DRACHENLAND - Die geheimnisvolle Insel 3 - Greig Beck - E-Book

DRACHENLAND - Die geheimnisvolle Insel 3 E-Book

Greig Beck

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Beschreibung

Unterhalb der englischen Stadt Ipswich gräbt sich ein Tunnelbohrteam durch massives Gestein, als es unverhofft auf ein uraltes Höhlensystem voller Tierknochen stößt. Seltsamerweise finden sich dort auch die Überreste von Rittern in Rüstungen, von denen einige zerquetscht waren und deren Knochen und Fleisch geschmolzen zu sein schienen. Und noch etwas wird gefunden: ein riesiger, eiförmiger Rubin, der wie eine untergehende Sonne leuchtet. Etwas mehr als 2000 Meilen entfernt, immer noch gefangen auf der verlorenen Insel Lemuria, wissen Troy und Anne, dass die Zeit der monströsen Wesen zurückgekehrt ist, von denen man lange glaubte, sie existierten nur in unseren Legenden oder lauerten in unseren Albträumen. Aber sie haben jetzt eine Chance zu entkommen, denn sie haben das sagenumwobene U-Boot, die Nautilus, gefunden. Gemeinsam arbeiten Troy, Anne, die geheimnisvolle Elle und die riesige Wikingerin Yrsa daran, sich zu befreien, um die Welt vor dem bevorstehenden Schrecken zu warnen. Greig Becks letzter Roman der wunderbaren Mysterious-Island-Trilogie ist eine Geschichte voller Horror, Nervenkitzel, Verrat und Liebe, die diese großartige Serie mit einem explosiven Finale abschließt, an das man sich noch lange nach dem Umblättern der letzten Seite erinnern wird.

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DRACHENLAND

– Die geheimnisvolle Insel Band 3 –

Greig Beck

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: THE MYSTERIOUS ISLAND III. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2023. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: THE MYSTERIOUS ISLAND III Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-912-3

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

DRACHENLAND
Impressum
Prolog
EPISODE 16
Kapitel 1
Kapitel 2
EPISODE 17
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
EPISODE 18
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
EPISODE 19
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
EPISODE 20
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
EPISODE 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
EPISODE 22
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
EPISODE 23
Epilog
Über den Autor

Drachen sterben nicht. Sie verstecken sich schlicht in unseren Mythen, Legenden und den dunklen Winkeln unseres Verstandes.

 

Die Kreide-Paläogen-Grenze, auch K-P-Grenze genannt, bezeichnet ein plötzliches Massenaussterben von Dreivierteln der Pflanzen– und Tierarten auf der Erde, das vor etwa 66 Millionen Jahren eintrat.

Es markiert den Ausklang der Kreidezeit und gilt als Ende des Reptilienzeitalters und Beginn des Zeitalters der Säugetiere.

Die meisten Paläontologen sind sich einig, dass der Einschlag eines großen Asteroiden oder Kometen eine wichtige Rolle spielte. Doch manche Wissenschaftler weisen auf die Tatsache hin, dass viele der Riesentiere bereits im Verschwinden begriffen waren, weil sie von Super-Räubern bejagt wurden, die keine Tetrapoden (vierbeinige Wirbeltiere) am Leben ließen, die schwerer als fünfundzwanzig Kilo waren. Anschließend, ohne Nahrungsquelle, verschwanden auch sie.

Eine Sache, in der sich jedoch alle Wissenschaftler einig sind, ist, dass wenn diese Gruppe von Super-Raubtieren je wiederkäme, ein sechstes Massenaussterben nicht nur wahrscheinlich, sondern unausweichlich wäre.

Die Suche nach Fossilbeweisen für diese Kreaturen dauert bis zum heutigen Tag an.

 

Prolog

901 n. Chr. – Ipswich, Gemeinde in Suffolk, England

Eine kleine Armee der tapfersten und stärksten Ritter des Landes hatte sich vor dem gewaltigen Höhleneingang versammelt.

Nachdem die Wikinger vor einem halben Jahrhundert bezwungen und aus dem Land vertrieben worden waren, war bald bekannt geworden, dass sie eine monströse Kreatur zurückgelassen hatten, die als ihr Fluch über die Heimat der Angelsachsen dienen sollte. Im Laufe der Jahre war das Monster größer als ein Ochsenpaar geworden und machte Jagd auf die Stadtbewohner.

Der Teufel von Ipswich, wie er genannt wurde, mit seinen gelben Schlitzaugen, seinem feurigen Atem, der Stahl und Fleisch gleichermaßen zerschmolz, und seinem riesigen, stachelbewehrten Rücken, verwüstete das Land. Über Generationen hinweg war das Ungeheuer mit Ziegen, Kälbern und körbeweise frischem Fisch besänftigt worden. Doch eines Jahres, während einer Hungersnot, waren die verfügbaren Vorräte erschöpft worden, und die verängstigten Einwohner hatten auf das einzige Fleisch zurückgegriffen, das sie noch hatten – Menschen – und als nächstes Opfer sollte ein junges Mädchen dargebracht werden.

Kunde von dieser schändlichen Tat hatte den angelsächsischen König Eduard den Älteren erreicht, und der hatte Taten gefordert. Der große Krieger Georg von Lydda war von Eduard abberufen und angewiesen worden, den Angriff anzuführen. Sein einziger Auftrag: die Bestie zu töten.

Mit ihm war der Druide Merlin Caledonensis ausgesandt worden, der seine eigene sonderbare Wissenschaft aufzubieten hatte.

Georg ließ sie vor dem riesigen Höhleneingang anhalten. »Absitzen«, sagte er und die Ritter glitten aus ihren Sätteln und stellten sich in Reih und Glied auf.

»Schwerter ziehen«, befahl er, und das Geräusch von Stahl, der aus Scheiden gezogen wurde, bewegte sich die Reihe der Männer in glänzenden Rüstungen entlang und hallte aus der klaffenden Höhle zu ihnen zurück.

Merlin, der unter seiner dicken Kapuze zusah, hob seinen Stab, in dessen Spitze Glut schwelte und der einen roten Schein ausstrahlte, und zeichnete mystische Symbole in die Luft, während die Pagen und Knappen in starrem Schweigen zusahen.

Dann entzündete er mit der Glut in seinem Stab Fackeln, die von den Knappen gehalten würden. Er drehte sich zu Georg von Lydda um und verbeugte sich kurz, um ihm zu signalisieren, dass sie bereit waren.

Georg wandte sich dem undurchdringlich finsteren Loch zu. »Vorwärts!«, rief er und mit hartem, kaltem Stahl in der Hand, einem unverzagten Herzen und ohne einen zweiten Blick oder Atemzug zu tun, führte er die hundert Mann starke Gruppe in die riesige Höhle.

Sie stiegen in die dunklen, feuchten Tiefen hinab, immer weiter. Irgendwann knirschten Knochen unter den Füßen, und einige waren schlüpfrig, da noch schleimige Fleischreste an ihren Bruchstücken klebten. Andere sahen sonderbar geschmolzen aus und waren weich, sodass sie unter den Stiefeln zerdrückt wurden wie Gänseschmalz.

Merlin konnte den Atem der Bestie bereits riechen und wusste, dass sie in der Nähe war, sie vielleicht sogar beobachtete.

Nach weiteren fünfhundert Metern wurde die Dunkelheit absolut. Die Fackeln schienen die albtraumhafte Finsternis kaum zurückzudrängen, und dann hob Georg eine Hand. Vor ihnen lag ein flacher Stein und darauf metallene Fesseln. Doch was sie festhielten, stellte den stärksten Magen auf die Probe, denn dort lag ein Klumpen geschmolzenen Breis, der in zwei blassen, winzigen Händen und Handgelenken endete, die nach wie vor in den Metallfesseln steckten.

»War das einmal die Maid?«, fragte Georg im Flüsterton.

»Zweifelsohne, Herr Georg«, antwortete Merlin. »Verbrannt vom heißen Atem des Drachens und verflüssigt wie Kerzenwachs.«

Georg machte einen angewiderten Laut in der Kehle und bekreuzigte sich, während er auf die abscheuliche Bescherung hinunterstarrte.

