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Wir treten ihn mit Füßen, kehren ihn als Schmutz aus dem Haus und nennen ihn abwertend 'Dreck': den Boden unter unseren Füßen. Dabei muss diese dünne Haut unseres Planeten alle menschlichen Zivilisationen tragen – und ernähren. Warum der vermeintliche Dreck Grundlage allen Lebens und damit auch unserer Zivilisation ist, erzählt der Geologe David R. Montgomeryanhand spannender Geschichten aus der Geschichte. Aufstieg und Niedergang menschlicher Zivilisationen hängen am 'Dreck': Von den frühen Kulturen in Mesopotamien über das Römische Weltreich bis zur 'Eroberung' des Amerikanischen Westens hat der Mensch den Boden genutzt und gebraucht, zerstört und verwüstet – letzteres zum eigenen Schaden. Wo der Boden erodiert, verschwindet nach und nach auch die Zivilisation, die dies zulässt. Denn Boden ist – zusammen mit Wasser und Luft – unsere wichtigste Naturressource. Weil das so ist, belässt Montgomery es nicht bei historischen Betrachtungen: Derzeit gehen jedes Jahr Milliarden Tonnen fruchtbarer Boden durch falsche Landbewirtschaftung oder verfehlte Stadt- und Verkehrsplanung verloren. Montgomery geht diesem Aderlass auf den Grund und benennt Alternativen. Sein Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer für einen anderen, nachhaltigen Umgang mit dem 'letzten Dreck'.
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Seitenzahl: 570
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David R. Montgomery
aus dem Englischen von Eva Walter
Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter: www.oekom.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Lektorat: Christoph Hirsch, oekom
Dreck – Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert in der Reihe ›Stoffgeschichten‹
© 2010 oekom verlag, München
Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH
Waltherstraße 29, 80337 München
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
»Dirt: The Erosion of Civilizations«
© 2007 The Regents of the University of California published by arrangement with University of California Press
Übersetzung aus dem Englischen: Eva Walter
Titelbild: Buried machinery in barn lot, Dallas,
South Dakota, May 13, 1936, © CORBIS, Foto Sloan
Alle Rechte vorbehalten
eISBN: 978-3-86581-363-3
Eine Buchreihe des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg in Kooperation mit dem oekom e.V.
Herausgegeben von Prof. Dr. Armin Reller und Dr. Jens Soentgen
Die Dinge und Materialien, mit denen wir täglich hantieren, haben oft weite Wege hinter sich, ehe sie zu uns gelangen. Ihre wechselvolle Vor geschichte wird aber im fertigen Produkt ausgeblendet. Was wir an der Kasse kaufen, präsentiert sich uns als neu und geschichtslos. Wenn man seiner Vorgeschichte nachgeht, stößt man auf Überraschendes und Er staunliches. Auch Verdrängtes und Unbewusstes taucht auf. Gerade am Leitfaden der Stoffe zeigen sich die Konflikte unserer globalisierten Welt.
Deshalb stellen die Bände der Reihe Stoffgeschichten einzelne Stoffe in den Mittelpunkt. Sie sind die oftmals widerspenstigen Helden, die eigensin ni gen Protagonisten unserer Geschichten. Ausgewählt und dargestellt werden Stoffe, die gesellschaftlich oder politisch relevant sind, Stoffe, die Geschichte schreiben oder geschrieben haben. Stoffgeschichten erzählen von den Landschaften, von den gesellschaftlichen Szenen, die jene Stoffe, mit denen wir täglich umgehen, durchquert haben. Sie berichten von den globalen Wegen, welche viele Stoffe hinter sich haben.
Dreck – Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert ist der sechste Band der Reihe. Der amerikanische Geowissenschaftler David Montgomery zeigt in diesem faszinierenden und doch beunruhigenden Buch, dass fruchtbarer Dreck – der Erdboden, der uns trägt – erschreckend knapp wird. Wir verbrauchen mit unseren landwirtschaftlichen Methoden Erde weitaus schneller als sich neue bildet. Denn überall, wo die Erde von der schützenden Vegetation entblößt ist, wird sie von Wind und Wasser abtransportiert – Krümel für Krümel. In seiner brillant erzählten Synthese aus Archäologie, Geschichte und Geologie beschreibt Montgomery den menschlichen Umgang mit fruchtbarem Dreck – vom alten Zweistromland bis zur Gegenwart. Er zeigt auch, welche Perspektiven es für einen zukunftsfähigeren Umgang mit dem Erdboden gibt – zum Beispiel durch ökologische Landwirtschaft.
Für Xena T. Dog, meine enthusiastische Feldassistentin, leidenschaftliche Empfangsdame und allerbeste Freundin – bleib immer an meiner Seite, du gutes Mädchen.
Der Boden, die dünne Haut der Erde, musste und muss alle menschliche Zivilisation tragen und ernähren. Und doch findet kaum Beachtung, dass alljährlich Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verloren gehen. Eine Einführung in die kulturelle Dimension eines Stoffes, den wir wie den letzten Dreck behandeln – obwohl er unverzichtbar ist.
Charles Darwin bezeichnete sie als die Gärtner der Natur: Dabei sind Regenwürmer nicht die einzigen Helden im lichtlosen Dunkel. In gesundem Boden blüht das Leben, er ist ein wahres Wunderwerk der Natur. Ein kleines Abc des Bodens, ein Porträt der unbekannten Welt zu unseren Füßen.
Die Erfindung des Ackerbaus revolutionierte die Welt. Doch er schuf nicht nur die Voraussetzung für den Aufstieg der Menschheit. Als die Menschen entlang großer Flusstäler sesshaft wurden, begannen auch Verbrauch und Zerstörung der Böden. Eine (Zeit-)Reise vom Zweistromland über das Alte Ägypten bis nach Fernost an die Ufer des Gelben Flusses.
Der biblische Garten Eden ist längst Geschichte. Entwaldung und Ackerbau während der griechischen und römischen Antike haben dem einst blühenden Land um das Mittelmeer schwer zugesetzt. Jenseits des Atlantiks betrieben auch die präkolumbianischen Hochkulturen Raubbau an den natürlichen Ressourcen und leiteten damit ihren eigenen Niedergang ein.
In weiten Teilen Mitteleuropas trifft der Ackerbau auf exzellente Bedingungen. Die fruchtbaren Böden ermöglichten den einzigartigen Aufstieg hoch entwickelter Kulturen und mächtiger Staaten. Aber auch die Europäer vernachlässigten die Bodenpflege, fanden jedoch in Übersee eine Lösung für ihre Ressourcenprobleme: Die Kolonien ernährten von nun an den alten Kontinent.
Auf den Sklavenplantagen der Südstaaten entstehen ab dem 17. Jahrhundert endlose Monokulturen aus Tabak und Baumwolle – mit verheerenden Folgen für die dortigen Böden. Doch die neu entdeckte Welt bietet Land im Überfluss und die Siedler ziehen weiter nach Westen. Das verschwenderische System wird zum Motor für die Erschließung des nordamerikanischen Kontinents.
Oklahoma in den 1930ern: Über weiten Teilen des Mittleren Westens herrscht eine verheerende Dürre. Der Wind trägt die fruchtbare Ackerkrume fort, die Prärie versinkt im Staub. Doch nicht nur Amerika erlebt seine Dust Bowl. In den 1960ern erntet auch die sowjetische Aralsee-Region die bitteren Früchte einer gewinnorientierten, industrialisierten Landwirtschaft.
Brache, Fruchtwechsel und Dung haben ausgedient, revolutionäre Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik lassen den Boden zur Fabrik verkommen. Die Chemie erobert die Äcker, das Haber-Bosch-Verfahren beendet das bewährte Zusammen spiel von Ackerbau und Viehzucht, der Grünen Revolution der Moderne wird der Boden bereitet. Doch es regt sich Widerstand: Pioniere alternativer Landbaukonzepte bestellen ihre Felder bodenschonend.
Inselgesellschaften verdeutlichen, dass die Erde letztlich auch nicht mehr ist als eine Oase im Weltall, die nur dank einer dünnen fruchtbaren Haut bewohnbar ist. Historische und aktuelle Beispiele aus den endlosen Weiten des Pazifiks, der Karibik und aus den unwirtlichen Breiten des Nordatlantiks zeigen, welche Wege die Inselbewohner eingeschlagen haben – Wege zwischen Nachhaltigkeit und Raubbau.
Unsere Zivilisation überlebt nur dann, wenn sie den Boden wie ein wertvolles Erbe behandelt – und nicht wie den letzten Dreck. Wie sieht die Zukunft unserer Böden aus? Wie viele Menschen kann unsere Erde (noch) ernähren? Konzepte und Ideen für eine nachhaltige Landbewirtschaftung vom pfluglosen Anbau bis zur Urbanen Landwirtschaft.
Danksagung
Literaturverzeichnis
Bildquellen
Personenregister
Was wir dem Land antun, tun wir auch uns selbst an.
Wendell Berry
An einem sonnigen Augusttag in den späten 1990ern führte ich eine Expedition den Pinatubo auf den Philippinen hinauf, um einen Fluss zu untersuchen, der infolge der gewaltigen Eruption des Vulkans im Jahr 1991 noch immer mit dampfendem Sand angefüllt war. Das Flussbett gab verhalten nach, als wir unter der gleißenden Tropensonne mühsam stromaufwärts marschierten. Plötzlich sank ich erst bis zu den Knöcheln und dann bis zu den Knien ein, um schließlich bis zur Hüfte im heißen Sand festzustecken. Während es mir in meinen hohen Stiefeln zunehmend heiß wurde, zückten meine Studenten ihre Kameras. Nachdem sie meine missliche Lage genau dokumentiert und ein wenig mit mir verhandelt hatten, zogen sie mich endlich aus dem Morast.
Man fühlt sich selten so hilflos wie wenn die Erde unter den Füßen nachgibt. Je mehr man dagegen ankämpft, umso tiefer sinkt man ein. Es geht abwärts und man kann nichts dagegen tun. Nach diesem kurzen Abtauchen in kochend heißen Treibsand fühlte sich selbst das lockere Flussbett steinhart an.
