Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Tief in der alten Angel Mine lauert etwas Dunkles, etwas Böses. Etwas, vor dem uns die amerikanischen Ureinwohner warnten. Und es ist bereit, wieder über die Welt herzufallen …Mitch Taylor, ein ehemaliger Sanitäter der Special-Forces, sucht nach einigen Schicksalsschlägen die ruhige Abgeschiedenheit des Örtchens Eldon. Doch unter den hübschen Häusern und den freundlichen Gesichtern der Bewohner liegt eine alte Mine verborgen, um die sich Legenden um eine uralte und furchterregende Gottheit ranken. In den labyrinthischen Gängen der Mine wächst etwas heran – ein unheiliger Gott aus einer Zeit, als die Welt noch jung war. Erdbeben erschüttern die Gegend, das Grundwasser steigt, und jener Gott beginnt seine Fühler nach ersten Opfern auszustrecken und sie nach seinem Bilde umzuformen. Die Opfer gehorchen nur noch dem Willen ihres Gottes und verfolgen ein einziges Ziel – ihren Meister tief unter der Erde zu nähren. Erneut findet sich Mitch Taylor im Kampf wieder, doch dieses Mal geht es nicht nur um sein Leben, sondern um das Überleben einer ganzen Stadt. Die Dunkle Saat, einst nur eine grauenhafte Legende, ist Realität geworden.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 263
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
This Translation is published by arrangement with Greig Beck
Deutsche Erstausgabe Originaltitel: SEED OF EVIL Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert Übersetzung: Janna Ruth Lektorat: Manfred Enderle
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-651-1
Sie lesen gern spannende Bücher? Dann folgen Sie dem LUZIFER Verlag aufFacebook | Twitter | Pinterest
Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf Ihrem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn Sie uns dies per Mail an [email protected] melden und das Problem kurz schildern. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um Ihr Anliegen.
Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche Ihnen keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
»Zerstöre die Saat des Bösen, sonst wird sie zu deinem Ruin heranwachsen.«
Aesop
»Der Baum des Lebens war immer da.«
Circa 12.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, in dem Gebiet, das später Missouri sein wird.
In dem kühlen, silbernen Licht des Vollmonds beobachtete der Stamm schweigend, wie die Gefangenen den steinigen Hügel hinauf zum Eingang der Höhle geführt wurden.
Die Männer und Frauen waren während eines Überfalls auf einen entfernten Stamm gefangen genommen worden, und der Häuptling starrte ausdruckslos auf die an ihm vorbeiziehende Prozession – Männer, Frauen und Jugendliche, alle mit einem Seil verbunden, die Hände auf dem Rücken gefesselt.
Jedes Mal, wenn der See nach einem Beben der Erde von der Höhle verschluckt wurde, mussten sie ihren Vorrat an Menschen wieder auffüllen, und sie beuteten die anderen Stämme aus, um an diese wertvolle Ressource zu kommen.
Viele weinten, einige sahen aus, als ständen sie noch unter Schock, ein paar erwiderten trotzig seinen Blick. Der Häuptling hätte vielleicht einen Anflug von Schuldbewusstsein gefühlt, aber er wusste, dass ihr Gott gesättigt werden musste. Und wenn es nicht diese Seelen waren, dann würden es seine Leute sein.
Am Eingang der Höhle brachte einer der gefesselten Männer die Gruppe zum Halt und schrie etwas darüber, dass es den Gott seines Stammes und deren Vorfahren wütend machen würde und schwor, dass sie bis in alle Ewigkeit verflucht sein würden.
Der Häuptling grunzte und wandte sich ab, als der Letzte von ihnen in die undurchdringliche Dunkelheit der Höhle gezerrt wurde. Dem Häuptling waren Flüche und die Beleidigung anderer Gottheiten egal. Denn der Unterschied zwischen anderen Göttern und seinem Gott war, dass sein Gott real war.
Syrien, Idlib Provinz, Evakuierung der Kurden, vor acht Jahren
Captain Mitch Taylor und sein Team duckten sich, als schweres Maschinengewehrfeuer den Boden direkt an ihrer linken Flanke aufriss.
Ein weiterer Tag im Paradies, dachte er.
Mitch hatte drei Jahre Medizin studiert, bevor er dem Aufruf Folge leistete und Soldat wurde. Er legte seine medizinische Ausbildung auf Eis und stürzte sich ins Militärtraining. Er war hervorragend und versuchte es schließlich bei der Auswahl der Special Forces, wo er beim ersten Versuch Erfolg hatte. Mitch war ein geübter Killer des Bösen, aber wenn es nötig war, konnte er auch heilen.
Ein Granatwerfer dröhnte etwa dreißig Meter von ihnen entfernt, und er wandte den Kopf von den herabfallenden Trümmern ab. Er und ein paar Dutzend Männer der Special Forces waren in Idlib, um dabei zu helfen, einen sicheren Korridor für die eingeschlossenen kurdischen Flüchtlinge zu schaffen. Aber es stellte sich heraus, dass das eine fast unmögliche Aufgabe war.
