Drei historische Romane: Die Königssöhne aus dem Tower/Die Sarazenenbraut/Der Nonnen-Aufstand - Alfred Bekker - E-Book

Drei historische Romane: Die Königssöhne aus dem Tower/Die Sarazenenbraut/Der Nonnen-Aufstand E-Book

Alfred Bekker

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Dieser Band enthält folgende Romane: (499) Die Königssöhne aus dem Tower (W.A.Hary/Alfred Bekker/Hendrik M. Bekker) Die Sarazenenbraut (W.A.Hary/Alfred Bekker) Der Nonnen-Aufstand (W.A.Hary/Alfred Bekker/Hendrik M. Bekker) Nach dem überraschenden Tod des englischen Königs Edward IV. im April des Jahres 1483, ließ sein Bruder Richard dessen Söhne in den Tower of London sperren und für illigitim erklären. Dann stieg er selbst auf den Thron. Die beiden Prinzen wurden zuletzt im Sommer 1483 gesehen, um danach für immer zu verschwinden. Wurden sie ermordet? Oder gestattete man ihnen, irgendwo unerkannt ein neues Leben zu beginnen? Prinz Jaffar von Damaskus ist in diplomatischer Mission unterwegs, er führt mit Albert de Montagnac, dem Anführer der Normannen in Antiochia Verhandlungen über ein Bündnis. Alberts Sohn Roger soll die schöne Miranda heiraten. Durch Zufall begegnen sich Miranda und Jaffar, zwischen ihnen schlägt es ein wie ein Blitz. Das führt zu mehr als nur diplomatischen Verwicklungen, es kann Krieg bedeuten. Zusammen mit anderen Frauen soll Anna, die überzählige Tochter eines niederen Adeligen, ins Kloster Saint Croix gebracht werden, um dort den Rest ihres Lebens in Armut und Keuschheit zu verbringen. Ihre Familie wüsste sie dann gut versorgt. Unterwegs werden sie von Räubern überfallen. Oswin, ein Recke des Frankenkönigs, hilft ihnen und rettet sie. Anna verliebt sich in Oswin, obwohl sie weiß, dass es für diese Liebe eigentlich keine Hoffnung gibt.

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Alfred Bekker, W.A.Hary, Hendrik M. Bekker

Drei historische Romane: Die Königssöhne aus dem Tower/Die Sarazenenbraut/Der Nonnen-Aufstand

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Inhaltsverzeichnis

Drei historische Romane: Die Königssöhne aus dem Tower/Die Sarazenenbraut/Der Nonnen-Aufstand

Copyright

Die Königssöhne aus dem Tower: ​Historischer Roman

Die Sarazenenbraut: Historischer Roman: Gesamtausgabe Teil 1-3

Miranda und Jaffar: Die Sarazenenbraut 1

Miranda und Jaffar: Die Sarazenenbraut 1

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Ein Prinz aus Damaskus: Die Sarazenenbraut 2

Ein Prinz aus Damaskus: Die Sarazenenbraut 2

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Assassinen in der Wüste: Die Sarazenenbraut 3

Assassinen in der Wüste: Die Sarazenenbraut 3

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Der Nonnen-Aufstand

Drei historische Romane: Die Königssöhne aus dem Tower/Die Sarazenenbraut/Der Nonnen-Aufstand

W.A.Hary, Alfred Bekker, Hendrik M. Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane:

Die Königssöhne aus dem Tower (W.A.Hary/Alfred Bekker/Hendrik M. Bekker)

Die Sarazenenbraut (W.A.Hary/Alfred Bekker)

Der Nonnen-Aufstand (W.A.Hary/Alfred Bekker/Hendrik M. Bekker)

Nach dem überraschenden Tod des englischen Königs Edward IV. im April des Jahres 1483, ließ sein Bruder Richard dessen Söhne in den Tower of London sperren und für illigitim erklären. Dann stieg er selbst auf den Thron. Die beiden Prinzen wurden zuletzt im Sommer 1483 gesehen, um danach für immer zu verschwinden. Wurden sie ermordet?

Oder gestattete man ihnen, irgendwo unerkannt ein neues Leben zu beginnen?

Prinz Jaffar von Damaskus ist in diplomatischer Mission unterwegs, er führt mit Albert de Montagnac, dem Anführer der Normannen in Antiochia Verhandlungen über ein Bündnis. Alberts Sohn Roger soll die schöne Miranda heiraten. Durch Zufall begegnen sich Miranda und Jaffar, zwischen ihnen schlägt es ein wie ein Blitz. Das führt zu mehr als nur diplomatischen Verwicklungen, es kann Krieg bedeuten.

Zusammen mit anderen Frauen soll Anna, die überzählige Tochter eines niederen Adeligen, ins Kloster Saint Croix gebracht werden, um dort den Rest ihres Lebens in Armut und Keuschheit zu verbringen. Ihre Familie wüsste sie dann gut versorgt. Unterwegs werden sie von Räubern überfallen. Oswin, ein Recke des Frankenkönigs, hilft ihnen und rettet sie.

Anna verliebt sich in Oswin, obwohl sie weiß, dass es für diese Liebe eigentlich keine Hoffnung gibt.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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Die Königssöhne aus dem Tower: ​Historischer Roman

W.A.Hary, Alfred Bekker und Hendrik M. Bekker

Nach dem überraschenden Tod des englischen Königs Edward IV. im April des Jahres 1483, ließ sein Bruder Richard dessen Söhne in den Tower of London sperren und für illigitim erklären. Dann stieg er selbst auf den Thron. Die beiden Prinzen wurden zuletzt im Sommer 1483 gesehen, um danach für immer zu verschwinden. Wurden sie ermordet?

Oder gestattete man ihnen, irgendwo unerkannt ein neues Leben zu beginnen?

Dies ist ihre Geschichte…

Beide Jungen wachsen an verschiedenen Orten anonym und ohne voneinander zu wissen zu jungen Männern heran. Ihre Probleme beginnen, als sie sich verlieben…

*

Edward war erst dreizehn Jahre alt und verstand die Welt nicht mehr. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er wusste, dass sein Vater ihn schon als Einjährigen, also vor nunmehr zwölf Jahren, zum Thronerben ausgerufen hatte. Seitdem war Edward systematisch auf diese Rolle vorbereitet worden. Als Edward V., nach seinem Vater Edward IV. Auf die Rolle des Thronfolgers eben. Damit er zukünftig ein vorbildlicher König sein würde. Eines Tages, wenn sein Vater nicht mehr sein sollte.

Und dann hatte sein Vater ausgerechnet Onkel Richard aufgetragen, auf ihn und seinen Bruder aufzupassen, falls ihm einmal etwas zustoßen sollte. Er sollte die Sicherheit des Thronfolger Edward gewährleisten, bis dieser volljährig werden würde, um schließlich den Thron zu besteigen.

Onkel Richard überlegte es sich allerdings anders, als es dann tatsächlich soweit kam. Ganz anders, wie Edward feststellen musste. Er ließ ihn und seinen Bruder kurzerhand in den Tower of London werfen, um selbst den Thron zu besteigen und nach eigenem Willen zu herrschen.

Seitdem saß Edward, genannt der Fünfte, hier. Er war vom Prinzen herabgewürdigt worden zum gemeinen Gefangenen.

Es roch muffig an dem Ort, an dem er war. Ein Geruch, den er vorher nie hatte kennenlernen müssen und der jetzt zu seinem Leben gehörte. Kaum Licht am Tag, die feuchte Kälte in der Nacht, die ihm bis auf die Knochen ging. Die harte Pritsche, das Piepsen der hungrigen Ratten, der Fraß, den sie Essen nannten und der ihn anfangs nur dazu gezwungen hatte, sich zu übergeben, obwohl gar nichts mehr drin war in seinem Magen…

Von seinem Bruder hatte er seit der Gefangenahme überhaupt nichts mehr mitbekommen. Lebte er denn eigentlich noch? Mit Onkel Richard hatte er nur den Vornamen gemeinsam: Richard. Der gütige und verständnisvolle Onkel, der sich nur so lange als gütig und verständnisvoll gegeben hatte, wie ein solches Verhalten für ihn von Vorteil gewesen war.

Der junge Edward hatte eigentlich nur am Rande mitbekommen, dass er von Onkel Richard genauso wie sein Bruder mittlerweile für illegitim erklärt worden war, um ihre Inhaftierung zu rechtfertigen. Als wären sie niemals die rechtmäßigen Söhne des verstorbenen Königs gewesen.

Fröstelnd schlang Edward die Arme um sich, als würde das etwas nutzen. Draußen war es Nacht, aber wie sollte er schlafen können? Hungrig und frierend, in zerlumpten Klamotten, hier eingesperrt, regelrecht abgeschoben, beinahe wie weggeworfen, um hier mit der Zeit zu verrotten.

Nein, darauf war er in all den Jahren wahrlich nicht vorbereitet worden. Seine Vorbereitungen hatten dem höchsten Amt gegolten, um dieses England eines Tages anzuführen.

Es war nicht das erste Mal, dass sich Edward nichts sehnlicher wünschte, er wäre tot. Seitdem er es aufgegeben hatte, auf seine Mutter zu hoffen. Elizabeth Woodville, die Witwe des verstorbenen Königs, konnte den Thron nicht selbst besteigen. Doch sie hatte stehts als besonders starke Frau gegolten. Wieso ließ sie es zu, dass ihr ältester Sohn Edward hier im Tower verrottete wie der schlimmste Schwerverbrecher? Obwohl er nichts anderes getan hatte, als ihr Sohn zu sein? Und natürlich der Sohne des verschiedenen Königs.

Ob sie überhaupt noch lebte?, überlegte Edward.

Und ja, warum hatte Onkel Richard nicht beide Brüder einfach ebenfalls umbringen lassen? Das wäre seines Erachtens nach humaner gewesen.

Doch halt, vielleicht hatte er ja nur die Mutter und den jüngeren Bruder umbringen lassen und nur ihn, Edward, am Leben gelassen? Etwa, um seiner als vorgeblichem Thronfolger zu höhnen?

