Dr. Brunwinkels letzter Fall - Anni Reinhardt - E-Book

Dr. Brunwinkels letzter Fall E-Book

Anni Reinhardt

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Beschreibung

Die 16-jährige Emma wird auf dem Heimweg vergewaltigt und wird schwanger. Sie bringt das Kind zur Welt und setzt es aus. Marie wird adoptiert und verlebt eine glückliche Kindheit, bis das Schicksal grausam zuschlägt. Emma begibt sich in Psychotherapie und lernt Thomas, einen Medizinstudenten, kennen. Die beiden kommen einander näher. Die junge Frau wird schwanger und bringt Rudolf zur Welt. Kurz darauf verlässt Thomas seine Eltern, Emma und das Kind und kehrt nie mehr zurück. Emma findet sich damit ab, bis sie eines Tages Josef kennenlernt, der sie auf der Stelle heiratet und nach Florida mitnimmt. Sie sind zwanzig Jahre glücklich verheiratet, bis erneut unvorhersehbare Ereignisse eintreten. Emma kehrt als reiche Frau in ihre Heimat zurück, wo die Vergangenheit sie wieder einholt.

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Seitenzahl: 111

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Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Zweiter Teil

Erster Teil

Nach einem langen und kalten Winter warten die Menschen und alles, was da lebt, auf einen warmen und sonnigen Frühling. Jetzt, Ende März, haben bereits die ersten warmen Sonnenstrahlen die schlafende Natur geküsst und sie aus dem langen Winterschlaf aufgeweckt. Schneeglöckchen und Märzenbecher haben den ersehnten Frühling mit ihren weiß-grünen Blüten bereits eingeläutet. Mit ihrer ganzen Farbenpracht leuchten die Primeln in Hausgärten und Parks wie bunte Kristalle. Zu ihnen gesellen sich Narzissen in ihrem gelben Mantel und blaue Veilchen verströmen ihren zarten wunderbaren Duft. Die Amseln und Staren feiern Hochzeit und bauen bereits an ihren Nestern. In der Frühe des Tages versammeln sie sich zum Morgenkonzert. Auch Birken und Lärchen erwachen aus ihrem Schlaf und strecken ihr zartes Grün der Sonne entgegen. An Bächen und Flussufern treiben Fasanen mit ihrem bunten Gefieder ihr Spiel und verstecken sich hinter blühenden Lenzrosen. Weidenkätzchen erfreuen sich unzähliger Besuche fleißiger Bienen und Nektar liebenden Insekten. Und am Waldrand grüßt majestätisch der Seidelbast, eingehüllt in seine violetten Blüten.

In diese herrliche Oberschwäbische Landschaft fährt am Dienstagabend der letzte Zug der Hohenzollernbahn. Am Himmel streiten Blitz und Donner um die Macht. Ungewöhnlich, ein Gewitter zu dieser Jahreszeit! Wer weiß, was das Jahr noch alles im Gepäck bereit hält. Endlich, es regnet. Dicke Regentropfen tanzen auf den Fenstern der Eisenbahnwaggons. Der Zug fährt langsam in den Bahnhof ein. Durch das Mikrofon ertönt eine Frauenstimme: „Bad Saulgau, Bad Saulgau“. Die noch sehr junge, hoch gewachsene Frau neben der Eingangstür steht auf, zieht ihr Kopftuch, mit dem sie ihr schönes schwarzes, zu einem Zopf geflochtenes Haar bedeckte, weiter in ihr blasses schmales Gesicht und setzt die Sonnenbrille auf. Sie hätte sie eigentlich nicht gebraucht, der Tag war bereits vergangen und der Mond ist noch auf der Suche nach einem passenden Plätzchen für die Nacht. Nur den beigefarbenen Mantel kann sie nicht schließen. Ihre Körperrundungen verraten, dass ihre Zeit gekommen ist. Die Geburt steht kurz bevor. Mit wenig Gepäck, sie hat nur das Nötigste dabei, verließ sie das Bahnhofsgebäude. Zum Glück regnet es nicht mehr. Doch wohin jetzt? Seit sie vor zehn Jahren hier bei ihrer Tante die Ferien verbrachte, hat sich Vieles verändert. Sie geht geradeaus, dann auf der Hauptstraße in Richtung Johanneskirche. Jetzt muss sie stehen bleiben. Warme Flüssigkeit durchnässt ihre Unterwäsche und rinnt an ihren Beinen hinunter. Leises Ziehen im Rücken und ein heftiger Schmerz im Unterleib bestätigen es: „Beeile dich, es ist bald soweit.“ Bei dem Denkmal Marie Theresie hält sie sich fest und atmet tief durch. Nur noch einige Schritte bis zu der Wohnung der Tante. Geschafft. Das kleine mit Liebe gepflegte Häuschen mit blauen Fensterläden und kleinem Gärtchen steht etwas versteckt hinter modernen Neubauten. Jetzt nur noch den Schlüssel finden, den die Tante hinterlegt hatte, ehe sie einige Tage in den Urlaub fuhr. Es hilft nichts, sie muss stehen bleiben, wieder dieser grausige Schmerz im Unterleib. Endlich findet sie den Schlüssel. Jetzt zittert sie am ganzen Körper vor Angst. Was wird geschehen? Sie weiß es nicht. Hunger plagt sie nicht, obwohl sie den ganzen Tag nichts essen konnte. Aber jetzt, ja, jetzt wird sie viel Kraft brauchen. Und wenn ich es nicht schaffe, denkt sie, ja, dann wird mich die Tante schon finden. Tot oder lebendig. Schon wieder dieses Ziehen im Unterleib.

