Dr. Moreaus neue Insel - Brian W. Aldiss - E-Book

Dr. Moreaus neue Insel E-Book

Brian W. Aldiss

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Beschreibung

Die nahe Zukunft: Durch einen Anschlag wird das Spaceshuttle Leda bei seiner Rückkehr vom Mond zum Absturz gebracht. Nur eines der vier Besatzungsmitglieder überlebt: Unterstaatssekretär Calvert Madie Roberts. Nachdem er tagelang auf dem Pazifischen Ozean dahingetrieben ist, strandet er an einer Insel. Doch ihre Bewohner schockieren Roberts: Sie sind zwar von menschlicher Gestalt, zeigen aber tierhafte Züge. Nach und nach findet Roberts heraus, dass diese Kreaturen künstlich geschaffen wurden. Doch ihr Schöpfer ist nicht bereit, seine Kreationen kampflos aufzugeben ...

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BRIAN W. ALDISS

 

 

 

DR. MOREAUS

NEUE INSEL

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Die nahe Zukunft: Durch einen Anschlag wird das Spaceshuttle Leda bei seiner Rückkehr vom Mond zum Absturz gebracht. Nur eines der vier Besatzungsmitglieder überlebt: Unterstaatssekretär Calvert Roberts. Nachdem er tagelang auf dem Pazifischen Ozean dahingetrieben ist, strandet er an einer Insel, auf deren Klippen der Buchstabe »M« prangt. Doch ihre Bewohner schockieren Roberts: Sie sind zwar von menschlicher Gestalt, zeigen aber tierhafte Züge. Nach und nach findet Roberts heraus, dass diese Kreaturen von dem unheimlichen Genie Dr. Mortimer Dart künstlich geschaffen wurden, der sich von H. G. Wells Dr. Moreau inspirieren ließ. Doch ihr Schöpfer ist nicht bereit, seine Kreationen kampflos aufzugeben …

 

 

 

 

Der Autor

Brian Wilson Aldiss, OBE, wurde am 18. August 1925 in East Dereham, England, geboren. Nach seiner Ausbildung leistete er ab 1943 seinen Wehrdienst in Indien und Burma, und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb er bis 1947 auf Sumatra, ehe er nach England zurückkehrte, wo er zunächst als Buchhändler arbeitete. Dort begann er mit dem Schreiben von Kurzgeschichten, anfangs noch unter Pseudonym. Seinen Durchbruch hatte er mit Fahrt ohne Ende, einem Roman über ein Generationenraumschiff. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Der lange Nachmittag der Erde, für das er 1962 mit dem Hugo Award ausgezeichnet wurde, und die Helliconia-Saga, mit der er den BSFA, den John W. Campbell Memorial Award und den Kurd Laßwitz Preis gewann. Brian Aldiss starb am 19. August 2017 im Alter von 92 Jahren in Oxford.

 

Erfahren Sie mehr über Brian W. Aldiss und seine Werke auf

www.diezukunft.de

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

 

 

Titel der Originalausgabe

 

MOREAU'S OTHER LAND

 

Aus dem Englischen von Heinz Nagel

 

 

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

 

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Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1980 by Brian W. Aldiss

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Nele Schütz, München

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-25659-3V001

Unter die Oberfläche des Ozeans zu sinken, war wie der Eintritt in eine Welt der Geräusche. Ein Großteil der Geräusche entstammte organischen Lebewesen, die allzeit ihre Signale und Bedürfnisse in Harmonien übermittelten, die ihrer Umgebung angemessen waren, angefangen bei einem schrillen, schnellen Quieken bis zu einem tiefen Grunzen. Kein Ohr in jenem weiten Element vermochte die Spanne aller Frequenzen zu umfassen.

In der Nähe der Oberfläche des Ozeans waren die Geräusche leicht und vielfältig, und die Organismen, die sie aussandten, ähnlich vielfältig und klein. Weiter unten, wo größere Fische schwammen, war der Klang tiefer. Und noch weiter unten noch tiefer. Und in dem Maße, wie das Licht verblasste, wie der Druck zunahm, den versunkenen Tälern und Hügeln des Meeresbettes zu, wurden die Geräusche unregelmäßig und nahmen einen kummervollen Klang an, der ihrer Umgebung gemäß war.

Und dann gab es noch eine andere Familie von Geräuschen. Sie entstammte einer völlig anderen Existenzart: dem Anorganischen, dem Wassermantel, der unablässig über die versunkenen Landschaften seines Reiches dahinfloss. Diese kehligen Kadenzen waren fast seit dem Anbeginn der Zeiten zu hören gewesen, jedenfalls lange, bevor sich irgendein Leben geregt hatte. Strömungen, Wellen, Gezeiten, versunkene Flüsse, versunkene Seen und Meere, sie alle dienten wie eine ruhelose Atmosphäre einer Welt fern der fühlenden Geschöpfe, deren Existenzen auf frei liegende Territorien beschränkt waren, die über die planetarischen Wasser hinausstiegen.

Dieser Ozean war von beträchtlicher Tiefe. Seine Dimensionen dehnten sich Tausende von Meilen nach allen Richtungen aus. Er bedeckte ein Drittel der Oberfläche des Planeten, bedeckte eine Fläche, die größer war als die allen freiliegenden Landes zusammengenommen. Ein philosophischer Beobachter hätte ihn als das Unterbewusstsein der Welt betrachten können und ihn in Gegensatz zu der freiliegenden Landfläche stellen können, die man – im Lichte dieser etwas verspielten Überlegung – vielleicht als den Sitz eines launenhaften Bewusstseins betrachten konnte.

