del Rey gesungen hatte? Das beginnt mit der Zeile: »God damn, man child, you f***** me so good that I almost said: I love you«? Oder ein Stück von Frank Sinatra, in dem er einem Barkeeper von seiner Verflossenen erzählt? Wo hatte ich mich hier nur reinmanövriert? Ich tastete mich vorsichtig vor: »Wir haben gemeinsam Lieder ausgesucht, die zu den vorgelesenen Texten passten.«
»Schön, schön. Lieder welcher Art denn?« Ich war noch nicht von der Angel.
»Ein bisschen Jazz und Pop, Texte und Künstler, die irgendwie was mit dem Buch zu tun haben. Musik über die Liebe, die Sehnsucht … Sowas.« Freundliches Nicken.
In diesem Moment wurde um Ruhe gebeten und das Buffet für eröffnet erklärt. Ich fühlte mich ein bisschen erlöst. Wir stellten uns gemeinsam an, der Abt und ich. Hinter und vor uns die anderen Gäste unseres Tisches. Ein Verlagsleiter, der zu meiner Linken am Tisch saß, drehte sich zu uns um und bedankte sich beim Abt für das hervorragende Essen. »Hier fühlt man sich so richtig willkommen. Vielen Dank für Ihre außergewöhnliche Gastfreundschaft.« Ich stimmte zu. Der Abt antwortete mit der Regel des heiligen Benedikt: »Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: ›Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.‹ So sagt es unser Leitsatz. Und das gilt für alle, egal, wer sie sind, welcher Religion sie angehören oder nicht angehören … Ich gebe zu, man muss das erst mal lernen, manchmal ist das gar nicht so einfach.«
Das Kreuz auf der Brust des Abtes hob und senkte sich, während er in lautes Lachen ausbrach.
Plötzlich öffnete ich den Mund und stieß ein weinduseliges »Genau deshalb fühle ich mich hier so wohl!« hervor. Meine Mitanstehenden schauten mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Verwirrung an. Besonders der Abt musterte mich durch seine lila gerahmten Brillengläser erwartungsvoll, so als ob er eine weitere Erklärung forderte. Ich hatte mir geschworen, dass ich niemandem hier die eine große Sache erzählen würde, die mir unter den Nägeln brannte. Den Grund, weshalb ich mich so fehl am Platz fühlte. Aber hier stand ich nun. Zwischen einhundert hungrigen Gästen, in der Buffet-Schlange wartend mit dem Abt neben mir, der mich immer noch aufmerksam anlächelte. Ich weiß nicht mehr, ob es der Wein war oder der ermutigende Gesichtsausdruck des großen Mannes mit dem schweren Kreuz um den Hals, aber ich schmiss innerhalb von Sekunden meinen Schwur über Bord.
»Wenn wir schon dabei sind und Sie gerade über diesen Grundsatz sprechen, hier kann ich ja ehrlich sein, oder? Ich sag’s jetzt einfach mal geradeheraus: Meine Eltern haben damals entschieden, mich nicht zu taufen und sind selbst aus der Kirche ausgetreten. Meine Mutter war evangelisch und mein Vater katholisch. Aber weder ich noch meine Brüder sind getauft und hatten jemals irgendwas mit der Kirche zu tun. Alles, was ich jemals wusste, weiß ich aus den Medien. Und … Na ja … Ich komme aus Köln. Gerade da bleibt in letzter Zeit verständlicherweise kein gutes Haar an der Kirche, wie Sie wissen … Woelki und so.«
Oh Gott. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Woelki und so? Ich hatte mir für den ganzen Abend endlos viele Taktlosigkeiten ausgemalt, die mir nicht passieren durften. Diese war so unangenehm, dass sie nicht mal auf meiner Liste gestanden hatte. Natürlich durfte man den Missbrauchsskandal der Kirche nicht totschweigen, er machte uns alle hier wütend! Aber war das wirklich das beste Thema, mit dem ich mich beim Abt des Klosters vorstellen sollte, der mich hier so herzlich als Fremde empfangen hatte? Was Sekunden waren, fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Ich studierte die Züge des Abtes. Der Verlagsleiter und auch die anderen schienen abzuwarten, wie der Abt reagieren würde, um ihre eigene Reaktion darauf abzustimmen. Schließlich runzelte er nachdenklich die Stirn und nickte dann. »Ich verstehe. Natürlich. Im Moment kommt unsere Institution nicht sonderlich gut weg. Und wir verstehen alle, warum. Schrecklich, was da passiert ist. Aber Sie sagten eben, Sie fühlen sich hier bei uns willkommen?« Ich nickte entschlossen. »Dann haben wir ja alles richtig gemacht.«
Wieder dieses laute, durch den ganzen Festsaal hallende Lachen. Die Schlange bewegte sich, und jeder nahm sich vom üppigen Buffet. Eine echte Brotzeit, mit großer Käse- und Aufschnittauswahl aus der klostereigenen Metzgerei und Bäckerei. Meeresfrüchte, Salate, fränkische Spezialitäten. Ich wurde hier nicht nur als Fremde willkommen geheißen, sondern wohltuend gemästet. Und niemand, auch nicht der Abt, schmiss mich raus – obwohl ich rausposaunt hatte, dass ich nicht getauft war und mein Bild von der Kirche nur von den Medien geprägt wurde. So weit, so gut. Vielleicht schlug ich mich besser, als ich mir eingestehen wollte.
