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Dieser Band enthält folgende Krimis: (399) Verschwundene Frauen (Thomas West) Kubinke und der verschwundene Flüchtling (Alfred Bekker) Agent KC9 - Mord und Sabotage (W.A.Hary) Die beiden BKA-Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier hat es aus der Hauptstadt in die sächsische Provinz verschlagen. Der Mord an einem Kollegen muss aufgeklärt werden. Die Liste der Tatverdächtigen ist lang. Und die örtliche Polizei ist leider keine Hilfe. Hat der verschwundene Flüchtling mit dem Mord zu tun? Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Drei Krimis Spezialband 1088
Copyright
Verschwundene Frauen
Kubinke und der verschwundene Flüchtling
Agent KC9 - Mord und Sabotage
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Verschwundene Frauen (Thomas West)
Kubinke und der verschwundene Flüchtling (Alfred Bekker)
Agent KC9 - Mord und Sabotage (W.A.Hary)
Die beiden BKA-Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier hat es aus der Hauptstadt in die sächsische Provinz verschlagen. Der Mord an einem Kollegen muss aufgeklärt werden. Die Liste der Tatverdächtigen ist lang. Und die örtliche Polizei ist leider keine Hilfe. Hat der verschwundene Flüchtling mit dem Mord zu tun?
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Krimi von Thomas West
Der Umfang dieses Buchs entspricht 119 Taschenbuchseiten.
In Los Angeles und New York City verschwinden Frauen spurlos, ohne dass man ihre Leichen findet. Eine Mordserie in zwei Bundesstaaten nach gleichem Muster ist ein Fall für das FBI. Rose Warrington, eine schwarze Undercover-Agentin, bekommt von einem Verdächtigen, dem harmlos scheinenden Hotelbesitzer Frederic Redgore, ein Jobangebot in Australien – zum Schein geht sie darauf ein. Ihre Agenten-Kollegen Jesse Trevellian und Milo Tucker folgen ihr zu ihrem Schutz. Doch in Oakland angekommen, wo Rose weiterhin den Köder spielt, wird sie – von ihren Kollegen unbemerkt – verschleppt. Die mutige FBI-Agentin wird zur Gejagten einer grausamen Mörderbande, und sie ist nicht das einzige Opfer ...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
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Die Spinne saß auf einem der mannshohen Farnzweige. So groß wie der Handteller eines Kindes und von einem samtenen Schwarz lauerte sie am Rand ihres Netzes. Das spann sich klebrig zwischen dem Farn und dem Stamm des Baumriesen aus.
Elizabeth war schon vor kleineren Spinnen schreiend davongelaufen. Jetzt verzog sie nicht einmal angewidert das Gesicht. Dass ihr Unterkiefer zitterte und sie Mühe hatte ihren keuchenden Atem zu beruhigen, lag nicht an der Spinne.
Sie starrte das Insekt an und vergaß für Augenblicke das Rascheln im Unterholz etwa hundertfünfzig, zweihundert Meter von ihrem Versteck entfernt. Unerbittlich näherten sich die Schritte.
"Ich bin geheilt." Stumm bewegten sich ihre blutleeren Lippen. Sie schlang die Arme um ihren dunkelhäutigen halbnackten, von Dornen und Ästen zerkratzten Körper. "Jetzt, wo ich sterben muss, bin ich geheilt ..." Sie fröstelte.
Ihr Therapeut in Manhattan fiel ihr ein. Wie viele Stunden hatte er mit ihr an ihrer Spinnenphobie gearbeitet! Und nun hockte so ein Vieh kaum zwei Handbreit vor ihren Augen, ohne dass sie durchdrehte.
Oder Eliot - wie oft hatte sie nach ihm geschrien, wenn sie eine Spinne im Bad oder am Küchenfenster entdeckt hatte. Immer musste er kommen, um sie zu töten. Und jetzt ... Aber sie würden nie davon erfahren. Eliot nicht, ihr Therapeut nicht, niemand.
"Oh Gott ..." Ihr Gesicht verzerrte sich zu lautlosem Weinen. "Hilf mir ..."
Das Rascheln kam näher. Direkt auf sie zu. Als würde jemand zwei große Schritte machen, sich suchend umschauen und dann wieder zwei Schritte ...
Elizabeth griff nach dem schweren Armeerevolver, der neben ihr im Laub lag. Sie presste ihren Rücken gegen den Baumstamm, zog die Knie an ihre Brust, kniff die Augen zusammen und zwang sich zu flachen, kurzen Atemzügen, um kein Geräusch zu verursachen. Drei Patronen steckten in der Trommel der Waffe.
Die Schritte entfernten sich wieder. Zögernd nur, aber sie entfernten sich. Elizabeth sackte zusammen. Still weinte sie vor sich hin. Minuten später zerriss ein Schuss die Stille des Waldes. Elizabeth umklammerte den Revolver mit beiden Händen. "Maxwell ...!" Ihr Herz galoppierte in ihrem Brustkorb herum. Wie ein von Kojoten gehetztes Fohlen.
Stundenlang blieb sie in ihrem Versteck. Ein kleiner, sandfarbener Falter verfing sich im Spinnennetz. Blitzschnell schoss die Spinne aus ihrer Deckung und wickelte ihn in klebrige Fäden. Elizabeth dachte an die Fasern der Wattebäusche, mit denen sie sich abzuschminken pflegte. Es muss in einem anderen Leben gewesen sein, dass sie das zum letzten Mal getan hatte.
Die Dämmerung fiel über den Wald. Elizabeth fror und hatte entsetzlichen Hunger. Vorsichtig kroch sie aus dem Farngestrüpp. Sie lauschte. Der Wald war voller Geräusche. Aber nirgends das typische Rascheln und Ästeknacken, das menschliche Schritte verursachten.
Sie huschte von Baum zu Baum, kroch auf Knien und allen vieren, um die Deckung des Unterholzes auszunutzen. Schließlich lichtete sich der Wald. Und Elizabeth kniete vor einem steilen Abhang. Fünfzig, sechzig Meter unter ihr ein Bachbett - tief ins Gelände eingekerbt.
Jeder Bach fließt irgendwo in einen Fluss. Und an Flüssen trifft man eher Menschen, als tief im Wald. Wenn sie sich am Rande des Abhanges bachabwärts schleichen würde, hätte sie vielleicht ein Chance ...
Höchstens fünfzig Meter bachaufwärts ragte etwas Helles aus dem Ufergestrüpp in den Bach hinein. Sie duckte sich und kniff die Augen zusammen. Nackte Beine eines Weißen! Sie hatten Maxwell erwischt!
Ihre Augen flogen vom Bach unter ihr am gegenüberliegenden Steilhang zum Waldrand hinauf.
Der Mann, der dort drüben an einen Baumstamm lehnte und sein Gewehr auf sie anlegte, schoss fast im selben Augenblick, als Elizabeth ihn entdeckte. Sie hatte keine Chance. Sie hatte von Anfang an keine gehabt ...
Die Theke war so lang wie eine Kegelbahn. Und dicht bevölkert. Fast ausschließlich Männer in dunklen Overalls, schmuddeligen Jeans, T-Shirts und Holzfällerhemden - Trucker die meisten. Dazwischen ein paar GIs. Hier und da eine Frau.
Auch die hochgewachsene Schwarze war wieder da. Schon gestern war sie Redgore aufgefallen. Sie sah verdammt gut aus. Wenn man von den streichholzkurzen Haaren absah. Frederic Redgore hatte andere Vorstellung von einer weiblichen Frisur. Aber ihr schmales, schönes Gesicht, ihre Oberweite und ihre berauschende Figur machten diesen kleinen Lackfehler hundertmal wett.
Das Motel lag in Brooklyn an der Interstate 278. Etwa zwei Meilen von Ford Hamilton entfernt. Und kurz vor der Verrazano-Narrows Bridge, die über die New Yorker Bucht nach Richmond hinüberführt.
Die Trucker legten hier gern eine Pause ein, bevor sie den Big Apple verließen, um seine Stoffballen, Whiskyfässer, Zigarettenpaletten, Importautos, Computer und was sonst noch alles hinaus in die Staaten zu kutschieren. Noch ein Mittagessen zum Abschied von New York City, oder - wie heute - ein Abendessen oder einfach ein Bier.
Und Soldaten schauten regelmäßig herein. Alle fünf, sechs Tage. Wenn sie mal wieder die Schnauze voll hatten vom Kasernenfraß, den man in Ford Hamilton hingeknallt kriegte.
