Drei Mädchen retten die Welt - Henry Landers - E-Book

Drei Mädchen retten die Welt E-Book

Henry Landers

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Beschreibung

Annabell, Lara und Maya wollen eine magische Hütte bauen, nur so, um zu sehen, was dann passiert. Die Göttin des Waldes aber durchkreuzt ihren Plan und öffnet ihnen ein Tor in eine verborgene Welt. Dort treffen sie auf ein unsichtbares Volk, nicht ahnend, dass Alexander von Humboldt die Tamanaken vor über zweihundert Jahren, ohne es zu bemerken, nach Berlin mitbrachte. Bald prallen Pläne und Schicksale der drei Mädchen aufeinander: So einiges gelingt spektakulär und manches geht grandios schief. Es kommt zum Showdown während des Großen Rachmakuds - einem Wettbewerb, der so atemberaubend schnell ist, dass die Tamanaken mit allen Sinnen und Übersinnen kämpfen müssen, um zu gewinnen. Der Fantasy-Debütroman von Henry Landers Buch 1: Wie es begann Mysteriös. Verwoben. Atemberaubend.

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So verloren und zusamengeträumt wie unsere Zeit.

Annabell, Lara und Maya sind: ›Die Drei‹ – beste Freundinnen und planen eine Magische Hütte zu bauen, nur so, um zu sehen was dann passiert. Die Göttin des Waldes aber durchkreuzt ihnen Plan und öffnet ihnen ein Tor in eine verborgene Welt.

Alexander von Humboldt verschifft 210 Jahre zuvor, ohne es zu bemerken, ein unsichtbares Volk, die Tamanaken, vom Orinoko nach Berlin.

Im Humboldt Hain treffen Pläne und Schicksale zusammen. So einiges gelingt spektakuler und manches geht grandios schief.

Showdown ist am Großen Rachmakud – einem Wettbewerb, der so atemberaubend schnell ist, dass die Brenchadin mit allen Sinnen und Übersinnen kämpfen müssen, um zu gewinnen.

Der Fantasy-Debütroman von Henry Landers

Buch 1: Wie es begann

Mysteriös. Verwoben. Atemberaubend.

Henry Landers ist geboren und aufgewachsen in Berlin. Als Fotokünstler bereiste er die Welt und sammelte Eindrücke aus vielen Kulturen, die heute in seine Werke einfließen. Das Schreiben allerdings öffnete ihm die Tür zu einer Welt voller Geschichten, wie es das Fotografieren niemals konnte. Er liebt es, jeden Morgen durch den Humboldt-Hain zu gehen, der ihn die drei Hauptfiguren und die fantastische Welt der Tamanaken entdecken ließ – und ganz nebenbei die Verbindung zu Alexander von Humboldt knüpfte.

www.henrylanders.de

Impressum

Deutsche Erstausgabe 2024 Copyright © 2021 Henry LandersAlle Rechte vorbehalten.

Korrektorat: Yvonne LübbenUmschlaggestaltung, Illustration, Layout, Satz: Henry LandersFoto des Autors: © Marco Bußmann

Henry LandersButtmannstraße 13, 13357 [email protected] / www.henrylanders.deHerstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, NorderstedtPrint on Demand / eBook

ISBN: 978-3-75974-955-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

Quellen: u. A.

Alexander von Humboldt: Südamerikanische Reisen, Safary-Verlag, Berlin, 1979Zitate sind kursiv gedrucktGesamtes Quellenverzeichnis im Anhang

Prolog

Vergangenheit

Blätter peitschten ihr ins Gesicht. Äste zerkratzten ihre Arme und Beine. Stakla rannte durch den Regenwald, nass und erschöpft, keuchend und voller Furcht. Der Boden unter ihren Füßen war weich und quetschte sich bei jedem Schritt zwischen ihren Zehen hindurch.

Sie trat in ein Loch und stolperte, jemand half ihr auf. Sie sprang über umgestürzte Bäume und hangelte sich schnell wie der Wind mit einer Liane über den kleinen Fluss.

Sie rannte so schnell sie nur konnte. Jemand neben ihr rief »Schneller, schneller«. Blut rann ihr über den Arm, es tat weh. Neben ihr waren viele Mädchen und Frauen, die sie seit ihrer Geburt kannte. Sie alle liefen auf die große Lichtung zu. Es war ihre Familie, ihre Mütter, Tanten und Schwestern, ihr Stamm, die Tamanaken.

Jeder von ihnen kannte den Wald, jeden Baum, jeden Strauch, alle Bäche, Pflanzen und Tiere von frühester Kindheit an. Auch die wenigen Männer und Jungen rannten um ihr Leben. Dunkel schimmernd glitten ihre Körper geschmeidig durch das abnehmende Licht unter dem dichten Blätterdach des Dschungels.

Völlig erschöpft trat Stakla zusammen mit ihrem Stamm auf die Lichtung. Sie alle sahen sich ein letztes Mal so, wie sie heute waren.

Ihre Königin hob einen Speer und versammelte in Windeseile alle hundert Tamanaken im Kreis um sich herum.

Schnell atmend und entkräftet folgten sie ihrer großen Geste. In der ersten Reihe waren die Kinder und in der zweiten die Frauen und Männer.