Er weinte still vor sich hin. Ohne Tränen, weil er keine mehr hatte. Dann kauerte er sich zusammen, in der Hoffnung, vielleicht dadurch ein wenig wärmer zu bekommen. Dabei lauschte er dem verhaltenen Piepsen der Ratten. Ob die sich damit untereinander unterhielten? Vielleicht hofften sie auf sein baldiges Ableben, um dann über ihn herzufallen? Er wäre allerdings keine gute Mahlzeit mehr gewesen. So abgemagert wie er inzwischen war, obwohl er noch gar nicht so lange hier einsaß. Es kam ihm vielleicht nur so vor, als wären seitdem Jahre vergangen? Er hatte sowieso längst jegliches Zeitgefühl verloren. Gleichmütig bekam er den stetigen Wechsel von Tag und Nacht mit, wobei die Nächte immer schlimmer waren als die Tage. Sie waren noch kälter.

Da mischte sich auf einmal ein völlig anderes Geräusch ein, in dieses Rascheln und Scharren und Piepsen der Ratten und irgendwelchem kleineren Ungeziefer, an das er lieber gar nicht denken mochte. Es war einerseits ein durchaus vertrautes Geräusch, denn einmal am Tag bekam er diesen unappetitlichen, übelriechenden Fraß, den er nur deshalb herunter schlang, weil der Hunger noch schlimmer sein würde. Dafür wurde jedes Mal die Tür aufgesperrt.

Aber doch niemals in der Nacht!

Er schreckte in einem Anfall von Panik auf.

Kamen sie jetzt endlich, um ihn zu töten und irgendwo zu verscharren? Damit er für immer spurlos verschwand und niemals mehr jemand dem neuen König den Thron streitig machen konnte?

Seine Panik legte sich wieder, denn hatte er sich nicht geradezu danach gesehnt, dass endlich Schluss war mit diesem Martyrium der Gefangenschaft unter solch unwürdigen und grausamen Bedingungen? Und sei es auch mit dem Tode?

Mutig und gefasst blieb er auf dem Pritschenrand sitzen. Das flackernde Licht, das die mitgeführte Fackel warf, blendete ihn ein wenig. Er konnte zunächst nur Schatten erkennen. Da, ein bleiches Gesicht. Ein älterer Mann. Handelte es sich um seinen Mörder?

Sie waren zu zweit. Der eine hielt die Fackel. Der andere stellte sich jetzt so, dass Edward sein Gesicht deutlicher sehen konnte. Er legte bedeutsam den Finger an den Mund.

Nun, Edward hatte gar nicht vor, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Diesen Triumph gönnte er seinem Mörder nicht. Er würde still und stumm seinen Tod empfangen. Mit königlicher Würde, wie man es ihm beigebracht hatte. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. So hatte er es sich jedenfalls fest vorgenommen.

Jetzt beugte sich der vermeintliche Mörder zu ihm nieder und raunte ihm zu:

„Mit den besten Grüßen von Eurer Frau Mutter, Königin Elizabeth, ehrwürdiger Prinz! Wir haben den Auftrag, Euch in Sicherheit zu bringen, ehe Euch tatsächlich noch etwas angetan werden kann. Es soll für Euch gesorgt sein. Eure Frau Mutter hat bereits dafür Vorsorge getroffen.“

Edward fehlten die Worte. Er konnte es gar nicht fassen, jetzt doch nicht umgebracht zu werden.

Seine Mutter, Königin Elizabeth Woodville? Dann lebte sie also noch? Und sein Bruder? Er wagte gar nicht zu fragen. Und falls er es doch gewagt hätte: Er brachte sowieso keinen Ton heraus.

Es schien, dass die Königin zumindest ihren Ältesten ganz und gar nicht vergessen hatte. Wohl musste sie nach wie vor selbst um ihr Überleben bangen. Deshalb hatte es also so lange gedauert.

Wie auch immer sie das angestellt hatte, sogar am jetzt amtierenden König vorbei: Dort draußen winkte jetzt seine Freiheit.

Doch etwas ließ ihn dennoch zögern. Nur so ein Gedanke, ein Verdacht. Was, falls es nicht doch nur eine Lüge jener Schergen des unrechtmäßigen Königs war, um ihn weit genug außerhalb erst vom Leben zum Tode zu befördern? Um sich dadurch den Transport seiner Leiche zu ersparen?

Aber wie hatte Edward schon einmal gehört:

„Die Hoffnung stirbt zuletzt!“

Und er durfte jetzt jedenfalls noch hoffen. Daher wehrte er sich nicht, als sie ihn wegbrachten.

*

Edward befand sich wie im Nebel. Wie sehr ihn der Kerker bereits geschwächt hatte, wurde ihm jetzt erst so richtig klar. Er fühlte sich noch elender als zuvor, und immer wieder verschwamm alles vor seinen Augen. Er bekam eigentlich gar nicht mehr so recht mit, wie ihm geschah.

Einerseits war da zwar die Hoffnung auf Freiheit, wie auch immer diese geartet sein mochte, wobei dies sicherlich besser sein würde als der Kerker…

Er versuchte, die aufkeimende Todesangst immer wieder zu unterdrücken. Damit war er vollauf beschäftigt. Ansonsten ließ er einfach alles mit sich machen. Man schubste ihn, drängte ihn, hielt ihn im nächsten Moment wieder auf, ermahnte ihn immer wieder dazu, bloß keinen Ton von sich zu geben, obwohl er die ganze Zeit über sowieso stumm blieb…

Das alles dauerte schier endlos lange an. Wann immer er wirklich nicht mehr konnte, stützten sie ihn. Was er allerdings überhaupt nicht ausstehen konnte. Deshalb nahm er sich dann ganz besonders zusammen. Bis zum nächsten Schwächeanfall, gegen den er nicht mehr ankam.

Die plötzliche Ruhe ließ ihn nicht aufatmen, denn er wusste schlagartig:

Jetzt ist es soweit! Jetzt wird es sich erweisen, was meine Befreier wirklich mit mir vor haben. Sind sie tatsächlich Befreier oder doch eher Entführer? Wenn Letzteres…

„Jetzt sind wir in Sicherheit!“, seufzte der Mann, dessen Gesicht er anfangs so deutlich hatte sehen dürfen. Das Gesicht des Fackelträgers hingegen war ihm verborgen geblieben. Dafür hatte dieser selbst gesorgt.

Nun war er allein mit diesem älteren Mann, der ihm gegenüber saß.

Edward blinzelte verwirrt. Dies alles war wie ein Traum an ihm vorübergezogen. Ein Alptraum zumal. Aus dem er jetzt hoffentlich erwacht war. Oder hatte lediglich das Traumthema gewechselt?

Dieser ältere Mann in betont dunkler Kleidung, sicherlich um in der Dunkelheit nicht erkannt werden zu können, lächelte ihn an. Das Licht stammte von einer Laterne, die der Mann auf den Boden gestellt hatte. Es war eindeutig der Boden einer Kutsche.

„Ihr werdet nun zu Eurem Landgut gebracht, Mylord. Bitte vergesst Euren bisherigen Namen und vor allem Euren bisherigen Rang als Prinz. Niemand darf je erfahren, wer Ihr wirklich seid. Denn sonst ergeht es Euch wie Eurem Bruder.“

„Wie meinem Bruder?“, echote Edward unheilschwanger.

„Ja, leider konnten wir seinen Mord nicht mehr verhindern. Noch in dieser Nacht solltet auch Ihr ermordet werden. Im Auftrag Eures Onkels, des neuen Königs. Wir konnten Euch nur noch sehr knapp rechtzeitig davor bewahren. Im Auftrag von Königin Elizabeth, die unsere wahre Königin bleibt. Allerdings durfte sie sich nicht persönlich bemühen, denn sie musste vor dem Zugriff des neuen Königs fliehen und fand Obhut bei barmherzigen Schwestern. Zwar hat der unrechtmäßige neue König bereits mehrfach versucht, ihrer habhaft zu werden, doch vergeblich, denn das Gesetz der Kirche schützt Eure Frau Mutter. So konnte sie wenigstens Eure Rettung organisieren.“

“Dann habe ich allen Grund dankbar zu sein.”

“Das habt Ihr.”

“Ich nehme an, ich werde für alle Zeiten auf den Thron verzichten müssen.”

“Rechnet damit, dass Ihr des Todes seid, sobald jemand von Eurer neuen Identität erfährt. Also seid vorsichtig.”

“Aber…”

“Mit dem Thron habt Ihr nichts mehr zu tun, John.”

“John?”

“Das wird Euer neuer Name sein. John Evans. Gewöhnt Euch daran, junger Herr. Je schneller desto besser.”

Er schöpfte tief Atem und brachte eine Reihe von Dokumenten zutage.

Interesselos sah Edward sie an.

Sein Gegenüber sagte: „Das sind die notwendigen Nachweise für Euch, Mylord. Beispielweise die Besitzurkunde. Ihr seid nunmehr der Herr Eures eigenen Landgutes in Coldrigde, Devon, und unter dem Titel Lord of the Manor, also Rittergutbesitzer, nehmt Ihr den Namen John Evans an. Als solchem obliegt Euch nunmehr die Verantwortung über das Jagdwild der Region.“

Edward blinzelte verwirrt. Er behielt die Augen geschlossen, in dem Bemühen, sich zu sammeln, was ihm unendlich schwer fiel. Die bleierne Müdigkeit, die seine Glieder lähmte – und nicht nur seine Glieder, sonder auch seinen Verstand. Der unentwegt nagende Hunger. Der Durst nach erfrischendem Wasser, ohne diesen schalen Beigeschmack und modrigen Geruch wie bislang…

Er riss die Augen wieder weit auf, wollte etwas sagen, doch die Stimme versagte ihm den Dienst.

„Verzeihung, Mylord, ich verstehe. Da ist alles zu viel auf einmal für Euch. Wir machen uns jetzt besser auf den Weg. Natürlich haben wir eine Stärkung für Euch vorbereitet. Aber schlaft erst einmal, um so wieder zu Kräften zu kommen. Und habt keine Bange, was Eure zukünftige Rolle betrifft: Ihr seid offiziell der Erbe des Landgutes, dessen vorheriger Besitzer ansonsten ohne Anhang verstorben ist. Ein Freund der Königin, wenn ich bemerken darf. Und Eurer Frau Mutter zu Lebzeiten noch einen großen Gefallen schuldig.“

Er zögerte kurz, und Edward bekam gerade noch mit, bevor ihn die Müdigkeit vollends übermannte, dass er sagte:

„Ich bitte vielmals um Vergebung, dass wir Euch erst jetzt befreien konnten, doch all diese Vorbereitungen, was Eure künftige Rolle als Lord of the Manor betrifft, dann das Warten auf den günstigsten Zeitpunkt, das alles hat leider seine Zeit beansprucht. Es muss ja hieb- und stichfest bleiben, nicht wahr? Denn sobald jemand Verdacht schöpfen könnte, wer Ihr wirklich seid, als edler Prinz und rechtmäßiger Thronfolger, seid Ihr endgültig des Todes.“

“Das sagtet Ihr bereits.”