Dann richtete sich Merlin auf, denn er spürte, wie sich die Luft in der Höhle bewegte. »Seid auf der Hut, tapfere Ritter.«

Ein Geräusch ertönte, gewaltig, gleitend, als würden große, beschwerte Platten über kalten Stein geschleift und die Felsen selbst zu Staub zermahlen. Dann dröhnte aus der Schwärze der Höhle ein Gebrüll, das so laut war, dass es die Ohren schmerzte und die Eingeweide zu Gallert werden ließ.

Und dann erschien das Monstrum.

Eine Handvoll der Männer drehte sich um und rannte davon. Doch Georg blieb standhaft.

Nicht nur das: Er griff an.

Der tapfere Ritter führte sie an, und da sein starkes Herz entschlossen war, verlieh er den Männern ringsumher Mut.

Doch bei der ersten Angriffswelle fixierte die Bestie, groß wie drei aufeinander stehende Ochsen, die Männer, die sich auf sie stürzten, mit ihrem gelb-schmalen Blick und öffnete ein gewaltiges, mit Hauern gefülltes Maul. Ein Sturzbach aus Galle schoss heraus und bedeckte ein Dutzend von ihnen.

Die glänzende, kampferprobte Rüstung war dem ätzenden Speichel nicht gewachsen, und dort, wo die Flüssigkeit erstmals einen Weg zwischen Nieten, Platten und Visiere fand, zischte und brannte die Haut und schmolz wie flüssiges Fett in einem Feuer.

Merlin spürte, wie sein Herz pochte, während die Schreie der Männer und das Brüllen der furchtbaren Drachenbestie um ihn herum wie eine Kakophonie der Hölle klangen.

Dann bäumte sich der Drache auf die Hinterbeine auf, ragte so hoch hinauf, dass sein gestachelter, gehörnter Kopf die Höhlendecke über ihnen streifte und Steine herabfallen ließ. Er versprühte seinen schmelzenden Atem über weitere Männer und schlug nach anderen, zertrümmerte ihre Körper mit seinen mächtigen Hieben wie Anmachholz, und bislang hatten die Männer noch keinen einzigen Tropfen seines Blutes vergossen.

Binnen weniger Minuten waren nur noch wenige Ritter übrig, und Georg ergriff eine lange Lanze und stürmte vor. Das war eine kluge Strategie, denn der Bauch der Bestie war nicht so gut von schweren Schuppen geschützt, und die Lanze durchbohrte ihn. Doch das Monster war nicht tödlich verwundet, und ein Hieb mit einer Klaue, die halb so groß war wie Georg, ließ ihn rückwärts durch die Luft fliegen und gegen die Höhlenwand prallen.

»Beschützt Georg!«, rief Merlin und hielt seinen Stab mit der Glut an der Spitze in die Höhe.

In diesem Moment wusste Merlin, dass es für sie alle den Tod bedeuten würde, wenn sie bleiben und weiterkämpfen würden. Doch wenn sie den Drachen hier und jetzt nicht aufhielten, würde er zur Größe eines Berges heranwachsen und über das ganze Land herfallen. Und er hatte noch einen letzten Trick auf Lager.

Er richtete Georg auf und schob sein Visier nach oben. Das Gesicht des Mannes war blutig, aber seine Augen öffneten sich schwach.

»Habe ich ihn erschlagen?«, fragte er benommen.

»Ihr habt ihn erschlagen, mein Herr. Und nun sollten wir seine Gebeine für immer in der Höhle einschließen.« Er hob den Mann hoch und drehte sich leicht um, um zu sehen, wie die letzten der tapferen Ritter ihren vergeblichen Kampf fortsetzten.

Gute Männer, allesamt. Aber an ihr Opfer wird man sich nicht erinnern, dachte er.

Er zog Georg hinaus und setzte den Anführer direkt vor dem Höhleneingang ab. »Ruht Euch hier aus, edler Ritter.«

Georg nickte und lehnte sich zurück, ruhig atmend und mit geschlossenen Augen.

Merlin betrat die Höhle gerade wieder, als die letzten Männer verschlungen wurden, ihre Überreste verflüssigt und aufgesaugt wie eine Fleischbrühe. Der Drache erblickte Merlin, oder vielleicht hatte ihn das rote Leuchten des Stabes angezogen, und er näherte sich ihm. Doch Merlin wich nicht zurück. Stattdessen griff er in seine Tasche und zog eine Urne hervor, aus deren Spitze ein verzwirntes Stück Stoff ragte.

»Heute gibt es kein Fleisch mehr für dich.« Er lächelte. »Nur noch Griechisches Feuer.« Er berührte das Dochttuch mit dem Ende seines Stabes und es entzündete sich. Er warf die Urne und drehte sich um, um wegzulaufen.

Die Urne landete vor dem Drachen und explodierte wie eine Million Donnerschläge. Und das Donnern ging weiter, als die Höhlendecke einstürzte. Ob die mächtige Bestie in Stücke gerissen oder vom Einsturz zermalmt wurde, spielte keine Rolle. Entweder das Tier oder seine Gebeine würden für immer eingeschlossen werden.

Merlin fand Georg dort, wo er ihn zurückgelassen hatte, hob den Ritter hoch und half ihm aus dem langen Höhleneingang hinaus. An der Öffnung stürmten die Knappen und Pagen nach vorne, suchten nach ihren Rittern, doch er hielt sie auf.

Merlin reckte das Kinn zur Gruppe und fixierte sie mit seinem Blick. »Der mächtige Georg von Lydda hat den Drachen erschlagen, ganz allein, während alle anderen ihr Verderben gefunden haben. Das Land ist wieder sicher.« Er hob seinen Stab. »Heil Euch, Georg, Drachentöter.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Doch dann brach Jubel aus.

Merlin nickte. Das Land war nun sicher. Und er wusste, dass es nahe genug an der Wahrheit war und eine schöne Legende abgeben würde, die der Hof tausend Jahre lang immer wieder erzählen konnte. Und überdies wäre es eine Warnung für die Zukunft: Lasst die Drachen nicht zurückkehren.

EPISODE 16

Kapitel 1

Heute – Ipswich, Stadt in Suffolk, England

Der ohrenbetäubende Lärm verwandelte sich in ein wütendes Kreischen.

»Hey, hey, abschalten. Abschalten!« Alistair Drury, der gerade diensthabende Schichtmanager, winkte Tom Barring, dem Bohrerführer, wild mit dem Arm zu, und sofort kam der riesige, kreisende Gesteinsbohrer mit einem Heulen zum Stillstand.

Die Maschine war ein modernes Wunderwerk: Allein das Schneidewerkzeug wog neunzig Tonnen, und der Kopf mit den riesigen Zähnen konnte sich durch solides Gestein jeglicher Geomorphologie fressen. Das Einzige, womit er Probleme hatte, waren Hohlräume.

Als der Schacht in Stille verfiel, nachdem einige restliche Gesteinsbrocken von der Decke und den Wänden gestürzt waren, rückte Drury seinen Schutzhelm zurecht, nahm eine starke Taschenlampe aus der Ausrüstung und schritt vorwärts.

Zu ihm gesellten sich Alex Thornet, der die Gesteinsförderung mittels der Loren überwachte, und außerdem Barring, der aus der Kabine des Bohrers geschlüpft war.

»Ein Hohlraum, verdammt. Ein großes, verdammtes Nichts.« Drury drehte sich um. »Ich dachte, wir hätten die Gegend sondiert.«

»Haben wir auch«, antwortete Thornet und zuckte mit den Schultern. »Ab und zu übersehen wir welche, vor allem wenn die Einschlüsse tief oder wabenförmig sind.«

»Übersehen?«, schimpfte Drury. »Was für ein Glück, dass es nicht voller Wasser war, sonst wären wir jetzt alle scheißtot. Hab ich recht?«

»Was soll ich tun, Boss?«, fragte Barring.

Drury seufzte und fluchte leise. »Nehmen Sie eine Taschenlampe und folgen Sie mir hinein. Wir müssen uns das ansehen, und ich will Ihre Meinung dazu hören, ob wir mit dem Bohrer weitermachen können oder ob wir die ganze verdammte Höhle ausbrennen müssen.«

»Oder drumherum gehen«, fügte Barring hinzu.