In dem wässerigen Unterbewusstsein des Planeten war alles wie gewöhnlich, war alles so, wie es seit Jahrmillionen gewesen war. Auf dem Lande, in einem anderen Element, war das Gewimmel individueller Bewusstseinsinhalte der dominanten Spezies mehr aufgewühlt, als dies normal war. Ihre Handlungen waren voll von Geräuschen, voll der Wut. Sie hatten sich gerade auf einen globalen Krieg eingelassen, der drohte, einen großen Teil der Landfläche in Wüste zu verwandeln, ganz davon abgesehen, dass er vielleicht ihre eigene Vernichtung herbeiführen würde.

Doch solch militärischer Lärm durchdrang kaum die Oberfläche des großen Ozeans. Und doch selbst dort – selbst dort konnte man suchen und Gegenindikationen finden, Schmerzsymptome.

Früher einmal hatte man Meteoriten, die aus dem Weltraum durch den Nachthimmel blitzten, als Künder großer Ereignisse betrachtet. Und auch der Ozean hatte seine Verkünder aus einem fremden Element. Wie ein Schauer von meteorischem Schutt verbreitete sich Metall eines sich auflösenden Fahrzeugs über Meilen der See. Langsam sanken die Teile, drehten sich im Wasser, reflektierten immer weniger Licht von oben, je tiefer sie sanken. Sie trieben Gegenden ungeheuren Drucks und permanenten Zwielichts entgegen.

Schließlich kam alles, was von der ›Leda‹ übrig blieb, auf einer kargen Ebene in der Nähe des Äquators zu liegen, und bettete sich im Urschlamm unter sechstausend Meter Ozean an.

1.

 

Allein im Pazifik

 

In Friedenszeiten hätte der Absturz des Raumshuttle Leda im Pazifischen Ozean genügend Dramatik geliefert, so dass der größte Teil der Welt bis zum Mittagessen davon gehört hätte. Während der ersten Kriegsmonate im Jahre 1996 erweckte der Zwischenfall nur wenig Aufmerksamkeit, sah man einmal von der Meldung ab, dass ein Under Secretary of State vermisst wurde.

Es ist nicht meine Absicht, hier in Einzelheiten über den Absturz zu berichten. Er ist kein Teil der schrecklichen Geschichte, die ich zu berichten habe. Es genügt wohl zu sagen, dass mein Secretary und ich die einzigen Passagiere waren, und dass die Mannschaft aus zwei Personen bestand, James Fan Toy und José Galveston. Das Shuttle stürzte in der Nähe des Äquators in den Pazifik, um es genau zu sagen, auf 2° südlicher Breite und 178° östlicher Länge. Mein Minister wurde beim Aufprall getötet; er sprang in einem Augenblick der Panik auf, kurz bevor wir auf die Wellen aufprallten, und brach sich das Genick.

Die Maschine schwamm lange genug, so dass Fan Toy, Galveston und ich herausklettern und in ein aufblasbares Schlauchboot springen konnten.

Dem Ertrinken zu entgehen, war eine Sache, dem Ozean zu entkommen, eine andere. Der Krieg spielte sich weit von uns entfernt im Norden ab, und wir befanden uns in einem wenig frequentierten Bereich des Ozeans. Wir sahen keine Flugzeuge, keine Schiffe, kein Land. Ein Tag folgte dem anderen, und die furchtbare Macht der Sonne machte sich beständig bemerkbar. Wir hatten nur wenig Schutz vor ihren Strahlen und noch weniger Wasser, das wir auf einen Mundvoll zweimal täglich rationiert hatten. Und je mehr von unseren Lebensenergien weggebrannt wurde, desto mehr gewöhnten wir uns an, uns unter ein aufblasbares Plastikdach zu legen, und nicht mehr zu paddeln, ja nicht einmal mehr den ewig gleichen Horizont, der uns umgab, zu überwachen.

Am achten Tag, frühmorgens, ehe die Sonne hoch genug aufgestiegen war, um uns zu rösten, stieß Fan Toy einen Schrei aus und wies auf etwas, das in den Wellen trieb. Wir standen da und starrten es an und lehnten uns gegeneinander, um uns zu stützen.

Wie lebhaft ich mich doch an jenen Augenblick erinnere und an den Gestank unserer Körper und das Gummigewebe, aus dem unser Boot bestand, an die unablässige Bewegung der Wellen und die weite Wasserfläche! Im Wasser war ein Delfin, der sich uns langsam näherte.

»Er bringt Hilfe«, sagte Fan Toy. Wir hatten einen Radioruf um Hilfe ausgeschickt, als die Leda wieder in die Erdatmosphäre eintrat. Möglicherweise war dies ein Delfin der Marine, der uns zu einem in der Nähe patrouillierenden Unterseeboot lotsen würde – diese Hoffnung zumindest löste sein Anblick in uns aus.

»Ich wäre nicht zu sicher, dass er auf unserer Seite ist«, sagte Galveston.

Wir tauchten die Hände ins Wasser und bespritzten uns die blasigen Gesichter und Augenhöhlen, um deutlicher sehen zu können.

»Ja, er ist einer von den unseren«, stellte Fan Toy fest. »Da, das Sternenbanner an seinem Schwanz.«

Ich hatte die Augen zusammengekniffen und konnte das Hoheitszeichen erkennen.