“Ja.”

“Ich hatte eigentlich die Hoffnung, dass…”

“Was?”

“Dass die Parteigänger meines Vaters vielleicht noch Hoffnung sehen würden.”

“Hoffnung auf den Thron?”

“Ihr werdet ein ungekrönter König bleiben.”

“Ich kann mich an diesen Gedanken nur schwer gewöhnen.”

“Die Partei Eures Vaters existiert nicht mehr. Euer Onkel ist der neue König von England und hat alles fest in seiner Hand. Es grenzt an ein Wunder, dass wir Euch retten konnten.”

“Ja..”

“Ihr seid ein Junge von dreizehn Jahren. Das Leben liegt vor Euch.”

“Es ist ein anderes Leben als das, für welches ich geboren wurde!”

“Aber ein Leben! Und gar nicht Mal ein schlechtes. Ihr werdet Euch damit zufrieden geben müssen.”

“Ich dachte, ich wäre für Großes geboren worden!”

“Jetzt seid Ihr dafür geboren, die Kleinheit zu akzeptieren.”

“Ich weiß…”

“Ich werde nicht in die Fußstapfen großer Könige von England treten können…”

“...von denen etliche keines natürlichen Todes starben, mein Junge! Ihr werdet hingegen ein ganz gewöhnliches Leben leben können und Ihr habt die Aussicht, im Bett zu sterben. Euer Los könnte schlimmer sein.”

*

Lady Elizabeth Woodville sah sich selbst immer noch als die eigentliche Königin. Nicht nur sie selbst, sondern einige mehr oder weniger einflussreiche Adelige ebenso, die mit Richard III. als neuem König aus eigenen Gnaden nicht einverstanden waren. Zwar hatte unter diesen der eine oder andere durchaus auch noch so seine eigenen Pläne und Ansichten, die nicht unbedingt sich mit denen der Königin deckten, doch derzeit erschien es angebracht, insgeheim dennoch Zusammenhalt zu üben. Nur so war es möglich gewesen, dass sie aus dem Klosterasyl heraus überhaupt die Befreiung ihrer Söhne hatte betreiben können.

Nicht persönlich, aber immerhin durch willfährige Helfer. Wobei sie gleichzeitig das Gerücht verbreiten ließ, Richard III. hätte die unliebsame Verwandtschaft nun doch noch kurzerhand umbringen und für immer verschwinden lassen.

Da sie ihren eigenen Verbündeten nur insoweit traute, wie sie diese sehen konnte, im wahrsten Sinne des Wortes, tat sie auch noch ein Übriges: Jene, die mittelbar und unmittelbar beteiligt waren an der Befreiung ihrer Söhne, wussten voneinander überhaupt nichts. Sie sollten es auch niemals erfahren. Sie waren jeweils nur für die Befreiung eines ihrer Söhne zuständig, während sie eingeredet bekamen, dass der jeweils andere Prinz schon nicht mehr am Leben war.

Das erschien ihr mehr als sinnvoll, denn sie traute inzwischen wirklich niemandem mehr. Aus gutem Grund, wie Richard III. Sie gelehrt hatte. Als ihr Mann damals doch tatsächlich ihrer beider Söhne in dessen Obhut übergab, im Falle seines frühzeitigen Ablebens, hatte sie wirklich alles versucht, um genau das zu verhindern. Aber natürlich hatte ihr Mann nicht auf sie hören wollen. Das Ergebnis war dann auch prompt das gewesen, wie sie es bereits voraus geahnt hatte: Die Situation rigoros ausnutzend, hatte sich Richard selbst zum König gemacht und die Prinzen als angeblich illegitim in den Tower werfen lassen.

Sie selbst hatte es geschafft, rechtzeitig seinem Zugriff zu entgehen. Eben weil sie es voraus geahnt hatte. Leider war es ihr dabei nicht gelungen, auch ihre Söhne zu retten. Zumal es natürlich Schwierigkeiten hier im Kloster gegeben hätte. Immerhin waren die beiden inzwischen in einem Alter, da sie nicht mehr jung genug erschienen, um ein reines Nonnenkloster überhaupt auch nur betreten zu dürfen.

Eine andere Möglichkeit des sicheren Exils hatte sich in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit während ihrer Flucht vor dem neuen König leider nicht ergeben. Hätte sie gar versucht, gemeinsam mit ihren Söhnen ins Ausland zu fliehen, hätten sie die Häscher des neuen Königs noch rechtzeitig abfangen können. Sie wäre ebenfalls im Tower gelandet. Wenn ihr nicht gleich schon Schlimmeres widerfahren wäre.

Nein, hier war sie auf Dauer sicher, und jetzt, da sie darauf wartete, dass man ihr endlich melden konnte, was mit ihren beiden Söhnen geschehen war, ob es wirklich hatte gelingen können, sie zu retten, konnte sie sich innerlich darauf vorbereiten, für die weitere Zukunft zu planen.

Denn die Königin im Asyl hatte noch einiges vor für diese Zukunft, in der sie langfristig noch eine große Rolle spielen wollte.

Wer sie gut genug kannte, ahnte bereits, dass ihr dies tatsächlich gelingen könnte. Vielleicht nicht gleich in den nächsten Jahren, aber irgendwann sicherlich…

Obwohl sie derzeit eben erst einmal nur Gedanken hatte an ihre Söhne.

Konnte Edward als John Evans sicher seine neue Rolle als Lord oft the Manor annehmen, wie von ihr akribisch geplant? Und was war indessen mit ihrem noch drei Jahre jüngeren Sohn Richard of Shrewsbury?

*

Der zehnjährige Richard lebte in der Tat ebenfalls noch. Obwohl nunmehr sein drei Jahre älterer Bruder Edward davon ausgehen musste, er sei bereits ermordet worden. Umgekehrt wusste Richard überhaupt nichts von seinem Bruder. Seit er hier in der Zelle saß. Nicht in einer Gemeinschaftszelle, sondern einzeln, wie auch Edward zuvor.

Dass Edward erst vor kaum mehr als einer Stunde von hier weggebracht worden war, lag für ihn genauso im Dunkeln, wie seine Zelle, in der er sich frierend auf seiner Pritsche zusammenkauerte, vergeblich versuchend, Schlaf zu finden. Er war verängstigt und verstört. Ein Zehnjähriger, als Prinz im größtmöglichen Luxus aufgewachsen und nun auf einer Stufe, auf der er sich gleich setzte mit den hungrigen Ratten, die hier umherstrichen, als würden sie nur noch darauf warten, dass er sich nicht mehr länger gegen sie wehren konnte.

An das sonstige Ungeziefer hatte er sich zwar auch noch nicht gewöhnen können, doch es gelang ihm zumindest, dies alles weitgehend zu verdrängen.

Einfach nicht daran denken, abschalten, ertragen, bis zum bitteren Ende. Das war seine Devise als Zehnjähriger. Denn so wollte er nicht auf Dauer existieren. Obwohl es schon als eine Art Privileg anmutete, dass er überhaupt mit niemandem seine Zelle teilen musste, außer eben mit den hungrigen Ratten, die wieselflink verschwanden, sobald sich etwas an der Tür rührte.

So wie jetzt!

Es dauerte eine Weile, bis Richard überhaupt bewusst wurde, dass jemand geöffnet hatte und eingetreten war. Und das eigentlich auch nur deshalb, weil das taumelnde Licht an der schmutzigen und blatternarbigen Kerkerwand und das Knattern von den Flammen einer mitgeführter Fackel dies verrieten.

Er wandte sich träge herum. Und es erging ihm genauso wie Edward bei dessen Befreiung: Er erwartete, dass jetzt endlich das ersehnte Ende kommen würde. Das Ende der Gefangenschaft unter diesen schrecklichen Bedingungen. Wenn nichts mehr helfen konnte außer eben dem Tod.

Der Mann, der ihm sein Gesicht im flackernden Licht der Fackel zeigte, war noch nicht allzu alt. Er lächelte zwar freundlich, doch Richard sah darin keine Freundlichkeit, sondern nur die Häme eines Mörders, der sich auf sein Opfer freute.

Er blieb liegen und rührte sich nicht mehr. Richard schloss sogar die Augen, den Todesstreich erwartend. Doch dieser kam nicht. Ganz im Gegenteil: Er wurde hochgehoben und weggebracht.

Richard wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Er hatte viel zu sehr Angst vor dem, was ihn erwartete. Wieso tötete man ihn nicht einfach? Wollte man ihn noch zusätzlich quälen? Hatte Onkel Richard gar beschlossen, ihn foltern zu lassen?

Dies alles ging ihm durch den Kopf und ließ ihn leise wimmern.

Der ihn auf seinen starken Armen trug, reagierte gar nicht darauf. Er war offensichtlich nicht allein. Es war ja noch mindestens einer bei ihm. Eben derjenigen, der die Fackel trug, die er soeben ausmachte.

Richard wagte es, weit die Augen aufzureißen, ohne jedoch etwas sehen zu können. Es war stockfinster um sie herum.

Stimmen und Schritte, die sich ihnen näherten.

Die Männer, die bei ihm waren, verhielten sich ganz ruhig. Er lauschte verängstigt.

Die Schritte und Stimmen gingen vorüber. Er wurde weitergetragen. Durch die Finsternis, die nicht immer vollkommen erschien.

Es war einfach zu verwirrend, als dass er es ertragen konnte. Deshalb schloss er lieber wieder die Augen und ließ alles über sich ergehen. Genauso wie die vergangenen Wochen in der Gefangenschaft, die ihm allerdings vorkamen wie endlos lange Jahre.

Eine weiterhin quälend langsam verstreichende Zeit, während er immer weiter getragen wurde. Hin und wieder wurde gestoppt zwischendurch. Man hörte irgendwie ihm verdächtig, weil undefinierbar erscheinende Geräusche. Dann ging es jedes Mal doch noch weiter.