»Denken Sie nicht mal daran. Ausbrennen wäre schon schlimm genug«, antwortete Drury bitter.

Drury hoffte, dass sie nicht ausbrennen mussten, denn das bedeutete, dass die Höhle nicht sicher durchbohrt werden konnte und gesprengt werden musste, um loses Material herunterzuholen, bevor sie weitermachen konnten. Es bedeutete außerdem, dass ein riesiger Haufen Beton mehr in die Höhle gegossen werden musste. Die Kosten stiegen, und die Chancen, den Fertigstellungsplan einzuhalten, sanken. Dazu sank auch seine Leistungsprämie, die er dieses Jahr für seinen Urlaub in Spanien eingeplant hatte.

Thornet kam zu ihnen, knipste seine eigene Lampe an und hob einen Arm in Richtung des dunklen Lochs. »Nach Ihnen, werter Herr.«

Einer nach dem anderen traten die drei Männer durch die Öffnung.

Drury schnupperte. »Kein Methan, das ist wenigstens was.«

»Größer, als ich erwartet habe.« Thornet richtete seine Lampe auf die Decke. »Was denken Sie, Tom?«

Tom Barring sah sich um. »Keine wirklichen Steinschläge. Sieht alt aus, stabil. Vielleicht können wir sie nutzen, um uns etwas Zeit beim Graben zu sparen.« Er wandte sich an Drury. »Ein bisschen mehr Beton, aber wir könnten dem Zeitplan sogar zuvorkommen.« Er schaute nach vorne. »Wir sollten nachsehen, wie weit sie reicht.«

»Na schön. Achten Sie auf Ihre Schritte, Männer.« Drury führte sie weiter.

Fünf Minuten später knirschten ihre Stiefel auf etwas wie brüchige Zweige, und als er sein Licht darauf richtete, runzelte Drury die Stirn, ging in die Hocke und hob ein zerbrochenes Hirschgeweih auf.

»Was hat das hier unten zu suchen?« Er schwenkte seinen Lichtstrahl umher und beleuchtete die skelettierten Überreste von hunderten, wenn nicht sogar tausenden Tieren. »Heilige Scheiße.«

»Vielleicht ist das so was wie einer dieser Elefantenfriedhöfe«, sagte Barring. »Sie wissen schon, wo sie zum Sterben hingehen.«

»Nein, das sind alles verschiedene Tierarten.« Thornet entdeckte etwas. »Warten Sie mal.« Er ging zu einer Seite der Höhle und hob einen runden, moosbewachsenen Gegenstand hoch. »Das ist ein menschlicher Schädel. Und er ist verdammt alt.«

»Vielleicht ein Höhlenmensch.« Barring kicherte leicht nervös. »Wie alt ist dieser Ort?« Er ließ den Blick umherschweifen.

Drury drehte sich um. »Sie meinen Ipswich? Das ist eine der ältesten Städte in England. König Johann Ohneland verlieh ihr um 1200 oder so die ersten Stadtrechte.«

»Ipswich ist viel älter«, setzte Thornet nach. »Zur Zeit des Römischen Reiches gab es hier ein großes Kastell. Und dann fielen die Wikinger in der Mitte der 800er-Jahre ein.«

»Kein Scheiß?« Barring grinste.

Thornet nickte. »Nein, es stimmt. Sie haben riesige Mauern drumherum gebaut und das ganze Gebiet für etwa fünfzig, sechzig Jahre beherrscht.«

»Beeindruckend. Sie sollten zu einer Gameshow gehen.« Drury kicherte.

»Ach was, ich hab nur meine Hausaufgaben gemacht, bevor wir mit dem Job angefangen haben.« Thornet hob den Schädel in seiner Hand hoch. »Ach, der arme Yorick. Ich kannte ihn …« Er runzelte die Stirn, als er ihn näher ans Gesicht führte. »Hey, der sieht geschmolzen aus oder so.«

»Für mich sieht das hier nicht wie ein Friedhof aus.« Drury drehte sich im Kreis. »Eher wie ein Schlachtfeld oder eine Tierhöhle. Könnte es eine Bärenhöhle gewesen sein? Oder vielleicht Wölfe?«

»So weit und tief unter der Erde?« Thornet schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich. Und es gibt hier viel zu viele Tierknochen. Es sei denn, sie wurde über Generationen hinweg genutzt.«

»Hey, sehen Sie sich das mal an.« Barring hob etwas auf, das wie einige Eisenstücke und ein wenig verrottetes Holz aussah, das herausgefallen war. »Das ist ein Schild, glaube ich. Oder war es mal.« Er zeigte darauf. »Da sind noch mehr, und ein paar Schwerter, oder was davon übrig ist.«

Drury ging zu ihm hinüber und stieß einige der alten Waffen mit dem Stiefel an.

Thornet blieb, wo er war. »Wollen Sie was Seltsames hören?«

»Nein«, antwortete Drury, der immer noch gegen die alten Waffen trat.

Thornet ignorierte ihn. »Sie haben gefragt, ob es eine Tierhöhle gewesen sein könnte. Ich habe bei meiner Recherche noch etwas anderes herausgefunden. Etwas Eigenartiges. Es ging um eine Kleinigkeit namens Teufel von Ipswich. Der hat die Landschaft in dieser Gegend vor über tausend Jahren heimgesucht.«

»Der was?« Drury drehte sich um.

»Soll so was wie ein Drache gewesen sein. Anscheinend haben die Wikinger ihn als eine Art Falle für die Engländer zurückgelassen, als die die nordischen Horden besiegten. Die Engländer mussten ihn erschlagen, bevor der König sie mit seinem Segen belohnte.«

Drury lachte spöttisch. »Hört sich nach Schwachsinn an.«

Thornet sah sich um. »Manche sagen, die Legende vom Heiligen Georg und dem Drachen stamme daher.«

»Der Schild und die Waffen. Ja. Er hat genau hier gegen ihn gekämpft.« Barring hielt ein zerbrochenes Schwert hoch. »Dann ist das der Ort, an dem er ihn erschlagen hat.«

Thornet sah dem Schädel ins Gesicht. »Oder vielleicht auch nicht.«

Drury senkte seinen Lichtstrahl und reckte den Kopf vor. »Da ist noch was.« Rasch ging er zur Seite der Höhle und schob einige Trümmer mit der Stiefelspitze beiseite. Sein Gesicht wurde in ein sanftes, rotes Licht getaucht.

Die beiden anderen Männer beobachteten ihn gebannt.

Er bückte sich, um die fußballgroße rote Kugel aufzuheben. Sie lag inmitten eines Haufens seltsamer, dunkler Erde, die aussah, als liefen Silberfäden hindurch.

»Und was ist das Ihrer Meinung nach?«

Thornet runzelte die Stirn. »Vielleicht noch ein Geschenk der Wikinger.«

Barring ging darauf zu, als wäre er in Trance. Er legte die Hand an den Kiefer, als hätte er Zahnschmerzen, und blinzelte in die Lichtquelle, als Drury sie hochhielt.

»Das sieht aus wie …« Barring legte vorsichtig eine Hand darauf und zog sie abrupt wieder zurück. Dann bewegte er die Finger. »Es kribbelt.«

Thornet starrte darauf. »Sieht aus wie ein Riesenrubin.«

Drury wischte die seltsam klebrige Erde davon ab. »Es ist unser Riesenrubin. Und ich wette, er ist ein Vermögen wert.« Er hielt ihn grinsend höher. »Ich werde ihn sicher für uns aufbewahren. Und merken Sie sich, Männer: kein Wort darüber.«

Kapitel 2

Norwegen, Lomsdal-Visten-Nationalpark – acht Kilometer von der nordwestlichen Küstenlinie entfernt

Maja Kristiansen und Oskar Gundersen, beide Health-Influencer, folgten auf ihrer Wanderung in die kleinen, zerklüfteten Berge des Nationalparks hinauf einem neuen Pfad.