Er hob den Kopf. Vor ihm kauerten ein paar Kurden der YPG, und eine von ihnen, Aiisha, drehte sich zu ihm und lächelte ihn breit an.
Sie war wie viele der kurdischen Frauen, die an der Seite ihrer Männer kämpften; sie waren furchtlos und wild, und nachdem er ihren Bruder gerettet hatte, schien sie beschlossen zu haben, dass sie ihm jetzt etwas schuldete oder dass er ein möglicher zukünftiger Ehemann war.
»Verflucht.«
Eine weitere Granate explodierte, dieses Mal näher. Er wusste, dass die syrische Armee vorrückte und ihnen die Zeit davonlief.
»Sie sind gleich bei uns, wir müssen uns zurückziehen«, schrie ihm sein Kumpel Henson zu.
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Noch nicht. Wir können es schaffen.«
Mitch hätte zum Rückzug aufrufen sollen, aber er wusste, dass man nichts erreichte, wenn man kein Risiko einging. Und was er tun musste, würde Hunderten das Leben retten. Mitch schüttelte den Kopf.
»Wir boxen uns durch, komm in Gang.«
Der Ort, an dem sie waren, wurde als Blut-und-Knochen-Salat bezeichnet – es gab syrische Truppen, russische Special Forces, die kurdische YPG, ISIS, Hisbollah, Al Quaida und so viele Splitterfraktionen, dass man sie gar nicht alle aufzählen konnte. Alle waren bis an die Zähne bewaffnet, und alle töteten, schrien und starben im gleichen Maße.
Es war kein Ort für Flüchtlinge, und darum waren er und seine Einheit, die Asgardian Shields, hier. Die Aufgabe war fast hoffnungslos, und er wusste, dass die Belohnung dafür, hoffnungslose Aufgaben erfolgreich zu erledigen, die Zuteilung von noch mehr hoffnungslosen Aufgaben war.
Sie mussten noch ein Nest Scharfschützen vernichten, dann konnten sie anfangen, die Leute rauszubringen. Mitch und zwei seiner Kameraden der Special Forces gesellten sich zu der kleinen YPG-Gruppe.
Man hatte sich darauf geeinigt, dass Mitch und seine Jungs die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich ziehen und Feuerschutz geben würden, während Aiisha und ihr Team vorrücken und sich dann wahrscheinlich kopfüber in ein Schützenloch des Feindes stürzen würden, Gewehr in der einen und Messer in der anderen Hand. Das hier war eine verrückte Welt.
Der Plan war beschlossen, sie drehte sich zu ihm um und lächelte ihn erneut an, legte zunächst einen Finger an die Lippen und drehte ihn dann einen Moment in seine Richtung, bevor sie die Hand zur Faust ballte. Er nickte und erwiderte das Lächeln. Es bedeutete: Dieser Kuss ist für dich, ich hebe ihn für dich auf, bis wir uns wiedersehen.
Seine Kameraden sahen nicht in seine Richtung, also erwiderte er die Geste. Okay, er gab zu, dass er sie auch mochte.
Er gab ihren Gruppen die Erlaubnis, sich aufzuteilen, und Aiishas Team rückte etwa fünfzehn Meter vor, wobei sie die ganze Zeit unten blieben. Doch in diesem Augenblick kribbelte Mitchs Nacken. Um ihn herum wurde die Luft ruhig, und alles versank in Stille. Ob es die Intuition eines Soldaten oder eine Vorahnung war, er wusste, dass etwas im Busch war. Und es war etwas Schlimmes.
Plötzlich wusste er auch ganz sicher, dass er sich mit seinen Truppen hätte zurückziehen sollen. Es war, als ob die Luft dick wie Honig wurde und die Zeit sich verlangsamte. Dreckbröckchen schienen zu schweben, brennende Aschefetzen hingen wie winzige Lichter in der raucherfüllten Luft, und aufgerissene Münder brüllten Laute, die keine Worte mehr waren.
Mitch konnte nur auf den schweren, russischen Mörser starren, wahrscheinlich ein M240, der eine zweihundertachtzig Pfund schwere Granate abfeuerte, die mitten in Aiishas Gruppe landete. Die dröhnende Explosion riss einen zwölf Meter großen Krater, und er wurde in die Luft gewirbelt und nach hinten geworfen, wo er wie eine zerbrochene Puppe über den Boden rollte, bis er gegen eine felsige Erhebung stieß.
Er erinnerte sich, dass sich sein Gesicht heiß und feucht anfühlte, und das Fleisch wie ein Steak auf dem Grill zischte, und obwohl seine Augen brannten und seine Trommelfelle kreischten, hörte er dennoch das Stöhnen der Verlorenen und Sterbenden um ihn herum.