Sie waren gänzlich nackt. Lediglich große, bunte tätowierte Muster bedeckten die Körper der Mädchen und Frauen. Sie sahen aus wie schillernde Paradiesvögel. Den Männern hingegen war es nicht erlaubt, sich zu tätowieren. Sie standen stark und leuchtend zwischen den Frauen, in Würde und Demut versunken.

Schnell war die Sonne untergegangen. Der große metallen schimmernde Mond gab seinen bläulichen Schein und tauchte die Lichtung in das magischste aller Lichter.

Mit gewaltiger und tiefer Stimme sprach die Königin: »Ihr wisst, wir haben keine Wahl! Ein Stamm der Menschenfresser will uns verschleppen, als Sklaven verkaufen und vielleicht noch Schlimmeres – so wie sie es mit so vielen von uns schon getan haben. Unsere Späher berichten, sie kommen zahlreicher als je zuvor.«

Ein Raunen ging durch die Reihen. Einige Frauen erhoben Schreie des Kampfes. Doch die weise Anführerin sagte nur:

»Lasst uns zu Amalicvaca beten.« Sie holte tief Luft und erhob ihre Arme weit in den Himmel. »Wir werden unsere Schutzgöttin anrufen, auf dass sie uns unsichtbar macht, um in Freiheit und Würde zu leben.«

Stille, tiefes Atmen, Stille, Stille.

Jeder von ihnen wusste, was das bedeutete. Die Tamanaken mussten alles, was sie liebten, verlassen. Alles, was sie besaßen, zurücklassen und in eine ungewisse Zukunft aufbrechen, die noch niemand von ihrem Stamm jemals gesehen oder im fernsten erahnen konnte.

Nicht einmal die alten Sagen beschrieben, was nun folgen würde. Nur der Zauberspruch war ihnen aus Überlieferungen der Ahninnen aus fernen Zeiten bekannt.

Die große und weise Königin sprach den magischen Spruch laut und stark, sodass der Zauber sofort wirkte.

Eine Implosion wie ein dumpfes Beben folgte, Bäume und Büsche schwankten kurz. Dann war es still.

Nur einen Augenblick danach stürzten Dutzende Männer aus dem Wald auf die Lichtung.

Sie waren mit Speeren und Blasrohren, mit vergifteten Pfeilen und Seilen bewaffnet.

Verdutzt sahen sie sich um.

Die Lichtung war leer. Kein Mann, kein Kind, keine Frau war zu sehen.

Zurückgeblieben war nur ein großer, kreisrunder Abdruck im wilden Gras, den der Mond schweigend silbern glänzen ließ.

1

gegenwart

Die Drei

Ein Teil unserer Geschichte spielt in der Stadt mit dem wunderschönen Mädchennamen Berlin. Es ist der 24. Mai 2010, Pfingstmontag, ein Feiertag.

Lange gingen gestern Nacht die Partys im Mauerpark. Trommeln waren zu hören. Hubschrauber kreisten durch die Nacht. Gesang wehte mit dem nächtlichen Wind herüber, durch die geöffneten Fenster, in die Zimmer von drei Mädchen und verursachten in ihrem Schlaf einige sehr merkwürdige Träume.

Annabell, Lara und Maya sind die drei Heldinnen in dieser Geschichte. Sie wohnen in den drei Häusern am Ende der Lortzingstraße, Lara in der Nr. 21, Annabell in der Nr. 22 und Maya in der Nr. 23, direkt am Mauerpark.

Der Stadtteil, in dem sie wohnen, trägt den märchenhaften Namen »Brunnenviertel«.

Schon vor vielen Jahren lernten sie sich im Sternenhimmel kennen. So heißt der internationale Kindergarten gleich hinter ihren Häusern. Seitdem sind sie beste Freundinnen. Dass die drei Mädchen in die gleiche 7. Klasse im Distelweg-Gymnasium gehen, verbindet sie umso mehr.

Lara, Maya und Annabell planten diesen Tag schon so lange, wie 12 Jahre alte Mädchen überhaupt nur vorausplanen wollen. Seit Tagen schoben sie sich in der Schule kleine Zettelchen zu mit geheimnisvollen Zeichen, die nur sie zu deuten wussten.

Doch was sie heute wirklich erleben sollten, würde ihnen selbst der kühnste Traum nicht erzählen können.

Inspiriert vonder wahren Geschichte vonAlexander von HumboldtsOrinoko-Expedition

Zitate in kursiv

2

Vergangenheit

Alexander von Humboldt

Ziemlich genau 210 Jahre zuvor begannen auch der Abenteurer und Naturforscher Alexander von Humboldt sowie sein Begleiter und bester Freund Aimé Jacques Alexandre Bonpland ihren Tag. Das war am 24. Mai im Jahr 1800.

Sie waren weit von Europa entfernt, tief im südamerikanischen Regenwald am Rio Orinoko, einem der gewaltigsten Ströme der damals sogenannten »Neuen Welt«, die auch um einiges genauer und wesentlich eleganter »Lateinamerika« genannt wurde.

Die 2250 Kilometer lange Fahrt auf den Flüssen durch den Regenwald bewältigten die beiden Forscher in einem indigenen Kanu, einer Piroge. Das war ein mit Feuer und Äxten ausgehöhlter Baumstamm, der dreizehn Meter lang und etwa einen Meter breit war.