Vielleicht folgten sie einer Tierspur, oder einem Wasserlauf oder sogar einem natürlichen Pfad, auf dem alle Pflanzen und sogar einige der Felsen zermalmt worden waren, als wäre ein Bulldozer durchgefahren. Und das erst vor kurzem. Aber da nur so wenige Menschen je so hoch in dieses Naturgebiet kamen, war ein von Menschen befahrener Weg unwahrscheinlich, geradezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Das Seltsame war, dass sie seit zwei Tagen kampierten, während sie sich von der Küste bis zu den Gipfeln vorarbeiteten, um ein paar Fotos von der Aussicht über die Gletschertäler für ihre Social-Media-Accounts zu machen, aber bis jetzt noch keine Tiere gesehen hatten. Gar keine. Nicht einmal ein paar Häschen oder Hermeline. Man hatte sie vor Bären, Luchsen und sogar Vielfraßen gewarnt, aber sie hatten nicht einmal die Spuren dieser Tiere gesehen.

Seltsam, dachte Oskar. Es war ja nicht etwa so, dass das Wetter sie eingeschneit hätte. Es war angenehm, kühl bis kalt, aber nicht eisig, und da die Sonne schien, spürte er, wie ihm ein Rinnsal aus Schweiß über den Rücken lief.

Maja blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und drehte sich zu ihm um. Ihr hübsches Gesicht war gerötet, was ihre Augen leuchten ließ, als sie auf ihn herabblickte.

»Komm schon. Wir sind fast da.« Sie grinste, als sie ihn musterte, während Oskar sich zu ihr hochkämpfte. »Muss ich dich tragen?« Ihr Grinsen wurde breiter.

»Würdest du?«, fragte er grinsend zurück, und obwohl er unheimlich gern eine kurze Pause gemacht hätte, würde er das vor der schönen Superfrau, die ihn beobachtete, niemals zugeben.

Sie gingen weiter den Hang hinauf. Ihre Stiefel knirschten auf dem zerkleinerten Kies und den Steinsplittern, die auf dem Weg lagen. Sie zeigte darauf, als er sie einholte.

»Was hat das verursacht?«

Oskar zuckte mit den Schultern. »Vielleicht eine Eisbahn vom letzten Winter. Der war kalt. Das Gewicht des Eises muss alles darunter zermalmt haben.«

»Vielleicht.« Sie nickte, wirkte aber nicht überzeugt.

Sie brauchten weitere zwanzig Minuten, um den Gipfel zu erreichen, und gemeinsam betraten sie eine Felsplattform, von der aus sie ins Tal hinunter und auf das ruhige, grüne Meer hinausblicken konnten. Wenngleich das Wasser nach dem ungemütlichen Aufstieg verlockend aussah, wusste Oskar, dass es bitterkalt war. Aber sie waren wegen der Landschaft gekommen, und hier oben war sie belebend, wunderschön und den beschwerlichen Aufstieg wert.

»Hier. Genau hier«, verkündete sie, »trinken wir Kaffee.«

Sie stellten ihre Klappstühle auf und kochten Wasser auf einem kleinen Butan-Kocher. Maja holte ein paar traditionelle Sandbakelse-Kekse, die wie Rentiere geformt waren, hervor, und sie setzten sich nebeneinander hin und betrachteten die Aussicht.

»Ich könnte ewig hierbleiben«, sagte sie mit einem zufriedenen Seufzen. Dann drehte sie sich um. »Könntest du das?«

»Mit dir? Ja«, antwortete er. »Allein, nein.«

Sie starrte ihn einen Moment lang an, und er spürte, wie sich seine Wangen wegen seines plumpen Flirtversuchs röteten. Aber nach einem weiteren Moment lächelte sie, nickte und wandte sich wieder der Aussicht zu.

Die beiden saßen da und blickten über die von Gletschern geformte Landschaft, die steil zu Flüssen und Fjorden abfiel. Es war jetzt Frühling, aber in den Spalten der Felsplattform, auf der sie saßen, lag noch ein wenig Schnee und Eis, und einige der kleinen Berge hinter ihnen trugen weiße Kronen.

Oskar spürte, wie er nach dem Aufstieg schnell auskühlte und sich die Wärme des Kaffees gleichzeitig in seinem Bauch ausbreitete, um dem entgegenzuwirken. Trotzdem schlug er den Kragen seiner Jacke ein wenig höher.

Maja drehte sich langsam um und neigte den Kopf. Zuerst glaubte er, sie betrachte schlicht mehr von der herrlichen Aussicht, aber dann wandte sie sich ihm mit gerunzelter Stirn zu.

»Spitz mal die Ohren«, sagte sie und drehte sich wieder um.

Er tat es, war sich aber nicht sicher, worauf sie anspielte. »Ich höre gar nichts.«

»Genau«, schnaubte sie. »Da ist nichts. Nicht einmal ein Vogelruf.« Sie drehte sich um und schenkte ihm ein frustriert wirkendes Lächeln. »Wo sind denn alle? Es ist doch Frühling?«

»Ja, schätze schon.« Er nickte langsam, begriff gewissermaßen. Es war ruhig, aber er hatte keine Ahnung, ob das jedes Jahr so war, denn er war noch nie hier gewesen.

Sie hatte sich von ihm abgewandt und drehte sich dann in ihrem Stuhl um, um etwas auf einem der gegenüberliegenden Hügel genauer zu betrachten.

»Dieser Weg. Der, von dem du dachtest, er käme von den Eisbahnen, die den Boden zerdrückt haben.« Sie drehte sich wieder um. »Er führt dort runter und sieht nicht natürlich aus, eher wie ein Pfad.«

Er folgte ihrem Blick und erkannte, dass er sich tatsächlich den Hang hinunterschlängelte und dann in einen Bereich hinein, der womöglich an einer steilen Felswand endete.

»Das sieht wirklich seltsam aus. Das will ich mir anschauen.« Sie drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen um.

Er stöhnte, aber nur innerlich. »Oh, du meinst, wir schauen uns das an?«

Er würde sie bei Laune halten, obwohl er schon müde war. Er hatte ein nettes Abendessen für sie geplant, aber er wettete, dass er während der Vorspeise einschlafen würde.

Sie schüttete den Rest ihres Kaffees weg, stand auf, nahm ihren Stuhl und klappte ihn mit einem Ruck wieder zusammen. »Komm.«

Er seufzte, tat das Gleiche und packte seine Ausrüstung zusammen. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg über den Berg, beschritten vorsichtig den steilen Abhang, während sie dem seltsamen Pfad folgten. Als er nach unten schaute, war er nicht mehr so überzeugt davon, dass er durch Eis entstanden war, denn einige der zerkleinerten Pflanzen sahen aus, als wären sie nur Wochen, wenn nicht sogar nur wenige Tage alt. Offensichtlich war die Pulverisierung noch im Gange, obwohl das Eis und der Schnee längst verschwunden waren.

Nach dreißig Minuten erklommen sie die kleine Anhöhe, die zu einem Gebiet mit umgestürzten Felsblöcken führte, und erkannten, dass die steile Felswand an ihrem Fuß eine große Höhle barg. Das zerkleinerte Material hatte an der Geröllgrenze geendet, aber es hatte offensichtlich auf die dunkle Öffnung zugeführt.

Aus irgendeinem Grund verursachte ihm das eine Gänsehaut. »Wollen wir das wirklich tun. Weil, du weißt schon, Bären?«, fragte er.

»Pfft, wir haben noch nicht mal einen Hasen gesehen.« Maja hatte bereits ihre Taschenlampe gezückt und schaltete sie ein und aus, um sie zu testen. »Und du kannst darauf wetten, dass wir es tun.« Sie grinste. »Das ist so cool.« Sie richtete die Lampe auf sein Gesicht und knipste sie ein paar Mal an und aus. »Du wirst müde, und jetzt wirst du tun, was ich sage. Folge mi-iiiir …« Sie kicherte.

Er lachte leise über ihren dummen Scherz, aber ihre Eigenart fand er noch anziehender. Er streckte die Hände gerade vor sich aus und machte einige Frankenstein-Schritte. »Geh voran … Meister.«

Maja ging geradewegs hinein und er beeilte sich, mit ihr Schritt zu halten.