Wir denken normalerweise nicht allzu viel über den Boden unter unseren Füßen, unter unseren Häusern, Städten und Farmen nach. Erde ist eben Erde und als solche eine Selbstverständlichkeit. Doch intuitiv wissen wir, dass guter Boden mehr ist als Dreck. Gräbt man in frischer, reichhaltiger Erde, fühlt man das Leben darin. Fruchtbarer Boden ist locker und rutscht von der Schaufel. Bei genauem Hinsehen offenbart sich eine ganze Welt voller Leben, das sich an anderem Leben gütlich tut, ein biologisches Fressgelage, das Totes zu neuem Leben recycelt. Gesunder Boden hat einen betörenden, vollen Duft – es ist der Geruch des Lebens selbst.
Doch was ist Erde überhaupt? Wir versuchen, mit ihr getreu dem Motto zu verfahren, aus den Augen, aus dem Sinn, und verbannen sie nach draußen. Wir spucken auf sie, verunglimpfen sie und kratzen sie von unseren Schuhen. Was aber ist letztendlich wichtiger als sie? Alles ist von der Erde genommen und kehrt wieder zu ihr zurück. Sollte das allein noch keine Achtung vor ihr einflößen, so denke man nur daran, wie tief greifend der Einfluss von Bodenfruchtbarkeit und Bodenerosion den Lauf der Geschichte beeinflusst hat.
Als die Menschheit begann, Landwirtschaft zu betreiben, ernährten 98 Prozent derer, die das Land bearbeiteten, eine kleine herrschende Klasse, die über die Verteilung von Nahrungsmitteln und Ressourcen entschied. Heute beläuft sich der Anteil der US-amerikanischen Bevölkerung, die in der Landwirtschaft tätig ist und den Rest des Landes ernährt, auf weniger als ein Prozent (in Deutschland waren es im Jahr 2005 rund zwei Prozent – Anm. d. Übers.). Zwar ist den meisten Menschen bewusst, wie sehr wir von diesem kleinen Kreis moderner Landwirte abhängen, doch nur wenige begreifen, welch enormen Stellenwert deren Umgang mit dem Boden für die Zukunft unserer Zivilisation haben wird.
Viele alte Kulturen betrieben in ihrem Wachstumsstreben indirekten Bodenabbau, denn ihre Ackerbaumethoden beschleunigten die Erosion so sehr, dass die natürliche Bodenbildung nicht mehr Schritt halten konnte. Manche von ihnen fanden heraus, dass man etwas für den Boden tun muss, um ihn zu erhalten. Was sie alle verband, war jedoch ihre Abhängigkeit von einer ausreichenden Nachlieferung fruchtbaren Bodens. Obwohl bereits bekannt war, wie wichtig es ist, die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen, trug der Verlust von Boden von den ersten Agrargesellschaften bis hin zum antiken Griechenland und Rom zum Niedergang ganzer Kulturen bei. Später förderte er den Aufstieg des europäischen Kolonialismus und in Nordamerika die Landnahme gen Westen.
Derartige Probleme sind nicht einfach nur weit zurückliegende Geschichte. Dass die unangepasste Bewirtschaftung von Böden auch für die moderne Gesellschaft eine Bedrohung darstellt, zeigt sich in der Notlage der Umweltflüchtlinge, die in den 1930ern die Dust Bowl – die von Staubstürmen verwüsteten Teile des Mittleren Westens der Vereinigten Staaten – verlassen mussten, in der afrikanischen Sahelzone der 1970er und gegenwärtig im gesamten Amazonasbecken. Die Weltbevölkerung wächst fortwährend, doch die Fläche ertragreichen Ackerlandes nimmt seit den 1970er-Jahren ab und die Vorräte an billigen fossilen Brennstoffen zur Herstellung von Kunstdünger werden sich noch in diesem Jahrhundert erschöpfen. Sollte uns nicht anderes Unheil zuvor den Garaus machen, so wird unser Umgang mit dem doppelten Problem der Bodenerschöpfung und der verstärkten Bodenerosion schließlich das Schicksal der modernen Zivilisation bestimmen.
Die wichtige Rolle des Bodens in der Menschheitsgeschichte lehrt uns ganz einfach und deutlich: Unsere moderne Gesellschaft läuft Gefahr, die Fehler ihrer Vorgänger zu wiederholen, die letztlich zu ihrem Niedergang geführt haben. Wir leben auf Kosten der Zukunft unserer Enkel, da wir Boden schneller verbrauchen, als er sich bildet, und sind mit dem Dilemma konfrontiert, dass es gerade die langsamsten Entwicklungen sind, die man am schwierigsten aufhalten kann.
Nahezu in der gesamten bisherigen Geschichte menschlicher Kulturen spielte der Boden eine zentrale Rolle. So zählten zu den allerersten Büchern auch landwirtschaftliche Anleitungen, mittels derer bodenkundliches und landwirtschaftliches Wissen überliefert wurde. Erde ist außerdem das erste der vier von Aristoteles definierten Elemente Erde, Luft, Feuer und Wasser und als solches die Wurzel unserer Existenz und für das Leben auf unserem Planeten unentbehrlich. Wir jedoch behandeln sie wie ein billiges Industrieprodukt. Öl hingegen halten die meisten von uns für ein strategisches Gut. Und dennoch ist Boden langfristig gesehen mindestens genauso wichtig. Doch wer hält ihn schon für eine strategische Ressource? In unserem beschleunigten modernen Leben vergisst man nur zu leicht, dass fruchtbarer Boden noch immer die Grundlage darstellt, um hohe Bevölkerungszahlen erst zu ermöglichen.
Für das Entstehen von Bodenerosion und für die von ihr verursachten Probleme sind zumeist geografische Faktoren verantwortlich. In manchen Gegenden führt die landwirtschaftliche Bewirtschaftung ohne bodenerhaltende Maßnahmen rasch zu verheerendem Bodenabtrag. In anderen Regionen hingegen findet der Pflug einen beachtlichen Vorrat an unverbrauchtem Boden vor. Nur an wenigen Standorten ist die nachschaffende Kraft des Bodens so hoch, dass eine industrialisierte Landwirtschaft moderner Prägung über menschliche Zeiträume hinweg möglich ist – von geologischen Zeiträumen ganz zu schweigen. Global betrachtet ist jedoch eines gewiss: Unser Vorrat an Boden geht langsam aber sicher zur Neige.
Es sollte uns in der Tat schockieren, dass wir unserem Planeten derart zusetzen und ihm buchstäblich die Haut abziehen. Überall ist dieser Raubbau sichtbar. Wir sehen es an den braun gefärbten Fluten, die überall dort ablaufen, wo wir die Erde aufreißen und entblößen, oder an der hohen Sedimentfracht der Flüsse, die kahl geschlagene Flächen entwässern. Sichtbar ist es überall dort, wo Erosionsrinnen so breit und tief sind, dass sie von Traktoren nicht mehr durchfahren werden können und wo Mountainbikes über tiefe Furchen in unbefestigten Straßen hinwegbrettern. Ein anderer Aspekt ist die Versiegelung wertvoller Flächen, die überall dort offensichtlich ist, wo neue Vororte und Einkaufsmeilen entstehen. Dieses Problem ist also alles andere als ein Geheimnis. Erde ist der natürliche Rohstoff, den wir am geringsten würdigen und schätzen und der doch unverzichtbar ist.
Ich persönlich interessiere mich eher dafür, wie man eine Kultur erhalten kann, statt zu katalogisieren, wie verschiedene unglückliche Umstände Gesellschaften zu Fall bringen können. Als Geologe weiß ich jedoch, dass wir die Spuren, die vergangene Kulturen in ihren Böden hinterlassen haben, lesen können, um festzustellen, ob eine nachhaltige Gesellschaft überhaupt möglich ist.
1 Liegen Ackerflächen brach, hat das Wasser leichtes Spiel: Bereits bei geringsten Hangneigungen setzt Bodenerosion ein.
Historiker geben vielen Übeltätern die Schuld am Niedergang einst blühender Kulturen: Krankheit, Entwaldung und Klimawandel, um nur einige zu nennen. Zwar spielte jeder dieser Faktoren in verschiedenen Fällen eine mehr oder weniger große – manchmal dominante – Rolle, doch in der Regel lehnen Historiker und Archäologen zu Recht Theorien ab, die den Zerfall von Kulturen auf einen einzigen Faktor zurückführen. Moderne Erklärungen gehen von einem Wechselspiel von wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Einflüssen in bestimmten Regionen und zu bestimmten Zeitpunkten in der Geschichte aus. Doch das Verhältnis einer jeden Gesellschaft zu ihrem Land – also wie die Menschen mit dem Boden unter ihren Füßen umgehen – ist von grundlegender Bedeutung, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Immer wieder wurden Gesellschaften durch soziale und politische Konflikte unterminiert, sobald mehr Menschen mit Nahrung zu versorgen waren als das Land ernähren konnte. Die Geschichte legt den Schluss nahe, dass der Umgang der Menschen mit ihrem Boden über die Lebensdauer von Kulturen entscheiden kann.
Im Allgemeinen kommen und gehen Kulturen – sie entstehen, gelangen zur Blüte und erleben dann ihren Niedergang. Manche erfahren schließlich einen erneuten Aufschwung. Natürlich tragen Krieg, Politik, Entwaldung und Klimawandel zum gesellschaftlichen Zerfall bei – hierzu kam es im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder. Doch warum sollte die Lebensspanne so vieler isoliert voneinander existierender Kulturen wie der der Griechen, Römer und Maya jeweils etwa tausend Jahre betragen?
Die Gründe für den Aufstieg und den Untergang einer jeden Kultur sind offensichtlich vielschichtig. Es war nicht allein der Raubbau an der Umwelt, der den vollständigen Zerfall dieser Kulturen auslöste. Doch was ihrem Boden zustieß, schuf die Voraussetzungen dafür, dass Wirtschaft, klimatische Extreme und Krieg schließlich ihr Schicksal besiegelten. Das Römische Reich zerbröckelte eher, als dass es zerbrach, es verschwand langsam, als die Erosion die Ertragsfähigkeit seines Kerngebiets erschöpfte.