Sie hatte viel über die Geburt gelesen und war in ihrer Ausbildung als Kinderpflegerin oft dabei gewesen. Doch es ist etwas ganz anderes, es selbst zu erleben und dabei die Schmerzen zu ertragen. Jetzt nur noch schnell ausziehen, die Heizung hochstellen und das Bett mit der Unterlage abdecken. Sie hat alles mitgebracht und an alles gedacht. Das Abnabelungsbesteck packt sie aus und legt es in greifbare Nähe. Jetzt kommen die Wehen, eine nach der anderen und die Schmerzen sind unerträglich. Keiner ist da, der die Hand hält, ein liebes Wort sagt und die Wangen küsst. Das ganze Jammern bringt nichts. Aushalten heißt die Devise. Schreien möchte sie, doch wozu? Es hört sie niemand. Sie atmet tief ein und aus. Die Presswehen kommen eine nach der anderen. Jetzt wird es ernst. Sie hält sich mit beiden Händen an ihren angewinkelten Beinen fest, atmet tief ein und presst die Leibesfrucht aus ihrem Körper heraus. Nun liegt sie im restlichen Fruchtwasser und Blut, restlos erschöpft. Eine Hebamme müsste jetzt das Neugeborene versorgen, aber nein, sie ist ganz allein. Allein im Verborgenen. Es ist dunkel im Zimmer, nur eine Lampe steht am Boden. Niemand darf ihre Anwesenheit bemerken. Mit großer Mühe greift sie zu der anatomischen Klemme und Schere und durchtrennt die Nabelschnur. Das kleine Wesen „Mensch“ gibt noch keinen Muckser von sich. Erst nachdem sie das Näschen und den Mund säuberte, meldet sich das kleine Wesen leise. Emma nimmt das kleine Mädchen in ihre zitternden Hände und legt es auf ihre nackte Brust. Ihr Körper ist mit Schweiß bedeckt und völlig erschöpft. Vor Kälte zitternd zieht sie das Oberleintuch bis zum Hals hoch und bedeckt somit auch ihr Kind. Sie betrachtet es eingehend und säubert die letzten Reste von den Augen des Neugeborenen, das bereits wieder eingeschlafen war. Die Geburt ist Schwerstarbeit für das kleine Wesen Mensch und natürlich auch für die Mutter.

Marie, ja, so sollst du heißen, dabei streichelt sie die rosigen Wangen und hält die winzig kleine Hand fest. Tränen kullern über ihre Wangen. Nur behalten kann ich dich nicht, so gerne ich es möchte. Ich werde dich nicht lieben können, denn bei jedem Anblick würdest du mich an jene schreckliche Nacht im Park erinnern. Ich ging von meiner Spätschicht nach Hause. Es war noch nicht dunkel, aber auch nicht mehr hell und ich nahm die Abkürzung durch den Park, um nach einem arbeitsreichen Tag schneller Daheim zu sein. Plötzlich packte mich jemand von hinten und drückte einen mit Chloroform getränkten Wattebausch auf mein Gesicht. Als ich wieder zu mir kam, lag ich hinter einer Eiben-Gruppe, war mit Blut verschmiert und halb nackt. Mein Unterleib schmerzte. Das berühmte „erste Mal“ hatte ich mir weiß Gott anders vorgestellt. Und jetzt? Wohin sollte ich gehen? Schmutzig und mit zerrissener Kleidung taumelte ich in meine kleine Wohnung. Noch ganz benommen warf ich die Kleider weg und stellte mich unter die Dusche. Das Wasser lief und lief, aber ich fühlte mich immer noch schmutzig. Vielleicht hätte ich doch zur Polizei gehen sollen. Nach 4 Wochen blieb meine Regel aus und ich wusste, dass ich schwanger war. Ich war 16 Jahre alt. Eine Anzeige gegen Unbekannt, was hätte das gebracht? Es wird immer über die Täter gesprochen, die Opfer sind bald vergessen. Oder es fällt der Satz: Selber schuld. Abtreiben hätte ich auch können und jeder hätte es verstanden. Dann ist da noch die Scham, dass ausgerechnet mir so etwas passieren musste. Nein, Marie, du sollst leben! Du unschuldiges Wesen. Ich hoffe so sehr, dass sich jemand findet, der dich lieb hat und dir mein Schicksal erspart bleibt. Ein heftiger Schmerz durchzog erneut ihren Körper, als die Nachgeburt kam.

