Drei faszinierende Weltraum-Abenteuer September 2022 - Alfred Bekker - kostenlos E-Book

Drei faszinierende Weltraum-Abenteuer September 2022 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Der Held von Najn (Manfred Weinland/Carolina Möbis) Einsatzort Roter Stern (Alfred Bekker) Im Licht des Roten Sterns (Alfred Bekker) Das Zentrum der Kampfformation von Space Army Corps Schiffen bildete eine Einheit der Dreadnought-Klasse. Zylinderförmig war sie, wie nahezu alle im Space Army Corps, die während des ersten Qriid–Krieges verwendet wurden. Die 834 m lange Dreadnought trug den Namen TARRAGONA und stand unter dem Kommando von Commodore Ray Malmgren. 421 Gauss-Geschütze besaß die TARRAGONA an jeder ihrer vier Breitseiten oben, unten, rechts und links. Flankiert wurde sie von einigen Kreuzern, Zerstörern und Leichten Kreuzern. Zusammen bildeten sie einen kompakten Verband, der sich in der Nähe des Zwergplaneten New Hope D 334 formiert hatte. New Hope war das wichtigste System am Rande des sogenannten Niemandslandes zwischen dem von den Humanen Welten beanspruchten Territorium und dem sich ständig ausdehnenden Grenze des Heiligen Imperiums der vogelartigen Qriid. Milliarden Menschen lebten dort, insbesondere auf New Hope II und III.

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Alfred Bekker & Manfred Weinland & Carolina Möbis

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Inhaltsverzeichnis

Drei faszinierende Weltraum-Abenteuer September 2022

Copyright

Raumschiff Rubikon 32 Der Held der Najn

Der Held von Najn

Einsatzort Roter Stern

Im Licht des Roten Sterns

Drei faszinierende Weltraum-Abenteuer September 2022

Alfred Bekker, Manfred Weinland, Carolina Möbis

Dieser Band enthält folgende Romane:

Der Held von Najn (Manfred Weinland/Carolina Möbis)

Einsatzort Roter Stern (Alfred Bekker)

Im Licht des Roten Sterns (Alfred Bekker)

Das Zentrum der Kampfformation von Space Army Corps Schiffen bildete eine Einheit der Dreadnought-Klasse. Zylinderförmig war sie, wie nahezu alle im Space Army Corps, die während des ersten Qriid–Krieges verwendet wurden. Die 834 m lange Dreadnought trug den Namen TARRAGONA und stand unter dem Kommando von Commodore Ray Malmgren. 421 Gauss-Geschütze besaß die TARRAGONA an jeder ihrer vier Breitseiten oben, unten, rechts und links. Flankiert wurde sie von einigen Kreuzern, Zerstörern und Leichten Kreuzern. Zusammen bildeten sie einen kompakten Verband, der sich in der Nähe des Zwergplaneten New Hope D 334 formiert hatte. New Hope war das wichtigste System am Rande des sogenannten Niemandslandes zwischen dem von den Humanen Welten beanspruchten Territorium und dem sich ständig ausdehnenden Grenze des Heiligen Imperiums der vogelartigen Qriid. Milliarden Menschen lebten dort, insbesondere auf New Hope II und III.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© Cover: A.Panadero

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Raumschiff Rubikon 32 Der Held der Najn

Manfred Weinland und Carolina Möbis

Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

Der Held von Najn

1.

Artovayn tanzte.

Der Neugloride, der sich, wie jeder seiner Generation, den Bedingungen des Äthers angepasst hatte, befleißigte sich seiner stofflichen Erscheinungsform und genoss die damit verbundene Körperlichkeit, die ihm erstrebenswerter war als die rein energetische, in der er es gewohnt war, große Distanzen innerhalb Scharans zurückzulegen.

Wobei: groß?

Der Wirkungsradius seiner Spezies war einst, vor dem Verfall althergebrachter physikalischer »Sitten«, ungleich größer gewesen. In jenen Zeiten waren die Gloriden ein bestimmendes Element innerhalb eines gewaltigen Räderwerks gewesen, das dazu diente, die CHARDHIN-Perlen in Schuss zu halten. Vereinfacht ausgedrückt waren die Gloriden die Wartungsmannschaften jener kugelförmigen Giganten gewesen, die über das ganze Universum verstreut zu sein schienen und von ihren Erbauern und deren Hilfsvölkern als EWIGE KETTE bezeichnet wurden.

Die EWIGE KETTE, so ging die Mär, die auch unter Neugloriden kursierte, hatte einst den Kosmos »gezündet«, in dem sich seither unzählige Galaxien tummelten. Ihnen allen war eines gemein: In ihren Zentren existierten mehr oder minder große Schwarze Löcher, und hinter dem Ereignishorizont eines jeden ... war eine CHARDHIN-Perle verankert, die darüber zu wachen hatte, dass die Naturgesetze innerhalb eines riesigen Raumsektors stets gewahrt blieben.

In Scharan jedoch war es vor einer Zeitspanne, die die Besatzung des Raumschiffs, in dem sich Artovayn aktuell aufhielt, als 300.000 Jahre bezeichnete, zu umwälzenden Ereignissen gekommen. Im Zuge dieser Ereignisse hatte sich die damalige Perlenbesatzung, die im Herzen Scharans zuhause gewesen war, dazu veranlasst gesehen, die eminent wichtige Station aus der Singularität des Schwarzen Loches herauszuführen und vor einer erstmals auf den Plan tretenden Macht zu verstecken, die seither ihr Unwesen trieb.

Artovayn verlor sich völlig in seinem Tun. Tanz war etwas unendlich Befriedigendes. Selbst auf energetischer Ebene gab es wenig, das damit hätte konkurrieren können. Es waren erlesene Momente der Hingabe, die er sich nur gönnte, wenn er allein und unbeobachtet war.

Die Kabine an Bord der RUBIKON, die John Cloud ihm zur freien Verfügung überlassen hatte, genügte Artovayns Ansprüchen völlig. Sein Tanz brauchte wenig Platz. Sein Tanz spielte sich auf engstem Raum ab und steigerte sich mehr und mehr in Verzückung –

Die Ernüchterung traf den Neugloriden, der auf Wunsch des Schiffskommandanten seine Gauklertracht gegen unauffällige Bordkleidung eingetauscht hatte, umso brutaler.

Inmitten einer wirbelnden Pirouette erstarrte Artovayn so abrupt, dass schon allein dieser Vorgang für einen Außenstehenden die Nichtmenschlichkeit der ansonsten weitgehend humanoid wirkenden Gestalt verraten hätte.

Von einer Nanosekunde zur nächsten wirkte Artovayn wie eine Skulptur, die ein begnadeter Künstler täuschend lebensnah erschaffen hatte.

Die Starre hielt jedoch nicht lange an. Ebenso plötzlich, wie sie Macht über Artovayn erlangt hatte, fiel sie auch wieder von ihm ab.

Wie in Trance stakste er zur Tür seiner Kabine, öffnete sie und trat auf den verlassenen Korridor hinaus.

Diese Nachtphase verbrachte Yael außerhalb der künstlichen Welt Kalser, die nur mithilfe von Hightech-Aggregaten existieren konnte und täuschend echt dem Heimatplaneten der Nargen nachempfunden worden war.

Es war nicht das erste Mal, dass er das tat, daran mochte es also nicht liegen, dass er auffällig unruhig schlief. Irgendwann zuckte er so heftig neben Winoa, dass das Angkmädchen wach wurde und nach Licht verlangte.

Die Servoeinheit des Quartiers reagierte sofort.

Aus unsichtbaren Quellen strömte mildes Licht, der Empfindlichkeit eines Menschen – insbesondere so kurz nach dem Erwachen – angepasst.

Winoa setzte sich in dem großen Bett auf, das sie sich mit Yael teilte, obwohl es alles andere als ergonomisch ideal für ein geflügeltes Wesen wie ihren Freund geformt war. Zuhause im Baumdorf bewohnte Yael eine Hütte, in der es spezielle Schlafgeschirre für ihn und seinen Orham Jiim gab. Es wäre ein Leichtes gewesen, ein solches Geschirr auch in dem Quartier zu installieren, das sich Winoa immer öfter mit Yael teilte, seit ihre Mutter … nun, seit Assur als verschollen galt.

(Was nicht ganz den Tatsachen entsprach, aber Winoa war nicht willens, darüber auch nur ansatzweise nachzudenken. Nicht jetzt. Und am liebsten überhaupt nie mehr!)

Yael lag bäuchlings und ein wenig auf die Seite gedreht neben ihr. Winoa erinnerte sich, dass er den Arm um sie gelegt hatte, wie sie es gern mochte, als sie eingeschlafen waren. Nun wischte dieser mit dem rechten Flügel verbundene Arm immer wieder durch die Luft, als müsste er etwas abwehren. Und was Winoa zunächst für ein Zucken gehalten hatte, entpuppte bei genauerer Betrachtung als Zittern. Dazu lösten sich Laute aus dem lippenlosen Mund des Freundes, wie Winoa sie noch niemals zuvor bei ihm gehört hatte.

Wie sie sie noch bei keinem Wesen jemals gehört hatte.

Schließlich hielt sie es nicht länger aus. Sie beugte sich zu dem Jungnargen hinüber und rüttelte ihn an der Schulter – erst sanft, dann zunehmend energischer.

Yael schlief fester als erwartet. Es dauerte eine Weile, bis er die Augen aufschlug – und sie verwirrt ansah.

