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Eine Wasserleiche aus dem Lechsee führt Gerhard Weinzirl und Evi Straßgütl auf den Auerberg und mitten hinein in eine Welt von seriösen Wissenschaftlern, dubiosen Experten und versponnenen Sonderlingen. Was geschah am Fuße jenes mystischen Berges, den Keltenfanatiker als Heiligtum sehen? Musste der Mann sterben, weil er eine wissenschaftliche Sensation entdeckt hat? Etliche Weißbier später wähnen sich Gerhard, Evi, Jo und Baier den Antworten auf diese Fragen schon deutlich näher - doch dann kommt alles ganz anders ...
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Seitenzahl: 295
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Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotive: fotolia.com/Baltazar, photocase.de/Easyrider Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-259-3 Oberbayern Krimi Originalausgabe
Für Manu, Werner und Gino
Faber est suae quisque fortunae.
Jeder ist seines Glückes Schmied.
Crispus, das Auerberg-Maskottchen
EINS
Fata viam invenient.
Das Schicksal findet seinen Weg.
Vergil, »Aeneas«
»Baier, altes Haus. Was verschafft mir die Ehre?« Gerhard war heute so aufgelockert, konnte am zweiten Weißbier liegen, das er gerade in der Sonne trank. Eventuell etwas schnell in der Sonne, die nun, an diesem Sonntagvormittag, schon machtvoll schien. Vor einigen Jahren hätte er den großen alten Mann der Oberland-Kriminalistik nicht so flapsig angesprochen, aber sie hatten über die Jahre eine Freundschaft geschlossen, die herb war – und doch innig.
»Weinzirl, wo sind Sie?«
»Ich betrachte alle zwölfe!«
»Was! Sind Sie kegeln und sehen einige Keulen doppelt?«
»Nein, ich versuche, zwölf Seen zu sehen!«
»Haben Sie getrunken?«, fragte Baier angewidert.
Na, getrunken hatte er nicht, nur eben ein zweites Weißbier bestellt.
»Wo werd ich sein an einem freien Tag? Hoch oben, über den Niederungen.«
Doch – er war aufgelockert, und er stieß auf. Was mit der Kohlensäure zu tun haben konnte und damit, dass irgendwo in seinem Hirn ein Bild auftauchte. Sie hatten ihn schon mal von einem Berg geholt, rüde unterbrochen in seiner Feiertagslaune. »Ich habe gehört, man könne hier zwölf Seen sehen, das versuch ich gerade. Bannwaldsee, Forggensee, Weißensee und Hopfensee, die Perlen der ›Allgäuer Riviera‹, dazu die kleinen Hegratsrieder See, Schapfensee, Lechsee, Illasbergsee – macht schon mal acht. Bei entsprechender Verrenkung komm ich noch auf den Schwansee und den Alpsee bei Schwangau. Und wenn diese Pfützen da weiter hinten der Kühmoossee und der Kaltenbrunner See sind, dann wären es alle zwölfe.«
»Ich sage es ungern, Weinzirl. Erstens: Sie haben Sie nicht alle. Zweitens: Sie werden sich herunterbemühen müssen.«
Weinzirl musste nochmals aufstoßen.
»Weinzirl?«
»Ja, ich bin ganz Ohr.«
»Haben Sie mal auf Ihr Handy gesehen?«
»Warum?«
»Schauen Sie mal drauf, Sie Lapp!«
Gut, da waren drei Anrufe vom Büro und sieben von Evi. Und eine SMS. Gut, es hatte gekräht, er hatte als Ton einen Hahnenschrei drin, weil Sir Sebastian vulgo Seppi das so toll fand. Aber er hatte auf leise gestellt; dass er nun drangegangen war, lag nur daran, dass er eben im Rucksack ein Schnäuztuch gesucht hatte. Und weil er Baiers Nummer erkannt hatte. Wenn der ihm schon mal die Ehre gab …
»Ihre zuckersüße Kollegin hat mich gebeten, es zu probieren. Hatte die Idee, dass Sie eher drangehen, wenn ich anruf.«
Zuckersüß, das sagte der doch nur, wenn Evi danebenstand. Was sie wohl auch tat, denn aus dem Hintergrund war ihre Stimme zu hören. »Erde an Weinzirl, Erde an Weinzirl, bitte Kontakt.«
Sehr witzig. Die ganze Zeit über hatte Seppi seinen Kopf auf dem Tisch liegen gehabt und quasi meditiert, was bei seiner Größe einfach eine praktische Ablage war für seinen Schädel. Nun schaute er Gerhard strafend an.