»Lasst sie nicht im Stich, lasst sie nicht im Stich!« Er hatte beim Schreien den salzigen Geschmack von Blut im Mund. Hände griffen nach seinem zerrissenen, zerschmetterten Körper und zerrten ihn weg.
Er wusste nicht, wer ihn herauszog. Aber seine Tage beim Militär waren vorbei, und Aiisha und alle anderen, die er kannte, waren für immer fort.
Eldon, Oakland County, Missouri, heute
Michael ‚Mitch‘ Taylor hielt am Straßenrand und zog seine Karte zurate. Irgendwo hier musste er abbiegen, aber er fand, dass Landstraßen wie die Sittiche seiner Mutter waren – sie waren schön, sahen für ihn aber alle gleich aus. Wenn es nach Mitch ging, konnte er seit Stunden im Kreis herumgefahren sein.
Er kurbelte das Fenster herunter und sog den Duft von trocknendem Gras und Wildblumen ein, lauschte dem Zirpen der Zikaden und Grillen. Er lächelte. Ein neuer Anfang, dachte er.
Er war erst fünfunddreißig Jahre alt, fühlte sich aber, als hätte er schon zwei Leben gelebt – das erste war sein Leben beim Militär. Dort hatte er so viel Blut und Schrecken gesehen, dass es für immer reichte.
Er hatte Mist gebaut, eine schlechte Entscheidung getroffen, und als er schließlich vor all den Jahren im Krankenhaus aufgewacht war – sein Gesicht war von Verbänden bedeckt und er hatte sich gefühlt, als wäre sein Körper zu Brei geschlagen worden – war er glücklich gewesen. Er würde wieder gesund werden, aber Aiisha und fast alle anderen, die an jenem Tag dort gewesen waren, hatten entweder in einem lauten, pulverisierenden Blitz aufgehört zu existieren oder lagen gebrochen und sterbend da, während er weggebracht wurde.
Er wusste, dass sie alle ausgelöscht worden sein mussten, aber tief in seine Seele hatten sich Narben der Schuld gegraben, denn es fühlte sich an, als hätte er sie im Stich gelassen.
Mitch wurde ehrenhaft entlassen und begann sein nächstes Leben, das zivile. Er war zurück ans College gegangen, um seinen Abschluss in Medizin zu machen, und dort hatte er Cindy getroffen, wodurch sein Leben plötzlich wieder ganz bunt, leicht und voller Lachen und Liebe war.
Nach acht Monaten heirateten sie und wohnten in einer großen Stadt. Er arbeitete als Arzt für Allgemeinmedizin, sie in einer Anwaltskanzlei in der Innenstadt. Ihr Leben war beständig und ruhig und es sah aus, als würde es eine verdammt gute Zukunft für sie bereithalten. Sie redeten sogar von Kindern, von jeder Sorte eins – ein Junge und ein Mädchen.
Aber das Pech schien ihm wie eine dunkle Wolke zu folgen. Denn dann bekam Cindy den Knoten. Er hatte ihr gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen müsste, als sie sich weiteren Tests unterzog. Aber im Geheimen hatte er furchtbare Angst, und als sie die Ergebnisse bekam, gab sie ihm alle Laborberichte und sah ihn mit feuchten Augen an, in denen die Bitte stand, dass sein medizinisches Wissen die schreckliche Wahrheit auf den Seiten irgendwie in etwas anderes übersetzen würde.
Stattdessen genügte ein Blick auf das dichte Geflecht an Massen auf den Bildern und die begleitenden Anmerkungen, und er spürte, wie seine Welt um ihn herum einstürzte. Es war Brustkrebs im vierten Stadium, mit Metastasen und inoperabel. Und der kleine Knoten hatte sich wahrscheinlich über Jahre hinweg nach rückwärts in ihrem Körper ausgebreitet.
Er weinte. Es ging ihr immer schlechter, und die Behandlung machte ihre letzten Monate nur unerträglich. Er weinte noch mehr und heftiger, als sie schließlich von ihm ging. Von ihm ging. Er schnaubte leise über diesen Ausdruck, denn er konnte es immer noch nicht ertragen, zu sagen: Sie starb.
Selbst jetzt, Jahre später, allein in seinem Auto sitzend, verschwamm seine Sicht wieder vor Tränen. Jeder, den ich liebe, stirbt, dachte er verdrießlich.
Er hatte an Selbstmord gedacht, hatte Albträume gehabt, viel zu viel getrunken und war am absoluten Tiefpunkt angekommen. Und da er immer noch seine Glock 19 hatte, zog er sie oft hervor, hielt sie einfach und starrte in die Ferne, wo er nichts sah als endlose Leere.
Sein Psychiater hatte ihm einen neuen Anfang empfohlen, weil die Depression das Tauziehen um seinen Verstand zu gewinnen schien. Und da kam Leben Nummer drei ins Spiel – Eldon.