Wir gingen zurück an unseren Tisch, es wurde erneut Wein nachgeschenkt und ich hielt es für notwendig, mich noch weiter zu erklären, obwohl keiner danach gefragt hatte. Ich erzählte, dass ich schon als Kind gebetet hatte, nachdem sich meine Eltern getrennt hatten, obwohl bei uns niemand jemals gebetet hatte. Aber ich fand als Kleinkind Trost darin, daran war nicht zu rütteln. »Ach, sehen Sie mal an!«, sagte der Abt.
Ich fuhr in meiner Weinseligkeit fort, dass ich schon an irgendwas glaubte, an etwas Höheres, eine Verbindung, konnte aber nicht beschreiben, was es war. Durch meinen Mann wurde ich immer zugewandter beim Thema Glaube und Religion. Ich war neugierig und offen. Und dennoch hatte ich Sorge, nicht willkommen zu sein, weil ich offiziell nicht »zum Verein« gehörte. Während die anderen am Tisch interessiert lauschten, sagte der Abt zu mir: »Hauptsache, Sie fühlen sich jetzt willkommen. Denn das ist es, was wir hier bezwecken wollen. In unserem Verein. Wie schön, dass Sie sich gut aufgenommen fühlen. Sie sind ebenso unser Gast wie jeder andere auch.«
Ich war immer noch irritiert von dieser Freundlichkeit und hatte meine beste Freundin aus Teenie-Zeiten im Ohr: »Wir sind Heidenkinder, Nina.« Wie war ein solches Heidenkind auf diesen Platz gekommen? Mein Name auf dem Tischkärtchen neben dem des Abtes. Ich fragte mich, was ich erwartet hatte: Verurteilung, Bewertung, Missgunst. Beschämt musste ich mir eingestehen, dass ich selbst die mit den Vorurteilen war.
Der Abend verlief weiterhin mit guten Gesprächen zwischen allen, die am Tisch saßen. Wir sprachen über unsere beruflichen Situationen, die Herausforderungen im Buchhandel während der Pandemie und das Verlagswesen. Ich erzählte schüchtern von der Fernsehproduktionsfirma, für die ich arbeite, und von meinen Schwierigkeiten, seit Jahren im Homeoffice zu sein. Davon, dass mir Begegnungen und Unterhaltungen mit echten Menschen fehlten. Wir fanden einstimmig, dass das Verlagsdinner deshalb so herausragend schön und wichtig war. Es ging weiterhin um Gott im Alltag, wo er meinem Tischnachbarn, dem Verlagsleiter, schon inkognito begegnet war. Er erzählte von der Beerdigung seines Vaters und davon, dass seine Kinder am Grab sagten: »Wenn die Kraniche kommen, denken wir an dich, Opa.« Der Vater liebte Kraniche. Und noch am selben Tag sollte ein riesiger Schwarm für alle Trauergäste sichtbar über das Haus hinwegfliegen. Wir alle waren zutiefst gerührt. Und ja, auch ich war überzeugt, dass dort wer auch immer seine Finger mit im Spiel hatte. Von dieser Geschichte ermutigt, erzählte ich davon, wie mein Mann und ich uns kennengelernt hatten. Auch das war Fügung. Da bin ich mir sicher. Aber dazu an späterer Stelle mehr. Der Abt schien begeistert: »Was für eine außergewöhnlich schöne Geschichte. Da sind wir uns wohl einig, dass da ganz besondere Umstände zusammengekommen sind, oder?«
Ich blickte auf die andere Seite des Saals hinüber zu meinem Mann und nickte. Und während wir gemeinsam weiter aßen und tranken, der Abt, die Benediktinerin, der Verlagsleiter, die Buchhändlerin und ich, fühlte ich mich überhaupt nicht mehr fehl am Platz. Sondern genau richtig.
1 Meine Kindheit –blutige Heilige und Telefonate mit Jesus
Bergisch Gladbach, 1991. Ich wurde im Vinzenz Pallotti Krankenhaus geboren. In meiner Heimatstadt Köln nannten wir es immer nur »Bensberger Krankenhaus«. Anfang der 90er-Jahre war es der neueste Schrei unter den Geburtskliniken: Klavier im Kreissaal, alternative Behandlungsmethoden, chinesische Medizin und Homöopathie. Wer als Kölner im Bensberger Krankenhaus geboren wurde, ärgerte sich zwar später über den Eintrag »Geburtsort: Bergisch Gladbach« im Personalausweis, dafür genoss man schon beim ersten Schrei auf dieser Erde Klaviermusik und ein bisschen Esoterik. Dass Vincenzo Pallotti, wie sein Name eigentlich lautet, ein Heiliger und katholischer Priester war, der die »Vereinigung des Katholischen Apostolates« gründete, wusste ich lange nicht. Und damit ebenfalls nicht, dass ich an einem Ort auf die Welt kam, der nach einer wichtigen katholischen Persönlichkeit benannt war und auch von der Kirche finanziert und organisiert wurde. Meine Eltern sollten erst ein paar Jahre später aus finanziellen Gründen austreten, aber schon zu diesem Zeitpunkt spielte Religion weder in ihrem noch in meinem Leben eine Rolle. Meine Eltern beschlossen, es mir selbst zu überlassen, ob ich später einmal getauft werden wollte. Also blieb ich erst einmal ein »Heidenkind«, wuchs ohne jegliche Glaubenserziehung auf und scherte mich auch nicht darum. Wir gingen nicht in die Kirche, sprachen auch nicht darüber. Es war einfach nicht unsere Welt. Der Kölner Dom war für mich bloß eine schöne Touristenattraktion, auf die ich mit meinem kölschen Patriotismus zwar stolz war, aber als Kirche habe ich ihn nie betrachtet.