»Er bewegt sich ganz langsam. Vielleicht ist er verletzt«, sagte ich.

Es herrschte nur ganz leichte Dünung, aber der Delfin schien Mühe zu haben, seine Richtung einzuhalten, und wurde hin- und hergeworfen.

Galveston holte ein Paddel heraus. »Mir gefällt das Vieh gar nicht. Weg da!« Er schlug nach dem Delfin, als der in Reichweite kam.

»Sei doch kein Narr«, schrie Fan Toy und versuchte, Galveston das Paddel aus der Hand zu schlagen. Die zwei Männer rangen schwächlich miteinander.

Meine Aufmerksamkeit wurde einen Augenblick lang von etwas anderem angezogen. Eine Schule fliegender Fische – erst die zweite, die wir gesehen hatten, seit wir das Rettungsboot bestiegen hatten – zog hinter uns vorbei und wühlte die Wellen auf. Einer von ihnen, der etwas von den anderen abgekommen war, landete hinter uns im Schlauchboot.

Das war Nahrung. Während ich mich bückte, um den Fisch zu packen, fiel mein Blick auf etwas am Horizont. Ich konnte nicht sagen, was es war – möglicherweise der Mast eines Schiffes, der in der Sonne glitzerte. Ich bückte mich, um den sich windenden Fisch festzuhalten.

Gut, dass ich das tat. In dem Augenblick kam die Explosion. Sie traf mich wie eine Mauer und warf mich in die See. Ich tauchte auf, halb betäubt, und würgend. Das Wasser rings um mich kochte. Das Schlauchboot war verschwunden. Ebenso Fan Toy und Galveston. Ich rief ihre Namen. Rings um mich schwammen Fleischfetzen und Stücke von Gliedmaßen im Wasser, und an ihnen hingen rote Fäden, die sich zwischen den Wellen verteilten. Sie waren buchstäblich in Stücke gerissen worden, ebenso wie der Delfin und das Schlauchboot. Der einzige Gegenstand, der noch schwamm und glücklicherweise intakt war, war das aufblasbare Sonnendach. Ich brachte es irgendwie zuwege, hinaufzuklettern, das Wasser mit den Händen auszuschöpfen und damit eine Art von Stabilität zu erzielen. Ich schaffte es auch, einen Paddel zu bergen.

Dann lag ich, wo ich war, benommen, während langsam mein Gehör zurückkehrte: aber nicht meine Gefährten.

Ich war wieder gerettet worden, aus welchem Grund auch immer. Triumphierend sagte ich mir – ich flüsterte die Worte sogar laut mit aufgesprungenen Lippen –, dass meine Liebe zu Gott und Vaterland mich sicher durch alle Gefahren zum Sieg tragen würde. Ich hatte keine Zweifel, dass die Leda von subversiven Elementen im Mondstützpunkt sabotiert worden war, und dass diese Sabotage mir gegolten hatte. Und dennoch hatte ich überlebt. Und würde fortfahren zu überleben.

Vielleicht waren Fan Toy und Galveston in den Verrat verwickelt gewesen, denn in einem globalen Krieg kann man niemandem vertrauen. Sie waren vernichtet worden. Ich lebte.

Jetzt verfügte ich über ein improvisiertes Boot. Zuerst war ich zu benommen, um paddeln zu können. Aber dann erfasste eine leichte Brise das Sonnendach und trug mich dahin und vergrößerte langsam die Distanz zwischen mir und dem Blutbad. Und das war ganz gut … zwei Haie begannen, die Stelle zu umkreisen. Dann kam ein dritter, und dann noch einer. Bald beobachtete ich viele dreieckige Flossen, die mit hoher Geschwindigkeit die blutige Stelle umkreisten. Ich hatte nur wenig Zweifel an dem, was geschehen war. Der Delfin war von der Marine ausgebildet worden. Er musste sich auf einer Selbstmordmission befunden haben, mit Explosivladung ausgestattet, vielleicht sogar einer Nuklearladung, und für irgendein bestimmtes Ziel programmiert. Die feindlichen Verteidigungseinrichtungen hatten ihn verwundet. Halb von Sinnen war er weitergeschwommen, wer weiß, wie weit. Als er dann unser Floß sah, hatte er Kurs auf uns genommen, wahrscheinlich, um Hilfe zu holen. Galveston schlug mit seinem Paddel nach ihm, worauf die Explosivladung detoniert war.

Die Art und Weise, wie wir den Delfin alleine schwimmend angetroffen hatten, bestätigte diese Theorie. Ein gewöhnlicher Delfin holt sich, wenn er verwundet ist, Hilfe von seinesgleichen, die ihn Hunderte von Meilen begleiten würden, wenn es nötig sein würde, bis an irgendeinen sicheren Ort, wo er sich erholen kann. Unser Freund mit seiner tödlichen Ladung hatte bis zum letzten Augenblick alleine reisen müssen.

In dem primitiven Dachhimmel-Boot zu stehen, war unmöglich. Ich schaffte es gerade noch, mich aufzusetzen und um mich zu blicken und den Horizont erneut nach jenem glitzernden Ding abzusuchen. Aber es war nirgends zu sehen.