Bevor er etwas sagen konnte, erklärte Winoa ihm, dass er sie zuerst geweckt hatte. Und dass sie besorgt ob seines Zustands war.

Sie erwartete, dass er es abtun würde, wie er es oft tat. Aber zu ihrer Überraschung wollte er ganz genau wissen, wie er sich im Schlaf benommen hatte.

Allzu ergiebig waren ihre Aussagen allerdings nicht. Und eigentlich wollte sie ja auch von ihm wissen, was los war.

»Hast du schlecht geträumt?«

Das Kopfschütteln, obwohl keine ureigene nargische Geste, hatte er sich längst ebenso angewöhnt wie sein Elter. »Ich erinnere mich an keinen Traum.«

»An gar nichts?«

Er schüttelte erneut den Kopf. Sein leicht ocker schimmerndes Gesicht wirkte blasser als sonst. Aber das Zittern hatte im Moment seines Erwachens aufgehört. Das deutete darauf hin, dass er eben doch geträumt hatte – schlecht geträumt.

Wenn er sich nicht daran erinnerte, entschied Winoa, war das vielleicht sogar gut so.

»Und du fühlst dich … gut? Ich meine körperlich. Hast du irgendwelche Beschwerden? Sollen wir Sesh–«

Er lachte auf und griff nach ihr, bekam ihre Hand zu fassen und zog sie nah an sich heran; so nah, wie Winoa es gern mochte. »Hör auf! Mach kein Drama aus einer Lappalie!«

Sie wusste bis heute nicht, wie es hatte geschehen können, dass sie sich ausgerechnet in einen Nichtmenschen verliebt hatte. Aber ihre Umwelt hatte sie von Anfang an darin bestärkt, ihren Gefühlen zu vertrauen (danke, Mum, danke, Dad, danke … Commander!), und so waren sie und Yael nun schon seit Längerem das, was man ein Paar nannte.

Dass ihre Konstellation dennoch nicht ganz unproblematisch war und wohl nie sein würde, nahmen sie bewusst in Kauf. Ob eine Partnerschaft wie ihre von dauerhaftem Bestand sein konnte, vermochten sie dabei ebenso wenig zu sagen wie Außenstehende. Die Zeit würde es weisen. Jetzt … heute … waren sie glücklich. Und nur das zählte.

Sie schmiegte sich eng an ihn und genoss die Wärme, die seine Nähe ihr schenkte.

Umgekehrt, das wusste – hoffte – sie, war es genauso.

»Würdest du dir umgekehrt keine Sorgen machen?«

Sein »Nein!« kam wie aus der Pistole geschossen.

Zu schnell.

Sie knuffte ihn in die Rippen. »Scheusal! Sag mir was Liebes. Los! Bevor wir wieder einschlafen.«

Sie warf einen Blick auf die Zeitangabe, die im Dunkeln leuchtete und bei Licht wie geronnene Schwärze über dem Bett hing.

03:21 Standardbordzeit. Nachtzyklus.

»Drei Stunden bleiben uns noch. Mindestens. Dann muss ich aufstehen. Und du auch«, fügte sie hinzu.

»Warum?«, fragte er.

»Dringender Termin.«

»Ich habe keinen –«

»Du hast. Ich hab’s Jelto versprochen.«

Seine Hand, mit der er ihr durchs Haar gestreichelt hatte, erstarrte. »Du hast ihm was versprochen?«

»Dass wir ihm bei der Pflege helfen.«

»Des Gartens?« Jelto unterhielt und bewirtschaftete den riesigen hydroponischen Garten an Bord der RUBIKON, ein Biotop, in dem Crewmitglieder immer häufiger Entspannung suchten.

»Des Friedhofs«, erwiderte Winoa. »Du weißt, dass er dort aus Prinzip nur in ganz wenigen Ausnahmefällen Maschineneinsatz duldet – aus Pietätsgründen. Die Gräber selbst werden von Angehörigen oder Freunden gepflegt. Aber es gibt auch den allgemeinen Bereich – die Wege, Plätze … Du weißt schon.«

»Und die hält Jelto normalerweise selbst in Schuss.«

Winoa nickte und übte sich in einem Augenaufschlag, dem Yael noch nie hatte widerstehen können. »War es schlimm, dass ich ihm unsere Unterstützung zugesagt habe?«

Yael schüttelte den Kopf. »Ich mag Jelto. Ich glaube, jeder mag ihn. Wie alt ist er eigentlich? Er sieht noch recht jung aus – aber er soll schon auf dem Heimatplaneten der Menschen eine Funktion innegehabt haben, die der jetzigen ähnelt.«

Winoa zuckte mit den Achseln. »Wenn es dich wirklich interessiert – frag ihn doch einfach. Wir sehen ihn ja in wenigen Stunden.«

»Ja«, sagte Yael, »das werde ich tun.« Er küsste Winoa und legte sich umständlich zurecht. »Machst du das Licht aus, oder soll ich …?«

Winoas Lachen vermischte sich mit dem kurzen Befehl an den Servo.

Es wurde dunkel.

Aber es blieb nicht lange ruhig. Kaum war Yael eingeschlafen, verfiel er wieder in das Verhaltensmuster, das Winoa schon einmal geweckt hatte.

Statt an den Servo wandte sie sich direkt an die KI. »Sesha?«

Die KI reagierte ohne merkliche Verzögerung.

»Was kann ich für dich tun, Winoa?«

Nur weil Sesha ausdrücklich autorisiert worden war, war eine direkte Ansprache überhaupt möglich. Die Kontaktaufnahme beschränkte sich jedoch auf Audioübertragung. Visuelle Vorstöße waren der KI ausdrücklich untersagt.

Das Angkdorf war eine nach wie vor rätselhafte Einrichtung innerhalb des rochenförmigen Raumschiffs, und es ging auch nicht auf die ursprünglichen Erbauer des Fahrzeugs zurück, sondern war nachträglich integriert worden. Von den Bractonen – hinter denen wiederum, wie man heute wusste, die Ganf standen. Jene Spezies, die ursprünglich aus Eleyson stammte, einer Galaxie, die unglaubliche 13 Milliarden Lichtjahre von der Milchstraße entfernt lag – und die von den gleichen Lebewesen beherrscht wurde, die das Ganf-Reich in der Milchstraße mit ihren Kriegsschiffen überrannt hatten: den Auruunen.

Bei einer Flucht im letzten Moment hatte es die RUBIKON nach Eleyson verschlagen, wo sie seither versuchten, hinter das ominöse Geheimnis der Auruunen zu kommen. Von der Lüftung desselben erhofften sie sich, ein Mittel gegen die scheinbar Unbesiegbaren entwickeln zu können und sie sowohl aus der Milchstraße als auch aus dem Raumsektor zu vertreiben, in dem Eleyson lag.

Und Scharan. Die ehemalige Galaxie, durch die sich die RUBIKON gegenwärtig bewegte.

Ehemalig beschrieb den Zustand, in dem sich die Sternenballung befand, nur unzureichend. Ein anderes Wort, das dafür geprägt worden war, lautete Anomalie. Und auch das war noch viel zu allgemein. Fakt war: Die einstige Spiralgalaxie, die Ähnlichkeit mit der Milchstraße besessen hatte, war – vermutlich durch Einflussnahme der Auruunen – »geschrumpft«. Die Räume zwischen den Sonnen und Planeten waren extrem verkürzt, sodass die gesamte Anhäufung von Objekten, die Scharan heute wie damals beherbergte, nurmehr eine Sphäre von rund 4,5 Lichtjahren beanspruchte. Gleichzeitig hatten sich auch die physikalischen Gesetze innerhalb dieses Raumes komplett verändert: Sonnen erwärmten nicht länger eisigen Weltraum und Welten, die von ihnen umkreist wurden; es gab überhaupt keine »Sonnen« im ursprünglichen Sinn mehr; sie präsentierten sich wie »eingefroren« – und auch die Bewegung der Himmelskörper war zum Erliegen gekommen. Gleichzeitig war die Anomalie durchwoben von einem »Stoff« (eigentlich war es Strahlung), der es ermöglichte, die ehemals luftleeren Abgründe zwischen den Welten und Systemen zu durchqueren, ohne dass es dafür eines konventionellen Raumschiffs bedurfte. Das Medium, in dem alles »schwamm«, wurde Äther genannt. Und die heutigen Bewohner Scharans brauchten den Äther, wie anderswo Luft zum Atmen gebraucht wurde, um leben zu können.

Entzog man ihnen den Äther, genügte ihnen reine Luft nicht, um fortexistieren zu können. Dann starben sie qualvoll.

Und umgekehrt verhielt es sich nicht viel anders: Wurden Wesen, die von außerhalb Scharans kamen, mit dem Äther konfrontiert, verfielen sie in wahnhafte Zustände, die früher oder später darin gipfelten, dass sie sich selbst oder anderen Schaden zufügten.

Inzwischen hatte die Besatzung der RUBIKON gelernt, mit diesem Handicap umzugehen. Aber es war fremde Hilfe nötig gewesen, um das Schiff verlässlich und dauerhaft vor den Einflüssen des Äthers zu schützen. Nachkommen der Gloriden, die vielerorts in Scharan nur als »Gaukler« bekannt waren, hatten die Außenhaut mit Ätherfilz überzogen. Die Schicht verhinderte seither, dass Strahlung ins Innere des Schiffs dringen konnte. Und sie verhinderte zugleich, dass die RUBIKON von Feinden – sprich: Auruunen – geortet werden konnte.

