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Drei Stories von Alfred Bekker - dunkel, phantastisch, geheimnisvoll..
Da ist etwas unter der Erde. Sehr tief. Und sehr böse...
Konnte das sein, dass die wohlgeordnete Welt des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts nichts weiter als eine Kulisse war, hinter der noch etwas gab, das sich dem Zugriff des menschlichen Verstandes bisher erfolgreich entzogen hatte? Eines Tages wird das Volk der Tiefe zurückkehren aus der Welt jenseits des Bannkreises und dann wird es keine Macht unter dem Horizont geben, die in der Lage wäre, dem Grauen aus der Erde zu widerstehen…
Ein Mann trifft den leibhaftigen Teufel - und hat ihm einiges zu sagen.
Im Konstantinopel des Jahres 1453 versucht ein Alchimist die Erobeung die Türken mit einer perfiden Waffe aufzuhalten - dem Schwarzen Tod...
Cover: STEVE MAYER
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von Alfred Bekker (Henry Rohmer)
© 2004 Alfred Bekker
Wie ein verwaschener Fleck stand der Mond am Himmel. Aus den Niederungen des Elbufers stiegen Nebelschwaden empor, krochen wie vielarmige Ungeheuer über die Böschungen und Deiche. Sie bildeten bizarre Formen aus, die wie Tentakel wirkten.
Professor Jörn Bender trat auf den Balkon, der direkt an der Elbe gelegenen Villa hinaus. Ein verschnörkelter, für Benders Geschmack etwas protzig wirkender Bau, der den Reichtum eines Hamburger Patrizier-Geschlechts hatte zur Schau stellen sollen. Bender hatte die Villa geerbt. Trotz seines nicht unbeträchtlichen Gehalts, das er als Inhaber eines Lehrstuhls für Archäologie an der Universität Hamburg verdiente, hätte er sich ein Anwesen in dieser Lage niemals leisten können. Bender hatte das Haus von einem reichen, aber kinderlos gebliebenen Onkel geerbt, der mit Überseegeschäften ein Vermögen gemacht hatte. Bender selbst hatte keinen ausgeprägten Erwerbssinn. Er lebte ganz und gar für seine von so manchen Kollegen bisweilen als abseitig angesehenen Studien. Studien, die nicht selten in Bereiche führten, die an der Grenze dessen lagen, wofür die moderne Wissenschaft Erklärungen zu liefern vermochte. Seine Lehrverpflichtungen an der Uni waren für ihn mehr oder minder eine lästige Pflicht. Sein wahres Leben fand in den Mauern seiner Villa statt, die bis unter das Dach mit einer großen Bibliothek gefüllt war. Tausende von teilweise sehr seltenen und wertvollen Schriften hatte der Gelehrte im Laufe der Jahre gesammelt. Tibetanische Geheimschriften waren ebenso darunter wie altägyptische Papyri oder Dokumente aus dem geheimnisvollen nubischen Reich Meroe, dessen Geheimnisse die Archäologie erst in den letzten Jahren zumindest ansatzweise entschlüsselt hatte. Bender besaß darüber hinaus zahllose okkulte und esoterische Schriften aus mehr als tausend Jahren. Die Bücher des mittelalterlichen Magiers Simón de Cartagena gehörten ebenso dazu wie mehrere äußerst seltene Ausgaben eines legendären Buchs mit dem Titel ZEICHEN DER GEHEIMEN MACHT, das ein österreich-ungarischer Spiritist namens Franz von Borsody um die Jahrhundertwende verfasst hatte.
Bender fuhr sich durch das wirre, schüttere Haar, das immer so aussah, als wäre es elektrisch aufgeladen. Er starrte in die Nebelschwaden. Der Schlag schwarzer Schwingen war im nächsten Moment hinter der Nebelwand zu sehen. Ein Rabe krächzte, tauchte für einen kurzen Moment aus dieser grauen Masse hervor und verschwand wenige Augenblicke später schon wieder darin. Von der Elbe her schien ihm das Nebelhorn eines Schiffs zu antworten.
Normalerweise hatte man von Benders Balkon einen phantastischen Blick auf den Fluss, aber im Augenblick war dieser Strom nichts weiter als eine vage Ahnung. Wenn man sehr genau lauschte, so konnte man das Geräusch des fließenden Wassers hören.
Kann es wahr sein, dass es dunkle Gewalten gab, die die Welt aus dem Verborgenen heraus beeinflussten, ja, vielleicht sogar beherrschten?
Bender schluckte.
Konnte das sein, dass die wohlgeordnete Welt des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts nichts weiter als eine Kulisse war, hinter der noch etwas gab, das sich dem Zugriff des menschlichen Verstandes bisher erfolgreich entzogen hatte?