Die Geschichte vieler Kulturen folgt im Wesentlichen einem gemeinsamen Drehbuch. Zu Beginn konnte eine wachsende Bevölkerung durch die alleinige Bewirtschaftung fruchtbarer Talsohlen ernährt werden. Ab einem bestimmten Punkt war man jedoch gezwungen, auch hängiges Gelände zu bewirtschaften. Sobald der Boden durch Beseitigung der Vegetation und fortwährende Bearbeitung brach lag und damit Regen und Abfluss ausgesetzt war, erfolgte ein geologisch gesehen äußerst rascher Abtrag der Hänge. In den darauf folgenden Jahrhunderten setzten dann Nährstoffverarmung oder Bodenerosion infolge immer intensiverer Bewirtschaftung die lokale Bevölkerung unter Druck, da die Ernteerträge sanken und kein Neuland mehr verfügbar war. Schließlich führte Bodendegradation dazu, dass die wachsende Bevölkerung nicht mehr mittels Ackerbau ernährt werden konnte, wodurch ganze Kulturen gewissermaßen von vornherein zum Untergang verurteilt waren. Dass sowohl kleine, isolierte Gesellschaften als auch ausgedehnte, überregionale Imperien einem ähnlichen Skript zu folgen scheinen, deutet auf ein Phänomen fundamentaler Bedeutung hin. Da die Bodenerosion die natürliche Bodenbildung um Längen überflügelte, konnten Kulturen, die es versäumt hatten, den Boden und damit die Grundlage ihres Wohlstandes zu schützen, nicht überdauern.
Da vom Zustand des Bodens abhängt, was auf ihm wie lange angebaut werden kann, ist es notwendig, Land von Generation zu Generation nachhaltig zu bewirtschaften, um die Grundlage des Wohlstands für künftige Generationen zu erhalten. Bisher haben nur wenige menschliche Gesellschaften Kulturen hervorgebracht, die auf nachhaltiger Bodenbewirtschaftung fußten; Methoden zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit haben indes die meisten entwickelt. Wie schnell sie ihren Boden erschöpften, hing häufig mit dem Entwicklungsstand ihrer Technik zusammen. Daher ist es uns nun auch erstmals möglich, sie alle zu übertreffen. Gleichzeitig wissen wir aber, was wir tun müssen, um ihrem Beispiel nicht zu folgen.
Schätzungen des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums zufolge, gehen im Becken des Mississippi trotz beträchtlicher Fortschritte im Bereich der Bodenerhaltung jedes Jahr Millionen Tonnen fruchtbaren Oberbodens durch Erosion verloren. Jede Sekunde befördert der größte Fluss Nordamerikas eine LKW-Ladung Mutterboden in die Karibische See. Jedes Jahr verlieren die landwirtschaftlichen Betriebe in den USA enorme Mengen an Boden – besäße jede US-amerikanische Familie einen Pick-up, man könnte sie damit alle befüllen. Das ist eine gewaltige Menge Erde. Und dennoch sind die Vereinigten Staaten nicht der größte Verschwender dieses entscheidenden Rohstoffs. Schätzungen zufolge gehen weltweit jedes Jahr 24 Milliarden Tonnen Erde verloren – mehrere Tonnen pro Erdenbürger. Trotz solch enormer globaler Verluste geht Bodenerosion langsam genug vonstatten, um in einem einzelnen Menschenleben weitestgehend unbemerkt zu bleiben.
Dort, wo schon vor langem ökologischer Suizid begangen wurde, sind die Folgen der Bodendegradation für den Menschen dennoch offensichtlich. Die Sünden der Vergangenheit verdammen diese Gegenden noch heute zu bitterer Armut – eine Folge der Übernutzung und Erschöpfung ganzer Landstriche. Man denke nur an die Fernsehbilder sandgestrahlter Landschaften im heutigen Irak, die so gar nicht zu unserem Bild der Region als Wiege der Menschheit passen wollen. Seit Jahrzehnten machen Umweltflüchtlinge Schlagzeilen, die auf der Suche nach Nahrung oder fruchtbarem Land gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Selbst wenn der Mensch dem stummen Zeugnis zerstörten Landes direkt ins Auge blickt, begreift er nur selten, wie wichtig es ist, unseren Boden zu erhalten. Erst wenn die Aus wirkungen spürbar sein werden, wenn die Nahrung beginnt, knapp zu werden, wird sich zeigen, wie tragfähig unsere Zivilisation sein wird, oder ob das, was wir Kultur nennen, letztlich nur eine dünne Fassade ist, die in Zeiten der Not auf dem Spiel steht.
Für uns, die wir in den Industrieländern leben, zerstreut schon ein kurzer Besuch im Lebensmittelladen alle Ängste vor einer baldigen Krise. Zwei technische Innovationen – die Genmanipulation von Kulturpflanzen und die Aufrechterhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch Kunstdünger – führten dazu, dass Weizen, Reis, Mais und Gerste zu den vorherrschenden Pflanzen auf der Erde wurden. Diese vier einst seltenen Pflanzen wachsen nun in Monokulturen auf riesigen Flächen, die über eine halbe Milliarde Hektar bedecken – doppelt so viel wie die gesamte Waldfläche der USA, Alaska inklusive. Doch wie sicher ist die Basis der modernen industriellen Landwirtschaft?
2 Bodenerosion ist die größte Bedrohung für unsere Böden; insbesondere in den Steppen und Trockensavannen ist die Bodendecke stark degradiert.
Landwirte, Politiker und Umwelthistoriker verwenden den Begriff der Bodenmüdigkeit zur Beschreibung eines weiten Spektrums von Sachverhalten. Eigentlich bezieht sich der Ausdruck auf jenes Endstadium sinkender Bodenerträge, in dem Kulturland keine ausreichende Ernte mehr gewährleistet. Doch wann ist eine Ernte »ausreichend« und wann nicht? Hier gehen die Meinungen stark auseinander. Die einen definieren einen Zustand als nicht mehr »ausreichend«, wenn sich der Eigenbedarf nicht mehr decken lässt, die anderen verstehen darunter, dass es in diesem Fall gewinnträchtiger ist, neues Land urbar zu machen als alte Felder weiter zu bestellen. Demzufolge ist es notwendig, Bodenmüdigkeit im Kontext sozialer Faktoren, der Wirtschaft und der Verfügbarkeit von Neuland zu interpretieren.
Diverse soziale, kulturelle und ökonomische Einflussgrößen determinieren den Umgang einer Gesellschaft mit ihrem Land. Umgekehrt beeinflusst die Art und Weise, wie die Menschen auf dem Lande wirtschaften, wiederum die Gesellschaft. Ein Feld Jahr für Jahr ohne wirksame Bodenschutzmaßnahmen zu bestellen ist, als betreibe man eine Fabrik mit voller Kraft, ohne in Wartung und Reparatur zu investieren. Eine gute Bewirtschaftung kann Ackerboden ebenso sicher verbessern wie eine schlechte Bewirtschaftung ihn zerstören kann. Boden ist eine Generationen überschreitende Ressource, natürliches Kapital, das geschützt oder vergeudet werden kann. Da nur wenige Dezimeter Boden zwischen Gedeih und Verderb liegen, verschwinden Kulturen, die Raubbau an ihrem Boden betreiben.
Als Geomorphologe beschäftige ich mich mit dem Relief der Erde und mit der Veränderung von Landschaften in geologischen Zeiträumen. Meine Ausbildung und Erfahrung haben mich gelehrt, dass Aufbau und Mächtigkeit von Böden ein Resultat des Zusammenwirkens von Klima, Vegetation, Geologie und Topografie sind; es sind diese Faktoren, die letztlich über die Ertragsfähigkeit eines Bodens entscheiden. Will man landwirtschaftliche Systeme erhalten, so ist es unerlässlich zu begreifen, wie sich menschliches Handeln auf den Boden auswirkt, und wie wir unsere Umwelt und die biologische Produktivität allen Lebens auf der Erde beeinflussen. Meine Forschungsreisen, auf denen ich mich mit Landschaften und ihrer Entstehung beschäftigte, haben mich gelehrt, wie wichtig es für die künftige Entwicklung der Menschheit sein kann, dass wir dem Boden die ihm gebührende Achtung entgegenbringen.
Die moderne Gesellschaft gibt sich gern dem Glauben hin, die Technik fände schon eine Lösung für nahezu jedes beliebige Problem. Doch wie sehr wir der Technik auch zutrauen, unser Leben verbessern zu können, sie bietet ganz bestimmt keine Lösung für das Problem, dass wir eine Ressource schneller verbrauchen, als wir sie erzeugen – eines Tages wird sie schlichtweg aufgebraucht sein. Die immer stärker verwobene Weltwirtschaft und die wachsende Weltbevölkerung machen den sparsamen Umgang mit Boden wichtiger als je zuvor in der Geschichte. Wenn wir unsere Erde nicht achtsamer bewirtschaften, werden unsere Nachkommen in gravierende Konflikte um unsere grundlegendste Ressource verstrickt werden – ob diese nun wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Natur sein werden, ist dabei offen.
Wie viel Boden zur Ernährung einer menschlichen Gesellschaft nötig ist, hängt von der Größe der Bevölkerung, der natürlichen Ertragsfähigkeit des Bodens und von den zum Anbau von Nahrungsmitteln verwendeten Methoden sowie der dabei eingesetzten Technik ab.
Zwar können moderne landwirtschaftliche Betriebe eine gewaltige Anzahl von Menschen ernähren, doch es muss dennoch für jede einzelne Person eine gewisse Menge fruchtbaren Bodens zur Verfügung stehen. Diese simple Tatsache macht deutlich, dass die Lebensdauer einer jeden Kultur maßgeblich vom Erhalt ihres Bodens abhängt.
Das Potenzial einer Landschaft, Menschen zu ernähren, beruht sowohl auf der physischen Ausstattung der Umwelt – Böden, Klima und Vegetation – als auch auf der zur Verfügung stehenden Agrartechnik sowie den Anbaumethoden. Eine Gesellschaft, die sich den Grenzen ihres jeweils spezifischen Bezugssystems zwischen Mensch und Umwelt nähert, wird zunehmend anfällig gegenüber Störfaktoren wie Invasionen oder Klimawandel. Bedauerlicherweise sind Gesellschaften, die an ihre ökologischen Grenzen gelangen, auch häufig dem Druck ausgesetzt, kurzfristig ihre Ernte maxi mieren zu müssen, um die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen. Dem Schutz des Bodens wird dann zumeist kaum noch Aufmerksamkeit zuteil.