Er rümpfte die Nase. Die Höhle war unnatürlich groß und innen seltsam warm. Außerdem roch es komisch, schwefelig und ein bisschen wie frische Kotze.

Unter ihren Füßen knirschte es, und Maja blieb stehen und kniete sich hin, um etwas aufzuheben. Sie untersuchte es einen Moment lang, dann hielt sie es hoch.

»Das ist ein Huf. Vielleicht eine Art Reh.« Sie ließ ihn fallen und wischte sich die Hand an der Hose ab.

Oskar sah sich um, verbreiterte seinen Lichtstrahl und entdeckte etwas Größeres. Er ging hin und hob es auf. Kopfschüttelnd zeigte er es ihr. »Das sieht aus wie ein Teil eines Bärenschädels.«

»Da sind die Bären also abgeblieben«, flüsterte sie.

Er schnupperte daran. »Puh, stinkt noch. So alt ist der noch nicht.« Er drehte sich langsam um. »Ich glaube nicht, dass wir hier drin sein sollten.«

Majas Lampe bewegte sich über den Boden der Höhle, und sie entdeckten weitere Knochen. Eine Menge mehr Knochen. Ihr Lichtstrahl blieb auf einem Bestimmten stehen.

»Oh nein«, flüsterte sie.

Es war ein menschlicher Schädel. Und er war noch frisch.

Sie hörten, wie sich hinter ihnen etwas in der Dunkelheit bewegte.

***

Maja rannte.

Sie rannte um ihr Leben.

Sie rannte fast blindlings, denn ihre Augen waren voller Tränen, und sie schmeckte Galle und sauren Kaffee im Mund, und sie wusste, dass sie unzusammenhängendes Zeug brabbelte.

Hinter ihr drängte Oskar sie verzweifelt zu mehr Tempo. Sie wusste, dass er wahrscheinlich weit vor ihr sein könnte, aber er blieb hinter ihr, schirmte sie ab, beschützte sie.

Das Ding war aus der Wand gekommen. Aber es war so groß wie, nein, größer als ein Elefant. Diese gelben Schlitzaugen hatten sich geöffnet, und es hatte gebrüllt, sodass sie beide weiche Knie bekamen. Ihre winzigen Taschenlampen konnten kaum alles erfassen, aber in einem Moment klammerte sich das riesige Ding an die Höhlenwand, und im nächsten war es bei ihnen.

Jetzt wussten sie, was all den Tieren zugestoßen war. Sie waren in die Höhle eines großen Raubtiers gestolpert. Ein Raubtier, das sie noch nie in ihrem Leben gesehen oder gar davon gehört hatte. Aber in einem war sie sich sicher: Es war ein Monster aus ihren Albträumen.

Maja senkte den Kopf und rannte. Sie waren nicht besonders weit in die Höhle vorgedrungen, und sie sah Licht vor sich. Aber von hinten hörte sie das Geräusch von schweren Klauenfüßen, die Felsen und Knochen zermalmten, während die Kreatur ihr Tempo ebenfalls erhöhte.

Oskar rief ihr wieder zu: »Schau. Nicht. Zurück. Schau …«

Ein plötzlicher Schlag, der den Boden erschütterte, und sein Schrei ließen sie taumeln und ihre Kopfhaut vor Schreck kribbeln. Sie konnte nicht anders, als sich umzudrehen, und sie sah, dass das Ding einen großen, krallenbewehrten Fuß auf Oskars Rücken gestellt hatte.

Es neigte seine riesige, geschuppte Schnauze nach vorne und öffnete sein mit dolchlangen Zähnen besetztes Maul. Während Oskar schreiend um sich schlug, packte es die obere Hälfte seines Körpers und riss ihn mit einem Geräusch von berstenden Sehnen und Fleisch entzwei. Seine Kleidung zerriss, Knochen knackten und Blut spritzte, als auch sein Fleisch barst.

Die obere Hälfte seines Körpers hing im Maul des Monsters, und die Zeit schien stillzustehen, während sie für wenige Sekunden im Schein ihres Lichts sah, wie sich sein Gesicht ihr zuwandte. Die bleiche, weiße Haut, die weit aufgerissenen Augen und die in einer Grimasse aus Schmerz und Schock fest zusammengebissenen Zähne, als es ihn verspeiste und genüsslich auf seinem Körper herumkaute.

Er lebt noch, kreischte ihr Verstand.

Maja ließ Erbrochenes von ihrem Kinn tropfen. Sie fühlte sich wie angewurzelt. Dann senkte die riesige Kreatur den Kopf nach Oskars zweiter Hälfte, und als seine Beine in dem Maul verschwanden, spürte sie, wie sich ihre Gliedmaßen entspannten, und sie drehte sich um, um weiterzurennen.

Sie sprintete wie wild, und gerade als sie glaubte, sie würde es zum Licht schaffen, spritzte etwas über ihre gesamte linke Seite, von der Schulter bis hinunter zum Bein. Augenblicklich hörte sie, wie ihre Kleidung zu zischen begann. Dann setzte ein unerträglicher Schmerz an den ersten Stellen ihres nackten Halses und ihrer Hand ein, und sie schaute auf ihren Arm und die Hand, die die Taschenlampe hielt, hinunter, die mit einem gelblichen Schleim bedeckt waren. Sie sah, wie das Material ihres Steppparkas anfing, sich aufzulösen, als bestünde es aus nassem Taschentuchpapier.

Sie stolperte weiter und ins Licht hinaus. Der Schmerz machte sie jetzt schwindelig. Nur am Rande ihres Bewusstseins konnte sie hören, wie die Bestie ihr folgte, aber das schien jetzt nicht mehr so wichtig zu sein.

Maja wurde auf die Knie gezwungen, weil eines ihrer Beine nicht mehr funktionierte, und die Taschenlampe fiel klappernd auf die Felsen. Hatte sie sie fallen lassen? Warum?

Sie hielt die Hand hoch, in der sie sie gehalten hatte, und stellte fest, dass sie nur noch ein rotes Etwas war, Fingerknochen, die weiß aus Fleisch ragten, das sich zu einem breiigen Klumpen zusammenzog, wo früher ihre Handfläche gewesen war.

Maja schrie so laut, dass sie das Blut in der Kehle schmeckte, aber ihre Stimme klang nicht einmal mehr wie die eines Menschen, denn die Hälfte ihres Körpers begann irgendwie zu einem Haufen spitzer Knochen und verflüssigten Fleisches zu zerfallen.

Das Monster war direkt hinter ihr. Sie fiel mit dem Gesicht voran auf die kalten Felsen, zermalmten Pflanzen und den Schotter. Dann hörte sie, wie die riesige Bestie begann, ihren zerfließenden Körper aufzusaugen und dabei kleine grunzende Freudenlaute von sich gab.

Als ihr schwarz vor Augen wurde, erinnerte sie sich daran, wie sie zu Oskar gesagt hatte, dass sie sich wünschte, für immer hierbleiben zu können. Ihr Wunsch wurde erfüllt.

EPISODE 17

Kapitel 3

Nemos Bucht, Lemuria, tief unter Grönland

Anne Walsh stemmte die Hände in die Hüfte und drehte sich leicht um. »Es schwimmt noch. Das muss doch ein gutes Zeichen sein, oder?«

Troy Strom nickte. »Steht ganz oben auf meiner Liste.« Er grinste. »Gefolgt von Seetüchtigkeit, Motorenfunktion, Manövrierfähigkeit und Leckfreiheit.«

Troy und Anne sowie die schweigsame Elle Burgan folgten dem Felsenrand der Grotte, um die Gesamtverfassung des Schiffes in Augenschein zu nehmen. Yrsa saß mit gekreuzten Beinen sechs Meter hoch auf einem Felsen und beobachtete sie. Oder besser gesagt beobachtete sie nur Troy.

Er konnte ihren Blick auf sich spüren und wusste nicht, ob das an einer Art Blutschwur lag, den sie abgelegt hatte, um ihn zu beschützen, nachdem er ihren Rivalen im Kampf besiegt hatte, oder ob sie andere Pläne mit ihm hatte.