Redgore kannte sich aus. Er kam seit einigen Jahren jedes Frühjahr ein paar Mal hierher. Es hatte sich fast immer gelohnt.
Die wenigen Frauen, die man hier traf, sahen nicht so aus, als würden sie vollgepackte Trucks Richtung Westen steuern. Ihr Job spielte sich in der Regel nicht weit hinter Fahrer- und Beifahrersitz in der Koje der Lastwagen ab. Oder auf den Toiletten des Motels. Ein schneller Fick für ein paar Dollar.
Redgore konnte da mitreden. Bis vor ein paar Jahren hatte er selbst hinter dem Steuer eines Peterbilt Raceload gesessen und war quer durch den Kontinent gedonnert. Allerdings nicht durch den amerikanischen.
Redgore zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Seine braunen Augen saugten sich an der Gestalt der schwarzen Frau fest.
Ihr Rücken war kerzengerade. Sie trug den Kopf leicht in den Nacken zurückgebogen, als gäb es da etwas, auf das sie stolz war. Und die Art wie sie sich bewegte, erinnerte Redgore an einen Leoparden.
"Eine starke Frau", dachte er. "Stark und gesund." Genau das, was er suchte.
Er stand auf, nahm sein Bierglas und schritt die lange Reihe von nach Schweiß und Öl stinkenden Männerrücken entlang der Theke ab. Die schwarze Schönheit saß vor einem leeren Cola-Glas und rauchte. Der Barhocker neben ihr war frei. Redgore schwang sich auf ihn. "Ich darf doch."
Die Frau musterte ihn gelangweilt. "Wenn du mir einen Kaffee ausgibst?"
Redgore winkte dem Wirt. "Einen Kaffee für die Lady." Dann zu der Schwarzen: "Du siehst nicht aus, als würdest du einen Tankzug nach Cleveland steuern." Seine Augen wanderten unverhohlen über ihre Kleidung - hochhackige Lackpumps, schwarze Lederhosen, rotes, tief ausgeschnittenes Seidenshirt, dunkles, jackettartiges Hemd darüber.
"Du auch nicht", sagte sie kühl.
"Korrekt." Ein entwaffnendes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Er sei geschäftlich in New York City unterwegs, erzählte er ihr. Und das stimmte in gewisser Hinsicht sogar.
"Ausländer?", fragte sie. Sein Akzent hatte ihn verraten. Er nickte.
"Großbritannien?"
Diesmal schüttelte er den Kopf. "Queensland. Australien." Mit einer Frau ins Gespräch zu kommen, war schon die halbe Miete. Sie machte ein erstauntes Gesicht. "Fliege in den nächsten Tagen zurück. Eigentlich schade. Und was machst du?"
"An Theken herumsitzen und auf das Glück warten." Sie grinste bitter.
Viel war nicht aus ihr herauszuholen, aber es reichte, um Redgores Vermutung zu bestätigen - sie war eine Gelegenheitshure. Niemand würde sie vermissen. Höchstens ihr Zuhälter. Wenn sie nicht auf eigene Faust anschaffte. Und dieser Frau hier - der würde Redgore zutrauen auf eigene Faust ihre Geschäfte zu machen. "Eine Lady wie du könnte ihr Geld sicher auf angenehmere Weise verdienen."
Ihr Kopf flog herum, aus schmalen Augen taxierte sie ihn. Von ihren Freiern war sie wohl andere Sprüche gewöhnt. "Was willst du?"
Der Wirt stellte den Kaffee vor sie hin. Redgore bestellte noch ein Bier. "Ein bisschen Gesellschaft, weiter nichts." Er streckte ihr die Hand hin. "Frederic Redgore", lächelte er. "Meine Freunde sagen >Freddy< zu mir."
Zögernd nahm sie seine Hand. "Mary. Mary Hunter." Er zeigte nicht, dass ihr Nachname ihn amüsierte. >Hunter< - Jäger ...
Sie sprachen über dies und das. Was für Geschäfte er treibe, wollte sie wissen. "Ich hab' ein Hotel drüben in Queensland", sagte er, "in Port Douglas." Das sagte ihr nichts, und er skizzierte eine Karte der nördlichen Ostküste Australiens auf seinem Bierdeckel: Die Cape York Halbinsel, den gewaltigen Gebirgszug des Great Dividing Range, der den halben Kontinent von Norden nach Süden durchzog, und östlich davon die Pazifikküste. Mit dem Kugelschreiber stach er auf auf einen Punkt an der Küstenlinie. "Und hier liegt Port Douglas!"
Zum ersten Mal lächelte sie. "Ziemlich stolz auf das Kaff, was?"
"Klar. Hab' mich krumm gearbeitet, bis das Hotel stand." Er bot ihr eine Zigarette an, und als sie sich über die Flamme seines Feuerzeuges beugte, konnte er die beiden schwarzen Glocken in ihrem roten Shirt sehen. "So 'ne Art Erlebnishotel. Mit Hochsee-Expeditionen, Haifischfüttern und Krokodiljagd."
Er erzählte von der Gegend, von seinen Freunden, von seinem Hotel. Jetzt war das Eis gebrochen. Sie hing an seinen Lippen, nickte beifällig und grinste über die kleinen Scherze, die er einflocht. Redgore bestellte zwei doppelte Whiskys.
"Ich bräuchte so jemanden wie dich", sagte er schließlich mit gesenkter Stimme. "An der Rezeption meines Hotels - man kommt ins Foyer und das Erste was man sieht: Eine schöne Lady!"
Der Wirt knallte die Whiskygläser auf die Theke. Redgore beugte sich zu ihr. "Mal im Ernst. Das wär' ein Job für dich. Achtzehnhundert Dollar, für den Anfang ..."
"Wenn du mich ficken willst, nenn' ich dir den Preis, und dann machen wir's hier", unterbrach sie ihn schroff. "Und wenn du mich verarschen willst, dann verpiss dich!"
"Nein, nein!" Redgore hob abwehrend beide Hände. "Ich mein' das ganz im Ernst!" Gute Leute wären drüben schwer zu finden. Und gut aussehende Frauen gleich gar nicht. Und sie sollte sich doch mal überlegen, ob das nicht tausendmal besser wäre als die öde Anschafferei. Verschwörerisch blickte er um sich. "Die Beine breit machen für solche hergelaufenen, stinkenden Kerle - das ist doch auf die Dauer nichts für dich, Baby ..." So redete er, und Mary wurde stiller und stiller.
Er rutschte von seinem Barhocker. "Muss mal verschwinden." Sein Zeigefinger richtete sich warnend vor ihrem Gesicht auf. "Denk drüber nach, Mary Hunter."
Auf der Toilette, vor dem Waschbecken, betrachtete er sein hageres, faltiges Gesicht im Spiegel. Er ordnete die grauen Strähnen über die kahlen Stellen seiner Vorderschädels, strich liebevoll über seinen Schnurrbart und beglückwünschte sich. Die Frau saß schon so gut wie in der Falle.
"Behutsam, Freddy", murmelte er. "Du musst ganz behutsam vorgehen, damit sie nicht wieder aus der Falle hinausschlüpft, bevor du sie zuschnappen lässt ..."
Jeder Job hat seine Licht- und Schattenseiten. In einem engen mit elektronischem Gerät vollgestopften Van hocken, Displays und Signallämpchen bewachen und dabei die New York Times von der ersten bis zur letzten Seite einschließlich Stellenanzeigen und Wohnungsinseraten lesen, hatte ich schon in meiner Anfangszeit beim FBI zu den Schattenseiten gezählt.
Und Milo sowieso. Aber ein Undercover-Einsatz, bei dem der verdeckte Ermittler nicht rund um die Uhr Kontakt mit der Einsatzleitung aufnehmen konnte, war nun mal ein Himmelfahrtskommando. Also hockten wir seit knapp zehn Stunden im Heck unseres Spezial-Vans und bewachten Displays, Signallampen und eine Computergrafik. Irgendjemand musste das schließlich erledigen.
"Ein kühles Bierchen wäre nicht schlecht jetzt", sagte Milo und gähnte.
Ich sah auf die Uhr: kurz vor zehn. Draußen musste es inzwischen stockdunkel sein. "Um Mitternacht lösen Orry und Clive uns ab. Wenn du noch fit bist, fahren wir dann auf ein Bier in den North Star Pub." Skeptisch betrachtete ich das blasse Gesicht meines Partners. Er wirkte irgendwie übermüdet.