»Ist ja gut, Alter!«
»Was sagen Sie, Weinzirl?«, war von Baier zu vernehmen.
»Nicht Sie, ich hab mit Seppi gesprochen.«
Es war ein Knistern zu hören, dann war Evi dran. »Kannst du die Gespräche von Dr. Dolittle mit seinem Wolf mal einstellen und deinen Arsch an den Lechsee bewegen? Hier ist einer, der deine Bekanntschaft machen möchte.«
»Was?«
»Nicht was, sondern Wasser. Genauer: Wasserleiche.«
Gerhard suchte kurz Seppis Blick. Dann setzte er sich aufrecht hin. »Wo ist ’ne Wasserleiche?« Ein paar Leute am Nebentisch starrten ihn entgeistert an.
»Im Lechsee. Inzwischen auf der Staustufe liegend. Inzwischen unter einem Zelt, weil es doch sehr warm ist. Auch wegen eines größeren Interesses von Touristen aller Sprachcouleur. Inzwischen habe ich auch schon den Arzt informiert. Allein der große Meister, mein Chef, wird hier noch vermisst.«
Evi konnte aber auch schön sprechen, vor allem, wenn sie wütend war. Ihm war klar, dass er sich jetzt mit dummen Sprüchen bedeckt halten sollte. Er wurde sachlich, soweit ihm das möglich war, und sprach deutlich leiser. »Eine Wasserleiche wurde wo gefunden?«
»Also nochmals ganz langsam: am Lechsee. An der Staumauer in Urspring. Wo bist du momentan? Sag bitte nicht, im Zillertal oder in der Silvretta.«
»Nein, bloß am Buchenberg. Drum schau ich ja nach den zwölf Seen. Seen sehen.« Er lachte etwas dümmlich. »Buching, das wäre dann ja nahe zum Lechsee.« Er überlegte kurz. »Sind da nicht die Allgäuer Kollegen zuständig?«
Baier hatte Evi das Handy wieder entrissen. »Weinzirl, wann begreifen Sie endlich Ihren Wirkungskreis? Wann kennen Sie sich im Landkreis mal aus? Die Nachbarn im Allgäu drüben nennen sich ›Lechbruck am See‹. Kinkerlitzchen! Mogelpackung! Der See gehört zu Urspring, die Allgeier drüben sollen froh sein, dass sie ’ne Uferlinie geliehen bekommen haben. Auf jetzt, Weinzirl! Finden Sie her? Runter vom Buckel, weiter nach Prem. Das gehört auch zu uns, falls Sie das nicht wissen.«
Zu uns, also zu Oberbayern. Da legte Baier viel Wert drauf. Dabei war er Peitinger und damit alles andere als ein Kearnl-gfuaderter Bayer aus dem Kernland allen Bayerntums. Aber Baier war, obwohl man ihn sicher eher mit Kässpatzn und Schupfnudeln aufgezogen hatte, eben ein perfekter bayerischer Grantler. Brummig und gradheraus. Und das »isch« hatte er sich aberzogen.
»Ich komme. Etwas wird es aber doch dauern.«
»Dann nehmen S’ halt den Lift«, meinte Baier.
»Ob ich da schneller bin?« Die Sesselbahn von Buching war nun alles andere als ein pfeilschneller Highspeed-Lift. Es handelte sich eben um eine gute alte Zweiersesselbahn, wo man zu Berge schaukelte, umhersehen konnte und das Gespräch genießen – sofern man jemanden dabeihatte, der oder die eine genussvolle Konversation versprach.
Und so spurtete Gerhard lieber die Direttissima zu Tal, Seppi war ihm stets etwas voraus, der hatte eben auch sehr lange Haxn und gleich vier davon.
Gerhard sprang in seinen Bus, er durchfuhr die Kurven im Halblechtal, überfuhr die Insel am Ortseingang von Prem fast, wunderte sich, dass dieser kleine Ort noch zu Weilheim-Schongau gehören sollte. Ihm erschien das hier doch sehr allgäuerisch.
