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Dieser Band enthält folgende Krimis: (1099) Alfred Bekker: Ein harter Knochen für Kubinke Alfred Bekker: Kubinke und der eiskalte Mord Alfred Bekker: Der Armbrustmörder Alfred Bekker: Wettlauf mit dem Killer Alfred Bekker: Die Angst verfolgt dich bis ans Ende Alfred Bekker: Undercover Mission Alfred Bekker: Auftrag für einen Schnüffler Alfred Bekker: Kubinke und die Memoiren Alfred Bekker: Ein Killer in Marseille Alfred Bekker: Kubinke und die Katze Alfred Bekker: Der Sniper von Berlin Alfred Bekker: Mördertränen Alfred Bekker: Blutige Tränen Ein Scharfschütze macht in Berlin Jagd auf Angehörige des organisierten Verbrechens. Reihenweise schickt der Killer die Drogenbosse ins Jenseits. Ist das der Beginn einer großen Auseinandersetzung zwischen kriminellen libanesischen Groß-Clans und den Banden der sogenannten Balkan-Connection? Der Berliner Ermittler Harry Kubinke und sein Team versuchen, dem Morden Einhalt zu gebieten. Und Kubinke ahnt bald, dass der Killer vielleicht ein ganz anderes Motiv verfolgt, als man ursprünglich vermutete...
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Dreizehn Mörder: Krimi Paket 13 Romane
Copyright
Ein harter Knochen für Kubinke
Kubinke und der eiskalte Mord
Der Armbrustmörder
Wettlauf mit dem Killer
Die Angst verfolgt dich bis ans Ende
Undercover Mission
Auftrag für einen Schnüffler
Kubinke und die Memoiren
Ein Killer in Marseille
Kubinke und die Katze
Der Sniper von Berlin
Mördertränen
Blutige Tränen
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Ein harter Knochen für Kubinke
Alfred Bekker: Kubinke und der eiskalte Mord
Alfred Bekker: Der Armbrustmörder
Alfred Bekker: Wettlauf mit dem Killer
Alfred Bekker: Die Angst verfolgt dich bis ans Ende
Alfred Bekker: Undercover Mission
Alfred Bekker: Auftrag für einen Schnüffler
Alfred Bekker: Kubinke und die Memoiren
Alfred Bekker: Ein Killer in Marseille
Alfred Bekker: Kubinke und die Katze
Alfred Bekker: Der Sniper von Berlin
Alfred Bekker: Mördertränen
Alfred Bekker: Blutige Tränen
Ein Scharfschütze macht in Berlin Jagd auf Angehörige des organisierten Verbrechens. Reihenweise schickt der Killer die Drogenbosse ins Jenseits. Ist das der Beginn einer großen Auseinandersetzung zwischen kriminellen libanesischen Groß-Clans und den Banden der sogenannten Balkan-Connection? Der Berliner Ermittler Harry Kubinke und sein Team versuchen, dem Morden Einhalt zu gebieten. Und Kubinke ahnt bald, dass der Killer vielleicht ein ganz anderes Motiv verfolgt, als man ursprünglich vermutete...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER MARA LAUE
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Zum Blog des Verlags geht es hier:
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
Ein Harry Kubinke Kriminalroman
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 119 Taschenbuchseiten.
Ein Großkrimineller ist vor vielen Jahren verschwunden. Dann tauchen Teile seiner Leiche plötzlich an völlig unerwarteter Stelle auf. Ein Mord innerhalb des Organisierten Verbrechens? Wer hatte ein Interesse daran, die graue Eminenz eines kriminellen Netzwerkes jahrelang zum Schein am Leben zu erhalten? Harry Kubinke und Rudi Meier vom Bundeskriminalamt ermitteln. Es bleibt nicht bei einem Toten...
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /COVER STEVE MAYER
© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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“Icke grüße dir”, sagte der Mann an der Currywurstbude. “Schön, dass die Kriminalpolizei auch mal wieder zum Essen zu mir kommt!”
“Guten Tag”, sagte ich.
“Du bist doch der Kubinke, richtig?”
“Richtig.”
“Kriminalhauptkommissar Harry Kubinke, richtig.”
“Naja...”
“Was?”
“Bin inzwischen befördert worden.”
“Wahrscheinlich für gute Arbeit!”
“Ich nehme es an.”
“Sag mal, wo ist eigentlich dein Freund geblieben?”
“Meinst du meinen Kollegen?”
“Hieß der nicht Rudi?”
“Rudi Meier. Der kommt gleich auch noch. Wir wollten uns hier treffen.“
Der Currywurst-Mann nickte. Er deutete zu dem Gebäude, das in der Nähe zu sehen war. “Das Präsidium ist doch so nahe. Warum kommt ihr in letzter Zeit so selten? Sag jetzt nicht, ihr achtet neuerdings auf die Figur oder seit Veganer geworden!”
“Nee”, sagte ich.
“Eine Veggie-Currywurst habe ich nämlich auch.”
“Nein, danke.”
“Kein Hunger auf lecker Glutamat und Geschmacksverstärker?”
“Die richtige Wurst schmeckt besser.”
“Nun sag mal, passt euch was nicht, oder warum kommt ihr in letzter Zeit so selten, dein Kommissar-Kollege Rudi und du? Ich meine, wo ich extra euretwegen hier meinen Wagen aufstelle!”
Ich lächelte “Extra unseretwegen?”
“Ja sicher!”, grinste er.
“Also das ist so: Das Präsidium da vorne, ist jetzt die Nebenstelle. Und wir haben da nicht mehr unsere Büros.”
“Ach!”
“Wir sind jetzt im Hauptpräsidium. Das ist neu gebaut worden und endlich fertig. Und seit wir befördert wurden, haben wir dort unsere Büros.”
“Ach so.”
“Aber wegen deiner Currywurst, machen wir ab und zu einen Umweg.”
“Welch eine Ehre!”, meinte der Currywurstmann.
Dann hielt ein Wagen. Mein Kollege Rudi Meier stieg aus und winkte mir zu.
Wenig später hatte auch die Currywurstbude erreicht.
“Wie immer?”, fragte der Currywurstmann.
“Wie immer”, sagte Rudi.
“Siehst du: So bin ich! Du bist schon eine Ewigkeit nicht hier gewesen und ich weiß noch, wie du die Currywurst am liebsten hast!”
“Wunderbar”, sagte Rudi. Er wirkte etwas gestresst. Wahrscheinlich hattet er irgendwas Dienstliches auf dem Herzen, was wir aber erst besprechen konnten, sobald der Currywurstmann nicht mehr zuhörte.
“Sag mal, was ich mich immer schonmal gefragt habe”, sagte der Currywurstmann. “Wenn ich euch das fragen darf und damit nicht zu nahe trete...”
“Wieso das denn?”, fragte ich. “Du fragst doch sonst auch einfach so, was du fragen willst - auch wenn wir dir dann leider meistens sagen müssen, dass das der Geheimhaltung unterliegt.”
“Genau”, meinte Rudi. “Einfach fragen und wir nehmen dann unser Recht auf Aussageverweigerung wahr!”
“Ja, meine Skrupel kommen deshalb: Ich hab in der Zeitung gelesen, man soll Leute nicht danach fragen, woher sie kommen.”
“Wieso nicht?”, fragte ich. “Machen wir tagtäglich! Woher kommen Sie, wo waren Sie zur Tatzeit, wohin sind Sie gegangen und so weiter.”
“Ich meine jetzt, dass man fragt, woher einer gebürtig kommt.”
“Ach so.”
“Das sei unsensibel. Der Betreffende könnte ja einen Migrationshintergrund haben und sich verletzt fühlen.”
Ich zuckte mit den Schultern. “Bin nicht sensibel veranlagt”, sagte ich. “Und Rudi auch nicht!”
Rudi konnte nichts dazu sagen, weil er den Mund voll hatte.
“Das heißt, ich kann fragen, woher ihr gebürtig kommt!”
“Na hier aus Berlin”, sagte ich. “Und Rudi auch.”
“Dachte ich mir. Obwohl man das eurer Sprache nur... so ein bisschen anhört.”
„Zwischendurch waren wir mal eine Zeit in Hamburg bei der Polizei”, sagte Rudi.
“Ihr beide zusammen?”, fragte der Currywurstmann.
“Ja”, sagte Rudi. “Mehr Migrationshintergrund haben wir beide nicht.”
“Alles ist relativ”, sagte er Currywurstmann. “Ich würde sagen: Ganz schön herumgekommen! Ich zum Beispiel könnte mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben, als hier in Berlin.”
“So ist jeder eben anders”, sagte Rudi kauend.
“Ach, da ich im Augenblick ja mal die seltene Ehre habe, zwei Kriminalbeamten hier zu haben: Ich habe auch in der Zeitung von diesem Kriminellen Gangster-Boss gelesen, der spurlos verschwand und nun angeblich unter südlicher Sonne sein Leben genießt!”
“Ja, wird es leider nicht nur einen geben.”
“Ich meinen diesen Darkovic oder so ähnlich. Niko Darkovic, den alle nur den >harten Knochen< genannt haben, weil er so ein harter Kerl war. In der Zeitung steht, der ist einfach weg und betreibt seine Geschäfte aus dem Ausland weiter! Ich frage mir, wie ditte sein kann! Ihr seid doch vom Fach! Ist das nicht nicht fürchterlich? Und wenn ich meine paar Kröten an Steuern zu spät zahle, dann zieht der Staat ganz andere Seiten auf! Da wird dann genau ausgerechnet, ob ich überhaupt so und so viel Wurst und Brötchen und Curry und weiß der Geier was verbraucht haben kann und man unterstellt mir gleich, dass ich ein Betrüger bin, ich die Portionen zu groß gemacht habe! Aber so einer wie der >harte Knochen<, der genießt sein Leben und zahlt gar keine Steuern.”
“Ist doch logisch”, sagte Rudi.
“Wieso ist das logisch?”, wollte der Currywurstmann wissen.
“Na weil die Geschäfte des >harten Knochen< doch mutmaßlich illegal sind. Da kann er ja auch gar keine Steuern zahlen. Und vom Ausland aus sowieso nicht.”
“Ja, finden Sie nicht, dass da ein Fehler im System ist?”, meinte er. Die Tatsache, dass er nun begonnen hatte, uns zu siezen, bedeutete ziemlich sicher, dass er es sehr ernst meinte.
Aber für eine Grundsatzdiskussion hatten Rudi und ich im Moment keine Zeit.
Der Mann trug einen knielangen Ledermantel. Sein Gesicht war kantig. Unter dem linken Auge zuckte nervös ein Nerv. Am Kinn hatte er eine etwa daumennagelgroße Narbe. Kam von einer Messerstecherei. Aber der Kerl, der ihn angegriffen hatte, hatte dafür bitter bezahlt.