Sorgfältig wickelt sie nun das Kind in ein Tuch und versucht, aufzustehen, um sich zu waschen. Völlig verschmutzt setzt sie sich zuerst auf die Bettkante. Sie ist zu schwach zum Aufstehen. Mein Gott, ich muss, ob ich will oder nicht. Eine Dusche, ja, das wäre gut, vielleicht in zwei Tagen aber heute, nein, nur noch waschen. So schiebt sie den Stuhl zum Waschbecken und versucht es im Sitzen. Ja, so geht es, es muss. Sie zieht die Unterwäsche hoch, legt die Einlagen, die sie mitgebracht hat, vor und zieht sich warm an. Kurze Pause. Die Beine können den geschwächten Körper nicht aufrecht halten. Notdürftig wäscht sie das Neugeborene im Waschbecken und kleidet es mit Hemdchen, Strampelhöschen und weißem Käppchen an. Dann nimmt sie die blaue Falttasche aus dem Koffer, polstert sie mit einem warmen Fell und legt das Kind hinein. Das goldene Kettchen, das einzige Erbstück ihrer allzu früh verstorbenen Mutter, legt sie ihrem Kind in die Tasche und einen Zettel dazu: „Ich heiße Marie“. Mit dem Weihwasser zeichnet sie dem Kind ein Kreuz auf die Stirn und spricht: „Marie, ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Sie will sichergehen, ihr Kind in Gottes Liebe geborgen zu wissen. Sie küsst es nochmals, das letzte Mal und nimmt Abschied. Es fällt ihr schwer, aber sie hat keine andere Wahl. Sie hat alles gut überlegt. Sie muss sich beeilen. Die Nacht ist bereits fast vorbei und der neue Tag ist nicht mehr fern. Emma zieht ihren Mantel an, der jetzt passt, setzt die Sonnenbrille auf, bedeckt ihr Haar wieder mit dem Kopftuch und nimmt die blaue Tasche mit dem schlafenden Kind. Sie muss sich beeilen, bald kommen die ersten Händler. Am Mittwoch ist nämlich Markt in Bad Saulgau. Das wusste Emma noch.

Den kurzen Weg bis zur Johanniskirche schaffe ich noch, ich muss. Die Füße wollen sie nicht tragen, sie ist noch zu schwach. Sie stellt die Tasche an einer geschützten Stelle so ab, dass sie in Kürze gefunden werden müsste, spätestens in einer Stunde. Mit letzter Kraft schleppt sie sich in die Wohnung zurück.

Zu Hause räumt sie alles auf und bezieht das Bett neu. Gerne hätte sie jetzt Kaffee getrunken, aber sie muss die Flüssigkeit einschränken und ihre Brüste hochbinden, ehe die Milchdrüsen mit ihrer Arbeit beginnen. Heißes Zitronenwasser ist jetzt das Richtige und dann nur noch, schlafen, schlafen …

Langsam erwacht die Stadt an diesem Mittwochmorgen. Das Treiben der Marktfrauen, die mit ihren vollgepackten Körben hantieren, ist nicht zu überhören. Plötzlich schreit Alois Hammerschmid, sein Stand steht direkt vor dem Eingang zur Johanniskirche, „seid doch alle still!“

„Ich höre ein Kind schreien.“ Er begibt sich auf die Suche. Tatsächlich hier, in der blauen Tasche liegt ein kleines Kind. „Macht schnell, ruft die 110. Es ist ein Neugeborenes, vielleicht erst ein paar Stunden alt. Glaubt mir, ich kenne mich aus, ich habe selbst vier Kinder.“

Jemand ruft an und am anderen Ende heißt es: „Polizeirevier Bad Saulgau, Müller am Apparat.“

„Kommen Sie schnell zur Johanniskirche. Wir haben ein Baby gefunden.“

„Fischer, wach auf, wir haben Einsatz!“

„Was, wie wo?“

„Frag nicht, und komm!“

Schlaftrunken taumelt Fischer hinter Müller her und setzt sich auf den Beifahrersitz. In Windeseile sind sie mit Blaulicht am Fundort. Doch jetzt ist kein Durchkommen möglich. Überall stehen Wagen mit Anhängern, voll beladen mit Kartoffeln und allerlei Wintergemüse. Auch die ersten Salatsetzlinge sind bereits im Angebot. Die Händler kommen ihnen mit dem Neugeborenen entgegen.

