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Hekates Züge waren angespannt. Mit beiden Händen umklammerte sie die magische Kugel, die giftgrün leuchtete. Sie war die einzige Lichtquelle in dem düsteren Raum.
»Ich rufe dich, Marcel d’Arcy«, sagte Hekate laut. »Marcel d’Arcy, melde dich!«
Die magische Kugel pulsierte stärker. Das grüne Licht erlosch; die Kugel wurde milchig und dann durchscheinend. Sekunden später war ein Gesicht zu sehen. Es war knochig. Die dunklen Augen lagen tief in den Höhlen, der Schädel war völlig glatt rasiert.
»Marcel d’Arcy«, flüsterte Hekate, »wie ist die Entscheidung deiner Sippe?«
D’Arcy öffnete den blutleeren Mund und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Unser Entschluss steht fest, Hekate. Wir brauchen einen starken Fürsten der Finsternis. Deine Tage sind gezählt, Hekate ...«
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Seitenzahl: 140
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Was bisher geschah
DER GRÜNE LEICHNAM
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
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Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
In der Folge beginnt Dorian die Dämonen zu jagen – doch diese schlagen zurück und zersetzen die »Inquisitionsabteilung« des Secret Service, der Dorian vorübergehend unterstützt hat. Der ehemalige Leiter der Inquisitionsabteilung, Trevor Sullivan, gründet in der Londoner Jugendstilvilla in der Baring Road die Agentur Mystery Press, die Nachrichten über dämonische Aktivitäten aus aller Welt sammelt. Hunter bleibt als zweiter Rückzugsort das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt: die Hexe Coco Zamis, die selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; den Hermaphroditen Phillip, dessen Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen, sowie Ex-Secret-Service-Agent Donald Chapman, der bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft wurde.
Beinahe wird die schwangere Coco Zamis ein Opfer der Machtkämpfe innerhalb der Schwarzen Familie, doch nach einer Flucht um den halben Erdball bringt Coco ihr Kind sicher zur Welt – und versteckt es an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält. Cocos Vorsicht ist berechtigt, da bald eine neue, »alte« Gegnerin auftaucht: Hekate, die Fürstin der Finsternis, wurde von Dorian einst in seinem vierten Leben als Michele da Mosto verraten, sodass ihre frühere Liebe sich in glühenden Hass verwandelt hat.
Die Erinnerung an seine Existenz als da Mosto veranlasst Dorian, nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu forschen. Im Golf von Morbihan stößt er auf die versunkenen Stadt Ys und birgt aus ihr einen Handspiegel, dem unheimliche Kräfte innewohnen. Der Spiegel scheint seinem jeweiligen Besitzer Lebensenergie zu entziehen. Aber Dorian ist auf den Spiegel angewiesen – er stellt womöglich die einzig wirksame Waffe gegen den Erzdämon Luguri dar, der sich als Hekates Nachfolger an die Spitze der Schwarzen Familie gesetzt hat ...
DER GRÜNE LEICHNAM
von Neal Davenport
Hekates Züge waren angespannt. Mit beiden Händen umklammerte sie die magische Kugel, mit deren Hilfe sie sich mit verschiedenen Sippen der Schwarzen Familie in Verbindung setzen konnte. Die Kugel leuchtete giftgrün. Sie war die einzige Lichtquelle in dem düsteren Raum.
»Ich rufe dich, Marcel d'Arcy«, sagte Hekate laut. »Marcel d'Arcy, melde dich!«
Die magische Kugel pulsierte stärker. Das grüne Licht erlosch; die Kugel wurde milchig und dann durchscheinend. Sekunden später war ein Gesicht zu sehen. Es war knochig. Die dunklen Augen lagen tief in den Höhlen, der Schädel war völlig glatt rasiert.
»Marcel d'Arcy«, flüsterte Hekate, »wie ist die Entscheidung deiner Sippe?«
D'Arcy öffnete den blutleeren Mund und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Unser Entschluss steht fest, Hekate«, sagte das Oberhaupt der mächtigen französischen Sippe. »Wir helfen dir nicht. Wir brauchen einen starken Fürsten der Finsternis, du aber bist schwach und unfähig.«
D'Arcy verzog den Mund verächtlich. »Luguri ist ein Führer ganz nach unserem Geschmack. Er wird dem Bösen zum Durchbruch verhelfen. Er hat die Familie aufgerüttelt. Deine Tage sind gezählt, Hekate.«
Hekate nahm die Hände von der Kugel, und Marcel d'Arcys Gesicht löste sich auf.