Rechnungen müssen ausgeglichen sein, dachte der Mann im Ledermantel. Das war ihm von jeher wichtig gewesen. Und manchmal musste man etwas tun, um dafür zu sorgen, dass sie auch bezahlt wurden.
Wenn jemand ein Lied davon singen konnte, dann er.
Der Mann im Ledermantel ignorierte den einsetzenden Nieselregen. Das Haar klebte ihm schon wenig später feucht am Kopf. Er ging den ungefähr zwei Meter breiten Kiesweg entlang, vorbei an der Reihe der Gräber auf dem Friedhof. In der rechten Hand trug er Blumen. Die Linke hingegen war zu einer Faust geballt.
Dann hatte er das Grab erreicht, für das die Blumen bestimmt waren. Er stand eine Weile da, starrte auf die verschnörkelten Buchstaben auf dem Stein und schluckte. Dann legte er die Blumen ab.
Nichts ist umsonst, dachte er. Alles muss zurückgezahlt werden. Alles…
Dann ging er an den Grabstein heran und berührte ihn mit der Hand.
„Es tut mir leid”, sagte er dann laut. Und seine Worte vermischten sich mit dem Prasseln des Regens, der in den letzten Augenblicken plötzlich sehr viel stärker geworden war.
Werner Flakowski aus Börneburg saß hinter dem Lenkrad seines BMW und gähnte. Er gähnte sehr ausgiebig. Eine anstrengende Arbeitswoche in einer Berliner Anwaltskanzlei lag hinter ihm - und die Aussicht auf ein langweiliges Wochenende bei den Schwiegereltern in Börneburg wirkte auch nicht gerade erfrischend.
„Vorsicht! Da ist irgendwas los”, riss ihn die Stimme seiner Frau aus seinen Gedanken heraus. Sie saß auf dem Beifahrersitz. Auf dem Autobahn blinkten plötzlich überall die Bremslichter auf.
Flakowski hatte den Eindruck, auf eine zum Stillstand gekommene Lawine aus Blech zuzurasen. Er trat das Bremspedal voll durch. Reifen quietschten. Von hinten bekam der BMW einen heftigen Stoß. Offenbar war jemand aufgefahren.
Irgendetwas flog durch die Luft und knallte im nächsten Moment gegen die Frontscheibe. Die Scheibe hielt, bekam aber ein Muster aus spinnenartig geformten Rissen.
„Was war das denn?”, murmelte Flakowski. Sein Gesicht war bleich wie die Wand.
Flakowski stieg aus. Seine Knie waren weich und sein Nacken schmerzte - vermutlich durch den Aufprall des hinteren Fahrzeugs. Er selbst hatte einen Aufprall auf den vorausfahrenden Ford vermeiden können.
„Ich krieg die Tür nicht auf!”, hörte er seine Frau sagen.
„Dann komm auf meiner Seite raus. Die hat sich wohl verzogen.”
„Werner, was ist da los?”
„Keine Ahnung. Aber ich nehme an, wir erfahren es bald.”
Ein Knall ließ Flakowski zusammenzucken. Weiter hinten hatte es einen weiteren Auffahrunfall gegeben.
Seine Frau stieg über dem Fahrersitz. Flakowski half ihr beim Aussteigen.
„Alles okay?”
„Es geht so.”
Flakowski sah kurz zu dem Fahrer des nachfolgenden Fahrzeugs, der sich gerade von seinem Airbag befreite. Er stieg wenig später aus seinem Geländewagen und streckte sich. Ihm schien nichts passiert zu sein.
Frau Flakowski machte zwei Schritte in Fahrtrichtung, ging an ihrem Mann vorbei und versuchte zunächst einen Blick auf das eigentliche Unfallgeschehen zu bekommen. Irgendetwas musste die ganze Karambolage ja ausgelöst haben.
Herr Flakowski hingegen interessierte sich zunächst in erster Linie für den Schaden am Heck seines BMW, der durch den Aufprall des Geländewagens entstanden sein musste.
Bei dem Kuhfänger wird der Schaden sicher ziemlich schlimm sein!, dachte Flakowski.
„Werner!”, rief seine Frau.
„Was ist?”
„Sieh mal, was da vorhin gegen unsere Scheibe geflogen ist!”
Ihr Gesicht wirkte ziemlich fassungslos. Flakowski trat zu ihr. Und dann war er es auch.
Da lag etwas zwischen der Stoßstange des BMW und dem Fahrzeug davor auf dem Asphalt.
„Wofür hältst du das, Werner?”
„Sieht aus wie ein Arm”, murmelte er.
Aus einiger Entfernung war die heisere Stimme eines Mannes zu hören. „Scheiße, ist das hier ein Horror-Film? Hier liegen überall Körperteile!”
Monate später…
„Herr Thalmann, bitte sagen Sie dem Hohen Gericht, wer Sie sind und was Sie beruflich machen.”
„Mein Name ist Reinhold Thalmann. Ich bin Plastinator.”
„Nun, da nicht jeder im Gerichtssaal Ihre Show kennt…”
„Das ist keine Show. Das ist Kunst. Kunst und Wissenschaft.”
„Wie auch immer, Herr Thalmann: Bitte erläutern Sie dem Gericht Ihre Tätigkeit.”
„Ich plastiniere tote Menschen, das heißt, ich bereite sie chemisch so auf, dass man ihre Körper anschließend präsentieren kann und sie nicht verwesen. Die Betroffenen haben natürlich vorher ihr Einverständnis erklärt, dass ich ihre Körper im Fall des Todes dafür verwenden darf.”
„Was sind die Motive der Menschen, die sich bei Ihnen melden, Herr Thalmann?”
„Jedenfalls bekommt niemand Geld dafür. Auch die Angehörigen nicht. Bei manchen steht der Gedanke im Vordergrund, auf diese Weise in gewisser Weise körperlich zu überdauern. Andere wollen ausdrücklich der Wissenschaft dienen…”
„Wissenschaft?”
„Ja, ich stelle ja den menschlichen Körper in seiner Funktionsweise dar und das dient der Popularisierung und Veranschaulichung anthropologischer Erkenntnisse.”
„So wie bei Frau, die sie mit einem Fötus im Bauch im Längsschnitt gezeigt haben, wogegen es dann Proteste diverser religiöser Organisationen und Gruppen gab.”
„Ja, das ist ein Beispiel dafür. Und es trifft auch zu, dass immer wieder religiöse Gruppierungen aller Art an meinem Plastinierungsprojekt Anstoß nehmen.”
„Warum?”
„Die meisten argumentieren dahingehend, dass dieses Projekt die Würde des Menschen verletzen würde. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich gebe den Toten die Würde zurück und erhalte sie.”
„Ein gutes Stichwort, denn um die Würde der Toten geht es ja auch in diesem Prozess, Herr Thalmann.”
„Wenn Sie das sagen…”
„Sehen Sie das nicht so?”
„Ich glaube, es geht eher um die Gefühle der Angehörigen. Aber die sind meines Erachtens hier nicht maßgeblich.”
„Sondern?”
„Es zählt einzig und allein die Willensbekundungen der Toten, die diese zu Lebzeiten in vollem Besitz ihrer geistigen Kräfte schriftlich niedergelegt haben.”
„Einspruch, hohes Gericht!”, meldete sich der Anwalt der Gegenseite zu Wort. „Herr Thalmann äußert sich zu juristischen Einschätzungen, für die er fachlich gar nicht qualifiziert ist und derentwegen wir ihn hier auch gar nicht befragen.”
„Einspruch stattgegeben”, erklärte der Richter. „Befragen Sie Herr Thalmann bitte zur Sache.”
„In Ordnung.”
„Fahren Sie fort!”
„Herr Thalmann, Ihre Show oder Ihr Kunst- und Wissenschaftsprojekt - ganz gleich, wie man das jetzt auch immer bezeichnen will - wird nicht mehr gezeigt, wie wir alle wissen. Es kam zu einem katastrophalen Unfall auf der Autobahn, in den auch der Truck verwickelt war, der Ihre Leichen transportierte, die eigentlich in der folgenden Woche in Berlin gezeigt werden sollten.”
„Plastinate”, unterbrach Thalmann.
„Wie?”
„Nicht Leichen - es sind Plastinate.”
„Wir wollen uns hier nicht um einzelne Worte streiten, Herr Thalmann. Im Übrigen: Auch wenn Sie aus den Leichen Plastinate gemacht haben, so bleiben es doch die Körper toter Menschen und die nennt man Leichen. Können wir uns so einigen?”
Thalmann ging darauf nicht ein. „Der Unfall hat leider dafür gesorgt, dass fast alle meine Plastinate zerstört wurden und nicht mehr verwendet werden können.”
„Der Polizeibericht sagt, dass die Einzelteile Ihrer … Plastinate… bis zu fünfzig Meter weit verstreut wurden. Können Sie das bestätigen?”
„Leider ja. Aber das bedeutet nicht, dass mein Projekt nun am Ende ist. Es ist nur ausgesetzt, bis ich genug Spenderkörper zur Plastination habe, um von Neuem zu beginnen! Ein halbes Jahr, dann wird man das Projekt wieder zeigen können.”
„Aber mit anderen Leichen!”
„Plastinaten.”
„Nein, Leichen, Herr Thalmann! Und das ist in diesem Zusammenhang auch keineswegs Wortklauberei. Angehörige dieser Toten haben diesen Prozess angestrengt, um zu erreichen, dass die sterblichen Überreste, die nach dem Unfall sichergestellt werden konnten, gentechnisch untersucht werden, damit sie den jeweiligen Verstorbenen eindeutig zugeordnet werden können. Das ist doch richtig?”
„Ja, das ist richtig.”
„Und es ist auch richtig, dass Sie sich mit allen Mitteln dagegen wehren!”
„Die Toten sind nach wie vor Teil des Projekts”, sagte Thalmann. „Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass die Plastinate zerstört wurden.”
„Plastinate, von denen Sie selbst gesagt haben, dass sie nicht mehr verwendbar sind!”
„Nun, ich…”
„Herr Thalmann, diese Menschen da vorne im Gerichtssaal, möchten, dass ihre Angehörigen beerdigt werden. Und sie möchten, dass ihre Überreste eindeutig zugeordnet werden. Da uns der Sachverständige versichert hat, dass dies auch nach der Plastination ohne Weiteres möglich ist, verstehe ich nicht, weshalb Sie sich so dagegen sperren, dass diese Untersuchungen durchgeführt werden - zumal die damit verbundene Kosten von der Versicherung übernommen werden würden.”
„Ich möchte, dass die Überreste der zerstörten Plastinate in meinem Besitz verbleiben. So entspricht es auch den Verträgen, die ich mit den Körper-Spendern abgeschlossen habe.”
„Diese Verträge sehen den Fall einer Zerstörung der Plastinate gar nicht vor, Herr Thalmann.”
„Sie sehen aber auch keine Beerdigung vor, so wie sie von Ihrer Seite gefordert wird”, erklärte Thalmann.