Schließlich eine Stimme, ganz nah. Es wurde miteinander geflüstert, in einem wahren Verschwörungston.

Allmählich begann Richard zu begreifen: Er wurde nach draußen gebracht. Man musste Umwege beschreiten, um nicht aufzufallen, und man hatte Verbündete, die es letztlich ermöglichten, dass man ihn aus dem Tower entführte.

Aber warum tat man dies überhaupt? War es wirklich eine Befreiung?

Richard erlaubte sich endlich, zu hoffen. War jetzt dieses Martyrium beendet?

Endlich wurde er abgesetzt. Er blieb nicht liegen, sondern richtete sich auf. Es gab Licht. Mehrere Männer umringten ihn. Einer trug eine brennende Laterne. Ein anderer hatte eine erloschene Fackel in der Hand. War er jener, der mitgeholfen hatte, ihn aus dem Tower zu entführen? Und was hatten sie jetzt mit ihm vor?

Der jüngere Mann, der Richard schon in der Zelle sein freundlich lächelndes Gesicht gezeigt hatte, meinte wohlwollend:

„Willkommen in der Freiheit, Prinz Richard! Wir sind Verbündete des Dukes of Dartmoor. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Euch in Absprache mit Königin Elizabeth zu befreien und Euch bei sich aufzunehmen. Niemand wird jemals erfahren, wer Ihr wirklich seid. Das wäre viel zu gefährlich für Euch. Wir alle hier sind zu strengstem Stillschweigen verpflichtet. Wir würden uns eher die Zunge abbeißen, als Euch zu verraten.

Ja, seid willkommen! Wir werden Euch nun zu Eurem neuen Heim bringen. Dort werdet Ihr nicht mehr Richard of Shrewsbury sein, sondern künftig Andrew of York, Sohn eines Großcousins unseres hohen Herrn, des Dukes of Dartmoor.“

Das war zu viel für Richard in seinem gegenwärtigen Zustand. Er verstand eigentlich nur, dass sie ihm nichts Böses antun wollten. Ganz im Gegenteil: Sie hatten ihn offensichtlich befreit, und es sollte ihm in Zukunft gut ergehen. Schließlich war doch auch seine Mutter genannt worden. Sie hatte ihn also doch nicht für immer vergessen…

Richard ließ sich einfach wieder auf den Boden sinken. Er hatte keinerlei Kraft mehr. Dabei spürte er kaum noch, dass sie ihn wieder aufhoben und weiter brachten. Anscheinend verfrachtete man ihn in eine Kutsche. Aber auch das bekam er gar nicht mehr richtig mit, denn endlich gelang es ihm, nach so vielen durchwachten, weil durchfrorenen Nächten, Ruhe und somit Schlaf zu finden.

*

Der Duke of Dartmoor konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal dermaßen nervös gewesen war. Es hing halt einfach zu viel davon ab, dass es gelingen würde, Prinz Richard von Shrewsbury aus dem Tower zu entführen. Trotz der strengen Überwachung dort, was ein Entkommen aus diesem berüchtigten Kerker angeblich völlig unmöglich machte.

Denn der Duke hatte bei diesem Unternehmen durchaus seine eigenen Pläne, die er rigoros zu verfolgen beabsichtigte. Pläne, von denen er sicher war, dass Königswitwe das nicht wissen konnte. Er hatte ja nur so getan, als würde er sie immer noch als Königin verehren.

Nun, solange sie sich im Klosterexil befand, konnte sie ihm wohl kaum in die Quere kommen. Zumal seine Pläne heimlich Unterstützung fanden bei einigen echten Verbündeten. Und sie alle planten sowieso sehr langfristig.

Dass derzeit Richard III. auf dem Thron saß, war ein Ärgernis für sie, und eigentlich gab es nur insofern eine echte Übereinstimmung mit der Königswitwe. Als sie dann ausgerechnet ihn um Hilfe gebeten hatte, ihren jüngsten Sohn Richard von Shrewsbury aus dem Tower zu entführen, war er natürlich hellhörig geworden. Der kleine Prinz Richard, der ironischerweise denselben Namen trug, wie der Usurpator, der jetzt als Richard III. den Thron bestiegen hatte.

Zunächst hatte der Duke of Dartmoor sehr zurückhaltend auf die Bitte reagiert, den kleinen Prinz Richard bei sich aufzunehmen.

Denn war nicht vielmehr dessen Bruder Edward V. zum Thronfolger ausersehen und durch den neue König gerade abgesetzt worden? Was sollte es ihm denn angesichts dessen für einen Vorteil bringen, wenn er auf diese Bitte einging? Immerhin war das Ganze mit einem hohen Risiko verbunden, denn wenn die Befreiung misslang, konnte es vielleicht bis zu ihm zurückverfolgt werden. Das hätte seinen Plänen enorm geschadet. Ja, sie wären damit vielleicht sogar obsolet geworden.

Doch die Königswitwe hatte ihn regelrecht beschworen, und erst das Argument, sie hätte nun als Mutter schon den Ältesten ihrer Söhne verloren durch feigen Mord im Auftrag des neuen Königs, hatte ihn letztlich überzeugt.

Wenn Edward V. nicht mehr lebte, kam als offizieller Thronfolger ja nur noch sein jüngerer Bruder Richard in Frage. Natürlich nicht mit erst zehn Jahren. Er musste zunächst noch das entsprechende Alter erreicht haben.

Und genau das war immerhin ein Plan, den es sich zu verfolgen lohnte. Wenn er Richard großzügig bei sich aufnahm, ihm eine neue Identität verschaffte als Andrew of York, würde ihm der Prinz ewig dankbar sein müssen. Er würde ihm auch tatsächlich die beste Erziehung angedeihen lassen. Um ihn würdig zu machen sogar als künftigen König.

Genau das war sein erklärtes Ziel: Unter seiner Obhut und seinem permanenten Einfluss musste es gelingen, ihn eines Tages als der einzig rechtmäßige König auszurufen und ihn auf den Thron zu setzen. Wer auch immer zu diesem Zeitpunkt bereits darauf sitzen sollte.

Er hätte dann nicht den Prinzen Pfand vorweisen können. Er würde aus Andrew of York wieder den rechtmäßigen Prinzen Richard of Shrewsbury machen, um aller Welt gegenüber als der noch einzig rechtmäßige Thronerbe vorgestellt werden zu können.

Dagegen würde keiner ankommen. Dem Volk würde man die entsprechende Geschichte näher bringen vom Prinzen, der knapp dem Tode entronnen war, um in der Obhut seines Gönners, Duke of Dartmoor, in Sicherheit groß zu werden. Nur um jetzt endlich aus dem Schatten heraus sein Erbe antreten zu können und eines Tages König Richard IV. zu werden. Ein König, den er bis dahin geform und erzogen haben würde… Ein König unter seinem Einfluss! Der Duke of Dartmoor schwärmte in Gedanken schon regelrecht davon. Obwohl noch viele Jahre Arbeit vor ihm lagen, bis dieser seines Erachtens nach geniale Plan vollendet werden konnte. Wann dann endlich der Prinz zum König geworden war, als seine persönliche Königsmarionette. Er würde diese Jahre leidlich nutzen, dass die Dankbarkeit des Prinzen ihm gegenüber groß genug wurde, um ihn völlig unter seinen Einfluss zu bringen. Er konnte dann in der Zukunft aus dem Unsichtbaren heraus die Fäden ziehen, während seine persönliche Königsmarionette sämtliche Risiken auf sich nahm.

Der Unterstützung seiner Verbündeten war er sowieso schon gewiss. Er würde jedenfalls im Geheimen der mächtigste Mann Englands werden. Ein zwar noch langer Weg hin und sicherlich auch steinig, doch welches Ziel konnte wohl lohnender sein, als das Ziel der größten Machtfülle?

An Schlaf war in dieser so bedeutsamen Nacht natürlich nicht für ihn zu denken. Denn wenn die Befreiung aus dem Tower nicht gelingen sollte, zerplatzten all diese Pläne wie ein unerfüllbar gewordener Traum.

Und dann bekam er endlich die Nachricht, dass Prinz Richard of Shrewsbury als künftiger Andrew of York einigermaßen wohlbehalten eingetroffen sei.

“Gott sei Dank!”, stieß er er hervor. Er andte sich an einen seiner Diener: “Dem Jungen soll es an nichts mangeln!”

“Jawohl, Mylord!"

Die Erleichterung, die der Duke of Dartmoor darüber verspürte, konnte er gar nicht in Worte fassen. Sogleich schickte er einen Boten an die Königswitwe, um ihr den Erfolg zu melden, was die Errettung ihres jüngeren Sohnes betraf.

Seine Pläne deckten sich zwar keineswegs mit den Plänen von Elizabeth Woodville, aber das durfte diese ja nicht wissen. Und es schadete wohl nicht, wenn er auch weiterhin so tat, als sei er ihr zutiefst zugetan.

Er dachte an den künftigen Andrew of York. Er musste diesem noch mitteilen, dass sein älterer Bruder nicht mehr lebte.

Das spielte ihm nur in die Hände, denn das Überleben Edwards wäre nie in seinem Sinne gewesen. Glücklicherweise war der Versuch diesen zu retten wohl gescheitert, wie der Duke of Dartmor informiert worden war. Allerdings würde der Duke dem zukünftigen Andrew of York auch eine wichtige Lüge auftischen müssen, nämlich das seine Mutter ermordet worden war. Dies war mit der Königswitwe längst abgesprochen. Die Sehnsucht des Sohnes nach seiner Mutter durfte ihn einfach nicht leichtsinnig werden lassen. Zuviel stand dafür auf dem Spiel. Eben nicht nur das eigene Leben des Prinzen, sondern natürlich auch die Pläne seines nur scheinbar so noblen Gönners.

Also musste die Königswitwe eben nicht nur dem neuen Andrew gegenüber, sondern vor allem auch offiziell für tot erklärt werden. Sie selbst war allein schon deshalb einverstanden damit, weil sie dann künftig sicherer war gegenüber möglichen Übergriffen des neuen Königs. Was ihrem heimlichen politischen Einfluss ja keinerlei Abbruch tat. So lange ihre engsten Verbündeten und Vertrauten allein eingeweiht blieben. Wozu sich auch der Duke zählte, solange er der Königswitwe noch etwas vormachen konnte.

