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Dieser Band enthält folgende Krimis: (399XE) Kubinke und die Frankfurter Morde (Alfred Bekker) Ein Kommissar läuft Amok (Alfred Bekker) Der Sniper von Berlin (Alfred Bekker) Der Essener Kriminalbeamte Kevin Marenberg taumelt in ein Einkaufszentrum und schießt plötzlich wahllos um sich. Kriminalhauptkommissar Gerd Thormann, der dort jemanden beschattet, wie er später seine dortige Anwesenheit erklärt, greift in das Geschehen ein und erschießt seinen Vorgesetzten. Doch warum lief Marenberg Amok? Das sollen die beiden Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier herausfinden. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Drei Krimis: Kubinke und die Frankfurter Morde & Ein Kommissar läuft Amok & Der Sniper von Berlin
Copyright
Kubinke und die Frankfurter Morde
Ein Kommissar läuft Amok
Der Sniper von Berlin
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Kubinke und die Frankfurter Morde (Alfred Bekker)
Ein Kommissar läuft Amok (Alfred Bekker)
Der Sniper von Berlin (Alfred Bekker)
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
Krimi von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 118 Taschenbuchseiten.
Die beiden Kriminalinspektoren Harry Kubinke und Rudi Meier müssen diesmal im Rahmen der Amtshilfe in Frankfurt ermitteln. Dort haben sie es nicht nur mit einem seltsamen Fall in der Drogenszene zu tun, sondern auch mit einem Kollegen, der allen gehörig auf die Nerven geht.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER FIRUZ ASKIN
© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Es war auf dem jährlichen Kollegenessen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst des Bundeskriminalamts. Dazu hatten sie sich in einem Restaurant in Quardenburg getroffen.
“Nachdem unsere Chefetage überflüssigerweise entschieden hat, dass wir in unserer Abteilung etwas für das soziale Miteinander tun sollen, können wir uns ja der Hauptsache zuwenden: Dem Essen!”, sagte der hemdsärmelige Gerichtsmediziner Dr. Wildenbacher.
“Wenn man das bei Ihnen da auf dem Teller ein Essen nennen kann”, äußerte sich Dr. Dr. Förnheim, der Naturwissenschaftler im Team.
“Wieso?”, fragte Wildenbacher.
“Nunja - Schweinshaxe. Das ist doch... Tierfutter!”
“Wenigstens wird man davon richtig satt!”
“Das werde ich auch.”
“Von den paar Häppchen, die da bei Ihnen auf dem Teller liegen? Ich bezweifle es.”
“Exquisite Häppchen, Herr Kollege!”
“Aber davon bleiben Sie ein dünner Hering!”
“Ein voller Magen behindert das Denken.”
“In Bayern sehen wir das anders.”
Wildenbacher nahm einen großen Happen und kaute.
“Essen hat auch etwas mit Kultur zu tun”, sagte Förnheim in seinem hochmütig klingenden Hamburger Dialekt. “Aber das ist für einen Kuhdoktor von der Alm wahrscheinlich ein Fremdwort.”
“Sagen Sie bloß, Sie sind militanter Vegetarier!”
“Nein, das trifft wohl eher auf die Kollegin Gansenbrink zu. Aber auch Fleisch kann man ja auf eine Weise zubereiten, die keine Beleidigung für die Geschmacksnerven ist.”
“Sie müssen es ja nicht essen, was ich auf dem Teller hab!”
“Ich muss es aber riechen”, sagte Förnheim. Er verzog das Gesicht. “Und das ist schon schlimm genug.”
“Tut mir Leid, dass ich Sie nerve, Kollege”, sagte Wildenbacher. “Aber das beruht ja auf Gegenseitigkeit. Und dafür, dass das so ist, arbeiten wir ja doch meistens ganz gut zusammen.”
“Ich muss zugeben, auch Sie leisten hin und wieder wertvolle Beiträge”, sagte Förnheim.
“Danke - für Komplimente dieser Art bin ich empfänglich!”, grinste Wildenbacher und trank dann das halbe Bierglas in einem Zug leer.
“Apropos Nerven...”
“Ja?”
“Das Nerv-Potential, das Sie repräsentieren, Herr Kollege, ist ja noch relativ überschaubar.”
“Jetzt werden Sie ja schon fast persönlich!”
“Was wirklich nervt ist, dass in der Behörde, in der wir arbeiten, die Genies und Könner sich von einfältigen Idioten sagen lassen müssen, was sie zu tun haben.”
“Hm.”
“Da kommt so ein Typ wie dieser Kubinke...”
“Ich weiß!”, seufzte Wildenbacher.
“... und der sagt dann einfach: Ich bin der Ermittler und so und so läuft das. Ich brauche das, das und das. Zack! Zack! Und wir sind dann diejenigen, die die eigentliche Arbeit machen. Und wer wird dann am Ende dafür befördert?”
“Ich weiß!”
“Na eben!”
“So ist es eben, Kollege.”
“Dann sind wir uns ja immerhin in diesem einen Punkt einig”, sagte Wildenbacher. “Kubinke nervt!”
„Hey Mann, was glotzt du so?”
Friedhelm Nöllemeyer ließ das Päckchen mit dem schneeweißen Pulver in der linken Tasche seines Mantels verschwinden. Die Rechte griff nach der Waffe, die er am Gürtel trug, einen kurzläufigen Revolver vom Kaliber 22. Nöllemeyer riss die Waffe heraus. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen unnatürlich geweitet. „Ja, dich meine ich!”, rief er heiser.
Er richtete den Revolver auf den schwarzbärtigen Mann mit der Baseballkappe, der wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien. „Warum verfolgst du mich?”
„Ich verfolge Sie nicht. Ehrlich!”
Friedhelm Nöllemeyer kam näher. Der Bärtige wagte es nicht, sich zu rühren.
Friedhelm Nöllemeyer spannte den Hahn seines Revolvers.
Die Gedanken rasten nur so durch Friedhelm Nöllemeyers Kopf. Er wandte sich kurz um. Der Dealer, von dem er den Stoff hatte, war längst auf und davon. Aber dieser schwarzbärtige Kerl dort hatte alles gesehen. Die ganze Transaktion. Da war sich Nöllemeyer sicher.
„Hören Sie, ich werde jetzt einfach weiter gehen”, sagte der Bärtige. „Und Sie gehen auch weiter. Ich weiß nicht, wer oder was Ihnen heute so auf die Nerven gegangen ist, dass Sie mit einer Waffe herumfuchteln. Aber ich will nichts von Ihnen und da wir uns vollkommen zufällig begegnet sind, wüsste ich auch nicht, was Sie von mir wollen.”
Nöllemeyers Revolverhand zitterte.
Ein Bulle!, das war sein erster Gedanke gewesen. Ein Bulle, der mir eine Falle gestellt hat, in die ich hineingetappt bin!
Aber an dieser Theorie hatte Nöllemeyer inzwischen erhebliche Zweifel. Es musste irgendetwas anderes dahinterstecken.
Der Bärtige drehte sich um.
Offenbar wollte er seine Ankündigung in die Tat umsetzen und tatsächlich einfach gehen. Aber so einfach wollte Nöllemeyer ihn nicht davonkommen lassen.
„Keine Bewegung”, sagte er.
Sie befanden sich in einem Hinterhof. Müllcontainer quollen über. Ein paar parkende Fahrzeuge wirkten wie ausgeschlachtet. Es war nicht gerade die beste Gegend von Frankfurt.
Der Bärtige blieb stehen.
„Nicht umdrehen”, sagte Nöllemeyer. Er ging von hinten an den Bärtigen heran und setzte ihm den kurzen Lauf des Revolvers an den Kopf. Mit der anderen Hand begann er, den Mann zu durchsuchen. Er war auf jeden Fall unbewaffnet. In den Taschen des ausgeleierten Parkas, den der Bärtige trug, fand Nöllemeyer eine Brieftasche. Die nahm er heraus, trat dann ein paar Schritte zurück.
In der Brieftasche befanden sich ein gültiger Führerschein, eine Kreditkarte, die Karte einer Krankenversicherung - alle ausgestellt auf den Namen Gieselher Omienburg.
„Ich habe Sie schon einmal gesehen, Gieselher Omienburg”, stellte Nöllemeyer fest.
„Das glaube ich nicht.”
„Gestern, als ich in dem Bistro war. Da saßen Sie in einem parkenden Wagen auf der anderen Straßenseite!”
„Hören Sie, ich sagte es schon einmal, ich will nichts von Ihnen.”
„Und ich stelle Ihnen jetzt noch einmal die Frage: Warum spionieren Sie mir hinterher?”
„Sie reden Unsinn.”
„Ich glaube einfach nicht an Zufälle, Herr Omienburg. Dass Sie mir an zwei Tagen an zwei verschiedenen Orten begegnen muss einen Grund haben.”
„Ihre rote Nase auch.”
„Was soll das denn heißen?”
„Falls Sie Allergiker sind oder sich total erkältet haben - gar nichts. Aber falls Sie andere Probleme haben, nehmen Sie sich eine der Karten aus meiner Brieftasche und rufen Sie mich gelegentlich an.”
Nöllemeyer steckte die Waffe ein, um beide Hände frei zu haben. Falls der Kerl ihn angreifen sollte, konnte er sie schnell genug aus der Manteltasche ziehen. Er lockerte die Krawatte. Dann sah er genauer in der Brieftasche nach und fand die Visitenkarten, die der bärtige Omienburg offenbar meinte.
„Die >Kampf den Drogen Stiftung<”, las Nöllemeyer stirnrunzelnd. Er steckte die Karte ein. Seine Hand glitt dabei in die Manteltasche und umfasste wieder den Revolvergriff.
„Da arbeite ich mit”, sagte der Bärtige. „Genauer gesagt, ich leite ein Büro der Organisation.”
Nöllemeyers Gesicht lief dunkelrot an. Er riss die Waffe erneut heraus und richtete sie auf Omienburg.
„Verpiss dich!”, stieß er hervor.
„Ihr Mantel ist aus Kamelhaar, Ihr Anzug sieht aus, als hätte er mehr als 1000 Euro gekostet. Ich glaube nicht, dass Sie auf den Inhalt meiner Brieftasche wirklich angewiesen sind!”
Omienburg streckte die Hand aus.