„Und genau deswegen muss dieses Gericht über diesen Sachverhalt entscheiden”, unterbrach nun der vorsitzende Richter. „Angesichts der fortgeschrittenen Zeit unterbreche ich die Verhandlung bis morgen um neun.”
„Guten Morgen”, begrüßte uns Kriminaldirektor Hoch, nachdem wir das Büro unseres Vorgesetzten im Hauptpräsidium betreten hatten. Unser Chef kam ohne Umschweife zur Sache. „Setzen Sie sich. Sie haben einen neuen Fall und obwohl er in der Rubrik Cold Case einzuordnen ist, dürfte er viel Staub aufwirbeln und für einige Unruhe sorgen.”
„Um welchen Fall geht es?”, fragte ich.
„Der Name Niko Darkovic sagt Ihnen beiden etwas, wie ich doch annehme.”
„Ein Boss der Yugo-Mafia, der vor Jahren unter ungeklärten Umständen verschwand”, sagte Rudi. „Soweit ich ich erinnere, nimmt alle Welt an, dass er irgendwo unter südlicher Sonne und in einem Land, das kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland unterhält, seine gut gewaschenen Drogengelder genießt.”
„Ja, das ist die bisher gültige Version der Geschichte”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Ab heute gilt eine andere.”
„Und die wäre?”, fragte ich.
„Seine Leiche ist gefunden worden - und zwar an einem Ort, an dem das nun wirklich niemand vermutet hätte.” Kriminaldirektor Hoch gab jedem von uns einen bunten Prospekt. Er gehörte zu der Ausstellung des Plastinators Reinhold Thalmann.
„Davon habe ich schon gehört”, sagte ich. “Von der Ausstellung, meine ich.”
Kriminaldirektor Hoch hob die Augenbrauen.
„Sie finden Niko Darkovic auf Seite fünfzehn links oben. Ich habe Ihnen das Bild markiert, denn so ohne weiteres würden Sie ihn nicht einmal dann erkennen, wenn Sie mit ihm gut bekannt wären.”
„Heißt das, Niko Darkovic ist überhaupt nicht im Ausland, sondern starb hier in Deutschland und hat sich nach seinem Tod plastinieren lassen?”, fragte ich ungläubig.
„So viel Engagement im Dienst der Wissenschaft hätte ich Darkovic ehrlich gesagt nicht zugetraut”, ergänzte Rudi, der das Foto bereits gefunden hatte. „Im Längsschnitt seines Beines soll man dem Begleittext nach degenerative Veränderungen der Kniegelenke gut erkennen können.”
„Soweit ich weiß, wird die Ausstellung derzeit nicht gezeigt”, sagte ich. „Abgesehen davon hat es immer wieder Proteste dagegen gegeben. Aber ehrlich gesagt habe ich das nicht so intensiv verfolgt.”
„Wenn man im Job Leichen sieht, muss man nicht unbedingt noch die Freizeit damit verbringen, sich welche anzusehen - ob nun plastiniert, im Längsschnitt oder wie auch immer”, ergänzte Rudi.
„Dass die Ausstellung derzeit nicht gezeigt werden kann, hat einen einfachen Grund, ohne den dieser Fall niemals nochmal untersucht worden wäre”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Der Truck, der Reinhold Thalmanns Plastinate zum nächsten Veranstaltungsort transportieren sollte, geriet in einen katastrophalen Unfall. Die Plastinate wurden dabei größtenteils zerstört und am Unfallort verstreut. Es gab daraufhin diverse gerichtliche Auseinandersetzungen. Ich werde Ihnen das nur kurz zusammenfassen, die Einzelheiten können Sie in den Daten nachsehen, die Sie bekommen werden.”
„Worum ging es bei den Prozessen?”, fragte Rudi.
„Unter anderem klagten Angehörige der sogenannten Körper-Spender darauf, dass die verstreuten und größtenteils nicht mehr zuzuordnenden sterblichen Überreste nicht im Besitz von Herr Thalmann verbleiben, sondern ordentlich bestattet werden. Außerdem sollten genetische Tests durchgeführt werden, die eine eindeutige Zuordnung der jeweiligen plastinierten Leichenteile ermöglichten. Um es kurz zu machen: Die Klage der Angehörigen hatte Erfolg, die Tests wurden durchgeführt, und zwar von Professor Dr. Valentin Fletemeyer. Fletemeyer ist eine bekannte Kapazität auf diesem Gebiet. Sein Institut hat schon des öfteren auch für das BKA gearbeitet. Im Übrigen ist Fletemeyer ein guter Bekannter von Dr. Wildenbacher.”
Dr. Gerold M. Wildenbacher war der Gerichtsmediziner des Ermittlungsteams Erkennungsdienst in Quardenburg, dessen Unterstützung uns für unsere Ermittlungen zur Verfügung stand.
„Ich nehme an, bei den Untersuchungen ist DNA aufgetaucht, die nicht zugeordnet werden konnte”, meinte ich.
„Richtig. Dafür gab es aber Vergleichsdaten in unserer Datenbank, denn Niko Darkovic ist mehrfach vorbestraft gewesen und bei verschiedenen Verfahren gegen ihn sind in der Vergangenheit auch DNA-Proben gesichert worden. Es war ein Volltreffer. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob der große Boss eines natürlichen Todes gestorben ist oder ein Verbrechen dahinter steht.”
„Ich könnte mir denken, dass diese Nachricht innerhalb des organisierten Verbrechens erhebliches Aufsehen erregen wird”, vermutete ich.
„Davon können Sie ausgehen. Aber unter der Decke halten lässt sich die Geschichte nicht mehr. Das Frühstücksfernsehen hat einen großen Bericht gebracht.”
„Wie konnten die davon erfahren?”, fragte ich.
„Wie meistens: Undichte Stellen. Es waren einfach zu viele Personen an dem Fall beteiligt. Und davon abgesehen muss man auch folgendes bedenken: Falls wirklich jemand Darkovic auf dem Gewissen hat und die Leiche auf diese sehr besondere Weise entsorgte, wird der Betreffende die ganze Geschichte um den verunglückten Truck mit den plastinierten Leichen und den anschließenden Prozess genauestens verfolgt haben.”
„Das heißt, er konnte sich auf diese Situation vorbereiten”, stellte ich fest.
„Nun, hundertprozentig sicher sind wir noch nicht, ob wirklich ein Verbrechen vorliegt. Alles, was von Niko Darkovic noch zusammengetragen werden konnte, liegt zurzeit auf dem Seziertisch von Dr. Wildenbacher in Quardenburg und ich hoffe sehr, dass er uns dazu sehr bald etwas sagen kann.”
Wir fuhren mit dem Dienst-Porsche nach Quardenburg, ungefähr eine Dreiviertelstunde von Berlin entfernt. Rudi hatte das Laptop auf den Knien. Wir wollten die Fahrzeit nutzen, um uns etwas in den Fall einzuarbeiten, insbesondere was die Hintergründe betraf.
„Wusstest du, wie Niko Darkovics Spitzname damals lautete?”, fragte mich Rudi.
„Keine Ahnung.”
Wir hatten mit Darkovic nur indirekt zu tun gehabt.
„Man nannte ihn den harten Knochen.”
„Klingt zum Fürchten.”
„Das sollte es wohl auch, Harry. Und Darkovic hat seinem Namen alle Ehre gemacht. Er war in seinen jüngeren Jahren in eine Reihe von Schießereien verwickelt, bekam aber nie etwas ab. Nicht einmal eine Kugel. Er soll einen Clubbesitzer, der ihm Geld schuldete eigenhändig krankenhausreif geschlagen haben. Beim Prozess konnte sich das Opfer dann plötzlich nicht mehr erinnern, was nicht etwa mit irgendwelchen Schlägen auf den Kopf zu tun hatte, sondern damit, dass Darkovic eine ansehnliche Summe überwiesen hat.”
„Woher weiß man das?”
„Durch einen Informanten.”
„Ist der noch aktiv?”
„Wohnt in Berlin und steht immer noch auf unserer Informantenliste. Ich werde mal mit den Kollegen vom BKA-Büro Berlin telefonieren, ob die ein Treffen arrangieren können.”
„Das Wissen eines Insiders könnte wir in dieser Sache sicher gut gebrauchen.”
„Ein paar Jahre später hat er eine Prostituierte fast totgeschlagen. Da kam es auch zu keinem Prozess.”
„Wieder dasselbe Muster?”
„Ja. Der Prozess ist letztlich geplatzt. Aber die DNA-Proben vom Tatort haben es ermöglicht, dass man ihn als eine der plastinierten Leichen identifizieren konnte.”
„Wir müssen als erstes mit diesem Reinhold Thalmann sprechen.”
„Ich habe heute Morgen schon hinter ihm her telefoniert. Aber er scheint sich zu zieren.”
„Dann laden wir ihn notfalls vor!”
„Auf jeden Fall wird er uns einiges zu erklären haben”, meinte Rudi. „Zum Beispiel wie es sein kann, dass der Körper eines Mafiosi in seiner Ausstellung von plastinierten Toten gelandet ist.”
„Das hat schon was…”, meinte ich.
„Was meinst du damit?”
„Ich stelle mir jetzt einfach mal vor, jemand hatte mit Niko Darkovic eine offene Rechnung. Jemand, der vielleicht wirklich einen guten Grund hatte, auf Rache aus zu sein.”
„Davon dürfte es viele geben, Harry!”
„Ja, klar! Aber darauf wollte ich jetzt nicht hinaus.”
„Sondern?”
„Na, ist das nicht die maximale Demütigung? Dieser Rächer besucht die Ausstellung, sieht sich die plastinierte Leiche an, von der nur er weiß, dass es sich nicht um irgendeinen Herrn Schmidt handelt, sondern um den großen und gefürchteten Niko Darkovic! Ich kann mir das zufriedene Grinsen des Täters gut vorstellen…”
„Du meinst, der Täter war jemand, der von Darkovic stark gedemütigt wurde.”
„Wenn du das so sagst!”
„Aber auch davon gibt es viele.”
„Wir spekulieren schon über die Psyche des Täters und wissen noch nicht einmal mit letzter Sicherheit, ob es ein Verbrechen gab”, meinte Rudi.
Danach schwiegen wir eine Weile. Theoretisch war es ja schließlich möglich, dass doch noch irgendeine Einwilligungserklärung zur Körperspende auftauchte, die Niko Darkovic vielleicht irgendwann mal abgegeben hatte. Aber selbst dann blieb die Frage, wieso er offenbar über Jahre hinweg die Legende am Leben gehalten worden war, dass er noch lebte und irgendwo im Ausland seine ergaunerten Millionen genoss.
Dass hier ein Verbrechen vorlag, war angesichts der Umstände mehr als wahrscheinlich.
„Gibt es jemand, der besonders davon profitiert hat, dass Niko Darkovic von der Bildfläche verschwand?”, fragte ich schließlich.