Wütend sprang Hekate auf. Mit beiden Händen schob sie das lange, flammend rote Haar aus dem Gesicht und warf es über ihre schmalen Schultern. Ihr Gesicht war ein bleiches Oval, in dem die grünen Augen wie strahlende Edelsteine leuchteten. Sie trug ein hautenges, grünes Kleid, das die Sinnlichkeit ihres aufreizenden Körpers unterstrich.
Ihr Versuch, sich einige Verbündete zu sichern, war kläglich gescheitert. Den ganzen Tag über hatte sie sich mit verschiedenen Sippen in Verbindung gesetzt. Sie hatte sich Gewissheit verschaffen wollen, welche Sippen ihr helfen würden. Doch das Ergebnis war erschütternd gewesen. Nicht eine einzige Sippe stand hinter ihr.
Erregt lief sie im Zimmer auf und ab. Dabei ballte sie die Hände zu Fäusten. Offiziell war sie noch immer die Herrin der Schwarzen Familie. Aber wie lange noch?
Ihre Position war nie besonders stark gewesen. Sie hatte nur wenige Freunde und Verbündete gehabt; die meisten Sippen hatten sich neutral verhalten, und es war ihr nicht gelungen, sich beliebter zu machen. Zu viele Niederlagen hatte sie im Kampf gegen Hermes Trismegistos und den Dämonenkiller einstecken müssen. Und der Anfang vom Ende war Luguris Erweckung gewesen. Sie hatte sich dagegengestemmt, doch ihr war keine andere Wahl geblieben; sie hatte dem Drängen der Sippen nachgeben müssen.
Luguri hatte sofort die Initiative ergriffen und einige Beweise seiner Macht geliefert. Nur zu deutlich erinnerte sich Hekate an Luguris Wüten im »Atlantic Palace Hotel« in New York, und von Tag zu Tag hatte Luguri immer mehr von seinen gewaltigen magischen Fähigkeiten zurückerhalten; er, der seit Jahrtausenden in einem Dolmengrab gefangen gewesen war, hatte sich rasch an die neuen Zeiten angepasst.
Ein spöttisches Lachen ließ Hekate herumfahren. Die magische Kugel änderte die Farbe. Sie strahlte nun dunkelrot und schien zu wachsen. Das Lachen wurde lauter. Ein greller Blitz schoss aus der Kugel, raste auf Hekate zu und hüllte sie ein. Unsichtbare Fesseln umschlangen ihren Leib. Hekate versuchte einen Gegenzauber, aber vergeblich. Spinnenfinger mit langen Krallen ragten plötzlich aus der magischen Kugel. Ein dürrer Arm folgte.
»Luguri«, flüsterte Hekate mit versagender Stimme.
Sekunden später stand der Erzdämon vor ihr. Er war groß und knochig. Sein dünner Körper wurde von einem eng anliegenden Mantel verhüllt. Der schmale Schädel war haarlos, die glühenden Froschaugen lagen in tiefen Höhlen; der v-förmige Mund war zu einem teuflischen Grinsen verzogen.
»Ja, ich bin es, Hekate«, sagte Luguri mit Donnerstimme. »Es war für mich äußerst amüsant, mitzuverfolgen, wie du einige Sippen um Hilfe angewinselt hast. Deine Herrschaft war nur von kurzer Dauer.« Er blickte sie gnadenlos an.
Hekate versuchte sich zu bewegen, doch die unsichtbaren Fesseln verhinderten es. »Was hast du vor, Luguri?«, fragte sie.