„Na los, verpiss dich, du Scheiß-Gutmensch!”, rief Nöllemeyer dann und warf ihm die Brieftasche hin. Omienburg hob sie auf und steckte sie ein.
„Was ich gesagt habe, meinte ich ernst”, sagte Omienburg. Dann drehte er sich um und ging.
Nöllemeyer sah ihm einen Moment nach. Er steckte die Waffe ein und ging weiter.
Als er um die Ecke ging, bekam Omienburg gerade noch mit, wie Nöllemeyer sich etwas von dem Stoff, den er gerade gekauft hatte, auf den Handrücken häufte, um ihn zu schnupfen.
„Maik Ladberger, Frankfurter Polizei, Abteilung für organisierte Kriminalität”, sagte der großgewachsene Mann mit dem spitzen Kinn. Ladberger war Mitte vierzig und hatte, abgesehen von einem kurzgeschorenen Kranz um die Kopfmitte, kein Haar mehr auf dem Schädel. Seine Augen waren grau und wirkten falkenhaft und durchdringend.
Der uniformierte Beamte sah stirnrunzelnd auf Ladbergers Dienstausweis.
„Ich dachte, das ist ein Fall für die Mordkommission”, meinte der Polizeimeister.
„Überlassen Sie das Denken am Besten den Rängen, die dafür auch eine Zulage bekommen”, sagte Maik Ladberger.
Dem Uniformierten schien diese Bemerkung überhaupt nicht zu gefallen. Sein Gesicht wurde finster. „Ich habe schon von Ihnen gehört, Ladberger.”
„Nur Gutes, hoffe ich.”
„Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Sie von Hauptkommissar Gustavv dringend erwartet werden.”
„Was Sie nicht sagen.”
Ladberger ließ den Polizeimeister stehen und ging weiter. Hauptkommissar Gustavv fand er neben dem Toten, über den sich gerade der Gerichtsmediziner beugte.
„Was wollen Sie denn hier, Ladberger?”, fragte Gustavv, der korpulente Chef der Mordkommission. Ladberger und Gustavv hatten in derselben Abteilung angefangen, später hatten sich ihre Wege getrennt.
„Ich bin hier, um Ihnen den Fall aus der Hand zu nehmen, Herr Gustavv.”
„Ich habe gehört, Sie machen das immer noch.”
„Was?”
„Alles an sich ziehen und nichts richtig beenden. Aber dafür ab und zu mal in der Zeitung stehen. Damit macht man sich nicht unbedingt bei den Kollegen beliebt.”
Maik Ladberger hörte den bissigen Worten seines Kollegen Gustavv überhaupt nicht zu. Seine Konzentration galt voll und ganz dem Toten, der auf dem Pflaster ausgestreckt dalag. Die Nase war so rot wie bei einem Zirkusclown. Das kam bei Leuten, die Kokain schnupften, häufig vor. Nach einer gewissen Zeit wurden die Nasenschleimhäute stark in Mitleidenschaft gezogen. Ständige Entzündungen waren dann die Folge.
„Kann man schon irgendetwas sagen?”, fragte Ladberger an den Gerichtsmediziner gewandt.
„Sieht nach einer Überdosis aus. Er hatte sich wohl gerade eine ziemlich große Portion bei einem Dealer gekauft. Das meiste ist noch in seiner Manteltasche. Allerdings…”
„Ja?”
„Ich werde ihn erst untersuchen müssen.”
„Ich will, dass zuerst das Rauschgift analysiert wird”, sagte Ladberger. „Doktor, sichern Sie jedes einzelne Pulverkörnchen, das Sie an der Nase finden. Ich brauche die Analyse vorgestern.”
Hauptkommissar Gustavv wandte sich an den Gerichtsmediziner. „Das ist Maik Ladberger, der Kerl mit der schlechtesten Laune im ganzen Frankfurter Polizeipräsidium. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er hier auftaucht, sonst hätte ich Sie vorgewarnt.”
Der Gerichtsmediziner runzelte die Stirn. Er war ziemlich jung. Gerade mit dem Examen fertig, schätzte Ladberger. Und darüber hinaus wirkte er aufgrund seiner weichen Gesichtszüge, die noch von seinen Naturlocken betont wurden, ohnehin sehr jungenhaft.
Er sah Ladberger offen an.
„Ich bin übrigens Dr. Johannes Elraman”, sagte der Gerichtsmediziner ruhig. „Ich gebe zu, dass ich neu hier bin, aber können Sie mir mal sagen, weshalb dieser Aspekt für so wichtig ist?”
„Machen Sie einfach Ihren Job und berichten Sie mir. Dann kann nichts schiefgehen”, sagte Ladberger.
„Aber wenn jemand Rauschgift schnupft, ist das in der Regel immer Kokain - mal mit mehr und mal mit weniger Zusätzen.”
„Ja, aber in diesem Fall ist es das vielleicht nicht”, gab Ladberger zurück. „Dieser Fall könnte zu unserer Serie gehören. Jemand verkauft Heroin-Pulver als Kokain. Kein Junkie kann das so ohne Weiteres auseinanderhalten aber…”
„...wer Heroin schnupft ist kurz danach tot”, stellte Elraman fest.
„Na wenigstens das wissen Sie”, knurrte Ladberger.
Elraman sah auf den Toten. „Ich dachte, das wäre eine normale Überdosis gewesen oder Tod infolge starker Vorschädigungen des gesamten Organsystems durch andauernden Drogenkonsum.”
„Na gut, das Sie den Totenschein noch nicht unterschrieben haben”, gab Ladberger gallig zurück. „Wahrscheinlich hätten Sie sich auch eine Obduktion erspart.”
„Wir sind gehalten, auf die Kosten zu achten”, sagte Elraman.
„Klugscheißer”, murmelte Ladberger.
„Wie wär’s mal mit der Teilnahme an einem dieser Anti-Aggressionskurse, die unsere Behörde anbietet, Ladberger?”, mischte sich Hauptkommissar Gustavv ein. „Vielleicht noch mit dem Zusatzangebot ‘Wie mache ich meine Kollegen froh? Tipps und Tricks für gute Zusammenarbeit’?”
Ladberger wandte das regungslose Gesicht in Gustavvs Richtung.
Er sagte kein Wort, aber sein Blick zeigte die Geringschätzung, die er in diesem Moment empfand.
„Sehen Sie, Dr. Elraman, das meinte ich: Ladberger versteht absolut keinen Spaß.”
„Wer war der Tote?”, fragt Maik Ladberger ungerührt als hätte er nichts von dem mitbekommen, was Hauptkommissar Gustavv gesagt hatte.
„Er heißt Friedhelm Nöllemeyer und arbeitet als Creative Director in einer Werbe-Agentur am anderen Ende der Stadt”, gab Hauptkommissar Gustavv Auskunft.
„Hat er Familie?”, fragte Ladberger.
„Frau und zwei Kinder.”
„Wissen Sie schon Bescheid?”
„Ein Kollege ist unterwegs. Und die Agentur weiß auch Bescheid. Man hat ihn da schon vermisst.”
Maik Ladberger nickte langsam. „Da fährt dieser feine Herr Nöllemeyer durch die halbe Stadt, um in dieser miesen Gegend ein paar Gramm Kokain zu kaufen und ist wenig später tot”, stellte Maik Ladberger fest.
„Wie wollen Sie vorgehen, Herr Ladberger?”, fragte Hauptkommissar Gustavv.
„Ich will, dass alle bekannten Dealer, die in der Gegend bekannt sind, einkassiert und verhört werden.”
„Sie wollen herausfinden, wer Herr Nöllemeyer den Stoff verkauft hat?”
„Ja. Oder ob einer von denen was beobachtet hat. Ich halte es für ausgeschlossen, dass das ein Fremder war. Schließlich achten die Dealer peinlich genau darauf, dass keine Konkurrenz in ihrem Gebiet Kasse zu machen versucht.”
„Ich bin BKA Kriminalinspektor Harry Kubinke - und dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Rudi Meier”, stellte ich uns vor. „Und Sie müssen Maik Ladberger von der Abteilung gegen organisiertes Verbrechen vom Frankfurt Polizeipräsidium sein.”
„Bin ich”, sagte der Mann, der uns vom Flughafen abholte.
Wir hatten anderthalb Stunden vorher in Berlin eingecheckt und spätestens jetzt begann die Arbeit an dem Fall, den wir in Frankfurt zu bearbeiten hatten.
Unser Gegenüber ließ keinen Zweifel daran, dass er keine Zeit verlieren wollte. Und ich hatte dafür volles Verständnis.
„Das Hotel, in dem Sie beide untergebracht wurden, ist nicht unbedingt Luxusklasse oder dergleichen”, eröffnete Maik Ladberger. „Aber es hat den Vorteil, dass es direkt neben dem Frankfurter Polizeipräsidium liegt. So verlieren Sie nicht unnötig Zeit.”
„Wir wissen kurze Wege zu schätzen”, sagte Rudi.
„Sie sind ja auch nicht hier, um einen Erholungsurlaub zu machen”, sagte Ladberger.
„Auf diesen Gedanken wäre ich auch nie gekommen”, bekannte ich.
„Die Initiative dafür, dass Sie eingeschaltet wurden, ging übrigens von mir aus - auch wenn Ihr Chef nur mit meinem Chef gesprochen hat und ich erst eine Menge Wind machen musste, damit es dazu gekommen ist.”
„Wir sind hier, um Ihnen zu helfen”, sagte ich.
Maik Ladberger musterte uns kurz und abschätzig. „Ehrlich gesagt bin ich etwas enttäuscht. Sie kommen mit ultra-sparsamen Aufgebot, scheint mir. Eigentlich dachte ich, Sie bringen ein paar Experten mit und nicht nur zwei…”
Ich hob die Augenbrauen. „Ja?”
Maik Ladberger machte eine wegwerfende Handbewegung. „Lassen wir das. Ich habe heute nicht meinen freundlichen Tag.”
„Ich kann Sie beruhigen”, sagte ich.
„Ach, ja?”
„Wir sind keineswegs auf uns allein gestellt, sondern können uns auf ein Team von Fachleuten stützen, das aber nicht unbedingt am Ort der Ermittlungen anwesend sein muss, um unserer Arbeit trotzdem wesentliche Impulse zu geben.”