Ich legte dabei die Betonung auf das Wort besonders, denn es gab es gab sicher einige, die sich darüber gefreut hatten, dass der harte Knochen nicht mehr auf seinem Posten war.
„In erster Linie würde ich sagen: Niko Darkovic selbst”, meinte Rudi. „So wie ich das hier den Daten entnehme, stand er kurz vor einer Verhaftung.”
„Warum sollte er sich davor besonders fürchten, bisher hatte er doch auch vor Gericht ganz gute Karten, weil er die Hauptbelastungszeugen entweder gekauft oder bedroht hatte.”
„Diesmal wäre es für ihn ganz sicher nicht so glimpflich abgelaufen. Es ging um Geldwäsche in großem Stil. Und die Ermittlungen waren sehr weit fortgeschritten. Gut möglich, dass Niko Darkovic die letzten Jahre im Gefängnis verbracht hätte, wenn alles normal gelaufen wäre.”
„Aber er verschwand…”
„Und angeblich wusste niemand, wohin.”
„Und sonst? Wer profitierte noch?”
„Sein Neffe Boris Darkovic. Er führt heute die Geschäfte der Organisation, die Niko gegründet hat. Zumindest ist das die begründete Arbeitshypothese unserer Kollegen.”
„Wie so oft: Man weiß mehr, als vor Gericht zu beweisen wäre!”
Wir erreichten die BKA Bundesakademie in Quardenburg. Den Dienst-Porsche stellte ich auf einem der Parkplätze ab. Wenig später gelangten Rudi und ich in den Gebäudetrakt, in dem die Arbeitsräume unserer Kollegen vom Ermittlungsteam Erkennungsdienst untergebracht waren.
„Nichts anfassen! Auch wenn es nicht so aussieht, das ist alles geordnet!”, begrüßte uns die Stimme von Dr. Gerold M. Wildenbacher. Sein bayerischer Akzent war nicht zu überhören. Er beugte sich gerade über ein Mikroskop und schien sehr konzentriert zu sein, was ihn aber nicht davon abhielt, mit dem Arm zu gestikulieren.
Ich warf einen kurzen Blick auf den Seziertisch. Dort lagen jede Menge plastinierte Körperteile, so viel, konnte ich auf den ersten Blick erkennen. Offenbar bezog sich Gerolds unmissverständliche Anweisung darauf.
Ich sagte: „Ich würde nicht einmal im Traum daran denken, die Dinge anzufassen, die bei Ihnen auf dem Tisch liegen.”
„Besser ein Hinweis zuviel als zuwenig”, gab Gerold zurück. „Sind Sie dem Fischkopp schon über den Weg gelaufen?”
Mit Fischkopp meinte er Dr. Friedrich G. Förnheim. Förnheim war der Naturwissenschaftler des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts und unter anderem auch für ballistische Untersuchungen zuständig. Und er war Hamburger. Norddeutscher durch und durch.
„Nein, heute noch nicht”, meinte ich.
„Dann rechnen Sie in Kürze mit seinem Erscheinen. Ich will nicht hoffen, dass er sich nur darum drückt, ein paar Nicht-Fachleuten wie Ihnen ein paar zugegebenermaßen nicht ganz einfache Zusammenhänge zu erläutern.”
„Heißt das, Sie haben schon etwas herausgefunden?”, hakte ich nach.
„Was ich jetzt sage, ist noch nicht endgültig und ich würde davor warnen, es bereits in irgendwelchen Pressemitteilungen oder dergleichen an die Öffentlichkeit zu geben.”
„Für wen halten Sie uns, Gerold!”
„Man kann immer wieder die erstaunlichsten Dinge erleben, Harry.”
„Also fest steht, nehme ich an, dass Niko Darkovics Körper als Plastinat Teil der Ausstellung von Reinhold Thalmann war”, sagte ich.
„Das steht nach den Untersuchungen des Kollegen eindeutig fest”, bestätigte Gerold. „Fest steht im Übrigen auch, dass Niko Darkovic ein paar Tage vor seinem Verschwinden noch in einer Klinik war. Es sind Röntgenbilder der Brustorgane erstellt worden, denn es bestand offenbar der Verdacht, dass der große Boss entweder an Lungenkrebs oder an einer Tuberkulose litt. Die gute Nachricht für Herr Darkovic war: keine dieser Diagnosen hat sich bestätigt. Die schlechte ist, dass die diagnostizierten degenerativen Veränderungen der Lunge chronisch geworden und nicht reversibel gewesen sind. Die Kollegen in der Klinik führten sie auf jahrelanges Rauchen zurück. Sein permanenter Husten war sicher lästig, aber nicht unmittelbar lebensbedrohend. Mit den Jahren wäre es allerdings schlimmer geworden.”
„Ein Grund dafür, sich umzubringen und ein sogenannter Körperspender zu werden, wäre dies wohl nicht unbedingt”, schloss ich.
„Das würde ich auch so sehen, zumal in der Klinik keine dem entsprechende Willenserklärung hinterlegt wurde. Stattdessen liegt aber eine schriftliche Verfügung vor, die eine Organspende im Falle des Todes unter allen Umständen untersagt. Und zwar ausdrücklich auch für den Fall, dass sich seine Angehörigen dafür entscheiden sollten.”
„Was soll man davon nun halten?”, meinte Rudi.
Gerold hob die Augenbrauen. „Es gibt Menschen, die eine geradezu panische Angst davor haben, dass im Fall von lebensbedrohlichen Komplikationen bei einem Klinikaufenthalt, Organe schon entnommen werden, noch bevor der Betreffende wirklich tot ist. Möglicherweise gehörte Herr Darkovic zu der Gruppe von Menschen mit dieser speziellen Angst. Mal davon abgesehen, dass in seinem Fall mit solchen Komplikationen auch gar nicht zu rechnen war. Schließlich war er nur zu Diagnosezwecken dort. Aber ich will auf etwas anderes hinaus.”
Er bedeutete uns mit einer für ihn typischen, energisch wirkenden Handbewegung zu ein paar Röntgenaufnahmen. „Dies sind die Aufnahmen, die seinerzeit angefertigt wurden. Wichtig ist dabei nicht, was wir dort sehen, sondern, was wir dort nicht sehen.”
„Und das wäre?”, hakte ich nach.
Gerold deutete zu Niko Darkovics sterblichen Überresten auf dem Seziertisch. „Ich habe am Rückgrat eine Veränderung gefunden, die sehr wahrscheinlich von einer Schussverletzung stammt. Die Kugel ist nicht im Körper stecken geblieben, dann könnten wir sogar nach der Waffe fahnden. Das Projektil hatte aber Kontakt mit dem Rückgrat und ist dadurch abgelenkt worden und anschließend ausgetreten. Durch die Plastinierung ist das verborgen worden. Unser Freund Förnheim ist noch mit ein paar feinmikroskopischen Untersuchungen beschäftigt und will in Zusammenarbeit mit der Kollegin Frau Gansenbrink eine Drei-D-Simulation erstellen. Möglicherweise kann man hinterher wenigstens das benutzte Kaliber bestimmen, vielleicht sogar nähere Aussagen zur verwendeten Waffe machen.”
Dr. Lin-Tai Gansenbrink war die IT-Expertin und Mathematikerin des Teams.
„Könnte es nicht sein, dass die Verletzung des Rückgrats mit einer früher erlittenen und verheilten Schussverletzung in Zusammenhang steht?”, fragte Rudi. „Immerhin war Herr Darkovic gerade in seinen jüngeren Jahren wiederholt in Schießereien verwickelt, auch wenn ihm daraus strafrechtlich nie ein Strick gedreht werden konnte.”
„Das mag sein, Rudi. Aber die Röntgenaufnahmen, die kurz vor seinem Verschwinden - und seiner mutmaßlichen Ermordung - gemacht wurden, beweisen eindeutig, dass er bis dahin nichts abbekommen hat. Die angesprochene Verletzung des Rückgrats war definitiv nicht vorhanden - wie übrigens zwei weitere Stellen, die Förnheim und ich ebenfalls in Verdacht haben…”
„Mit anderen Worten: Ihr Zwischenbefund sagt aus, dass Darkovic von mindestens einer und möglicherweise sogar von drei Kugeln getroffen wurde”, fasste ich die Erkenntnisse unseres Research-Teams zusammen.
„Auf jeden Fall können Sie davon ausgehen, dass Darkovic ermordet wurde und schon dieser eine Schuss tödlich gewesen sein muss. In den nächsten Tagen werden wir vielleicht sogar die Schussbahn rekonstruieren können.”
„Kennen Sie sich ein bisschen mit der Plastinierungs-Methode von Reinhold Thalmann aus?”, fragte ich.
„Oberflächlich”, gestand Gerold.
„Halten Sie es für möglich, dass Thalmann diese Leiche auf den Tisch bekam und plastinierte, ohne zu bemerken, dass es sich das Opfer eines Mordes handelt?”
„Ausgeschlossen. Nach allem, was ich mir über das Internet in der Kürze der Zeit über den Kerl angelesen habe, verfügt er über profunde anatomische Kenntnisse und hat ein abgebrochenes Medizinstudium hinter sich. Anders könnte er Körper auch gar nicht mit der entsprechenden Sachkenntnis behandeln und in seinen Ausstellungen inszenieren.”
„Gut zu wissen”, meinte ich.
„Austritts- und Eintrittswunde müssen unübersehbar gewesen sein, Harry. Darkovics Körper wurde vor der Plastination so hergerichtet, dass diese Stellen wie verheilte Narben aussehen. Kommen Sie!”
Gerold führte uns zu seinem Laptop. Die Tastatur verfügte über einen Spritzschutz, wie er auch bei Zahnärzten üblich geworden war.
Der Bayer aktivierte den Bildschirm.
Wir sahen Fotos von plastinierten Körpern.
„Das Fotografieren ist bei Thalmanns Ausstellungen verboten”, erklärte Gerold. „Trotzdem tun es einige und stellen ihre Bilder anschließend ins Netz. Lin-Tai hat sie sich aus diversen Foren besorgt. Die Qualität ist sehr gut. Auf jeden Fall gut genug, um rekonstruieren zu können, wo sich diese Narben befanden.” Gerolds Finger glitten über die Tastatur und vergrößerten den Zoom. Was man auf dem Bildschirm sehen konnte war eindeutig. „Das könnte die Austrittswunde gewesen sein. Ob das mit dem mutmaßlichen Schusskanal übereinstimmt, wird ihnen Dr. Förnheim sicher bald mit letzter Sicherheit beantworten können. Ich wette mal, die Antwort auf diese Frage ist ein schlichtes Ja - aber so schlicht mag unser hamburgischer Fischkopp die Dinge ja nicht.”
„Wie ich sehe sind Sie von unserem bayerischen Landarzt bereits in gewohnter Schlichtheit über den Stand der erkennungsdienstlichen Ermittlungen informiert worden”, drang jetzt eine Stimme mit unverkennbar hamburgischem Akzent an unser Ohr.