"Guck nicht so blöd", raunzte er mich an. "Von was sollt' ich müde sein - von der stickigen Luft in diesem Käfig?" Er gähnte noch einmal. "Mein Hintern tut mir weh, und diese dämliche Computergrafik flackert mir schon in jeder Hirnwindung. Aber sobald ich hier rauskomme und frische Luft schnappen kann, bin ich wieder zu allem bereit."
Die Computergrafik bestand aus einem Stadtplanausschnitt. Im Augenblick flimmerte das südliche Brooklyn auf dem Monitor. Ein rot blinkender Punkt verriet uns den Aufenthaltsort unserer Undercover-Agentin. Alle sechzig Sekunden verarbeitete unser Computer die aktuellen Signale eines Peilsenders und errechnete Rose Warringtons aktuellen Standort. Sie hatte sich schon seit drei Stunden nicht mehr von der Stelle bewegt.
"Rose ist eingeschlafen", maulte Milo, "wetten?"
Schade, dass ich nicht sofort auf die Wette eingestiegen bin. Ein Signalton am Tuner vermasselte mir den sicheren Sieg - Rose Warrington schlief niemals ein, wenn es darauf ankam.
Ein rotes Licht leuchtete auf. Ich griff nach dem Mikro. "Trevellian. Sag' nichts, Rose - lass mich raten: Der Typ hat dich vergewaltigt und legt dir gerade die Drahtschlinge um den Hals ..."
"Quatsch nicht, Jesse, ich hab' nicht viel Zeit."
Wir hatten sie mal wieder aus Frisco einfliegen lassen. Und auf einen Mann angesetzt, von dem wir nur ein Phantombild und den Hinweis auf seine bevorzugte Automarke hatten. Und den ziemlich vagen Verdacht, dass er mit dem unerklärlichen Verschwinden von Menschen zu tun hatte.
"Da hat mich einer angequatscht, der interessant sein könnte. Er ist gerade auf der Toilette. Ich werde ihn aus dem Motel zu seinem Wagen begleiten. Seht zu, dass ihr ihn filmen könnt. Und falls er tatsächlich einen Stratus fährt, schreibt sein Kennzeichen auf. Ende."
"Halt, Rose - was, wenn er dich mit in seinen Wagen nehmen will?!"
"Lass mich nur machen, Jesse. Bis dann."
Und schon war sie aus der Leitung. "Typisch, Rose", knurrte Milo und nickte anerkennend. "Kurz und bündig das Nötigste und Schicht."
Wir hatte mit der schwarzen Lady schon manchen heiklen Einsatz über die Bühne gezogen. Ihr Ruf als kaltblütige und risikofreudige Undercover-Spezialistin hatte sich in den FBI-Districts der Ostküste herumgesprochen. Sie nahm nicht jeden Auftrag an. Aber jeden, um den ich sie bat. Wir waren alte Freunde.
"Wer bewacht die Leitung? Wer filmt den Mann und sein Auto?" Ich hätte nicht lange fragen, sondern mir die Kamera und mein Jackett schnappen sollen, um endlich aus diesem High-Tech-Vogelkäfig herauszukommen. Milo riss die Tür auf, bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte.
"Also gut", grinste er, "ich opfere mich."
Über sein Walkie-Talkie blieben wir in Kontakt. Milo meldete seine Position. "Hab' mich zwischen parkenden Autos postiert. Etwa zwanzig Schritte vom Ausgang entfernt. Ende." Ein grün blinkender Punkt gesellte sich zu dem roten auf dem Monitor.
"Verstanden. Ende." Ich wartete.
Ein halbe Stunde lang geschah gar nichts. Rose und der Mann blieben im Motel sitzen.
Es war ein ziemlich nebulöser Fall. Die Police-Departments in Los Angeles und New York City hatten ihn an das FBI delegiert, weil sie eine Mordserie vermuteten. Eine Mordserie in zwei Bundesstaaten nach gleichem Muster - Frauen verschwanden spurlos. Meistens Prostituierte, und meistens dunkelhäutige Prostituierte. Und einige waren zuletzt in Motels gesehen worden. In dem Brooklyner Motel, in dem Rose im Augenblick einen Fisch an der Angel zu haben glaubte und in einem Motel am Pasadena Highway in Los Angeles. Auch dort ermittelte eine Undercover-Agentin.
Das eigentlich Merkwürdige an dem Fall aber: Es gab keine Leichen. Ein gutes Dutzend Vermisstenanzeigen, aber keine Leichen. Nicht eine einzige!
Ehrlich gesagt: Ich hatte keine großen Hoffnungen, dass ein Undercover-Einsatz uns weiterbringen würde. Niemand von uns hatte das. Nur Rose.
Sie war ganz heiß auf den Fall. Handel mit Frauen, Morde an Frauen, verschwundene, vielleicht entführte Frauen - so etwas konnte ihr den Schlaf rauben. So abgebrüht sie sonst auch erscheinen mochte.
"Sie kommen heraus." Milos Stimme in meinen Kopfhörern. "Kamera läuft. Sie gehen durch die Parkreihen. Mist, jetzt hab' ich ihn nur noch von hinten ..."
Ein, zwei Minuten keine Meldung mehr von Milo. Dann: "Jetzt kann ich ihn frontal filmen. Sie sind vor einem Wagen stehen geblieben. Tatsächlich! Ein roter Chrysler Stratus ..."
Zwei der in New York City vermissten Frauen waren zuletzt gesehen worden, während sie in einen Wagen genau dieses Typs einstiegen. Mein Adrenalinspiegel stieg an, wie weggeblasen jede Spur von Müdigkeit.
"Verdammt, Jesse - was machen wir!?" Milo schien es genauso zu gehen wie mir. "Greifen wir ihn oder was?!"
"Bleib cool, Partner. Was geht ab?"
"Sie quatschen. Stehen einfach vor dem Stratus und quatschen. Jetzt steigt er ein. Ohne Rose."
"Das Kennzeichen! Milo, hörst du mich? Gib mir das Kennzeichen durch und lass ihn fahren!" Mein Partner diktierte mir ein New Yorker Kennzeichen.
Ein paar Minuten später stiegen Rose und Milo zu mir in den Van. "Meine innere Stimme sagt mir: >Der Bursche ist unser Mann<." Rose hockte sich auf die schmale Sitzbank an der verblendeten Fensterseite des Vans. Sie zündete sich eine Zigarette an. "Ich hab' mich wieder mit ihm verabredet."
"Du spinnst!" Milo zog die Tür des Wagens zu. "Du bist vollkommen übergeschnappt! Wir vergleichen die Aufnahmen mit dem Phantombild, holen uns die Daten des Fahrzeughalters und greifen zu!"
"Nicht so hitzig, Kollege!" Eine steile Falte grub sich zwischen Rose' Brauen. Sie sah durch Milo hindurch. So guckte sie immer, bevor sie irgendeine Katze aus dem Sack ließ. "Er hat mir einen Job angeboten, und ratet mal wo."
"In seiner Peep Show irgendwo hinter dem Times Square", sagte ich.
"Falsch, Jesse. In Australien."
Für ein paar Sekunden verblüfftes Schweigen. Milo und ich sahen uns an. "Na und?", bellte mein Partner schließlich. "Wir müssen ihn schnappen und ausquetschen."
"In Australien könnten wir eventuell etwas über das Schicksal der Verschwundenen erfahren." Rose machte nicht den Eindruck, als wäre sie zu Scherzen aufgelegt. "Vorausgesetzt, er ist tatsächlich unser Mann ..."
"Du meinst, wir könnten deinen Einsatz in Australien ..." Nachdenklich betrachtete ich die Computergrafik. Der rot blinkende Punkt befand sich jetzt mitten auf dem Parkplatz vor dem Rechteck, das die Raststätte darstellte. Dort, wo unser Van stand.
"Der Chef würde sich auf so ein Pokerspiel vielleicht einlassen. Aber die Bürohengste in Washington ...?" Ich drehte mich zu ihr um. "Da seh' ich schwarz, Rose."
Sie blies den Rauch ihrer Zigarette in den Himmel des Vans. "Warten wir's ab."
"Hey, verdammich!" Ralph Steiner ließ seinen Rucksack auf den Asphalt des Bürgersteigs sinken. "Sind wir wirklich in Sydney?"
Er verschränkte seine riesigen Hände hinter seinem Stiernacken und dehnte seinen gewaltigen Brustkorb. Er und Lucie waren erst vor einer Stunde aus dem Flugzeug gestiegen. Der Jetlag steckte ihm noch in allen Knochen.