„Ja, das ist wohl die blumige Umschreibung für die Tatsache, dass man uns in Berlin offenbar mit unserem Mist alleine lässt. Nichts für ungut und Ihre Unterstützung weiß ich auch sehr zu schätzen, aber… ”
„Aber was?”
Maik Ladberger stemmte die Arme in die Hüften und blieb stehen. „Etwas mehr Engagement der BKA-Zentrale hätte ich mir schon gewünscht, muss ich sagen. Hier bricht schließlich sehr wahrscheinlich in Kürze ein Bandenkrieg los, wie er nur alle paar Jahrzehnte mal vorkommt.”
„Sie können sicher sein, dass man sich in Berlin der Brisanz der Lage voll und ganz bewusst ist”, erklärte ich.
„Na, da bin ich ja beruhigt… Denn wenn hier die Kacke am dampfen ist, kann es gut sein, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Schließlich hat unser Fall mit einer anderen Sache zu tun, die sich vor einigen Jahren ereignet hat.”
Rudi und ich waren zwar erst am Morgen von Kriminaldirektor Hoch, unserem Chef, mit den groben Einzelheiten des Falles vertraut gemacht worden.
Im Großen und Ganzen ging es darum, dass Kokain-Süchtigen pulverförmiges Heroin verkauft worden war. Pulverisiertes Heroin anstelle von Kokain zu schnupfen war ein ziemlich sicheres Todesurteil. Das Problem war nur, dass die Konsumenten das nicht ohne weiteres unterscheiden konnten.
Hauptkommissar Ladbergers Theorie war, dass ortsfremde Drogenbanden sich in Frankfurt breitmachen wollten und durch solche Maßnahmen den Markt verunsichern und neu aufmischen wollten.
Vor ein paar Jahren hatte andernorts ebenfalls eine Reihe von Todesfällen durch Heroin-Pulver gegeben und es gab den Verdacht, dass beide Serien zusammenhingen.
„Ausgerechnet hier in Frankfurt musste sich Jack Kerimov niederlassen, nachdem er seine Zeit abgesessen und sich obendrein in der Drogenszene unmöglich gemacht hat”, kam Maik Ladberger ziemlich schnell zum Kern seiner Theorie. „Glauben Sie mir, Kerimov will hier was Großes aufziehen und dafür geht er über Leichen.”
„Mag ja sein”, gab ich zurück.
„Das würde jedenfalls erklären, wieso jemand Heroin als Kokain verkauft, obwohl ersteres dreimal so teuer ist. Das macht nämlich nur dann Sinn, wenn man annimmt, dass es dem Urheber dieses Wahnsinns auf diesen Verlust nicht ankommt. Jemand, der einfach nur den Markt in Angst und Schrecken versetzen will, sodass die Junkies ihren angestammten Dealern nicht mehr vertrauen. Verstehen Sie, was ich meine, Kriminalinspektor Kubinke?”
„Nennen Sie mich ruhig Harry”, sagte ich. „Wir werden in der nächsten Zeit viel miteinander zu tun haben, nehme ich an.”
Normalerweise bin ich nicht unbedingt dafür, sofort ein allzu vertrautes Verhältnis zu suchen. Seit Rudi und ich nicht mehr einfache Kriminalhauptkommissare waren, sondern man uns zu Kriminalinspektoren des BKA befördert hatte, hatte sich auch das Verhältnis zu den Kollegen geändert. Früher waren wir größtenteils von vertrauten Personen umgeben gewesen, mit denen wir jahrelang zusammengearbeitet hatten und bei denen man wusste, dass man sich auf sie verlassen konnte. In unserer neuen Zuständigkeit mussten wir immer wieder mit anderen Kollegen zusammenarbeiten - und manchmal waren die sogar Teil des Problems, um das wir uns kümmern mussten.
Aber in diesem Fall hatte ich das Gefühl, irgendwie das Eis brechen zu müssen. Auch wenn es Maik Ladbergers Initiative zu verdanken gewesen war, die BKA-Zentrale in Berlin einzuschalten, weil er offenbar frühzeitig die übergeordnete Dimension des Falles erkannt hatte, schien Ladberger Vorbehalte gegen uns zu haben.
Allerdings sollten wir schon sehr bald merken, dass wir da keineswegs Ausnahmen darstellten.
Maik Ladberger hatte offenbar Vorbehalte gegenüber fast jedermann und seine schlechte Laune schien chronisch zu sein. Mit ihm zusammenzuarbeiten, stellte für Kollegen sicherlich erhöhte Anforderungen an die eigene psychische Stabilität. Aber das hieß nicht, dass er ein schlechter Polizist war, ganz im Gegenteil. Er schien einen sehr sicheren Blick für die Lage zu haben, die sich in Frankfurt zusammenbraute. Und wenn jemand dafür sorgte, dass frühzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen werden konnten, um eine Eskalation zu verhindern, dann war das auf jeden Fall begrüßenswert.
„Ich denke, ich bleibe für Sie vorerst lieber Hauptkommissar Ladberger”, wies mein Gegenüber das Verbrüderungsangebot allerdings schroff zurück.
„Ganz, wie Sie wünschen“, gab ich zurück.
Wir gingen zu Ladbergers Wagen. Er fuhr einen Geländewagen, der auf den Straßen von Frankfurt irgendwie etwas deplatziert wirkte.
Mehrere Beulen und Kratzer sprachen für einen eher rustikalen Fahrstil. Wir verstauten unser Gepäck. Ich setzte mich neben Ladberger auf den Beifahrersitz. Rudi zögerte noch, ehe er einstieg. Sein Blick war auf das Display seines Smartphones gerichtet und er wirkte ziemlich konzentriert dabei.
„Wir könnten auf dem Weg zum Präsidium bei den Angehörigen des letzten Opfers vorbeifahren, diesem Friedhelm Nöllemeyer.“
„Meiner Ansicht nach ist das Zeitverschwendung“, sagte Ladberger.
„Und meiner Ansicht nach ist es niemals Zeitverschwendung sich den Hinterbliebenen eines Opfers zu widmen“, gab Rudi etwas irritiert zurück.
„Und ich denke, wir sollten uns um Irfan Kerimov und seine Machenschaften kümmern. Aber Sie sind die Kriminalinspektoren. Nicht ich.“
„Sie denken, dass es keine gezielte Auswahl der Opfer gab?“, mischte ich mich ein.
„Genau so ist es“, nickte Ladberger. „Ich dachte, wir wären uns darüber einig, dass hier einfach nur die Konsumentenszene der Kokser verunsichert werden soll, so dass am Ende niemand mehr seinem angestammten Dealer traut und den etablierten Mitspielern in diesem unappetitlichen Spiel das Geschäft versaut werden soll.“
„Wir wissen nicht, ob es wirklich so ist.“
„Und die Sache damals in Hamburg? Wieso sind Sie überhaupt hier, wenn Sie den Zusammenhang nicht sehen.“
„Nun mal ganz ruhig“, sagte ich und wusste eigentlich schon in dem Moment, in dem ich das ausgesprochen hatte, dass ich nicht den richtigen Ton getroffen hatte, um Ladberger zu besänftigen. „Die Tatsache, dass es in Hamburg eine ähnliche Serie von Todesfällen...“
„Morden!“, korrigierte mich Maik Ladberger. „Es waren Morde, nicht einfach Todesfälle.“
„Wie auch immer, wir sollten in alle Richtungen ermitteln“, erklärte ich. „Und abgesehen davon wüsste ich gerne mehr über das letzte Opfer. Denn bislang können wir noch keineswegs ausschließen, dass bei dieser Serie die Opfer nicht doch bewusst ausgesucht wurden.“
Ladberger atmete tief durch. „Okay, ich fahre Sie hin“, sagte er. „Aber klären Sie bitte vorher telefonisch, ob überhaupt jemand zuhause ist, damit wir da nicht umsonst auftauchen.“
„Kein Problem“, sagte Rudi.
Die Fahrt zu den Nöllemeyers dauerte etwas länger als Rudi abgenommen hatte. Das lag in erster Linie an den Verkehrsverhältnissen und einer Baustelle.
Die Adresse gehörte zu einem Haus in zentraler Lage. Frau Janina Nöllemeyer empfing uns mit einem Säugling auf dem Arm.
„Dies sind Harry Kubinke und Rudi Meier - zwei Kriminalinspektoren des BKA, die Ihnen gerne ein paar Fragen stellen würden, Frau Nöllemeyer“, stellte Ladberger uns vor.
„Kommen Sie herein“, forderte sie uns auf.
Sie führte uns in das Wohnzimmer. Dort saß eine Frau, die große Ähnlichkeit mit Frau Nöllemeyer hatte. Nur war sie einige Jahre jünger. „Das ist meine Schwester Anita”, erklärte sie. „Sie hilft mir ein bisschen und sorgt dafür, dass ich nicht völlig durchdrehe - nach dem, was passiert ist.”
Ein ungefähr siebenjähriger Junge schaute durch die Tür herein und musterte uns. Ich sah ihn an.
„Jagen Sie die Drogenhändler?”, fragte der Junge.
„Unter anderem tue ich auch das”, sagte ich.
„Dann hoffe ich, dass Sie den kriegen, der die Drogen an meinen Vater verkauft hat”, meinte er und sein Gesicht wurde ziemlich finster dabei. Er drehte sich um und ging wieder hinaus.
„Kannst du dich um die Kinder kümmern?”, wandte sich Janina Nöllemeyer an ihre Schwester.
„Natürlich.”
„Dann kann ich mich besser unterhalten.”
Wenige Augenblicke später waren wir mit Janina Nöllemeyer allein im Raum. Sie saß in sich zusammengesunken da, die Schultern nach vorn gebogen, das Gesicht von ein paar markanten Linien durchzogen, die sich unmöglich erst in der kurzen Zeit, die seit dem Tod ihres Mannes vergangen war, in ihr feingeschnittenes Gesicht gebildet haben konnten.
„Wie haben denn Ihre Kinder den Tod Ihre Mannes aufgenommen?”, fragte ich.
