Amelie - ungewollt und ungeliebt - Anni Reinhardt - E-Book

Amelie - ungewollt und ungeliebt E-Book

Anni Reinhardt

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Beschreibung

Kurz nach Kriegsende wird Tina, die Tochter einer slowenischen Familie, die nach Deutschland ausgesiedelt wurde, vergewaltigt. Sie will sich das Leben nehmen, wird aber von einem jungen Mann gerettet. Die Familie kehrt kurz darauf nach Slowenien zurück, Tina stellt fest, daß sie schwanger ist. Sie heiratet den jungen Mann und bekommt eine Tochter. Die kleine Amelie wird von ihrer Mutter nicht geliebt. Sie erinnert sie an die Vergewaltigung. Amelie hat eine schwere Kindheit. Nur der Großvater und ihr Bruder halten zu ihr. Trotz der schwierigen Kindheit geht Amelie ihren Weg, verläßt Slowenien und lebt in Deutschland, wo sie mit offenen Armen aufgenommen wird und schließlich ihr Glück findet.

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Nach einem arbeitsreichen Tag im Oktober 1941 saß die Bauernfamilie auf der Eichenbank vor ihrem mit Stroh gedeckten Haus. Alle Familienmitglieder freuten sich darüber, die schwere Arbeit in dieser gottverlassenen Gegend Sloweniens, dem letzten Zipfel der Untersteiermark an der Grenze zu Kroatien, geschafft zu haben. Der Bauer, ein ehemaliger Soldat hoch zu Ross im Ersten Weltkrieg, war mittelgroß und hatte schütteres Haar. Seine sehr schlanke Frau trug ihr bereits mit Silberfäden durchzogenes Haar zu einem Zopf geflochten. Ihre beiden Söhne hießen Anton und Franz. Anton, der Ältere, sollte später den Hof übernehmen. Franz liebäugelte mit einem Beruf in Uniform. Die 16-jährige Tochter, Vaters Liebling, war immer Klassenbeste und wollte auf die höhere Schule gehen. Sie war der ganze Stolz ihres Vaters. Sie war ein hübsches junges Mädchen mit schönem dichten schwarzen Haar und braunen Augen.

Die Ernte in diesem Jahr war gut, die Kornspeicher waren voll und das Vieh gesund im Stall. Im Weinberg lagerten volle Fässer mit Rotwein, welchen sie an diesem Abend zum ersten Mal probierten. „Er wird gut, muss aber noch einige Zeit reifen“, verkündete der Bauer. Es war spät geworden an diesem Abend, als sich ein wunderschönes Abendrot am Himmel zeigte. Ein Abendrot sagt gutes Wetter für den nächsten Tag an, das sie ja noch gut brauchen konnten. Die Bäuerin aber stieß einen Schrei aus: „Freut Euch nicht. Das Abendrot ist blutrot, es wird Krieg geben.“ Und sie sollte Recht behalten. Sie hatten kein Radio und keine Zeitung, orientierten sich an der Natur und ihrem Wandel im Jahreskreis. Eine Woche später annektierte Hitler Slowenien, wobei ihm die Untersteiermark ein Dorn im Auge war.