So war es ihnen von den Gloriden-Abkömmlingen versprochen worden.

»Es geht um Yael«, antwortete Winoa auf die Frage der KI. »Er ist bei mir. Ich … ich autorisiere dich, ihn einem medizinischen Scan zu unterziehen. Sofort.«

»Ist er erkrankt?«

»Tu bitte, was ich gesagt habe.«

»Ich verstehe und … erfasse ihn. Einen Moment …«

Winoa rückte unwillkürlich etwas zur Seite, als wie aus dem Nichts ein leuchtendes Scannerfeld auftauchte und über Yael hinwegglitt. Es zeichnete exakt die Umrisse des Nargen nach, begann bei den Füßen und endete an der Spitze der Flügel. Kaum war es dort angelangt, erlosch es wieder.

»Das Ergebnis fiel positiv aus. Für Yael. Ich konnte keinerlei Anzeichen einer Vitalstörung feststellen.«

Obwohl Sesha leise aus dem Off sprach, war es verwunderlich, dass Yael nicht von den Einlassungen der KI geweckt wurde. Er schlief tief und fest, dabei zitterte er jedoch wie Espenlaub.

»Dann muss deine Methode fehlerhaft sein«, schnappte Winoa und fuhr sachte mit der Hand über das wie schmerzverzerrte Gesicht ihres Freundes. Es fühlte sich an wie immer. »Hast du auch seine Gehirnstrommuster analysiert?«

»Dazu bin ich nicht befugt. Ich müsste den Commander einbeziehen. Aber das halte ich für unangebracht. Ich kann dir auch so versichern, dass deine Sorge unbegründet ist. Alles deutet auf eine intensive Traumphase hin. Wenn du ihn daraus lösen willst, musst du ihn wachrütteln.«

»Das habe ich schon einmal getan.«

»Hat es eine Verbesserung herbeigeführt?«

»Solange er wach war. Aber kaum war er wieder eingeschlafen, fing dieses Zittern und Brabbeln wieder an.« Sie seufzte. »Und wie tief er schläft! Er müsste längst von unserem Gerede zu sich gekommen sein.«

Das konnte die KI so nicht bestätigen. »Wie ich schon sagte: Ich überlasse es dir, ihn zu wecken.«

Winoa kam sich komisch vor, als sie fragte: »Was würdest du an meiner Stelle tun?«

Noch bevor sie es ausgesprochen hatte, war sie überzeugt, die KI zu überfordern. Aber Sesha antwortete unaufgeregt wie stets: »Ich würde ihn schlafen und der Natur ihren Lauf lassen. Er wird von allein aufwachen – wenn Körper und Geist es für richtig halten.«

Winoa wollte gerade zustimmen, als Sesha erneut das Wort ergriff, und diesmal kam es der Angkgeborenen vor, als würde doch ein Anflug von Irritation in der Stimme mitschwingen.

»Moment … etwas geschieht. Es muss ursächlich mit Yael zusammenhängen. – Ich verständige den Commander.«

Die Angst, die Winoa schon die ganze Zeit unterschwellig beschäftigte, brach sich nun vollends Bahn. »Was ist passiert? Sesha! Antworte!«

Die KI schwieg.

Winoa zögerte nicht länger, sondern weckte Yael. Es dauerte fast eine Minute, bis sie ihn aus der Umgarnung von Schlaf und Traum befreit hatte. Und auch danach wirkte er abwesend, kaum ansprechbar.

Sesha meldete sich mit der Aufforderung, sich unverzüglich zu Koordinaten innerhalb des Schiffs zu begeben, zu denen sie Winoa und Yael lotsen wollte.

»Der Commander ist ebenfalls unterwegs. Ihr werdet ihn dort treffen.«

John Cloud näherte sich der Sektion, auf die Sesha ihn aufmerksam gemacht hatte, in Begleitung von Jarvis. Indes hielt Scobee die Stellung in der Bordzentrale.

»Yael ist bei Winoa?«, vergewisserte sich der ehemalige GenTec, dessen Bewusstsein vor Jahren in einen kybernetischen Ersatzkörper transferiert worden war – als einzige Möglichkeit, sein Bewusstsein vor dem Verlöschen zu bewahren. Seither »befehligte« Jarvis die aus einer Foronen-Rüstung hervorgegangene »Prothese« und arrangierte sich mit ihren Vor- und Nachteilen.

Niemand wusste besser als John Cloud, der der Ermordung von Jarvis‘ Originalkörper beigewohnt hatte, wie belastend dieses neue »Leben« für den Freund war. Doch Jarvis hatte die schweren Krisen der Vergangenheit offenbar gemeistert, er wirkte stabil – was natürlich nicht ausschloss, dass er irgendwann wieder in ein seelisches Tief geraten würde.

»Ja. Aber er ist unterwegs. Mit ihr. Beeilen wir uns. Ich möchte vor ihnen da sein.«

»Warum?«

Cloud zuckte mit den Achseln.

Die Illusion von Jarvis‘ Gesicht grinste breit. »Du fürchtest, er könnte ihn verschwinden lassen.«

»Unsinn. Warum sollte er?«

Jarvis gab sich unbeeindruckt. »Die eigentliche Frage lautet doch wohl: Warum hat er?«

Cloud schenkte sich einen Kommentar. Er blieb vor dem Schott stehen, das Sesha ihnen genannt und zu dem die KI sie mit einem Schwebelotsen, der wie eine grün schillernde Seifenblase aussah, geführt hatte.

Der Lotse zerplatzte, was weder Cloud noch Jarvis groß beachteten.

»Die Tür ist verschlossen«, sagte Jarvis, als sie gezwungen waren, davor stehen zu bleiben. »Normalerweise müsste sie sich automatisch bei Annäherung öffnen. Hast du das veranlasst?«

Cloud lächelte. »In der Tat.«

»Dann wäre es doch völlig egal gewesen, ob wir vor oder nach Yael hier ankommen. Er könnte gar nicht rein. Oder?«

Cloud bedachte das nachgeschobene »Oder?« mit einem Schulterzucken, das Jarvis als Antwort offenbar genügte. Yael hatte mehr als einmal bewiesen, dass er sich nicht immer und unter allen Umständen an Regeln hielt. Und dass verschlossene Türen für ihn selten unüberwindbare Hindernisse darstellten.

»Kommt Jiim auch?«, fragte Jarvis.

Cloud schüttelte den Kopf. Dann sagte er: »Sesha – entriegeln!«

Das Schott glitt fast lautlos seitlich in die Wand. Ohne zu zögern, trat Cloud durch die Öffnung, und Jarvis ließ sich nicht lange bitten, ihm zu folgen.

Es gab keinen Unterschied zur Helligkeit auf dem Korridor, und bis auf den ungewöhnlichen Avatar war der Raum völlig leer.

Cloud wusste, dass es etliche Räume an Bord gab, die einst von den Foronen eingerichtet, aber nie belegt worden waren. Dieser hier gehörte offenkundig dazu.

Der Avatar war etwa einen bis anderthalb Meter im Durchmesser und schwebte etwa kniehoch über dem Boden. Die Avatare, die technisch erzeugt wurden und dem Weltennetz der Auruunen angehörten, einem ausgeklügelten Transportsystem, das galaxienübergreifend funktionierte, gaben im Allgemeinen das Aussehen der Zielwelten wieder, die bei Benutzung erreicht werden konnten.

Neben diesen Produkten einer überlegenen Technologie gab es auch noch Avatare, die Yael allein kraft seines Willens erschaffen und ähnlich wie die Weltennetz-Komponenten benutzen konnte. Yaels Avatare unterschieden sich dann von den Transportern der Auruunen, wenn er damit »Kurzstrecken« zurücklegte – an Bord etwa. Oder wenn er Distanzen auf einem Planeten überbrückte, den er nicht verließ, sondern nur andere Gebiete darauf besuchen wollte.

Aber so wie dieser, der vor Cloud und Jarvis schwebte, hatte noch keiner ausgesehen. Er hatte die Farbe verblichener Gebeine oder uralter Versteinerungen. Und das Muster, das seine Oberfläche prägte, wies Ähnlichkeit mit etwas auf, das Cloud in anderem Zusammenhang kannte: spiralartig, verdreht …

»Erinnert mich an Ammoniten«, sprach Jarvis aus, was Cloud in diesem Augenblick dachte. »Die Gehäuse irgendwelcher Urzeitviecher. Oder …«

»Oder an Ganf«, unterbrach Cloud ihn. »An deren Gehäuse.«

Jarvis nickte.

Schritte erklangen. Als sie sich umdrehten, sahen sie, wie Yael und Winoa durch die Türöffnung traten.

Cloud beobachtete Yael genau, um seine Reaktion zu sehen. Jiims Sprössling blieb so abrupt stehen, als hätte Sesha ein Fesselfeld um ihn errichtet. Auch Winoas Augen weiteten sich. Vorwurfsvoll wandte sie sich an ihren Freund. »Warum hast du mir nicht gesagt, was hier los ist?«

Yael überwand seine Starre. »Weil«, erwiderte er mit rauer Stimme, »ich es nicht wusste.«

Winoa legte die Stirn in Falten. »Wie ›nicht wusste‹. Das ist dein Avatar, oder? Du musst doch wissen, wenn …«

Cloud trat vor. Er bedeutete Winoa mit einer Geste, die Klärung der Sache ihm zu überlassen. Widerwillig ließ Winoa sich darauf ein.