Böden statten uns gewissermaßen mit einem geologischen Rückspiegel aus, der die Bedeutung der guten alten Erde während der Kulturen des Altertums und bis in unsere gegenwärtige digitale Gesellschaft hinein aufzeigt. Diese Geschichte verdeutlicht, dass das Überleben einer Industriegesellschaft ebenso sehr von Maßnahmen der Bodenkonservierung und des sparsamen Umgangs mit ihm abhängen wird wie von technischen Innovationen. Der Mensch ist dabei, den Planeten langsam umzugestalten. Er bewegt dabei mehr Erde als dies alle anderen biologischen oder geologischen Prozesse vermögen.
Lässt man gesunden Menschenverstand und Einsicht walten, so ist es möglich, aus den Erfahrungen der Vergangenheit Lehren zu ziehen. Kulturen verschwinden nicht von heute auf morgen. Sie entscheiden sich nicht für ein Scheitern. Es ist häufig vielmehr so, dass sie ins Wanken geraten und dann ihren Niedergang erleben, da ihr Boden über Generationen hinweg verschwindet. Zwar neigen Historiker dazu, den Untergang von Kulturen einzelnen Ereignissen wie Klimaveränderungen, Kriegen oder Naturkatastrophen zuzuschreiben, doch die Auswirkungen, die Bodenerosion auf Gesellschaften des Altertums hatte, waren tief greifend. Machen Sie sich selbst ein Bild und begegnen Sie der Erde dort draußen mit offenen Augen.
Wir wissen mehr über die Bewegung der Himmelsgestirne als über den Boden unter unseren Füßen.
Leonardo da Vinci
Charles Darwins letztes Buch erhielt lange nicht so viel Aufmerksamkeit wie sein Hauptwerk über die Entstehung der Arten. Es erschien 1882, ein Jahr vor seinem Tod, und widmete sich der Bildung von Ackererde durch die Tätigkeit von Regenwürmern. In diesem letzten Werk dokumentiert Darwin Beobachtungen eines ganzen Lebens, die man für belanglos halten könnte. Oder hatte er etwas für unsere Welt Grundlegendes entdeckt – etwas, von dessen Wichtigkeit er derart überzeugt war, dass er es in seinen letzten Tagen unbedingt für die Nachwelt festhalten wollte? Einige Kritiker hielten Darwins Buch über die Regenwürmer für das seltsame Werk eines alternden Mannes. Es beschreibt, wie die Erde zu unseren Füßen den Verdauungsapparat von Würmern durchläuft und wie diese die englische Landschaft formten.
Die ersten Erkenntnisse über die Prozesse, die Regenwürmern geologische Bedeutung verleihen, erlangte Darwin auf seinen eigenen Feldern. Bald nachdem er von seiner Weltumsegelung heimgekehrt war fiel dem berühmten Gentleman, der sich nebenbei auch als Landwirt betätigte, etwas auf: Eine vor Jahren auf seinen Feldern ausgebrachte Schicht Asche war buchstäblich vom Erdboden verschwunden, überdeckt von einer Schicht feinster Erde. Wie war das zu erklären? Wie konnte die einst an der Oberfläche befindliche Ascheschicht im Boden verschwinden? Auf den Feldern war seit seiner Abfahrt nichts geschehen; weder wurde Vieh darauf gehalten, noch wurde auf den Flächen irgendetwas angebaut.
Die einzige plausibel erscheinende Erklärung war geradezu grotesk. Jahr für Jahr förderten Regenwürmer kleine Haufen feinen Materials an die Oberfläche. War es wirklich möglich, dass Würmer seine Felder umpflügten? Fasziniert machte er sich daran herauszufinden, ob Regenwürmer tatsächlich Boden erneuern, ja sogar erschaffen können. Manche seiner Zeitgenossen hielten ihn für verrückt – für einen Narren, besessen von der Vorstellung, das Werk von Würmern könne zu irgendetwas gut sein.
Unbeirrt sammelte und wog Darwin Wurmlosung, um beurteilen zu können, wie viel Erde englische Regenwürmer durch die Landschaft bewegen konnten. Mithilfe seiner Söhne untersuchte er, wie schnell die Ruinen alter Gebäude unter Erdreich verschwanden, nachdem man sie aufgegeben hatte. Was seinen Freunden jedoch besonders seltsam erschien war, dass er begann, Würmer in seinem Wohnzimmer zu halten. In geeigneten Gefäßen aufbewahrt, studierte er deren Gewohnheiten, experimentierte mit ihrer Ernährung und maß, wie schnell sie aus Laub, Asche oder Abfällen fruchtbaren Boden herstellen konnten. Schließlich schlussfolgerte er, »dass die ganze Ackererde über das ganze Land hin schon viele Male durch die Verdauungskanäle der Würmer gegangen ist und noch viele Male durchgehen wird« (Darwin 1881, S. 4). Es ist ein ziemlich großer Sprung von seiner Vermutung, die Würmer hätten seine Felder gepflügt, hin zu dem Verdacht, sie verdauten regelmäßig Englands gesamten Boden. Doch was brachte ihn zu dieser unkonventionellen Annahme?
Es war vor allem eine Beobachtung, die Darwin in diese Richtung denken ließ. Nachdem eines seiner Felder 1841 letztmalig gepflügt worden war, war es von Steinen übersät. Er erinnerte sich noch daran, dass diese Steine ein lautes, charakteristisches Geräusch verursachten als seine damals noch jungen Söhne den Hang des Feldes hinab liefen. Doch 1871, nachdem das Feld dreißig Jahre lang brach gelegen hatte, konnte ein Pferd darüber hinweg galoppieren, ohne auf einen einzigen Stein zu stoßen. Was war mit all diesen klappernden Steinen geschehen?
Fasziniert zog Darwin einen kleinen Graben durch das Feld. Und wirklich: Unter wenigen Zentimetern jungfräulicher Erde lag eine Steinschicht, identisch mit jener, die damals die Oberfläche bedeckt hatte. Dasselbe war Jahrzehnte zuvor der Asche widerfahren. Über die Jahre hatte sich neuer Oberboden gebildet – dank des Fleißes unzähliger Regenwürmer, wie Darwin vermutete.
Um festzustellen, ob seine Felder irgendwie aus dem Rahmen fielen, beauftragte er seine nun erwachsenen Söhne zu untersuchen, wie schnell die Fußböden und Fundamente Jahrhunderte zuvor verlassener Gebäude unter neuem Boden begraben wurden. Darwins Kundschafter berichteten, Arbeiter seien in Surrey 75 Zentimeter unter der Erdoberfläche auf kleine rote Fliesen gestoßen, die charakteristisch für römische Villen seien. Münzfunde aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert belegten, dass die Villa mehr als eintausend Jahre zuvor verlassen worden war. Da diese Ruine von einer 15 bis 30 Zentimeter mächtigen Bodenschicht bedeckt war, schloss man auf eine Bodenbildungsrate von ein bis zweieinhalb Zentimetern pro Jahrhundert. Darwins Felder waren also nichts Besonderes. Beobachtungen an anderen Ruinen stützten Darwins Überzeugung, dass Regenwürmer die englische Landschaft umgruben und durchpflügten. Im Jahr 1872 registrierte Darwins Sohn William, dass der Fußboden im Kirchenschiff der Beaulieu-Abtei, die während des Krieges Heinrich des VIII. gegen die katholische Kirche zerstört worden war, mittlerweile unter einer 15 bis 30 Zentimeter mächtigen Erdschicht begraben lag. Die Ruinen einer anderen großen römischen Villa in Gloucestershire lagen über Jahrhunderte im Verborgenen, 60 bis 90 Zentimeter tief unter dem Waldboden, bis ein Wildhüter darauf stieß, als er an einem Kaninchenbau grub. Die Betondecke der römischen Stadt Uriconium lag ebenfalls unter ei nem halben Meter Boden. Diese begrabenen Ruinen belegten, dass die Bildung von dreißig Zentimetern Oberboden Jahrhunderte in Anspruch nahm. Aber waren Regenwürmer dieser Aufgabe tatsächlich gewachsen?
Darwin sammelte und wog Wurmlosung an diversen Orten und kam zu dem Ergebnis, dass Regenwürmer jährlich zwischen 25 und 50 Tonnen pro Hektar, aufwärts beförderten. In einer gleichmäßigen Schicht über das Land verteilt, würde diese Erde jedes Jahr zwischen 0,2 und 0,6 Zentimetern aufwachsen. Um das Phänomen begrabener römischer Ruinen zu erklären, waren diese Befunde mehr als ausreichend. Und sie deckten sich in etwa mit der Geschwindigkeit der Bodenbildung, die er mittels des, wie seine Kinder es nannten, »steinigen Feldes« hergeleitet hatte. Indem Darwin auf seinen eigenen Feldern die Augen offen hielt und Grabungen vornahm, Fußböden alter Gebäude freilegte und Wurmlosung aus wog, fand Darwin heraus, dass Regenwürmer maßgeblich an der Bildung von Boden beteiligt sind.
1 Charles Darwin (hier eine Darstel lung aus dem Jahr 1880) widmete sich in seinem Alterswerk intensiv dem Studium von Regenwürmern.
2 Das Bild unten zeigt einen »thurmartigen Excrementhaufen, wahr schein lich von einer Spezies von Perichaeta aus geworfen, aus dem botanischen Garten in Calcutta«. (Darwin 1882)
Doch wie genau ging dies vor sich? In den Terrarien, die er von nun an auch noch in seinem beengten Wohnzimmer untergebracht hatte, beobachtete Darwin, wie Würmer organische Substanz in den Boden einarbeiteten. Er kam auf eine große Anzahl von Blättern, die seine neuen Haustiere verspeisten oder als Dämmmaterial in ihre Gänge zogen. Indem sie Blätter zerkleinerten und mit deren Verdauung begannen, sorgten die Würmer für eine innige Vermischung organischer Substanzen mit feiner Erde.