Etwa die halbe Strecke lag nun schon hinter ihnen und ja, ihr ahnt es, ebenso viele Kilometer lagen noch vor ihnen. Humboldt und Bonpland waren weit in eine unbekannte grüne Welt vorgedrungen, die sie höchst faszinierte, aber auch zugleich ziemlich leiden ließ. Humboldt notierte in sein Tagebuch: Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, wie übel man auf einem solchen elenden Fahrzeuge daran ist.

3

GEGENWART

Lara

Lara rekelte sich, streckte sich und gähnte laut in den neuen Tag. Dann hörte sie ihren Bruder im Flur. Sie sprang aus dem Bett und rannte ins Bad, um vor ihm dort zu sein. Knapp geschafft. Sie hatte es eilig. Ihr großer Bruder stöhnte vor der verschlossenen Badezimmertür. Er wusste, dass Lara sehr, sehr lang im Bad sein würde wie jeden Tag und wenn Ferien waren, noch viel länger.

Manchmal musste ihre Mutter oder gar ihr Papa mit mahnenden Worten eingreifen, um Lara zum Fertigwerden zu drängen.

Doch heute war das ganz anders. Nach wenigen Minuten riss Lara die Badezimmertür auf, rief »Fertig!« und streckte ihrem Bruder, der vor der Tür schmollte, die Zunge heraus, eilte an ihm vorbei und verschwand in ihrem Zimmer.

4

vergangenheit

Alexander von Humboldt

Am 24. Mai. Wir brachen von unserem Nachtlager vor Sonnenaufgang auf. In einer Felsbucht, wo die Durimundi gehaust hatten, war der aromatische Duft der Gewächse so stark, dass es uns lästig fiel, obgleich wir unter freiem Himmel lagen und bei unserer Gewöhnung an ein Leben voll Beschwerden unser Nervensystem eben nicht sehr reizbar war. Wir konnten nicht ermitteln, was für Blüten es waren, die diesen Geruch verbreiteten: Der Wald war undurchdringlich.

Es war noch dunkel. Nur das Lagerfeuer und ein paar Fackeln warfen ihren warmen, flackernden Schein auf die Szenerie. Es herrschte die feuchte Stille, bevor der Wald erwachte.

Ihr Nachtlager war ein Biwak. Es war unter freiem Himmel kreisförmig angeordnet. In der Mitte stand der lederne Kasten mit dem Mundvorrat, den die Guahibo-Menschen Petaca nannten. Daneben waren die Kisten mit den Instrumenten aufgetürmt. Hierin waren auch die Mappen, viele hundert Seiten Notizen und die Sammlung verstaut.

Die Käfige mit den Affen und Vögeln fanden gleich daneben ihren sicheren Nachtplatz. Ringsum, im geschlossenen Kreis angeordnet, hingen die Hängematten von Humboldt und Bonpland sowie die ihrer fünf Begleiter vom Stamme der Maco und Guahibo.

Die äußerste Grenze bildeten die Feuer, die sie entzündet hatten, um die Jaguare und andere nachtaktive Raubtiere des Urwaldes fernzuhalten.

Es war eine unruhige Nacht für Humboldt und Bonpland, die in ihren Hängematten kaum Schlaf finden konnten. Denn einer der Jaguare, von denen es hier sehr viele gab, kam dicht an ihr Nachtlager heran.

Nur die Feuer hielten ihn davon ab, bei ihnen Beute zu machen. Die große, hungrige Katze lauerte dicht im Urwald und ließ die ganze Nacht hindurch ihr tiefes gurrendes Brummen ertönen.

Es war noch gar nicht so lange her, dass Humboldt und Bonpland stromaufwärts an der gleichen Stelle ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Die bedrohlichen Geräusche des Jaguars in dieser Nacht brachten die Erinnerungen zurück.

Pegasus, ihre große Dogge, die sie seit Cumaña begleitete, lag unter Humboldts Hängematte, lauschte den Geräuschen des Waldes und besonders denen der großen Katze. Pegasus antwortete ihnen mit anhaltendem knurrenden Geheul. Irgendwann, als Humboldt und Bonpland doch seicht in den Schlaf sanken, überkam den großen Hund sein Jagdinstinkt. Einer der Maco sah ihn kurz im Schein des Lagerfeuers vorbeihuschen und dann im Dunkel des Dschungels verschwinden.

Die Indigenen, die von kleinem Wuchs waren, fürchteten sich vor dem riesigen Hund. Denn für sie war die Dogge wie ein furchterregendes fleischfressendes Pferd, das jeden Moment mit ihnen machen konnte, was es wollte.

Also ließen sie den Hund zu dem Jaguar laufen und überließen es dem Wald, über sein Schicksal zu entscheiden.

An jenem Morgen, als Pegasus im Lager nicht aufzufinden war, sollten die Maco und Guahibo den umliegenden Urwald nach ihm absuchen. Sie konnten die Dogge auch nach langem Suchen nicht mehr finden. Unsere Forscher vermissten ihren Pegasus sehr, denn er war ihnen auf der Reise sehr ans Herz gewachsen.