»Du wurdest hergebeten«, wandte er sich an Yael, »weil nicht nur Sesha, die den Avatar entdeckte, sondern auch ich davon ausgingen, dass du ihn erschaffen hast. Aber wenn du das verneinst, müssen wir diesen Bereich sofort räumen und unter strikte Quarantäne stellen. Dann kommen nur noch die Auruunen infrage, die ihn uns untergejubelt haben.« Er wartete Yaels Erwiderung gar nicht erst ab, sondern befahl Sesha: »Den Raum abschotten! Sofort!«

Eine erkennbare Reaktion erfolgte nicht, aber die KI erklärte: »Habe höherdimensionalen Energieschirm um die Sektion gelegt. Sobald ihr den Bereich verlasst, schalte ich eine Strukturlücke. Evakuierung beginnt jetzt.«

Als Cloud beginnen wollte, Yael und Winoa hinauszukomplimentieren, schob sich Jarvis vor ihn. »Hört auf mit dem Quatsch!«

»Quatsch?« Cloud sah ihn entgeistert an. »Wie kommst du dazu –«

»Jetzt schalt mal deinen Grips ein!« Jarvis gab sich ungerührt. »Wenn das ein Versuch der Auruunen wäre, uns zu entern, hätten sie längst Farbe bekannt. Dann würden wir jetzt nicht mehr miteinander streiten! Außerdem wäre mir neu, dass sie in der Lage sind, einfach so mir nichts, dir nichts nach Belieben Avatare zu generieren. Dazu bedarf es unserem bisherigen Wissensstand zufolge eines technischen Aufwand, der entsprechende Projektoren am Zielort erfordert. Nur Yael vermag Avatare zu erschaffen, wann und wo immer es ihm gefällt.« Jarvis schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein. Das hier trägt eindeutig seine Handschrift. Und ich wüsste gern …«, er nickte dem Nargen zu, »… warum du bestreitest, dahinterzustecken.«

Ein Schatten schien sich über Yaels Gesicht zu legen. »Ganz einfach«, presste er mühsam beherrscht hervor. »Weil ich nichts damit zu tun habe!«

Damit schien sich Jarvis nicht abspeisen lassen zu wollen. Er trat noch einen Schritt auf Yael zu. »Unterstellen wir mal, dass du die Wahrheit sagst.«

Yael nickte trotzig.

Jarvis fuhr fort: »Dann gibt es aus meiner Sicht nur eine Erklärung.«

»Und welche?«, fragten Yael und Cloud wie aus einem Mund.

»Dass deine Fähigkeiten aus dem Ruder laufen! Wäre nicht das erste Mal …«

Yael schien leicht in sich zusammenzusinken. Jarvis legte den Finger auf eine Wunde, die er nicht leugnen konnte. Ja, seine Fähigkeiten – die, nebenbei bemerkt, bis heute nicht restlos ausgelotet waren – hatten sich mehr als einmal verselbständigt, ihn mehr als einmal in die Bredouille gebracht. Dessen war er sich bewusst. Und deshalb fand er nicht einmal die Kraft zu widersprechen.

Das übernahm Winoa für ihn.

»Hör auf!«, fauchte sie. »Sieht denn keiner, wie es ihn mitnimmt?«

Cloud erstickte Jarvis‘ Antwort im Keim, indem er ihn fragte: »Du glaubst also, die Auruunen können gar nichts damit zu tun haben?«

Jarvis drehte ihm das Gesicht zu – was nicht wirklich nötig gewesen wäre, um Cloud anzusehen. Entgegen dem, was sein Erscheinungsbild vorgaukelte, bestand seine wirkliche Hülle aus komplexen Nanostrukturen, deren Zusammensetzung es ihm ermöglichte, quasi mit jedem einzelnen Oberflächensegment zu schauen. Dadurch war er in der Lage, nach allen Richtungen gleichzeitig zu blicken: vor, hinter, neben, über und unter sich. Was andererseits hieß, dass er Yael nicht aus den »Augen« ließ, auch wenn er gerade den Anschein erweckte, es zu tun.

»Ich habe lediglich erklärt, dass ich es für höchst unwahrscheinlich halte. Und ich habe bereits erklärt, warum ich es für unwahrscheinlich halte. Aber erhalte die Energieglocke ruhig aufrecht, die die Benutzung des Avatars verhindern soll. Wenn du dich dadurch sicherer fühlst …« Er zuckte mit den Schultern. »Von mir aus können wir auch hier verschwinden und den Raum versiegeln.« Er seufzte. »Auch wenn ich es einfacher fände, wenn Yael …«, abrupt wandte er sich wieder dem Nargen zu, »… ihn einfach wieder abschalten würde.«

Yael knurrte wie ein gereiztes Raubtier. »Ich habe ihn nicht erschaffen. Wie sollte ich ihn da ›abschalten‹?«

»Hast du es versucht?«, fragte Cloud.

Yael nickte widerwillig. »Hab ich. Reagiert nicht. Was meine Worte beweist!«

Jarvis lächelte milde bis herablassend, schwieg aber.

Cloud bemerkte, dass Winoa irgendetwas zurückhielt. Sie schien mit sich zu ringen, sich aber nicht überwinden zu können, damit herauszurücken.

»Winoa?«

Sie blickte ihn an wie jemand, der sich bei etwas ertappt fühlte. Ihre aufeinandergepressten Lippen wirkten dünn wie ein Strich.

»Was hast du? Willst du etwas sagen, das damit …«, er zeigte auf die Kugel mit den Spiralmustern, »… zu tun hat?«

Auch Yael sah sie jetzt an. »Du kannst frei von der Leber weg reden«, versicherte er ihr. »Ich bin nicht sauer – egal, was es ist.«

Winoa kämpfte trotz dieser Versicherung noch ein paar Sekunden lang mit sich, ehe sie murmelte: »Es könnte sein.«

»Was könnte sein?«, fragte Cloud.

»Dass es … dass es sein Avatar ist – rein theoretisch.«

Yael wirkte nicht sonderlich glücklich über diesen Einwurf. »Wi!«, zischte er.

Aber seine Freundin ließ sich nicht beirren. Sie berichtete von der Unruhe, die Yael während der zurückliegenden Nachtphase befallen hatte.

»Er gab Laute von sich, wie ich sie noch nie von ihm hörte«, schloss sie.

»Das nennt man Schnarchen«, konnte sich Jarvis nicht verkneifen, seinen Senf dazu zu geben.

Cloud bedachte ihn mit einem tadelnden Blick – genauso gut hätte er in die entgegengesetzte Richtung schauen können. Jarvis war in Sachen Zurückhaltung beratungsresistent.

»Und du erinnerst dich an rein gar nichts von dem, was du geträumt hast«, fragte Cloud.

Yael verneinte betreten. Schließlich gab er sich einen Ruck und straffte sich. »Aber es drehte sich nicht um … um Avatare!«

»Wie willst du das wissen, wenn du keine Erinnerung an den Traum hast?«, fragte Winoa.

»Ich weiß es eben. Das reicht.«

Weder seine Freundin noch Cloud gaben sich damit zufrieden. »Und du kannst ihn ganz sicher nicht entfernen?«, fragte Cloud. »Deaktivieren? Wie immer du es nennen würdest?«

Yael schloss die Augen und konzentrierte sich so stark, dass seine Stirn Falten warf und ein Schweißfilm auf seiner Haut erschien. Auch sein Atem ging plötzlich so rasch, als wäre er gegen den Wind geflogen. Die schmalen Hände ballten sich zu Fäusten.

Der Avatar schwebte unbeeindruckt vor ihnen.

Der Avatar machte keine Anstalten zu verschwinden oder auch nur zu verblassen.

»Wie ich schon sagte: Es geht nicht. Ich habe keinen Zugriff. Das … das stammt nicht … von mir!«

Sesha meldete sich aus dem Off. »Soeben wurde der Schild durchbrochen.«

Cloud schaltete gedanklich um. »Der Schild?«

Die anderen Mannschaftsangehörigen in seiner Umgebung hielten den Atem an – bis auf Jarvis, der aber immerhin so tat, als würde er.

»Der befohlene Quarantäneschirm.«

»Redest du von einem Angriff?«

»Ich konstatiere eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Angriff handelt. Die Person, von der ich spreche, ist bekannt. Des Weiteren ist bekannt, dass Geschöpfe wie sie –«

»Wer?«, fiel Cloud der KI ins Wort. »Von wem sprichst du?«

»Von dem Gloriden, der uns begleitet. Artovayn …«

Die Worte der KI waren kaum verklungen, als Schritte laut wurden. Wenig später trat der Gaukler durch das immer noch offene Schott.

»Artovayn …« Cloud wollte ihm entgegengehen, stutzte aber und unterdrückte den ersten Impuls.

Das Hybridwesen, das wahlweise stoffliche oder energetische Zustandsform annehmen konnte, ignorierte augenscheinlich die Versammelten. Wortlos stakste Artovayn an ihnen vorbei auf den Avatar zu.

»Stopp!«, rief Cloud ihm zu. »Artovayn – bleib stehen! Wir wissen nicht, was es mit der Projektion auf sich hat. Du …«

Er verstummte. Weil er einsah, dass seine Warnungen nicht fruchteten.

Von der Seite fragte Jarvis: »Soll ich?«

Cloud blickte kurz zu ihm. Fragend.

»Soll ich ihn aufhalten?«

Aber er hätte schon eine Transition ausführen müssen, um den Gloriden noch rechtzeitig zu erreichen und zu stoppen. Und selbst dann wäre ein Erfolg fraglich gewesen.