„Ich glaube, die haben das noch gar nicht richtig begriffen”, sagte Janina Nöllemeyer. Sie hob die Schultern etwas an. Den direkten Blickkontakt vermied sie. „Irgendwie ist das auch nicht verwunderlich. Friedhelm war mehr in der Agentur als zu Hause. Das Geschäft mit der Werbung ist nicht mehr die Goldgrube, die es vielleicht vor ein paar Jahren noch war. Der Wettbewerb ist enorm hart und da bleiben nur die besten Agenturen letztlich über Wasser.”
„Sie wussten, dass Ihr Mann Kokain genommen hat?”
„Ja. Je schlimmer der Druck wurde, desto mehr hat er davon genommen. Ich weiß, es klingt schrecklich, aber irgendwie habe ich damit gerechnet, dass man ihn irgendwann mal so finden würde. Mit einer Überdosis.” Eine zusätzliche Falte erschien auf ihrer Stirn, als sie nun den Blick hob. „Sie sind vom BKA? Es gibt so viele Drogentote. Wieso interessiert sich das BKA für meinen Mann?”
Rudi und ich warfen zur gleichen Zeit einen fragenden Blick zu Maik Ladberger, der nur mit den Schultern zuckte. Offenbar hatte man die Angehörigen von Friedhelm Nöllemeyer zwar darüber informiert, dass Nöllemeyer umgekommen war, aber nicht darüber, dass man davon ausging, dass man es mit einem Mord zu tun hatte.
„Ihr Mann hat Heroin-Pulver geschnupft - anstatt Kokain”, sagte ich.
„Das hat man mir gesagt. Und auch, dass das wohl die Todesursache war. Aber früher oder später musste er ja mal an einen Dealer geraten, der ihm falschen Stoff anbietet. Ich habe mich etwas im Internet schlau gemacht. Wenn man so hört, was da manchmal so alles an Zusätzen drin ist, fragt man sich, wie jemand so etwas überhaupt zu sich nehmen kann!”
„In diesem Fall gehen wir davon aus, dass das mit Vorsatz geschah”, erklärte ich.
Sie sah mich an. „Wie meinen Sie das?”
„Heroin ist dreimal so teuer wie Kokain. All die Zusätze, von denen Sie sprachen, dienen dazu, den Stoff zu verlängern und mehr Gewinn herauszuschlagen. Wer immer Ihrem Mann dieses falsche Kokain verkauft hat, muss ein sehr schlechtes Geschäft gemacht haben.”
„Und wer... sollte so etwas tun?”
„Das wissen wir nicht. Es gibt mehrere Fälle, die dem Ihres Mannes ähneln. Ob das ganze Teil einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Drogensyndikaten um Marktanteile ist, oder ob die Opfer irgendetwas gemeinsam haben, wissen wir bisher nicht.”
Frau Nöllemeyer schluckte. Ihr Gesicht wirkte angestrengt und wurde jetzt dunkelrot. „Davon hat mir bisher niemand etwas gesagt.”
„Frau Nöllemeyer, ich möchte dass Sie sich die Liste der bisherigen Opfer ansehen. Wenn Ihnen irgendein Name bekannt sein sollte, dann sagen Sie es uns. Wir haben außerdem Fotos, die Sie sich auf dem Laptop meines Kollegen Kriminalinspektor Meier ansehen können. Dafür gilt dasselbe: Wenn Sie irgendeine dieser Personen schon einmal gesehen haben oder Ihr Mann vielleicht mal einen der Namen erwähnt hat…”
„Gut”, sagte sie. „Ich werde tun, was Sie wollen.”
Rudi hatte sein Laptop dabei und klappte es auf. Bis es hochgefahren war, hatte ich ich Zeit für eine weitere Frage.
„Ich habe in den Unterlagen gelesen, dass man in der Manteltasche Ihres Mannes einen Revolver gefunden hat.”
„Ja, er hatte so ein Ding seit einiger Zeit immer bei sich.”
„Warum? Gab es dafür einen bestimmten Grund?”
„Er hat sich die Waffe angeschafft, nachdem er vor drei Jahren überfallen wurde und ihm irgendwelche Straßengangster die Brieftasche abgenommen haben. Er hat immer gesagt, das hätte ihn verändert….”
„Sie sagen das so, als…”
„...als ob ich das nicht so richtig geglaubt hätte?”
„Das sind jetzt Ihre Worte.”
Sie nickte. „In den den ersten anderthalb Jahren nach dem Überfall lag die Waffe meistens hier zu Hause im Schrank. Aber dann wurde es schlimmer mit ihm. Er glaubte andauernd, dass er verfolgt wird, und dass irgendwer es auf ihn abgesehen hätte.”
„Hat er genaueres dazu gesagt?”
„Ich glaube, das hing alles mit seiner Sucht zusammen. Ich habe mich erkundigt. Paranoide Schübe können eine Nebenwirkung sein.”
„Sie meinen, er hat sich das alles nur eingebildet?”
„Er war manchmal unausstehlich. Dass er mit einer Waffe herumlief war ja nur ein Aspekt. Ich war einmal dabei, als er den Revolver urplötzlich aus der Jacke zog und auf irgendeinen Passanten richtete, weil er glaubte, der hätte ihn verfolgt.”
„Was ist dann passiert?”
„Ich konnte die ganze Situation bereinigen. Und zum Glück hat der Mann das auf sich beruhen lassen und Friedhelm nicht angezeigt.”
„Hat Ihr Mann irgendwo Hilfe gesucht?”
„Nein. Hat er nicht. Er beharrte darauf, dass alles in Ordnung sei. Und dass er das Kokain nur ab und zu brauche, um länger wach zu bleiben und um mehr Ideen zu haben. Aber ich glaube nicht, dass er dadurch mehr Ideen hatte. Ich glaube eher, dass er sich damit zu Grunde gerichtet hat.”
„Ich habe im Tatort-Bericht gelesen, dass Ihr Mann in seiner Manteltasche noch die Karte einer Anti-Drogen-Organisation hatte. Werfen Sie darauf mal einen Blick?”
Ich hielt ihr mein Smartphone hin und zeigte ihr eine Aufnahme dieser Visitenkarte. Sie war deutlich zu lesen.
„Kampf den Drogen Stiftung”, las Janina Nöllemeyer.
„Sagt Ihnen nichts?”
„Nein.”
„Und der Name des Mitarbeiters: Gieselher Omienburg? Hat er den mal erwähnt?”
Sie schüttelte den Kopf. „Ich wäre sehr glücklich gewesen, wenn er tatsächlich professionelle Hilfe gesucht hätte. Vielleicht hätte das unsere Ehe und unsere Familie noch retten können.”
„So schlimm stand es also schon?”
„Ja”, murmelte sie. „Diese unbegründeten Stimmungsschwankungen, die plötzliche Aggression. Unser Ältester hatte nachts Alpträume davon. Friedhelm war nicht oft hier, aber wenn, dann war es für unseren Ältesten meistens kein schönes Erlebnis.”
Rudi hatte inzwischen die Anzeige auf dem Laptop soweit vorbereitet, dass sich Janina Nöllemeyer die Liste der anderen Opfer mit den dazugehörigen Fotos ansehen konnte.
Zuerst zeigte Rudi ihr die Bilder der anderen Opfer, die es in Frankfurt gegeben hatte. Anschließend die aus Hamburg.
Aber es schien kein Treffer dabei zu sein. „Ich kenne niemanden von diesen Personen”, erklärte sie. „Ich meine, mein Mann kennt natürlich bedingt durch seinen Beruf sehr viele Menschen.”
„Florian Bratseth, Hamburg, war auch aus der Werbebranche”, stellte Rudi fest. „Vielleicht kannte Ihr Mann ihn.”
„Vor fünf Jahren hat sich mein Mann bei einer Agentur in Hamburg beworben.”
„Wissen Sie noch, welche Agentur das war?”
„Nein, tut mir leid. Aber wenn ich die Sachen meines Mannes nach und nach ordne, werde ich das sicher herausfinden können.”
„Es wäre gut, wenn Sie sich damit etwas beeilen könnten.”
„Glauben Sie, dass das irgendeine Bedeutung hat?”
„Das wissen wir nicht, Frau Nöllemeyer. Im Moment sammeln wir einfach alles, was wir an Informationen kriegen können.”
„Ich hoffe, Sie sind jetzt zufrieden damit, dass wir mindestens eine Stunde wertvolle Ermittlungszeit verschwendet haben”, sagte Maik Ladberger, nachdem wir bereits wieder im Wagen saßen.
Ich hatte diesmal auf dem Rücksitz platzgenommen und die etwas anstrengende Konversation mit unserem Kollegen Rudi überlassen.
Ich bekam einen Anruf aus Quardenburg.
Dr. Friedrich Georg Förnheim, genannt FGF, aus Quardenburg war am Apparat. Der Chemiker, Physiker und Ballistiker im Ermittlungsteam Erkennungsdienst war natürlich längst mit dem Fall befasst. „Hallo Harry. Ich wollte Sie nur kurz darüber informieren, dass das Heroin, das dem Opfer im Fall Nöllemeyer zum Verhängnis wurde, jetzt eingetroffen ist.”
Förnheims hamburgischer Akzent war unüberhörbar und hatte den großen Vorteil, dass man ihn selbst dann noch gut verstehen konnte, wenn die Handyverbindung instabil war und man durch eine Unmenge an Nebengeräuschen abgelenkt war.
„Na, das müsste Sie doch freuen. Dann können Sie ja loslegen.”
„Ich werde einige weitergehende chemische Analysen vornehmen. Sie wissen ja, vollkommen reinen Stoff gibt es nicht. Und die Zusätze können wie ein Fingerabdruck sein. Mit etwa Glück gelingt es uns vielleicht, die Herkunft zu ermitteln.”
„Das würde uns sicher weiterbringen.”
„Ich habe eine Bitte, Harry.”
„Und welche?”
„Sorgen Sie dafür, dass ich auch Proben des Heroins bekomme, das in den anderen Fällen eine Rolle spielte. Und zwar meine ich damit wirklich alle Fälle, die wir damit bislang in Verbindung bringen.”
„Also auch die Toten von Hamburg.”
„Ich sehe, Sie verstehen mich, Harry. Die Polizei von Hamburg war da leider nicht sehr kooperativ und die bürokratischen Hürden sind da wohl nicht ganz unerheblich.”
„Ich werde mit Herr Hoch darüber sprechen”, schlug ich vor. „Und ich wette, da wird sich was machen lassen.”