Meine Kräfte begannen, mich zu verlassen, und die Hoffnung schwand. Die Sonne wurde kräftiger, und ich fand einen Plastikeimer und stülpte ihn mir als Schutz über den Kopf. Dann kauerte ich mich nieder so gut ich konnte, unfähig zu paddeln, da es kein Ziel gab, wohin ich hätte paddeln können.

Sekunden, Minuten, Stunden verstrichen, ehe ich wieder aufblickte. Wer kennt die wirren Gedanken, die durch mein Bewusstsein kreisten?

Als ich schließlich aus meinen Träumen erwachte und mich umsah, war eine Insel in Sicht.

Wie schön sie aussah, wie herrlich positiver, geschaffener als das armselige Element, das rings um mich wogte! In meiner Erregung stand ich auf und brachte mein Boot sofort zum Kentern. Als ich es wieder unter Kontrolle hatte, drehte ich mich um, begierig zu sehen, was ich sehen konnte. Auf diese Distanz schien mir das Land wie ein großer oben abgeflachter Felsen. Und auf dieser glatten Fläche hatte man irgendeine Anlage errichtet. Dies war es, was ich gesehen hatte, als ich mich bückte, um den fliegenden Fisch aufzuheben. Obwohl ein solches Zeichen menschlichen Unternehmungsgeistes mich mit Hoffnung erfüllte, war ich von Anfang an reserviert; die Welt war so voll von automatisierten Maschinen verschiedener Art, angefangen bei Raketenwarnsystemen bis hin zu Navigationshilfen.

Der Anblick einer Anlage war daher noch keinerlei Beweis, dass in der Nähe Menschen sein würden. Und doch war selbst eine verlassene Insel hundertmal willkommener als die offene See. Unter einem Palmenbaum zu sterben, schien mir plötzlich der Himmel.

Die Insel war noch fern, die Strömung trug mich auf sie zu, und so war ich es auf eine Weile zufrieden, mich erschöpft zurückzulehnen und mich treiben zu lassen. Wieder wanderten meine Gedanken halb im Delirium. Ich geriet in komplizierte Situationen mit Leuten, die ich nicht kannte, aber zu erkennen glaubte.

Als ich mich aus meiner Lethargie riss, stand die Sonne tief im Westen und hatte sich mit herrlichen Wolkenschichten umgeben, die ihren Untergang feierten. Die Insel war jetzt beträchtlich nähergerückt. Ich konnte graue Klippenwände ausmachen. Die Anlage war im Lichte des späten Nachmittags verschwunden.

Mein Trinkwasser war völlig aufgebraucht. So erschöpft ich auch war, ich packte das Paddel und versuchte, mein zerbrechliches Fahrzeug zur Insel zu lenken. Mich erfüllte nämlich Furcht, die Meeresströmungen könnten mich in den Stunden der Finsternis an der Zuflucht vorbeitreiben, und sie könnte am Morgen weit achtern liegen. Dann würde ich bestimmt sterben. Jetzt war meine Chance – oder nie wieder.

Ich paddelte immer noch, als die Nacht sich senkte. Es war herrlich und schrecklich zugleich, den schnellen Wechsel der Welt vom Tage zur Nacht mit anzusehen; selbst in meinem ausgepumpten Zustand wurde ich davon bewegt und schickte ein Gebet zu Gott.

Die Brise, die mich vorher westwärts getrieben hatte, machte am Abend kehrt. Mein Boot war fast zum Stillstand gekommen. Ich mühte mich in der Dunkelheit, so lange ich konnte, und brach schließlich in meinem Boot zusammen, wo ich unruhig, halb vom Delirium erfasst, schlief.

 

Ich erwachte vor der Morgendämmerung, an allen Gliedern frierend, überzeugt, dass ich sterben würde. Wie ein zerbrochenes Bündel lag ich da, hielt mein Paddel an mich gepresst, hatte den Mund offen und ausgedörrt, während die Erde diesen Teil der Welt wieder zum Lichte erweckte.

Ich schlug die Augen auf und hob den Kopf. Ganz nahe türmten sich hohe Klippen, vom frühen Sonnenlicht beleuchtet. Sie stiegen steil aus den Wellen, ohne dass irgendwo ein Ufer gewesen wäre. Hoch über der Wasserlinie wuchsen Büsche und krönten die Klippen. Vögel kreisten über ihnen. Ich starrte die Vögel verwundert an. Mein Sonnendach schob sich wieder langsam westwärts, höchstens dreihundert Meter von den Klippen entfernt.

Besonders eine Einzelheit fiel mir auf. In die Klippen gehauen, an einer Stelle, die mir völlig unzugänglich erschien, war ein gigantischer Buchstabe zu erkennen. Der Buchstabe beherrschte mich. Ich starrte ihn an, versuchte, ihm einen Sinn abzugewinnen, aber meiner benommenen Vorstellungskraft schien er völlig unabhängig von irgendeiner Bedeutung, so als existierte er nur für sich selbst. Allein schon seine Form deutete auf massive, zweibeinige Unabhängigkeit. Es war ein riesiger Buchstabe M.

Die Klippen blendeten mich mit reflektiertem Licht, aber das M war schwarz. Wer auch immer es aus dem Felsgestein geschlagen hatte, hatte sichergestellt, dass es auch aus der Ferne sichtbar war, indem er seine Tiefen mit Teer oder mit einer anderen schwarzen, pechähnlichen Substanz gefüllt hatte.

