Fred, der Fernfahrer - Anni Reinhardt - E-Book

Fred, der Fernfahrer E-Book

Anni Reinhardt

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Beschreibung

In dem Buch geht es um das Leben eines Fernfahrers und seiner Familie. Die berufliche Verantwortung und Belastung nimmt immer mehr zu. Schwierigkeiten in der Familie und gesundheitliche Probleme sind die Folge. Dramatische Ereignisse kommen hinzu.

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In der Friedhofskapelle einer oberschwäbischen Gemeinde läuten zu Beginn des Neuen Jahres die Glocken. Das Jahr ist noch jung, die Erde mit Schnee bedeckt. Hie und da sucht noch eine Schneeflocke ihren Landeplatz. Die Sonne blickt hinter den Wolken hervor. Es ist fast so als trüge sie Trauer.

Menschen sind unterwegs zur Kapelle, um sich vom Verstorbenen zu verabschieden. „Wer wird denn heute zu Grabe getragen?“ fragt ein Fremder. Fred, der Fernfahrer, begibt sich heute auf seine letzte Reise.

Im März des Kriegsjahres 1944 betritt die junge hochschwangere blonde Frau Leni das Krankenhaus in Pforzheim. Es ist ihre erste Schwangerschaft und die neun Monate sind längst vorbei. Das Kind aber will nicht auf diese Welt. Ob es die Angst der Mutter spürt? Oder das Toben des schrecklichen Krieges? Sicher ist nur, dass es so nah am Herzen der Mutter nie mehr sein wird. Es hilft alles nichts, die Geburt wird eingeleitet und der kleine Mann erblickt mit der Nabelschnur um den Hals gewickelt, das Licht der Welt. Es dauert eine ganze Weile bis zum ersten Mucks und schon heulen die Sirenen. Menschen rennen in den Schutzkeller so schnell sie nur können.

Kranke und Schwache werden auf der Trage gebracht. Die junge Mutter ist ebenfalls zu schwach, um zu gehen. Eine Schwester schiebt sie mit dem Rollstuhl in den bereits überfüllten Schutzkeller. Daneben trägt die Hebamme das Neugeborene, das sie nur notdürftig in Decken wickeln konnte. Bomben fallen auf die Stadt. Kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Auch ein Trakt des Krankenhauses wird getroffen. Angst und Panik herrscht unter den Anwesenden und Entsetzen danach.

Das Kind auf dem Arm der Hebamme ist still, lässt sich baden, wiegen und messen. Irgendwann schreit es endlich. Es hat Hunger. Drei Tage später werden sie vom stolzen Opa heimgeholt. Bei der Taufe erhält das Kind den Namen Alfred, aber alle nennen ihn Fred. Der Vater bekommt Urlaub und darf die Front für ein paar Tage verlassen. Frühling ist bereits im Land, überall grünt und blüht es. Der Vater mit dem Kind auf dem Arm träumt von einer schönen Zukunft in seiner Spedition. Wenn nur der verdammte Krieg endlich zu Ende wäre. Aber es hilft alles nichts, er muss wieder zurück an die Front. Der Abschied fällt ihm schwer. Er hält seine junge Frau fest im Arm, drückt sie an sich, ein letzter Kuss. So innig umschlungen vergessen sie die Zeit und die Bürde des Krieges. Er nimmt das Kind aus dem Bettchen, liebkost es und seine Tränen bedecken das zarte Gesicht des Kindes. Im Dezember des gleichen Jahres fällt er in Frankreich.

Fred wird von Tante und Onkel und dem über alles geliebten Großvater liebevoll umsorgt. Er wächst heran und ist mit der Zeit ein kleiner Lausebengel, der am liebsten im kleinen Bach in Aurich spielt. Manchmal nimmt ihn der Großvater mit in den Weinberg.

Nach dem Krieg heiratet die Mutter erneut und sie ziehen nach Oberschwaben, wo sie den Bauernhof des Ehemannes übernehmen. Dieser ist auch zugleich der Bruder des ersten Mannes. So bekommt Fred einen Stiefvater und Onkel zugleich und alles bleibt in der Familie.

Der Krieg ist vorbei, das Elend groß und das Geld knapp. Jeder muss sehen, wo er bleibt. Auf dem Hof leben auch die Großeltern, sie aber mögen den kleinen Kerl überhaupt nicht. Oft sitzt Großvater auf der braunen Holzbank vor dem Haus und jedes Mal, wenn Fred vorbei huscht, bekommt er den Stock zu spüren, der ständiger Begleiter des Großvaters ist.

Vorbei ist die schöne Zeit und Fred ist jetzt erst vier Jahre alt. Einmal weint er sich bei einer Tante, die aus Reutlingen zu Besuch gekommen ist, aus. „Niemand hier mag mich, alle schubsen mich nur herum. Oh, wäre ich doch bei meinem geliebten Großvater im Unterland geblieben!“ Es hilft alles nichts, er muss bleiben.