Cloud zögerte zu lange, einen entsprechenden Befehl zu erteilen. Und Jarvis blieb im Gegensatz zu anderen Situationen, in denen er vorschnell und eigeninitiativ gehandelt hatte, zu passiv.

Artovayn spazierte an ihnen allen vorbei und verlangsamte auch nicht, als er den Avatar erreichte.

Im Gehen hob er die Hände und streckte sie der Kugel entgegen –

– berührte sie –

– und wurde von ihr verschlungen.

Yael erwachte als Erster aus seiner Starre. Er sprang vor, als könnte er den Gloriden noch zu fassen bekommen, bevor er vollständig im Avatar verschwunden war.

Diesmal reagierte Jarvis mit der ihm eigenen Kompromisslosigkeit. Und ohne eine ausdrückliche Aufforderung des Commanders abzuwarten.

Aus dem Stand heraus katapultierte er sich zwischen Avatar und Nargen. Yael prallte gegen ihn und gab einen dumpfen Laut von sich, in dem Schmerz und Verblüffung schwangen. Und unverhohlener Vorwurf.

»Warum hast du das getan?«

Jarvis lachte rau auf. »Ganz einfach«, gab er zurück. »Wenn hier einer den Helden spielt, dann bestimmt nicht du, mein Freund.«

Cloud trat zu ihnen. »Niemand spielt den Helden – auch du nicht, Jarvis!« Die Schärfe seines Tons ließ selbst die Jarvis-Maske blinzeln. »John, allmählich solltest du mir zutrauen –«

Cloud winkte ab. »Sesha?«

»Commander?«

»Gibt es noch einen zweiten Avatar an Bord? Kannst du Artovayn irgendwo ausmachen?«

»Zweimal negativ«, antwortete die KI.

»Dann ist er entweder nicht mehr an Bord«, meldete sich Winoa aus dem Hintergrund, »oder er ist überhaupt nicht mehr.«

Cloud drehte sich zu ihr um. »Wie kommst du darauf?«

Sie stand ebenso unter dem Eindruck des Erlebten wie ihre Freunde. »Wenn ich mich nicht täusche, gibt es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass der Avatar dort überhaupt eine Gegenstation hat. Und wenn das der Fall ist … korrigiert mich bitte, ich bin keine Koryphäe in solchen Dingen, aber dann … wurde der Gloride wahrscheinlich dauerhaft entstofflicht und über die Dimensionen verstreut. Nicht einmal ein Wesen wie er übersteht das. Ich stell’s mir wie eine Transmitterpassage vor, wenn das Gegengerät eine Millisekunde, bevor der Passagier die Sendestation betritt, zerstört wird oder einfach abschaltet.«

Obwohl Cloud solche Überlegungen nicht fremd waren, versuchte er, abzuwiegeln. »Avatare errichten keine Transmitterstrecken. Erst recht keine Avatare, wie Yael sie herstellt.«

Der Narge begehrte fast schon verzweifelt auf. »Ich war das nicht. Der Avatar hat mit mir nichts zu tun! Wie oft soll ich das noch sagen?«

Cloud gestikulierte beruhigend. »Ich gehe mittlerweile davon aus, dass du ihn nicht gezielt erschaffen hast. Aber wahrscheinlich in einem unbewussten Akt.«

Seine Worte wirkten wie Schläge. Yael zuckte ein ums andere Mal zusammen und blickte immer missmutiger drein.

»Artovayn bewegte sich wie in Trance. Als hätte ein fremder Wille seinen eigenen überlagert«, sinnierte Cloud. »Er war nicht Herr seiner selbst.« An Sesha gewandt fragte er: »Wie konnte er überhaupt die Abschirmung überwinden? War sie nicht so gepolt, dass nichts sie hätte durchdringen dürfen?«

»Nichts Bekanntes«, relativierte Sesha. »Aber die energetische Beschaffenheit eines Gloriden ist mir nach wie vor ein Rätsel. Diese Geschöpfe können ihr energetisches Level offenbar nach Belieben variieren.«

»Er durchdrang den Schild als reine Energie?«

»Und wechselte sofort danach sofort wieder in den stofflichen Zustand«, bestätigte die KI. »So, wie ihr ihn kennt und bei seinem Auftauchen erlebt habt.«

»Ich biete noch einmal an, dem Gloriden zu folgen – und ihm dort, wo er jetzt ist, gehörig die Leviten zu lesen!«

Jarvis wurde nicht müde, für sich als Einmann-Armee zu plädieren.

Cloud wahrte kühlen Kopf. »Unsinn. Wenn Winoa recht hat, würdest auch du in deine Atome zerlegt über unbekannte Dimensionen verstreut werden. Was hätten wir davon?«

»Ihr wärt mich los.« Jarvis feixte, als hätte er den Ernst der Lage nicht begriffen.

Cloud seufzte. »Mach weiter so, und ich fange an, darüber nachzudenken, ob das nicht vielleicht wirklich eine Option wäre.«

Jarvis‘ Grinsen erlosch. Für einen Moment hätte Cloud ihm die ehrliche Betroffenheit abgenommen – bis zu dem Moment, als der Freund ihm verschwörerisch zuzwinkerte.

»Sesha?«

»Commander?«

»Ich brauche einen Bot. Und ich brauche ihn hier. So schnell wie möglich.«

In einer der Wände entstand eine Öffnung, und ein spinnenartiges Maschinchen wuselte heran. Das chromfarbene Gebilde stoppte unmittelbar neben Cloud und fragte mit einer Stimme, die bis in die kleinste Nuance mit der von Sesha übereinstimmte: »Womit kann ich dienen, Commander?«

Cloud erklärte ihm seine Absicht: Erkundung des Bereichs, zu dem der Avatar führte und anschließend der sofortige Versuch, zurückzukehren und Bericht zu erstatten.

Wenn das Gebilde an einen Ort führte, von dem eine Rückkehr möglich war.

Der Spinnenbot bestätigte via Sesha. Dann krabbelte er näher die schwebende Kugel heran – und vollführte einen Sprung, der ihn ins Innere beförderte.

Befördern sollte.

Doch statt aber darin zu verschwinden, wurde der Bot zurückgeschleudert. Er landete unsanft auf dem Decksboden.

Für die anwesenden Beobachter hatte es den Anschein, als wäre der kugelförmige Avatar nicht wie gewohnt nur eine Projektion, sondern materiell und undurchdringbar.

Zumindest für den Bot.

Im Gegensatz zu ihm hatte Artovayn jedoch offenbar keine Mühe gehabt, darin einzutauchen und zu verschwinden.

»Das Ding ist anders, als wir es kennen«, knurrte Jarvis. »Vielleicht hat unser Kleiner …«, er nickte zu Yael, »… doch nichts damit zu tun.«

Cloud zeigte seine wachsende Beunruhigung nicht nach außen. »Du verfügst über andere Wahrnehmungsmöglichkeiten als wir«, wandte er sich an den Freund. »Wie stellt sich der Avatar für dich dar. Kannst du ihn orten? Stufen deine Cybersinne ihn als materiell ein?«

Jarvis verneinte. »Tastungen, egal in welchem Bereich, stoßen ins Leere. Rein visuell sehe ich, was ihr offenbar auch seht: eine Kugel, von Ammonitmustern überzogen. Einen Grund, warum der Bot davon zurückprallte, kann ich dir nicht nennen. Aber frag Sesha. Die müsste es eigentlich wissen. Ihr stehen andere Mittel zur Verfügung als mir.«

»Sesha?«

»Bedaure. Auf dem Spektrum, auf dem ich zu ‚sehen‘ vermag, bildet sich die Kugel exakt so ab, wie es die Avatare tun, die Yael erzeugt. Es gibt für mich keinen messbaren Unterschied.«

Cloud wandte sich erneut an den Nargen. »Yael?«

Jiims Sprössling schien von der Abwehrreaktion des Kugelgebildes ebenso überrascht zu sein, wie alle anderen Versammelten. Aber seine Verstörtheit wich rasch grimmiger Entschlossenheit. Er löste sich von Winoa und trat mit energischen Schritten vor Cloud. »Bitte, Commander – lass es mich versuchen.«

Cloud rang mit sich. Im Prinzip hatte sich an seinem Standpunkt nichts geändert; er wollte Yael nicht Gefahren aussetzen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt unabsehbar waren. Auf der anderen Seite wollte er aber auch Klarheit über Natur und Ursprung des Phänomens, das sich in diesem Bereich der RUBIKON manifestiert hatte, ohne dass jemand bereit schien, die Verantwortung dafür zu übernehmen.