Gedanken von unbestimmt religiöser Natur erfüllten meinen Geist. Ich hörte meine eigene Stimme mit brüchigen Lippen sagen ›Am Anfang war der Buchstabe‹. Ich lachte schwach. Dann sank ich wieder ins Boot zurück.

Als ich mich schließlich dazu brachte, wieder hinzusehen, stand das M etwas hinter mir, eine doppelte schwarze Säule. Die näheren Klippen waren weniger steil und lagen im Schatten. Jetzt waren mehr Bäume zu sehen. Ich bildete mir sogar ein, ich hätte zwischen den Bäumen ein Gebäude gesehen, aber dann sank mir der Kopf wieder herunter. In mir erhob sich der Drang, etwas zu tun, und ich quälte mich wieder in die Höhe. Ich bespritzte mir Kopf und Nacken mit Meerwasser, obwohl mir das Salz die Lippen verbrannte.

Das Boot trieb jetzt an einer nach Südwesten weisenden Klippenwand entlang, die höchstens zweihundert Meter entfernt lag. Unter gewöhnlichen Umständen hätte es mir nichts ausgemacht, an Land zu schwimmen. Aber jetzt war alles, wozu ich imstande war, dass ich die Hände um den Mund legte und um Hilfe rief; aber im Wettbewerb mit meinem Ruf tönte das Geräusch der Brandung, die gegen die Felsen ankämpfte, und mein Hals war von der Trockenheit ausgedörrt.

Ich konnte sehen, dass ich in weniger als einer Stunde das Ende der Insel erreichen und dann wieder ins offene Meer hinausgetragen würde. Die Klippen waren jetzt weniger mächtig. Es würde möglich sein, an der westlichsten Spitze an Land zu klettern. Ich würde mich dort ins Wasser werfen und auf Gott und die Reste meiner Kräfte vertrauen müssen, dass ich das Ufer erreichte.

Während ich mich auf diesen letzten Akt vorbereitete, entdeckte ich, dass ich beobachtet wurde. Drei oder vier Eingeborene standen unter hohen Bäumen zwischen den Büschen und blickten zu mir herüber. Auf diese Distanz konnte ich nicht klar sehen, und doch war da etwas an ihnen – waren es nun ihre Gesichter oder ihre Haltung –, das mir den Eindruck besonderer Bestialität vermittelte. Fast unbeweglich standen sie da und starrten über die Wellen zu mir herüber; dann waren sie verschwunden; die Büsche bewegten sich noch einen Augenblick lang und standen dann wieder still.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Ende der Insel zu, von dem jetzt zu erkennen war, dass von ihm ein kleiner Vorsprung ausging, so dass ein schmaler Kanal zwischen Ufer und Landzunge freiblieb. Die Frage schien mir zu sein, ob die Strömung, die mich bewegte, mich von der Insel weg oder um ihre Spitze herum tragen würde, zwischen Insel und Landzunge; wenn letzteres der Fall war, sollte es nicht schwierig sein, an Land zu gehen.

Während ich noch über diese Frage nachgrübelte, schoss ein schweres Fahrzeug mit donnernder Maschine hinter der Insel hervor. Eine weiße Bugwelle auftürmend, beschrieb es einen Bogen und kam auf mich zu.

Zwei Männer befanden sich in dem Boot. Ich konnte nur den Mann am Steuer klar erkennen. Sein Gesicht war schwarz, und wieder, ebenso wie bei den Beobachtern auf der Klippe, empfing ich den Eindruck von Brutalität.

Das Boot, das er lenkte, war schmutzigbraun gestrichen. Als es auf mich zustrebte und schwerfällig einen Bogen beschrieb, überflutete seine Bugwelle mein primitives Boot. Ich fand mich im Wasser, mit den Wellen kämpfend. Halb ertrunken hörte ich die Flüche der Männer im Boot. Dann packten sie meine Handgelenke und meine Schultern, und ich wurde ziemlich unsanft in das Landungsboot gehievt, wie einer es nannte.

Als sie mich an Deck gelegt hatten, setzte das Boot sich wieder in Bewegung, wobei es heftig schwankte. Man ließ mich auf Deck liegen, wie einen gerade aus dem Wasser gezogenen Thunfisch, und ich hustete und spuckte Seewasser.

 

Als ich mich etwas erholt hatte, richtete ich mich in sitzende Haltung auf. Das furchterregendste Gesicht, das ich je in meinem Leben gesehen hatte, blickte auf mich herunter. Aus der Nähe betrachtet war die Brutalität, die das Gesicht erfüllte, überwältigend, und einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, ich befände mich wieder im Delirium.

Unter einem weichen Lederhut war keine Stirn zu sehen, nur ein aufgedunsenes, breites Gesicht, das mit Stoppeln bedeckt war. Der Kiefer sprang vor, hatte aber kein Kinn. Der breite Mund war so groß, dass er fast in dem absurden Hut verschwand, und die fleischigen Lippen kaum fleischig genug, um die riesigen Schneidezähne im Unterkiefer zu verbergen. Über diesem schrecklichen Mund sprang eine schnauzenähnliche Nase vor, die wie die einer Hyäne verzogen war, und darüber zwei fast lidlose Augen. Diese Augen musterten mich jetzt – fixierten mich mit stumpfem, rotem Glanz.

Ich fuhr erschreckt zurück. Trotzdem konnte ich nicht anders, als die Augen anzustarren.