Benders Augen schmerzten.
Durch Zufall war er bei der Begutachtung von magischen Schriften aus der Omajjaden-Bibliothek auf eine bislang unentdeckte Schriftrolle gestoßen, deren Verfasser vermutlich der legendäre Geisterseher und Magier Abdul von Cordoba war. Der Verfasser berichtete in seinem in formelhaftem Hocharabisch verfassten Text über ein Volk, das angeblich tief unter der Erde lebte. Einige Zeilen aus der Feder des Autors, der im Mittelalter am Hof der Omajjaden-Kalifen gelebt hatte, hallten immer wieder in Benders Bewusstsein wider.
Eines Tages wird das Volk der Tiefe zurückkehren aus der Welt jenseits des Bannkreises und dann wird es keine Macht unter dem Horizont geben, die in der Lage wäre, dem Grauen aus der Erde zu widerstehen…
Bender fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Seit Tagen hatte er kaum geschlafen und stattdessen in anderen alten Schriften nach weiteren Hinweisen gesucht. Aber zu vieles war im Dunkeln und Nebulösen geblieben. Es gab einige spätere Erwähnungen dieses Volkes aus der Tiefe, das Abdul von Cordoba erwähnt hatte. Kastilische Mönche hatten sich nach der Rückeroberung Spaniens damit beschäftigt, bevor die meisten von ihnen exkommuniziert und als Ketzer verbrannt worden waren.
Aber tatsächlich enthielten ihre Schriften auch kam neue Aspekte.
Die meisten hatten lediglich die Erkenntnisse Abduls in leicht veränderter Form wiedergegeben. Die Hexenjäger der Inquisition wiederum hatten sich ebenfalls mit Abduls Schriften befasst und sahen in der Erwähnung des Volkes der Tiefe nichts anderes als eine verschlüsselte Beschreibung der Hölle. Ich komme einfach nicht weiter! , durchzuckte es Bender. Alles drehte sich im Kreis.
Aus dem Nebel schälte sich für einen Moment eine dunkle, nur als Schemen erkennbar Gestalt heraus. Ein Schatten inmitten grauer Schwaden, der rasch wieder verschwand. Etwas knackte. Vielleicht ein Ast, den der Sturm aus einer Baumkrone gerissen hatte.
Da ist jemand! , dachte Bender.
Er stand wie erstarrt da.
Einige Minuten lang suchte er mit zusammengekniffenen Augen nach dem Unbekannten. Aber da war nichts. Nichts außer grauem Dunst und dem Schrei eines Raben.
*
Ganze drei Zuhörer hatte die Vorlesung von Professor Bender an diese Morgen.
Svenja Hund war einer von ihnen.
Sie hatte sich in die letzte Reihe des Hörsaals gesetzt. Offenbar hat sich da jemand bei der Raumplanung ziemlich vertan! , ging es ihr leicht amüsiert durch den Kopf. Andererseits tat ihr der Professor auch ein wenig Leid. Eine Kapazität wie er hatte es zweifellos verdient, dass mehr Studenten seinen Ausführungen lauschten.
Svenja hatte gerade ihr Abitur hinter sich und beabsichtigte im nächsten Semester ihr Studium in Journalistik anzufangen. Im Augenblick besuchte sie bereits die eine oder andere Veranstaltung. Dabei ging sie allerdings vollkommen ihren spontanen Neigungen nach und scherte sich nicht darum, ob das angegebene Thema auch nur das leiseste mit dem Fachbereich zu tun hatte, in dem sie in Zukunft studieren würde. Sie war durch Zufall in eine von Professor Benders Veranstaltungen geraten. Genauer gesagt hatte sie sich in der Raumnummer geirrt und war so anstatt in einem Seminar über modernes publizistisches Projektmanagement in einer Vorlesung über okkulte Lehren und Ketzerbewegungen des Mittelalters geraten. Bender wirkte zwar mit seinen elektrostatisch aufgeladenen, nach allen Seiten herumstehenden Haaren und der kleinen, dicken Nickelbrille wie ein exzentrischer Wissenschaftler, dem man ohne weiteres zutraute, in seinem heimischen Keller irgendwelche Experimente im Stil eines Dr. Frankenstein durchzuführen. Andererseits verströmte er eine sehr warme, herzliche Art und vermochte es, seine Hörerschaft auf einzigartige Weise in seinen Bann zu ziehen. Seine Fachkenntnis war bestechend. Er beherrschte Alte Sprachen im Dutzend und vermochte jede nur irgendwie für das Thema bedeutsame Quelle auswendig zu zitieren.