Doch nun würde bald ein neuer Tag aus dem Dunkel der schlaflosen Nacht hervortreten. Die Vorbereitungen dafür begannen jetzt. Aufstehen, wach werden, Selbstkontrolle erlangen und los.

Weniger als eine Stunde dauerte das Einschiffen aller Dinge, die sie mitnahmen. Routiniert trugen die Maco und Guahibo Kisten mit den vielen empfindlichen Dingen vom Nachtlager zum schlanken Kanu. Die Piroge lag geduldig im Strom des Rio Orinoko, der hier gute 1000 Meter breit war.

Ein Horizont oder Uferstreifen der anderen Seite waren in der Dunkelheit ohnehin nicht auszumachen. Der Fluss schien ihnen so groß und weit wie ein Meer zu sein.

5

GEGENWART

Annabell

Am liebsten wären die drei gleich mit ihren Fahrrädern zum Humboldt-Hain gefahren, um ihren Plan umzusetzen. Doch zunächst gab es noch die letzte Hürde des Morgens zu nehmen, das Frühstück.

»Annabell!«, rief ihre Mutter. »Annabell! Wo bleibt sie nur.«

»Ich gehe mal nachsehen, wo sie steckt«, sagte Shirley, ihr Au-pair.

Annabell lag währenddessen auf ihrem Bett, träumte den jungen Tage herbei. In Gedanken baute sie die magische Hütte, suchte geeignete Äste, sah sich und ihre Freundinnen darin sitzen, voller Erwartung, was dann passieren wird.

Die Tür öffnete sich. »Annabell, wir sind schon beim Frühstücken, wo bleibst du?«

»Okay, okay, ich komme gleich!«

Annabell schaute in den Spiegel, blickte sich tief in die Augen. Kämmte ihre langen blonden Haare nach vorn über die Schulter.

Selbstbewusst hob sie den Kopf. Fast fertig.

Sie wählte eine der vielen Haarspangen aus, die um den Spiegel geheftet waren. Die große feurig rote, die sie von ihrer Mutter zum 12. Geburtstag bekommen hatte, war genau die richtige für diesen Tag.

Nun sah sie schon fast so aus wie eine echte Abenteurerin. Die blaue Jeans mit weißen Nähten und die khakifarbene Bluse mit großen Taschen, Schulterklappen und Safari-Aufdruck passten perfekt. Ihre grünen Sneaker zog sie auch gleich an. Zum Schluss nahm sie aus dem Schrank die Jeansjacke mit dem aufgestickten Löwenkopf. Perfekt!

Wehmut blitzte plötzlich durch ihre Gedanken. Wie zum Abschied ließ sie ihren Blick noch einmal in ihrem Zimmer umherschweifen.

Es war groß, mit zwei Fenstern, die vom Boden fast bis zur Decke reichten. Sie liebte den Blick aus ihrem Zimmer über die Stadt.

Oft saß sie lang am Fenster und sah den Wolken nach. Besonders gern, wenn es eigentlich andere Sachen zu tun gab wie Hausaufgaben oder Aufräumen.

Annabell war von den drei Freundinnen diejenige, die am besten auf den großen Tag vorbereitet war.

An der Wand über ihrem Schreibtisch hingen Bilder von magischen Hütten, die sie gezeichnet hatte. Immer wieder skizzierte sie mit wildem, selbstbewusstem Strich die dicken Äste auf einer grünen Wiese. Einmal hatte sie sogar einen großen Planeten in den Himmel gemalt.

Zur Sicherheit nahm sie die schönste Zeichnung mit.

Einen letzten Blick warf sie gebieterisch über ihre Skizzen an der Wand, Schwang ihre Jacke über die Schulter und ging in die Küche, wo schon ihre Mutter und Shirley warteten.

6

Vergangenheit

Alexander von Humboldt

Die fünf Männer der Maco und Guahibo waren fast nackt. Vier von ihnen ruderten die Piroge von Humboldt und Bonpland.

Einer der Guahibo war der Steuermann, der sich mit den Labyrinthen der kleinen Kanäle und den Wasserfällen in den Raudals auskannte.

Im Dunkel des frühen Morgens tanzten ihre Tätowierungen und roten Gesichtsbemalungen mystisch im Feuerschein auf der glänzenden Haut. Ohne Worte zu wechseln, trugen sie die Kisten mit den kostbaren Instrumenten Hand in Hand zum Kanu und verstauten sie am Boden der Piroge.

Zu der Zeit waren die etwa fünfzig Instrumente die modernsten ihrer Art, Hightech würden wir heute dazu sagen. Darunter waren Sextanten, Quadranten, Teleskope, diverse Fernrohre, eine Längenuhr, ein Inklinatorium, ein Deklinatorium, ein Cyanometer, Eudiometer, Aräometer, Hyetometer, Elektrometer, Hygrometer, Barometer, Thermometer und einige andere, die ich hier nicht alle aufzählen kann.

7

GEGENWART

Die Drei

Die drei Mädchen dachten an diesem Morgen, jede für sich, über ihren gemeinsamen Plan nach. Annabell, Maya und Lara wollten eine magische Schutzhütte bauen, wie in Melancholia von Lars von Trier.

Den Film hatten sie zufällig an einem langen verregneten Nachmittag ohne Hausaufgaben gefunden.