»Kannst du dich deinen Avataren nähern, ohne davon verschluckt zu werden? Du weißt, was ich meine. Normalerweise wird alles, was in Berührung damit kommt, von ihnen aufgesogen – um aus einem anderen Avatar, der als Gegenstation fungiert, wieder herauszutreten. Bei dem Bot funktioniert das offenkundig nicht – bei Artovayn klappte es. Und er schien selbst stofflich zu bleiben. Was ich wissen will: Hast du jemals einen deiner Avatare berührt, ohne dass du ihn passieren musstest?«

Yael nickte. »Das ist kein Problem. Normalerweise. Wenn er von mir erzeugt wird, müsste … müsste ich ihn kontrollieren können.«

»Nein!« Winoa flitzte heran und baute sich vor ihm auf. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und funkelte erst ihn, dann Cloud an. »Das ist zu gefährlich. Sieh dir das Spinnending an! Es ist völlig zerdeppert – und es hält bestimmt mehr aus als du!«

»Hör auf, mich wie einen kleinen Jungen zu behandeln. Ich kann auf mich aufpassen. Selbst wenn ich zurückgeschleudert würde, wäre ich in der Lage, mich darauf einzustellen und gegenzusteuern.« Demonstrativ bewegte er seine kräftigen Schwingen. »Das ist etwas, was der Bot nicht hat, oder? Ich fange mich schon ab, wenn’s wirklich brenzlig wird. Bitte, Commander – ich will ebenso wissen wie jeder hier, was es mit der Kugel auf sich hat. Und wenn ich sie erschaffen habe … will ich wissen, warum. Wozu sie dient. Wohin sie … Artovayn verfrachtet hat.«

Cloud wog das Für und Wider ab. Dann erklärte er: »Ich glaube nicht, dass du in der Lage bist, die Abwehrreaktion des … nennen wir ihn ruhig weiter Avatar … nun, des Avatars also … abzufedern.«

Yael erbebte regelrecht vor unterdrückter Wut – und Hilflosigkeit. »Das heißt also nein.«

Cloud schüttelte den Kopf. »Das heißt, dass wir zusätzliche Absicherung benötigen. Sesha?«

»Commander?«

»Ich will, dass Yael, falls er abgeschmettert wird, weich landet. Ein entsprechendes Polster aus Gravoenergie herzustellen, sollte kein Problem für dich sein, oder?«

2.

»Wenn ihm etwas zustößt, rede ich kein Wort mehr mit dir«, zischte Winoa ihm zu.

Cloud verzog keine Miene, eine Antwort ersparte er sich ebenfalls. Aber ebenso angespannt wie Winoa und Jarvis beobachtete auch er, wie Yael an den Avatar herantrat. Die Trümmer des Bots waren von baugleichen Maschinchen weggeräumt worden, was Cloud als angenehm empfand. Trotzdem hatte er das Bild des zerstörten »Aufklärers« noch klar vor Augen. Und seine Magennerven zogen sich leicht zusammen, wenn er sich vorstellte, dass Yael mit vergleichbarer Wucht –

Stopp!, rief er sich zur Räson. Hier wird nicht der Teufel an die Wand gemalt!

Yael stand unmittelbar vor dem Avatar und nickte Cloud zu, als könnte er seine Gedanken erraten. Auch Winoa streifte er mit einem Blick, der ihr zu signalisieren schien: Vertrau mir. Ich weiß, was ich tue.

Winoas Blick wiederum brachte zum Ausdruck, dass sie nichts mehr in Zweifel zog als dieses Versprechen.

Obwohl Cloud ihre Skepsis bis zu einem gewissen Grad teilte, hatte er sich entschieden, das Wagnis einzugehen. Seit sie die CHARDHIN-Perle hinter sich gelassen hatten, in der eine neue Generation von Gloriden dabei war, eine eigenständige und unabhängige Kultur abseits derjenigen aufzubauen, in deren Schatten sie seit Urzeiten standen, bewegten sie sich durch Gefilde, für die die RUBIKON nicht gemacht war. Der Äther Scharans verwandelte den Weltenraum hier in etwas, dessen Fremdartigkeit kaum noch übertroffen werden konnten. Und dass der Filz, den Artovayns Artgenossen auf der Außenhülle der RUBIKON hatten wuchern lassen, sie wirklich verlässlich vor den Nachstellungen der Auruunen bewahren und ausreichend gegen die Strahlung innerhalb der Anomalie schützen würde, musste erst noch bewiesen werden.

Bislang ging alles gut. Dafür war jetzt ein neues Problem in Gestalt dieses Avatars aufgetaucht.

Verselbständigten sich Yaels Fähigkeiten? Hatte es nur des abnormen Raumes bedurft, durch den sie gegenwärtig reisten, um ihm die Kontrolle darüber vollends entgleiten zu lassen? Und was war in Artovayn gefahren, dass er sich ohne jede Erklärung in die Kugel gestürzt hatte?

Yael streckte die Ärmchen aus, die mit seinen Flügeln verwachsen waren. In diesem Moment erinnerte er Cloud an einen Engel irdischer Mythologie.

Fehlt nur noch das Flammenschwert, dachte er, als Yaels Hand auf die Oberfläche des Avatars zuglitt und sie entweder gleich – weil imaginär – durchstoßen … oder von ihr abgewehrt würde.

Letzteres geschah. Yaels Fingerspitzen prallten gegen ein Hindernis.

Immerhin bestand die Reaktion nicht darin, dass der Narge zurückgeschleudert wurde, wie es dem Bot widerfahren war. Aber zweifellos war die Oberfläche der Kugel hart und widerstand jedem Bemühen, in sie einzutauchen.

»Stahlhart«, hörte Cloud den Geflügelten rufen. »Es ist … undurchdringlich … Ich verstehe das nicht!«

Nachdem er erfolglos mit beiden Händen versucht hatte, die Barriere zu durchstoßen, trat Yael von dem außergewöhnlichen Avatar zurück und rang um seine Fassung. »Ich war mir so sicher, es schaffen zu können … Wenn Artovayn hindurchgehen konnte, müsste mir das auch gelingen! Gerade mir …«

Während Winoa sichtlich erleichtert zu ihm trat und ihren Arm um ihn schlang, entging Cloud nicht, dass Yael wieder und wieder den Kopf schüttelte – in einer Art und Weise, die ihn veranlasste zu fragen: »Was hast du herausgefunden? Da ist doch etwas, ich kenne dich …«

Winoa legte die Stirn in Falten. Yael trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Ja«, sagte er schließlich rau. »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Aber ich weiß jetzt, dass es stimmt.«

»Dass was stimmt?«, hauchte Winoa und sah ihn dabei so scheu an, als wollte sie es gar nicht wirklich wissen.

»Ich habe ihn erschaffen. Er … er fühlt sich genauso an wie meine anderen Avatare – nur dass er mich nicht passieren lässt. Das ist verrückt, was?« Er hob die Ärmchen und presste sich die Handflächen seitlich gegen den Schädel, als gäbe es einen Schmerz in seinem Kopf, dem er kaum Einhalt gebieten konnte.

Cloud legte ihm eine Hand auf die Schulter, dort, wo eine der Schwingen herauswuchs. »Nein«, sagte er. »Das ist ganz und gar nicht verrückt. Und wir werden herausfinden, was es damit auf sich hat.«

»Dein Optimismus in Gottes Ohr«, sagte Jarvis. »Aber wie stellst du dir das vor? Komme ich doch noch zum Einsatz? Hast du eingesehen, dass nur ich –«

Clouds Kopfschütteln brachte ihn zum Verstummen. »Spätestens, wenn Artovayn zurückkehrt, werden wir erfahren, was es mit alldem auf sich hat.«

»Zurückkehrt?«, echote Jarvis. »Wie kommst du darauf, dass er zurückkommt?« Jarvis legte den Kopf schief und musterte Cloud scharf. »Du weißt doch etwas. Ich kenne dich. Wenn du so redest, ist was im Busch! Du weißt mehr, als du uns verrätst!«

Cloud zuckte mit den Achseln. »Wenn es spruchreif wäre, würde ich es sagen. Aber … nun, es ist mehr eine Ahnung.«

»An der du uns nicht teilhaben lassen willst?«

»Im Moment nicht, nein. Sesha?«

»Commander?«

»Wir verlassen diesen Bereich jetzt. Die Sicherheitsvorkehrungen bleiben bestehen. Ich will benachrichtigt werden, sobald sich hier die kleinste Veränderung zeigt.«

»Zu Befehl.«

»Besondere Vorkommnisse?«

Clouds Stimme hallte durch die Zentrale, kaum dass er aus dem Türtransmitter getreten war. Mit raumgreifenden Schritten bewegte er sich auf das Kommandopodest zu, wo sieben Sitze ringförmig um die Holosäule angeordnet waren, in der sich die Ätherzone abbildete, durch die das Rochenschiff sich seinen Weg bahnte.

Sie hatten allenfalls ein vages astronomisches Ziel: das Herz der Anomalie. Dort, wo laut Artovayn einst die Entartung Scharans ihren Anfang genommen hatte – vor 300.000 irdischen Jahren.

Die Indizien mehrten sich, dass die Auruunen den Kern der »eingedampften« Galaxie regelmäßig mit ihren Ringschiffen anflogen.

Um was zu tun?

Welches Geheimnis hüteten sie, von dem die Ganf schon als sie noch in Eleyson beheimatet gewesen waren, geglaubt hatten, dass es die skrupellosen Eroberer angreifbar, vielleicht sogar besiegbar machen könnte – wenn man es nur lüftete. Wenn es einem nur gelänge, die Mechanismen zu durchschauen, auf denen die Auruunen-Macht fußte …

Cloud erklomm das Podest und ließ sich in den für ihn reservierten Sitz fallen. Rechts von Scobee, die hier die Stellung gehalten hatte. Jarvis nahm seinerseits rechts von ihm Platz.