Das Monstrum sah mich mit einem höchst seltsamen Ausdruck an, gleichzeitig aggressiv und vor mir zurückschreckend, als wäre es im Begriffe, sich entweder auf mich zu werfen oder mir aus dem Wege zu springen.

Nur einen Augenblick lang starrten wir einander so an. Nur einen Augenblick lang war zwischen uns jene seltsame Mehrdeutigkeit des Blickes. Dann bekam der seltsame schwarze Mann von seinem Begleiter einen Schlag auf den Rücken, und er brüllte: »Zurück ans Steuer, George! Keinen deiner Tricks!«

Der schwarze George huschte eifrig an seinen Platz zurück, ohne jede Würde. Er war ein massiver, vierschrötiger Bursche mit riesigen Schultern, aber kurzen Beinen. Ein grauer Overall bedeckte ihn von den Schultern bis zu den Knöcheln.

Als ich meine Aufmerksamkeit dem anderen Mann zuwandte, war mein erster Eindruck kaum erfreulicher. Da war ich an einen schönen Ort gelangt!, dachte ich. Dieses Exemplar war zwar erkennbar kaukasischer Herkunft und ohne sichtbare Deformationen. Aber auch er war ein irgendwie brutal wirkender Hüne. Sein Gesicht war aufgedunsen und von fahler Farbe und trug einen mürrischen, unfreundlichen Ausdruck. Seine Augen schienen von derselben fahlen Farbe wie seine Haut; sie blickten jetzt gerade in die meinen, nur einen Augenblick lang, dann wandten sie sich ab, und zwar auf so verstohlene Art, dass ich ebenso beunruhigt war, wie von Georges wildem Blick. Er wich stets einem direkten Augenkontakt aus.

Obwohl alles an ihm völlig unerfreulich schien – abgesehen von der Kardinaltatsache, dass er mich aus dem Meer gerettet hatte –, gewann ich den Eindruck, dass er ein intelligenter, ja sogar empfindsamer Mann war, der sich bemühte, irgendein schreckliches Wissen, das er barg, zu vergraben, und dass diese Mühe ihn brutal gemacht hatte.

Sein Haar war von fahlem Gelb und ungepflegt, und er hatte einen struppigen, gelblich-braunen Bart. Er trug eine Maschinenpistole, die über seiner Schulter hing, während er in der linken Hand eine Flasche hielt.

Als er sah, dass ich ihn beobachtete, hielt er mir die Flasche hin, ohne mich dabei anzusehen, und sagte leicht spöttisch: »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink gebrauchen, Held!«

Ich antwortete: »Ich brauche Wasser.«

Meine Stimme war nur ein Krächzen. Die seine war kehlig, und er hatte einen seltsamen Akzent. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass Englisch nicht seine Muttersprache war.

»Palmenwein für den Morgen. Frische Ernte. Tut Ihnen gut!«

»Ich brauche Wasser.«

»Wie Sie meinen? Sie müssen warten, bis wir an Land sind.«

George lenkte jetzt das Boot zwischen die Insel und die Landzunge, seltsam wild über das Steuer gebeugt. Dahinter konnte ich einen Streifen Strand sehen. Der Blonde schrie George an, er solle gefälligst vorsichtig sein.

»Wie heißt dieser Ort?«, fragte ich.

Wieder musterte mich sein Blick, hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Verachtung. Seine Augen tasteten mich ab.

»Willkommen auf Moreau Island, Held«, sagte er. Er nahm einen Schluck aus seiner Flasche.

2.

 

Ich bekomme Gesellschaft

 

Das Landungsboot bog in eine schmale Meerenge, rechts die Insel, Felsgestein zur Linken. Die freie See vor uns ließ erkennen, dass die Insel, obwohl mehrere Kilometer lang, wesentlich weniger breit war, zumindest an diesem westlichen Ende. Der Strand war ein schmaler Sandstreifen, eingegrenzt von Felsen und Steinen, und teilweise mit Buschwerk bewachsen. George schwang uns zu diesem Streifen, duckte sich ans Steuer und erwartete Instruktionen, während er mich misstrauisch musterte.

»Sind Sie kräftig genug um zu gehen?«, fragte mich der Blonde.

»Ich kann es versuchen«, antwortete ich.

»Sie werden's versuchen müssen, Held. Hier ist Endstation! Gibt hier keine Ambulanz. Ich muss mich um die Fischnetze kümmern, und das ist schon genug Arbeit. George wird Sie ins Hauptquartier mitnehmen. Kapiert?«

Ich warf unwillkürlich einen argwöhnischen Blick auf George.

»Der tut Ihnen nicht weh«, sagte der Blonde. »Wenn Sie durch die Minenfelder sind, sind Sie vor George sicher.«

»Was ist das für ein Ort? Sind hier andere – weiße Männer? Ich kenne nicht einmal Ihren Namen.«

Der Blonde blickte aufs Deck und rieb die schmutzigen Turnschuhe aneinander.

