Du darfst nicht alles glauben, was du denkst - Kurt Krömer - E-Book
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Du darfst nicht alles glauben, was du denkst E-Book

Kurt Krömer

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Beschreibung

»Ich war dreißig Jahre depressiv. Ich muss damit leben. Und ich habe keinen Bock, das zu verheimlichen.« Kurt Krömer ist einer der beliebtesten und bekanntesten Komiker des Landes. In seiner Sendung »Chez Krömer« sprach er offen über seine schwere Depression und seine Zeit in der Tagesklinik und hat damit Millionen von Menschen erreicht. Alexander Bojcan ist 47 Jahre alt, trockener Alkoholiker, alleinerziehender Vater und er war jahrelang depressiv. Auf der Bühne und im Fernsehen spielt er Kurt Krömer. Er will sich nicht länger verstecken. »Du darfst nicht alles glauben, was Du denkst« ist der schonungslos offene und gleichzeitig lustige Lebensbericht eines Künstlers, von dem die Öffentlichkeit bisher nicht viel Privates wusste. Alexander Bojcan bricht ein Tabu und das tut er nicht um des Tabubrechens willen, sondern um Menschen zu helfen, die unter Depressionen leiden oder eine ähnliche jahrelange Ärzteodyssee hinter sich haben wie er selbst. Dieses Buch wirbt für einen offenen Umgang mit psychischen Krankheiten und ist gleichzeitig kein Leidensbericht, sondern eine komische und extrem liebenswerte Liebeserklärung an das Leben und die Kunst. Ein großes, ein großartiges Buch. »Und ab dafür«, würde Kurt Krömer sagen.

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Seitenzahl: 220

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Kurt Krömer

Du darfst nicht alles glauben, was du denkst

Meine Depression

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Kurt Krömer

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Kurt Krömer

Kurt Krömer, alias Alexander Bojcan, wurde 1974 geboren und ist Komiker und Schauspieler. Er ist vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis. Seine Sendung »Chez Krömer« wurde millionenfach geguckt. Kurt Krömers Podcast »Feelings« ist einer der meistgehörten Podcasts des Landes. Sein Buch »Du darfst nicht alles glauben, was du denkst« war länger als ein Jahr in den Top 20 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde das meistverkaufte Sachbuch des Jahres 2022.

 

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Über dieses Buch

Das Buch

Kurt Krömer ist einer der beliebtesten und bekanntesten Komiker des Landes. In seiner Sendung »Chez Krömer« sprach er offen über seine schwere Depression und seine Zeit in der Tagesklinik und hat damit Millionen von Menschen erreicht. Er bricht ein Tabu, und das tut er nicht um des Tabubrechens willen, sondern um Menschen zu helfen, die unter Depressionen leiden oder eine ähnliche jahrelange Ärzteodyssee hinter sich haben wie er selbst. Ein großes, ein großartiges Buch.

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Teil 1

Das Outing

Kalter Entzug

Der Zusammenbruch

»Die Karriere von Kurt Krömer ist vorbei«

Und dann war ich impotent

Der Papst trägt Gucci

Mein Tod

Micha ist tot

Chez Krömer

Die Kinder

Kartoffeln mit Spinat

Ich kann das alles nicht

Papa ist die beste

Warum das alles?

Teil 2

Die Klinik

Die große Feier, der große Urlaub

Die Maniküre und ich

Probleme, Probleme

Privat

Karriere 2.0

Teil 3

Identitätskrise

Der Urlaub

Anhang

Für meine Kinder

Teil 1

Das Outing

Torsten Sträter hatte recht. Nach der Folge meiner Fernsehsendung »Chez Krömer«, in der wir über unsere Depressionen gesprochen haben, sagte er im Backstage zu mir: »Jetzt stell dich mal auf einen Tsunami an Nachrichten ein. Du wirst Monate brauchen, um alle Nachrichten zu beantworten, wenn du es überhaupt schaffst.« Ich wollte das gar nicht glauben. Ich habe ihn komisch angeguckt und dachte nur: »Na, Diggi, jetzt übertreib mal nicht. So zwanzig, dreißig Mails werden mich da schon erreichen, aber das kann man ja dann gut abschieben auf das Management.«

Was dann passierte, war aber wirklich unfassbar. Es war wie eine Atombombe, aber niemand musste sterben, eine positive Atombombe. Ein positives Strahlen. Die Atombombe geht hoch und alle freuen sich, sind happy und merken abends, dass sie im Dunkeln leuchten.