"Ich dachte, wir stehen hier auf der anderen Seite dieses ulkigen Globus! Und was sehe ich? Weiter nichts als Hausfassaden, Blechschlangen, Ampeln und Leute, die es höllisch eilig haben. Keinen Deut anders als in Hamburg, Berlin oder München!"
"Cool bleiben, Shugar!" Lucie schirmte ihre Augen mit der Hand gegen die Mittagssonne ab und spähte hinüber zur Tankstelle. "Komm mit." Sie winkte ihn hinter sich her und ging ihm voran über die Straße. "Wir quatschen die Autofahrer an. Irgendjemand wir schon Richtung Norden fahren. Wenn wir Sydney verlassen haben, wirst du schnell merken, dass wir nicht mehr in Europa sind."
Ralph brummte etwas Unverständliches, schnappte sich seinen Rucksack, und folgte seiner hochgewachsenen Freundin über die Straße. Noch bevor er die Tankstelle erreicht hatte, klopfte Lucie schon an das Seitenfenster eines großen Mitsubishi. Ralph beobachtete, wie sie mit dem Fahrer sprach. Der schüttelte den Kopf und ließ das Fenster wieder hoch.
Vier Fahrzeuge standen vor den Zapfsäulen. Lucie klapperte sie nacheinander ab. Ralph lehnte seinen Rucksack gegen die erste Säule und ließ sie machen. Sie sprach besser Englisch als er, sie hatte nicht die geringsten Hemmungen, wildfremde Leute anzusprechen, und sie war ein hübsches Mädchen - schlank, blonde lange Haare und ein Temperament wie ein junges Pferd. Hitchhiking mit Lucie war fast wie Zugfahren. Mit ihr hatte Ralph noch nie länger als eine halbe Stunde am Straßenrand gestanden.
"Hey, Shugar!" Sie stand an einem Sattelschlepper und winkte wieder, diesmal aufgeregt. Sah nach einem Volltreffer aus. Der Fahrer zog gerade den Einfüllstutzen aus dem Dieseltank und spähte zu Ralph herüber.
"Ein Lastwagen", knurrte Ralph. Er bückte sich nach seinem Rucksack. Ein schneller Mittelklassewagen wäre ihm lieber gewesen. Sein Missmut stand ihm im Gesicht geschrieben, als er über das Tankstellengelände auf den Truck zuschlurfte.
"Hi", begrüßte er den Fahrer. Der Mann mochte Mitte vierzig sein. Graue Locken quollen unter seiner roten Baseballkappe hervor. Er trug Turnschuhe und Jeans und ein ehemals weißes T-Shirt unter einer abgewetzten Wildlederjacke. Er war nicht ganz so groß und nicht halb so breit wie Ralph.
"Hi." Er streckte Ralph die Hand hin. "Jack." Ralph ergriff die behaarte Männerhand und nannte seinen Namen. Der Trucker schraubte seinen Tank zu und ging dann in die Tankstelle, um zu zahlen.
"Mach nicht so'n Gesicht." Lucie boxte ihrem Freund in die Rippen. "Sei froh, dass ich einen Chauffeur gefunden habe."
Ralph betrachtete den Sattelzug. >Mack Detroit< stand in großen Chromlettern über dem Kühlergrill. Klang nach einer amerikanischen Marke. Der Firmenname auf dem Auflieger verriet nichts über das Transportgut - >Redgore & Sons<. "Wohin fährt der?"
"Fast bis an die Nordspitze von Queensland! Immer an der Küste entlang bis in den Süden der Cape-York Halbinsel!" Lucie war begeistert. Ein Gemütszustand, in den Ralph alle Schaltjahre mal fiel. "Geil, nicht? Wir können mitfahren, so weit wir wollen!"Lucie reichte ein hübscher Song, ein sonniger Morgen oder einfach ein Schokoladeneis, um begeistert zu sein. Ralph liebte sie dafür. Und Ralph verwünschte sie dafür.
"Hört sich nicht schlecht an." Ralphs Blicke folgten einem metallic blauen Mercedes-Kombi, der gerade die Tankstelle verließ. Sicher war ein Truck besser, als eine Dampfwalze. Aber nach seinem Gefühl hätte es sich gelohnt, auf eine schnelle und bequeme Limousine zu warten. "Hört sich nicht schlecht an", wiederholte er missmutig.
Lucie verdrehte die Augen. "Man muss nehmen, was man kriegt, du Idiot", zischte sie. Ralphs mürrische Art und sein chronisches Misstrauen nervten sie.
"Schon okay - und nenn mich nie mehr einen Idioten." Ralph sah den Trucker den Tankshop verlassen. Wenn der Typ sich als unangenehm erweisen wollte, würden sie einfach in der nächstgrößeren Stadt oder am nächsten Rastplatz aussteigen und sich einen anderen Wagen nach Norden suchen.
Der Gedanke half Ralph in das Fahrerhaus zu steigen. Er verstaute die Rucksäcke in der Schlafkoje hinter den Sitzen, und war froh, dass Lucie sich zwischen ihn und den Fahrer setzte.
Hundert Meilen weiter erinnerte er sich kaum noch an sein Misstrauen. Der gute Jack erwies sich nämlich als unterhaltsamer und lustiger Bursche. Erzählte von seinen Touren durch den australischen Kontinent. Kaum eine Ecke, durch die er seinen Mack noch nicht gesteuert hatte. Wolle, Viehfutter und Dünger würde er transportieren. Die kleine Spedition habe er von seinem Vater geerbt. Gemeinsam mit seinen beiden Brüdern. Doch die hätten ein Hotel in Port Douglas aufgezogen. "Ne Goldgrube! Da könnt' ich locker mit einsteigen", sagte er, "aber wenn mir kein Motor unterm Arsch brummt, fehlt mir einfach was."
In Brisbane lud er sie zu Essen ein. Ein richtig guter Kumpel, dieser Jack. Jack Redgore hieß er mit vollem Namen. Was sie beide in Gottes schönstes Land verschlagen hätte, wollte er wissen.
Lucie erzählte, dass sie ihr Sprachstudium in Köln abgeschlossen habe. Französisch und Englisch. Und nun, bevor sie sich auf den Knochenjob als Lehrerin einlassen wollte, hätte sie ein Jahr Weltenbummel aufs Programm genommen.
"Köln?", sagte Jack. "Da wo die schwarze Wolkenkratzerkirche mit den zwei Türmen steht? Na toll - war mein Vater im Krieg. Hat für das Empire gekämpft!"
Ralph erzählte, dass er die Sporthochschule absolviert habe. "In etwa fünf Jahren werde ich als Fußballtrainer ganz groß herauskommen. Und vorher noch mal ein Jahr tun und lassen was ich will."
Jack hörte aufmerksam zu. "Hey, ihr gefallt mir!", sagte er irgendwann. "Einfach so losziehen und die Welt angucken, das gefällt mir, weiß Gott!"
Kein Gedanke mehr an ein komfortableres Auto, als sie in Brisbane wieder den Truck bestiegen. "Famoser Bursche", dachte Ralph.
Die Dämmerung beendete den Spätsommertag. Noch knapp hundertfünfzig Meilen bis Rockhampton. Dort würde etwa die Hälfte der Gesamtstrecke hinter ihnen liegen.
Jack steuerte ein Motel an. "Ich hab' da 'ne Idee", sagte er. "Weiß ja nicht, was ihr so vorhabt. Aber meine Brüder in Port Douglas haben um die Zeit 'ne Menge Betrieb. Ende Juni kommen ein Haufen Europäer und US-Amerikaner an die Goldküste. Da werden Fremdenführer, Animateure und so weiter gebraucht. Leute wie ihr." Er grinste Lucie und Ralph an. "Wie gesagt - weiß ja nicht, was ihr vorhabt, aber Leute wie ihr können sich da locker ein bisschen Geld verdienen, ohne sich ein Bein 'rauszureißen."
Ralph und Lucie wechselten einen erstaunten Blick. Ralph sah seiner Freundin an, dass sie am liebsten spontan zugesagt hätte. Er dachte an die lange Strecke, die noch vor ihnen lag. Sicher - sie hatten die Nordostküste angepeilt, wollten den Regenwald von Queensland durchstreifen. Aber so weit in den Norden? Auf dem Truck würden sie noch mindestens einen Tag unterwegs sein, bis sie in diesem Port Douglas ankamen.
"Könnt ja mal drüber nachdenken", sagte Jack. "Morgen ist ja auch noch ein Tag."
Später, im Motelzimmer, brauchte Lucie keine halbe Stunde um ihren Lover zu überzeugen. "Mensch, Ralph - überleg mal: Umsonst wohnen und essen, ein lässiger Nebenjob, eine geile Gegend! Was willst du mehr!?"