Sie verbrachten den Nachmittag wie so oft bei Annabell zu Hause. Ihre Mutter arbeitete.

Die Wohnung war ›leer‹ und voller Möglichkeiten für drei unternehmungslustige Mädchen.

Die drei stöberten die DVD-Sammlung im Wohnzimmer durch und fanden einen seltsam neuen, noch verpackten Film, der in seiner Folie irisierend glänzte und sie unwiderstehlich anzog. »Signature Edition« stand in mysteriös glänzenden großen pinkfarbenen Buchstaben darauf.

Kirsten Dunst, die Schauspielerin, die sie aus Spider-Man kannten, war auf dem DVD-Cover.

Gebannt schauten sie sich den Film an. Dieselbe Schauspielerin, die in Spider-Man ›Mary Jane‹ hieß und hier den Namen ›Justine‹ trug, sah nun so anders aus in ihrem Brautkleid.

Sie war gar nicht so nett, aber viel schöner irgendwie.

Im zweiten Teil spielte ein Junge mit, der etwa in ihrem Alter war. Sie fanden die Geschichte krass, irgendwie cool – denn sie handelte davon, wie die Erde von einem anderen Planeten umkreist wurde und dann mit ihm zusammenstieß.

Kirsten Dunst alias Justine hatte zum tragischen Ende des Films, als jeder wusste, dass der fremde Planet mit der Erde zusammenstoßen und alles Leben auf der Erde ausgelöscht würde, die erlösende Idee für ihre Schwester, ihren Sohn und sich selbst – eine magische Hütte aus Ästen in einem großen Hain zu bauen.

Die letzte Szene des Films zeigte, wie der fremde Planet unaufhaltsam auf die Erde zuraste, immer größer wurde, das Bild völlig ausfüllte und schließlich mit der Erde in einem Inferno kollidierte.

Schweigend saßen der Junge, seine Mutter und Justine in dem großen Hain, in der magischen Hütte, und hielten einander fest an den Händen. Sie gaben einander Halt am Ende der Welt.

»Das hat sie sicherlich von Spider-Man gelernt«, rief Annabell mit hoher, munterer Stimme.

»Komische Geschichte«, sagte Maya.

Annabell und Lara wurden euphorisch.

»Wir wollen auch so eine magische Hütte bauen, einfach so, nur um zu sehen, was passiert«, rief Annabell hellwach.

»Ja, im Humboldt-Hain!«, ergänzte Lara. Der Park bot sich für dieses Vorhaben tatsächlich bestens an. Sie kannten ihn seit vielen Jahren und wussten, dass sie dort alles finden würden, was sie für den Bau benötigten, eine große Wiese in einem Hain, viele Äste und sogar Magie.

8

vergangenheit

Alexander von Humboldt

Beim Verladen murmelten die Macos jetzt einen leisen, traurig klingenden Singsang vor sich hin. Nach den Instrumenten trugen sie die unzähligen Notizen, Landkarten, Skizzen und Artefakte auf die Piroge.

Das Wissen, das Humboldt und sein Freund Bonpland sammelten, war für die gesamte Welt von unschätzbarem Wert. Es sollte Revolutionen herbeiführen und politische Entscheidungen beeinflussen.

Selbst unser heutiges Bewusstsein von der Natur, in der alles zusammenhängt, als etwas Wertvolles und zugleich Gefährdetes, was es um jeden Preis zu schützen gilt, lässt sich auf Humboldts Neugierde, Abenteuerlust und erlittene Strapazen zurückführen.

Humboldt war gleichermaßen bei Königen, Präsidenten, Professoren, Studenten, aber auch bei einfachen Frauen und Männern des Volkes beliebt.

Alexander von Humboldt wollte, dass buchstäblich alle an seinen Erkenntnissen teilhaben konnten. Er hielt in Berlin Vorträge, zu denen jeder eingeladen war.

Es kamen Mitglieder der Königlichen Familie ebenso wie Studenten und Professoren, aber auch einfache Leute wie zum Beispiel Ladenmädchen und Fleischermeister.

Alexander von Humboldt galt gemeinsam mit Napoleon Bonaparte weltweit als die bekanntesten Persönlichkeiten ihrer Zeit.

Zu seinem einhundertsten Geburtstag am Dienstag, den 14. September 1869, gab es für ihn auf dem ganzen Globus ein riesengroßes Fest. In New York City, Chicago, Melbourne, Buenos Aires, Mexico City, Paris, London, Barcelona, Moskau, um nur einige zu nennen, kamen Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen von Menschen zusammen, um Humboldt zu feiern.

Sein Porträt hing auf großen Plakaten an Häusern.

Musikkapellen spielten auf. Schiffe in den Häfen waren mit Girlanden geschmückt.

Es gab Straßenumzüge, elegante Dinnerpartys und Konzerte.

Auf Titelseiten von Zeitungen wurde sein Werk verehrt. Mancherorts wurden zu seinen Ehren Fackelumzüge veranstaltet und sogar Feuerwerke gezündet.

Parks wurden rund um die Erde nach ihm benannt und Statuen mit seinem Bildnis enthüllt. Und das alles geschah gleichzeitig an einem Tag für einen Mann.