»Sie sind hier nicht willkommen, Held, damit sollten Sie sich besser abfinden. Moreau Island ist nicht gerade auf Touristen eingestellt. Aber vielleicht können wir Sie gebrauchen.«

»Ich habe anderswo zu tun«, erwiderte ich scharf. »Im Augenblick suchen mich bestimmt eine Menge Leute. Das ASASC-Shuttle, in dem ich war, ist im Pazifik abgestürzt. Mein Name ist Calvert Madie Roberts, und ich bekleide einen wichtigen Posten in der Regierung. Wie ist Ihr Name? Das haben Sie mir immer noch nicht gesagt.«

»Geht Sie ja wohl nichts an, oder? Mein Name ist Hans Maastricht, und ich schäme mich meines Namens nicht. Jetzt gehen Sie an Land. Ich habe Arbeit, sonst kriege ich Ärger.«

Er wandte sich an George und schlug dabei mit der rechten Hand an die Maschinenpistole, die ihm über der Schulter hing, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Du schaffst diesen Mann ins Hauptquartier, kapiert? Geh mit ihm zum Meister. Unterwegs nicht anhalten, keinen Ärger machen. Okay? Andere Leute auch keinen Ärger machen, kapiert?«

George sah zuerst ihn, dann mich an, und dann wanderte sein Blick wieder zu dem anderen Mann. Sein Kopf wackelte dabei verwirrt.

»Spricht er Englisch?«, fragte ich.

»Das kapiert er am besten«, antwortete Maastricht und schlug noch einmal gegen seine Maschinenpistole: »Fix, George. Hilf diesem Mann zum Hauptquartier. Ich komm nach, wenn ich die Fischnetze überprüft habe.«

»Kapiert«, sagte George. »Mach schnell. Hilf diesem Mann, dann komm zurück, wenn ich Netze prüfen.«

»Du schaffst ihn unversehrt zum Hauptquartier«, sagte Maastricht und schlug ihm auf die Schultern.

Der ungeschlachte Bursche sprang in das seichte Wasser und streckte die Hand aus, um mir zu helfen. Ich sage Hand – dabei war es ein schwarzes, ledernes, verformtes Ding das er mir entgegenstreckte. Ich hatte keine andere Wahl, als sie zu ergreifen. Ich musste hinunterspringen und fiel ihm praktisch in die Arme, lehnte mich einen Augenblick lang gegen seine tonnenförmige Brust. Wieder spürte ich in ihm denselben Ekel, der sich auch in mir regte. Er machte einen Satz nach rückwärts, so dass ich das Gleichgewicht verlor und im seichten Wasser auf die Hände und Knie fiel.

»Sortiert euch auseinander!«, schrie Maastricht lachend. Er riss die Maschinenpistole hoch und feuerte einen Schuss in die Luft ab, vermutlich als Warnung, und lenkte dann das Landeboot auf eine Stelle zu, wo die Fahrrinne sich ausweitete.

George blickte ihm nach und wandte sich dann fast furchtsam zu mir um. Sein Blick suchte meine Augen, und da er fast keinen Hals hatte, musste er die Schultern dabei etwas anziehen, als wäre er kurzsichtig. Gleichzeitig streckte er mir seine verstümmelte Hand entgegen. Ich kniete immer noch im Wasser. An der Geste des Burschen war fast etwas Mitleiderregendes. Ich nahm seinen Arm und zog mich in die Höhe.

»Danke, George.«

»Ich George. Du nicht George?«

»Mein Name ist Calvert Roberts – ich bin über deine Hilfe froh.«

»Du haben Vier Glieder Lang. Du froh deiner Hilfe.« Er griff sich mit der Pranke an den Schädel, als gäbe er sich Mühe, mit Begriffen fertig zu werden, die seine Fähigkeiten überstiegen. »Du froh ich helfen. Froh George helfen.«

»Ja, ich bin noch etwas wackelig.«

Er deutete auf das offene Meer hinaus. »Du – in Wasser finden, ja?«

Es war, als versuchte er, etwas zu visualisieren, das vor langer Zeit geschehen war.

»Wo geht's zu deinem Hauptquartier, George?«

»Hauptquartier, ja, wir gehen, kein Problem. Nicht anhalten unterwegs. Keinen Ärger machen.« Seine Stimme klang seltsam gequält.

Wir standen am steinigen Strand, vor uns eine Gruppe Palmen und Büsche, und eine Komödie fehlgeleiteter Absichten entwickelte sich – es hätte eine Komödie sein können, wenn ich die Kraft gehabt hätte, etwas Komisches an der Situation zu finden. George wusste nicht, ob er hinter mir oder vor mir oder neben mir gehen sollte. Seine schlurfenden Bewegungen ließen erkennen, dass er zögerte, eine der Alternativen zu ergreifen.

Die oberflächliche Freundlichkeit unseres Gesprächs (wenn man es dieses Begriffs würdig finden will), beruhigte die Angst, die ich vor George empfand, in keiner Weise. Er war monströs, und seine physische Nähe wirkte auf mich abstoßend. Irgendetwas an seiner Haltung flößte Misstrauen ein. Die schakalartige Grimasse in seinem Gesicht schien die ganze Zeit in Widerstreit mit einem wilden Element seines Wesens zu liegen, so dass ich dauernd zweifelte, ob er jetzt kehrt machen und davonrennen oder mich angreifen würde. Ein nervöses Schlurfen in seinem Schritt sorgte dafür, dass diese Zweifel nie in den Hintergrund traten.

»Geh du voraus, ich komme nach, George.«

Ich dachte schon, er wäre im Begriff, in die Büsche zu rennen. Ich versuchte es noch einmal.

»Also gut. Ich geh voraus, und du kannst mir folgen.«

Ich dachte, er wollte mich angreifen.