Am nächsten Morgen, während des Frühstücks, eröffneten sie Jack, dem guten Kumpel, dass sie mit nach Port Douglas fahren würden.
"Na prächtig!", freute sich Jack. "Ruf' ich gleich mal Richie an." Er stand auf und kramte ein paar Münzen aus der Tasche. "Mein Bruder. Soll euch ein Zimmerchen freihalten. Hat 'ne Schwäche für Krauts, der gute Richie!"
Während er neben dem Münztelefon über dem Tresen hing, strahlte Lucie ihren Freund an. "Ganz schöne Glückspilze, wir beide, findest du nicht?"
Ralph küsste sie auf den Mund. Zu dem Zeitpunkt lagen ihre glücklichsten Tage bereits hinter ihnen.
"Der Chrysler Stratus gehört einem Mann in Brooklyn." Ich schob unserem Chef den Computerausdruck über den Konferenztisch. "Er hat ein kleines Reisebüro. Sehen Sie das Bild?"
Jonathan McKee nahm die Papiere auf und betrachtete sie. "Ja. Es hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit unserem Phantombild."
"Dafür hat der Typ aus dem Motel umso mehr Ähnlichkeit damit", sagte Milo."
Clive nahm das Bild, das der Chef ihm reichte. "Wahrscheinlich hat er sich den Chrysler bei ihm ausgeliehen", sagte, er, "einen Stratus leiht man nur guten Freunden, schätze ich."
Der Chef nickte ohne den Blick von den Unterlagen zu heben. "Worauf warten wir noch?" Clive sah sich in der Runde um. "Wir holen uns einen Haftbefehl und drehen die beiden Kerle durch die Mangel."
"Auf keinen Fall!" Rose schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Trotz der langen Nacht und der frühen Morgenstunde schien sie hellwach zu sein. "Ich hab' den Fisch an der Angel! Im Flugzeug und in seinem Hotel werde ich mehr über ihn erfahren, als ihr im Verhörraum!"
"Und wenn er dir tatsächlich weiter nichts als einen Job in Australien zu bieten hat?" Orry war genauso skeptisch wie Milo und Clive. "Um einen Einsatz in Übersee zu rechtfertigen, brauchen wir härtere Fakten."
Schweigen um den Konferenztisch. Selbst Rose erwiderte nichts. Unser Chef sah mich fragend an. Ich hatte mich bis jetzt mit meiner Meinung zurückgehalten. ">Härtere Fakten<", wiederholte ich nachdenklich. "Was haben wir denn an Fakten bisher? Wir haben dreizehn Vermisstenanzeigen. Acht davon betreffen Frauen, die zuletzt in einem Motel gesehen wurden. Drei in Los Angeles und vier in unserer Stadt. Fünf der Frauen waren freischaffende Prostituierte. Bis auf eine alle Afroamerikanerinnen. Wir haben ein Phantombild, und wir haben einen Mann, der dem Phantombild verteufelt ähnlich sieht. Und der mit einem roten Chrysler Stratus unterwegs ist. Einen Wagentyp also, den Zeugen im Zusammenhang mit zumindest zwei der verschwundenen Frauen genannt haben. Für einen Haftbefehl reicht das, schätze ich."
"Sie plädieren also für >zugreifen<." Der Chef sah mich immer noch an.
"Nach dem jetzigen Ermittlungsstand wird weder die Staatsanwaltschaft noch das Hauptquartier in Washington ein Okay für einen Einsatz in Australien geben", beharrte Clive. Milo nickte.
"Ist schon wahr", sagte ich. "Aber Rose trifft den Mann erst heute Abend wieder. Bis dahin haben unsere Kollegen in Australien uns vielleicht ein erhellendes E-Mail über einen Hotelier namens Freddy in Port Douglas geschickt. Und bis dahin wissen wir vielleicht mehr über diesen Reiseunternehmer. Mein Tipp: Abwarten und Informationen sammeln. Selbst wenn Rose sich heute Abend ein Flugticket schenken lässt, ist sie noch lange nicht gestartet."
Von meiner Freundin Rose schnappte ich einen dankbaren Blick auf. Unser Chef nickte zustimmend. "Sie haben recht, Jesse. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Und wenn wir etwas überstürzen, machen wir vielleicht eine Chance zunichte, die so schnell nicht wieder kommt. Also, Gentlemen", er blickte in die Runde, "sehen Sie zu, dass der Reiseunternehmer so durchsichtig wird wie eine gläserne Schatulle - Observation, Wanzen, Telefonüberwachung. Ich werde gleich die entsprechenden Anträge beim Richter stellen."
Er wandte sich an Milo und mich. "Setzen Sie sich bitte mit den Kollegen in Australien in Verbindung. Wir brauchen jede verfügbare Information über das Hotel, falls es das überhaupt gibt. Und treiben sie die Zeugen auf, die den Mann beschrieben haben - die sollen sich die Videoaufnahme anschauen. Und Sie, Mrs. Warrington, treffen den Verdächtigen heute Abend und lassen sich auf sein Angebot ein. Zum Schein zunächst. Versuchen Sie, Zeit zu gewinnen."
Rose nickte. Sie wirkte plötzlich sehr entspannt.
"Und ich fühle mal in Washington und bei der Staatsanwaltschaft vor." Jonathan McKee lehnte sich zurück und betrachtete die Computerporträts, die wir von Rose' Motel-Bekanntschaft angefertigt hatten. "Wenn sich der Verdacht gegen diesen Mann erhärtet, sollten wir unsere Kollegin vielleicht doch mit ihm nach Australien fliegen lassen."
Eliot O'Keefe starrte das Foto auf dem Zeitungsausschnitt an, als hätte er darauf den Leibhaftigen persönlich entdeckt. Seine sowieso schon ziemlich helle Gesichtshaut nahm die Farbe alter Schmierseife an, seine Kiefermuskulatur arbeitete auf Hochtouren, und seine dunkelrote Mähne schien sich aufzustellen wie ein stachliger Helm.
"Ist irgendwas nicht in Ordnung, Mr. Brown?" Die Sekretärin der ethnologischen Fakultät der Queensland-University von Brisbane musterte ihn besorgt. O'Keefe hatte sich ihr als John Brown vorgestellt. Und als guter Freund der dunkelhäutigen Frau in der Mitte des Gruppenbildes.
"Alles bestens." Er legte ihr die drei Wochen alte Zeitung auf den Schreibtisch und deutete auf das Foto. Und zwar auf den hochgewachsenen Weißen neben der Dunkelhäutigen. Die beiden hielten sich eng umschlungen. "Wer ist das?"
Er wusste genau, wer der kaum dreißigjährige Mann war, aber seine Wut verlangte nach Brennstoff. Und außerdem wollte er nicht dem Falschen die Eier abreißen, die Kehle durchschneiden, den Hals umdrehen oder ein Magazin Blei in den Leib jagen.
"Das ist Mr. Petersen", sagte die Sekretärin. Immer noch schaute sie besorgt aus ihren großen Kuhaugen. Eine Spur besorgter sogar, als eben noch. Sie fragte sich plötzlich, ob es wirklich ratsam gewesen war, dem fremden Amerikaner gegenüber so redselig zu sein. "Mr. Maxwell Petersen. Er ist Doktorand von Professor O'Keefe."
>Professor O'Keefe< - wie er es hasste, wenn die Leute seine Frau so nannten. Er riss die Zeitung hoch und starrte wieder das Foto an. >Professor Elizabeth O'Keefe< - seine oberschlaue, supermenschenfreundliche, megagebildete Frau! Es schien ihr verdammt gut zu gehen hier in Australien. Auf dem Foto jedenfalls strahlte sie, als hätte sie gerade das große Los gezogen. Oder eine verteufelt guten Orgasmus gehabt.
Und dann dieses Jüngelchen! Doktorand ... O'Keefe knirschte mit den Zähnen und grunzte verächtlich. So nannte man das also, wenn man seine Professorin vögelte. >Doktorand<! Wenn man die Frau Eliot O'Keefes fickte ...
Wenn sie jetzt hier gewesen wäre, wenn sie jetzt zur Tür hereinkommen würde - O'Keefe würde sie packen, die Frau Professor, würde sie über den Schreibtisch legen und ihr solange den Arsch versohlen, bis sie sich ins Höschen pissen würde, das war sicher. Und dieser gottverdammte Maxwell, wenn der jetzt hereinkommen würde ...
O'Keefe griff sich ins Kreuz. Unter seinem weiten Leinenhemd spürte er den Knauf seiner Magnum.