Darwin stellte fest, dass Würmer nicht nur Blätter zermahlen, sondern auch kleine Steine zu Mineralerde zersetzen. Beim Sezieren der Muskel mägen der Würmer stieß er nahezu jedes Mal auf kleine Steine und Sandkörner. Er fand heraus, dass die Magensäure der Regenwürmer den in Böden gefundenen Huminsäuren entsprachen und verglich ihr Verdauungsvermögen mit der Fähigkeit von Pflanzenwurzeln, im Laufe der Zeit selbst den härtesten Stein zu zersetzen. Würmer schienen zur Bodenbildung beizu tragen, indem sie Material aus frischen Steinen langsam durchpflügten, zersetzten und es mit aufbereiteter organischer Substanz vermischten.
Darwin entdeckte, dass Würmer nicht nur bei der Bodenbildung mitwirken, sondern auch an seiner Umverteilung und Bewegung. Wann immer er nach einem heftigen Regenguss auf seinem Grundstück umherstreifte, fielen ihm immer wieder große Mengen Regenwurmkot auf. Sorgfältig sammelte, wog und verglich er die Menge des Kots an den Wurmgängen und stellte fest, dass hangabwärts doppelt so viel Material landete. Von Würmern zutage gefördertes Material bewegte sich im Durchschnitt fünf Zentimeter den Hang hinab. Durch ihre schlichte, grabende Tätigkeit verstärkten Würmer den Materialversatz am Hang. Auf der Grundlage seiner Messungen berechnete Darwin, dass an einem durchschnittlichen englischen Hang pro Meter jedes Jahr etwa ein halbes Kilogramm Boden hangabwärts wanderte. Hieraus schloss er, dass sich die gesamte Grasnarbe Englands langsam die Hänge hinab bewegte, als ein sichtbares Zeichen der Arbeit einer Armada von Würmern, die sich im Verborgenen daran machten, den Boden aufzubereiten. Englische und schottische Würmer bewegten jedes Jahr insgesamt fast eine halbe Milliarde Tonnen Erde. Darwin maß Würmern daher eine wesentliche, gestaltende Kraft zu, die imstande war, Land über Millionen von Jahren umzuformen. Da er begriff, welche Rolle Regenwürmer bei der Bodenbildung spielten, hielt er sie für die Gärtner der Natur.
»Wenn wir eine weite mit Rasen bedeckte Fläche betrachten, so müssen wir dessen eingedenk sein, dass ihre Glätte, auf welcher ihre Schönheit in einem so hohen Grade beruht, hauptsächlich dem zuzuschreiben ist, dass alle die Ungleichheiten langsam von den Regenwürmern geebnet worden sind. Es ist wunderbar, wenn wir uns überlegen, dass die ganze Masse des oberflächlichen Humus durch die Körper der Regenwürmer hindurchgegangen ist und alle paar Jahre wiederum durch sie hindurchgehen wird. Der Pflug ist eine der allerältesten und wertvollsten Erfindungen des Menschen; aber schon lange ehe er existierte, wurde das Land durch Regenwürmer regelmäßig gepflügt und wird fortdauernd noch immer gepflügt. Man darf wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutungsvolle Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben wie diese niedrig organisierten Geschöpfe.« (Darwin 1881, S. 313)
Jüngere mikroskopische Untersuchungen der Bodenstruktur im südöstlichen Schottland und auf den Shetland-Inseln bestätigen Darwins Vermutungen. Die Ackerkrume auf seit Jahrhunderten stillgelegten Flächen besteht nahezu ausschließlich aus Wurmexkrementen und Gesteinsfragmenten. Wie Darwin vermutete, benötigen Regenwürmer nur ein paar Jahrhunderte, um den Boden nachhaltig umzugraben.
Darwin war der Ansicht, dass die Bodendecke das Resultat eines ausbalancierten Gleichgewichts darstellt, eines Gleichgewichts aus Abtragung an der Erdoberfläche und zeitgleicher Aufbereitung des Ausgangsgesteins durch Verwitterung. Er glaubte, der Boden verändere sich ständig und bleibe doch immer der gleiche. Durch seine Beobachtungen an Regenwürmern erkannte er, welcher Dynamik die dünne Bodendecke der Erde unterliegt. In den letzten Jahren seines Lebens stieß Darwin die Tür zur modernen Wahrnehmung des Bodens als der Haut der Erde ein Stück weiter auf.
Darwins Vorstellung vom Boden als einem dynamischen Übergang zwischen Gestein und Leben reichte so weit, dass er einen Zusammenhang zwischen seiner Mächtigkeit und den örtlichen Umweltbedingungen herstellte. Er beschrieb, wie eine zunehmend mächtigere Bodendecke das darunter liegende Gestein in immer stärkerem Maße vor der Tätigkeit der Würmer schützt, deren Aktivität lediglich bis in einige Dezimeter Tiefe reicht. Ebenso beobachtete Darwin, dass die von den Regenwürmern in die Erde eingebrachten Huminsäuren abgebaut werden, noch bevor sie tief in den Untergrund eindringen können. Er schlussfolgerte, dass ein mächtiger Boden Gestein vor extremen Temperaturschwankungen und Frostverwitterung schützt. Boden nimmt solange an Mächtigkeit zu, bis sich ein Gleichgewicht zwischen Bodenerosion und Bildung neuen Bodens aus frischem Gestein eingestellt hat.
Hier lag Darwin richtig. Boden ist ein dynamisches System, das auf veränderte Umweltbedingungen reagiert. Wird mehr Boden gebildet als abgetragen, gewinnt er an Mächtigkeit. Darwin erkannte auch, dass die Geschwindigkeit der Bodenbildung ab einer bestimmten Mächtigkeit sinkt, da die bodenbildenden Prozesse das frische Gestein nicht mehr erreichen. Umgekehrt erhält die Verwitterung durch das Entblößen einer Landschaft neue Angriffsfläche auf dem ungeschützten Gestein, wodurch sich die Bodenbildung entweder beschleunigt oder völlig zum Erliegen kommt – je nachdem wie gut Pflanzen auf dem Gestein Fuß fassen können.
Vorausgesetzt es steht genügend Zeit zur Verfügung, strebt jeder Boden einem Gleichgewicht zwischen Bodenerosion und der Bodenbildung durch Verwitterung entgegen. Aus diesem Grunde entwickelt sich in einer bestimmten Landschaft unter bestimmten Umweltbedingungen eine charakteristische Bodenmächtigkeit. Boden, Landschaft und ganze Pflanzengesellschaften entwickeln sich nicht isoliert voneinander, sie sind alle vom Gleichgewicht zwischen Bodenerosion und Bodenbildung abhängig.
Solche Wechselbeziehungen manifestieren sich sogar in der Form der Landschaft. Kahle, schroffe Hänge sind für aride, also trockene Regionen charakteristisch, in denen Sommergewitter fortwährend mehr Boden entfernen als neu entstehen kann. In feuchteren Regionen, in denen die Bodenbildung mit der Erosion mithält, spiegeln sich in der abgerundeten Form der Hügel nicht etwa die Eigenschaften des darunter befindlichen Gesteins, sondern die des Bodens. Während aride Landschaften, in denen die Bodenbildung reduziert abläuft, also in der Regel schroffe Hänge aufweisen, sind für humide und feucht-tropische Landschaften sanfte Hügel charakteristisch.
Darwins Regenwurmforschung war zwar offensichtlich bahnbrechend, doch er wusste längst nicht alles über Erosion. Auf der Grundlage der Sedimentfracht des Mississippi errechnete er, dass sich die Appalachen innerhalb von viereinhalb Millionen Jahren zu einer flachen Ebene entwickeln würden, vorausgesetzt, es fände keine Hebung statt. Heute wissen wir, dass die Appalachen seit über 100 Millionen Jahren existieren. Sie sind geologisch inaktiv, es findet also keine weitere Hebung statt, sodass sie seit der Zeit der Dinosaurier der Erosion ausgesetzt sind. Darwin unterschätzte also die zum Abtrag eines Gebirges benötigte Zeit gewaltig. Wie kam es, dass er hier so stark daneben lag?
Darwin und seine Zeitgenossen wussten nichts von Isostasie – dem Prozess, bei dem die Abtragung großer Gesteinsmassen eine parallele Hebung der Erdkruste an eben dieser Stelle zur Folge hat. Diese Theorie setzte sich erst Jahrzehnte nach seinem Tod in Geologenkreisen durch. Heute ist Isostasie ein allgemein anerkanntes Phänomen. Das Konzept besagt, dass Erosion nicht nur Einebnung und Massenverlust bedeutet, sondern dass der Höhenverlust nahezu wieder ausgeglichen wird, indem sich die entlastete Erdkruste hebt.
Zwar scheint Isostasie dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen, weil wir uns Erosion als eine Kraft vorstellen, die eine Abtragung der Erdoberfläche verursacht, doch sie ergibt durchaus Sinn, wenn wir uns tiefer hinab begeben. Kontinente bestehen aus relativ leichtem Gestein, das auf dem dichteren Erdmantel »schwimmt«. Wie bei einem Eisberg im Meer oder einem Eiswürfel in einem Glas Wasser befindet sich der größte Teil eines Kontinents im Wasser, also unterhalb des Meeresspiegels. Sobald an der Spitze des schwimmenden Eises etwas abschmilzt, steigt der verbliebene Rest weiter nach oben. Ebenso können die Wurzeln eines Kontinents mehr als 80 Kilometer weit in die Erde hineinreichen, bevor sie auf das dichtere Gestein des Erdmantels stoßen. Kommt es innerhalb einer Landschaft zu Bodenabtrag, steigt frisches Gestein auf und gleicht den durch die Erosion verursachten Masseverlust aus. Tatsächlich sinkt die Landoberfläche lediglich um fünf Zentimeter, wenn 30 Zentimeter Gestein erodieren, da bei einem Abtrag dieser Dimension 25 Zentimeter neuen Gesteins von unten nachrücken. Isostasie sorgt für frisches Gestein, aus dem sich neuer Boden bilden kann.
Boden trägt nicht nur zur Formung der Landschaft bei, er stellt auch eine wichtige Nährstoffquelle dar, die Pflanzen gedeihen lässt und mittels derer Sauerstoff und Wasser bereitgestellt und gespeichert werden. Intakter Boden ist wie ein Katalysator, der es Pflanzen ermöglicht, Sonnenlicht einzufangen und Sonnenenergie und Kohlendioxid in Kohlenhydrate umzuwandeln, die das Leben auf der Erde über die ganze Nahrungskette mit Energie versorgen.