Eines Tages hatte er beim Frühstück die Annonce gesehen: Eine Kleinstadt im Oakland County namens Eldon suchte einen Arzt für eine Hausarztpraxis. Er bewarb sich, und nach mehreren Gesprächen online, die aufreibender waren, als er erwartet hatte, und einem FaceTime-Chat über das Internet, bei dem er Keith Melnick, den Bürgermeister, Karen Powell, die Vizebürgermeisterin, die jung, aber rasiermesserscharf war, Ralph Gillespie, den Staatsanwalt der Stadt und ein schreckliches Großmaul, sowie zahlreiche andere Ratsmitglieder kennengelernt hatte, bekam er den Job.
Und jetzt war er auf dem Weg dorthin.
Oder würde es bald sein. Mitch nahm eine Hand vom Lenkrad und wischte sich mit dem Unterarm über die Augen.
»Ein neuer Anfang.« Er nickte. »Ja.«
Er räusperte sich und fuhr wieder auf die Straße, um den Weg fortzusetzen.
***
Der uralte amerikanische Ureinwohner senkte die Hände, als sein Gesang verstummte. Er stand mehrere Sekunden völlig regungslos und schien auf etwas zu lauschen. Nach einer Weile grunzte er leise und fing an, seine Amulette, die kleine Trommel und den Schlägel und seine Kräuter in einen großen Stoffbeutel zu packen.
Er richtete sich auf. Seine Aufgabe war erfüllt, und der Zauberbann wirkte, denn er spürte, dass sich der Krieger näherte. Dann ging er langsam den trockenen, buschbestandenen Pfad vom Mineneingang hinunter, erreichte die Straße und blickte nach Osten.
Er hatte noch einen langen Weg vor sich, bis er zu Hause war. Aber er wusste, dass das, was kam, bedeutete, dass er bald zurück sein würde.
Nach weiteren fünfzehn Minuten auf sonnigen, mit Bäumen gesäumten Straßen und Feldern mit langem Gras, auf denen verstreut Silberahorn, Eschen und Eichen standen, sah er das Schild – Eldon, Oakland County, Bevölkerung: 1024 – und eine Abzweigung.
Nach einigen weiteren Minuten sah er die ersten Häuser, dann noch mehr Häuser und schließlich fuhr er in die Innenstadt von Eldon. Er lächelte, als er verlangsamte, und freute sich, dass alles genauso wie auf den Bildern aussah.
Er fühlte sich, als wäre er in eine Zeit und an einen Ort zurückgereist, wo die Menschen sich anlächelten und sich zuwinkten, die Straßen breit waren, und die Sonne ständig in jede Ecke schien.
Er bemerkte, dass ihn jemand hinter einem Fenster beobachtete und winkte kurz, aber die Gardinen wurden schnell zugezogen. Nun ja, vielleicht lächelten und winkten nicht alle.
Er lachte leise. »Verdammte Auswärtige.«
Mitch hielt vor den Ratsstuben, gegenüber dem örtlichen Museum. Er hatte die Namen einiger Kontaktpersonen erhalten – Karen, die Vizebürgermeisterin, Shelly, seine künftige Assistentin, und Dr. Ben Wainwright, neunundsiebzig Jahre alt, der in den Ruhestand gehen wollte und der Grund für sein Hiersein war.
Es gab keine Parkuhren und keine Straßenschilder, was ihn sogar noch breiter lächeln ließ. Das war definitiv ein Vorteil gegenüber großen Städten, wo Autos als Feind gesehen wurden und sie zu parken, ein Privileg der Reichen und Glückspilze war.
Er sah über die Straße. »Zuerst einmal die Vizebürgermeisterin Karen.« Er schob die Fahrertür mit der Schulter auf und überquerte auf dem Weg zu den Ratsstuben die fast leere Straße. Es war ein quadratisches Gebäude aus den 1960er-Jahren, das eins der wenigen war, die vollkommen weiß gestrichen waren.
Mitch ging direkt auf die Frau am Empfang zu, der sich neben einer Eichenholztreppe befand, die vom Set des Films Vom Winde verweht hätte stammen können.
»Hi.« Er schenkte der Empfangsdame sein charmantestes Lächeln.
Sie erwiderte das Lächeln, zwinkerte mit beiden Augen, um die sich dabei Fältchen bildeten, und hob einen Finger, während sie ihr Telefongespräch beendete.
Sie legte auf und sah hoch. »Dr. Taylor.« Es war keine Frage, sie zog die Brauen bis zur Hälfte der Stirn hoch.
»Schuldig.« Mitch hob die Hände, war aber immer noch etwas überrascht, dass sie ihn erkannt hatte.