"Können Sie mir eine Kopie von dem Artikel machen?" Die Sekretärin schluckte. Als er sie vor zehn Minuten gebeten hatte, die Zeitung aus dem Archiv zu holen, hatte sie sich überschlagen vor Freundlichkeit und war in die Fakultäts-Bibliothek gesprungen. Jetzt schien sie nur noch darüber nachzugrübeln, wie sie den Ami auf dem schnellsten Wege wieder loswerden konnte.
>Sozialstruktur der Aborigines als Vorbild einer neuen Gesellschaftsordnung< - O'Keefe las laut den Titel des Artikels mit dem Foto vor. Jedes Wort betonte er sorgfältig, fast andächtig. Dann warf er die Zeitung vor die Sekretärin, stemmte beide Fäuste auf den Schreibtisch und beugte sich weit über Tischfläche. "Es ist nämlich so, Ma'am, dass ich schon seit Jahren Tag und Nacht über die Sozialdingsbums dieser kleinen, schwarzen Scheißer nachdenke - also bewegen Sie jetzt ihren süßen Hintern aus dem Polster und kopieren Sie mir diesen gottverdammten Artikel! Hab' ich mich klar ausgedrückt?!"
Das klang brutal, rassistisch, und vor allem sehr bedrohlich. Deswegen nickte die Frau auch hastig, griff schnell nach der Zeitung und eilte zu dem Kopiergerät neben dem Fenster des kleinen Büros.
Hätte sie Eliot O'Keefe in seiner Werkstatt für antiquarische Möbel in Greenwich Village, Manhattan, getroffen, oder ihn mit seinen schwarzen Kollegen in seiner Werkstatt für englische Oldtimer in SoHo beobachtet, oder ihn in seinem Irish Pub im gleichen Stadtteil mit seinen Gästen sprechen gehört, dann wüsste sie, dass er weder ein Rassist noch ein Gewalttäter, sondern ein ziemlich gutmütiger, ja sogar lustiger Bursche war. Meistens jedenfalls.
Aber all das wusste sie nicht. Also wischte sie sich den Schweiß mit dem Blusenärmel von der Stirn, versuchte das Zittern ihrer Hände zu ignorieren und kopierte den Artikel.
O'Keefe war einfach nur wütend. Auf Elizabeth und auf Maxwell, diesen Milchschwanz. Und wenn Eliot O'Keefe wütend war, dann nahm das schon mal die Ausmaße eines Hagelsturms an. Mit ausreichender Menge Whisky im Schädel sogar die eines Hurricans. Jeder in seiner Rufweite bekam es dann mit.
>Feuerkopf< nannten sie ihn in Greenwich und SoHo. Den Spitznamen hatte er sich bei den Marines eingehandelt, als er während des Golfkrieges einen ganzen irakischen Stoßtrupp in die Flucht geschlagen hatte.
Brüllend und mit seinem Sturmgewehr um sich schießend war er aus der Deckung eines Panzers gesprungen und auf die feindliche Stellung gestürmt. Mutterseelenallein. Aber mit der Wut eines ganzen Bataillons im Bauch. Die Irakis hatten zuvor seinen besten Freund erschossen.
Die Sekretärin gab ihm die Kopie nicht in die Hand, sondern legte sie vor ihn auf den Schreibtisch. Dabei beugte sie sich weit vor und wich dann sofort bis zum Fenster vor O'Keefe zurück.
"Und nun noch das Hotel meiner guten Freundin!", knurrte der.
"Cape York Hotel." Mit dünnem Stimmchen nannte sie ihm die vollständige Adresse. O'Keefe zog ab.
Unruhig rutschte er auf der Rückbank des Taxis hin und her, das ihn zu dem Hotel fuhr. In allen Farben malte er sich aus, wie er Maxwell, diesen Hampelmann, mit seiner .45er Magnum durchlöchern würde.
Nun gut - vielleicht würde er ihn nicht gerade durchlöchern, aber er würde zumindest seine Schuhspitzen durchlöchern und ihn tanzen lassen. Und dann würde er ihn durchprügeln, bis er ein Vaterunser nach dem anderen winselte. Und dann würde er ihn am Hosenbund aus dem Fenster baumeln lassen, bis er kotzte ...
Maxwell, Maxwell, Maxwell - fast in jedem zweiten Satz Elizabeths war dieser Name gefallen. Seit ein paar Monaten schon. O'Keefe war sofort misstrauisch geworden. Aber die Frau Professor hatte jeden Verdacht entrüstet von sich gewiesen. >Eine rein wissenschaftliche Beziehung< hatte sie in ihrer arroganten Art gesagt.
"Rein wissenschaftlich", knurrte O'Keefe. "Würden Sie bitte mal die Beine breit machen, ich interessiere mich für Beschaffenheit Ihres Schamhaars."
Der Taxifahrer blickte in den Rückspiegel. "Was sagten Sie, Sir?"
"Nichts. Fahren Sie schneller."
Natürlich war ihre Ehe schon seit Jahren nicht mehr der Garten Eden. Und sicher - er soff zuweilen wie ein Loch und rastete in letzter Zeit bei den kleinsten Anlässen aus. Wenn die Frühstückseier zu hart waren oder kein Bier im Kühlschrank stand.
Okay - neulich hatte er Elizabeth sogar verprügelt. Weil sie seine Kakteenzucht mit Whisky gegossen hatte. Mit sämtlichem Whisky seiner Schrankbar wohlgemerkt!
Und okay - da war was mit der neuen Bedienung im Pub. Aber deswegen sich wochenlang nicht mehr melden? Deswegen gleich mit einem Milchbuben durchbrennen?
O'Keefe verfluchte den Tag, als diese dämliche Menschenrechtsorganisation aus Brooklyn Elizabeth den Forschungsauftrag in Australien zugeschanzt hatte. "Endlich kann ich mein Buch über die Aborigines schreiben!", hatte sie gejubelt.
Weder er noch ihre beiden halbwüchsigen Söhne hatten sie von dieser beschissenen Forschungsreise abbringen können. Wie immer hatte sie das getan, was sie sich in ihren schwarzen Granitkopf gesetzt hatte. In der Beziehung standen sie sich in nichts nach - er und Elizabeth.
Sie war gefahren, hatte die ersten Wochen ein paar Mal geschrieben, ein paar Mal angerufen - und dann geschwiegen. Kein Brief, kein Anruf, kein Fax - nichts mehr. Seit vier Wochen!
Für O'Keefe war klar, dass seine Frau nicht in erster Linie wegen der Aborigines nach Australien geflogen war, sondern wegen Maxwell.
Das Hotel lag am Brisbane River. "In welchem Zimmer wohnen Mrs. O'Keefe und Mr. Petersen?!", herrschte er den Portier an. Er hatte die Frage bewusst so gestellt, um bestätigt zu bekommen, dass die beiden in einem Zimmer schliefen.
"Zimmer 23." Der Portier war so eingeschüchtert von O'Keefes polterndem Auftritt, dass er ohne sich nach seinem Namen zu erkundigen, die Zimmernummer preisgab. Eine Indiskretion, die ihn in besseren Hotels den Job gekostet hätte.
O'Keefe stapfte auf den Aufzug zu. Er drückte den Knopf und tastete nach seiner Pistole. "Da wohnten sie jedenfalls!", rief der Portier hinter ihm her.
O'Keefe wirbelte herum. "Was soll das heißen?"
"Sie sind vor drei Wochen abgereist", erklärte der Portier, "vorübergehend." O'Keefe erfuhr, dass seine Frau und ihr niedlicher Doktorand in den Norden von Queensland gefahren waren. Mehr konnte ihm der Portier nicht sagen.
Also fuhr O'Keefe zurück in die Fakultät, stürmte die Büros der Professoren und erwischte schließlich einen, mit dem Elizabeth eng zusammengearbeitet hatte. Der verriet ihm, dass sie und ihr Assistent nach Port Douglas wollten, um von dort aus eine Expedition in den Regenwald zu starten.
Elizabeth hatte in Erfahrung gebracht, dass es in der Gegend von Port Douglas einen kultischen Ort der Aborigines gab, wo sich die australischen Ureinwohner regelmäßig zu ihren rituellen Zusammenkünften trafen, den sogenannten Corrobees.
Der Ethnologe überließ ihm eine Ansichtskarte, die Elizabeth aus Port Douglas geschrieben hatte.