Im Moment war es ihm egal. Er war für ihre Hilfe und Freundschaft dankbar. Auch ihre Fährtenlese-, Jagd– und Kampffähigkeiten hatten sie mehrmals gerettet.

Er stieg auf einen Felsblock und sah zurück zum Schiff. Es hatte das ungewöhnlichste U-Boot-Design, das er je im Leben gesehen hatte, und jetzt wusste er, warum die lemurianischen Wikinger es als jern fisk – eisernen Fisch – bezeichneten.

Nemo schien es in einer Mischung aus gotischem Design und beachtlichen Verteidigungsfähigkeiten geschaffen zu haben, und eine riesige Flosse am Heck ließ es wie einen riesigen Hai aussehen, der in der unterirdischen Grotte ruhte. Zudem zogen sich Stahlbögen über den Aufbau, die mit nach hinten gebogenen Stacheln bedeckt waren, vielleicht, um große Raubtiere davon abzuhalten, hineinzubeißen. All das trug allerdings zum Eindruck einer gigantischen, lebendigen Meereskreatur statt einer Maschine bei.

Insgesamt war es etwas über zwanzig Meter lang, nicht sehr groß, und er bezweifelte, dass im Inneren viel Platz war. Falls sie überhaupt hineingelangen konnten.

»Wenn wir danach urteilen, wann Verne die Geschichte geschrieben hat, dann könnte es schon seit fast hundertfünfzig Jahren hier sein«, brach Elle schließlich ihr Schweigen.

Troy nickte, plante einen Weg von den nächstgelegenen Felsen zum U-Boot und schritt vorsichtig bis zum Ende des Felsvorsprungs. Anne und Elle folgten ihm.

Er drehte sich um. »Gebt mir erstmal einen Moment. Nur für den Fall, dass es so verrostet ist, dass ich direkt reinfalle.«

Yrsa erhob sich. »Sei vorsichtig, Troyson.« Sie beobachtete ihn mit zusammengezogenen Brauen.

Troy beäugte die Oberfläche des Schiffes. Sie war so orangebraun korrodiert, dass sie eher wie versteinertes Holz als Eisen wirkte. Aber wenigstens sah es seiner Meinung nach nicht so aus, als sei die Verkleidung komplett durchgerostet. Hoffte er.

Einen Moment lang balancierte er, dann sprang er, landete auf den Zehen und ging sofort auf ein Knie und verteilte sein Gewicht mit den Händen. Aber die Infrastruktur hielt nicht nur, sondern fühlte sich stark und solide an. Er richtete sich auf, dann trat er gegen einige Nieten und Plattenränder. »Sieht gut aus, sehr gut.«

»Ich komme rüber!«, rief Anne, wartete nicht auf seine Zustimmung, sondern sprang und landete fast direkt auf ihm. Troy packte sie, damit sie nicht über die andere Seite rutschte.

»Versuch das nächste Mal, das Deck anzuvisieren, nicht mich.« Er kicherte.

Auch Elle sprang, landete aber leichtfüßig und richtete sich auf, die Hände in die Hüfte gestemmt, und studierte die Außenhaut des U-Boots. Yrsa war näher gekommen, saß aber wieder auf einem Felsenrand und beobachtete sie. Jetzt behielt sie aber auch das Wasser der kleinen Bucht im Auge, in der sie sich befanden.

Kurz folgte Troy ihrem Blick. Sie befanden sich in einer Grotte, die mit etwa zehn Metern bis zur Decke nicht sehr hoch war und um die zwanzig Meter Durchmesser hatte. Es sah so aus, als würde sie weiter nach innen führen, und er machte sich eine gedankliche Notiz, nachzusehen, für den Fall, dass Nemo dort hinten etwas gelagert hatte, dass sie brauchen konnten.

Als er über die Seite schaute, erkannte er, dass das Wasser etwa fünfzehn Meter tief war. Er konnte die mit Seegras bewachsenen Felsen und ein paar Fische sehen, die herein und hinaus flitzten. Außerdem sah er, dass auf dem Rumpf Algen wuchsen, und er wettete, dass Muschelbärte, Seepocken und allerlei andere Bewüchse an der Nautilus hafteten, und um Propellerwelle und Ruder herum. Nicht gut. Wenn sie das Schiff überhaupt steuern wollten, musste alles entfernt werden. Und Troy hasste die Vorstellung davon, wieder in diesem urzeitlichen Gewässer zu tauchen.

Als er zurückkam, sah er, dass Elle die Luke testete. Sie sah mit rotem Gesicht auf. »Ich kann sie nicht bewegen. Sie muss blockiert sein, verrostet.«

»Lass mich mal sehen«, sagte er, woraufhin sie zurücktrat und Troy das Lukenrad ergriff. Er holte tief Luft und versuchte, es zu drehen, bemühte sich mehr und mehr, bis ihm schwindlig wurde. Er richtete sich auf und schnaufte schwer.

»Verdammt.« Er wischte den orangefarbenen Staub von den Handflächen an den Oberschenkeln ab. »Hat jemand einen Schweißbrenner dabei?«

Neben ihnen ertönte ein dumpfer Schlag, den sie alle bis in die Fußsohlen spürten, und die Nautilus schaukelte im Wasser. Sie fuhren herum und sahen, wie Yrsa sich aufrichtete und auf sie herunter lächelte.

»Ich kann es versuchen«, sagte sie. Ihren eisblauen Augen funkelten belustigt.

Troy atmete ein. Er roch den süßen Moschus, den berauschenden Duft einer Vielzahl kleiner grüner Beeren, die sie gepflückt hatte, um sich damit einzureiben.

Das war offensichtlich das Parfüm ihrer Wahl, und als er sie gefragt hatte, warum sie angefangen hatte, es zu tragen, hatte sie schlicht den Kopf geneigt und gefragt, ob es ihm gefalle. Als er bejahte, erwiderte sie: »Dann trage ich es deshalb.«

Er grinste und trat einen Schritt zurück. »Nur zu.« Er hielt beide Hände hoch und tat so, als würde er das Rad halten. »Dreht sich in diese Richtung.«

Anne lachte leise. »Ja, los, Frauenpower!« Sie wandte sich an Yrsa und übte sich in der alten Wikingersprache. »Zeig ihm, wer der Boss ist.«

»Boss?«, fragte sie.

»Ähm, das bedeutet …« Sie versuchte es anders. »Zeig ihm, wer der Anführer ist, wer das Sagen hat.«

Yrsa schaute immer noch etwas verwirrt drein, zeigte dann aber auf Troy. »Er ist der Anführer.«

Anne verdrehte die Augen und stöhnte. »Ein bisschen Frauenpower.«

Troy lachte. »Los, Yrsa, du schaffst das.«

Yrsa war fast zweieinhalb Meter groß, breitschultrig und musste tief in die Hocke gehen, um das Rad zu greifen. Kurz schloss sie die Augen, und ihre Lippen bewegten sich. Troy hörte, wie sie die Kraft des Allvaters anrief, während sie tief ein– und ausatmete.

Dann öffnete sie die Augen und begann, ihre Kraft auf das Rad zu richten. Ihre blauen Augen quollen fast hervor, sie fletschte die Zähne und gab ein knurrendes, kehliges Geräusch von sich. Doch das Rad quietschte leise.

»Mach weiter«, drängte er sie.

Yrsa holte noch tiefer Luft und versuchte es wieder, angestrengter. Die Muskeln in ihren Armen wölbten sich, und dieses Mal schrie sie, während ihr Gesicht puterrot anlief. Und tatsächlich; mit einem Geräusch als würde ein uraltes Gewölbe geöffnet, begann sich das Rad zu bewegen. Dann ein Stück weiter, und dann drehte es sich.

Sie sah auf. Die Augen in ihrem roten Gesicht leuchteten. »Ich habe es für dich gelockert … Boss.«

Troy trat vor, legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie. »Gut gemacht.« Dann beugte er sich hinunter und ergriff das Rad. »Dann mal los.« Er zog. Und nichts geschah.

»Noch mal.« Er zog wieder, fester, und mit einem Kreischen von Stahl hob sich die Klappe.