»Ich bin Gladys, und wir haben Sie erwartet.« Sie strahlte wie ein Schulmädchen. »Sie sehen genauso nett wie auf den Bildern aus. Wie ein junger Ben Affleck.«
»Danke, nur nennen Sie mich nicht Ben Affleck.« Mitch lachte leise. »Äh, ist die Vizebürgermeisterin da?«
»Ja, aber sie könnte noch in einer Besprechung sein. Ich prüfe mal, ob sie frei ist.« Gladys drückte einen Knopf auf ihrer Telefonanlage, sprach ein, zwei Sekunden leise, drehte sich dann zu ihm um und nickte. »Sie haben Glück, sie kommt runter.«
Oben öffnete und schloss sich eine Tür, dann war das Klicken von Absätzen auf Linoleum zu hören. Aus irgendeinem Grund zog Mitch automatisch den Bauch ein.
Karen Powell kam die Treppe hinunter, die dunklen Augen auf ihn gerichtet, und sie lächelte nicht, bis sie direkt vor ihm stehen blieb. Das Erste, was ihm auffiel, war, dass sie winzig war, höchstens eins-sechzig groß. Das Nächste, was er bemerkte, war, dass sie fast zu leuchten schien, zumindest für ihn.
Ganz ruhig, Junge, dachte er, als er spürte, dass sich seine Wangen röteten.
Sie streckte die Hand aus. »Dr. Taylor, schön, Sie persönlich kennenzulernen. Online Meetings sind so unpersönlich.«
»Danke gleichfalls.« Er schüttelte ihr die Hand und stellte fest, dass sie zwar klein war, aber einen festen Griff hatte. Und statt der weichen Haut, die er erwartet hatte, schienen ihre Handflächen etwas schwielig zu sein. Fitnessstudio-Junkie, oder sie besitzt vielleicht ein großes Grundstück, überlegte er.
Sie neigte den Kopf. »Haben Sie unsere kleine Oase ohne Probleme gefunden?«
Er lächelte. »Ja. Und Eldon ist so schön, wie ich es erwartet habe. Es ist mir ein Vergnügen, hier zu sein, Vizebürgermeisterin. Oh, und bitte nennen Sie mich Mitch.«
»Nur, wenn Sie mich Karen nennen.« Sie musterte ihn. »Sind Sie nur vorbeigekommen, um Hallo zu sagen, oder gibt es etwas, das ich für Sie tun kann?«
»Ich bin auf dem Weg zu Dr. Wainwright, um ihn wissen zu lassen, dass ich angekommen bin. Als ich hier vorbeifuhr, habe ich mich gefragt, ob Sie da sind.«
»Gut«, sagte sie. »Sie werden Ben mögen, er ist seit Jahren mein Hausarzt. Da er bald in den Ruhestand geht, denke ich, dass ich in Zukunft zu Ihnen kommen werde.«
»Sie und Ihre Familie?«, fragte er.
Sie nickte. »Ja, aber das sind nur ich und Benji – Benjamin, mein zwölfjähriger Sohn.«
Er wartete ein paar Sekunden, ob sie weitere Erklärungen hinzufügen würde, doch das tat sie nicht, und er nahm an, dass es zu früh für ihn war, solche privaten Einzelheiten zu erfahren. »Okay, sehr schön.« Mitch wartete einen weiteren Augenblick und wies dann mit dem Daumen zum Ausgang. »Also, äh, ich gehe dann wohl besser.«
Sie musterte ihn weiterhin mit einem angedeuteten Lächeln, bis ihr plötzlich etwas einzufallen schien. »Hey, dieses Wochenende gibt der Bürgermeister eine Abschiedsfeier für Ben, Sie sind zum perfekten Zeitpunkt eingetroffen. Es wäre lohnend für Sie zu kommen und alle Ihre zukünftigen Patienten zu treffen.«
»Okay, ja. Das klingt wirklich gut.« Er nickte ihr kurz zu und sah zu Gladys, die telefonierte, ihn aber trotzdem beobachtete. »Bis bald, Gladys.«
Die Fältchen erschienen wieder in ihren Augenwinkeln und dieses Mal auch um ihre Nase herum, während sie ihr fröhliches Telefongespräch weiterführte.
Zurück im Auto las er die Straßenschilder der nächsten Kreuzung, um sich zurechtzufinden. Es war Freitag, und er hatte vorgehabt, sich am Wochenende seine Praxis anzusehen, stellte aber fest, dass Wainwrights Praxis nicht allzu weit entfernt war. Er konnte erst den alten Jungen besuchen, und wenn er noch irgendetwas brauchte – Lebensmittel oder Medikamente - bevor er Mitte der Woche eröffnete, hatte er immer noch den Nachmittag, um alles zu erledigen.
Er parkte aus und fuhr die Straße hinunter zur ersten Abzweigung der Dugdale Street. Er fuhr an einem Antiquitätenladen, Gemischtwarenhandlungen und ein paar leeren Coffee-Shops vorbei. Schließlich kam er zu einem gepflegten kleinen Haus mit einem Messingschild vorne: Ben B. Wainwright – Praktischer Arzt.