Ich weiß noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als ich aus der Sendung rausgegangen bin. Wir haben pandemiebedingt ohne Publikum aufgenommen, da war also keiner, der irgendwas mitbekommen hat. Torsten war da, ich war da, das Team vom rbb war da und das alles hat sich angefühlt wie ein Coming-out. Ich weiß bis heute nicht, ob ich das überhaupt so nennen darf, ob ich mich mit jemandem vergleichen darf, der homosexuell ist, auf dem Dorf lebt, seine Homosexualität über Jahre versteckt hat und sich dann outet. Ob das mit der Gewalt, die da auf dich einwirkt, vergleichbar ist. Ich bin nicht schwul, aber ich kann mich so gut in die Situation reinversetzen, dass man etwas mit sich rumträgt, was keiner wissen darf, dass man eine Geschichte hat, die man den anderen nicht erzählt. Dass man lügt.

 

Die Lieblingsfrage des Depressiven ist natürlich »Wie geht’s dir?«. Ich habe einfach immer gesagt, dass es mir gut geht. Aber genau so wurde ich auch erzogen, man darf eben nicht klagen. Selbst wenn man mit einem Kopfschuss rumrennt, hätte man niemals gesagt: »Mir tut der Kopf weh«, sondern: »Mir geht es gut. Und dir?« Und dann hätte man abgewartet, bis das Gegenüber sagt: »Mir auch.« Und dann wäre man im Gespräch. Ich habe also eine Art Doppelleben geführt. Einerseits die traurige, depressive, verzweifelte Seite, von der ich ja jahrelang überhaupt nicht wusste, wo das herkommt, was mit mir los ist. Ich habe darüber nie gesprochen, mit keinem, weil ich wie so viele dachte: »Na ja, mir geht’s ja gut. Ich habe ja alles. Ich habe vier gesunde Kinder, ich habe ein großes Haus, ich habe einen Garten, Karriere läuft, Kohle ist vorhanden. Da darf ich doch jetzt nicht klagen. Anderen geht’s viel schlechter als mir.« Vielleicht muss ich da mal mit meinen schwulen Freunden drüber reden, ob ich das Coming-out nennen darf, denn für mich fühlt es sich genauso an.

Als ich nach der Sendung aus dem Studio kam, da setzte dieser Effekt schon ein, ich lief durch Berlin, erhobenen Hauptes, strahlend, und habe diesem Gefühl gefrönt, ich dachte: »Yes, mir geht’s gut und euch so?« Es fühlte sich in diesem Moment so an, als müsste jeder schon Bescheid wissen über mich. Ich hatte mit Torsten Sträter im Fernsehen über meine Depression gesprochen, also müssten jetzt acht Milliarden Menschen auf der Erde wissen: Der hatte Depressionen und ist jetzt geheilt.

Und als die Folge dann wirklich ausgestrahlt und besagte Atombombe gezündet wurde, da wurde mir erst richtig klar, was da eigentlich passiert ist. Es waren ungelogen Tausende von Nachrichten in Form von E-Mails, sogar handschriftlich geschriebenen Briefe, meine Facebook-Seite ist explodiert, die Instagram-Seite ist explodiert, sodass ich wirklich Wochen, Monate dafür gebraucht habe, um mir das alles durchzulesen. Anfangs habe ich noch versucht zu antworten: »Danke für den Glückwunsch«, aber ich habe schnell gemerkt, dass mit diesem Glückwunsch auch immer noch etwas anderes verbunden war, nämlich: »Ich kenne das auch!« Es waren viele Hilferufe dabei, bei denen ich dachte: »Ach du Scheiße, das kann ich jetzt nicht managen.« Ich bin ja kein Therapeut und auch kein Arzt. Das erinnerte mich an Klaus Jürgen Wussow, den Dr. Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik, der als Privatperson wirklich auf der Straße angesprochen wurde, die Leute haben ihm von ihren Wehwehchen erzählt: »Mir tut das Knie weh, was können wir da machen?« Hat der dann wirklich Diagnosen ausgesprochen? Hätte nur noch gefehlt, dass er sagt: »Komm mal morgen in die Schwarzwaldklinik.« Das wollte ich nicht und das will ich jetzt eigentlich immer noch nicht. Deswegen ist mir ganz wichtig, dass alle wissen: Ich bin kein Therapeut, ich bin kein Arzt, ich kann keine Diagnosen stellen – Gott bewahre –, sondern ich möchte einfach meine Geschichte erzählen.