Der Erzdämon kam näher. »Ich könnte dich sofort töten, Hekate«, sagte er grinsend, »oder dich in einen Freak verwandeln. Aber das will ich nicht. Ich bin bereit, dir eine letzte Chance zu geben, Hekate.«
»Und die ist?«
»Ich habe dich mit einem Zauber belegt, Hekate. Du hast nichts davon gemerkt, was wieder ein Beweis für deine Schwäche ist. Dieser Zauber wird dich vernichten, wenn du nicht deine Chance nützt.«
»Was muss ich tun?«
»Du hast eine Woche Zeit, Hekate. Keinen Tag mehr. Du musst innerhalb dieser Woche Dorian Hunter töten.«
Hekates Lippen bebten.
»Töte Dorian Hunter, Hekate, dann bleibst du am Leben! Du hast eine Woche Zeit.«
Der Erzdämon drehte sich rasch um, ging auf die magische Kugel zu, berührte sie kurz, und sein Körper löste sich auf.
Die unsichtbaren Fesseln fielen von Hekate ab. Mehrere Minuten blieb das Alraunengeschöpf unbeweglich stehen, dann setzte sie sich auf eine Bank, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Sie wusste, dass Luguris Drohung ernst gemeint war.
»Eine Woche«, flüsterte sie. Innerhalb von sieben Tagen sollte sie etwas schaffen, was ihr in all den Monaten ihrer Regentschaft nicht gelungen war. Und dazu kam noch, dass sie von keiner Seite Unterstützung erhalten würde. Sie war auf sich gestellt.
Ich muss es schaffen, dachte sie und öffnete die Augen. Ihr Blick fiel auf die magische Kugel. Zuerst musste sie einmal Dorian Hunters Aufenthaltsort herausfinden. Das Weitere würde sich dann finden.
Hekate hatte keine Zeit zu verlieren. Rasch stand sie auf und klatschte in die Hände. Die Deckenbeleuchtung flammte auf, und ein Schrank öffnete sich. In wenigen Augenblicken hatte sie die notwendigen Vorbereitungen getroffen. Aus Wachs formte sie eine Puppe, die sie neben die magische Kugel stellte. Um den Tisch zog sie einen Kreis, in den sie einige magische Zeichen malte. Darunter schrieb sie: »Dorian Hunter«. Sie kniete vor der Kugel nieder, schloss die Augen und konzentrierte sich.
Deutlich sah sie vor ihrem geistigen Auge Dorian Hunter. Sekunden später war sie in Trance gefallen. Ihr Geist schien sich von ihrem Körper zu lösen. Für einen Augenblick verschwamm alles. Dann sah sie ein Taxi. Es fuhr eine schmale Straße entlang. Im Fond des Wagens saß der Dämonenkiller, der plötzlich zusammenzuckte und sich rasch umblickte.
Hekate zog sich augenblicklich zurück. Sie unterbrach die Verbindung und öffnete wieder die Augen.
Dorian Hunter hielt sich in London auf. Besser hätte sie es nicht treffen können.
Lange hatte ich um eine Entscheidung gerungen, jetzt stand mein Entschluss fest: Ich würde alle Brücken hinter mir abbrechen, so schwer es mir auch fallen würde.
Im Castillo Basajaun hatte ich einen durchschlagenden Erfolg erzielt; niemand wollte mehr etwas mit mir zu tun haben. Es war mir keine andere Wahl geblieben, denn wenn ich Hermes Trismegistos' Macht erlangen wollte, durfte mich nichts mehr mit meinem jetzigen Leben verbinden.
Auf der Burg im Seitental des Valira del Norte hatte ich den ersten Schritt getan, der für mich nicht einfach gewesen war. Ich hatte mich so penetrant beleidigend benommen, dass ich mich nachträglich genierte. Kein gutes Haar hatte ich an der Magischen Bruderschaft gelassen, ihre Ziele und Methoden verhöhnt. Ich fand das alles tatsächlich recht kindisch, die Zusammenkünfte in den Tempeln, die lächerlich anmutenden Ränge, den tierischen Ernst, mit dem alles betrieben wurde; das war nichts mehr für mich.
Jeff Parkers Begeisterung für die Bruderschaft hatte mich vor einiger Zeit angesteckt, doch von dieser Begeisterung war nichts mehr übrig geblieben; die Bruderschaft war eine nutzlose Gemeinschaft, die mir im Kampf gegen die Dämonen keine Hilfe war. Für mich zählte im Augenblick nur eines: der Kampf gegen den Erzdämon, der die größte Bedrohung darstellte, die es bisher gegeben hatte.