In Gründl zögerte er kurz. Rechts- oder linksrum? Er fuhr nach rechts, bog nach einigen Kilometern nach Urspring ab. Hinein in den kleinen Ort, vorbei an hübsch renovierten alten Bauernhäusern, hinunter zu dem See, der da ganz saphirblau lag. Hier war er noch nie gewesen, das musste er zugeben. Links war ein Surfverein, er orientierte sich kurz, schoss nach rechts, und da war der Damm – und ihm auch alles Ausmaß klar.
Zwei Polizeifahrzeuge versperrten den Weg. Gerhard blieb einfach stehen, hüpfte aus dem Auto. Kollegin Melanie hatte lasch die Hand gehoben, ihr lief das Wasser in Strömen herunter. Hinter der Absperrung drängelten sich Menschen und reckten die Krägen. Räder und Hunde und Kinderwagen verstellten den Weg.
Seppi sprach ja selten, das musste ein Hund seiner Größe auch gar nicht. Jetzt aber schickte er ein sattes »Klöff« in die Runde und knurrte ein ganz klein wenig. Eine Gasse bildete sich, Gerhard zog ein wie ein Gladiator, kletterte den Hang hoch, wo ein Zelt stand. Und Evi und Baier. Und der Arzt. Sie standen unter einem Sonnenschirm. Das hatte eigentlich so was von Sommerfrische. Wenn man mal vom Anlass absah. Gerhard grüßte in die Runde. Ein bisschen atemlos. Fünfundvierzig Minuten ab Berg bis See – da konnten die hier doch nicht klagen. Gerhard ließ Seppi abliegen, nahm die von Evi hingehaltenen Handschuhe und ging gebückt unter das Zelt.
Der Mann sah gar nicht so schlecht aus. Also für eine Wasserleiche. Da hatte er schon andere gesehen. Der hier war noch recht formstabil. Er hatte einige Verletzungen im Gesicht und an den Beinen. Am rechten Knöchel war eine starke Rötung zu sehen. Am linken hing irgendwas. Der Mann war wohl um die fünfzig Jahre alt, mittelmäßig groß. Er trug eine kurze Hose und ein T-Shirt mit der Aufschrift »It’s showtime«. Nun ja …
Gerhard war wieder unter dem Zelt herausgekrochen. Er wandte sich an den Arzt. »Liegt noch nicht so lange?«
»Nein, ich denke, maximal drei Wochen. Eher weniger. Das Lechwasser ist ja echt kühl. Selbst im Sommer.«
»Und die Knöchel? Diese Rötungen? Dieses Dings?«
»Er könnte rechtsseitig mit etwas beschwert worden sein.«
»Seh ich auch, was ist das da am linken Knöchel?«
»Ich bin Arzt! Nicht beim Quiz. Keine Ahnung, was das ist. Aber das hat ihn wohl kaum hinuntergezogen. Ist ja nicht sonderlich schwer. Außerdem wäre der Tote sonst ja auch nicht an die Oberfläche getreten. Also hing noch was Schwereres am anderen Bein. Hat wohl nicht gehalten. Keine gute Arbeit, muss ich sagen. Ein Mörder, der keine Schleifen oder Knoten binden kann.« Er lachte trocken. »Aber was weiß ich? Da kann die Gerichtsmedizin sicher mehr sagen.«
»Und die Abschürfungen überall?«, fragte Gerhard.
»Da verweise ich auch an die Kollegen. Kann postmortal sein oder aber nicht. Ich würde dann gern weiterziehen. Heute ist so ein guter Tag für Hitzschläge und Herzklabaster. Ich bin bereits überfällig. Sie haben ja etwas auf sich warten lassen.« Da schwang Tadel mit.
Gerhard sagte lieber mal nichts, nickte dem Mann nur zu und drehte sich zu Evi um. »Wer hat ihn gefunden?«
»Na ja, eigentlich eine Familie aus Stuttgart. Die Kinder schauen so gern von der Staumauer runter auf das Treibholz, das da so kreiselt. Und da ploppte er quasi rauf.«
Gerhard hatte die Stirn gerunzelt.
»Ich zitiere nur den Vater der Familie. ›Da isch euner raufgeploppt.‹«
»Und nachdem er geploppt ist?«
»Sind die retour zum Campingplatz, auf dem sie wohnen. Da drüben der Platz. Sie haben Alarm geschlagen. Und das hat Baier mitbekommen«, sagte Evi.
»Ach, Sie zelten in Lechbruck, Baier?«, wandte sich Gerhard an Baier.