***
Der Boden bebte.
Nur ein bisschen.
Und jeder, der draußen unterwegs war, hätte es für einen vorbeifahrenden Lastwagen halten können. Oder Einbildung. Aber die örtlichen Taubenschwärme flogen in den Himmel und immer weiter.
***
»Hier muss es sein«, sagte Mitch und hielt an. Er parkte das Auto für einen Moment und bewunderte das kleine Haus, das dunkelblau gestrichen war, während Zaun und Geländer in Weiß erstrahlten. Es sah aus, als wäre es gut in Schuss gehalten worden, und es war offensichtlich, dass Wainwright stolz auf die Instandhaltung war.
Immer ein gutes Zeichen, dachte er.
Er stieg aus seinem Auto und lächelte. »Mitch, mein Junge, eines Tages wird all das dir gehören.«
Er ging zur Pforte und schob sie auf. Die Angeln quietschten etwas, aber es schloss sich von selbst hinter ihm, als er auf den offenen Eingang zuging. Er trat in den Empfangsbereich und roch Lavendel und Alkohol.
Hinter dem Empfangstisch saß eine junge Frau, den Kopf gesenkt, mit Ohrstöpseln in den Ohren. Mitch nahm an, dass sie medizinische Berichte für Dr. Wainwright transkribierte, aber als er sich ihrem Schreibtisch näherte, hörte er Popmusik aus den Ohrstöpseln dringen und sah, dass ein aufgeschlagenes Magazin vor ihr lag.
Er beugte sich über den Tisch. »Shelly Horton, nehme ich an?«
Sie sah auf, und ihr Blick wechselte plötzlich von gelangweilt zu aufmerksam. Sie schlug das Magazin zu, lächelte ihn strahlend an und zog die Ohrstöpsel heraus.
»Hi. Tut mir leid, kann ich Ihnen helfen?«
»Ich denke schon.« Er erwiderte ihr Lächeln, obwohl ihm die Vorstellung, dass seine potenzielle neue Empfangsdame Patienten ignorierte, nicht gefiel. Wenn es in der Praxis ruhiger war, musste er nicht ganz so streng mit ihr sein.
»Ich bin Dr. Michael Taylor. Ist Dr. Wainwright da?«
Sie stand auf. »Michael, Dr. Wainwright, ja, ja, er ist da.« Sie streckte die Hand aus und lehnte sich über den Empfangstresen, wobei sich ihre Dienstkleidung spannte. »Ich bin Ihre Rezeptionistin, Shelly Horton.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Shelly.« Er schüttelte die Hand, die sie ihm hinhielt. »Ziemlich ruhig, was?«
Sie nickte energisch, hielt immer noch seine Hand fest und kam um den Schreibtisch herum. »An einigen Tagen schon. Die Einwohner von Eldon sind im Allgemeinen ziemlich gesund. Außer, es ist Grippesaison.«
»Das ist nicht so gut.« Er lächelte und löste seine Finger aus ihrer Hand. »Wie soll ich meinen Lebensunterhalt verdienen, wenn niemand je zum Arzt geht?«
Sie kicherte, und ihre Augen funkelten ihn an. Sie zeigte mit einem schlanken Finger zu einer Seitentür. »Wollen Sie, dass ich ihn hole? Dr. Wainwright?«
»Klar. Ich bin gerade erst eingetroffen und komme vorerst nur vorbei, um Hallo zu sagen.«
»Dann Hallo.« Sie winkte mit beiden Armen und lächelte breit. »Ich wecke ihn auf.« Sie ging zur Tür des Beratungszimmers, beugte sich vor und klopfte zweimal. »Dr. Wainwright?«
»Kommen Sie rein.«
Die Stimme war tief, aber müde, und Shelly winkte ihn heran und öffnete die Tür. Sie steckte ihren Kopf ins Zimmer, um Dr. Wainwright etwas zuzuflüstern, dann hielt sie die Tür weit auf.
Als Mitch eintrat, stand Wainwright auf. Er war schlank, gebeugt, etwas grau im Gesicht und hatte eine schmale, aristokratische Nase. Aber sein Lächeln war warm, und obwohl seine Schultern etwas nach vorn sackten, war Mitch sich sicher, dass der Neunundsiebzigjährige einst ein großer, gutaussehender Mann war.
Mitch ging schnell zu ihm. »Ben, es ist so schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen.«
»Gleichfalls«, sagte Wainwright und schüttelte ihm die Hand. Die Hand und die Finger waren weich, und die Knochen fühlten sich wie Stöcke unter der papierdünnen Haut an. Er musterte Mitch ein paar Sekunden lang, bevor er seine Hand losließ.