„Sehr gut. Sobald ich Näheres weiß, sage ich es Ihnen. Ach ja, es interessiert Sie vielleicht, dass unser Kuhschwanz zu Ihnen nach Frankfurt fliegt.”
Mit „unser Kuhschwanz” meinte Förnheim niemand anderen als unseren Gerichtsmediziner Dr. Gerold M. Wildenbacher. Der rustikale Bayer mit dem Gemüt eines Fleischergesellen und der distinguierte Hamburger waren in jeder Hinsicht ausgesprochen gegensätzliche Charaktere, aber vielleicht war gerade das der Grund dafür, dass sie sich bei ihrer Arbeit im Ermittlungsteam Erkennungsdienst nahezu perfekt ergänzten.
„Wir können hier jede Unterstützung brauchen“, sagte ich.
„Er hat gesagt, dass er die Befunde der gerichtsmedizinischen Untersuchung haarklein überprüfen will. Und wie ich unseren Alm-Hirten aus Bayern kenne, werden sich da ein paar Leute ziemlich warm anziehen müssen.“
„Gibt es denn Zweifel daran, ob das Heroin wirklich in allen Fällen die Todesursache war?“, hakte ich nach.
„Zweifel gibt es immer, Harry. Der Zweifel ist der Motor der Wissenschaft, wussten Sie das nicht? Und die Selbstgewissheit könnte man ihren Totengräber nennen. Wie auch immer, ich melde mich, sobald es hier etwas Neues gibt.“
„Wie schön Sie das gesagt haben“, sagte ich.
„Sehen Sie, ich wusste doch, dass Sie Sinn für so ein Bonmot haben - ganz im Gegensatz zu unserem Trampel aus Bayern.“
Eine halbe Stunde später saßen wir im Büro von Maik Ladberger. Im Frankfurter Polizeipräsidium waren Großraumbüros vorherrschend. Um so auffälliger war der Umstand, dass man Maik Ladberger in einem abgetrennten Raum untergebracht hatte, wo er für sich war.
Aber so, wie Rudi und ich in bisher kennengelernt hatten, gehörte er wohl zu den Kollegen, die schlicht und ergreifend besser allein waren.
„Wenn Sie einen Kaffee wollen, gehen Sie zum Automaten und holen sich einen. Ansonsten habe ich in einer halben Stunde eine Lagebesprechung angesetzt. Ich hoffe, Sie haben nichts anderes vor.“
„Bis jetzt nicht“, machte Rudi den Versuch, Ladberger mit Humor zu antworten. Allerdings schien Ladberger auf so etwas nun überhaupt nicht anzusprechen. Ganz im Gegenteil. Ladberger hatte für sich selbst einen Kaffeebecher vom Automaten geholt, uns allerdings selbstverständlich keinen mitgebracht. Er trank ihn mit einem Schluck zur Hälfte leer. „Es hat sich übrigens auch ein gewisser Kommissar Theodor Nesch vom BKA-Büro Frankfurt gemeldet.”
„Ja, das ist unser Verbindungsmann hier”, sagte ich. „Er wird in die Ermittlungen einbezogen.”
„Schön, dass ich das auch noch erfahre, Kriminalinspektor Kubinke!”
„Ich habe das auch erst heute Morgen von meinem Chef erfahren. Und abgesehen davon werden wir die Unterstützung des BKA-Büro hier in Frankfurt mit Sicherheit noch benötigen.”
„Wenn Sie das sagen… Meine Meinung über die Kollegen dort ist…”
„...so schlecht wie über den Rest der Welt, Hauptkommissar Ladberger. Das haben wir inzwischen begriffen”, konnte Rudi jetzt nicht mehr an sich halten und fuhr entsprechend dazwischen. „Sie werden wohl oder übel mit dieser ganzen Bande von Stümpern auskommen müssen, wenn Sie in diesem Fall was erreichen wollen.”
„Oh, die Weisung eines Kriminalinspektors!”
„Nein, nur ein guter Rat. Denn in einem stimme ich Ihnen voll und ganz zu: Da könnte sich in der Drogenszene von Frankfurt eine Lage zusammenbrauen, die wir unbedingt verhindern müssen.”
Maik Ladberger wirkte überrascht. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass ihm jemand dermaßen Kontra gab.
Ladberger schaute auf die Uhr. „Gehen wir zum Meeting”, sagte er einfach.
An dem Meeting nahmen ungefähr zwei Dutzend Personen Teil. Alle waren irgendwie in den Fall eingebunden. Hauptkommissar Gustavv von der Mordkommission war auch dabei, denn seine Abteilung hatte die ersten Ermittlungen im Fall Nöllemeyer durchgeführt. Die anderen kamen zumeist aus der Abteilung gegen das organisierte Verbrechen. So schwierig Ladberger als Mensch auch sein mochte, er hatte einige sehr sinnvolle Schritte eingeleitet. Zum Beispiel hatte er jeden verfügbaren Drogenfahnder in der Gegend, in der Nöllemeyer zu Tode gekommen war, darauf angesetzt, herauszubekommen, wer wohl der Dealer gewesen sein mochte, von dem der Werbefachmann seinen Stoff gekauft hatte.
Und dazu lagen bereits Ergebnisse vor.
Polizeiobermeister Ilona Meckenhoff-Grelin, eine rothaarige Mittdreißigerin, berichtete darüber, dass insgesamt zu diesem Thema bereits eine Flut von Hinweisen eingegangen sei, die jetzt abgearbeitet würden. „Außerdem haben wir Berichte einiger Informanten erhalten, die unseren Verdacht erhärtet haben: Da versucht offenbar jemand mit aggressiven Preisen und rabiaten Methoden den Drogenmarkt in Frankfurt aufzumischen. Dealer werden abgeworben, bedroht, verprügelt oder verschwinden von der Bildfläche und es weist alles in Richtung von Irfan Kerimov.”
„Wir brauchen etwas Handfestes, um den Kerl aus dem Verkehr ziehen zu können”, meinte Ladberger. „Eine Schande, dass der damals in Hamburg nur fünf Jahre gekriegt hat.”
„Gute Anwälte, würde ich sagen”, meinte Rudi. „Da war nicht mehr drin, ich habe die Prozessakten während des Fluges hier her überflogen.”
„Kerimov wird hier genauso kompromisslos vorgehen wie in Hamburg”, vermutete Ladberger.
„Ja, aber nach allem, was ich weiß, halte ich ihn für intelligent genug, um dazuzulernen”, widersprach Rudi.
Ladberger hob die Augenbrauen. „Was soll das heißen?”
„Er hat sich durch seine aggressive Methoden damals in der Drogenszene unmöglich gemacht. Niemand war nachher noch bereit, ihn nochmal ins Geschäft zu lassen. Ich könnte mir denken, dass er die Lektion gelernt hat und diesmal darauf achtet, dass er Verbündete hat.”
„Im Moment sieht es für mich eher danach aus, dass er seine brutale Nummer aus Hamburg einfach nur an einem anderen Ort abzieht”, glaubte Ladberger.
„Einige ungesicherte Informationen, die wir über einen Informanten haben, deuten darauf hin, dass Ihre Theorie stimmen könnte, Kriminalinspektor”, schlug sich hingegen Polizeiobermeister Ilona Meckenhoff-Grelin auf Rudis Seite. „Angeblich soll sich Kerimov mit einer sehr wichtigen Figur getroffen haben: Niko Milanovic. Der kontrolliert viele Clubs in Frankfurt, über die gerade Kokain und Designerdrogen starke Verbreitung finden.”
In diesem Augenblick erreichte uns Kriminalhauptkommissar Theodor Nesch vom BKA-Büro Frankfurt.
Ich hatte vor unserem Abflug aus Berlin kurz mit ihm telefoniert. In so fern war er für mich kein gänzlich Unbekannter.
Nesch begrüßte kurz die Anwesenden. „Tut mir leid, ich bin aufgehalten worden”, sagte er. Anschließend berichtete er auch, weswegen er aufgehalten worden war. Ein Termin, an dem außer Nesch auch der Chef des BKA-Büros, ein Vertreter der Staatsanwaltschaft und ein Bezirksrichter teilgenommen hatten, musste wohl länger gedauert haben als erwartet. „Ich kann Ihnen aber mitteilen, dass wir jetzt die rechtlichen Voraussetzungen für umfangreiche Überwachungsmaßnahmen haben, die es uns erleichtern werden, gegen einige wichtige Personen der Drogenszene von Frankfurt vorzugehen. Darunter auch Irfan Kerimov, der ja von Ihnen in Zusammenhang mit den jüngsten Todesfällen durch Heroin-Pulver gesehen wird.”
Für Rudi und mich war das keine Überraschung, denn Kriminaldirektor Hoch hatte diese Maßnahmen durch ein Gespräch mit dem örtlichen Chef des BKA-Büro letztlich initiiert und uns darüber in Kenntnis gesetzt. Dass die Rolle des örtlichen BKA in diesem Fall nun vielleicht doch etwas größer war, als es Maik Ladberger lieb gewesen wäre, musste der Ermittler des Frankfurt Polizeipräsidium einfach schlucken.
„Die nötigen Maßnahmen umfassen eine Überwachung der Telekommunikation”, erläuterte Kommissar Theodor Nesch. „Natürlich müssen wir davon ausgehen, dass Irfan Kerimov mit allen Wassern gewaschen und entsprechend vorsichtig ist. Wir haben außerdem mehrere Immobilien ermittelt, die von Kerimov unter dem Namen von Strohmännern innerhalb des letzten Jahres gekauft wurden. Wir vermuten, dass es sich um Rückzugsressorts handelt, die Kerimov für den Fall, dass die Justiz auf ihn aufmerksam wird, das Untertauchen erleichtert. Manche dieser Immobilien kommen auch als Drogenlager in Frage und stehen nun unter Beobachtung.”
„Da wird sich Kerimov aber fürchten”, spottete Ladberger. „Bei allem Respekt, Kommissar Nesch, Kerimov rechnet doch mit solchen Maßnahmen. Während Sie sich auf ihn und ein paar Immobilien mit zweifelhafter Verwendung konzentrieren, sorgen seine Handlanger dafür, dass weiterhin Menschen durch Heroinpulver umgebracht werden, das anstelle von Kokain verkauft wird. Niemand traut seinem Lieferanten, niemand weiß, wen es als nächsten trifft - und dann kann Kerimov mit einen Leuten als sicherer Lieferant auftreten und Marktanteile für sich kapern.”