Aber was Svenja am meisten faszinierte war, dass er den Mut hatte, die engen Grenzen zu überschreiten, die ihm die traditionelle Wissenschaft vorschrieb.
„Ich habe Ihnen beim letzten Mal von einer Legende berichtet, von der man glaubte, sie käme aus dem Alten Reich Ägyptens“, erklärte er. Seine Augen leuchteten dabei auf eine sehr charakteristische Weise. Jede Faser seines Körpers war erfüllt von einem geradezu inbrünstigen Erkenntnisdrang, für den es keine Hindernisse zu geben schien. Auch keinen Respekt, was etablierte Lehrmeinungen anging, die Bender schon einmal mit einem Achselzucken zur Seite schob. „Sie werden sich vielleicht erinnern“, fuhr er fort. „Die Rede ist von der Legende des Volks unter der Erde. Wie ich Ihnen ja nachwies, stammt diese Geschichte ursprünglich gar nicht aus Ägypten, sondern aus Nubien und wer weiß, wer sie ursprünglich dorthin getragen hat. Ich selbst habe nie daran gezweifelt, dass es sich bei diesem ominösen Volk aus der Erde um nichts anderes als eine Legende handelt, die vielleicht ihren Ursprung in einem Stamm von Höhlenbewohnern hatte. Sie kennen die Legenden über Trolle, Gnome und Zwerge, die bis heute vor allem in Skandinavien nach wie vor lebendig geblieben sind. Aber seit unser letzten Vorlesung ist eine Woche vergangen und in dieser Zeit ist viel passiert!“
Der Professor ließ den Blick umherschweifen. Er sah Svenja einen Augenblick lang sehr durchdringend an. Es war ein prüfender Blick, der ihr unangenehm war. Gewogen und zu leucht befunden – ist das vielleicht ihr vorschnelles Urteil? fragte sich die junge Frau. Sie strich sich eine Strähne ihres langen, dunklen Haars aus dem Gesicht. Eine Geste der Verlegenheit, wie sie selbst sehr wohl wusste.
Bender fuhr fort.
„In dieser Woche ist entscheidendes Geschehen“, sagte er.
„Erstens hat sich die ohnehin schon nicht sehr zahlreiche Zuhörerschar auf die Hälfte reduziert und es stellt sich nunmehr die Frage, ob diese Veranstaltung in Zukunft noch in einem derart großen Raum stattfinden sollte…“
Allgemeine Heiterkeit erfüllte plötzlich den Raum. Die beiden anderen Studenten - zwei junge Männer – lachten.
„…und zweitens stieß ich bei der Begutachtung eines ganzen Stapels von Manuskripten aus der Omajjaden-Zeit auf ein Fragment des berühmt-berüchtigten Geistersehers und Magiers Abdul von Cordoba, der für einige Jahre am Hof des Kalifen einen außerordentlich großen Einfluss gehabt haben muss. Was hat nun ein spanischer Maure aus dem Mittelalter mit den Priestern des alten Reiches Meroe im Norden Nubiens zu tun?
Ganz einfach! Abdul schildert eine Begegnung mit dem Volk aus der Erde. Leider macht er nur ein paar Andeutungen, aber der fluchartige Schlusssatz seines Textes entspricht nahezu wörtlich jenem, der sich auch Papyri des Alten Reiches und auf den steinernen Stelen von Meroe findet!“ Bender machte eine rhetorische Pause. Er vollführte eine ruckartige Bewegung und drehte den Kopf in Richtung des Fensters. Mit dem Zeigefinger der linken Hand schob er sich die Brille wieder an Ort und Stelle und atmete tief durch. In gedämpftem Tonfall sprach er weiter:
„E ines Tages wird das Volk der Tiefe zurückkehren aus der Welt jenseits des Bannkreises und dann wird es keine Macht unter dem Horizont geben, die in der Lage wäre, dem Grauen aus der Erde zu widerstehen…“
*
Die beiden jungen Männer, die der Vorlesung beigewohnt hatten, verließen nach deren Ende zügig den Raum. Ziemlich ungeniert konnte man sie auf dem Flur lachen hören. Sie machten sich über die Ausführungen des Professors lustig. Svenja Hund blieb zunächst auf ihren Platz sitzen. Bender stützte sich an seinem Pult ab. Sein Blick war nach innen gekehrt. Er wirkte abwesend. Svenja stand auf und trat auf ihn zu.
„Was Sie da eben berichtet haben…“
Sein Kopf vollführte eine ruckartige Bewegung. „Sie sind noch hier?“, wunderte er sich.
„Ja“, nickte Svenja.