Pflanzen benötigen Stickstoff, Kalium, Phosphor und eine Reihe weiterer Nährelemente. Einige, zum Beispiel Calcium oder Natrium, sind weit verbreitet und daher meistens in ausreichender Menge vorhanden. Andere, wie Kobalt, sind recht selten, aber dennoch lebenswichtig; derartige Spurennährelemente wirken oftmals limitierend auf das Pflanzenwachstum. Dieselben Prozesse, die Böden entstehen lassen, sorgen auch dafür, dass Nährstoffe Ökosysteme durchlaufen; indirekt schaffen sie damit erst die Grundlage dafür, dass Tiere und Pflanzen einen geeigneten Lebensraum vorfinden. Schließlich beschränkt die Verfügbarkeit von Bodennährstoffen die Produktivität von terrestrischen Ökosystemen. Das gesamte biologische Unternehmen allen Lebens außerhalb der Weltmeere ist abhängig von den Nährstoffen, die der Boden produziert und speichert. Sie zirkulieren durch das jeweilige Ökosystem, wandern vom Boden zu den Pflanzen, zu den Tieren und wieder in den Boden zurück.
Die Geschichte des Lebens ist untrennbar mit der Geschichte des Bodens verbunden. Zu Beginn der Erdgeschichte bedeckte nacktes Gestein das Land. Regenwasser sickerte in unfruchtbaren Grund, löste langsam Elemente aus oberflächennahem Material und wandelte die gesteinsbildenden Minerale so in Tone um. Wasser sickerte langsam durch die Böden, verlagerte einen Teil der neu gebildeten Tone und ließ so erste Mineralböden entstehen. Der äl teste fossile Boden ist älter als drei Milliarden Jahre und damit fast so alt wie das älteste Sedimentgestein, ja wahrscheinlich sogar wie das Land selbst. Tonbildung scheint zu Beginn der Bodenbildung eine dominante Rolle gespielt zu haben, denn die ältesten fossilen Böden sind außergewöhnlich reich an Kalium (einem wichtigen Bestandteil der Tonminerale – Anm. d. Übers.), da keine Pflanzen existierten, die Nährstoffe aus den Tonen entnahmen.
Einige Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass Tonmineralen eine Schlüsselrolle in der Evolution des Lebens zukam. Ihre hochreaktiven Oberflächen dienten dieser Theorie zufolge organischen Molekülen als geeignetes Substrat, um sich zu lebenden Organismen zusammenzuschließen. Die fossi le Überlieferung von Leben in marinen Sedimenten reicht etwa so weit in die Zeit zurück wie der älteste bekannte Boden. Womöglich ist es kein Zufall, dass die Bildung von Guanin und Cytosin (zwei von vier Hauptbasen der DNA) in tonreichen Lösungen stattfindet. Ob die Tonbildung durch Gesteinsverwitterung nun dazu beitrug, Leben in Gang zu setzen, sei dahin gestellt. Außer Frage steht jedoch, dass die Evolution der ersten Böden einen maßgeblichen Beitrag zur Bewohnbarkeit der Erde für höher entwickeltes Leben leistete.
Vor vier Milliarden Jahren war die Erdoberfläche so heiß, dass sie fast kochte. Die ersten Bakterien waren enge Verwandte derjenigen Bakterienkolonien, die noch heute im Yellowstone-Nationalpark anzutreffen sind und die spektakulären Thermalquellen besiedeln. Glücklicherweise fachte der Aufstieg und die rege Entfaltung dieser hitzeliebenden Bakterien die Verwitterungsraten stark genug an, sodass im Schutz dichter Bakterienteppiche einfache Böden aus dem Gestein entstehen konnten. Weil sie der Atmosphäre Kohlendioxid entzogen, kühlte der Planet Erde um 30 bis 45 Grad Celsius ab – eine Art umgekehrter Treibhauseffekt. Hätte es diese bodenbildenden Bakterien nicht gegeben, wäre die Erde im Grunde unbewohnbar.
Erst durch die Evolution von Böden war der Landgang von Pflanzen möglich. Vor etwa 350 Millionen Jahren breiteten sich erste Pflanzen in Deltas und in küstennahen Flussunterläufen aus, wohin das fließende Wasser das von den kahlen Hochländern abgetragene, frische Material transportierte und als Schlamm ablagerte. Sobald es den Pflanzen gelang, die begleitenden Hänge zu besiedeln und mit ihren Wurzeln Gesteinsbruchstücke und organische Substanz zusammenzuhalten, beförderte dieser primitive Urboden die Gesteinszersetzung und somit die weitere Bodenentwicklung. Aufgrund der Atmungsaktivität der Wurzeln und Mikroorganismen stieg die Kohlendioxidkonzentration auf das Zehn- bis Hundertfache der atmosphärischen Konzentration und durch Reaktion mit Bodenwasser entstand die schwach saure Kohlensäure. Dadurch kam es unter Böden mit einer Vegetationsdecke zu einem sehr viel intensiveren Gesteinszersatz als auf vegetationslosem, entblößtem Oberflächengestein. Durch die Evolution der Pflanzen beschleunigte sich die Bodenbildung, wodurch wiederum Böden entstanden, die einer größeren Anzahl von Pflanzen als Nahrungsquelle dienen konnten.
Als sich organische Substanz im Boden anzureichern begann, die das Wachstum weiterer Pflanzen förderte, stellte sich ein selbstverstärkender Prozess ein, der fruchtbarere Böden entstehen ließ, auf denen wiederum noch mehr Pflanzen gedeihen konnten. Seitdem erhält sich humusreicher Oberboden quasi selbst, indem er Pflanzengesellschaften nährt, die ihrerseits organische Stoffe in ihn zurückfließen lassen. Im Verlauf der Zeit wurden die Pflanzen immer größer und auch zahlreicher, sie reicherten die Böden immer mehr mit sich zersetzender organischer Substanz an und boten mehr Tieren Nahrung, die nach ihrem Tod ebenfalls Nährstoffe an den Boden zurückgaben. Zwar kam es hin und wieder zu Massensterben, doch Leben und Böden wuchsen symbiotisch und diversifizierten sich infolge klimatischer Veränderungen und einer veränderten Anordnung der Kontinente.
Da Böden den Kreislauf des Lebens schließen, indem sie organische Substanz abbauen und recyceln und so ihre Fähigkeit, Pflanzen zu ernähren, immer wieder aufs Neue entwickeln, fungieren sie als eine Art Filter und Transformator, der totes Material abbaut und in neue Nährstoffe für neues Leben umwandelt. Boden ist das Verbindungsglied zwischen dem Gestein, aus dem unser Planet besteht, und den Pflanzen und Tieren, die von Sonnenlicht und gesteinsbürtigen Nährstoffen leben. Pflanzen entnehmen Kohlenstoff direkt aus der Luft und Wasser aus dem Boden, doch wie in einer Fabrik hat ein Mangel an notwendigen Stoffen auch im Boden eine Begrenzung der Produktivität zur Folge.
Im Allgemeinen regulieren drei Elemente – Stickstoff, Kalium und Phosphor – das Pflanzenwachstum und bestimmen die Produktivität ganzer Ökosysteme. In der Gesamtschau reguliert der Boden die Überführung von Elementen aus dem Erdinneren in die umgebende Atmosphäre. Leben benötigt Erosion. Sie ist es, die den Boden immer wieder auffrischt – nur darf sie eben nicht so schnell voranschreiten, dass sie alles Leben mit sich reißt.
Boden stellt eine Grundvoraussetzung für Leben auf unserem Planeten dar – und das Leben selbst lässt wiederum Boden entstehen. Darwins Schätzungen zufolge leben fast 450 Kilogramm Regenwürmer in einem Hektar guten englischen Bodens. In fruchtbaren Oberböden tummeln sich außerdem Mikroorganismen, die den Pflanzen dabei behilflich sind, Nährstoffe aus organischer Substanz und Mineralböden frei zu setzen. In einer Handvoll Erde können sich Milliarden von Kleinstlebewesen tummeln. Allein ein Pfund fruchtbarer Erde beherbergt mehr Organismen als die gesamte Erde Menschen trägt. Das scheint schwer vorstellbar, wenn man gerade in der übervollen Tokioter U-Bahn eingezwängt ist oder versucht, sich durch die Straßen von Kalkutta oder die New Yorker Innenstadt zu kämpfen. Und doch basiert unsere Wirklichkeit auf der unsichtbaren Welt der Mikroorganismen und hängt in vielerlei Beziehung von ihr ab. Sie beschleunigen die Freisetzung von Nährstoffen und die Zersetzung organischer Substanz und machen das Land dadurch erst für Pflanzen und Menschen bewohnbar.
Im Boden lebende Organismen bleiben dem Auge zwar meist verborgen, leisten jedoch einen enormen Beitrag zur Artenvielfalt terrestrischer Ökosysteme. Pflanzen versorgen Bodenlebewesen mit abgestorbenen Pflanzenresten und Tiere mit Energie. Bodenorganismen stellen den Pflanzen im Gegenzug Nährstoffe zur Verfügung, indem sie die Gesteinsverwitterung und den Abbau organischer Substanz beschleunigen. Unter bestimmten Pflanzengesellschaften entstehen einzigartige Lebensgemeinschaften von Bodenorganismen.Veränderungen dieser Pflanzengesellschaften ziehen daher auch Veränderungen der Bodenorganismen nach sich, was sich auf die Bodenfruchtbarkeit auswirken kann. Diese beeinflusst wiederum das Pflanzenwachstum.
3 Im Boden steckt Leben: Allein die obersten 30 cm enthalten Milliarden Organismen – die meisten davon sind für uns unsichtbar.
Noch hat der Mensch nicht alle Lebewesen beschrieben, die in natürlichen Böden vorkommen. Doch Böden und die sie bevölkernden Bodenlebewesen sorgen für sauberes Trinkwasser, recyceln tote Substanz zu neuem Leben, versorgen Pflanzen mit Nährstoffen, fungieren als Kohlenstoffspeicher und beseitigen sogar Abfälle und Schadstoffe – und bringen auch noch fast alle unsere Nahrungsmittel hervor.