Friedrich G. Förnheim hatte den Raum betreten.
„Na endlich! Wo stecken Sie so lange?”, fragte Wildenbacher.
„Ein methodisches Problem erwies sich als komplizierter als ursprünglich gedacht und ich musste die geschätzte Kollegin Lin-Tai erst davon überzeugen, dass man sich über die Regeln naturwissenschaftlich-empirischer Forschung nicht so einfach hinwegsetzen kann, wie sie das mitunter bei den gesetzlichen Regeln des Datenschutzes handhabt.” Friedrich G. Förnheim atmete tief durch und musterte zunächst mich und anschließend Rudi. „Mit Ihrer beider Vorliebe für knappe Vereinfachungen bin ich ja oft genug konfrontiert worden”, sagte er. „Da Ihnen der Kollege ja schon die wesentlichen Fakten erläutert haben dürfte, werde ich es mal so zusammenfassen: Den Mörder von Niko Darkovic kennen wir noch nicht. Aber wir kennen jemanden, der zumindest Beihilfe geleistet haben muss!”
„Reinhold Thalmann”, murmelte ich.
„Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen Reinhold Thalmann und der Darkovic-Organisation?”, fragte ich etwas später die Kollegin Lin-Tai, als wir sie in ihrem mit Computer-Equipment vollgestellten Arbeitsraum besuchten.
„Aus dem, was wir bisher den Unterlagen zu diesem Fall entnehmen konnten, gibt es nämlich keinen”, ergänzte Rudi.
„Wenn es einen gibt, kriege ich den heraus”, erklärte die IT-Spezialistin. „Darauf können Sie sich verlassen. Die Mathematik entlarvt jeden!”
„Wenn Sie das sagen”, gab ich zurück.
Sie sah mich einen Augenblick lang etwas irritiert an. Ironie und Sarkasmus liegen ihr einfach nicht. Auch nicht in kleinen Dosen. Und manchmal vergesse ich das einfach.
„Gerold sagte, Sie und FGF arbeiten an einer Drei-D-Simulation des Tathergangs”, sagte Rudi. FGF, so nannten wir alle Friedrich G. Förnheim bisweilen.
„Richtig. Das ist angesichts der dünnen Faktenlage natürlich mit einem hohen Fehlerquotienten behaftet. Trotzdem lassen sich vielleicht Aussagen über den Täter treffen.”
„Inwiefern?”
„Mit etwas Glück lässt sich beispielsweise dessen ungefähre Größe berechnen. Dazu müssten wir natürlich ermitteln, ob Niko Darkovic im Sitzen, Liegen oder Stehen erschossen wurde und wie weit der Täter dabei entfernt war.”
„Schmauchspuren gibt es sehr wahrscheinlich nicht mehr, die darüber Auskunft geben könnten”, meinte Rudi.
„Sagen Sie das nicht”, widersprach Lin-Tai. „FGF hat mir darüber etwas ganz anderes gesagt. Es kann sein, dass Schmauchpartikel sehr tief in das Gewebe eingedrungen sind. Der Plastinierungsprozess dürfte sie erhalten haben und falls FGF noch eine passende Methode findet, sie auch nachzuweisen und die spezifische Verteilung in eine mathematische Korrelation zu dem Treffer am Rückgrat und vergleichbaren Fällen gebracht wird, lässt sich daraus möglicherweise ungefähr ermitteln, aus welcher Entfernung geschossen wurde.”
„Jede Information kann uns weiterbringen”, sagte ich.
„Apropos Information. Ich habe über Niko Darkovic etwas herausgefunden, was zumindest mittelbar in Zusammenhang mit dem Fall steht”, eröffnete Lin-Tai nun. „Sie wissen, dass ich immer versuche, mir ein Bild von dem Betreffenden zu machen. In der Kürze der Zeit ist das zwar nur ein provisorisches…”
„Lin-Tai! Was haben Sie herausgefunden?”, unterbrach ich sie. Sie verlor sich gerne in Einzelheiten. Abgesehen davon war bei ihr eine flüchtige Netzrecherche das, was bei anderen als gründliche Nachforschungen durchgegangen wäre.
„Darkovic war Mitglied der Ritter vom Weißen Kreuz.”
„Noch nie davon gehört”, gestand ich.
„Die Ritter vom Weißen Kreuz sind so etwas Ähnliches wie der Rotary Club - nur dass die Mitglieder allesamt das sind, was man als katholische Fundamentalisten bezeichnen könnte.”
„Katholische Fundamentalisten?”
„Sie sind so konservativ, dass selbst der Vatikan sie nur mit Widerwillen duldet. Abgesehen davon engagiert sich diese Gruppe vor allem bei wohltätigen Projekten.”
„Okay, Darkovics Familie ist kroatischer Abstammung, wie man schon am Namen hört. Da wundert es einen nicht besonders, dass er katholisch war.”
„Ja, der springende Punkt ist ein anderer, Harry!”
„Ich bin ganz Ohr.”
„Die Ritter vom Weißen Kreuz gehören zu den schärfsten Kritikern von Reinhold Thalmanns Plastinierungsprojekt. Sie verfolgen ihn regelrecht mit Kampagnen - und zwar schon von seiner ersten Ausstellung an. Vorgeblich stehen dann örtliche Kreise oder Kirchengemeinden an den jeweiligen Orten der Ausstellung dahinter, aber wenn man etwas genauer hinschaut, dann sind eigentlich diese katholischen Ritter die Initiatoren im Hintergrund. Vor allem wenn man sich ansieht, wer die Kampagne finanziert hat, wird das sehr deutlich.” Sie fuhr mit den Fingern über eine ihrer Tastaturen, woraufhin sich auf einem großen Flachbildschirm ein Pfeildiagramm öffnete. „Ich habe diese Verflechtungen anhand ihrer mathematischen Relevanz mal ein bisschen veranschaulicht.”
„Das heißt, es ist völlig ausgeschlossen, dass Niko Darkovic jemals seine Zustimmung zur Verwendung seiner Leiche als Ausstellungsstück gegeben hätte”, stellte Rudi fest.
„Körperspende”, korrigierte Lin-Tai. „Der korrekte und von Reinhold Thalmann verwendete Begriff dafür heißt Körperspende. Das ist im Übrigen nichts Neues. Es gab immer schon Personen, die zu Lebzeiten verfügten, dass ihre toten Körper der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden, anstatt dass man sie auf herkömmliche Weise bestattet.”
Mein Handy klingelte.
Es war Kriminaldirektor Hoch.
„Der Haftbefehl für Reinhold Thalmann liegt innerhalb der nächsten zwei Stunden vor. Ein Durchsuchungsbeschluss für seine Privatwohnung sowie die Räumlichkeiten in denen er die Plastinierung durchführt sowie die Büros der Veranstaltungs-Agentur, die seinen Namen trägt, ebenfalls.”
„Dann kann es ja losgehen”, meinte ich.
„Voraussetzung ist, dass Sie tatsächlich Beweise dafür anführen können, dass Thalmann wusste, dass er eine Leiche plastinierte, die einem direktem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.”
„Das kann er unmöglich übersehen haben. Herr Thalmann hatte eine Leiche mit Schussverletzungen auf dem Tisch. Das wird er uns erklären müssen”, sagte ich.
„Ich verlass mich auf Sie - und der Staatsanwalt auch. Wenn Thalmann eine Leiche, die für jeden erkennbar einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, nicht den Behörden gemeldet hat, kann man ihn allein deswegen schon anklagen. Aber wenn sich der Staatsanwalt vor Gericht blamiert, wird er mich dafür verantwortlich machen und ich werde es beim nächsten Mal schwerer haben…”
„Ich glaube, da brauchen Sie sich in diesem Fall keine Sorgen machen.”
„Sie können hier nicht rein!”, sagte die resolute Frau mit den roten Haaren, die als Büro-Chefin für Reinhold Thalmann fungierte und offenbar für Organisation und Verwaltung zuständig war.
„Kriminalinspektor Kubinke, BKA. Wir können das sehr wohl”, erwiderte ich und hielt ihr zuerst meine ID-Card und anschließend den richterlichen Beschluss unter die Nase. Rudi und ich waren mit mit großem Aufgebot in den Gebäudekomplex vorgedrungen, in dem sich sowohl Thalmanns Arbeits- und Lagerräume als auch die Büros seiner Firma befanden. Ein Dutzend Kollegen unterstützten uns.
Schließlich musste eine umfangreiche Durchsuchung durchgeführt und Beweise gesichert werden.
„Ich bin Mandy Zachermann”, sagte die rothaarige Frau und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Das weiß ich”, erklärte ich. „Und mir ist auch bekannt, welche Funktion Sie hier ausüben. Deswegen möchte ich Sie bitten, sich zur Verfügung zu halten, falls wir Fragen haben.”
Mandy Zachermann wurde sichtlich nervös, als sie registrierte, wie unsere Kollegen ausschwärmten.
„Nichts mehr anfassen! Alles bleibt, wo es ist!”, rief unterdessen Rudi. „Und Hände weg von den Computern!”
Ich wandte mich an Mandy Zachermann.
Die ersten Kollegen waren bereits in jenen Räumen, in denen die Plastinate erstellt wurden. Rudi hatte mir erzählt, dass Thalmann selbst diese Räume ‘sein Atelier’ nannte. Immerhin passte das zu seiner Betrachtungsweise der Ausstellungen von plastinierten Körpern als Kunstprojekt.
„Herr Thalmann ist hier nirgends zu finden”, meldete wenig später der Kollege Kommissar Kellerman, der die operative Führung dieses Einsatzes hatte.
„Wo ist Reinhold Thalmann?”, fragte ich an Mandy Zachermann gewandt.
„Wenn Sie mir freundlicherweise sagen würden, was Sie von ihm wollen…”
„Es liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor”, erwiderte ich. „Unter den Körpern, die er bei seinen Ausstellungen präsentiert hat, war auch der Leichnam eines Mannes, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als ein Opfer von Schusswaffengewalt erkennbar war, als Herr Thalmann ihn plastinierte. Schon dafür kann er verurteilt werden.”
„Herr Thalmann ist nicht hier”, sagte sie. „Es hat überhaupt keinen Sinn, dass Sie Ihre Leute hier alles auf den Kopf stellen lassen.”
„Wo ist Thalmann?”, fragte ich.
„Glauben Sie wirklich, dass ich Ihnen das sagen werde?”
„Sie sollten sich das gut überlegen”, sagte Rudi. „Wenn Sie ihn decken, werden Sie die Konsequenzen zu tragen haben.”
„Und die wären?” Sie verzog spöttisch das Gesicht. „Wenn Sie glauben, dass Sie mich einschüchtern können, dann sind Sie im Irrtum. Ich werde unseren Anwalt anrufen. Vielleicht ist es besser, wenn der die ganze Sache regelt. Und glauben Sie mir, Sie wird man in den nächsten Jahren wahrscheinlich nur noch irgendeinen langweiligen Bürojob im Hauptpräsidium machen lassen.”