 

Ich habe gemerkt, dass du, wenn du jetzt depressiv sein solltest oder wenn du mal depressiv warst, dich in dem, was ich sage oder was ich hier schreibe, spiegeln kannst. Dann denkst du vielleicht: »Oh, das ist ja bei mir genauso.« Vielleicht weißt du noch gar nicht, dass du depressiv bist und jetzt läuten bei dir die Glocken, wenn ich von meinen Symptomen erzähle: Schlafschwierigkeiten, Gereiztheit, Antriebslosigkeit und dann natürlich immer diese schwarze Wolke über dem Kopf, diese emotionale Leere. Ich nenne dir dafür mal ein Beispiel: schöne Situation, du bist mit deiner Freundin/deinem Freund am Rumturteln und die Freundin/der Freund sagt: »Ich liebe dich«, und du merkst, das kommt gar nicht bei dir an. Für dich ist das einfach ein Spruch, als würde jemand sagen: »Guck mal, da liegt ein Stück Holz.« Du hast keine Emotionen in dir.

Und das ist die Grundidee dieses Buches, dass ich meine Geschichte aufschreibe und Menschen sich darin vielleicht wiederentdecken. Vielleicht gibt dieses Buch ihnen sogar einen kleinen Anschubser, vielleicht denken sich Menschen dadurch: »Ey, die Symptome kommen mir bekannt vor, habe ich auch schon seit Jahren, gehe ich doch mal zum Arzt.«

Mich hat das ehrlich gesagt komplett überrannt, dass sich auf einmal so viele Leute gemeldet haben, das waren ja Tausende Menschen, die geschrieben haben: »Ey, das sind die Symptome, die ich auch schon seit Monaten oder Jahren habe.« Und ich hatte natürlich große Angst, wenn sich Menschen gemeldet haben, bei denen es wirklich schon kritisch war, also Leute, die schrieben: »Ich habe keine Lust mehr zu leben.« Das hat mich fix und alle gemacht. Ich habe dann natürlich geantwortet und abgecheckt, ob sie jemanden haben, der bei ihnen ist, den sie ansprechen könnten. Ist ja klar, dass Selbstmordgedanken auf akute Schwierigkeiten hinweisen und man das auf gar keinen Fall unterschätzen darf. Wenn jemand äußert, dass er nicht mehr leben möchte, dann muss man diesen Menschen eigentlich sofort in die nächste Klinik zerren. Die Kliniken und Notaufnahmen sind auf diesen Fall eingestellt, da darf man keine Angst haben, jemand könnte sagen, man sei fehl am Platz. Genauso bei der Telefonseelsorge: Das sind Menschen, die professionell ausgebildet sind, die Ahnung haben, die auch die jeweiligen Adressen und Telefonnummern parat haben. Aber ich? Ich habe nicht mal einen Anrufbeantworter und dachte dann manchmal: »Scheiße, wenn sich jetzt jemand am Montag meldet mit akuten Selbstmordgedanken und ich checke aber mein Insta erst am Donnerstag, dann ist es vielleicht schon zu spät.« Das war für beide Parteien irgendwie ungünstig. Ich kann nicht akut helfen, alles, was ich kann, ist meine Geschichte erzählen.