Luft strömte heraus, und Troy drehte sich hustend weg. Die anderen taten das Gleiche, und Yrsa legte eine Hand über Mund und Nase.

»Puh, schlechte Luft«, sagte Troy. »Warten wir einen Moment.«

Nach einer Minute legte er sich auf den Bauch und beugte sich hinein, schaltete seine Taschenlampe ein und leuchtete umher.

»Es ist trocken, zumindest auf dieser Ebene.« Er kniete sich hin. »Anne, du kommst mit mir. Elle und Yrsa, ihr wartet hier.«

Yrsa nickte und Elle sah ihn stirnrunzelnd an, sagte aber kein Wort.

Troy drehte sich um und stieg die schmale Leiter hinab. Ihm fiel auf, dass die Sprossen wie Bronze aussahen und angelaufen, aber nicht rostig waren. Er hielt an, um kurz die Lukenversiegelung zu überprüfen, und stellte fest, dass die gummierte Verbindung mittlerweile am Verrotten war, ihre Arbeit, die Salzluft fernzuhalten, jedoch geleistet und somit die schlimmste Korrosion eingedämmt hatte.

Er stieg weiter hinunter und Anne folgte ihm. Auf der Stahlgangway angekommen richtete Anne ihre Lampe in die eine und Troy seine in die andere Richtung.

Annes Nase rümpfte sich. »Stinkt wie ein stehender Wassertümpel, in dem ein altes Auto verrostet.«

»Und pass auf deinen Kopf auf. Tiefe Decke«, fügte Troy hinzu. »Lass uns zusammen bleiben. Nur für den Fall von Rostfraß. Ich will nicht, dass einer von uns durch den Boden stürzt, wenn der andere nicht dabei ist.«

»Klingt gut«, antwortete Anne.

»Schauen wir mal nach, in welchem Zustand Steuerhaus und Kontrollraum sind.« Er folgte der Gangway. Seine Füße klapperten auf dem Stahlgitter.

Er schwenkte seine Lampe.

»So was stellt man heute gar nicht mehr her«, sagte er leise.

Selbst in diesem langen Stahlkorridor konnte Troy erkennen, dass Nemo ein Schiff konstruiert hatte, das über futuristische Funktionalität verfügte und gleichzeitig die artistische Schönheit eines gotischen Herrenhauses beibehielt. Es gab intarsierte Holzpaneele, kunstvoll geschnitzte Schnörkel, Cherubim, Blumen, und im Abstand von zwei Metern ragten Kerzenhalter aus den Wänden, doch auf ihnen saß eine Form von voluminösen Glühbirnen.

Er richtete seine Lampe auf eine davon. »Hast du das gesehen?«

»Hab ich, und ich dachte, Glühbirnen wären lange, nachdem Nemo vermeintlich die Nautilus gebaut hat, von Thomas Edison erfunden worden«, bemerkte Anne.

»Das stimmt«, antwortete Troy. »Soweit ich mich erinnere, wurden die ersten elektrischen Glühlampen 1879 von Thomas Edison hergestellt. Sie hatten einen einzelnen Kohlefaden, der leuchtete, wenn Strom durchfloss. Aber wie es aussieht, hat Nemos Wundermaschine etwas Ähnliches oder sogar Moderneres benutzt, schon Jahrzehnte vorher. Was für ein brillanter Mann er gewesen sein muss.«

»Brillant, klar«, spottete Anne. »Aber offensichtlich hat er nicht das Verlangen verspürt, auch nur eine seiner Erfindungen und Entdeckungen mit dem Rest der Welt zu teilen.«

»Laut anderen von Vernes Geschichten hat er die Nautilus gebaut, um Kriegsschiffe zu versenken. Alle Kriegsschiffe. Und er war ein Einsiedler«, antwortete Troy. »Ich glaube also nicht, dass er den Rest der Welt gemocht hat.«

Sie passierten einige Nebenräume, und Troy gelang es, einen zu öffnen. Es handelte sich wohl um Mannschaftsquartiere und war kaum größer als ein Stahlkasten. Etwas Verrottetes lag auf dem Boden, das womöglich die Überreste von Segeltuchhängematten waren.

»Schätze, die Crew hat keine Blaues-Band-Unterbringung bekommen«, sagte Anne.

Troy zeigte auf einen kleinen Metalltisch, der aus der Wand ragte, und auf dem eine Flasche und zwei Zinntassen standen. »Sieht aber so aus, als hätten sie ihre Rum-Ration bekommen.«

»Irgendwas fehlt«, sagte Anne. »Ich meine, die Jungs, die den Rum trinken sollten. Wo sind sie?«

»Gute Frage.« Troy zog sich zurück und setzte, Schulter an Schulter mit Anne, den Weg zum Bug fort.

Sie erreichten eine Öffnung seitlich im Boden, in die eine Leiter hinabführte, und Troy kniete sich hin, um hineinzuleuchten. »Ziemlich eng da unten. Ein bisschen Wasser, aber nicht allzu schlimm. Ich vermute, es führt zum Maschinenraum und vielleicht zum Lager.« Er stand auf. »Das sehen wir uns als Nächstes an.«

Nach kurzer Zeit kamen sie zu einer beeindruckenden Tür, die fest verschlossen war. Es war keine wasserdichte Luke wie auf einem normalen U-Boot, sondern eher eine solide Tür, wie man sie in einem Herrenhaus fand, aus Eiche oder Zedernholz gefertigt und mit allen möglichen Meerestieren dekoriert.

Troy nickte. »Der alte Knabe wusste jedenfalls stilvoll zu reisen.« Er packte den Griff, doch der bewegte sich nicht einmal ansatzweise. »Da werd ich den Schulter-Schlüssel nehmen müssen.«

Er reichte ihr seine Taschenlampe, nahm den Griff in eine Hand, lehnte sich zurück, dann preschte er vor und rammte die Schulter gegen die Tür.

Die Eiche war dick, aber nach anderthalb Jahrhunderten gab das Schloss zuerst nach, dann bewegte sich die Tür mit einem Knirschen nach innen.

Troy streckte eine Hand aus und Anne legte seine Taschenlampe hinein. Dann schob er die Tür ganz auf, während die Angeln kreischten und Rostsplitter zu Boden fallen ließen.

Beide Taschenlampenstrahlen bewegten sich rasch durch den stockfinsteren Raum. Es gab eine verblüffende Reihe von Instrumenten auf Podesten, einige mit Messingknöpfen und –hebeln, und einen riesigen Stuhl, der auf eine dunkle, gebogene Wand gerichtet war.

Troy näherte sich und legte die Hand auf die Rücklehne des Stuhls. Er drehte ihn um.

»Scheiße.« Anne erschrak, und ihr Licht schwankte kurz.

Im Stuhl saß ein Skelett in einer einst royalblauen Marineuniform, komplett mit Quasten an den Schultern. Eine in Brokat gefasste Mütze saß auf seinem Kopf und der Unterkiefer hing herunter, der Schädel war zur Seite geneigt.

»Kapitän Nemo, vermute ich.« Mehrere Augenblicke lang stand Troy da, sah auf das Skelett hinab und wusste nicht so recht, was er empfinden sollte. Ehrfurcht vielleicht, weil sich die Geschichte des Mannes als wahr erwiesen hatte.

»Nemo war echt, die Nautilus war echt, die Geheimnisvolle Insel war echt«, sagte er, während er die sterblichen Überreste des Mannes betrachtete.

»Da frag ich mich jetzt, was von dem, was wir für Fiktion gehalten haben, sonst noch echt ist«, sagte Anne.

Troy drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr um. »Vielleicht gibt es eine Welt am Mittelpunkt der Erde. Oder vielleicht ein Hochplateau in Südamerika, auf dem noch immer Dinosaurier existieren.«

Er drehte sich wieder um. Eines war sicher, mittlerweile glaubte er daran. Und angesichts dessen, worauf er im Wasser gestoßen war, als er versucht hatte, den Rubin zurückzuholen, fand er es sehr wahrscheinlich, dass Nemo und die Nautilus gegen einen Riesentintenfisch gekämpft hatten. Und vielleicht hatten sie das genau hier auf dieser geheimnisvollen Insel getan.