Auch wenn Bodenlebewesen unseren Blicken und unserem Bewusstsein verborgen sind, können sie durch landwirtschaftliche Verfahren stark beeinträchtigt werden. Durch Bodenbearbeitung können große Bodentiere getötet und die Anzahl der Regenwürmer reduziert werden. Pestizide können Mikroorganismen abtöten. Konventionelle Monokulturbewirtschaftung mit ihren kurzen Anbauzyklen kann die Artenvielfalt, Populationsdichte und Aktivität der nützlichen Bodenfauna herabsetzen und indirekt die Ausbreitung von bodenbürtigen Viren, Krankheitserregern und Schadinsekten fördern. Im Allgemeinen sind sogenannte alternative Landwirtschaftsformen besser in der Lage, das für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit bedeutsame Bodenleben zu erhalten.
Neben Darwins Regenwürmern trägt eine beeindruckende Reihe von physikalischen und chemischen Prozessen zur Bodenbildung bei. Bodenwühler – etwa Termiten und Ameisen, aber auch größere Nager wie Erdhörnchen – mischen Gesteinsfragmente in den Boden. Wurzeln brechen Gestein auf. Umstürzende Bäume reißen Gesteinsbruchstücke mit sich und mischen sie so unter den Boden. Gestein, das tief im Erdinneren unter großem Druck entstand, dehnt sich aus und bricht auseinander, sobald es sich der Erdoberfläche nähert. Beanspruchung des Gesteins durch einen Wechsel zwischen Nass und Trocken, Gefrieren und Tauen oder Erhitzen durch einen Großflächenbrand führt zunächst zum Zerfall großer Gesteinsbrocken in kleine Steine und schließlich in die mineralischen Komponenten. Einige gesteinsbildende Minerale, beispielsweise Quarz, zeigen sich relativ widerstandsfähig gegen chemische Angriffe. Sie zerfallen lediglich in immer kleinere Stücke desselben Materials. Andere Minerale, insbesondere Feldspäte und Glimmer, verwittern hingegen leicht zu Tonen.
Tonteilchen sind zu klein, als dass ein einzelnes von ihnen erkennbar wäre; sie sind so klein, dass ein Dutzend davon auf dem Punkt am Ende dieses Satzes Platz fände. All diese mikroskopisch kleinen Tonteilchen fügen sich so eng aneinander, dass Regenwasser kaum durch die Bodenoberfläche sickern kann und stattdessen abfließt. »Frische« Tonminerale sind zwar reich an Pflanzennährstoffen, doch sobald Ton Wasser aufnimmt, hält er es hartnäckig fest. Tonreiche Böden weisen eine geringe Durchlässigkeit auf und verhärten bei Austrocknung stark.
Dagegen sind selbst die kleinsten Sandkörner mit dem bloßen Auge sichtbar. Sandige Böden besitzen eine große Durchlässigkeit, weshalb es für Pflanzen schwer ist, auf ihnen zu gedeihen. Da »Schluff« in Bezug auf seine Korngröße zwischen Sand und Ton liegt, eignet er sich ideal zum Anbau von Kulturpflanzen, denn er speichert ausreichend Wasser und ist gleichzeitig durchlässig genug, um Vernässung zu verhindern. Insbesondere die als Lehm bezeichnete Mischung aus Ton, Schluff und Sand liefert ein für die landwirtschaftliche Nutzung geradezu ideales Substrat: Sie ist luftdurchlässig, lässt Wasser in ausreichendem Maße versickern und ermöglicht den Pflanzen eine exzellente Versorgung mit Nährstoffen.
Ein besonderes Merkmal der Tonminerale ist ihre außergewöhnlich große innere Oberfläche. So können 250 Gramm Ton eine Gesamtoberfläche von 800.000 Quadratmetern besitzen. Ähnlich einem Stapel Spielkarten besteht Ton aus mehreren Schichten. Zwischen den Silikatlagen befinden sich Kationen, wie Kalium, Calcium und Magnesium. Bahnt sich Wasser den Weg in die Tonstruktur, kann es diese Kationen herauslösen und die Bodenlösung mit für Pflanzen lebenswichtigen Nährstoffen anreichern.
»Frische« Tone sorgen deshalb für fruchtbaren Boden, denn auf den inneren Oberflächen der Minerale sitzt eine Unzahl dieser locker gebundenen Kationen. Doch mit fortschreitender Verwitterung werden immer mehr Nährstoffe aus einem Boden ausgewaschen, und zwischen den Silikatschichten verbleiben immer weniger Elemente. Schließlich stehen den Pflanzen kaum noch Nährstoffe zur Verfügung. Tone können zwar auch organische Substanz im Boden binden, doch um den Bestand an lebenswichtigen Stoffen wie Phosphor und Schwefel wiederaufzufüllen, muss die Verwitterung neue Nährstoffe aus frischem Gestein freisetzen.
Im Gegensatz dazu gelangt der Stickstoff größtenteils durch biologische Fixierung von Luftstickstoff in den Boden. Pflanzen sind zwar nicht selbst in der Lage, Stickstoff zu binden, doch es gibt Bakterien, die eine Symbiose mit Pflanzen eingehen, etwa mit Klee (um nur ein Beispiel zu nennen), und in zwei bis drei Millimeter langen Wurzelknöllchen enthaltenen Luftstickstoff zu biologisch aktivem Ammoniak reduzieren. Sobald der Stickstoff organisch gebunden ist, kann er über den Prozess der Mineralisierung zurück in die Pflanze fließen. Hierzu sondert die Bodenmikroflora Enzyme ab, die große organische Polymere zu löslichen Formen wie Aminosäuren abbauen. Pflanzen können diese aufnehmen und wiederverwenden.
Wie schnell sich Boden bildet, hängt von den Umweltbedingungen ab. Im Jahr 1941 stellte Professor Hans Jenny von der kalifornischen Berkeley Universität die Theorie auf, dass die Eigenschaften eines Bodens neben der lokalen Geologie, die den Rohstoff für die Bodenbildung liefert, Topografie, Klima und Biologie widerspiegeln. Jenny identifizierte fünf Schlüsselfaktoren der Bodenbildung: Ausgangsmaterial (Gestein), Klima, Organismen, Topografie (Relief) und Zeit.
Welche Art von Boden entsteht, hängt primär von der Geologie einer Region ab. Sobald Gestein an der Oberfläche ansteht, setzt die Verwitterung ein – ein unausweichlicher Vorgang. Aus Granit entstehen sandige Böden. Basalt ergibt tonreiche Böden. Kalkstein wird einfach aufgelöst und übrig bleiben felsige Landschaften mit flachgründigen Böden und zahllosen Höhlen. Manche Gesteine verwittern schnell zu tiefgründigen Böden, andere trotzen den zersetzenden Kräften und lassen nur langsam flachgründige Böden entstehen. Will man die Bodenbildung verstehen, beginnt man am besten mit dem Gestein, aus dem der Boden hervorgeht, denn von der chemischen Zusammensetzung des Ausgangsgesteins hängt es ab, welche Nährstoffe der Boden einmal bereitstellen wird.
Auch die Topografie beeinflusst den Boden. In Regionen, in denen eine intensive geologische Aktivität Gebirge entstehen ließ und immer neue Oberflächen hervorbringt, werden die steilen Hänge von flachgründigen Böden mit unverwitterten Mineralen bedeckt. Die flachen Hänge geologisch ruhigerer Landschaften weisen hingegen in der Regel tiefgründigere, stärker verwitterte Böden auf.
Das Klima hat beträchtlichen Einfluss auf die Bodenbildung. Hohe Niederschläge und Temperaturen begünstigen die chemische Verwitterung gesteinsbildender Minerale und damit die Bildung von Tonen. Kalte Klimate leisten hingegen der physikalischen Verwitterung von Gesteinen Vorschub, denn das zyklische Gefrieren und Tauen führt zu wechselnder Expansion und Kontraktion und lockert so den Gesteinsverband. Gleichzeitig verlangsamen kalte Temperaturen die chemische Verwitterung. Während alpine und polare Böden demzufolge in der Regel reichlich frische Mineraloberflächen aufweisen, die eine potenzielle Quelle neuer Nährstoffe sind, sind tropische Böden meist nicht für eine intensive landwirtschaftliche Nutzung geeignet, da sie aus stark verwitterten Tonen bestehen und daher ausgelaugt und nährstoffarm sind.
Die für verschiedene Ökosysteme charakteristischen Pflanzengesellschaften werden vor allem durch Temperatur und Niederschlag beeinflusst. In hohen Breitengraden können auf ständig gefrorenem Boden lediglich die Zwergsträucher der arktischen Tundra gedeihen. Gemäßigte Temperaturen und moderate Niederschläge in mittleren Breiten lassen Wälder wachsen, die Böden hervorbringen, welche reich an organischen Stoffen sind, da die Bäume ihre Blätter abwerfen und diese auf dem Boden verrotten. Trockenere Graslandböden, welche die mikrobielle Aktivität sehr fördern, beziehen organische Stoffe sowohl durch das Recyceln abgestorbener Wurzeln und Blätter als auch aus dem Dung von Weidetieren. Trockengebiete weisen charakteristischerweise geringmächtige, felsige Böden mit lichter Vegetation auf. Hohe Temperaturen und Niederschläge in Äquatornähe bringen auf ausgelaugten Böden üppige Regenwälder hervor, die Nährstoffe aus Verwitterungsprozessen und abgestorbenen Pflanzenresten recyceln. Auf diese Weise legen die Klimazonen der Erde die Grundlage für die Entwicklung von Böden und Pflanzengesellschaften.
Aufgrund geologischer und klimatischer Unterschiede eignen sich Böden in verschiedenen Regionen unterschiedlich gut zur dauerhaften landwirtschaftlichen Nutzung. Insbesondere die hohen Niederschlagsmengen und Verwitterungsraten an den Flachhängen vieler tropischer Landschaften führen im Lauf der Zeit dazu, dass in den Boden sickernde Niederschläge nahezu alle Nährstoffe aus dem Boden, aber auch aus dem darunter lagernden verwitterten Gestein auswaschen. Wenn dieses Stadium erreicht ist, ernährt sich die üppige Vegetation notwendigerweise nahezu aus sich selbst heraus; sie greift dabei auf Nährstoffvorräte zurück, die von den Pflanzen vor langer Zeit dem Gestein entzogen und gespeichert wurden, um sie anschließend immer wieder zu recyceln. Da das Gros der Nährstoffe in diesen Gebieten nicht im Boden, sondern in den Pflanzen selbst steckt, verliert der Boden seine Ertragsfähigkeit, sobald die ursprüngliche Vegetation verschwindet. Jahrzehnte nach der Abholzung reicht die Menge der verbliebenen Nährstoffe häufig nicht mehr aus, um Kulturpflanzen oder Vieh zu ernähren. Die nährstoffarmen tropischen Böden illustrieren die allgemeine Gesetzmäßigkeit, dass das Leben vom Wiederverwerten dessen abhängt, was einst Leben war.