Kalter Entzug

Ein junger Mann, Student, hat mir über Instagram eine Sprachnachricht geschickt und gesagt, er habe ein massives Alkoholproblem, er trinke drei Flaschen Wodka in der Woche und merke, dass das nicht gut sei. Er wollte davon wegkommen. Ich war zu dem Zeitpunkt, als ich seine Nachricht abhörte, selbst gerade beim Arzt und fragte mich dann, ob ich jetzt den Arzt für den Studenten um Hilfe bitten sollte. Aber eigentlich wusste ich ja nur zu gut, wie diese Hilfe aussah. Ich bin selbst seit zehn Jahren trockener Alkoholiker. Ich hatte damals selbst panische Angst vor der Klinik. Ich hatte mir eine Therapeutin gesucht, weil ich damals dachte: »Ey, mit mir stimmt doch irgendwas nicht!« Unsere Termine waren immer morgens um zehn und als ich zu meinem zweiten Termin in die Praxis kam, fragte mich die Therapeutin: »Herr Bojcan, sagen Sie mal, haben Sie denn heute schon was getrunken?« Das war ein Schock, ich war entsetzt und dachte: »Was soll denn das? Ist ja wohl eine Unverschämtheit. Ich bin doch kein Alkoholiker.« Dann habe ich gemerkt, dass der Alkohol vom Vorabend noch in mir drin ist, dass mein Körper noch ausdünstet, dass ich aus den Poren heraus anscheinend nach Alkohol stinke. Das war der Beginn dieser Therapie, zu der ich gegangen war, weil ich dachte, irgendwas Psychisches werde ich schon haben. Doch die Therapeutin meinte, wir müssten uns jetzt eigentlich erst mal um diese Alkoholgeschichte kümmern.

 

Ich war nämlich mal in einer dieser Kliniken. Mein damaliger Manager hatte mich völlig desolat in eine Klinik außerhalb Berlins eingeliefert, ich war einfach komplett zusammengebrochen. Ich wusste, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, ich musste mich einweisen lassen. Nach fünfzehn Minuten in dieser Klinik bekam ich eine Panikattacke. Mein Zimmer im Erdgeschoss war ganz klein, kleines Bettchen, Fernseher, kleiner Tisch, Stuhl, durch das Fenster konnte man einen Birkenwald sehen. Die Birken waren aber wirklich fünfzig Zentimeter vom Fenster entfernt und das fand ich total gruselig. Heute könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als mal abzuschalten und in so einen schönen Birkenwald zu schauen, aber damals fühlte ich mich wie bei »Hänsel und Gretel« und dachte, die Hexe lauert in den Birken. Ich habe es jedenfalls nicht ausgehalten, ich bin geflüchtet. Ich hatte Angst.

 

In der dritten Sitzung bei der Therapeutin fragte ich: »Sagen Sie mal, wie lange braucht der Körper eigentlich, um zu entziehen?« Und sie antwortete, es dauere ungefähr zehn Tage. Und dann habe ich einen Plan gefasst: »Passen Sie auf, ich habe jetzt frei, zu Hause ist niemand für die nächsten zwei Wochen. Ich gehe jetzt nach Hause, schließe mich zehn Tage in meine Wohnung ein und werde entziehen. Und wenn ich nach zehn Tagen wiederkomme und es nicht geschafft habe oder rückfällig geworden bin, dann ist der letzte Ausweg die Entzugsklinik.« Und ich habe es durchgezogen.

In den ersten drei Tagen wartete ich die ganze Zeit auf dieses Zittern, darauf, dass der Körper irgendwie rebelliert, dass er Alkohol fordert. Ich hatte mir das genauso vorgestellt wie in den schlechten Filmen, in denen sich die Leute auf dem Boden wälzen und schreien: »Gib mir Alk, gib mir Alk!« Darauf wartete ich also und zu meiner großen Verwunderung ist nichts passiert. Am vierten oder fünften Tag allerdings habe ich die Nacht durchgemacht und erst am nächsten Mittag Müdigkeit verspürt. Als ich dann schlafen wollte, dachte ich immer noch: »Boah, du bist hellwach.« Das war dann wohl die Psyche. Die Psyche hat Alkohol gefordert. Die Psyche war komplett am Arsch. Ich habe es dann geschafft, die zehn Tage durchzuhalten, und dann ging die Therapie eigentlich erst los. Das war mein Versuch, gegen den Alkohol anzustinken, einmal die Woche zur Gesprächs- und Verhaltenstherapie, ein Jahr lang. Heute bin ich stolz, dass ich seit zehn Jahren trocken bin.