»Unglaublich.« Anne hatte sich von ihrem Schreck über den Anblick des Skeletts erholt und beugte sich näher, um die Überreste prüfend zu betrachten. »Kleiner Mann. Ich bin knapp eins dreiundsiebzig groß, und er sieht kleiner aus als ich.«

Troy sah sich um. »Alles hier drin sieht wie für seine Größe gemacht aus.«

Anne begutachtete den Schädel. »Keine Anzeichen eines Traumas, und anhand der Zähne würde ich sagen, er war um die sechzig Jahre alt.« Sie richtete sich auf. »Sieht mir so aus, als hätte er einfach hier gesessen und beschlossen, zu sterben.«

»Vielleicht hatte er genug gesehen, genug getan.« Troy bewegte sich vor den Stuhl. »Verzeihung, Kapitän.« Er sah rasch auf die Kontrollen hinunter, dann hob er den Blick und bemerkte, dass die dunkle, gebogene Wand vor ihm eine Schicht aus Glas vor sich hatte.

»Hey.« Er beugte sich vor und las die Worte unter einigen Schaltern und Hebeln. Sie waren französisch.

»Mein Französisch ist sehr eingerostet, aber …« Er sah mit gerunzelter Stirn auf die Worte hinunter. »Propulsion, hm, und …«

Anne kam zu ihm und zeigte auf jedes. »Schub, Verdeck …«

»Warte, das da«, sagte Troy und drückte auf den Knopf. Nichts geschah. »Verdammt, kaputt.«

»Oder vielleicht einfach nicht an.« Sie zeigte auf einen mittigen Knopf. »Zündung.«

Er nickte und lächelte. »Warum nicht?« Er drückte darauf, und ein schwaches, rotes Licht ging an. Es wurde stärker und heller. »Das soll wohl ein Scherz sein.«

»Wie ist das bei einer Maschine aus der Mitte der 1800-Jahre möglich?«, fragte Anne. »Da benutzte man noch Dampf und Segel.«

»Gute Frage. Ich meine, was könnte die Energiequelle sein?« Er zuckte die Schultern. »Gas wäre längst entwichen. Dampf aus Kesseln hätte sich verflüchtigt. Sogar heutige Batterien wären längst korrodiert, und ich bezweifle, dass sich selbst Nemo Atomenergie nutzbar machen konnte.«

»Er hat was anderes benutzt«, antwortete Anne. »Das ist eine Überprüfung wert.«

»Auf jeden Fall.« Er streckte die Hand aus. »Aber zuerst …« Er drückte wieder auf den Knopf für das Verdeck. Ein Licht ging an, und die Metallabschirmung vor ihnen, die das Glas geschützt hatte, ächzte, zitterte und glitt dann mit einem schweren Klirren zurück.

»Wow und wow.« Anne klatschte in die Hände.

Der Blick nach draußen durch das wassermoosfleckige Glas enthüllte die Mündung der Grotte, etwa auf Augenhöhe mit der Wasseroberfläche der Höhlenlagune. Sie erkannten, dass das Wasser in der Höhle dunkel war und dann zu einem prächtigen, silbrigen Blau wurde, wo das winterliche Licht von draußen es erreichte.

Troy sah auf die Konsole hinab, ließ den Blick über die Steuerung wandern, und versuchte, sich ein Bild von deren Bedienung zu machen. Er hielt bei einem Element inne, das einen großen Schalter und dazu einen Hebel mit Ziffern von null bis fünf darauf hatte.

Er drehte sich zu Anne um. »Propulsion. Schätze, es bedeutet auf Englisch und Französisch das Gleiche: Antrieb.« Seine Hand schwebte über dem Schalter. »Was meinst du?«

»Ich meine, das ist Wunschdenken, aber …« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn du es nicht versuchst, wirst du es nie herausfinden.«

Er streckte die Hand aus und legte den großen Schalter um. Einen Moment lang herrschte Stille, und gerade, als er ihn aus– und wieder einschalten wollte, erklang ein leises Summen irgendwo tief im Schiff.

»Unglaublich«, flüsterte Troy. Wieder staunte er über Nemos Ingenieurskönnen.

Auf der Konsole erschien ein kleines grünes Licht neben der Anzeige der Geschwindigkeit mit einem Wert von null.

»Ein Test«, sagte er und drückte den Hebel sachte vorwärts. Das Licht bewegte sich neben die Zahl eins, aber nichts rührte sich. Das Motorenheulen wurde lauter, das war alles. In der nächsten Sekunde blinkte ein rotes Licht auf der Konsole auf. Das Wort »Attention« stand daneben.

»Okay, okay, kapiert«, sagte er und schaltete die Leistungsstufe zurück.

»Was ist da unten los?« Das war Elles Stimme, die aus dem Stahlkorridor hinter ihnen kam.

»Sorry«, rief er, dann wandte er sich wieder der Steuerung zu. »Wie ich geahnt habe, ist die Schiffsschraube vermutlich seit langem verkrustet.« Er schaltete die Maschinen ab. »Aber von irgendwoher bekommen wir Energie. Und ich bin zuversichtlich.«

»Es schwimmt, aber ist es seetüchtig?«, fragte Anne. »Wir haben einen langen Weg in eiskaltem Wasser zurückzulegen, in einem Stahlschiff, das eineinhalb Jahrhunderte alt ist.«

»Ich weiß«, sagte er. »Berichten wir den anderen, was wir entdeckt haben, dann können wir die Energiequelle untersuchen.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Meine Neugier bringt mich noch um.«

Troy und Anne bewegten sich rasch durch den Stahlkorridor zurück und blieben unter der Luke stehen. Elle war bereits dort oben, ihr Gesicht im Kreis über ihnen. Hinter ihr ragte der große Kopf von Yrsa auf, deren weiße Flechtzöpfe zu beiden Seiten herunterhingen.

»Da war ein merkwürdiges Geräusch, und ich dachte, es käme von draußen«, sagte Elle. »Aber es kam von drinnen. Ich meine, wie zum Teufel kann das Ding noch funktionieren?«

»Das ist die Millionenfrage, auf die ich gerne eine Antwort hätte«, antwortete Troy.

Elle beugte sich herein. »Ich bin mit Erkunden dran«, sagte sie. »Diesmal darf Anne hier warten.«

»Was?« Anne trat vor Troy, die Brauen dicht zusammengezogen. »Hey, hör mal, was mich betrifft, bist du immer noch auf Bewährung, und …«

Troy seufzte. »Komm schon, Anne, lass es Elle doch machen. Du durftest zuerst gehen. Außerdem werden wir alle eine ganze Weile zusammen hier drin sein, falls es klappt.«

»Wir ziehen Streichhölzer«, warf Anne ein.

»Nein, es ist beschlossene Sache«, sagte Elle und glitt die Leiter hinunter. Sie wollte sich zu ihrer vollen Größe aufrichten, konnte es aber nicht. »Gemütlich hier.«

Yrsa schob den Kopf durch die Luke und sah sich um.

»Ich weiß nicht, Yrsa«, sagte Troy. »Du könntest steckenbleiben.«

Sie nickte, dann hob sie den Blick zu Troy. »Wird euch der jern fisk heimbringen?«

»Vielleicht«, antwortete er. »Falls wir ihn zum Laufen bekommen.«

Sie nickte, aber ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. »Dann freue ich mich für euch.«

Troy sah mit in die Hüfte gestemmten Händen hinauf. »Du und Anne haltet Wache, während Elle und ich uns den Maschinenraum ansehen.«

»Troyson«, sagte Yrsa. »Wir müssen wieder jagen. Das Essen ist fast aufgebraucht.«

»Ja, du hast recht. Wir schauen uns unter Deck um, dann können wir jagen gehen«, stimmte er zu. »Klingt das gut?«

»Nur du und ich. Wir sind die schnellsten«, sagte sie. »Dann bin ich an der Reihe.« Ihre blauen Augen leuchteten.

»Klar, gut«, antwortete Troy.

Yrsa sah zu Anne, dann streckte sie einen langen braunen Arm herunter.