In Berlin, Humboldts Geburts- und Heimatstadt, fand die größte deutsche Feier statt. Achtzigtausend Menschen versammelten sich hier und waren von sintflutartigem Regen und kaltem Wind nicht davon abzuhalten, den prominenten Rednern und Chorgesängen zu lauschen. Es war ein einmaliger Feiertag zu Humboldts Ehren, an dem alle Büros und Behörden geschlossen blieben.

Wo auch immer auf unserem Planeten, in jeder Festrede wurde etwas sehr Ähnliches hervorgehoben: Humboldt habe den »inneren Zusammenhang« zwischen den vielfältigen Formen der Natur erkannt.

Die große Tageszeitung Daily News in London ging sogar so weit zu schreiben, der Ruhm von Alexander von Humboldt sei »in gewisser Weise eng mit dem Universum selbst verbunden«.

Auch ein eigens für diesen wichtigen Anlass in Berlin neu geplanter Park bekam seinen Namen, in einer feierlichen Grundsteinlegung. Von nun an sollte dieses schön gestaltete Stückchen Erde, das nicht zu klein und grade groß genug war, »Humboldt-Hain« genannt werden.

Dieser Park wird in unserer Geschichte noch eine bedeutende Rolle spielen und auf den wahren Grund für seine Errichtung kommen wir später zurück.

9

GEGENWART

Annabell

»Bin schon da.« Unternehmungslustig betrat Annabell die Küche und setzte sich.

»Guten Morgen, mein Schatz. Gibt es heute etwas Besonderes?« fragte ihre Mutter.

»Oooch, nichts weiter.«

»Du bist ja schon angezogen.«

»Na, du weißt doch, heute ist der Tag, an dem ich mit Maya und Lara im Park so eine magische Hütte bauen will. Das hatte ich dir doch schon vorige Woche erzählt.«

»Ach ja, stimmt. Tut mir leid, mein Schatz, das hatte ich ganz vergessen. Ich dachte, wo doch heute Montag und Feiertag ist, könnten wir etwas zusammen machen.«

»Typisch du, vergisst wieder alles«, kam es genervt von Annabell zurück. »Heute kann ich nicht, wir haben das schon so lange geplant und ich hatte es auch in unseren Kalender geschrieben.« Wie immer, wenn in Annabell ein mehr oder weniger großer Zorn aufstieg, kräuselte sich ihre Stirn.

»Guck, hier.« Annabell ging zum Kalender, der in der Küche an der Wand hing und in den Shirley, ihre Mutter und sie alle wichtigen Termine eintrugen, die sie alle drei betrafen.

»Da steht’s. Immer das Gleiche, nie weißt du, was ich machen will, und dann kommt es zum Streit.«

Annabells Mutter versuchte sie zu beschwichtigen, ging zu ihr und wollte sie ganz doll drücken.

»Mein Schätzchen, ich weiß und es tut mir wirklich sehr leid. Alles wieder gut?«

»Ja«, druckste Annabell ausweichend.

10

vergangenheit

Alexander von Humboldt

Immer noch war es dunkel am Rio Orinoko.

Das Beladen der Piroge im Schein des Feuers war noch nicht vollends geschafft und beinahe hätten wir das Aufregendste verpasst.

Denn jetzt kamen die vielen bunten und eigenwilligen exotischen Tiere an die Reihe.

Bisher schliefen sie alle geschützt in ihren Käfigen. Nur die Nachtaffen, die, wie ihr Name schon verriet, nachtaktiv waren, beobachteten still, mit ihren großen Augen, wie sich das Nachtlager langsam auflöste.

Als der erste Käfig angehoben wurde, war es mit der Ruhe jedoch vorbei. Als Erstes wachten die sieben Papageien auf, mit ihrem morgendlichen lauten Geschrei und nachdenklichem Gekrächze. Das bewirkte wiederum, dass die beiden Felsenhühner mit ihrem schier unerträglichen Schrillen und immer lauter werdenden Tschruih-Ruf begannen und so bald nicht damit aufhörten.

Panik breitete sich unter den Affen aus.

Die Crew versuchte die verängstigten Affen zu beruhigen. Vergebens.

Ihre schwarzen Kugelaugen waren furchterfüllt.

Mit ihren kleinen Händen klammerten sie sich verängstigt an die Stangen ihrer Käfige.

Sie wollten nur weg von diesem Lärmterror, den die Vögel veranstalteten. Schnell mussten nun alle Käfige auf dem Kanu verstaut werden.

Mit der anbrechenden Morgendämmerung beruhigten sich die Vögel langsam. Dieser neue Tag kam so schnell, wie der gestrige gegangen war.

Die Crew beeilten sich alle Käfige auf der breiten Bambus Konstruktion am hinteren Teil der Piroge zu befestigen.

Der junge Tukan hob seinen großen Schnabel, als sein Käfig auf dem Boot angebunden wurde, und krächzte lamentierend vor sich hin.

Aus dem Käfig daneben steckte der Pavas de Monte seinen Kopf an dem langen Hals heraus und pikste mit dem spitzen Schnabel still um sich. Mit feurig roten Augen starrte er bedrohlich vor sich hin.

Zwei Zibetkatzen fauchten kurz, als ihr Käfig auf der anderen Seite des Gestells angebunden wurde.