*

Zehn Jahre danach…

Im Jahr 1493 nach Christus.

John Evans war zu einem jungen Mann herangewachsen. Niemand in seiner Umgebung ahnte etwas davon, dass er in Wahrheit der ungekrönte König Edward V. war.

Er war nun schon so lange Lord of the Manor John Evans, dass ihm seine Vergangenheit wie ein Traum vorkam. Ein Traum zumal, der böse geendet hatte. Nämlich mit wochenlanger Kerkerschaft im berüchtigten Tower of London. Seine damalige Befreiung hatte ihm im wahrsten Sinne des Wortes völlig neue Perspektiven eröffnet. Als ausgewiesener Thronfolger hatte er unter der ständigen Angst vor Feinden leben müssen, während eine allzu gestrenge Erziehung ihn auf sein künftiges Amt vorbereitet hatte. Dagegen war seine jetzige Rolle als Lord of the Manor gewissermaßen der Quell nicht enden wollender Wonne in Freiheit und angemessenem, wenngleich nicht übertriebenem Wohlstand.

Vor allem die Aufgaben als Lord of the Manor hatten es ihm längst angetan. Es war ihm, als wäre er eigentlich für genau diese Rolle geboren worden. Nicht eben für die Rolle eines Königs, der sich vor seinen machthungrigen Feinden stets und ständig schützen musste.

Nein, das alles blieb ihm nun schon seit zehn Jahren erspart. Und als Verantwortlicher über das Jagdwild in der Region von Devon von seinem Landgut in Coldrigde aus hatte er auch keinerlei Neider zu befürchten. Der eigentliche Fürst der Region war ein Adeliger mit Namen Arthur Earl of Bideford.

Nun war John bereits dreiundzwanzig Jahre alt und somit in einem Alter, in dem er von Jedermann mit dem Respekt behandelt wurde, wie es ihm als Erwachsenen gebührte. Und er hatte sich einen ausgezeichneten Ruf verschafft als Rittergutsbesitzer. Wenn er zur Jagd rief, war das schon beinahe legendär zu nennen. Kaum jemand würde es wagen, seiner Einladung nicht zu entsprechen, wenn wirklich alles kam, was Rang und Namen hatte.

Wie beispielsweise der Earl of Bideford höchst persönlich. Der Earl selbst musste in diesem Fall als der eigentliche Gastgeber gelten, seinem Rang in dieser Region gemäß. Obwohl natürlich jeder wusste, dass John Evans im Grunde genommen derjenige war, dem dies alles hier zu verdanken war.

Eine wahrlich illustre Jagdgesellschaft, die sich da zusammentat, und wirklich niemand von denen fehlte, die John eingeladen hatte. Obwohl sicherlich nicht jeder Teilnehmer an der Jagdgesellschaft tatsächlich an der Jagd interessiert war, handelte es sich doch um ein hoch angesehenes gesellschaftliches Ereignis, bei dem niemand zu fehlen wagte.

Zumal der Anlass dieser ganz speziellen Gesellschaft am heutigen Tag ein ganz besonderer war: Arthur Earl of Bideford feierte nämlich just an diesem Tag seinen Geburtstag! Also ging es eben nicht nur um die Jagd an sich, an der manche teilnahmen, ohne die Absicht, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben, sondern vor allem um die anschließende Feier. Für deren Ausrichtung natürlich ebenfalls John Evans mit Absprache des Earls verantwortlich zeichnete.

Es war das erste Mal, dass John die Tochter des Earls so richtig auffiel. Obwohl er sie im Laufe der vergangenen Jahre immer wieder gesehen hatte. Aber aus dem viel zu dürren Mädchen war inzwischen immerhin eine überaus attraktive Frau geworden. Und schließlich war er ja auch selbst um Jahre älter und somit reifer geworden.

Wann hatte er sie denn das letzte Mal zu Gesicht bekommen? Das war mindestens schon fünf Jahre her, denn Jagdgesellschaften waren für sie augenscheinlich nichts gewesen, wobei sie ja als Tochter des Earls keine persönliche Einladung benötigt hatte, die sie dann hätte ablehnen können, und nun war sie allein schon deshalb mit anwesend, weil ihr Vater seinen Geburtstag am selben Tag feiern wollte.

Auf einmal, gerade so, als würde es den berühmten Pfeil Armors wirklich geben, spürte er, wie es ihn gewissermaßen mitten ins Herz traf, denn nicht nur sie war ihm ganz besonders aufgefallen, sondern auch umgekehrt: Sie sah ihn mit Augen an, die nichts verbergen konnten. Vor allem nicht, dass sie ihrerseits doch sehr Gefallen an ihm fand.

Natürlich senkte sie sogleich wieder züchtig den Blick, wie man es von einer jungen Dame von Rang und Namen erwartete, doch John war regelrecht für sie entflammt. Es gab keine junge Dame, die jemals zuvor sein Herz dermaßen zu berühren vermocht hatte. Catherine war auf jeden Fall die Ausnahme.

Aber ausgerechnet die Tochter des Earls? Immerhin war dieser ja so etwas wie der Herr über die Region. Ihm selbst als Lord of the Manor oblag lediglich die Macht über das Jagdwild und nicht etwa über irgendwelche Menschen. Von seinen zahlreichen Bediensteten einmal abgesehen. Außerdem war der Earl heute die wichtigste Person überhaupt des Tages. Ständig wurde er von irgendwelchen Speichelleckern umlagert. Es war kaum an ihn heranzukommen, auch für ihn nicht, der ja für die Ausrichtung nicht nur der Jagd, sondern auch in diesem besonderen Fall der Feierlichkeiten verantwortlich zeichnete.

Andererseits war das ja auch ein Vorteil, denn dann konnte sich John unter einem guten Vorwand der Tochter des Earls nähern, ohne Verdacht zu erregen. Vor allem auch, ohne jegliches Risiko etwa einer Abfuhr ihrerseits. Denn was, wenn er sich nun irrte und er den Ausdruck ihrer Augen angesichts seiner völlig falsch interpretierte?

Er musste ja nicht wirklich ein Risiko eingehen, wenn er beinahe wie nebenbei erwähnte, noch etwas Wesentliches mit dem Earl besprechen zu müssen, doch leider nicht mit ihm zusammenkommen zu können. Was, wenn er es stattdessen einmal mit dessen Tochter versuchte, die es ja vielleicht leichter hätte, mit ihrem Vater zu vermitteln?

Das war einleuchtend und eben absolut unverdächtig. Er konnte also gewissermaßen in aller Öffentlichkeit zu ihr hin gehen, ohne dass es auf jemanden gar hätte anrüchig wirken können. Zumindest redete er sich das erfolgreich selber ein. Genauso wie er zu spüren glaubte, aller Augen wären nur auf ihn gerichtet, als er es endlich doch wagte, zu Catherine hintrat und sie mit dem charmantesten Lächeln begrüßte, zu dem er überhaupt fähig war.

Es folgte natürlich ein traditioneller Handkuss, verbunden mit einem artigen Knicks, um damit der jungen Dame seine Aufwartung zu machen. Und bevor diese noch reagieren konnte, etwa sogar abweisend, wie er es insgeheim immer noch befürchtete, obwohl nichts dergleichen darauf hinzuweisen schien, entschuldigte er sich in aller Form für den „überraschenden Überfall“, so wörtlich.

Er fügte hinzu:

„Es erscheint schier unmöglich, Eurem Herrn Vater auch nur nahe zu kommen, so begehrt als die wichtigste Person des Tages, weshalb ich mich erdreiste, Euch um Euren Beistand zu bitten, Lady Catherine.“

„Soso?“ Sie lächelte verhalten, was John in keiner Weise einordnen konnte. Kein Wunder, denn allein schon ihre Nähe verwirrte ihn zunehmend. Wo er doch vorher schon reichlich verwirrt gewesen war. Er konnte das einfach nicht unterdrücken. Und diese Unsicherheit trug er anscheinend auch noch nach außen. Galt ihm deshalb dieses Lächeln? Und was sollte eigentlich das „Soso?“ in diesem Fall bedeuten?

Am liebsten hätte sich John gleich wieder zurückgezogen, allein seine Beine versagten ihm den Dienst. Er musste auf der Stelle ausharren und fragte sich verzweifelt, wieso dieses wunderschöne Geschöpf, zu dem Catherine geworden war, eine solche Wirkung auf ihn haben konnte.

Das verriet ihm eigentlich das Ziehen in der Herzgegend, aus dem ein starkes Kribbeln erwuchs, wie es sich mehr und mehr nach unten ausbreitete, in seinen Bauchraum. Das war tatsächlich so, als hätte er einen ganzen Schwarm von Schmetterlingen in seinem Bauch, die total aufgeschreckt umherschwirrten und nicht aufhören wollten, zu kribbeln.

Beschrieben die Dichter denn nicht genauso das Empfinden der Liebe?

Er blinzelte angestrengt, als wäre dies nötig, um besser zu sehen. Und in der Tat, es fiel ihm schwer, noch Einzelheiten wahrzunehmen. Als hätte sich eine Art Schleier über sein Gesicht gelegt.

Dieses Lächeln…

„Und wobei benötigt Ihr meinen Beistand, Lord Evans?“

„Äh, Verzeihung, mit Verlaub, Mylady…“, stotterte er.

Sie lächelte stärker.

„Oh, ich verstehe schon. Es geht wohl um die Geburtstagsfeier meines Vaters. Aber gern würde ich Euch dabei höchst selbst Beistand gewähren. Was immer vonnöten wäre. Zumal ich bereits begonnen hatte, mich gelinde zu langweilen.“

„Dann wäre Euch meine Nähe durchaus genehm?“

Er hörte seine eigenen Worte und hätte sich am liebsten im Nachhinein die Zunge abgebissen. Was redete er denn da? Wie unschicklich war das denn? Hatte er nicht in jüngsten Jahren schon die beste Ausbildung im höfischen Benehmen erhalten? Nur um hier herum zu stottern wie ein sprichwörtlicher Trampel?