»Blödsinn. Stockschießen. Ich geh immer sonntags stockschießen. Mit Walter und ein paar anderen.«
»Mein Gott, Walter, aha.« Gerhard war einfach nicht auf der Höhe. Die Sonne. Das Weißbier. Diese Hektik. Er hatte doch nur einen freien Tag genießen wollen. War das zu viel verlangt?
Baier schenkte ihm einen genervten Blick. »Walter ist ein Dauercamper aus Augsburg. Expolizist. Guter Mann! Die anderen sind ein paar Rentner aus der Umgebung. Der Günther, Universalgenie aus dem Fuiz, zum Beispiel. Aus dem Wasamoos. Sagt Ihnen wieder nichts. Urgesteine. Rentner wie ich. Altes Eisen. Jedenfalls habe ich dann alles Nötige in die Wege geleitet.«
Baier, der überzeugte Oberbayer, warf Eisstöcke auf Beton, und das mit Datschiburgern und zu allem Unheil auf Allgäuer Boden. Denn Lechbruck war eindeutig Ostallgäu. Da reichte sogar sein mieses Verständnis von Erdkunde aus. Baier war ein Kosmopolit, keine Frage. Und Baier schaffte es einfach nicht, im Ruhestand von Leichen fernzubleiben.
Als könne er Gedanken lesen, meinte Baier: »Hab ich mir nicht ausgesucht, Weinzirl. Aber Sie sind ja nie da, wenn man Sie braucht.«
Auch das ließ Gerhard unkommentiert. »Wer hat ihn rausgeholt?«
»Die Wasserwacht. Auch kein schöner Job. Ist alles schon protokolliert. Sie sind ja …«
»Jaja – an einem freien Tag, am Tage des Herrn, einfach nicht da.« Gerhard rückte etwas weiter unter den Schirm, es war wirklich affenheiß. Und feucht. Es hatte tagelang heftige Gewitter gegeben, wahrscheinlich würde heute Abend auch wieder eines aufziehen. In die Tropen musste schon lange keiner mehr reisen.
»Irgendeine Idee zur Identität?«
»Kein Geldsackerl, kein Handy, kein Schlüsselbund«, knurrte Baier.
»Und es ist auch grad niemand hier am Damm aufgelaufen, wo einen Mann oder Vater oder Sohn oder sonst wen vermisst«, maulte Evi hinterher.
Die beiden hatten sicher einen Sonnenstich, dachte Gerhard. Schlecht, dass der Mediziner schon weg war. »Na dann, ab in die Gerichtsmedizin. Und bitte herausfinden, was das für ein komisches Ding da an seinem Knöchel ist. Oder hat hier jemand eine Idee? Ist das eine Radachse?«
»Ich hätte da eine Idee«, meinte Baier.
»Und?«
»Ich würde dazu gern fachkundige Bewertungen abwarten.«
Gerhard sah Baier an, na, der hatte Nerven! Spielten sie hier »Ich sehe was, was du nicht siehst«? Wieder schluckte er Unflätiges hinunter. An Melanie gewandt, die seit geraumer Zeit nun auch unter dem Zelt Schutz gesucht hatte, meinte Gerhard: »Vermisstenlisten checken.« Und er schickte hinterher: »Weitere Befragungen können wir uns wahrscheinlich schenken, der kann ja sonst wo ins Wasser gekippt worden sein. Gibt’s hier irgendwo etwas zu trinken?«
»Am Campingplatz oder im ›Drei Mohren‹«, sagte Baier.
»Da waren wir mal kurz, als wir den Hundefall hatten«, sagte Evi.
Das stimmte. Eine bittere Geschichte war das gewesen, eine Geschichte, die ihm letztlich Seppi beschert hatte. Das Beste, was ihm seit Langem widerfahren war. Es war Winter gewesen, und schon damals hatte sich Gerhard gefragt, was drei Neger in Urspring getan hatten. Also drei Schwarze, »Neger« durfte man ja nicht sagen. Das Lied von den »Zehn kleinen Negerlein« sangen die Kinder heute sicher nicht mehr.
Und wieder bewies Baier seherische Fähigkeiten. »Meine Enkelin singt inzwischen ›Zehn kleine Leutchen mit Migrationshintergrund‹«, sagte er, und Gerhard grunzte.