Es ist Sommer, die Heuernte in vollem Gange. Fred will auch mithelfen. Er stampft das trockene Gras auf dem Heuboden, die morschen Bretter geben nach und das Kind landet einige Meter in der Tiefe auf dem Betonboden. Niemand nimmt sich seiner an. Nachdem er aus der Bewusstlosigkeit erwacht, torkelt der kleine Kerl in die Stube, wo er mit starkem Kopfweh liegen bleibt.

Bis zum Schulanfang spielt er so manchen Streich. Dafür bekommt er von der Mutter Schläge. Nur dann existiert er überhaupt für sie.

Mit 6 Jahren wird Fred eingeschult. Die Schule ist interessant, wird aber trotzdem nicht seine Freundin. Seine Konzentration lässt ihn oft im Stich. Niemand kümmert sich um seine Hausaufgaben, geschweige nimmt sich Zeit, um mit ihm zu lernen. Die Mutter ist vielmehr mit dem Nachwuchs beschäftigt, arbeitet auf dem Feld und Fred muss mit, er sei ja zu dumm, um zu lernen, aber stark genug, um mitzuhelfen.

Abends hilft er dem Bauern in der Nachbarschaft. Er mistet den Stall aus und bringt auf einem Leiterwagen die Milch in die örtliche Molke. Das Schönste für ihn ist die gemeinsame Vesper mit der Familie und obendrauf noch etwas Taschengeld, das er hütet wie seinen Augapfel. Sein Ziel ist ein eigenes Moped zu haben. Dafür hilft er in der nahen Autowerkstat. Das ist seine Welt und nicht die Schule. Das Abschlusszeugnis der Hauptschule schmettert er in die Ecke, das war es. Gerade noch bestanden. Wohin jetzt? Er muss eigenes Geld verdienen, ordnet die Mutter an: „Stark genug bist Du ja. Ein Handwerk, Gipser oder Maurer werden immer gebraucht.“ Vater sagt nie viel, er hat auch nicht viel zu melden.

So versucht er sich bei den Gipsern. Der Zementstaub, es ist damals kein Schutz vorgeschrieben, lässt ihn nicht atmen. Bis weit in die Nacht hinein hört man ihn husten. Zu seinem Übel findet er noch am Reval Gefallen. Er wechselt zur örtlichen Säge. Jetzt ist er an der frischen Luft, bekommt sein eigenes Geld, das zum Kauf eines gebrauchten Mofas reicht. Dafür braucht er noch die Fahrerlaubnis, die er mit Bravour bestand. Sonntag für Sonntag rattert er durch den Ort. An einem Sonntag im Sommer nimmt ihm ein Bauer aus der Nachbargemeinde die Vorfahrt und Fred landet im Graben. Das Moped ist hin und Fred im Krankenhaus. Abgesehen von einigen Blessuren hatte der Kopf das meiste abbekommen. Er kann sich an nichts erinnern. Der ganze Körper schmerzt, vor allem sein Kopf.

Die Zeit vergeht und Fred meldet sich zur Bundeswehr. Er muss nicht, weil er der einzige Sohn seines Vaters ist, aber er will fort. Inzwischen hat er drei Brüder bekommen, ein Grund mehr, fortzugehen.

Nach der Grundausbildung kommt er zu den Fallschirmspringern, darf aber wegen der bekannten Kopfverletzungen nicht springen. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt den Lastwagen. Einmal dort sitzen und fahren dürfen, das ist sein größter Wunsch. Der diensthabende Leutnant mahnt mit erhobenem Finger: „Nein, Fred, erst wenn Du den Lkw- Führerschein hast, darfst Du auch fahren.“ „Jawohl, Herr Leutnant. Bald werde ich volljährig und dann steht mir nichts mehr im Weg.“ „Na denn viel Glück, Fred. Aber jetzt runter vom Lkw.“ Einen Teil seines Wehrsolds schickt er regelmäßig seiner Mutter, sich selbst gönnt er nichts. Als Obergefreiter verlässt er die Bundeswehr, obwohl er später immer wieder an den Übungen teilnimmt. Sein Ziel ist jetzt der Lkw-Führerschein. Da er schon bei der Bundeswehr viel üben konnte, genügen ihm nur vier Stunden Fahrpraxis und er erhält den begehrten Schein. In der nahen gelegenen Stadt bekommt er sofort eine Anstellung. Er ist am Ziel.

Wieder ist der Frühling ins Land gezogen. Es ist April, die Sonne heizt schon mächtig auf, aber in den Wäldern von Hohentwiel will der Schnee nicht weichen. Fred muss eben in diesen Wäldern Langholz aufladen. Mühsam, Stück für Stück lädt er es auf den Langholzwagen und bringt es wohlbehalten auf den Hof der Spedition. So schwer hat er sich die Arbeit nicht vorgestellt, ist aber mit sich und der Welt zufrieden. Er hat sein Ziel erreicht.