O'Keefe interessierte sich nicht für Aborigines und schon gar nicht für ihren religiösen Firlefanz. Er wollte weiter nichts, als seine Frau finden, ihren Lover ungespitzt in den Boden rammen und sie mit dem nächsten Flugzeug zurück in die Staaten schaffen. Gefesselt und geknebelt, wenn es sein musste.
Also mietete er sich einen Mercedes Geländewagen mit Allradantrieb und kaufte sich eine Flasche Bourbon. Dann telefonierte er mit den Leuten, die seine Geschäfte in Manhattan führten, informierte seine Söhne und machte sich auf den Weg in den Norden.
Der Mann musste sich zur Seite drehen, um durch die Verandatür treten zu können - so dick war er. Er schaukelte seine mehr als dreihundert Pfund an das Geländer und blickte hinunter in den parkähnlichen Garten.
Ein kleiner Junge saß im Gras und spielte mit jungen Katzen. Sieben oder acht der putzigen Wollknäuel hüpften um den Achtjährigen herum, sprangen nach dem Jo-Jo, das er über ihnen baumeln ließ, versuchten seine Hosenbeine hinaufzuklettern oder schmiegten sich mit steil aufgerichteten Schwänzen an seine nackten Füße.
Der Mann beugte sich über das Geländer. "Hey, Tommy, du Bengel! Der Schulbus kommt jeden Augenblick! Mach, dass du an die Straße kommst!" Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Morgenbrise vom Pazifik konnte schon in den frühen Vormittagsstunden die Hitze nicht mehr vertreiben.
Der Junge lief zum Haus, verschwand unter der Veranda aus dem Blickfeld seines Vaters und tauchte kurz darauf mit seiner Schultasche wieder auf. "Und keine Dummheiten!", rief der Dicke ihm zu.
"Schon klar, Dad. Fütterst du die Katzen?"
"Ausnahmsweise."
Der Junge rannte quer über den Rasen aufs Gartentor zu und lief ein Stück die kleine Straße hinunter. Die Schulbushaltestelle lag an der Ecke zur Hauptstraße des Villenviertels von Port Douglas. Keine zwei Minuten später hörte der Dicke das Brummen eines Dieselmotors.
Die kleinen Katzen balgten sich unten auf dem Rasen. Der Mann beobachtete sie eine Zeit lang und schob dann seine gewaltige Körpermasse zurück ins Haus.
Mit einem Plastiksack und einem großen Napf voller Milch betrat er kurz darauf den Rasen. "Hier hab' ich was Leckeres für euch, ihr Süßen." Er gab ein paar schmatzende Geräusche von sich und stellte den flachen Napf ins Gras.
Die sieben Kätzchen drängten sich augenblicklich um die Milch. Ächzend ging der Dicke in die Hocke. Nacheinander pflückte er die Jungkatzen vom Rand des Milchnapfes und steckte sie in den Plastiksack.
In seiner Garage warf er den zugebundenen, quiekenden und pulsierenden Sack in den Fußraum vor den Beifahrersitz und fuhr aus seinem Grundstück.
Der östliche Küstenstreifen Australiens war hier oben im Norden von Queensland besonders schmal. Von Port Douglas aus fuhr man kaum eine halbe Stunde Richtung Westen, bis man die ersten Ausläufer des Tropenwaldes erreichte. Der Daintree National Park begann praktisch vor der Haustür des über dreihundert Pfund schweren Mannes, der jetzt mit einem Sack voll junger Katzen in einem silbergrauen Honda Legend unterwegs war.
Und natürlich wollte der über dreihundert Pfund schwere Mann die jungen Katzen nicht spazieren fahren. Das wollte er weiß Gott nicht!
Er steuerte seine Limousine ein Stück in den Wald hinein, bog nach knapp zwei Meilen von dem asphaltierten Zufahrtsweg zum National Park in einen steil ansteigenden Forstweg ab und hielt schließlich vor einer eingezäunten lang gestreckten Lichtung. Eine Blockhütte und ein zurzeit unbenutzter Pferdestall stand auf dem Gelände. Und zwei riesige Eukalyptusbäume.
Der Mann schnappte sich den Sack mit den zappelten Katzen, schloss das hohe Maschendrahtgatter des Zaunes auf und schaukelte auf die Blockhütte zu. Auf halben Weg dudelte das Handy in der Brusttasche seines bunten Hemdes. Er ließ den Sack fallen und klappte das Sprechteil des Gerätes heraus. "Redgore?"
"Hör zu, kleiner Bruder - ich komme heute Abend und bringe was Hübsches mit."
"Hey, Jack - wird Zeit, dass du dich meldest. Was hast du denn zu bieten?"
"Deutsche. Ein Paar. Mitte zwanzig oder so. Gesunde Leute."
"Hört sich gut an. Wir brauchen dringend geeignete Leute. Kommenden Dienstag steigt die nächste Session. Sieh zu, dass du die zwei erst bei Dunkelheit ins Hotel bringst. Und nimm den Hintereingang - je weniger Leute sie zu Gesicht kriegen, umso besser. Und dann machen wir's nach der üblichen Masche."
"Alles klar, Richie. Hat unser großer Bruder sich schon gemeldet?"
"Ja. Gestern Abend. Die Geschäfte laufen gut. Fast zu gut. Sechs Leute haben gezahlt. Glücklicherweise hat Freddy einen Fisch an der Angel. Einen schwarzen."
"Na, wer sagt's denn?"
Damit war das Gespräch beendet. Richie Redgore verschwand in der Blockhütte.
Das Innere des Gebäudes war in drei Räume aufgeteilt: Einen großen Aufenthaltsraum mit Kamin, Tischgruppe, Küchenzeile und Waffenschrank, ein kleines Badezimmer, und ein fensterloser, schallisolierter Verschlag von etwa zehn Quadratmeter.
Richie Redgore öffnete den Kühlschrank an der Küchenzeile. Er entnahm ihm eine Tüte Milch. Aus dem Hängeschrank neben der Spüle griff er sich ein Stück Brot.
Danach ging er zu der Metalltür des Verschlages und angelte einen Schlüsselbund aus den Tiefen seiner Hosentasche. In aller Seelenruhe schloss er die drei Vorhängeschlösser auf, zog die drei schweren Riegel auf und drückte das fast handspannenbreite Türblatt auf.
Das Wimmern einer menschlichen Stimme wurde hörbar. "Halts Maul", knurrte Redgore und verschwand in dem dunklen Raum. "Paar Tage noch, dann kommst du raus hier." Ohne die Milch und das Brot verließ er den Verschlag wieder. Mit einem dumpfen Schlag fiel die Tür ins Schloss. Sorgfältig verriegelte er sie.
Aus dem Wandschrank griff er sich eine Jagdflinte und ging wieder nach draußen. Dort lehnte er die Waffe gegen die Hüttenwand und schleppte den Plastiksack mit den Katzen zu dem ersten der beiden Eukalyptusbäume. Eine mannshohe Leiter den Stamm hinauf zu einem hölzernen Baumhaus, dass zwischen zwei der unteren Äste befestigt war.
Schnaufend und im Zeitlupentempo erklomm Richie die Leiter. Er legte den Sack in das Baumhaus und öffnete ihn. Das erste der Kätzchen streckte seinen Kopf heraus und schüttelte sich benommen.
Der dicke Richie stieg von der Leiter. Zurück am Blockhaus legte er das Gewehr an und zielte auf den Baum. Es dauerte ein paar Minuten, aber dann zeigte sich doch das erste der Kätzchen. Es streckte seinen Kopf aus der Baumhütte und lugte nach unten. Richie drückte ab. Der Kopf des Kätzchens zerplatzte.
Die anderen sechs flitzten in Panik aus der Hütte, purzelten ins Gras, kletterten den Baumstamm hinauf. Für jede brauchte Richie nur eine Patrone.
Er war ein leidenschaftlicher Jäger, der dicke Richie. Bis vor drei Jahren hatte er regelmäßig an den staatlich organisierten Känguruhjagden im Atherton Tableland teilgenommen. Seit sein Gesundheitszustand das nicht mehr zuließ, verschaffte er sich eben auf diese oder jene Weise Gelegenheiten, um zu trainieren.
Er musste trainieren. Ein nicht unbeträchtlicher Teil seines Wohlstandes hing davon ab, dass er fit blieb. Und er war fit. Die siebte Katze holte er mit einem Meisterschuss aus der Krone des hohen Baumes ...
Wir hatten vierundzwanzig Stunden durchgearbeitet, um die Vorgaben des Chefs wenigstens annähernd zu erfüllen. Mit den Ergebnissen unserer Ermittlungen im Aktenkoffer marschierten Milo und ich am nächsten Morgen zum Staatsanwalt. Unser Chef hatte uns losgeschickt, um sie dem zuständigen Beamten persönlich vorzutragen. Viel war es nicht, was wir zu bieten hatten.