»Also dann mal zu den ›Mohren‹, egal, wo Urspring diese Mohrenköpfe herhat.« Gerhard glaubte sich zu erinnern, dass das Gasthaus auch eine ganz ansprechende Speisekarte gehabt hatte. Inzwischen war es halb zwei, man musste sich anschicken, noch etwas zu bekommen.
Dieses Urspring entpuppte sich auch beim zweiten Hinsehen als eine schmucke kleine Gemeinde. Vor der Kirche plätscherte ein Brünnlein in Kaskaden, grad ins Schwärmen hätte man kommen mögen. Wäre da nicht das käsige Gesicht des Toten gewesen. Na ja, Kässpatzn musste er ja nicht nehmen. War ihm allemal zu fleischlos.
Sie saßen draußen im Biergarten, Evi hatte sich natürlich entrüstet, dass die Männer überhaupt etwas essen konnten. Sie orderte dann aber doch einen Salat. Der sah gut aus, wenn man sich für Kaninchenfutter erwärmen konnte. Er und Baier nahmen je einen Jägerbraten mit Pilzen und viel Soße.
Seppi hatte einen ganzen Wassernapf leer geschlabbert und lag nun im Kies, sodass man über ihn hinwegsteigen musste.
An einem der Nebentische saßen ältere Haudegen, einen hatte Baier gegrüßt, und was da an Gesprächsfetzen in einem wilden Dialekt herüberwehte, da war Gerhard doch wirklich bass erstaunt, dass das hier Oberbayern sein sollte. Er gab sich keinen Illusionen hin, dass die Kunde von der Wasserleiche noch nicht die wenigen Höhenmeter vom See heraufgeeilt war. Die Männer sahen auch immer mal herüber, fragten aber nichts. Auch die Bedienung, die vor Neugierde schier zu platzen schien, verhielt sich dennoch still. Als sie zahlten, sagte sie nur: »Dann wird man ja dann sehen?«
»Wird man«, sagte Baier.
Ja, genau. Hoffentlich würde man bald etwas sehen. Und hören. Aber sicher nicht vor morgen oder übermorgen. Sonntage waren ganz schlechte Tage für Verbrechen.
Evi hatte sich erboten, ersten Schriftkram zu erledigen. Sie fuhren ins Büro, Weilheim war menschenleer, klar – die lagen alle an den Seen der Umgebung rum.
Melanie hatte begonnen, Vermisstenanzeigen zu durchforsten. Da war aber nichts zu finden gewesen. Bis auf einige schon lange Abgängige, die altersmäßig passten. Aber hätten sie diese am Wehr entdeckt, wäre ihr Zustand sicher anders gewesen. Verwester. Verrotteter.
Gerhard hoffte innerlich sowieso stets, dass das alles Männer waren, die mit einer jungen Frau mit wohlgerundetem Po und Mordstitten irgendwo in Brasilien am Strand lagen. Manchmal überlegte er, ob nicht auch er … Unsinn! Er hatte Seppi, und der wollte sicher nicht nach Brasilien.
Nach Abstimmung mit dem Pressesprecher gab er dem Sonntagsdienst des Tagblatts eine kurze Info durch. Die Chefin selbst hatte das Vergnügen, statt Sommerfreuden zu genießen, im Redaktions-Glashaus zu sitzen. Nette Frau, Gerhard hatte sie über die Jahre schätzen gelernt. Sie war angenehm unaufgeregt. Journalist war eigentlich ein ebenso unerfreulicher Beruf wie seiner. Unmögliche Dienstzeiten, und geliebt wurde man auch nicht besonders, wenn man den Auftritt der lokalen Theatergruppe verriss oder die Fußballer als einen »faulen Haufen« beschrieb.
ZWEI
Scio ne nihil scire.
Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Sokrates
Der Montagvormittag verging mit Telefonaten, Recherchen– es gab keinerlei Hinweise auf den Mann.
Gegen Mittag rief Baier an. »Weinzirl, ich hätt ’ne Idee, wer der Wassermann sein könnte.«
»Ach?«
»Nix ›ach‹. Kommen Sie mal auf den Campingplatz.«
»Zelten Sie jetzt doch?«
Von Baier kam nur ein Grunzen.
»Wo find ich Sie?«
»Vor der Rezeption.«
»Na dann.«
Wieder einmal fuhr er westwärts, strauchelte in einer Baustelle am Hohenpeißenberg. Würde es diese Umgehung jemals geben?
Im Radio kam auf SWR
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