»Ich bin froh, dass Sie gekommen sind.« Er starrte Mitch ins Gesicht, sein Lächeln verblasste und wich einer ausdruckslosen Miene. »Mitch, alles, was ich hier getan habe, tat ich zum Wohle der Gemeinde Eldon.« Er straffte die schmalen Schultern. »Aber ich denke, die Geschichte wird über mich urteilen.«
Mitch runzelte etwas die Stirn. »Ich, äh, denke, dass sie über uns alle urteilen wird.«
Wainwright grunzte und drehte sich zu seinem Zimmer um. »Ich räume nur ein paar überflüssige Akten für sie auf.«
Mitch sah ordentliche Stapel von Ordnern und offenstehende Aktenschränke. Alle außer einem. In einer Ecke stand ein älterer Schrank aus Holz, solide, und der einzige, an dem ein Schloss angebracht war.
Ben bemerkte, wohin er sah. »Machen Sie sich um den keine Gedanken, den räume ich später auf. Darin sind nur historische Informationen über etwas, das vor fast einem halben Jahrhundert hier passiert ist.«
»Die Angel Mine?«, riet Mitch.
Wainwright riss den Kopf zu ihm herum und starrte ihn wieder an. Nach einem weiteren Augenblick nickte er einfach nur.
»Ja, das Minenunglück.« Mitch zuckte mit den Schultern. »Ich habe darüber gelesen. Ein dunkler Tag. Die Mine wurde überflutet, und es gab ein paar Tote, nicht wahr?«
»So war es tatsächlich. Aber das war 1908.« Ben sah ihn mit wässrigen Augen an. »Aber hierbei ging es um ein örtlich begrenztes Ereignis in den Siebzigern. Einige Einzelheiten zu ein paar Fällen von Hautreizungen und anderen Sachen von den Chemikalien der Mine damals hängen immer noch herum. Nichts Wichtiges.«
»Ich habe gehört, dass es ein daraus resultierendes Leiden gab, das man Angel-Syndrom nannte«, drängte Mitch, der sich an einige Hinweise erinnerte, als er Nachforschungen über Eldon anstellte. Aber es gab keine einzige Beschreibung, was das überhaupt bedeutete. »Ich würde es mir gerne ansehen, nur um zu …«
»Nein.« Wainwrights Stimme unterbrach ihn. »Das ist jetzt abgeschlossen.«
Mitch hob die Brauen. »Ist doch keine große Sache.« Er drehte sich um und sah wieder den alten Holzschrank an.
»Wir hätten die verdammte Mine in die Luft jagen sollen«, murmelte Wainwright.
»Wie bitte?« Mitch drehte sich wieder um, war sich nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Aber Wainwright winkte ab, was das Zeichen war, dass das Gespräch für ihn beendet war.
»Hier entlang, Doktor.«
»Sie haben mir noch nicht erzählt, Ben«, sagte Mitch, der sich entschieden hatte, das Thema zu wechseln, »was Sie nach ihrer Pensionierung vorhaben. Haben Sie Familie in dieser Gegend? Wollen Sie reisen oder die zusätzliche Zeit zum Angeln nutzen?«
Ben Wainwright schüttelte müde den Kopf. »Nein, ich bin erschöpft. Ich denke, ich gehe einfach dorthin zurück, woher ich gekommen bin.« Er sah Mitch in die Augen. »Ich habe lange Zeit auf Sie gewartet. Danke, dass Sie gekommen sind, Mitch.«
»Oh, okay.« Mitch zuckte mit den Schultern. »Ist mir ein Vergnügen.«
Das hat nicht viel Sinn ergeben, dachte er. Er hatte den Job doch gerade erst bekommen. Er dachte sich, dass Wainwright nur auf jemanden – irgendjemanden – gewartet hatte, der ihm seine Aufgabe abnahm.
Der alte Arzt brachte ihn zur Tür. »Ich mache hier jetzt alles fertig.«
»Dann sehen wir uns am Wochenende wohl beim Bürgermeister«, sagte Mitch fröhlich.
»Viel Spaß mit der Praxis.« Wainwright drängte ihn nach draußen und ging ins Büro zurück. Mitch und Shelly blieben allein.
»Woher ist er gekommen?« Er wandte sich an Shelly. »Er hat sein ganzes Leben hier verbracht, und jetzt geht er nach Hause? Wohin?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe zwei Jahre lang für ihn gearbeitet, und er behält vieles für sich. So machen das die meisten hier in der Gegend. Wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten. Das machen die Leute in Eldon so.«
Mitch nickte und wechselte das Thema. »Hey, haben Sie je von der Angel Mine oder vom Angel-Syndrom gehört?«
Sie schürzte einen Augenblick die Lippen. »Nein.«
»Okay, vergessen Sie’s.« Er salutierte kurz. »Schön, Sie kennengelernt zu haben, Shelly. Wir sehen uns bald.«
Mitch ging nach draußen und den Fußweg entlang, wobei er immer noch an die Angel Mine dachte. Er hatte ein paar historische Berichte und auch einige alte Zeitungsausschnitte gelesen, in denen stand, dass bei dem unterirdischen Einsturz um den letzten Jahrhundertwechsel herum viele Menschen gestorben waren und nachfolgend ein Teil des Geländes kontaminiert worden war.