Scobee reagierte gewohnt souverän. Ihr apartes Gesicht strahlte Kompetenz aus, genau wie der Blick ihrer in diesem Moment dunklen Augen. »Auf unserer Route? Nein. Innerhalb des Schiffes? Nun, jedenfalls keine, die dir nicht schon bekannt wären. Der Avatar –«

»Darum kümmere ich mich gleich.«

Jarvis gab neben ihm einen undeutbaren Laut von sich. »Darum kümmerst du dich gleich? Was soll das jetzt wieder heißen? Wir kommen gerade von dort. Du hast ein paar kryptische Bemerkungen von dir gegeben, Stichwort ‚Ahnungen‘, und das war’s auch schon gewesen. Hast du’s dir anders überlegt? Willst du plötzlich doch ein bisschen konkreter werden?«

Statt ihn anzusehen, blickte Cloud in Scobees Richtung. »Du hast alles mitbekommen? Artovayns Verschwinden? Das Bot-Versagen? Yaels gescheiterten Versuch?«

Scobee nickte. Ihre tätowierten Augenbrauen lupften sich ein wenig. »Alles.«

»Gut«, sagte er. »Dann ziehe ich mich jetzt kurz zurück.«

Jarvis‘ Mienenspiel geriet endgültig aus den Fugen. »Es gibt Momente, John«, grollte er, »da gehen mir sehr unschöne Gedanken durch den Kopf. Darf man seinen Kommandanten verprügeln? Gibt es Umstände, die als strafmildernd angesehen würden, wenn ich dir …« Er vollendete den Satz nicht, drohte aber mit der geballten Faust.

Lächelnd ließ sich Cloud in den Sarkophagsitz zurückfallen. Über ihm schloss sich der Deckel und schottete ihn gegen äußere Einflüsse ab. Er glaubte noch einen lautstarken Fluch zu hören, der jedoch wie abgeschnitten endete.

Commander?, meldete sich stattdessen Sesha nur in seinen Gedanken. Was kann ich für dich tun?

Du kannst – und sollst! – mir assistieren.

Wobei?

Ich will etwas versuchen, das ich bisher immer anderen überlassen habe.

Und das wäre?

Später. Zuerst will ich mir noch einmal den Avatar ansehen – so, wie du ihn siehst.

Ich verstehe. Soll ich dich leiten?

Nicht nötig. Bleib nur immer bei mir. Begleite mich. Ich finde mich schon zurecht. Die Verschmelzung ist abgeschlossen.

Es war nicht einfach so, dass das Schiff seinen biologischen Körper in diesem Zustand ersetzte – nein, während der Verschmelzung mit der RUBIKON eröffneten sich John Cloud Möglichkeiten, die alles übertrafen, was er mit seinem Körper aus Fleisch und Blut anzustellen vermochte.

Sein Geist jagte schneller als das Licht entlang der »Nervenbahnen« des Schiffes. Er konnte jeden Punkt ohne messbaren Zeitverlust erreichen.

Jeden bekannten Punkt, korrigierte er sich.

Denn es gab Bereiche, die sich bislang auch seinen erweiterten Sinnen entzogen.

Bereiche, in die nur vereinzelt Besatzungsmitglieder vorgestoßen waren – Assur und Winoa beispielsweise, auch Jarvis und … Yael –, und jedes Mal hatten sie unglaubliche Eindrücke von »drüben« mitgebracht.

Der Verdacht, den Cloud gegenüber Jarvis und den anderen noch nicht hatte aussprechen wollen, drehte sich um diese »andere Seite« der RUBIKON.

Und wenn er stimmte, hatte der sonderbare Avatar damit zu tun, der sich als undurchlässig für jeden erwies – nur nicht für Artovayn den Gaukler.

Cloud stoppte vor dem Gebilde, das zu seiner Überraschung mit den Sensoren des Schiffes viel prächtiger und lebendiger auf ihn wirkte, als seine eigenen Augen es ihm hatten vermitteln können.

Du hast mir nicht gesagt, wie schön es ist, tadelte er die KI.

Schön?, erwiderte Sesha, die nicht zu verstehen schien, was er damit sagen wollte.

Er ging nicht weiter darauf ein, näherte sich stattdessen dem Phänomen, das seinen Verdacht mehr und mehr bestätigte.

Jeder Avatar war von seinem Prinzip her ein Tor.

Anders als offenbar Sesha spürte Cloud eine unwiderstehliche Anziehungskraft, die von ihm ausging. Sie steigerte sich mit jedem Moment, den Clouds Geist bei dem Gebilde verweilte und erinnerte ihn auf beklemmende Weise an ein sternenverschlingendes Schwarzes Loch.

Commander? Commander, wo bist du?

Seshas Frage ergab keinen Sinn. Ich bin hier. Wo sonst?

Commander? Der mentale Ruf der KI gewann an Dringlichkeit. Cloud erkannte, dass sie mit ihren sämtlichen Möglichkeiten nach ihm tastete, suchte, sich aber so verhielt, als würde sie permanent ins Leere stoßen.

Was soll das? Ich bin hier!

Der Sog wurde stärker, Seshas Rufe verebbten, fast so, als würde die KI sich von ihm entfernen.

Cloud erkannte, dass dies ein Denkfehler seinerseits war. Wenn, dann entfernte er sich von ihr.

Ohne Vorwarnung sog der Avatar seinen Geist ein wie ein nach Sauerstoff gierendes Lebewesen die Luft, die es umgab.

Das Band, das Clouds wandernden Geist während Ausflügen wie diesem mit seinem Körper verband, wurde durchtrennt.

Cloud spürte instinktiv, dass seine Existenz gefährdet war, aus unerfindlichem Grund auf der Kippe stand.

Und erlebte wenig später, wie er … verlosch.

Der Alarmton schien die Luft innerhalb der Zentrale zum Vibrieren zu bringen und elektrisierte die Anwesenden, vorrangig Scobee, die erst auf ihrem Sitz erstarrte und dann ansetzte, um eine Erklärung von Sesha zu fordern.

Die KI kam ihr voraus.

»Notfall! Körperfunktionen sind zum Erliegen gekommen. Ich öffne jetzt den Sarkophag …«

Scobee rann es kalt über den Rücken. Seit Clouds Rückzug unter die Sitzabschirmung hatte sie mit Jarvis darüber debattiert und spekuliert, was ihr Weggefährte, mit dem sie nicht nur Lichtjahrmilliarden überwunden, sondern auch unfassbare Zeitkapriolen überstanden hatten, ihnen vorenthielt. Warum er sich in den Sarkophag zurückgezogen hatte und einstweilen jede Erklärung verweigerte.

Und jetzt sollte er in seiner Zurückgezogenheit kollabiert sein?

Mit einem Sprung war Scobee beim Commander, dessen Sitz in bequeme Schrägposition zurückgeklappt war. Seine Augen waren nicht geschlossen, wie erhofft, sondern weit aufgerissen und starrten blind an Scobee vorbei, obwohl der Blick genau auf sie gerichtet zu sein schien.

Scobee war eine medizinische Kapazität, und als solche handelte sie fast traumwandlerisch sicher. Sie wusste, wo sie tasten musste und was es bedeutete, wenn dort nichts zu ertasten war.

Neben ihr tauchte Jarvis auf – und kam ihr gerade recht. Sie versuchte, ihren Schock im Zaum zu halten.

»Hände!«, forderte sie von dem Mann im Cyberkörper. Und instruierte ihn mit knappen Befehlen dahingehend, dass schon Sekunden später der erste Stromstoß mit den geforderten 4000 Volt für die Dauer von etwa 30 Millisekunden aus den metallenen Fingerkuppen fuhr, die sich gegen Clouds Brustkorb pressten und durch den erlahmten Herzmuskel schoss.

Der Oberkörper des Commanders bäumte sich auf, als hätte eine Titanenfaust in seinen Rücken gedroschen. Jarvis‘ Hände machten die Bewegung mit und verhinderten zugleich, dass Cloud vom Sitz rutschte. Die sensiblen Außenflächen der robotischen Hände variierten ihre Funktion, und Jarvis meldete: »Nichts. Kein Puls. Noch mal?«

Scobee nickte mit zusammengepressten Lippen.

Der folgende Energieschock war stärker als der erste und versuchte erneut, das Herz dazu zu bewegen, seine Arbeit wieder aufzunehmen.

Aber wieder erfolglos.

Scobee war kreidebleich. »Sesha, verdammt! Was ist passiert?« Hilflos ballte Scobee die Fäuste. »Vergiss meine Frage. Dafür haben wir später Zeit. Hilf uns! Hilf ihm! Du hast andere Möglichkeiten … hoffe ich!«

Aus mehreren Richtungen strömten Spinnenbots herbei. Scobee und Jarvis machten Platz und sahen zu, wie die wuselnden Helfermaschinchen der KI am Sitz des Commanders hochkletterten und sich zu mehreren über seinen Körper verteilten. Die Beinspitzen einiger dieser Geschöpfe bildeten kanülenartige Spitzen aus und durchstachen damit an verschiedenen Stellen Clouds Haut, oft durch die Kleidung hindurch. Ab und zu wurde der Körper des Mannes durchgeschüttelt, weil auch die Bots sich darum bemühten, die Herzfrequenz und dadurch den Kreislauf als solchen wieder in Gang zu setzen.

Etwa zwei Minuten waren seit dem KI-Alarm vergangen, als Sesha aus dem Off erklärte: »Ich bedaure, aber keine der Maßnahmen fruchtet. Hiermit erkläre ich den Commander gemäß der in mir verankerten Definition für tot.«

Artovayn erwachte wie aus einem Traum.

Dabei träumten Gloriden gar nicht.

Wo bin ich?