So erging der Befehl, dass sich alle Bewohner binnen einer Woche aus dieser Gegend an einem bestimmten Ort zu versammeln hatten. Mitnehmen durfte jeder, was er tragen konnte. Ein Weinen und Klagen, Schimpfen und Fluchen war überall an den folgenden Tagen zu hören. Die Arbeit eines ganzen Jahres war umsonst. Das Vieh musste schnell nach Kroatien verkauft werden, damit es weiter leben konnte. Die Kunde, dass Hitler fremde Siedler bereits in diese Gegend beordert hatte, wurde zu trauriger Gewissheit. Auch sie mussten ihre Häuser, ihr Hab und Gut verlassen. Die Bäuerin packte mit ihrer Tochter die Koffer. Die Söhne kümmerten sich mit dem Vater um den Hof. Sie musste nur das Nötigste für jeden einzeln zusammen legen, das in die Koffer passte. Das holzgeschnitzte Kreuz aus dem Herrgottswinkel wickelte sie in ein Handtuch ein und legte es behutsam unter die Wäsche in ihrem braunen ledernen Koffer. Die Tochter ging ihr zur Hand, während die Schwiegermutter, jenseits der 75 Jahre, auf der Holzbank am braunen Kachelofen saß und bitterlich weinte. Nun verließen alle ihre Häuser und gingen zu dem Versammlungsplatz. Sehr viele Menschen waren bereits anwesend und wussten nicht, wohin die Reise gehen würde. Etwa nach 10 km erreichten sie den Bahnhof. Sie waren erschöpft von dem langen Marsch auf der Schotterstraße. Die Alten und die kleinen Kinder hatte man auf die Ochsenkarren gesetzt. Die Wälder, an denen sie vorbei marschierten, trugen bereits ihre bunten Farben und wurden von der herbstlichen Sonne beschienen. Der lange Zug wartete bereits auf sie. Einige aus der Gegend der Save hatten bereits ihren Platz eingenommen. Es war kein Personenzug, sondern es waren offene Waggons, in denen man üblicherweise das Vieh transportierte. Sie waren mit Stroh ausgepolstert und die Menschen wurden wie Tiere hinein verfrachtet. Die Nacht war kalt, jedoch die Heimat zu verlassen, war schmerzlicher. Sie fuhren die ganze Nacht und erreichten am anderen Nachmittag den Bahnhof in Aulendorf in Baden-Württemberg. Alle mussten aussteigen. Hungrig und erschöpft wurden sie jetzt in das Kloster Saint Johan Blönried getrieben. Hier wurden die Familien getrennt. Die Männer blieben bis auf Weiteres hier im Lager. Sie wurden für bestimmte Arbeiten eingeteilt. Auch wurden sie ärztlich untersucht, vermessen und gewogen. Wenn sie den geforderten Maßen des Führers entsprachen, hatten sie Glück. So kam der Bauer als Heizer auf die Dampflok, seine beiden Söhne mussten als Soldaten der Wehrmacht nach Russland und kamen nicht mehr zurück. In der Friedhofskapelle in Aulendorf sind ihre Namen auf der Tafel der Gefallenen zu lesen. Ein Verwandter war Metzger und wurde dringend in diesem Lager gebraucht. Er musste keinen Hunger leiden wie so viele andere. Die Frauen kamen mit ihren Kindern ins Kloster Sießen bei Saulgau, das ebenfalls zum Lager umfunktioniert wurde. Die meisten Ordensfrauen wurden von der SS Führung vertrieben. Einige durften bleiben. Die große Schar der Vertriebenen wurde untergebracht und auf Strohsäcken gebettet. Auch sie wurden vermessen, ärztlich untersucht und aussortiert. So kam die Schwiegermutter der Bäuerin ins Kloster Neresheim, das ebenfalls zum Lager umfunktioniert worden war. Sie war bald verstorben, ihre Familie sah sie nie wieder.

Das Leben im Lager war für die Vertriebenen nicht einfach. Alles war fremd für sie. Die Jungen sprachen kein Wort Deutsch, die Alten dagegen sehr gut.

Vor dem Ersten Weltkrieg war Deutsch auch in der Untersteiermark die Amtssprache. Die Tochter der Bäuerin kam nach Aulendorf als Haushaltshilfe in eine Gastwirtschaft. Die Besitzerin, Ehefrau eines SA-Offiziers, nahm sich ihrer an. Sie brachte ihr zuerst die Sprache bei, indem sie jeden Gegenstand in die Hand nahm und ihn benannte oder ihr erklärte. Die junge Frau lernte schnell und wurde nach und nach mit größeren Aufgaben betraut. Die Heimat war weit weg, wenigstens konnte sie ihren geliebten Vater öfter sehen.

Langsam lichtete sich das Lager. Die jungen Burschen kamen zu den Bauern, um den Frauen zu helfen, denn ihre Söhne und Ehemänner waren an der Front. Einige kamen nie wieder heim. Am Anfang begegnete man den Fremden mit Argwohn. Mit der Zeit glätteten sich die Wogen und man war froh, tüchtige Helfer zu haben. Ein junger Mann, er hieß Hans, kam, gerade 18 Jahre alt, zu einer Familie, bei der die Söhne und der Vater als Soldaten der deutschen Wehrmacht dienten. Er hatte Glück, da er doch von Kindesbeinen Bauernarbeit gewohnt war. Er war groß und schlank und ähnelte zudem einem der Söhne. Am Sonntagnachmittag durfte er im Lager Sießen seine Mutter und seine Geschwister besuchen. Die Bäuerin gab ihm allerlei Essbares mit, der Hunger war der größte Feind im Lager. Jahre später erzählte er immer wieder davon.