Unga, den ich fast als Freund betrachtete, und Magnus Gunnarsson, der geheimnisvolle isländische Magier, den ich einige Zeit für Hermes Trismegistos gehalten hatte, waren in den vergangenen Tagen meine Begleiter gewesen. Luguri hatte uns einige beängstigende Proben seiner gewaltigen magischen Fähigkeiten gegeben. Ohne den Ys-Spiegel, den ich vor einiger Zeit gefunden hatte, wären wir verloren gewesen.
Alle meine persönlichen Wünsche musste ich zurückstellen. Mir war bewusst, was dies bedeuten würde – doch ich fand keine andere Lösung. Ich durfte Luguri keinen Angriffspunkt bieten, durfte mir keine Schwäche mehr erlauben.
Ich lächelte verkrampft, als ich an die bevorstehende Aufgabe dachte. Aus der Magischen Bruderschaft würde ich austreten, das Haus in der Baring Road und die Mystery Press vergessen. Ja, und da war noch Coco. Das würde hart werden, vielleicht zu hart. Auch sie musste ich aufgeben. Ich musste meinen Weg gehen, musste ganz einfach dieses Opfer bringen, auch wenn ich seelisch daran zerbrechen würde. Allem musste ich entsagen. Es gab keine andere Möglichkeit.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Zehn Minuten später war ich durch die Zollkontrolle und stieg in ein Taxi. Ich wollte direkt zum Tempel der Magischen Bruderschaft in der Harley Street, nahe dem Cavendish Square, fahren.
Es war ein unfreundlicher Dezembertag. Der Himmel war grau, und gelegentlich regnete es leicht. Ein Wetter, das meine trübe Stimmung widerspiegelte.
Immer wieder wanderten meine Gedanken zu Coco. Ich hoffte, dass sie meinen Standpunkt verstehen würde. Noch immer kam es mir unfassbar vor, dass sich unsere Wege trennen sollten.
Gedankenverloren griff ich in meine Manteltasche und zog eine Zigarette heraus. Für einen Augenblick spürte ich einen kalten Hauch im Nacken. Rasch blickte ich mich um, doch nichts Verdächtiges war zu sehen.
Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Ich war sicher, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Der Ys-Spiegel hatte meine Sinne geschärft. Es war eine magische Berührung gewesen; da gab es für mich keinen Zweifel. Irgendjemand war daran interessiert, zu wissen, wo ich mich befand. Steckte Luguri dahinter? Ich musste vorsichtig sein. Je rascher ich London verließ, umso besser war es.
Das Taxi fuhr am Cavendish Square vorbei und bog in die Harley Street ein. Vor dem Tempel blieb es stehen. Ich zahlte, schnappte meinen kleinen Handkoffer und stieg aus. Der eisige Wind peitschte mir Regentropfen ins Gesicht. Rasch sperrte ich die Tür auf und trat ein. Langsam drückte ich die Tür ins Schloss und blickte mich flüchtig um. Ich war sicher, dass George Mansfield, der Leiter des Londoner Tempels, bereits über mein seltsames Verhalten benachrichtigt worden war.
Den Koffer stellte ich vor die Kleiderablage, dann schlüpfte ich aus meinem Mantel und hängte ihn auf einen Haken. Gemächlich ging ich den langen Gang entlang, der zu den Gemeinschaftsräumen führte.
Niemand kam mir entgegen. Im Tempel war es unnatürlich ruhig. Vor einer weißen Tür blieb ich stehen. Ich klopfte kurz an und riss sie dann ruckartig auf.
George Mansfield saß hinter einem kleinen Schreibtisch, auf dem einige Akten und Bücher lagen. Mansfield war an die fünfzig und ein ziemlich beleibter Mann. Sein Haar war grau, das Gesicht rosig und von einem schlohweißen Backenbart eingerahmt.
Er hob den Kopf und blickte mich ernst an.
»Hallo, George!«, sagte ich.
Ich schloss die Tür und ging auf ihn zu. Zwei Schritte vor dem Schreibtisch blieb ich breitbeinig stehen. Mansfield nickte flüchtig, dann zeigte er auf einen Stuhl, und ich setzte mich.