„Und Sie werden in den nächsten Jahren vielleicht Ihr organisatorisches Talent darauf verwenden müssen, eine Gefängnisbibliothek in Schuss zu halten”, gab ich zurück. „Zumindest dann, wenn Ihnen nachgewiesen werden kann, dass Sie an der Sache beteiligt waren.”
„Welche Sache bitteschön soll das denn sein?”
„Ein Mordopfer wurde im Rahmen von Reinhold Thalmanns Projekt plastiniert und bei Ausstellungen zur Schau gestellt. Sie sollten alles tun, um uns bei der Aufklärung zu helfen.”
Sie atmete tief durch. „Ich werde unseren Anwalt anrufen.”
„Daran kann ich Sie nicht hindern”, gab ich zu.
Die Kollegen durchsuchten sehr gründlich die Büroräume. Ich selbst sah mir das sogenannte Atelier an. Der Anblick erinnerte mich an Dr. Wildenbachers Sektionsraum in Quardenburg. Thalmann beschäftigte offenbar ein halbes Dutzend hochqualifizierter Mitarbeiter, die ihm bei der Plastinierung halfen. Ich sah Körper, die sich offenbar in verschiedenen Stadien der Aufbereitung befanden.
Mandy Zachermann wich nicht von meiner Seite, nachdem sie mit dem Firmenanwalt gesprochen hatte.
Rudi unterhielt befragte einige von Thalmanns Mitarbeitern.
„Anscheinend bereitet Herr Thalmann eine neue Ausstellung vor”, stellte ich fest.
„Wir können uns über einen Mangel an Körperspenden nicht beklagen”, sagte Mandy Zachermann. „Hören Sie, der Mann, von dem Sie behaupten, er sei ein Mordopfer, heißt unseren Unterlagen nach Jannick Schmidt und hat wie alle anderen Körperspender auch zu Lebzeiten eine Einverständniserklärung unterschrieben.”
„Sein wahrer Name war Niko Darkovic und wir gehen davon aus, dass er eines gewaltsamen Todes starb. Er wurde erschossen - und wer immer die Plastinierung durchführte, muss das bemerkt haben. Wir gehen weiter davon aus, dass die Plastinierung in erster Linie deshalb durchgeführt wurde, um dieses Verbrechen zu verbergen und eine Leiche verschwinden zu lassen - und zwar an einen Ort, an dem wahrscheinlich alle am wenigsten damit gerechnet hätte: Nämlich in aller Öffentlichkeit!”
„Das ist absurd. Wir arbeiten sauber. Und wenn Sie mir die Gelegenheit geben würden, die Erklärung von Herrn Schmidt herauszusuchen…”
„...Herr Darkovic”, korrigierte ich. „Dieses Schriftstück werden wir schon finden - und es wird unter anderem Gegenstand kriminaltechnischer Untersuchungen sein, deswegen möchte ich nicht, dass Sie es nochmal anfassen.”
Kommissar Kellerman kam jetzt auf mich zu.
„Reinhold Thalmann befindet definitiv nicht hier in diesen Räumlichkeiten. Gerade habe ich einen Anruf vom Kollegen bekommen. In seiner Privatwohnung ist er auch nicht.”
Zeitgleich mit unserer Aktion hatte ein weiteres Team von Kollegen Privatwohnung von Reinhold Thalmann gestürmt. Offenbar ebenfalls ohne Ergebnis.
„Könnte es sein, dass Herr Thalmann ahnte, was auf ihn zukommt und er deswegen untergetaucht ist?”, fragte Rudi.
„Die Handy-Ortung ist bislang ebenfalls negativ”, erklärte Kommissar Kellerman. „Sein Wagen steht nicht in der angemieteten Garage.”
„Dann ist er damit offenbar unterwegs”, schloss ich.
Kommissar Kellerman nickte. „Sobald das GPS-Signal erfasst wird, wenn er seine Kreditkarte zum Tanken benutzt, wissen wir wo er ist.”
Rudi kam nun zu uns. Er hatte den letzten Teil des Gesprächs zwischen Kommissar Kellerman und mir mitbekommen.
„Einer der Mitarbeiter sagte mir, dass er sich sehr wundern würde, dass Thalmann heute nicht ins Atelier gekommen sei.”
„Weshalb?”, fragte ich.
”Weil da bei der zu behandelnden Leichen gewisse Arbeiten durchgeführt werden müssten, die Thalmann sich immer selbst vorbehalten hat. Das Problem sei, dass dafür nur ein sehr enges Zeitfenster zur Verfügung stand, weil gewisse Chemikalien nur in diesem Zeitfenster verwendbar sind und danach erst von neuem hergestellt werden müssten.”
„Vermutlich nach Herrn Thalmanns Geheimrezept”, meinte ich.
„Das ist kein Witz, Harry. Reinhold Thalmann hält tatsächlich Patente auf etliche spezielle Chemikalien, die bei der Plastinierung Verwendung finden.”
„Also mit anderen Worten: Thalmanns Abwesenheit ist ungeplant und verursacht möglicherweise sogar vermeidbare Kosten.” Ich sah zu Mandy Zachermann hinüber, die sich ausnahmsweise ein paar Meter von mir entfernt hatte. Sie hatte ihr Handy am Ohr und wirkte ziemlich gereizt. „Ja, ja, ja”, sagte sie dreimal hintereinander und zwar auf eine Art und Weise, die nicht wie eine mündliche Bestätigung irgendeines Sachverhaltes klang, sondern wie ein Ausdruck höchster nervlicher Anspannung. „Es tut mir leid, es geht jetzt nicht. Sie werden das akzeptieren müssen. Nein, ich kann Ihnen jetzt nicht mehr sagen. Es tut mir wirklich sehr leid.” Sie beendete das Gespräch. Ihr Gesicht wirkte ziemlich ratlos.
„Es scheint, als wäre Reinhold Thalmann ein ziemlich begehrter Mann”, sagte ich. „Oder bezog sich die Anfrage, die Sie gerade beantwortet haben etwa nicht auf ihn?”
Es war ein Schuss ins Blaue. Aber ich hatte richtig gelegen. Ihr verblüffter Gesichtsausdruck verriet es mir.
„Es fällt mir schwer, in Ihrer Gegenwart höflich zu bleiben, Herr Kubinke”, sagte sie.
„Es stimmt also, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich fragen, wo Reinhold Thalmann steckt.”
„Meine Mandantin wird weder zu diesem noch zu anderen Fragen Stellung nehmen, ohne sich mit mir vorher besprochen zu haben”, dröhnte jetzt eine autoritätsgewohnte Stimme dazwischen. Sie gehörte einem eher schmächtigen Mann mit dunklem Bart und hoher Stirn im grauen Dreiteiler. In der Linken trug er einen schmalen Diplomatenkoffer.
„Wie kommen Sie hier rein?”, fragte ich.
„Durch juristisch-argumentative Überzeugungskraft und ein paar drohende Hinweise auf mögliche rechtliche Folgen, falls man mir den Zugang verwehrt. Das wirkt immer. Wer sind Sie?”
„Kriminalinspektor Kubinke, BKA. Und mit wem habe ich das Vergnügen?”
„Albrecht Christenschön von Rechtsanwälte Christenschön & Partner.”
„Vertreten Sie die Firma oder nur Mandy Zachermann?”
„Ich wüsste nicht, welchen Unterschied es da geben sollte.”
„Die Firma gehört Reinhold Thalmann. Wenn Sie ihn vertreten, könnten sich da Interessengegensätze ergeben.”
„Das lassen Sie getrost meine Sorge sein. Sie gestatten, dass ich mich mit Frau Zachermann kurz unter vier Augen kurzschließe.”
„Tun Sie das.”
Die beiden zogen sich zurück. Mandy Zachermann wirkte ziemlich aufgebracht. Ich konnte nur mutmaßen, was der Hintergrund war.
„Irgendetwas stimmt hier nicht”, hörte ich Rudi sagen.
„Wem sagst du das!”
„Du denkst dasselbe, oder?”
„Ich glaube, dass Frau Zachermann ein paar wesentliche Informationen zurückhält.”
„Und was könnte das sein?”
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich frage mich die ganze Zeit schon, welches Motiv ein Mann wie Thalmann haben könnte, die Leiche eines Gangsterbosses verschwinden zu lassen.”
„Die einzige Verbindung zwischen beiden, von der wir bisher wissen, sind diese ominösen erzkatholischen Ritter vom Weißen Kreuz”, sagte Rudi. „Aber nur weil dieser fromme Verein von streng konservativen Honoratioren Thalmann immer wieder etwas Ärger gemacht hat, sehe ich keinen Grund dafür, dass Thalmann Niko Darkovic hätte umbringen sollen.”
„Zumindest nicht aus diesem Grund.”
„Du denkst, es gab einen anderen Grund?”
Ich zuckte mit den Schultern. „Bisher wissen wir noch nicht einmal, ob die beiden sich überhaupt je begegnet sind - zu Lebzeiten, meine ich.”
„Aber eine Verbindung muss es geben.”
Der Bungalow lag direkt an der Ostsee.
Reinhold Thalmann parkte den Wagen in der Einfahrt und stieg aus.
Das Geräusch des Windes sich mit dem Geschrei von Möwen. Salzgeruch lag in der Luft und ein kühler Wind blies ihm ins Gesicht.
Thalmann blickte kurz auf die Uhr. Dann ging er zur Tür. Der Schlüssel musste sich unter einem bestimmten Stein im Beet unmittelbar neben der Tür befinden. Thalmann fand ihn und schloss auf.
Er durchquerte den Flur und trat ins Wohnzimmer.
Dann stutzte er. Auf dem Boden lag ausgestreckt ein Mann, in dessen Kopf eine Schusswunde klaffte.
„Keine Bewegung. Nicht umdrehen!”, sagte eine Stimme.
„Hören Sie, wir können über alles reden und…
„Wir werden über alles reden. Sehr ausführlich”, sagte die Stimme.
„Hören Sie, ich kriege das alles geregelt!”
„Nein, ich habe eher das Gefühl, dass Ihnen das alles über den Kopf wächst, Reinhold.”
Schweißperlen glänzten auf Reinhold Thalmanns Stirn. „Ich schwöre Ihnen, dass ich Sie auf jeden Fall aus der Sache rauslassen werde, ganz gleich, was noch daraus wird.”
„Dummerweise verlasse ich mich im Allgemeinen ungern auf andere, Reinhold.”
„Ich würde Sie nie verraten!”
„Die Zeiten, in denen ich mich auf das Wort anderer verlassen habe, sind vorbei, Reinhold. Sie sind ein feiner Kerl. Aber ich traue Ihnen nicht. Am Ende sitzt Ihnen das Hemd auch näher als die Hose.”
„Ich… ich denke, wir finden … eine Lösung.”