Dieses eine Rätsel, das sich um den Ort rankte, interessierte ihn. Besonders da es weitere Informationen über ein merkwürdiges Leiden in den Siebzigern gab – das Angel-Syndrom – das Wainwright zweifellos aus erster Hand kannte, weil er zu der Zeit, als es ausbrach, hier arbeitete.
Es war seltsam, dass Wainwright es als ein paar geringfügige Hautreizungen abgetan hatte. Vielleicht konnte er mehr Nachforschungen anstellen, wenn er die Praxis übernahm. Er war sicher, dass einige andere alte Leute in der Stadt sich an etwas erinnern würden.
Mitchs Pension befand sich am Rande der Stadt, und soweit er sich erinnern konnte, war es von dort nicht allzu weit bis zur ehemaligen Mine – vielleicht zwanzig Minuten Fahrt auf einer leeren Straße. Zu dieser Tageszeit? Ein Kinderspiel.
Es war erst kurz nach drei nachmittags. Er konnte wahrscheinlich kurz hinfahren und trotzdem rechtzeitig zum Abendessen zurück sein.
»Tu es einfach.«
Mitch sprang in sein Auto, überprüfte die Landkarte, parkte aus und fuhr geradeaus, bis er die Hauptstraße erreichte. Dann bog er rechts ab und fuhr auf dem Highway weiter. Mitch schoss die breite Fahrbahn hinunter und überholte ein paar Lastwagen und SUVs, aber es war so, wie er erwartet hatte – so ruhig wie an einem Ferienwochenende.
Er wusste nicht wirklich, warum er sich für die Mine interessierte, vielleicht war es Neugier. Angel-Syndrom. Er dachte über die Bezeichnung nach. Sein Interesse als Mediziner war geweckt. Und der Aktenschrank in Wainwrights Büro war eine der wenigen Informationsquellen, die er kannte, doch der alte Arzt wollte sie zerstören.
Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte er.
Mitch verlangsamte bei einem verrosteten Tor. Er überprüfte nochmals die Landkarte und glaubte, dass das die Abzweigung gewesen sein könnte. Es gab keine Schilder, keinen Hinweis darauf, dass dies einst eine der größten und ertragreichsten Kalksteinminen in Amerika gewesen war.
Das war damals, dachte er. Schließlich war das mehr als ein halbes Jahrhundert her, und es war nicht gerade eine Sehenswürdigkeit für Touristen. Er stieg aus, ging zum Metalltor und versuchte, es zu öffnen. Es war nicht abgeschlossen, und sogar die Angeln waren durchgerostet, sodass es gerade so aufrecht stand. Er hob es einfach hoch und legte es beiseite.
Er fuhr den Pfad entlang und nach etwa fünf Minuten kam er zu einer verkümmerten Baumgruppe, die um ein offenes Stück Land standen. Es gab ein paar aufgegebene Eisenbahnwagen – er glaubte, dass man sie Güterloren nannte – und einen Stapel Ersatzgleise, die in der Nachmittagssonne vor sich hin rosteten.
Er stieg aus dem Auto und das Erste, was auf ihn eindrang, war der beißende, trockene Geruch von Kreide und Kalkstein. Doch sonst war da nichts, kein Vogelgesang oder das Hintergrundsummen von Zikaden und Grillen. Es schien so, als hätten nicht nur die Menschen die Mine verlassen.
Mitch wollte gerade losgehen, er blieb jedoch stehen, drehte sich zum Auto um und durchwühlte das Handschuhfach, die Mittelkonsole und schließlich die Türfächer.
»Verdammt!«
Die Taschenlampe war nicht da, und er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, sie herausgenommen zu haben.
»Immer, wenn man sie braucht.« Er seufzte und richtete sich auf. »Zum Glück habe ich die Nachtsicht einer Katze.« Er lachte leise, zog die Hose hoch und ging auf den Mineneingang zu. Alter, verrosteter Maschendrahtzaun lag herum, und er trat vorsichtig darüber hinweg. Als Mitch sich dem großen Eingang näherte, bemerkte er ein paar kümmerliche, knorrige Bäume, die sich längst der leblosen, trockenen Erde ergeben hatten. Es gab auch merkwürdige, verdrehte Steinsäulen und genau wie die Bäume hatten sie seltsame Formen angenommen.
Er blieb dicht neben einer Steinsäule stehen und starrte sie an. Mitch kniff die Augen zusammen und konnte den Blick nicht mehr von dem merkwürdigen Ding abwenden.