»Mein Kommen wurde dir bereits avisiert?«
»Colonel Bixby rief mich vor drei Stunden an.«
»Und was hat er da gesagt?«
»Willst du es wirklich hören?«
»Ich bin immer daran interessiert, die Meinung über mich zu hören.«
Mansfield beugte sich vor. »Du bist völlig übergeschnappt, größenwahnsinnig und beleidigend. Du bist zu einem anderen Menschen geworden. Du hast dich sehr zu deinem Nachteil verändert. Du willst nichts mehr mit der Magischen Bruderschaft zu tun haben. Das hat Bixby mir erzählt. Ich konnte es einfach nicht glauben, doch auch Virgil Fenton bestätigte es mir. Sie wollen dich nicht mehr wiedersehen. In der Burg sollst du dich nicht mehr blicken lassen. Was ist nur in dich gefahren, Dorian?«
Es war so gekommen, wie ich es erwartet hatte. »Ich trete aus der Magischen Bruderschaft aus, George«, sagte ich. »Diese Vereinigung ist sinnlos. Im Kampf gegen die Schwarze Familie ist sie wirkungslos. Die meisten Mitglieder sind Fantasten, harmlose Spinner, Narren oder völlig verbohrte Wissenschaftler.«
»Vor ein paar Monaten hast du anders gesprochen, Dorian. Deine Meinung über uns ist ja wenig schmeichelhaft. Unter diesen Umständen scheint es tatsächlich besser zu sein, wenn du austrittst.«
George Mansfield senkte den Blick und spielte mit einem Kugelschreiber. Es tat mir leid, dass ich ihn beleidigen musste. Zu meinen Angriffen gegen die Magische Bruderschaft stand ich, da ich sie in der jetzigen Form für überflüssig hielt; doch ich hätte meine Meinung etwas weniger unfreundlich formulieren können.
»Noch bin ich Mitglied«, erklärte ich, »und ich habe noch einen Wunsch. Ich möchte mich von Dr. Faust verabschieden.«
»Es ist also tatsächlich dein Wunsch, aus der Magischen Bruderschaft auszuscheiden?«
»Ja, es ist mein Wunsch.«
»Ich kann es noch immer nicht fassen. Willst du es dir nicht doch noch überlegen? Sprich mit Thomas Becker!«
»Das ist völlig sinnlos. Mein Entschluss steht fest. Wann kann die Faust-Beschwörung stattfinden?«
Mansfield schüttelte den Kopf, blickte mich traurig an und hob resigniert die Schultern. »Es sind einige Mitglieder im Tempel«, flüsterte er tonlos. »Die Beschwörung kann in einer halben Stunde beginnen.«
»Gut«, sagte ich und stand auf. »Ich gehe mich umziehen.«
Fünf Minuten später ließ mich der Torhüter in den Vorhof des eigentlichen Tempels ein. Bedächtig entkleidete ich mich und griff nach dem Ys-Spiegel, der um meinen Hals hing. Dieser Spiegel war noch immer ein Rätsel für mich. Der Einsatz des Spiegels schwächte mich geistig und körperlich; und ich konnte mich nur für kurze Zeit von ihm trennen. Es war, als wäre er ein Teil von mir geworden. Die gewaltigen Kräfte, die in ihm steckten, konnte ich nur ahnen. Der Spiegel war eine geradezu ultimative Waffe. Seit ich ihn trug, hatte ich mir eine große Verantwortung aufgebürdet. Jetzt war es zu spät; ich konnte den Spiegel nicht mehr ablegen, denn das wäre mein sicherer Tod gewesen. Hermon, alias Hermes Trismegistos, hatte damals vor vielen Jahren bestimmt, dass eines Tages ein Berufener den Spiegel finden sollte. Ich hatte ihn gefunden, doch ich fühlte mich nicht als Berufener.
Ich schlüpfte in das Zeremoniengewand, das wie ein ärmelloser Poncho aussah. Flüchtig begrüßte ich die Mitglieder, die an der Beschwörung teilnehmen würden. Alle reagierten sehr zurückhaltend.