Es waren so viele verschiedenste Tiere. Die Männer mussten aufpassen, wo ihre Finger waren, um nicht von den aufgeregten Käfiginsassen gezwickt, gebissen oder gekratzt zu werden.

Als Letztes gingen Humboldt und Bonpland an Bord und nahmen ihr unbequemes Lager unter dem für das schmale Kanu zu groß wirkenden Palmendach ein.

Als das Boot endlich mit gleichmäßigen Ruderschlägen ablegte, glich es mit den rund zwanzig lärmenden Tieren, den vier einheimischen, fast nackten rudernden Männern und ihrem Steuermann sowie zwei jungen Abenteurern aus Europa eher einem bunten Zirkus als einer wissenschaftlichen Expedition.

11

GEGENWART

Annabell

In solchen Momenten, wenn es Streit gab, sehnte sich Annabell heimlich nach ihrem Papa. Sie hatte ihn nie kennengelernt. Angeblich kannte ihn ihre Mutter auch nicht und wollte Annabell von Anfang an allein aufziehen.

Mit zur Familie gehörte stattdessen Shirley, Annabells bereits drittes Au-pair -Mädchen. Sie kam aus Australien, war super nett und auf ihre ganz spezielle Art sehr lustig.

Sie sprachen viel Englisch miteinander und Annabell genoss es ihrerseits, als Deutschlehrerin zu fungieren und zu kommentieren, was Shirley richtig und, mehr noch, was sie falsch sagte.

Annabells Mutter hieß Anna Maria Schönheim, war Professorin für Kulturgeschichte und Anthropologie an der Humboldt Universität, alleinerziehend und eine mondäne Frau, die jeden Tag den Mann ihres Lebens kennenlernen könnte, sich aber bewusst für ein unabhängiges Leben ohne Mann entschieden hatte.

Sie liebte ihre Freiheit genauso wie Annabell.

Zusammen mit Shirley waren sie ein gutes Team.

Tage wie heute häuften sich allerdings in der letzten Zeit. Annabell war zwar noch 12, wurde aber spürbar erwachsener und verfolgte mehr und mehr ihren eigenen Weg.

Ihre Mutter hingegen erinnerte sich immer öfter schweren Herzens an die Zeit zurück, als sie noch alles gemeinsam machten. Wehmut stieg dann jedes Mal in ihr auf. Ihre eigene Kindheit tauchte aus dem Dunkel der Erinnerungen auf. Manchmal, wenn sie allein war, kullerten ihr leise, kleine Tränen über die Wangen.

So oft hoffte sie am Abend darauf, ihr Papa würde, bevor sie zu Bett ging, nach Hause kommen. Doch er kam so gut wie nie. Denn aus dem Büro seines Night Clubs oder von Geschäftsessen kam er erst früh im Morgengrauen nach Hause und musste dann den Tag über schlafen.

Als Annabells Mutter 15 Jahre alt wurde, schwor sie sich, nie wieder von einem Mann so abhängig zu sein wie von ihrem Papa, um glücklich zu sein.

Annabell sollte dieses vergebliche sehnsüchtige Warten auf einen Papa oder auf irgendeinen Mann erspart bleiben.

Annabells Mama blieb ohne Mann, in einem gut organisierten Team.

Doch nun war die Stimmung erst einmal dahin, in ebendiesem eingespielten Team von drei Frauen aus drei Generationen.

Annabell wusste, sie würde eines Tages alles besser machen mit ihren Kindern.

Dieser Tag aber war noch jung und wollte erobert werden. Trübsal half da nichts und vergebliche Sehnsucht erst recht nicht.

12

vergangenheit

Alexander von Humboldt

Etwas für die Männer Unsichtbares war anders als sonst. Kaum merklich sank die Piroge nach dem Beladen etwas tiefer in das Wasser und es ließ sich auch ein wenig schwerer rudern als an den Tagen zuvor. Doch das fiel zu diesem Zeitpunkt niemandem auf.

In Humboldts und Bonplands Abenteuer ereignete sich ein weiteres Ereignis, was nun seinen Lauf nahm, ein unsichtbarer Aufbruch, der 210 Jahre später im Leben von drei Mädchen in Berlin noch Ungeahntes bewirken sollte.

13

GEGENWART

Maya

Maya hatte es nicht eilig. Sie öffnete genüsslich das Fenster ihres Zimmers. Gähnend und die Arme weit ausstreckend, ließ sie ihren Blick über die Straße schweifen. Dabei trug sie noch ihr orangefarbenes Nachthemd mit den kleinen Blüten.

Ein Auto fuhr los.

Bäume in der Straße blühten.

Es duftete schwer und süß. Maya konnte stundenlang an den Wochenenden auf der Fensterbank sitzen und die Seele baumeln lassen, den Wolken hinterhersehen und träumen. Die Sonne stand noch tief über dem Mauerpark und warf lange Schatten in die Lortzingstraße.

Maya gähnte erneut und entdeckte zwei Jungs, die schon früh am Morgen auf dem Gehweg gegenüber Fußball spielten. Ihr Ball fing Mayas Blick ein wie ein Schmetterlingsnetz, sprang im großen Bogen genau in seinen eigenen Schatten hinein und wieder heraus.