Er erinnerte sich nicht, seine Kabine verlassen zu haben. Er stand auf einem schwach erhellten Gang; nur er allein, niemand sonst. Der Gang schien endlos geradeaus zu laufen, aber es gab zu beiden Seiten Türen, durch die man offenbar in Räume treten konnte.

Artovayn war auf keine Türen angewiesen. Dennoch wirkte der Anblick ein wenig beruhigend.

Allmählich wurde ihm bewusst, wie aufgewühlt er innerlich war.

Er machte einen Schritt, ohne dass er gewusst hätte, warum und wohin. In beiden möglichen Richtungen verlief der Korridor gleich endlos.

»Hallo!«, rief Artovayn. »Künstliche Intelligenz Sesha – kannst du mich hören?«

Er bildete sich ein, gedämpftes Lachen zu hören, aber keine Antwort.

Oder – war das Lachen die Antwort.

Unwillkürlich fühlte er sich in eine Situation versetzt, in der er als »Gaukler« auf den Welten der Anomalie Einheimische mit seinen Auftritten das Gruseln gelehrt hatte. Nun schienen die Rollen vertauscht. Jemand lehrte ihn das Fürchten.

Unerklärlicherweise schwieg die KI auch auf weitere Aufforderungen hin beharrlich.

Wie konnte das sein? Artovayn wusste, dass John Cloud die übergeordnete Instanz, die für den reibungslosen technischen Ablauf an Bord zuständig war, instruiert hatte, ihm, dem Gast, in jeder nur erdenklichen Weise behilflich zu sein – zumindest, solange dies nicht gegen eklatante Interessen der Schiffsführung verstieß.

Mit anderen Worten: solange Artovayn nichts beabsichtigte, was als Sabotage oder gar offener Angriff gegen Schiff und Besatzung zu werten war.

Das hatte Artovayn nicht vor.

Nichts lag ihm ferner.

Die erste Tür, die er erreichte, blieb bei seiner Annäherung verschlossen. Dabei war offensichtlich, dass er Einlass begehrte.

Verriegelt, dachte er. Ich soll draußen bleiben.

Seit er als Gast an Bord weilte, versuchte er, sich den hiesigen Gepflogenheiten anzupassen. Eskapaden und Eigenmächtigkeiten waren unerwünscht. Das galt insbesondere für Räumlichkeiten, die in die Privatsphäre anderer Individuen fielen oder heikle Bordtechnik beherbergten.

Obwohl seine Unruhe von Minute zu Minute wuchs, beherrschte Artovayn sich. Er ging weiter.

Auch die zweite Tür verhielt sich abweisend.

»Sesha! Warum ignorierst du mich? Wo bin ich? Ich will sofort mit Commander Cloud verbunden werden! Ich bestehe darauf!«

Im Weitergehen verbuchte er auch diesen erneuten Versuch einer Intervention als Misserfolg.

Die dritte Tür, die ihn abblitzen ließ, brachte seinen Groll zum Überlaufen.

Sein Geduldsfaden riss.

Ohne nachzudenken, rannte Artovayn gegen das Hindernis an und wechselte dabei seine Erscheinungsform. Entstofflicht gab es keine Barrieren für ihn.

Unglücklicherweise knallte er jedoch so heftig gegen das Metall, dass er sich wenig später wimmernd am Boden wiederfand. Der Wechsel in seine energetische Gestalt hatte nicht funktioniert.

Benommen rappelte er sich wieder auf.

Artovayn erinnerte sich nicht, jemals in einer vergleichbaren Lage gewesen zu sein. Nachdem er sich wieder gefasst hatte, setzte er seinen Weg in die eingeschlagene Richtung fort. Weit vor sich glaubte er ein Ende des Ganges zu sehen, zumindest aber eine Biegung. Er beschleunigte seinen Schritt …

… und machte eine widersinnige Feststellung: Je schneller er sich bewegte, desto langsamer schien das Gangende näherzurücken.

Er zwang sich zu geringerem Tempo und …

… die Wand, auf die er blickte, flog ihm förmlich entgegen.

Was für ein Aberwitz!

Der Gang endete nicht wirklich, sondern teilte sich in zwei mögliche Richtungen. Artovayn wandte sich nach links, wo der Korridor schon nach wenigen Schritten in einen hangarartigen Raum mündete, über dem eine Kunstsonne schwebte. Ihre Strahlen spiegelten sich auf den Außenflächen mehrerer goldener Pyramiden.

Beim Anblick der Bauten verfiel Artovayn in eine ähnliche Starre, wie sie ihn schon in seiner Kabine überkommen hatte, bevor er …

… bevor er …

Artovayn verwandelte sich in einen gleißenden Energieblitz, der in die Spitze der größten Pyramide einschlug – und verschwand.

»Sesha?« Scobees Stimme vibrierte. »Du musst ihn sofort in Stase einfrieren! Hast du das verstanden? Stase!«

»Ich veranlasse die nötigen Schritte. Tretet zurück.«

Das Heer der von Sesha eingesetzten Bots löste sich von Clouds Leichnam und verschwand in den Wandöffnungen, aus denen es zuvor herbeigeströmt war. Hinter den kleinen Robotern schlossen sich die Luken.

Gleichzeitig stülpte sich erneut der Deckel über den Sarkophagsitz, der seinem Namen noch nie mehr Ehre gemacht hatte.

Scobee war hin- und hergerissen. Einerseits spürte sie, wie ein Druck von ihr abfiel, nachdem John ihren Blicken entzogen war; andererseits aber drohte die Ohnmacht, die sie empfand und sich mit Angst an der Grenze zur Panik mischte, ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

»Jarv …«

Der Freund aus alten Tagen trat neben sie und legte ihr seine Hand sachte auf die Schulter. Sie merkte kaum, dass es keine menschliche Hand war. Schon die Geste gab ihr Kraft.

»Sesha!«, hörte sie ihn nach der KI rufen. »Wir sprachen von Stase! Meines Wissens bieten die Sitze nicht die Voraussetzungen, um –«

»Stase eingeleitet«, erwiderte Sesha. »Erfolgreicher Testlauf der Modifikation. Setze Funktion fort.«

»Modifikation?« Auch Scobee wurde hellhörig. Sie tauschte einen Blick mit Jarvis und räusperte sich. »Seit wann gibt es diese ‚Modifikation‘ – und wer hat sie veranlasst?«

»Und warum wurden wir nicht darüber informiert?«, fügte Jarvis hinzu. Er schaute in die Holosäule, als würde er erwarten, dass sich dort ein »Gesicht« der KI abbildete.

Das geschah nicht und war auch noch nie geschehen – aber offenbar schloss er nicht aus, dass es weitere »Modifikationen« gab, die genau dies ermöglichten.

Unwillkürlich formte sich ein Schmunzeln ums Scobees Mundwinkel. Es überraschte sie selbst und verschwand, kaum dass es ihr bewusst wurde. Aber Jarvis schaffte es immer wieder, sie zu solchen Regungen zu verleiten. Wenn man erst einmal wusste, wie er tickte, war er der beste Kamerad, den man sich vorstellen konnte. Selbstlos bis hin zur Selbstaufgabe.

»Sesha? Was tat John, als es zu seinem Kollaps kam. Kannst du uns das sagen? Hattet ihr Kontakt während seiner Isolation?«

Die KI schilderte die Geschehnisse aus ihrer Sicht – was damit endete, dass der Geist des Commanders aus ihrer Wahrnehmung verschwunden war.

Scobees Seufzer mündete unmittelbar in ein gepresstes Stöhnen. »Verdammt, dabei hasst John sonst Alleingänge wie die Pest – nicht wahr, Jarv?«

Jarvis nickte und sagte: »Das klingt nicht gut. Er wollte den Avatar mit den Augen des Schiffes inspizieren? Auf so eine Idee kann auch nur John kommen …«

Scobee nickte, dann straffte sie sich. »Wir dürfen die Augen nicht vor der Möglichkeit verschließen, dass John diesen Alleingang mit dem Leben bezahlt hat …« Sie schloss für eine Sekunde die Augen, dann suchte sie Jarvis‘ Blick. »Ich meine nicht nur seine biologische Existenz – ich rede von seinem Geist, der zu diesem Zeitpunkt mit dem Schiff verknüpft war. Wir wissen nichts über die Prozesse, die in solchen Situationen greifen. Aber es ist denkbar, dass Johns Bewusstsein auf einer Ebene, auf die nicht einmal Sesha Zugriff hat, attackiert und … ausgelöscht wurde.«

»Dann wäre der Kollaps die unmittelbare Reaktion des Körpers darauf gewesen«, ließ sich Jarvis mit sichtlichem Widerwillen auf die These ein.

»Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber …«

»Aber so könnte es gewesen sein.« Er nahm die Hand von Scobees Schulter und fuhr sich damit in den Nacken, rieb ihn sich.

Seine Identifikation mit der »Prothese« ging inzwischen so weit, dass er sie in gleicher Manier handhabte, als wäre es noch sein echter Körper.

Scobee nahm es nur am Rand wahr. Fast all ihre Gedanken kreisten um John.

»Wenn dem so wäre, müssen wir den Avatar nicht länger nur als potenzielle Bedrohung ansehen, dann ist er eine Gefahr. Und hat im schlechtesten Fall bereits zwei Opfer gefordert.«

»Artovayn und John.«

Sie nickte. »Artovayn und John.«

Jarvis warf einen langen Blick auf das geschlossene Gehäuse des Sarkophags. Dann sprang er vom Podest und eilte zum Türtransmitter.

»Wohin willst du?«