„Irgendetwas müssen wir unternehmen”, erwiderte Kommissar Nesch. „Unsere Maßnahmen werden mittelfristig sicherlich wertvolle Erkenntnisse bringen, die es uns erlauben, Kerimovs Organisation besser zu verstehen. Und vielleicht erfahren wir dann auch, mit wem in Frankfurt er sich insgeheim verbündet hat. Denn dass er Verbündete unter den alteingesessenen Drogenbossen haben muss, liegt eigentlich auf der Hand. Allein hätte er das nie auf die Beine stellen können.”
„Ja, das ist in der Tat ein Punkt, der mich von Anfang an gewundert hat”, bekannte ich. „Kerimov ist in Hamburg zu fünf Jahren verurteilt worden und als gerupftes Huhn aus der ganzen Angelegenheit hervorgegangen, auch wenn hier ja schon festgestellt wurde, dass seine Anwälte ihn vor dem Schlimmsten bewahrt haben. Aber kaum ein Jahr später ist er wieder oben auf.”
„Es gibt eben Leute, die haben ein unverschämtes Glück”, knurrte Maik Ladberger.
„Ich frage mich eher, woher er das Geld hat”, bekannte ich. „So ein Geschäft zieht man doch nicht einfach so aus dem Nichts heraus auf. Da muss man zunächstmal ganz schön investieren. Und den Stoff liefert auch niemand umsonst.”
„Ehrlich gesagt habe ich mich das auch schon gefragt, Kriminalinspektor Kubinke”, sagte die Kollegin Ilona Meckenhoff-Grelin. „Und zwar seit dem Zeitpunkt, da Irfan Kerimov hier die Bühne von Frankfurt betreten hat. Und ich habe jede Menge Berichte von Informanten, die alle in dem einen Punkt übereinstimmen: Dieser Mann schwimmt im Geld.”
„Ich schätze, er wird sich in seiner Zeit in Hamburg einiges zurückgelegt haben”, meinte Ladberger. „Und wenn er einigermaßen geschickt damit umgegangen ist, dann konnte er das irgendwo auf den Bahamas oder sonstwo in der Welt bunkern.”
„Vielleicht sollten wir Charlotte mal darauf ansetzen”, wandte sich Rudi in meine Richtung - und ich konnte ihm da nur zustimmen.
Charlotte Ferretz war die Wirtschaftswissenschaftlerin in unserem Ermittlungsteam Erkennungsdienst in Quardenburg. Niemand war in der Lage, Geldströme so sicher aufzuspüren und zu verfolgen wie sie. Dafür hatte sie einen sechsten Sinn, der sich nur mit sehr viel Übung ausbildet. Ich nahm mir vor, Charlotte deswegen später anzurufen.
„Im Moment möchte ich, dass der Schwerpunkt unserer Arbeit darauf gelegt wird, genau zu ermitteln, was eigentlich passierte. Wir brauchen Zeugen und deswegen will ich so viele Drogendealer wie möglich aus der Gegend, in der Nöllemeyer starb, hier im Präsidium in den Verhörräumen sitzen sehen. Alle weiteren Schritte werden sich vielleicht aus diesen Aussagen ergeben.”
Maik Ladbergers Telefon ging. Er nahm das Gespräch entgegen, aber außer den Worten „Hier Ladberger, was gibt’s?”, sagte er nichts. Kurze Zeit später beendete er das Gespräch und sagte: „Das waren die Kollegen aus North. Die haben einen Drogendealer mit reichlich Stoff erwischt. Er behauptet, er wüsste, wer Nöllemeyer das Heroin verkauft hat.”
Rudi und ich bekamen von der Frankfurter Polizei einen eigenen Dienstwagen zur Verfügung gestellt. Allerdings erst auf unseren ausdrücklichen Wunsch hin.
Ladberger schien das mehr oder weniger für Verschwendung zu halten. Aber wir bekamen unseren Wagen.
Er war nichts Besonderes. Ein einfacher Ford, nicht mehr das neueste Modell und ziemlich unscheinbar.
Als wir an einer Ampel direkt hinter Maik Ladbergers Wagen halten mussten, seufzte Rudi. „Könntest du dir vorstellen, mit so einem Stinkstiefel jeden Tag im Büro zu sitzen?”
„Er ist ein guter Polizist, Rudi.”
„Aber einer, mit dem ich nicht unbedingt länger zusammenarbeiten möchte!”
„Wer hat gesagt, dass unser Job ein Wohlfühlaufenthalt ist, Rudi!”
„Ich dachte eigentlich eher an die armen Kollegen, die nicht die Aussicht haben, seine schlechte Laune nicht mehr ertragen zu müssen, wenn der Fall aufgeklärt ist.”
„Ich bin jedenfalls mal gespannt, was dieser Dealer uns zu sagen hat”, meinte ich.
„Ich befürchte, der wird uns alles erzählen, was wir hören wollen. Hauptsache, er bekommt irgendeinen Strafnachlass oder so etwas.” Rudi ließ sich auf seinem Smartphone den Stadtplan von Frankfurt anzeigen. „Der Ort, an dem dieser Kerl festgenommen wurde, liegt jedenfalls nur zwei Blocks von der Stelle entfernt, wo Nöllemeyer aufgefunden wurde.”
Ein Telefonanruf erreichte uns. Es war meine Nummer, die angewählt wurde. Über die Freisprechanlage nahm ich das Gespräch entgegen.
Am anderen Ende der Verbindung war Frau Nöllemeyer.
„Ich habe herausgefunden, bei welcher Agentur sich mein Mann damals beworben hat”, sagte sie. „Sie hieß Glücksmann and Friends.”
„Wissen Sie noch, warum damals nichts daraus geworden ist?”
„Er bekam einfach hier ein Angebot, das genauso gut war. Und da wir uns hier in Frankfurt sehr wohl gefühlt haben, war uns das lieber.”
„Ich verstehe. Haben Sie vielen Dank, dass Sie uns so schnell weitergeholfen haben.”
„Ich dachte…” Sie sprach zunächst nicht weiter.
„Was?”
„Ich dachte, auch wenn in der letzten Zeit nicht mehr alles zwischen uns gestimmt und die Sucht ihn sehr verändert hatte, sollte Friedhelms Mörder gefasst und einer gerechten Strafe zugeführt werden.”
„Das sehe ich ganz genau wie Sie, Frau Nöllemeyer”, gab ich zurück.
Es dauerte keine fünf Minuten mehr, bis Rudi mit Hilfe seines Smartphones herausgefunden hatte, dass die Agentur Glücksmann and Friends auch Florian Bratseth angehört hatte - eines der Opfer aus Hamburg.
„Denkst du wirklich, dass es da einen Zusammenhang gibt, Harry?”
Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.”
„Naja, im Moment…”
„...schließen wir noch keine Ermittlungsrichtung aus, Rudi.”
„...greifen wir nach jedem Strohhalm, wollte ich eigentlich sagen, Harry.”
Zwanzig Minuten später befanden wir uns in einem Polizeirevier und saßen Heinz Kömmings gegenüber, der von den Kollegen mit einem Drogenvorrat festgenommen worden war, der ausreichte, um ihn die nächsten Jahre hinter Gitter zu bringen.
Außer Rudi, mir und Maik Ladberger war noch Polizeiobermeister Irfanson anwesend, der Kömmings festgenommen hatte, sowie Melanie W. Schmidt als Vertreterin der Staatsanwaltschaft sowie Kömmings’ nicht besonders engagiert wirkender Pflichtverteidiger.
„Sie sind dabei erwischt worden, wie Sie aktiv gedealt haben, Herr Kömmings”, sagte Melanie W. Schmidt. „Man hat Sie quasi in flagranti erwischt und Sie sind einschlägig vorbestraft. Straffreiheit ist da ausgeschlossen und eine Bewährungsstrafe können Sie auch nicht im Ernst erwarten.”
„Vielleicht sagen Sie zur Abwechslung auch mal was”, wandte sich Kömmings an seinen Pflichtverteidiger. „Oder bekommen Sie Ihr Geld fürs Nichstun?”
„Wir können über das Strafmaß reden und darüber, ob einige zusätzliche Anklagepunkte fallen gelassen werden sollten, Herr Kömmings”, fuhr unterdessen Melanie Schmidt fort. „Mehr ist einfach nicht drin. Beim besten Willen nicht.” Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft verschränkte die Arme vor der Brust.
Kömmings sah sie an.
„Dann werde ich den Mund halten und Sie werden der Presse erklären müssen, wieso ein Irrer immer noch frei herumläuft, der Heroin als Kokain verkauft und damit Leute umbringt!” Kömmings rieb sich die Nase. Er war nicht nur Dealer, sondern konsumierte auch selbst. Das sah man auf den ersten Blick.
„Sie haben einen Polizeibeamten bei der Festnahme angegriffen und eine Waffe gezogen”, sagte Polizeiobermeister Irfanson. „Vielleicht lassen Sie sich von Ihrem Verteidiger mal erklären, was das für eine Unterschied für Sie ausmachen könnte, wenn die Staatsanwaltschaft diesen Anklagepunkte fallen lässt.”
„Eigentlich müssten Sie das wissen”, meinte Melanie Schmidt. „Schließlich sind Sie genau wegen dieser Kombination von Vorwürfen schon einmal angeklagt und verurteilt worden.”
„Mehr ist nicht rauszuholen”, sagte der Pflichtverteidiger. „Gehen Sie darauf ein, Herr Kömmings. Dann kommen Sie am besten weg.”
„Okay, okay!”, sagte Kömmings.
„Und diese Vereinbarung gilt nur dann, wenn Sie wirklich etwas zu bieten haben und sich nicht alles hinterher als reines Geschwätz herausstellt”, stellte Melanie Schmidt fest.
Eine Pause entstand, in der keiner der Anwesenden etwas sagte. Kömmings ließ den Blick schweifen. Dann blieb er bei Maik Ladberger hängen. „Sie kenne ich”, meinte er.
„Ich dachte, Sie wollten uns jetzt etwas sagen”, beharrte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, deren Geduld anscheinend jetzt auf das Äußerste strapaziert war.