"Ich wette eine Zeche bei Luigi darauf, dass Russel uns durchfallen lässt." Russel war der Staatsanwalt, der den Fall bearbeitete, und Luigi der Wirt des Mezzogiorno, unserer Stammpizzeria in der Spring Street.
Ich hielt dagegen - auch wenn ich mir genauso wenig vorstellen konnte, dass der Staatsanwalt einen Undercover-Einsatz im Ausland genehmigen würde. Aber Milos trockener Realismus provozierte mich.
Wir parkten in der Tiefgarage der City Hall und gingen zu Fuß durch den City Hall Park hinüber zum Cardinal Hayes Place, wo das United States Courthouse lag. Dort hatte die Bundesstaatsanwaltschaft ihre Büroräume. Es war ein sonniger Frühlingstag Ende Mai.
"Die Wette hast du schon verloren", grinste Milo. "Du weißt doch, dass Russel ein alter Paragraphenreiter ist. Unsere Ermittlungsergebnisse sind mager, und es gibt kein Gesetz, dass einen Auslandseinsatz trotzdem rechtfertigen würde."
"Seitdem du dich das letzte Mal mit einem Gesetzbuch beschäftigt hast, hat der Kongress mehr neue Gesetze und Gesetzesänderungen produziert, als du in deinem Jahresurlaub lesen könntest."
"Wir werden ja sehen." Milo grinste siegesgewiss.
Das Gerichtsgebäude ragte vor uns in den strahlend blauen Maihimmel. Es erinnert mich immer an einen griechischen Tempel, dem man einen überdimensionalen Kirchturm aufgesetzt hatte.
Wir stiegen die breite Vortreppe zu dem monumentalen, von zehn Säulen getragenen Eingangsbereich hinauf. Die Säulen am United States Courthouse sind fast zwanzig Meter hoch. Auf dem fünf Stockwerke hohen Sockelquader des Gebäudes steht ein dreißig Etagen hoher Turm.
Ein respektabler Kasten alles in allem, unser Courthouse. Sicher kein Vergnügen, es in Handschellen betreten zu müssen.
Der Aufzug brachte uns hinauf in den Bürotrakt des Staatsanwaltes. Russel begrüßte uns mit einem Kopfnicken und wies auf die zwei Stühle vor seinem riesigen Schreibtisch.
Er war ein kleiner Afroamerikaner mit lederner Gesichtshaut. Ein Blaustich glänzte in seinen stahlgrauen Kraushaaren. Der Mann sah so alt aus, dass ich mich fragte, warum er nicht längst pensioniert war.
Ich legte ihm sämtliche Unterlagen vor und legte los. Schweigend hörte er sich den Bericht an. Nicht mal ein Zucken seiner Gesichtsmuskulatur verriet, dass er überhaupt zuhörte.
Milo neben mir rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Vermutlich fühlte er sich genauso unwohl wie ich. Die starre Miene Russels, sein penetrantes Schweigen - Rose schien schlechte Karten zu haben. Und mir war ziemlich klar, wer die nächste Zeche im Mezzogiorno bezahlen würde.
Je länger ich redete, und je hartnäckiger der alte Mann schwieg, desto kärglicher kamen mir unsere Ermittlungsergebnisse vor: Der Brooklyner Reiseunternehmer, dem der Stratus gehörte, hatte eine blütenweiße Weste. Nicht mal ein Bußgeldbescheid wegen überhöhter Geschwindigkeit war beim NYCPD registriert. Und das bei einem solchen Flitzer!
Harold Wait hieß der Reiseunternehmer. Zu allem Überfluss war er auch noch hochdekorierter Golfkriegsveteran und zweiter Vorsitzender der Brooklyner Pfadfinder.
Russel wollte nicht einmal wissen, warum wir ihn noch nicht verhört hatten. Die Telefonüberwachung war zu dem Zeitpunkt noch nicht genehmigt worden.
Und dann kam ich zum Knackpunkt unseres Besuches. Ich entschied mich für die Methode, mit der ich meistens am besten fuhr und fiel mit der Tür ins Haus.
"Wir haben das Video den Zeugen gezeigt, deren Personenbeschreibung dem Phantombild zugrunde liegt. Sie haben den Mann identifiziert - er ist also mit mindestens zwei der verschwundenen Frauen gesehen worden. Im District Office an der Federal Plaza sind wir trotzdem der Meinung, es würde sich lohnen, ihn jetzt noch nicht zu verhaften, sondern unsere Undercover-Agentin mit ihm nach Australien fliegen zu lassen. Was halten Sie davon, Sir?"
"Ich bin genau Ihrer Meinung." Das sagte er. Wortwörtlich. Ohne mit der Wimper zu zucken, ohne auch nur einen Blick in die Unterlagen zu werfen, die ich ihm über den Schreibtisch geschoben hatte. "Ich werde mit dem Richter sprechen, er wird sich meinem Standpunkt anschließen, verlassen Sie sich darauf."
Mehr als diese beiden Sätze sprach Russel nicht.
"Ein Mann, ein Wort", freute ich mich, als wir durch den City Hall Park zu unserem Dienstwagen zurückgingen. "Wann statten wir Luigi einen Besuch ab?"
"Der Mann ist doch senil!", knurrte Milo. "Der hat doch nicht die Hälfte von dem verstanden, was du ihm erzählt hast."
"Das Ergebnis zählt, Partner." Ich klopfte Milo auf die Schulter. "Du zahlst mir die nächste Zeche, und wir fliegen mit Rose nach Australien."
"Wenn Washington mitspielt", orakelte Milo.
Jonathan McKee schien nicht sonderlich überrascht zu sein, als wir ihm von unserem kurzen Besuch bei Russel berichteten. "Das habe ich erwartet. Glauben Sie mir, Gentlemen - Russel hat jede Zeile der Aktenunterlagen gelesen, die wir ihm in den letzten Wochen zugeschickt haben."
Unser Chef drehte sich um und ging zum Fenster seines Büros. "Vor fünf Jahren verschwand Russels Enkelin spurlos. Das Mädchen war damals sechzehn Jahre alt. Russel setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um sie zu finden. Und man hat sie gefunden. In einem Bordell in Mexiko City. Frauenhändler hatten sie verschleppt. Ein halbes Jahr danach hat sich das Mädchen in einer psychiatrischen Klinik die Pulsadern aufgeschnitten ..."
Wir annullierten unsere Wette.
Kein einziger Platz mehr an der langen Theke des Motels. Viele Soldaten heute. Vielmehr als sonst. Wahrscheinlich gab es heute Abend etwas völlig Ungenießbares in Ford Hamilton. Nur die schwarze Lady war nirgends zu sehen.
Redgore bestellte ein zweites Bier. Die Enttäuschung begann an seiner Stimmung zu nagen. Er wäre jede Wette eingegangen, dass sie angebissen hatte. Seine Miene verfinsterte sich mit jeder Minute, die verstrich. Wenn diese Schlampe ihn versetzte, hatte er nur noch drei Tage Zeit einen Ersatz zu suchen.
Als die schlanke Gestalt der Frau dann schließlich doch im Eingangsbereich des Motels erschien, breitete sich ein zufriedenes Grinsen über sein Gesicht aus. Er winkte ihr zu.
Sie kam zu ihm an den Tisch. "Hi, Freddy - wie geht's?"
"Gut - jetzt wo du da bist. Aber ich hatte mich schon damit abgefunden, mir eine andere Empfangsdame suchen zu müssen."
Sie setzte sich und holte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Umhängetasche. "Pünktlichkeit war noch nie meine Stärke."
Er gab ihr Feuer. "Also, Mary Hunter - nimmst du den Job an oder nicht?"
Sie blies ihm den Rauch ins Gesicht. "Du willst mich wirklich nicht verarschen?" Er schüttelte den Kopf. "Was verdien' ich?"
"Hab' ich doch gesagt - achtzehnhundert am Anfang, später ..."
"Zweitausend", unterbrach sie.
Er zögerte. Aber nicht lange. "Also gut - zweitausend."
"Und ich muss nicht mehr anschaffen?"
"Nie mehr."
"Und wer zahlt die Überfahrt?" Sie musterte ihn misstrauisch.
"Übermorgen bekommst du dein Ticket. Und wenn es dir in Gottes schönstem Land nicht gefällt, zahl' ich dir auch den Rückflug."