Catherine jedenfalls schien keinerlei Anstoß daran zu nehmen. Ganz im Gegenteil. Sie hakte sich spontan bei ihm ein und meinte wie beiläufig:

„Vielleicht solltet Ihr einfach mal zeigen, wie sehr Ihr die Organisation der Jagd mit anschließender Geburtstagsfeier mit so vielen illustren Gästen im Griff habt, werter Lord Evans. Ich bin durchaus bereits beeindruckt von so viel organisatorischem Geschick. Sagt man denn nicht, Ihr wäret ausschließlich für das Jagdwild der Region verantwortlich? Mir erscheint es hingegen, als würde Euch der Umgang mit Hochwohlgeborenen nicht minder leicht fallen.“

Sie lachte danach ein helles, um nicht zu sagen glockenhelles Lachen, das John durch und durch ging. Er begann zu begreifen, dass sie nur versucht hatte, ihn aufzumuntern. Diese unmittelbare Nähe von ihr hatte nachhaltig verhindert, dass er überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, auch nur noch einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.

Dieses glockenhelle Lachen hingegen… Es war, als hätte es ihn aufgeweckt. Und er begann außerdem zu begreifen, dass sie sich bei ihm doch tatsächlich aus eigenem Willen und Antrieb untergehakt hatte. Das war ja gerade so, als wären sie sich schon seit Jahren bekannt und vor allem vertraut. Wie zwei Freunde aus fernen Kindheitstagen. Wobei sie sich in den vergangenen zehn Jahren doch eher recht selten überhaupt auch nur begegnet waren. Dabei hatten sie eigentlich niemals auch nur ein einziges persönliches Wort miteinander gewechselt.

Er bemerkte endlich, dass sie ihn ein wenig weg von der Gesellschaft geführt hatte. Jetzt kam er sich erst recht wie ein Trottel vor. Woher nahm sie eigentlich diese Ruhe, um nicht zu sagen Überlegenheit?

Er musterte sie zum ersten Mal genauer, sich bemühend, sich weniger von ihrer schieren Schönheit blenden zu lassen. Und bemerkte zu seinem größten Erstaunen, dass sie ebenfalls im Grunde genommen verunsichert war. Seinetwegen gar? Sie ging halt nur anders damit um. Indem sie die Initiative ergriffen und sie beide aus dem Fokus der Feiernden gebracht hatte.

Und nun waren sie hier. Immer noch nicht völlig allein, was ja erst recht auffällig geworden wäre, aber nicht länger mehr so sehr im Zentrum des Geschehens.

Voller Bedauern für ihn, zog sie ihren Arm zurück und ging ein wenig auf Distanz zu ihm. Ihre Augen flackerten verdächtig. Da wurde John endgültig klar, dass sie seine Gefühle tatsächlich erwiderte. Er musste nicht länger daran zweifeln. Doch es wurde ihm gleichzeitig auch klar, dass er sich zurückhaltend geben musste. Sie musste Gelegenheit bekommen, mit diesen Gefühlen zurecht zu kommen. Falls dies überhaupt möglich sein würde. Denn er selbst spürte ja überdeutlich, dass er noch weit davon entfernt war davon, mit irgendetwas noch zurecht kommen zu können.

„Mit Verlaub, Lady Catherine. Falls ich irgendetwas getan oder gesagt haben sollte, was Euch nicht gefiele, möchte ich in aller Form um Verzeihung bitten. Nichts würde mir ferner liegen, als Euch in irgendeiner Weise zu nahe zu treten.“

Kaum hatte er dies ausgesprochen, kam es ihm wieder so unendlich dämlich vor. Es waren Worte, die ganz von allein über seine Lippen gegangen waren. Ergaben sie überhaupt einen Sinn?

Nun, Catherine reagierte zumindest darauf:

„Im Ernst, Lord Evans? Nichts würde Euch ferner liegen, als mir zu nahe zu treten?“

Er riss unwillkürlich die Augen weit auf, als ihm die Doppeldeutigkeit bewusst wurde. Natürlich wollte er jetzt den möglicherweise falschen Eindruck zurechtbiegen, weshalb er verzweifelt nach den passenden Worten suchte.

Catherine winkte nur mit beiden Händen ab.

„Vielleicht solltet Ihr es lieber unterlassen, es noch schlimmer machen zu wollen?“, schlug sie mit einem allzu kecken Lächeln vor.

John hielt unwillkürlich inne, sah sie an, als würde er sie jetzt zum ersten Mal in seinem Leben erst so richtig wahrnehmen, und dann musste er auf einmal lachen.

Ein Lachen, das auf sie beide befreiend wirkte.

Sie wussten beide, dass sie sich verstanden. Das war nicht einfach nur gegenseitiges Gefallen. Da war etwas tief in ihrer Brust erwacht, was John eben dermaßen aus der Fassung brachte, aber Catherine selbst nicht minder, obwohl sie es augenscheinlich besser überspielen konnte. Sie wussten beide, dass sie sich ineinander verliebt hatten.

Am liebsten hätten sie sich jetzt gegenseitig umarmt und festgehalten. Allein ihre gute Erziehung verhinderte es. So blieben sie auf Distanz und betrachteten sich gegenseitig. Um nicht zu sagen, sie belauerten sich.

Es war auf einmal, als wären sie schon immer miteinander vertraut gewesen. Als würden sie sich schon immer ganz genau kennen.

Da dachte John Evan zwangsläufig an seine einstige Rolle als Königssohn und künftigem Thronfolger zurück. Etwas, was Catherine bei aller Vertrautheit niemals erfahren durfte. Nur zum Schutz von ihr natürlich. Weil dieses Wissen jeden gefährdete, der es teilte.

*

Natürlich war die Jagd vor der großen Feier nur der Auftakt gewesen. Die hohe Gesellschaft liebte es, solche Veranstaltungen über mehrere Tage hinaus auszudehnen. Und obwohl die Feier bis in die Nacht hinein ging, war die Jagdgesellschaft bereits wieder beim nächsten Morgengrauen auf den Beinen. Zum zweiten Jagdtag eben von mehreren. Wobei es an den Folgetagen danach jedes Mal eine etwas bescheidenere Feier geben würde. Wie es sich gehörte. Denn nunmehr war der Geburtstag des Earls of Bideford wieder vorbei. Anlass für das Feiern würde nur noch der Jagderfolg selbst sein. Was sich selbstverständlich von der eigentlichen Geburtstagsfeier unterscheiden musste. Sonst wäre es vom Earl ja geradezu als eine Art Affront angesehen worden.

An diesem zweiten Tag dachte John nicht nur daran, dass er immerhin für den reibungslosen Ablauf von alledem der Hauptverantwortliche war, sondern seine Gedanken galten vor allem der liebreizenden Tochter des Earls. Und so war es natürlich kein Zufall, dass sie sich gleich wieder begegneten. Obwohl der Abstand zwischen ihnen umständehalber gewahrt bleiben musste, fühlten sie es beide gerade so, als wären sie eng beisammen. Obwohl sie sich nur einmal ein wenig näher gekommen waren, nämlich als Catherine ihn in einem wahren Anfall von Kühnheit einfach untergehakt hatte.

Es war ihm, wenn er daran dachte, als wäre das immer noch der Fall. Er spürte deutlich ihre Nähe und wünschte sich, es würde niemals mehr anders sein.

Höchstens noch näher!

Dabei fiel es ihm schwer, sich auf seine eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Gottlob war alles dermaßen perfekt vorbereitet, dass es nicht weiter auffiel. Außerdem hatte er seine geübten Helfer, die sich bestens bewährt hatten und auf die er sich hundertprozentig verlassen konnte. So durfte er es sich sogar zwischendurch erlauben, in einem unbedachten Moment endlich Catherine viel unmittelbarer über den Weg zu laufen.

Sie blieb bei ihm stehen, und sie mussten sich gegenseitig nur ansehen. Das sagte mehr als tausend Worte.

Solche Momente blieben nicht die einzigen. Es wurde am nächsten und übernächsten Tag sogar intensiver. Bis zum letzten Tag, als sie sich zum ersten Mal in den Armen lagen und sie im Nachhinein nicht mehr sagen konnten, wie das überhaupt hatte geschehen können. Sie küssten sich, und dabei war es ihnen, als würden sie regelrecht miteinander verschmelzen. Die Gefühle, die sie beide schier überwältigten, waren so stark, dass alle Welt um sie herum still zu stehen schien. Nichts regte sich mehr. Nichts war mehr von Bedeutung. Es zählte nur noch sie beide.

Bis sie schwer atmend wieder voneinander abließen und eine Weile benötigten, um von ihren Gefühlen regelrecht überwältigt ihre chaotischen Gedanken wieder zu ordnen.

Danach nahm John ihre beiden Hände und sah ihr fest in die Augen.

„Ich weiß, wir kennen uns nur so kurz, aber meine Gefühle für dich…“

„Du solltest bei der höfischen Anrede bleiben, Liebster“, flüsterte sie ihm zu, ohne ihre Augen noch von ihm lassen zu können. „Für alle anderen.“

„Und wenn wir es offiziell machen? Unsere Liebe?“, fragte er spontan. „Was, wenn ich Euren Vater um Eure Hand anhalten würde, Lady Catherine?“

Sie lachte ihr glockenhelles Lachen.

„Nichts könnte mir schöner erscheinen!“

Das war eine Antwort, wie sie John nicht hätte glücklicher machen können. Er wagte es, Catherine wieder zärtlich in die Arme zu nehmen. Ihr Körper war ihm so nah. Ihr liebliches Gesicht. Ihr aufforderndes Lächeln. Ihre Lippen fanden sich zu einem weiteren innigen Kuss, der allerdings jäh unterbrochen wurde, als Pferdegetrampel sich unüberhörbar näherte.

Erschrocken fuhren sie auseinander. Doch am selben Abend noch hielt John beim Earl of Bideford um Catherines Hand an.

*

Der Earl of Bideford zeigte wenig Begeisterung. Obwohl er noch nicht einmal Überraschung zeigte. Eher so etwas wie eine unüberwindbare Distanziertheit.

“Ihr wisst, dass ich Euch sehr schätze, John Evans”, sagte der Earl zunächst. Eine ausweichende Antwort”, erkannte John Evans sofort. Das Eigentlich kommt noch!, ging es ihm durch den Kopf. Vermutlich überlegt er gerade, wie er mir absagen kann und weiß seine Ablehnung noch nicht so recht in Worte zu fassen!

“Ich wäre Eurer Tochter sicher ein guter Ehemann”, sagte John Evans.