Aber Kömmings hörte mir gar nicht zu, er starrte Ladberger an. „Sie waren hier schonmal in der Gegend und haben überall die Leute mit Ihren Fragen gelöchert.” Er grinst. „Vielleicht sollten Sie sich auch mal ein bisschen Stoff genehmigen. Dann schauen Sie vielleicht etwas entspannter aus der Wäsche.” Er kicherte.
Langsam hatte ich Zweifel daran, ob Kömmings zurzeit überhaupt in einem vernehmungsfähigen Zustand war. Er machte eine ruckartige Bewegung und musterte dann Rudi und mich. „Die beiden da kenne ich nicht”, stellte er fest. „Neu in der Stadt?”
„Falls Sie noch etwas zu sagen haben, dann sollten Sie das jetzt tun”, sagte ich kühl. Und ich gestehe gerne, dass ich schon das Gefühl hatte, dass wir mit dem Kerl unsere Zeit verschwendeten.
„Ah, es ist doch schön, wenn man das Gefühl hat, gebraucht zu werden”, meinte Kömmings. „Und ich habe irgendwie das Gefühl, dass Sie mich alle jetzt sehr dringend brauchen. Wahrscheinlich hassen Ihre Vorgesetzten es, vor der Presse immer wieder dieselben bohrenden Fragen beantworten zu müssen. Wieso kann der Kerl nicht gestoppt werden, der Heroinpulver als falschen Kokain-Schnee verkauft, dürfte die wichtigste davon sein, habe ich recht?” Er lächelte auf eine Art und Weise, die man nur als aasig bezeichnen konnte.
„Ich denke wir verschwenden hier unsere Zeit”, sagte ich. „Wenn Sie unbedingt so lange warten wollen, bis Ihre Informationen ohnehin nichts mehr wert sind, dann ist das Ihre Sache. Nur werden Sie dann kaum noch damit rechnen können, dass man Ihnen irgendwelche Vergünstigungen zugesteht.” Ich wandte mich an Rudi. „Gehen wir, Rudi.”
Ich war schon an der Tür, als Kömmings einlenkte. „Okay, okay…”, sagte er. „Ich sage Ihnen, was Sie hören wollen.”
Er schien eingesehen zu haben, dass er den Bogen überspannt hatte.
Mehr, als ihm jetzt zugesagt worden war, würde nicht für ihn herauszuholen sein.
Ich hob die Augenbrauen und machte zunächst keine Anstalten, mich von der Tür wegzubewegen.
„Es geht hier um die Verhinderung zukünftiger Verbrechen” sagte Kömmings. „Verbrechen, die Sie nicht ohne in meine Informationen verhindern können. Dafür sollte sich die Justiz erkenntlicher zeigen, als dies bisher zum Ausdruck gekommen ist.”
„Und ich hatte gerade gedacht, dass Sie vernünftig geworden sind und Ihre Lage erkannt haben”, gab ich zurück.
„Die Justiz wird das wohlwollend erwägen, falls Sie wirklich etwas vorzuweisen haben, was substantiell ist”, mischte sich Melanie Schmidt ein. „Und falls das jetzt kommt - und nicht irgendwann mal.”
„Der Mann, der diesem Werbe-Fuzzi den Stoff verkauft hat, heißt Ferdinand Chovsky.”
„Etwas mehr an Einzelheiten bitte”, verlangte ich. „Oder soll es das schon gewesen sein.”
„Ich habe ihn gesehen und mir noch gedacht: Scheiße, der ist aber mutig.”
„Wieso das?”
Kömmings atmete tief durch. „Chovsky hat seinen Stoff bisher von den Polen gekriegt. Aber wie ich gehört habe, wird er jetzt von dem Typ aus Hamburg beliefert.”
„Irfan Kerimov”, sagte ich.
„Genau! Dessen Leute machen sich hier überall breit. Aber das Gebiet, in dem der Werbe-Fuzzi umgekommen ist, gehört immer noch den Dealern aus Polen.”
„Die Kerimov-Leute trauen sich was”, meinte Kömmings. „Die tauchen in Gegenden auf, in denen sie absolut nichts zu suchen haben und machen einem das Leben schwer, indem sie den Stoff so billig anbieten, dass man es kaum glauben kann, dass das wahr ist! Oder sie machen sowas wie die Sache mit dem Werbe-Fuzzi. Ich habe gehört, dass der Frau und Kinder hatte…”
Kömmings Mitleid mit Nöllemeyers Angehörigen wirkte irgendwie nicht sehr überzeugend. Ich war mir im Übrigen immer noch nicht sicher, ob sich dieser Dealer einfach nur interessant machen und mit ein paar windigen Gerüchten ein paar Vorteile für seinen eigenen Prozess herausholen wollte, oder ob da noch irgendetwas kam, was uns wirklich weitergebracht hätte.
„Woher wissen Sie, dass Ferdinand Chovsky den Stoff an Nöllemeyer verkauft hat?”, fragte ich. „Sie haben wohl nicht daneben gestanden, nehme ich an.”
„Er hat es mir erzählt. Wir haben früher für dieselben Leute gearbeitet und Ferdinand ist dann ausgestiegen. Er wollte mich auch abwerben, weil er bei dem Mann aus Hamburg viel mehr vom Erlös behalten könnte. Es klang fantastisch, aber ich glaube jetzt hat Ferdinand ziemlich starke Kopfschmerzen deswegen.”
„Und wieso?”
„Na, er wusste doch nicht, was er dem Werbetypen da verkauft und dass der im nächsten Moment daran stirbt! Er hat Stoff gekriegt und ihn vertickt, nehme ich an! Aber Ferdinand ist kein Killer!”
„Wo finden wir Ferdinand Chovsky?”
„Kann ich Ihnen sagen”, meinte Kömmings. Er wandte sich an Melanie Schmidt. „Hängt jetzt ein bisschen von Ihnen ab”, sagte er dann und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Je nachdem, wie Sie meinem superharten Verteidiger entgegen kommen, Sie verstehen, was ich meine?”
Wenig später saßen wir wieder im Wagen und waren unterwegs zur Albrecht Meyer Straße. Nach Angaben von Kömmings wohnte dort eine gewisse Annalisa Melgent. Und dort wohnte Ferdinand Chovsky offenbar seit einiger Zeit.
Die Adresse, unter er er offiziell gemeldet war und die er auch bis zum Ablauf seiner letzten Bewährung angegeben hatte, wurde nach Kömmings’ Angaben kaum von Chovsky benutzt. Er traute wohl einfach den Polizisten nicht und wollte nicht so schnell auffindbar sein, falls er wegen irgendetwas in Verdacht geriet.
Maik Ladberger fuhr uns mit seinem Dienstwagen voraus. Und außerdem war natürlich Verstärkung angefordert worden, die so schnell es irgend möglich war, zur Adresse von Annalisa Melgent fahren und das Gebäude abriegeln sollte.
Schließlich nahm niemand von uns an, dass Chovsky sich so einfach festnehmen ließ. „Das Dossier über Chovsky ist ziemlich umfangreich”, sagte Rudi, der das Laptop während der Fahrt auf den Knien hatte. „Abgesehen von Drogendelikten gibt es da auch noch Verstöße gegen die Waffengesetze, Angriff auf Polizisten, Körperverletzung und so weiter und so fort.”
„Sicherheitshalber also besser die Kevlar-Weste anlegen”, meinte ich.
„Das sowieso.”
Die Adresse, die Kömmings uns gegeben hatte, gehörte zu einem Wohnblock in einer Seitenstraße. Es herrschte akuter Parkplatzmangel. Uns blieb nichts anderes übrig, als die letzten fünf Minuten zu Fuß zu laufen Die Kevlar-Weste trugen wir unter der Kleidung, und wir verbargen unsere Ausrüstung so gut es ging, um nicht übermäßig aufzufallen.
Maik Ladberger hatte in der Nähe geparkt.
„Die Verstärkung braucht noch ein bisschen”, sagte er. „Sie haben ja gesehen, was momentan auf den Straßen in dieser Stadt los ist, seit bei der Stadtverwaltung der Bauwahn ausgebrochen ist.”
Ich deutete zu dem Gebäude hinüber.
„Mein Gefühl sagt mir, dass wir da schonmal hereingehen und nicht auf die anderen warten sollten”, sagte ich.
„Ich habe gehört, es ist noch nicht allzu lange her, da sind Sie noch Kriminalhauptkommissar im Außendienst gewesen”, meinte Ladberger.
„Woher haben Sie das denn gehört?”
„Ich habe gute Ohren. Und was so die Runde macht, schnappe ich auf. Aber anscheinend scheinen Sie sich noch nicht so hundertprozentig daran gewöhnt zu haben, dass solche Sachen wie diese hier eigentlich von denen erledigt werden, die darauf spezialisiert sind.”
„Das sind wir auch”, sagte ich. „Oder bist du anderer Meinung, Rudi?”
„Ich habe nicht widersprochen”, stellte Rudi klar.
Maik Ladberger grinste. „Mir gefallen Leute, die anpacken”, meinte er.
Eine Sensation!, dachte ich. Es war das erste Mal, seit Rudi und ich diesem Kerl begegnet waren, dass ich den Eindruck hatte, dass ihm überhaupt irgendetwas gefiel. Ich hielt das für ein ermutigendes Zeichen. Und Rudi konnte ich ansehen, dass er genauso darüber dachte.
„Du hast recht, Harry: Greifen wir ihn uns - wenn wir unter diesen Bedingungen auf unsere Kavallerie warten, wird das jemanden wie Chovsky nur alarmieren und die ganze Situation verkomplizieren”, sagte Rudi. Und damit fasste er die Situation ziemlich gut zusammen. Die Wohnung, in der sich Chovsky jetzt befand, lag im siebten Stock. Von dort aus hatte man eine freie Sicht auf jeden, der sich dem Haus näherte. Und bei jemandem wie Chovsky war zu vermuten, dass er darauf achtete, was sich in der Umgebung so tat. Leute wie er hatten dafür meistens einen sechsten Sinn.
Wir gingen zu dem Gebäude. Besondere Sicherheitsvorkehrungen gab es hier nicht. Keine Kameras und auch kein privater Sicherheitsdienst.
Um keine Zeit zu verlieren nahmen wir den Aufzug.