„Wir müssen das Kind schnell ins Krankenhaus bringen und kommen später wegen der Aussagen wieder. Das Kind hat jetzt Priorität. Fischer, du fährst, ich halte die Tasche“, entscheidet Polizeimeister Müller. Zu Tränen gerührt, als wäre es sein eigenes Kind, drückt der Polizist die Tasche an sich. Wie gern hätte er sein eigenes Kind einmal so in den Armen gehalten.

„Was bringen Sie uns, Herr Müller? Und schon so früh, es ist nicht einmal 6 Uhr“, fragt der diensthabende Arzt.

„Wir haben ein Kind gefunden.“

„Sie scherzen, Herr Müller.“

„Ich scherze nicht, Herr Doktor, hier sehen Sie selbst.“

Tatsächlich, ein Neugeborenes. „Wir müssen auf die Kinderstation. Wo haben Sie es denn gefunden, Herr Müller?“

„Nicht ich, ein Händler, der seinen Stand direkt vor dem Eingang der Johanniskirche hat.“

Der Arzt ruft nach einer Hebamme und nach einer Kinderschwester. Sie packen das kleine Wesen aus. Ein Mädchen, erst wenige Stunden alt, perfekt abgenabelt und wie es auf den ersten Blick aussieht, gesund, stellt der Doktor fest. Beim Ausziehen findet die Hebamme das goldene Kettchen mit dem Zettel: Ich heiße Marie.

„Schauen Sie, Herr Müller, wie liebevoll und warm das kleine Wesen eingepackt ist. Anscheinend wollte die Mutter, dass es rasch gefunden wird. Sie muss verzweifelt gewesen sein, sonst hätte sie das kleine Mädchen nicht abgegeben. Wer weiß, was ihr geschehen ist. Geht sie in diesem Fall straffrei aus? Was sagt das Gesetz? Ich meine, falls sie gefunden wird.“

„Ach, Herr Doktor, ich glaube, es ist ein Wink des Himmels.“

„Wie meinen Sie das denn, Herr Müller?“

„Vor 5 Jahren haben meine Cilli und ich einen Antrag für eine Adoption gestellt und in diesem Jahr werde ich 35 Jahre alt. Sie verstehen, was ich meine, Herr Doktor?“

„Gewiss Herr Müller!“

„Wir würden das Kind sofort zu uns nehmen!“

„Schön, aber diese Entscheidung liegt nicht bei mir, wir müssen es dem Jugendamt melden.“

„Aber ein gutes Wort können Sie für mich einlegen.“

„Sicher, Herr Müller, das mache ich. Jetzt muss Marie weiter untersucht, gebadet, gemessen, gewogen und natürlich gefüttert werden. Sie sehen doch, das kleine Menschenkind hat Hunger.“

Marie lässt alles über sich ergehen und schlummert schließlich wie ein kleiner Engel im warmen Kinderbettchen. Die Behörden übernehmen den Fall und das ausgesetzte Kind wird zum Tagesgespräch. Erich und Cilli Müller hoffen auf ein Wunder. Einige Tage vergehen, dann steht eine unbekannte Dame mit Begleitung vor der Haustür. „Sind wir hier richtig bei Polizeimeister Müller?“

„Ja, sicher. Treten Sie doch ein“, bittet Frau Müller den sehnsüchtig erwarteten Besuch ins Wohnzimmer.

„Wir sind vom Jugendamt und möchten wissen, ob Sie das Findelkind wirklich haben wollen.“

„Ja, und ob.“

Noch etwas verschlafen kommt Herr Müller aus dem Schlafzimmer. „Entschuldigen Sie bitte, ich habe zur Zeit Nachtdienst. Weshalb kommen Sie?“

„Wegen Marie. Sind Sie immer noch an dem Kind interessiert?“

„Wir würden uns freuen.“

„Gut, dann leite ich alles in die Wege. Die Entscheidung trifft die nächst höhere Instanz, die Richterin. Haben Sie denn überhaupt ein Kinderzimmer?“

„Kommen Sie mit.“