“Nun…”

“Es würde ihr ganz sicher an nichts fehlen.”

“Sie würde aber auch ein wenig unterhalb ihres Standes heiraten”, gab der Earl of Bideford zu bedenken. “Eigentlich hatte ich für meine Tochter immer die Hoffnung, dass sie den Stand betreffend nichts einbüßen und im günstigsten Fall sogar noch etwas gewinnen würde, wenn sie eines Tages heiratet. All das muss ich wohl bedenken.”

“Ich verstehe.”

“Dies soll keine pauschale Absage sein, John Evans."

“So darf ich mir also berechtigte Hoffnungen machen?”

“Es ist so, wie ich eben sagte: Ich brauche Bedenkzeit. Vieles will bei einer so wichtigen Entscheidung in Betracht gezogen werden.”

“Wann glaubt ihr, werdet Ihr mir eine entscheidung mitteilen können?”

“Das wird etwas dauern”, stellte der Earl klar.

Eine halbe Absage!, dachte John Evans.

Allerdings lehnte der Earl den Antrag nicht rundweg ab. Er bat lediglich um Bedenkzeit.

John Evans beschloss, die Sache optimistisch zu betrachten.

Der Krug war halb voll - nicht halb lr.

Ein Mann, der als Junge im Tower gesessen und auf seine Hinrichtung gewartet und sich in einer vollkommen aussichtslosen Lage befunden hatte und trotzdem das Alter von zwanzig Jahren überschritten hatte, musste die Welt eigentlich auch wie ein Optimist betrachten.

Irgendwelche Mächte mussten es gut mit ihm meinen.

Zu einem anderen Schluss konnte jemand wie John Evans eigentlich gar nicht kommen.

Egal, ob es der liebe Gott, das Schicksal oder einfach nur das pure Glück war, dass ihn bisher am Leben gehalten hatte: Er hatte Grund genug, auf sein Glück zu vertrauen und für die Zukunft das Beste zu hoffen.

Irgendwie wüde sich für ihn immer alles zum Guten wenden.

Allein schon die Tatsache, dass er eine Frau wie Catherine überhaupt gefunden und überhaupt ihr Herz errungen hatte, sprach dafür.

Die Szene spielte sich im Jagdlager ab, weit genug vom Jagdwild entfernt, um dieses nicht im wahrsten Sinne des Wortes zu verjagen, aber nah genug, um zum Jagdbeginn schnell genug mitten im Revier sein zu können.

Es war allerdings schon der letzte Tag des Jagdausflugs. Ab morgen würden sich aller Wege wieder trennen. Und John würde Catherine nicht mehr täglich sehen können. Vielleicht sogar… überhaupt nicht mehr? Genau das, genau diese Aussicht, war das Schlimmste für sie beide.

Immerhin jetzt diese eigentlich doch sehr halbherzige Entscheidung ihres Vaters. Ohne nähere Begründung. Er bat Lord Evans einfach nur um Bedenkzeit? Vielleicht um mich näher zu prüfen?, kam John Evans jetzt ein anderer Gedanke. Wird er versuchen, mehr über meine Vergangenheit herauszufinden?, überlegte er dann. Das wäre nicht so gut…

Aber wenn er näher darüber nachdachte, dann ergab das Sinn und alles andere, was der Earl ihm gegenüber vorgetragen hatte, war vielleicht nichts anderes als eine Ansammlung von schwachen Vorwänden. In gewisser Weise hatte John sogar Verständnis dafür.

Wie aus dem Nichts war schließlich der Junge John Evans in der Gegend aufgetaucht. So jemand musste Misstrauen erzeugen. Das konnte gar nicht anders sein.

Die Blicke der beiden Liebenden trafen sich. John sah die Enttäuschung in ihrem lieblichen Antlitz, und er hätte sie am liebsten tröstend in die Arme genommen, was natürlich völlig unmöglich gewesen wäre in dieser Situation. Es hätte alles nur noch viel schlimmer werden lassen.

Catherine suchte den Blickkontakt mit ihrem Vater, doch dieser wich ihr ganz bewusst aus. Für alle, die der Szene beiwohnten, allzu offensichtlich.

Er wünschte Bedenkzeit? Etwa, weil er Johns wegen Bedenken hatte? Oder war es nur, weil er seine Tochter noch nicht an einen Mann vergeben wollte?

Sie verstand es nicht. John vermutete sogar, dass Catherine eher auf freudige Überraschung vonseiten ihres Vaters gehofft hatte.

Nichts dergleichen!

Es war aber auch keine direkte Ablehnung, die ihn traf, musste John auf jeden Fall feststellen. Was es für ihn allerdings keineswegs verständlicher machte.

Der Earl nickte ihm schließlich gebieterisch zu, was für John bedeutete, dass es nun an der Zeit war für ihn, sich wieder zurückzuziehen.

Kein einziges Wort ob der gelungen Jagdgesellschaft oder der überaus gelungenen Feierlichkeiten, die ja allesamt auf Johns Konto gingen. Nein, es schien dies alles für den Earl überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Jetzt nicht mehr. Nun, da er es gewagt hatte, doch tatsächlich um die Hand seiner einzigen Tochter anzuhalten.

Gerade so, als sie das eine Art Sakrileg?

Voller Bedauern blieb John nichts anderes übrig, als sich dem Willen des Earls zu beugen und sich mittels der üblichen höfischen Grußformeln zurückzuziehen, ohne es noch einmal wagen zu dürfen, Catherine auch nur mehr zu erwähnen. Gerade so, als wäre nichts dergleichen je passiert. Als hätte er es niemals gewagt, beim Earl um ihre Hand anzuhalten.

Sie selbst blieb dabei stumm und zurückhaltend, der Situation angemessen, der sie sich als junge Adelige genauso beugen musste wie John.

Erst als John wieder genügend räumlichen Abstand gewonnen hatte, gelang ihm auch der innere Abstand, um noch einmal genauestens zu beleuchten, was da gerade wirklich geschehen war. Trotz der riesigen Enttäuschung und des brennenden Schmerzes in seiner Brust, den die allzu distanzierte Haltung des Earls in ihm erzeugt hatte.

Der Earl hatte keinerlei Überraschung an den Tag gelegt, darüber, dass John und seine Tochter sich offensichtlich näher gekommen waren?

Das konnte nur bedeuten, dass er von ihren heimlichen Begegnungen im Vorfeld bereits erfahren hatte. Das war ja eigentlich zu befürchten gewesen. Obwohl da nichts war, was John sich im Nachhinein hätte vorwerfen müssen. Wirklich nichts, was auch Catherine selbst vielleicht in ein schlechtes Licht hätte rücken können. Nein, alles war insofern gut. Sonst hätte der Earl sicherlich völlig anders reagiert. Vielleicht auf Anhieb ablehnend oder gar erzürnt?

Es war diese unbestimmbare Distanziertheit, die der Earl ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte, die John irgendwie doch mehr kränkte, als er sich anfangs selbst hatte eingestehen wollen. Was waren dabei die Vorbehalte? Erschien er dem Earl vielleicht als nicht standesgemäß genug für Catherine?

Nein, auch das konnte es nicht sein. Bislang hatte es in all den Jahren niemals den Anschein gehabt, als würde sich der Earl über ihn erheben wollen. Ganz im Gegenteil. Immerhin hatte ihm John oft genug sein Organisationstalent bewiesen, und das selbstverständlich ganz zum Wohle des Earls. Das hatte zwar nicht ganz zu einer regelrechten Freundschaft geführt, aber immerhin zu einem respektvollen Umgang. Und als Lord of the Manor war er ja nicht irgendwer, der es nicht wagen durfte, der Tochter des Earls auch nur nahe zu kommen.

Auch das konnte es also eigentlich nicht sein. Weil er in einem solchen Fall ebenfalls schon gleich Ablehnung geübt hätte. So aber hatte er ja lediglich um Bedenkzeit gebeten.

Bei all diesen Überlegungen fiel John eigentlich am Ende nur noch eine einzige Erklärung dafür ein, doch es war eine, die ihn zutiefst zu beunruhigen imstande war. Und das nicht nur wegen Catherine…

*

Andrew of York, ehemals Prinz Richard of Shrewsbury, hatte sich in den vergangenen zehn Jahren wahrlich prächtig entwickelt. Zum Wohlgefallen seines Gönners William Duke of Dartmoor. Der ihm eine wahrhaft ausgezeichnete Ausbildung hatte zuteilwerden lassen. Eines wahren Königs würdig. Damit er eben eines Tages den Thron als Richard IV. besteigen konnte.

Der Onkel der beiden Prinzen, Richard III., hatte ja nur zwei Jahre Freude an seinem Thronbesitz gehabt. Bis er vor nunmehr acht Jahren, also schon 1485, in der Schlacht von Bosworth gefallen war.

Keine Gelegenheit für den Duke, bereits seinen Zögling ins Spiel zu bringen um die Krone, weil Andrew als Prinz Richard zu dem damaligen Zeitpunkt immer noch zu jung gewesen war. Inzwischen allerdings galt es, alles mobil zu machen, um gegen den jetzt amtierenden König so etwas wie eine Palastrevolution anzuzetteln. Um Andrew endgültig und spätestens innerhalb der nächsten Jahre auf den Thron setzen zu können.

Wovon Andrew selbst noch nichts wissen sollte. Doch er war ja nicht dumm und hatte längst den Verdacht, dass sein Gönner William dies alles nicht uneigennützig tat. Dass er ihn damals nicht aus Mitleid und Barmherzigkeit aus der Gefangenschaft des Turmes hatte befreien lassen, sondern mit ihm höchst eigennützige Pläne verfolgte.

Nach wie vor war auch Andrew of York überzeugt davon, dass sein Bruder nicht mehr lebte. Genauso wie seine Mutter. Dahingehend musste sich der Duke noch nicht einmal bemühen, denn es war gewissermaßen längst allgemeine Auffassung, dass nicht nur beide Prinzen ums Leben gekommen waren, von Meuchelmördern regelrecht hingerichtet im Auftrag von Richard III., sondern letztlich auch deren Mutter Königin Elizabeth Woodville.