„Wer weiß alles noch davon? Ich muss das wissen.”
„Niemand!”
„Ich will alle Namen. Von allen, die auch nur eine Ahnung davon haben könnten was geschehen ist.”
„Und was werden Sie tun, wenn ich Ihnen die Namen gesagt habe?”
„Dann kann ich zumindest das Risiko abschätzen.”
„So wie bei ihm!”, fragte Reinhold Thalmann und deutete auf den Toten.
„Nein. Ihn hätte schon viel früher erledigen sollen. Er war genau genommen immer ein Risiko.”
Reinhold Thalmann spürte die Mündung des Schalldämpfers an seiner Schläfe. „Ich höre, Reinhold.”
Er sprach mit leicht vibrierender Stimme.
Dann fiel der Schuss. Er klang wie der Schlag mit einer zusammengerollten Zeitung. Reinhold Thalmann fiel wie ein gefällter Baum zu Boden.
„Tut mir Leid. Es hätte alles bleiben können, wie es ist - wenn dieser verdammte Unfall nicht gewesen wäre!”
Wir waren auf dem Weg zu einer Adresse in Dörendorf an der Ostsee.
Reinhold Thalmann hatte tatsächlich getankt und über die GPS-Funktion registriert worden. Außerdem hatte er sein Smartphone eingeschaltet und telefoniert.
Da das Gerät danach nicht mehr ausgeschaltet worden war, konnten wir auch seinen aktuellen Aufenthaltsort orten.
Er gehörte zu einem Bungalow in direkter Küstennähe.
„Das Haus gehört einem gewissen Mirko Antevic”, stellte Rudi unterwegs nach einer entsprechenden Anfrage fest. „Das ist insofern interessant, weil dieser Antevic Teil des Darkovic-Clans ist.”
„Was ist seine Funktion?”
„Er galt als enger Vertrauter von Niko Darkovic - und später hatte er dieselbe Funktion wohl auch bei dessen Nachfolger Boris inne.”
„Dann hätten wir zumindest endlich eine Verbindung zwischen Thalmann und den Darkovics!”
„Die Bekanntschaft mit Mirko Antevic. Aber viel ist das noch nicht.”
„Es ist ein Anfang, würde ich sagen.”
Wir erreichten das Haus am Meer. Rudi hatte mir vorher schon ein Satellitenbild der Gegend aus dem Internet gezeigt, wo das Haus in seiner prachtvollen Lage gut zu erkennen war. Es war tatsächlich eine Traumadresse. Ein idealer Ort, um am Wochenende auszuspannen.
Wir stiegen aus.
Zwei weitere Fahrzeuge folgten uns. Sie gehörten zum Fuhrpark des BKA. Kommissar Kellerman und einige weitere Kollegen begleiteten uns.
„Thalmanns Wagen steht in der Einfahrt”, stellte Kellerman fest. „Er muss also hier sein.”
Wir gingen zur Tür und klingelten. Die Kollegen verteilten sich unterdessen auf dem Grundstück, um zu verhindern, dass der Verdächtige eventuell durch die Hintertür über die Terrasse flüchtete.
Ich klingelte zum zweiten Mal, ohne, dass darauf eine Reaktion erfolgte.
Im nächsten Moment bekamen wir von Kellerman die Meldung, dass einer seiner Kommissars durch die Terrassenfenster zwei Tote im Inneren des Hauses gesehen hätte.
„Die alte Geschichte taucht wieder an die Oberfläche”, sagte Boris Darkovic.
Er hatte in einem noblen Restaurant in Börneburg platzgenommen. Vor ihm stand ein Salat und ein Glas Wasser. Lieber hätte er es gesehen, wenn da stattdessen ein saftiges Steak und ein Glas Rotwein vor ihm auf dem Tisch gewesen wären. Aber das hatte ihm der Arzt derzeit verboten. Darkovic war zu dick und stand kurz davor, zuckerkrank zu werden. Also hatte er sich wohl oder übel dafür entschieden, den Empfehlungen seines Arztes endlich einmal Folge zu leisten und konnte nur hoffen, dass es dazu nicht bereits zu spät war.
Der Mann, der ihm gegenüber saß, war physisch genau das Gegenteil von Boris Darkovic. Er war muskulös und hager. Sein Blick hatte etwas Falkenhaftes. Die Augen waren grau und ihr Blick wirkte gleichermaßen durchdringend und aufmerksam.
„Ich habe getan, was Sie gesagt haben, Herr Darkovic”, sagte er.
„Aber das wird nicht ausreichen, Frank.”
„Was schlagen Sie vor, Herr Darkovic?”
„Ich weiß es noch nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass uns die Dinge im Augenblick etwas entgleiten.”
„Es konnte niemand damit rechnen, dass so etwas passiert, Herr Darkovic.”
„Nein, das ist richtig.”
„Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf…”
„Bitte! Ich bin immer an Ihrer Meinung interessiert, Frank!”
„Sie müssen noch sehr viel härter zuschlagen, Herr Darkovic. Sonst fliegt Ihnen alles um die Ohren. Ich habe ein paar Gerüchte gehört. Es scheint, als braut sich da gerade eine Art perfekter Sturm zusammen.”
„Ich werde vorbereitet sein, wenn es soweit ist.” Er schob seinen Salat von sich und verzog das Gesicht. Frank schien etwas irritiert darüber zu sein. „Was ist? Ist irgendetwas damit nicht in Ordnung?”
„Nein, aber ich habe ehrlich gesagt keinen Appetit mehr auf einen kargen Salat, wenn man Ihnen gleich das saftige Riesensteak bringt, Frank!”
Als wir zurück nach Berlin fuhren, bekamen wir einen Anruf von Lin-Tai Gansenbrink. Da Rudi ihn über die Freisprechanlage entgegennahm, konnten wir beide mithören.
„Ich habe jetzt einen Zusammenhang zwischen Reinhold Thalmann und Niko Darkovic!”, eröffnete sie uns. „War ein bisschen kompliziert und klingt auf den ersten Blick auch vollkommen widersinnig, macht aber auf den zweiten Blick alles Sinn. Auch mathematisch gesehen.”
„Jetzt mal eins nach dem anderen, Lin-Tai! Worin besteht der Zusammenhang?”
„Es war gar nicht so leicht, das herauszufinden und ein Teil des Erfolges verdanke ich im Übrigen auch unserer Kollegin Charlotte, die sich da richtig reingehängt hat.”
Charlotte Ferretz war im Ermittlungsteam Erkennungsdienst für betriebswirtschaftliche Fragen zuständig. Das Aufspüren illegaler Geldströme war ihre Spezialität.
Ich ahnte daher bereits, worauf Lin-Tais Neuigkeiten hinauslaufen konnten.
„Heißt das, Thalmann war mit dem Darkovic-Clan irgendwie wirtschaftlich verflochten? Das würde nämlich zu der Tatsache passen, dass Reinhold Thalmann heute zusammen mit Mirko Antevic, einem bekannten Mitglied dieses Clans, tot in einem Ferienhaus an der Ostsee gefunden haben.”
„Oh”, entfuhr es Lin-Tai. „Das ergibt in der Tat ein stimmiges Gesamtbild. Es ist nämlich so, dass Reinhold Thalmanns Projekt maßgeblich von einer Stiftung finanziell unterstützt wurde, die wiederum über mehrere Ecken unter der Kontrolle des Darkovic-Clans stand. Man hat sich zwar alle Mühe gegeben, das gut zu verbergen, aber die Sache ist eindeutig. Da ist kaum noch ein Zweifel möglich.”
„Ich dachte, Niko Darkovic ist Mitglied dieser ultrakonservativen katholischen Vereinigung, die Thalmann immer öffentlich kritisiert hat”, mischte sich Rudi ein.
„Ja, deswegen ist die jüngste Erkenntnis, die Charlotte und ich gewonnen haben, auch eine faustdicke Überraschung. Auf den ersten Blick zumindest! Das war es, was ich in meinem Eingangsstatement andeuten wollte!”
„Erklären Sie mir das mal genauer, was Sie meinen!”
„Es handelt sich um eine Tarnung, Rudi. Zumindest würde das Sinn machen.”
„Tarnung? Wofür?”, hakte Rudi nach.
„Für Geldwäsche. Diese Stiftung, von der ich gerade sprach, diente der Geldwäsche. Ich denke, dass es Niko Darkovic darum ging, seine Beziehungen zu dieser Stiftung möglichst wirksam zu verschleiern. Oder man kann es auch umgekehrt sehen: Niemand würde auf die Idee kommen, dass ein strenggläubiger Katholik, der den Rittern vom Weißen Kreuz angehört, die sich massiv in der Öffentlichkeit gegen das Plastinierungsprojekt von Reinhold Thalmann positioniert haben, ausgerechnet dieses Projekt zur Geldwäsche nutzt.”
„Da ist was dran”, meinte ich.
„Wir wollten es ja auch erst kaum glauben”, fuhr Lin-Tai fort. „Übrigens ist die Unterstützung des Projekts unter dem Einfluss von Nikos Nachfolger, seinem Neffen Boris, einfach fortgesetzt worden. Genau genommen wurden die Summen sogar noch größer. Die Ausstellungen waren zwar ein spektakulärer Erfolg, aber andererseits hat Thalmann auch Unsummen ausgegeben, um neue Plastinierungsverfahren zu entwickeln und dergleichen mehr. Davon abgesehen ist das ganze mit einem personellen und technischen Aufwand betrieben worden, der so dimensioniert ist, dass man große Gewinne wohl vergeblich suchen wird.”
„Typische Merkmale für Geschäfte, die der Geldwäsche dienen”, meinte Rudi.
„Jedenfalls lässt sich sagen, dass Reinhold Thalmann offenbar fast grenzenlose finanzielle Ressourcen in sein Projekt stecken konnte und zweitens dass eine Verbindung zwischen ihnen bestand. Dass er zusammen mit diesem - wie hieß er noch?”
„Mirko Antevic”, sagte ich.
„Nun, das ist natürlich die zweite Verbindung. Ich werde der mal nachgehen und versuchen herauszufinden, was die Hintergründe sind.”
„Gerne, Lin-Tai. Was würden wir nur ohne Ihre Unterstützung machen?”
„Können Sie mir noch irgendwelche Angaben dazu machen? Die Verknappung von Information kann durchaus den Reiz der gestellten Aufgabe erhöhen, aber in diesem Fall muss das meinetwegen nicht unbedingt sein.”
„Die Daten schicken wir Ihnen”, versprach ich. „Ein Kollege Berlin bringt Ihnen außerdem heute noch die Handys von Antevic und Thalmann. Möglicherweise lässt sich aus den Daten noch etwas entnehmen.”
„Das wäre ein guter Anfang”, sagte Lin-Tai.