Der Krieg wurde immer grausamer, die Menschen mutloser. Der Glaube an Gott gab ihnen Kraft und Durchhaltevermögen. Abend für Abend holte die Bäuerin ihr Kreuz aus dem Koffer und betete mit Zimmergenossen den Rosenkranz. Das Beten gab ihr Kraft und Halt. Sie war der festen Überzeugung, dass sie eines Tages erhört werden würden. Es dauerte noch vier lange Jahre bis im Mai 1945 der Krieg zu Ende war.

Der Sommer war gekommen, die Sonne heizte Ende Juni mächtig auf. Um sich zu waschen, mussten die Lagerinsassen mit einem Zinkeimer aus dem Hofbrunnen Wasser holen. So ließ die Bäuerin ihre Tochter, die bereits wieder im Lager war, am späten Abend Wasser holen. Der Tag war längst vorbei, die Nacht war nicht mehr fern. Sie füllte den Wassereimer bis zum Rand, als sie plötzlich von einer starken Männerhand festgehalten wurde. Mit vorgehaltener Pistole zwang sie der SS-Offizier hinter die Klostermauer, riss ihr das schöne bunte Sommerkleid vom Leib und verging sich an ihr. „Wenn Du jetzt schreist, erschieße ich Dich!“ Dazu schlug er ihr noch ins Gesicht, so heftig, dass das Blut aus der verletzten Lippe tropfte. „Endlich habe ich erreicht, was ich schon lange vorhatte“, sagte der SS-Mann und schlug sie so heftig, dass sie für kurze Zeit das Bewusstsein verlor. Der Täter verschwand in der Dunkelheit. Als sie langsam wieder zu sich kam und versuchte, sich aufzurichten, schmerzte ihr ganzer Körper. Halbnackt und mit Blut besudelt torkelte sie in der Dunkelheit in Richtung Wagenhauser Weiher, wo sie auch später vom Suchtrupp gefunden wurde. Sie wollte nicht zurück ins Lager, wollte hier im See ihr noch so junges Leben beenden. Vor den Augen der Anwesenden sprang sie in den See. Ein junger Mann sprang hinterher und rettete sie. Er zog sein Hemd aus, bedeckte den zerschundenen Körper und brachte sie ins Lager zurück. Über das Geschehen wurde Stillschweigen vereinbart.

Den Slowenen wurde jetzt freigestellt, ob sie zurück in ihre Heimat wollten oder ob sie sich hier eine neue Zukunft aufbauen wollten. Alle wollten zurück. Hier wären sie Fremde unter Fremden. Genau vier Jahre nach der Vertreibung herrschte im Kloster große Aufregung. Endlich war es soweit. Voll bepackt warteten sie auf den Abtransport. Familien rückten zusammen, halfen einander. Einige aber waren verstorben. Die junge Frau stand mit dem Mann, der sie vor dem Ertrinken gerettet hatte, bei ihrer Familie. Der Bäuerin gefiel die Verbindung nicht, denn Hans stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater war Bahnarbeiter und nebenher Bauer, seine Mutter eine tüchtige Hausfrau.

Auf demselben Weg, den sie gekommen waren, fuhren sie wieder zurück. Tausend Fragen stellten sich jetzt. Wie werden sie ihre Anwesen vorfinden, wie den bevorstehenden Winter überleben? Die Witterung in diesem Oktober kam ihnen entgegen. Aber bald würde es kälter werden. Wieder auf dem Hof wussten sie nicht, ob sie weinen oder schreien sollten. Die Siedler hatten in ihrer Abwesenheit Chaos hinterlassen. Die Kornspeicher waren fast leer, es war kein Vieh im Stall und durch das Strohdach tropfte der Regen mitten in die Stube. Der Bauer, inzwischen an Asthma erkrankt, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wir haben den Krieg überstanden. Das hier schaffen wir auch.“ Gemeinsam machten sie einen Plan. „Hans, Du gehst zu den Bauern nach Kroatien und versuchst, unser Vieh zu finden. Kaufe noch ein Schwein dazu.“ Zu den Frauen sagte er: „Ihr geht auf unsere Äcker und sucht nach Rüben und Kartoffeln. Die Siedler haben ja mit unserer Heimkehr nicht gerechnet und sicher ist noch einiges zum Ernten vorhanden.“

„Und was machst Du derweil, Vater?“, fragte die Tochter.