Mit seinem Platsch, Platsch, das sich sonor wiederholte, driftete sie tiefer und tiefer wie in Hypnose davon.

Der Ball war immer zur Stelle, wenn der Schatten genau unter ihn huschte, und platschte mit einem fetten Bauchklatscher auf ihn drauf.

Der Schatten seinerseits versuchte so schnell er nur konnte zu entfliehen, sobald der Ball ihn freigab.

Der Ball und der Schatten spielten für eine ganze Weile ihr Spiel miteinander. Und erst als einer der beiden Jungen den Ball in den Arm nahm und festhielt, ergriff der Schatten die Gelegenheit und wart augenblicklich verschwunden, entflohen in die Freiheit.

Dort machte er wohl, was Schatten immer so taten, wenn sie gerade nicht gebraucht wurden, bis sie urplötzlich wie aus dem Nichts wieder auftauchten.

Mit einem kleinen Ruck erwachte Maya aus ihrer Trance.

»Wie seltsam« murmelte sie.

14

Vergangenheit

Alexander von Humboldt

Seit einigen Tagen fuhren die Abenteurer auf dem Orinoko flussabwärts, was die Reise angenehmer und schneller machte. Humboldt verbrachte die Tage mit Messungen des Wassers und der Luft, deren Ergebnisse er akribisch in seinen Notizbüchern notierte.

Mittels der Sonne bei Tag und den Sternen bei Nacht nahm er Positions- und Höhenbestimmungen vor, die er in den Karten ergänzte.

Er schrieb in sein Tagebuch, nahm die verschiedensten Gerüche wahr, lauschte den Geräuschen des Waldes und sah, staunte und genoss diese einzigartige Welt mit allen Sinnen.

Besonders Bonpland, aber auch Humboldt zeichneten die an Bord frei herumlaufenden Tiere. Es war nicht einfach, sie zum Stillsitzen zu motivieren.

Der junge Tukan machte sich einen Spaß daraus, die Nachtaffen zu necken. Eigentlich wollten die kleinen Gesellen mit ihren riesigen Augen am Tage nur schlafen.

Während Humboldt versonnen in sein Tagebuch schrieb, ergriffen die Nachtaffen ihre Chance und entflohen in seine Hosenbeine, weil es dort dunkler war.

Es krabbelte ihm sehr, zumal ihre Krallen wie kleine Nadeln in seine Haut piksten.

Bald wurde es Humboldt zu bunt und er holte sie mühsam wieder heraus. Und es begann von vorn. Der Tukan wartete nur darauf, die Kleinen erneut zu zwicken und so weiter. Vergnügt krächzte er dann vor sich hin.

Viel einfallsreicher beim Zeitvertreib waren hingegen die Klammeraffen. Einer ließ sich mit Vorliebe kopfüber am Schwanz von dem kleinen Dach herunterhängen.

Von hier beobachtete er Humboldt beim Schreiben und wartete einen unaufmerksamen Moment ab, um seinen Schreibstift zu stibitzen. Geschickt ergriff er den Stift, als Humboldt nur einen Moment zu lange Details an der Blütenrispe in seiner Hand studierte, die er gerade in sein Notizbuch zeichnete. Flink, seine Augen abschätzend auf Humboldt gerichtet, nahm er die Schreibfeder in den Mund und flüchtete über das Dach in den hinteren Teil des Bootes.

Und schon interessierten sich hier andere Artgenossen für seine Beute.

Wie so oft begann ein für alle unterhaltsames Gerangel darum, wer den Stift halten und beknabbern durfte.

Gute Chancen, dem Klammeraffen den Stift abzujagen, hatten die Kapuzineräffchen. Mit ihrem grimmigen Blick und dem orangefarbenen Fell sahen sie sehr entschlossen aus.

Das kleine Gerangel endete jedoch meist friedlich, in einem blitzschnellen Handgemenge.

Sie schienen wohl zu ahnen, dass wenn einer von ihnen ins Wasser fallen sollte, mindestens ebenso schnell ein Krokodil, eine riesige Guacharaca-Schlange oder Hunderte von kleinen Caribitos zur Stelle sein würden, um die Gelegenheit für eine kleine Zwischenmahlzeit zu nutzen.

Nass werden wollten sie ohnehin nicht unbedingt.

Selten kam es daher zu ernsthaften Auseinandersetzungen oder zum Einsatz der Zähne.

Nach getanem Streit folgte für die Affen das ausführliche Studium der Schreibfeder, eine für sie sehr ernsthafte Angelegenheit. Sie wussten aber schon, dass die Feder nicht ungefährlich war und durchaus wehrhaft sein konnte.

Und so hielt der Kapuzineraffe die Schreibfeder behutsam in einer Hand und beschnupperte den hölzernen Griff sehr genau.

Es roch nach Tinte und Alexanders Hand.

Wie interessant.

Tief sog er den Duft durch die Nase ein und ließ seine Augen kreisen und die Brauen zucken.

Zwei, drei Bisse in den Griff sollten genügen, um den Geschmack zu testen.

Und dann war da noch die gefährliche Spitze.

Die schmeckte seltsam.

Die Zunge des Affen färbte sich blau und es pikste bedrohlich.