In der Schule wurde ich in den »Unterricht für Unkonfessionelle« gesteckt, während die anderen Schüler Religionsunterricht genossen. Sie lernten etwas über die Bibel, das Christentum, Jesus und über die christlichen Werte, die unsere Gesellschaft prägen. Wir »Unkonfessionellen« lernten etwas über Dinosaurier, Steinzeitmenschen und den Kölner Karneval. Heute wie damals finde ich: Hätten nicht alle Kinder gleichermaßen alles lernen können? Aber für uns Ungetaufte (und davon gab es einige im alternativ-bürgerlichen Köln-Sülz) war von vornherein Unterricht vorgesehen, der nichts mit Religion zu tun hatte. Als würden wir den Glauben mit unserem erzieherischen Hintergrund nicht verstehen können. Durch diese frühe Trennung im Unterricht, die uns auch niemand weiter erklärte, waren die getauften Kinder für mich immer »komisch«. Sie zeigten Fotos von ihren merkwürdigen Feiern, auf denen sowohl die Jungen als auch die Mädchen in weißen, ausladenden Kleidern abgebildet waren. Sie hielten große Kerzen mit bunten Bildern und Namen drauf. Das Einzige, worum ich sie beneidete, waren die vielen Geschenke und Geldgaben, die sie zu diesen Feiern bekamen – einfach so und völlig unverdient, wie mir damals schien. So etwas gab es bei uns nur am Geburtstag und an Weihnachten. Ich musste mich zu den Feierlichkeiten meiner Freunde in ein schickes Kleid zwängen und brav zusehen, während diese reich beschenkt wurden. Der Scheitel ordentlich, die Haare gekämmt. Mein bester Freund aus Kindheitstagen, ich nenne ihn P., fieberte damals seiner Kommunion entgegen und war ganz stolz darauf, dass er das erleben durfte. Er erzählte immer, wie dankbar er Gott war, betete häufig, als wir klein waren. Vorm Schlafengehen sprach er immer zum »lieben Gott«. Ich fand das als Kind ulkig.
Wir waren beide zehn Jahre alt, als mich P.s Eltern in einen gemeinsamen Portugalurlaub mitnahmen. Ich erinnere mich noch genau an das terracottafarbene Haus, eine Villa unter blauem Himmel, mit Terrasse und eigenem Pool. Für mich war es das Paradies! P. und ich hatten die beste Zeit, spielten im Wasser, gingen schwimmen, wurden immer brauner und lasen einander aus unseren Comics und Büchern vor. Und doch irritierte er mich jeden Abend, denn selbst im Urlaub ließ er sein Ritual nicht fallen und betete das Vaterunser. Ich rümpfte jedes Mal die Nase und verstand es einfach nicht. Albern, was er da vor sich hinfaselte. Und wie er dabei so schwächlich die Hände faltete! Er sah so klein aus dabei. Ich wollte lieber spielen, laut mit ihm Comics lesen, im Turbomodus. Aber P. wollte beten. Das provozierte mich ungeheuer.
»Warum sprichst du immer mit Gott? Den gibt’s doch gar nicht«, sagte ich einmal. P. verstand meine Frage ebenso wenig wie ich seine Gebete, er ignorierte mich daher und betete stoisch weiter.
Selbst wenn P. und ich unzertrennlich waren, uns sogar als Kinder wie so viele beste Freunde schworen, einander später zu heiraten (was in den wenigsten Fällen wahr wird), waren das die Momente, in denen wir uns gestritten haben. P. konnte unglaublich beleidigt sein, wenn ich über seine Liebe zu Gott lästerte. Mich stachelte das nur noch mehr an. Ich machte mich lustig über ihn. Gott hier, Gott da. Und muss P. dann auch so ein doofes, weißes Kleid anziehen? »Deinen blöden Gott gibt’s doch gar nicht«, wiederholte ich, so oft ich konnte. »Genauso wenig wie den Weihnachtsmann!« Manchmal provozierte ich P. so sehr, dass er weinte und zu seinen Eltern rannte. Ich schämte und entschuldigte mich daraufhin – und hielt beim Abendgebet die Klappe. Während er wieder im Vaterunser versank, las ich weiter in meinen Kinderkrimis.