Wenige Minuten später standen wir vor der Wohnungstür von Annalisa Melgent.
Hinter der Tür war eine Männerstimme zu hören.
Wir zogen die Dienstwaffen. Rudi trat die Tür ein. Mit einem Ruck flog sie zur Seite. Ich hielt die Waffe mit beiden Händen und stürmte in das Apartment. „BKA! Keine Bewegung!”, rief ich. Rudi und Ladberger waren mir auf den Fersen.
Im Wohnzimmer befanden sich ein Mann und eine Frau. Ferdinand Chovsky war von den Dossiers-Fotos gut zu erkennen. Die Frau musste Annalisa Melgent sein. Auch über sie gab es ein Dossier. Während der Fahrt hatte Rudi einen Blick hineingeworfen. Da standen mehrere Anklagen wegen Zwangsprostitution zu Buche und außerdem Drogenbesitz. Ich hatte das dazugehörige Foto nur flüchtig gesehen. Sie hatte sich seitdem stark verändert. Haarfarbe, Haarlänge und offenbar hatte sie sich auch die Lippe aufspritzen lassen. Chovsky hielt in der Rechten eine Reisetasche, die er jetzt fallenließ.
Offenbar kamen wir genau im richtigen Moment. Er schien vorgehabt zu haben, sich davonzumachen.
Die Linke steckte unter seiner Jacke. Er zögerte einen Moment zu lange. Die Hand umfasste einen Pistolengriff. Er riss die Waffe heraus und erstarrte dann mitten in der Bewegung.
Außer meiner Waffe waren auch die Pistolen von Rudi und Ladberger auf ihn gerichtet. Er hatte keine Chance. Einen kurzen Moment schien er trotzdem zu überlegen, ehe er dann die Waffe fallen ließ.
Rudi legte ihm Handschellen an. „Sie haben das Recht zu schweigen, Herr Chovsky”, sagte er. „Aber falls Sie von diesem Recht keinen Gebrauch machen, kann und wird alles, was Sie von nun an sagen vor Gericht gegen Sie verwendet werden.”
„Ich habe niemandem etwas getan”, behauptete Chovsky.
Rudi drückte ihn in einen der Sessel hinein. Dann nahm er die Waffe vom Boden auf. Ladberger wandte sich unterdessen der Reisetasche zu. Er hob sie auf, öffnete sie. Ganz oben lagen zwei Flugtickets. „Sie wollten nach Rio?”, fragte Maik Ladberger. „Für jemanden, der sich nichts zu schulden hat kommen lassen, ist das aber eine ziemlich plötzliche Abreise, finden Sie nicht?”
„Sie können mich mal”, sagte Chovsky.
„Er hat niemandem etwas getan”, rief Annalisa Melgent.
„Kommt darauf an, wie das ein Gericht beurteilt”, stellte Ladberger klar. Dann holte er aus der Reisetasche einen Plastikbeutel hervor, der mit einem weißen Pulver gefüllt war. „Sieh an, sieh an!”
Chovsky verdrehte die Augen. „Das ist nur für den Eigenbedarf”, behauptete er.
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?”, fragte Ladberger.
Ich zeigte Annalisa Melgent inzwischen meinen Ausweis. Anschließend auch Chovsky.
„Was wollen Sie Ferdinand denn diesmal anhängen?”, fragte Annalisa Melgent. „Ich werde aussagen, dass Sie den Stoff in die Tasche getan haben! Ferdinand hatte mit dem Zeug nichts zu tun.”
„Versuchen Sie solche Spielchen besser nicht”, sagte ich. „Wir machen hier unsere Arbeit und haben nicht die Absicht, irgendwem etwas anzuhängen.”
„Meine Güte!” Sie tauschte mit Chovsky einen vielsagenden Blick. Chovsky war ganz blass geworden. Und zwar ziemlich genau in dem Moment, als ich ihm meinen Ausweis gezeigt hatte. Wenn ein Kriminalinspektor des BKA sich eines Falles annahm, musste es um eine größere Sache gehen. Und Chovsky dämmerte es anscheinend, dass es für ihn keineswegs nur um den Besitz einer Drogenmenge ging, die ihn für einige Zeit ins Gefängnis bringen konnte.
Noch mehr an Farbe hatte sein Gesicht dann verloren, als Annalisa Melgent ihren ungeschickten Verteidigungsversuch gestartet hatte.
„Sie wissen, worum es geht, nicht wahr, Herr Chovsky?”
„Keine Ahnung, was Sie meinen!”, zischte er zwischen den Zähnen hindurch.
„Sie sind als Kokain-Dealer bekannt. Widersprechen Sie mir nicht. Zur Zeit kommen Menschen zu Tode, weil ihnen anstatt Kokain pulverförmiges Heroin verkauft wird. Und einer davon war Ihr Kunde.”
„Sowas würde ich nie machen.”
Ich hielt ihn mein Smartphone unter die Nase. Das Display zeigte ein Bild von Friedhelm Nöllemeyer. „Diesen Mann haben Sie Kokain verkauft, das keins war.”
„Ich sage nichts mehr.”
„Sie bekommen Ihren Stoff von Irfan Kerimov”, mischte sich jetzt Ladberger ein. „Machen Sie den Mund auf und sagen Sie aus. Wir glauben nicht, dass Sie für all die Fälle verantwortlich sind, die in der letzten Zeit geschehen sind, und bei denen den Kunden ebenfalls Heroin statt Kokain verkauft wurde!”
„Wie gesagt, ich rede nicht, ohne dass ein Anwalt dabei ist.”
„Gut, das müssen wir akzeptieren”, sagte ich. „Aber die Chancen, dass Ihre Aussage noch etwas wert ist und die Staatsanwaltschaft bereit ist, einen Deal einzugehen, sinken mit jeder Sekunde, die jetzt verstreicht.”
„Ihr könnt mich alle mal”, sagte Ferdinand Chovsky.
„Ferdinand, du musst es ihnen sagen”, meinte jetzt Annalisa Melgent. Ich hatte schon ein paar Augenblicke zuvor bemerkt, wie unruhig sie geworden war. Vielleicht brachte es sogar mehr, sich später mit ihr zu unterhalten als mit Chovsky, der vielleicht auch einfach zuviel Angst vor den Leuten hatte, für die er arbeitete.
„Sei still, Annalisa, hörst du! Sei einfach still und halt dein dummes Maul!”, rief Chovsky. Und dann wandte er sich an mich. „Sie können mir nichts. Sie haben keinerlei Beweise. Okay, Sie haben etwas Stoff gefunden. Kann sein, dass es Kokain ist, kann sein, dass es was anderes ist. Woher wollen Sie wissen, dass ich gewusst habe, was es war? Und woher wollen Sie wissen, dass dieser Typ nicht ausnahmsweise mal Heroin wollte - und nicht Kokain? Kann ich was dafür, wenn der Blödmann nicht weiß, wie man das nimmt, ohne dass man gleich abkratzt? Das kann man mir nicht anlasten, ganz gleich, was Sie mir sonst auch anzuhängen versuchen!”
Maik Ladbergers Telefon klingelte.
Es war einer der Kollegen, die Ladberger zur Verstärkung für diesen Einsatz angefordert hatte. „Ihr könnt den Kerl abholen”, sagte Ladberger. „Wir haben ihn schon.”
Mit Chovsky zu reden hatte im Moment keinen Sinn. Aber der richtige Moment kam vielleicht noch.
Seine Sachen wurden mitgenommen und seine Waffe natürlich auch.
Während Ladberger zum Polizeipräsidium zurückkehrte, blieben wir noch bei Annalisa Melgent. „Sie wollten ja mit Ferdinand Chovsky zusammen nach Rio fliegen”, stellte ich fest. „Ich nehme an, dass aus diesem gemeinsamen Urlaub für lange Zeit nichts werden wird. Sie sollten die Stadt nicht verlassen und sich zur Verfügung halten.”
„Wieso das?”
„Wir werden prüfen müssen, in wie weit Sie in die ganze Sache verwickelt sind.”
Sie schluckte und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich konnte ihr ansehen, dass sie mit sich rang, noch etwas mehr zu der ganzen Sache zu sagen. Aber man musste ihr wohl noch ein bisschen Zeit geben, diesen inneren Kampf auch auszufechten.
„Sie machen es sich zu einfach“, sagte sie. „Jemand steht auf Ihrer Liste und die klappern Sie einfach ab. Ferdinand hat eben das Pech zu den üblichen Verdächtigen zu gehören.”
„So unschuldig wie Sie ihn machen, ist er aber nicht”, sagte ich. „So naiv können Sie eigentlich nicht sein, dass Sie selbst glauben, was Sie da gesagt haben.”
Dann ergriff Rudi das Wort. „Ich will Ihnen jetzt einfach mal sagen, was wir annehmen und was wir wissen. Ferdinand verkauft für Irfan Kerimov Drogen. Vor kurzem soll er noch für andere Leute auf die Straße gegangen sein. Aber Kerimov versucht um jeden Preis in den Markt hineinzukommen. Er macht Dealern wie Ferdinand ein gutes Angebot, verspricht ihnen, sie vor der Konkurrenz zu schützen und versorgt sie mit Stoff. Aber das reicht ihm nicht. Wir nehmen an, dass er auch dadurch die Szene aufmischen will, dass er Angst und Schrecken verbreitet. Es ist so leicht, einem Süchtigen Heroin anstatt Kokain unterzujubeln. Ab und zu stirbt jemand. Niemand weiß, wer dahintersteckt. Und am Ende können sich Kerimovs Leute als Retter in der Not aufspielen! Als Dealer, denen man vertrauen kann. Man muss nur dafür sorgen, dass alles im Ungewissen bleibt.”
„Wir reden hier von Mord”, sagte ich. „Ferdinand hat gegenüber mindestens einer anderen Person über die Sache gesprochen. Und falls er auch mit Ihnen darüber gesprochen hat, sollten Sie uns das jetzt sagen.”
„Damit Sie Ferdinand daraus einen Strick drehen?”, fragte sie.
„Den hat er sich längst selbst geknüpft”, gab ich zurück. „Ich weiß, dass Ferdinand ein Dealer ist. Aber ich glaube nicht, dass er ein Killer ist, der wusste, was er tat, als er Friedhelm Nöllemeyer das Heroin andrehte.”