Sie selbst saß hingegen immer noch im klösterlichen Exil und tat nichts gegen diese Gerüchte, die sie auf jeden Fall aus dem politischen Fokus brachten. Damit sie insgeheim ihre eigenen Pläne verfolgen konnte. Nachdem sie ja ihre beiden Söhne vorerst in Sicherheit wusste.

Falls sie dabei ahnen sollte, was der Duke wirklich mit ihrem jüngeren Sohn vor hatte, wirkte sich das allerdings in keiner Weise aus. Denn solange sie offiziell ebenfalls zu den Toten zählte, konnte sie da auch nicht einschreiten. Was der Duke voll und ganz nutzte.

Dies alles spielte für Andrew nicht wirklich eine Rolle, solange er nichts konkret davon wusste, sondern eben nur ahnte. Dass seine Mutter nicht mehr lebte, daran zweifelte er allerdings genauso wenig wie an dem Gerücht, dass sein Bruder damals schon zu Tode gekommen war. Nur die Art seiner Ausbildung und die geradezu übertriebene Gönnerschaft des Dukes hatte ihn eigentlich misstrauisch werden lassen. Denn alles dies deutete ganz klar auf eine zukünftige Rolle als Thronfolger hin. Dass dies nicht ohne Revolution möglich werden würde, war ihm dabei schon von vornherein klar. Also hatte er zukünftig eigentlich nur die Wahl zwischen einem Schicksal als königliche Marionette in rigoroser Abhängigkeit vom Duke und dessen Mitverschwörern oder aber ein Ende am Galgen, falls die Revolution doch noch scheitern sollte.

Keine guten Aussichten auf jeden Fall. Falls seine Annahmen wirklich stimmen sollten. Und dann kam noch etwas hinzu, was man schlicht mit dem Wort Liebe umschreiben konnte. Betreffend ausgerechnet eine Küchenmagd namens Mary. Die ihm schon aufgefallen war, als der Duke sie vor zwei Jahren in Anstellung genommen hatte. Ein frisches, quirliges Mädchen, das ihn nicht nur mit ihrer natürlichen Schönheit betörte, sondern auch mit ihrer ganzen Art.

Er hatte sogleich alles versucht, über sie in Erfahrung zu bringen, was man überhaupt hatte erfahren können. So wusste er, dass Mary als Bürgerliche in eigentlich gutem Hause geboren war, doch früh ihre Eltern verloren hatte. Die Verwandten, die ihre Pflegschaft danach übernommen hatten, waren eher an dem Erbe interessiert gewesen als an der für sie lästigen Erbin und hatten alles getan, um sie möglichst arm zu halten. So war sie schließlich als vollkommen Mittellose zwingend darauf angewiesen gewesen, eine Anstellung beim Duke zu finden. Etwas, was jeder Bedienstete hier als besonderes Privileg empfand.

Und sie machte das Beste aus ihrer persönlichen Situation. Gleich schon war sie überaus beliebt gewesen unter den anderen Bediensteten und kam auch mit ihrer eher auffälligen Art, was ja für Bedienstete in einem so hohen Hause eher ungewöhnlich erschien, auch bei den Herrschaften gut an. Weil ihr niemand jemals wirklich böse sein konnte.

Was wunder, dass ein solch positives Wesen das Herz des ehemaligen Prinzen so sehr hatte berühren können. Aber auch Andrew, als durchaus wohlansehnlicher junger Herr, hatte schon bald ihr Interesse geweckt.

Was im ersten Jahr eher eine Art Fernsympathie geblieben war – immerhin zwischen einem Adligen seines Formats und einer einfachen Küchenmagd -, hatte schon im zweiten Jahr dazu geführt, dass der ehemalige Prinz als Andrew ihr sozusagen auch körperlich näher gekommen war. Ganz vorsichtig natürlich, denn bis es überhaupt auch nur zum ersten eher flüchtigen Küsschen kam, musste ein weiteres halbes Jahr vergehen. Doch inzwischen, immerhin nach insgesamt zwei Jahren, war beiden klar, wie viel sie füreinander empfanden, und sie suchten ständig die Gelegenheit, sich heimlich zu treffen, ohne jemals dabei auffallen zu dürfen.

Und nun, wenn Andrew allein schon daran dachte, möglicherweise irgendwann als Marionettenkönig den Thron zu besteigen… Was würde dann aus seiner Mary werden? Sie war ja jetzt schon, in seinem gegenwärtigen Rang, bei weitem nicht standesgemäß. Niemals würde sich ein Adeliger mit einer Küchenmagd einlassen dürfen. Wenn doch, dann durfte das ausschließlich heimlich geschehen. Was etwas war, was ihnen beiden selbstverständlich erheblich gegen den Strich ging.

Am liebsten hätte Andrew seine Liebe zu Mary offiziell gemacht. Er hätte sie so gern geehelicht, und Mary wäre zweifelsohne begeistert gewesen davon. Sie verstanden sich dermaßen gut, als wären sie füreinander geschaffen worden. Obwohl Mary noch nicht einmal zum derzeitigen Zeitpunkt überhaupt auch nur ahnen konnte, in ihm einen echten Prinzen vor sich zu haben. Für sie war und blieb er Andrew of York. Und das war eigentlich schon Hindernis genug für ihre gegenseitige Liebe.

An diesem Abend schließlich, als sie sich einmal wieder nur für wenige Minuten sehen konnten, ohne von irgendjemandem beobachtet werden zu können, beschloss Andrew endlich, seiner Liebsten zu gestehen, was seiner Meinung nach der Duke wirklich mit ihm vor hatte:

„Kennst du die Geschichte, dass ich vor zehn Jahren vom Duke aufgenommen wurde, als Sohn eines Großcousins von ihm?“

„Aber ja, Andrew“, antwortete sie verständnislos und streichelte ihm zärtlich über die Wange. Er hielt sie in den Armen und sah sie an. Doch diesmal nicht, um sie zu küssen. Er blieb ganz ernst.

„Ich habe da einen schlimmen Verdacht“, fuhr er vorsichtig fort. „Bedenke, was der Duke alles für mich schon getan hat. Er ließ nichts unversucht, mir die beste Ausbildung angedeihen zu lassen, um mich sozusagen zu einem perfekten Adeligen zu erziehen. Viel perfekter eigentlich als es für einen Andrew of York überhaupt jemals vonnöten wäre.“

Sie reagierte irritiert. Mary war ja alles andere als dumm. Sie ahnte schon, dass Andrew gerade dabei war, ihr etwas sehr Wesentliches zu beichten. Aber wollte sie das wirklich erfahren? Besser gesagt: War es nicht für sie eher gefährlich, als Küchenmagd zu viel zu wissen darüber, was da hintern den Kulissen der Herrschaften ablief? Einmal abgesehen von den Dingen, die man ohnedies schon mitbekam, worüber man aber niemals auch nur ein Sterbenswörtchen verlieren durfte, um sich damit nicht selbst in Gefahr zu bringen.

Sie legte warnend den Finger auf seinen Mund. Doch er ließ sich davon nicht abbringen. Er nahm ihre Hand herunter und drückte sie sanft.

„Wisse, Liebste, dass der Duke mich womöglich auf die Rolle eines künftigen Königs hat vorbereiten lassen!“

Sie riss unwillkürlich die Augen groß auf.

„Wie bitte?“, murmelte sie ungläubig.

Er nickte heftig.

„Ich habe schon länger den Verdacht, doch alles deutet darauf hin, dass der Duke Teil einer großen Verschwörung ist. Mehr noch als das: Er scheint einer der maßgeblichen Leute zu sein, die tatsächlich auf lange Hand eine Revolution planen.“

„Eine Revolution? Der Duke?“

„Wenn mich nicht alles täuscht, ist er sogar das Oberhaupt dieses geplanten Umsturzes“, betonte Andrew allzu ernst. „Und er hat es sich selbst zur Aufgabe gemacht, mich als Thronfolger vorbereiten zu lassen, um mich nach erfolgter Revolution als seinen Marionettenkönig auf den Thron zu bringen.“

Mary sah ihn als, als wollte sie ernsthaft an seinem Verstand zweifeln. Sie wollte etwas sagen, doch bevor sie das konnte, legte Andrew ihr warnend die Hand auf den Mund und sicherte nach allen Seiten.

„Da gibt es nämlich etwas, was niemand je erfahren darf. Es würde nämlich meinen Tod bedeuten. Doch jetzt, da ich befürchten muss, dass die Revolution nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen wird, muss ich es zumindest mit jenem Menschen teilen, dem ich ganz besonders vertraue: Dir, Mary!“

Sie betrachtete ihn stumm. Ihr Gesichtsausdruck verriet eine seltsame Mischung aus schierem Unglauben, verbunden mit der Angst vor einer möglicherweise für sie gefährlichen Wahrheit – und ausgerechnet auch noch mit brennender Neugierde, die gar nicht mehr darauf warten wollte, dass Andrew es endlich aussprach, wogegen sich die andere Hälfte ihrer Seele mit alle Kraft wehren wollte:

„Hast du jemals von den beiden verschwunden Prinzen gehört, die Richard III. vor zehn Jahren in den Tower hat werfen lassen?“

Sie nickte zögerlich.

Andrew fuhr unbarmherzig fort:

„Der Duke of Dartmoor hat einen der beiden rechtzeitig befreien lassen, ehe die Meuchelmörder seiner habhaft haben werden konnten. Nur er allein konnte deshalb überleben: Prinz Richard of Shrewsbury. Seitdem ist er spurlos verschwunden. Es wird gemunkelt, er sei ebenfalls ermordet worden. In Wahrheit jedoch hat der Duke ihn angeblich auf Wunsch der Königswitwe Elizabeth Woodville bei sich aufgenommen, um ihn in Sicherheit zu bringen. Obwohl er etwas ganz anderes mit ihm vor hat, was sicherlich der Königswitwe - meiner Mutter! - ganz und gar nicht gefallen hätte…“

Mary fuhr von ihm weg, als habe sie etwas gebissen. Fassungslos sah sie Andrew an. Ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie etwas sagen, doch kein Laut mehr brachte sie zuwege.

Als Andrew sich ihr nähern wollte, wich sie weiter vor ihm zurück, als hätte sie auf einmal regelrecht Panik vor ihm. Doch im nächsten Augenblick flog sie förmlich auf ihn zu und packte ihn so fest, dass es ihn beinahe schmerzte.

„Liebster!“, stammelte sie, immer noch fassungslos. „Aber dann…“