»Du mich nicht treiben?«

»Ich will zum Hauptquartier George. Ich muss Wasser haben. Da ist doch keine Gefahr, oder?«

Er schüttelte den großen Schädel hin und her und sagte: »Gefahr, ja. Nein. Unterwegs nicht Halt machen. Keinen Ärger machen. Geh mit ihm zum Meister.«

Ich begann zu gehen. Er huschte sofort vor und blieb genau einen Schritt hinter mir, und seine kleinen Schweinsaugen funkelten mich jedes Mal an, wenn ich den Kopf wandte. Wenn ich nicht so erschöpft gewesen wäre, wäre ich vielleicht noch ängstlicher oder amüsierter gewesen als ich das war.

In meinem Zustand und in seiner Gesellschaft war mir nicht gerade danach, die Szenerie zu bewundern. Doch einen Eindruck vermittelte sie mir, einen Eindruck, der zugleich schrecklich und stumm war. Unter meinen Füßen war jenes zerbrochene Grenzterritorium, das den Unterschied zwischen Ozean und Land markiert, selbst auf einem so armseligen Landstreifen wie diesem. Genau vor uns waren ausgebleichte Felsen und das satte Grün von Palmen und Dornbüschen. Der Ozean bot sein ruhiges, rastloses Bild, und über uns hing stumm und wartend das Blattwerk und wirkte alles andere als einladend.

Das Unterholz reichte fast bis ans Wasser. Ich sah einen Pfad zwischen den Bäumen und ging darauf zu.

George hatte inzwischen offenbar sein Urteil über mich gebildet, denn er sagte: »Er hat Vier Glieder Lang. Du haben Vier Glieder Lang.«

»So ist das mit den Menschen eben«, erwiderte ich scharf. George sagte, oder besser gesagt, sang: »Vier Glieder Lang – falscher Gesang!«

»Woher hat du denn die Idee?«, fragte ich. Aber ich blieb nicht stehen und wartete auf seine Antwort. Ich schritt auf den schmalen Pfad zu, und er sprang los, um mir auf dem Absatz zu folgen, einen Schritt hinter mir. Es war eine Erleichterung, wieder zwischen Bäumen zu sein, im Schatten. Nach all den Tagen im Boot war mein Schritt unsicher, obwohl ich spürte, wie meine Kräfte langsam zurückkamen. Viele Dinge beschäftigten mich, nicht zuletzt meine Schwäche und die kontrastierende Stärke des schwachsinnigen Tölpels hinter mir. Und dann beschäftigte mich auch das, was Maastricht – den ich für einen Niederländer hielt, sowohl wegen seines Namens als auch seines Akzents – gesagt hatte: ›Willkommen auf Moreau Island.‹ Der Name sagte mir etwas, aber ich wusste noch nicht was. Moreau Island? Gab es irgendeinen Skandal, der damit in Verbindung stand?

Trotz dieser Gedanken achtete ich darauf, meine Umgebung nicht aus dem Auge zu lassen, denn in Maastrichts Warnung, die dieser George auferlegt hatte, war etwas Drohendes gewesen. Wer oder was würde sich uns denn in den Weg stellen?

Dieser Streifen der Insel hatte wenig anzubieten, sah man einmal von der Tatsache ab, dass es festes Land war im Gegensatz zum Meer. Die Felsen zu unserer Rechten, zu einer früheren Zeit vom Wasser geformt, beherbergten viele hin- und herhuschende Geschöpfe, wenn auch wahrscheinlich nichts Exotischeres als Vögel und Echsen. Rings um uns wuchs Bambus, schoss aus Höhlungen im Felsgestein und aus dem Boden, der mit Steinen und großen Muscheln übersät war. Der Bambus wucherte dicht genug, um uns den Weg zu versperren, wenn auch dünn genug, dass uns ein Muster aus Licht und Schatten umgab. Gelegentlich konnten wir durch ein Netz aus Blättern einen Blick auf die See zur Linken werfen.

Einmal wäre ich fast über eine der großen Muscheln gestolpert. Ich stieß sie zur Seite und stellte fest, dass es sich gar nicht um eine Muschel, sondern das weiß gebleichte Gehäuse einer Schildkröte handelte. Wir schienen fast durch einen Schildkrötenfriedhof zu gehen, so dicht häuften sich die Gehäuse; doch nirgends war die Spur eines lebenden Exemplars zu sehen.

Zu beiden Seiten lagen Felsbrocken, manche von ihnen so groß wie wir. Dann mussten wir uns den Weg zwischen ihnen bahnen, und George kam meinem Hals unangenehm nahe. Zwei dieser großen Felsbrocken bildeten buchstäblich einen Torbogen, und dahinter kauerten mehr von Georges unappetitlichen Artgenossen.

Ich sah sie vor uns im Dickicht und blieb unwillkürlich stehen.

Ich drehte mich zu George herum und sagte: »Warum verstecken sie sich? Was ist mit denen los?«

Mit einem listigen Blick, der gleichzeitig verstohlen und drohend wirkte, sagte George: »Vier Glieder Lang – falscher Gesang … Vier Glieder Kurz – richtige Geburt!«

Seine Füße begannen einen seltsamen Tanz im Sand. Seine Augen wichen den meinen aus.

Mit ihm Konversation machen zu wollen, hatte keinen Sinn. Jetzt, da seine Artgenossen so nahe waren, wirkte er noch gefährlicher.

»George, du mich geradewegs zu HQ bringen, kapiert? Du nicht anhalten. Du keinen Ärger machen. Du nicht zulassen, dass andere Ärger machen, okay? Du kapieren?«