„Davon abgesehen konnten wir folgendes ermitteln: Der Bungalow, der zu der Adresse an der Ostsee gehört, ist im Besitz von Antevic. Es hat, wie die Kollegen feststellen konnten, ein kurzes Telefongespräch zwischen Antevics Handy und dem Festnetzanschluss von Reinhold Thalmanns Privatwohnung gegeben. Und zwar ziemlich früh am Morgen.”
„Den Inhalt können Sie vermutlich nicht mitteilen”, meinte Lin-Tai.
„Wir nehmen an, dass die beiden sich in Antevics Bungalow verabredeten”, ergriff Rudi das Wort. „Es muss einen ziemlich wichtigen Anlass dafür gegeben haben, denn Thalmann entschied sich daraufhin offenbar, nicht zum Atelier zu fahren.”
„Atelier?”, echote Lin-Tai.
„So nannte Thalmann die Arbeitsräume, in denen die Plastinate entstanden sind”, erklärte ich.
„Ja, ich glaube, ich habe ihn mal im Fernsehen darüber sprechen hören, dass er seine Arbeit als Kunst betrachten würde”, sagte Lin-Tai. „Insofern passt der Begriff. Zumindest, wenn man Thalmanns Sicht in dieser Frage teilt.”
„Jedenfalls war ihm das Treffen mit Antevic so wichtig, dass es ihm anscheinend gleichgültig war, dass ein paar schwierig herzustellende Chemikalien sich zersetzen und unbrauchbar werden würden, wenn sie nicht innerhalb eines engen Zeitfensters verbraucht würden.”
„Es muss irgendetwas passiert sein, was diese Reaktion ausgelöst hat”, mischte sich Rudi ein.
Wir besuchten Frau Antevic, die Witwe des Toten, den wir zusammen mit Reinhold Thalmann in dem Bungalow in Dover gefunden hatten.
Reinhold Thalmann hatte keine Angehörigen, mit denen er derzeit zusammenlebte. Seine Frau hatte sich vor mehr als einem Jahr von ihm scheiden lassen und Kinder hatte er nicht gehabt. Insofern gab es da im Moment auch niemanden, dessen Befragung uns irgendwie hätte weiterbringen können, zumal die Kollegen aus dem BKA-Büro Berlin auch ermittelt hatten, dass sich Thalmanns geschiedene Frau derzeit auf Reisen im Ausland befand.
Aber vielleicht konnte uns ja Antevics Witwe dabei helfen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Ein von Kommissar Kellerman hatte Frau Antevic bereits darüber informiert, dass ihr Mann tot war. Insofern blieb uns zumindest diese traurige Pflicht erspart.
Die Villa der Antevics befand sich im äußeren Speckgürtel um die Hauptstadt Berlin.
„Mein Name ist Kriminalinspektor Kubinke”, sagte ich, als sie uns in einem weitläufigen Wintergarten empfing, von dem aus man einen freien Blick auf die parkähnlichen Gartenanlagen hatte. Ich zeigte ihr meinen Ausweis und deutete dann auf Rudi. „Dies ist Kriminalinspektor Meier.”
„Sie beide sind mir schon angekündigt worden”, sagte Frau Antevic in einem Tonfall, der einerseits von Herablassung und Stolz geprägt war, andererseits aber auch deutlich machte, wie mühsam sie darum bemüht war, die Fassung zu bewahren.
„Bevor wir Ihnen unsere Fragen stellen, möchte ich betonen, dass uns der Tod Ihres Mannes sehr leid tut”, sagte ich. „Und ich verspreche Ihnen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um den Fall aufzuklären und den Täter zu finden.”
„Ich habe ich nie in die Geschäfte meines Mannes eingemischt”, sagte Frau Antevic. „In diesem Punkt herrscht bei uns eine strikte Trennung. Aber nach meinem Eindruck, konnte sich mein Mann nie eines besonders freundlichen Verhältnisses zur Polizei erfreuen.”
„Das liegt vielleicht an den Geschäftszweigen, in denen Ihr Mann tätig war”, sagte Rudi.
Sie wandte den Kopf in Rudis Richtung und hob das Kinn. „Das liegt vielleicht auch an einer gewissen Voreingenommenheit, um es mal vorsichtig auszudrücken! Ich würde da durchaus von juristischer Verfolgungswillkür und Schikane sprechen.”
„Frau Antevic, wir sind niemandem gegenüber voreingenommen. Und ganz gleich, wie Kollegen die Legalität der Geschäfte einschätzen, die Ihr Mann betrieben hat: Niemand hatte das Recht, ihn zu ermorden und Sie können sicher sein, dass wir denjenigen zur Rechenschaft ziehen werden - ohne Ansicht der Person.”
„Wir werden sehen”, sagte Frau Antevic. „Was wollen Sie wissen?”
„Ihr Mann wurde zusammen mit Reinhold Thalmann in Ihrem Bungalow an der Ostsee ermordet.”
„Darüber hat man mich informiert.”
„Unseren Erkenntnissen könnte sich Ihr Mann mit Herr Thalmann dort verabredet haben. Wissen Sie etwas darüber?”
„Nein. Er hat nur gesagt, dass er nochmal weg müsste. Dass er an die Ostsee gefahren ist, wusste ich nicht. Darüber haben wir nicht gesprochen.”
„Er hat nachweislich mit Thalmann am Morgen telefoniert.”
„Davon weiß ich nichts. Sehen Sie mein Mann ist - war - geschäftlich immer stark eingespannt. Es hat ihn immer irgendwer wegen irgendetwas angerufen. Aber das habe ich nur beiläufig zur Kenntnis genommen.”
„Kennen Sie Herrn Thalmann?”
„Ich weiß, dass er regelmäßig unser Haus in Dover genutzt hat. Für ein Wochenende oder auch länger.”
„Wie kam es dazu?”
„Mein Mann hat es ihm angeboten.”
„Bestanden geschäftliche Beziehungen zwischen Ihrem Mann und Herrn Thalmann?”
„Das weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen. Aber Reinhold Thalmann war ein paarmal bei uns zum Essen und auf einem Gartenfest, das wir hier gegeben haben. Er ist mir gut in Erinnerung geblieben, weil er viel über seine Arbeit gesprochen hat. Ich habe mich auch mit ihm darüber unterhalten und fand es hochinteressant. Wissen Sie, das ist natürlich eine zwiespältige Sache. Einerseits vermittelt Reinhold Thalmann durch sein Plastinierungsprojekt einzigartige Einblicke in den menschlichen Körper und seine Funktionsweise. Andererseits…” Sie stockte und sprach nicht weiter.
„Andererseits was?”, hakte ich nach.
Sie hob die Schultern. „Jedenfalls würde ich meinen Körper nach dem Tod nicht dafür zur Verfügung stellen. Soviel, steht für mich fest.”
„Sagt Ihnen der Name Niko Darkovic etwas?”
„Ja, aber das ist schon lange her.”
„Ich nehme an, dass auch er mal Gast in Ihrem Haus war.”
„Das ist schon möglich. Ich glaube, Sie sprechen von einem Geschäftsfreund meines Mannes. Und aus den Geschäften habe ich mich, wie ich Ihnen gegenüber ja nun schon mehrfach betont habe, heraus.”
„Ich verstehe.”
„Vielleicht sollte ich in Bezug auf Niko Darkovic sagen: ein ehemaliger Geschäftsfreund meines Mannes, denn ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren von ihm gehört zu haben oder dass auch nur sein Name erwähnt worden wäre. Lebt er nicht im Ausland? Ich meine, ich habe so etwas gehört…”
„Er wurde vor Jahren ermordet”, eröffnete ich ihr. „Und Reinhold Thalmann hat seine Leiche in plastinierter Form ausgestellt.”
„Oh”, murmelte Frau Antevic.
„Wer wusste davon, dass Ihr Mann zum Bungalow an der Ostsee fahren wollte? Wer könnte davon gewusst haben, dass er sich mit Reinhold Thalmann treffen wollte?”, stellte ich die nächste Frage.
„Ich habe wirklich keine Ahnung. Von dem Treffen wusste nicht einmal ich etwas und ich habe keine Ahnung, wen er davon informiert haben könnte.”
„Hat Ihr Mann in letzter Zeit erwähnt, dass er Feinde hat?”, fragte nun Rudi. „Jemand, der ihm nach dem Leben trachtet, ihn bedrohte, was weiß ich?”
„Nein. Wir sind friedliche Leute und mein Mann wurde überall als Partner und Geschäftsmann geschätzt.”
„Keine Feinde?”, vergewisserte ich mich.
„Ich wüsste nicht, was ich dazu noch sagen sollte.”
Wir verließen das die Antevic-Villa ziemlich ernüchtert. „Sie hat angeblich nichts mit den Geschäften zu tun”, wiederholte Rudi ihre Aussage. „Ich hatte manchmal das Gefühl, dass dies der wichtigste Punkt für sie war! So, als wollte sie damit bereits irgendwelchen juristischen Angriffen vorbeugen, die noch auf sie zukommen könnten.” Mein Kollege schüttelte energisch den Kopf, während er die Beifahrertür des Dienst-Porsches öffnete. „Kannst du dir wirklich vorstellen, dass eine Frau, die in so einer Villa ein Leben im Luxus führt, sich wirklich niemals die Frage stellt, woher das ganze Geld dafür eigentlich kommt?”
„Vielleicht will sie das gar nicht so genau wissen”, erwiderte ich.
„Oder sie weiß es sehr genau und hat nur Angst davor, dass wir es herausfinden.”
Ich setzte mich ans Steuer und startete den Motor. Wenig später waren wir wieder auf der Straße und fuhren in Richtung Hauptpräsidium.
„Wir wissen jetzt auf jeden Fall, dass Reinhold Thalmann offenbar enge, auch private Kontakte zu einem wichtigen Mitglied des Darkovic-Syndikats unterhielt. Das verändert in meinen Augen völlig die Ausgangslage.”
„Du glaubst, es gab ein privates Motiv?”
„Das habe ich nicht gesagt. Aber wenn du den Mord an Niko Darkovic mal nüchtern betrachtest, dann könnte da schon eine persönliche Note drin sein: Das Opfer wurde maximal bloßgestellt.”
„Der Betreffende musste seine Freunde allerdings im Stillen genießen.”
„Das ist manchmal so, Rudi.”
„Hältst du es für möglich, dass Niko Darkovic von Reinhold Thalmann ermordet wurde?”
„Ausschließen würde ich das nicht.”
„Da fehlt uns dann allerdings noch das Motiv - sei es nun persönlich oder nicht.”
„Das ergibt sich vielleicht aus den Verflechtungen zwischen dem Darkovic-Clan und Reinhold Thalmann.”
„Den geschäftlichen oder den privaten Verflechtungen?”
„Vielleicht eine Kombination aus beidem, wer weiß.”
Wir hatten das Hauptpräsidium schon fast erreicht, als mir noch etwas anderes einfiel.
„Wir sollten uns Mandy Zachermann nochmal vorknöpfen, Rudi.”
„Nichts dagegen. Wenn du einen speziellen Ansatzpunkt hast?”