Auch die Erosionsanfälligkeit lässt sich von den jeweiligen Eigenschaften des Bodens ableiten; wiederum sind hier das Ausgangsmaterial (Gestein), das regionale Klima, der Organismenbesatz und topografische Gegebenheiten von Bedeutung. Wie viel Widerstand ein Boden der Erosion entgegenzusetzen hat, hängt von einer Kombination textureller und struktureller Eigenschaften ab, also vom spezifischen Mischungsverhältnis der Kornfraktionen Schluff, Sand und Ton sowie den Bindungskräften, die zur Aggregatbildung mit der organischen Bodensubstanz führen. Ein höherer Gehalt an organischer Substanz wirkt erosionshemmend, da diese Bodenpartikel verkittet und zu Aggregaten zusammenfügt, die der Erosion trotzen können. Das Klima einer Region beeinflusst Erosionsraten durch die Menge der Niederschläge und gegebenenfalls durch deren Abfluss in Form von Flüssen oder Gletschern. Auch die Topografie spielt eine Rolle – bei ansonsten völlig identischen Voraussetzungen erodieren steilere Hänge schneller als flache. Höhere Niederschläge führen jedoch nicht nur zu stärkerem Oberflächenabfluss und infolgedessen zu stärkerer Erosion, sondern sie fördern auch den Bewuchs, der den Boden wiederum vor Erosion schützt. Durch diese ausgleichende Wirkung lässt die Menge der Niederschläge nicht einfach auf die Geschwindigkeit der Bodenerosion schließen. Wind kann in Trockengebieten oder auf brachliegenden Ackerflächen, einen dominierenden Erosionsfaktor darstellen. Biologische Prozesse, ob nun Darwins Regenwürmer oder menschliche Aktivitäten wie das Pflügen, transportieren Boden ebenfalls nach und nach hangabwärts.
Zwar spielen verschiedene Arten von Erosionsprozessen an unterschiedlichen Orten eine mehr oder minder große Rolle, doch einige davon dominieren. Wenn Regen fällt, versickert er entweder im Boden oder fließt oberflächlich ab. Höherer Abfluss zieht stärkere Erosion nach sich. Sammelt sich das abfließende Regenwasser, kann es seine ganze erosive Kraft entfalten, Bodenpartikel ablösen und transportieren. Es schneidet kleine Kanäle in den Boden, die als Rillen oder Rinnen bezeichnet werden; sie können sich schließlich zu tiefen Erosionsgräben, sogenannten Gullys, erweitern, die so breit sind, dass nicht mehr darüber hinweggepflügt werden kann. An steilen Hängen kann Starkregen oder Dauerregen zu einer Übersättigung des Bodens mit Wasser führen und Erdrutsche auslösen. Ist die Vegetationsdecke schütter, kann Wind trockenen Boden sehr leicht aufnehmen und abtragen. All diese Prozesse laufen in einer Landschaft ab – welcher Prozess dominiert, variiert in Abhängigkeit von Topografie und Klima.
In den 1950ern begannen Wissenschaftler, die sich mit Bodenerosion beschäftigten, an einer allgemeinen Bodenabtragsgleichung (ABAG) zu arbeiten. Durch die Auswertung der Erosionsdaten verschiedener Forschungsstationen wiesen sie nach, dass Bodenerosion, genau wie Bodenbildung, von Bodeneigenschaften, vom lokalen Klima, der Topografie und von Art und Zustand der Vegetation abhängt. Insbesondere die Geländeneigung und die zum Einsatz kommenden landwirtschaftlichen Verfahren beeinflussen die Erosionsraten sehr stark. Im Allgemeinen führen steilere Hänge sowie höhere Niederschläge und lichte Vegetation zu verstärkter Erosion.
Pflanzen und Pflanzenreste schützen den Boden vor dem direkten Aufprall der Regentropfen und der abtragenden Kraft fließenden Wassers. Ist offener Boden Regen ausgesetzt, befördert die Wucht eines jeden auftreffenden Regentropfens Erde hangabwärts. Starkregen führt zu schneller Erosion des Oberbodens und legt so tiefer liegenden, dichteren Boden frei, der Wasser weniger schnell aufnehmen kann und deshalb mehr Abfluss erzeugt. Dies erhöht wiederum die Erosionskraft des Oberflächenabflusses. Manche Böden reagieren äußerst empfindlich auf diese selbstverstärkende Wirkung, welcher der gesamte Oberboden in kürzester Zeit zum Opfer fallen kann.
Unter der Oberfläche sind Pflanzen durch ausgedehnte Wurzelnetze verbunden, die der Landschaft Halt verleihen. In einem geschlossenen Wald sind die Wurzeln einzelner Bäume wie in einem lebenden Gewebe derart miteinander verwoben, dass sie zur Stabilisierung der Hänge beitragen. Steile Hänge neigen zu starker Erosion, sobald sie ihrer Waldbedeckung beraubt werden.
Bodenkundler verwenden ein einfaches System zur Beschreibung verschiedener Bodenbereiche – im wahrsten Sinne ein Abc des Bodens. Die der Erdoberfläche aufliegende, zum Teil humifizierte und zersetzte organische Substanz wird als O-Horizont bezeichnet. Diese organische Schicht, deren Mächtigkeit von Klima und Vegetation abhängt, besteht typischerweise aus Laub, Zweigen und anderen Pflanzenresten, die dem Mineralboden aufliegen. Während der organische Auflagehorizont in Trockengebieten mit lichter Vegetation völlig fehlen kann, sind in dichten tropischen Urwäldern die meisten Bodennährstoffe im O-Horizont lokalisiert. Unter dem organischen Auflagehorizont liegt der A-Horizont, eine nährstoffreiche Zone, in der sich die umgewandelte organische Substanz mit mineralischem Boden mischt. Denken wir an Erde, denken wir meist an dunkle, an organischen Stoffen reiche A-Horizonte, die an oder nahe der Erdoberfläche entstehen. Oberboden, der sich aus den lockeren O- und A-Horizonten zusammensetzt, ist intensiver Abtragung durch Niederschläge, Abfluss oder starke Winde ausgesetzt. Darunter folgt als nächstes der B-Horizont. Er ist grundsätzlich mächtiger als der Oberboden, doch aufgrund seines geringeren Gehalts an organischer Substanz weniger fruchtbar. Dieser Horizont wird oft als Unterboden bezeichnet. Im Lauf der Zeit kommt es hier zu einer Akkumulation eingewaschener Tonpartikel und Kationen. Das verwitterte Gestein unter dem B-Horizont wird C-Horizont genannt.
Durch ihren hohen Gehalt an organischer Substanz und Nährstoffen sind Böden mit einem gut entwickelten A-Horizont überaus fruchtbar. Im Oberboden wird das Pflanzenwachstum durch ein ausgewogenes Verhältnis von Wasser, Wärme und Luft gefördert. Umgekehrt weisen Unterböden häufig eine starke Tonanreicherung auf, was die Durchwurzelung ebenso erschwert wie zementartig verfestigte Schichten, in denen Eisen, Aluminium oder Calcium angereichert worden ist. Außerdem können niedrige pH-Werte das Wachstum einiger Pflanzen hemmen. Grundsätzlich büßen Böden mit dem Verlust ihres Oberbodens Produktivität ein, da die meisten B-Horizonte eine viel geringere Fruchtbarkeit aufweisen als die darüber liegenden Horizonte.
Die Horizontkombinationen, ihre Mächtigkeit und Zusammensetzung variieren stark von Boden zu Boden und hängen davon ab, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Zeiträume sie sich bildeten. In den USA wurden etwa 20.000 Bodentypen identifiziert (aufgrund der geringeren klimatischen Bandbreite weist Europa weniger Bodentypen auf; die Anzahl dokumentierter Bodentypen hängt allerdings auch maßgeblich vom Klassifikationssystem ab; hier weist die US-amerikanische Systematik deutlich mehr Bodentypen aus als etwa das in Deutschland gebräuchliche nationale System – Anm. d. Übers.). Trotz dieser Vielfalt sind die meisten Böden nur zwischen 30 Zentimetern und etwas unter einem Meter mächtig.
Boden ist im wahrsten Sinne die Haut der Erde – der Grenzbereich zwischen Geologie und Biologie. Mit seinen wenigen Dezimetern macht Boden gerade einmal etwas mehr als ein Zehnmillionstel des 6.380 Kilometer messenden Radius’ unseres Planeten aus. Die nur wenige Millimeter dicke menschliche Haut bringt es immerhin fast auf ein Tausendstel der Körpergröße eines durchschnittlichen Menschen. Im Verhältnis gesehen ist die Haut der Erde also eine viel dünnere und empfindlichere Schicht als unsere Haut. Im Gegensatz zu unserer schützenden Haut fungiert Boden als eine destruktive, gesteinszerstörende Lage. Über geologische Zeiträume hinweg ist es das Gleichgewicht zwischen Bodenbildung und Erosion, welches die dünne Schicht verwitterten Gesteins erhält und Leben erst möglich macht.
Das Verbreitungsmuster der Böden auf der Erde führt dazu, dass sich einige wenige Schlüsselregionen besonders gut für eine dauerhafte Intensivlandwirtschaft eignen. Weite Teile unseres Planeten verfügen hingegen über magere Böden, die schwer zu bestellen oder sehr erosionsanfällig sind, sobald sie urbar gemacht und kultiviert werden. Weltweit kommt Graslandböden die höchste ackerbauliche Bedeutung zu, da sie dank ihres mächtigen A-Horizonts, der reich an organischer Substanz ist, extrem fruchtbar sind. Diese Böden sind tiefgründig, leicht zu bearbeiten und unterlagern die großen Getreideanbauregionen der Erde.