Als sich der Student über Instagram bei mir meldete, dachte ich: Dieses Wissen, das kann ich jetzt weitergeben. Und gleichzeitig bin ich kein Arzt, ich kann nur Tipps geben. Genau das habe ich ihm in einer Sprachnachricht erklärt. Er hat sich geschämt und musste in seiner nächsten Nachricht dann auch weinen. Und während ich das hier schreibe, muss ich auch weinen, weil die ganze Scheiße gerade wieder hochkommt. Der erste Tipp, den ich ihm gegeben habe, lautete in etwa so: »Weißt du, Diggi, das ist eine Krankheit. Du musst das als Krankheit verstehen und dann schämt man sich auch nicht.«

Aber ich weiß auch noch genau, wie oft ich mich geschämt habe, weil ich mich im Delirium befunden hatte. Bei einer Veranstaltung in Hannover, das war so eine Gala-Scheiße, ist mir das mal passiert, in einer sehr extremen Form. Bei uns Künstlern ist das so: Wenn die Industrie dich zu einer Gala-Veranstaltung einlädt, dann gibt es richtig Asche. Die überschütten dich mit Kohle und dann musst du da halt antanzen und deine Faxen machen. Und das habe ich eben gemacht an diesem Tag. Um zwölf Uhr mittags wurde ich von einem Fahrer abgeholt, weil ich ja selbst keinen Führerschein habe, und wir fuhren Richtung Hannover. Ich habe mich innerlich so gegen diesen Auftritt gewehrt, fand alles scheiße und dachte: »Boah, du bist so eine Nutte, du lässt dich hier bezahlen und jetzt musst du hier aus ’ner Torte springen und die Leute sind ekelig und du hast da keinen Bock drauf … machst du für Kohle eigentlich alles?« Und dann hatte ich mir eben bis zwölf Uhr mittags schon drei Augustiner Pils gegönnt, und noch bevor der Fahrer kam, ging ich noch mal zum Späti und kaufte mir für die Fahrt zwei weitere Flaschen. Also hatte ich um ein Uhr mittags einfach schon fünf Bier intus. Es war die Veranstaltung einer großen Autofirma, die dazu Prominente eingeladen hatte. Man musste nichts machen, einfach nur rumstehen und anwesend sein. Ich habe mich gefreut, als ich sah, dass es einen Bierstand gab, an dem das Bier in ganz kleinen Gläsern ausgeschenkt wurde. Für einen Alki ist das natürlich das Schönste, was es gibt. Nach fünf Sekunden ist das Ding leer und die Bierquelle versiegt nie. Also habe ich mich von diesem Stand nicht wegbewegt. Ich war an diesem Abend so besoffen, dass ich zu meinem Fahrer gesagt habe, dass er mich nach Berlin fahren soll, wir vorher nur noch kurz zum Hotel müssten. Dann hat er mich bis zum roten Teppich des Hotels gefahren, wo ich gestürzt und auf diesen Teppich geknallt bin und dann lag ich wohl auch lange so da, wie mir erzählt wurde. Keiner wusste, was los war. Als ich am nächsten Tag wach wurde, war die Bettdecke voller Blut. Das ganze Bett war rot. Ich hatte sofort Panik. Ich dachte, ich hätte jemanden umgebracht. Ich habe links und rechts neben das Bett geguckt, weil ich dachte, da liegt doch jetzt einer. Und das war das schrecklichste Erlebnis meines Lebens. Gott sei Dank hatte ich am nächsten Morgen Therapie.

Das war dann die Sitzung, in der mich meine Therapeutin darauf angesprochen hat, ob ich etwas getrunken habe. Nach der Therapie musste ich zu einer Synchronaufnahme für »Die Sendung mit der Maus«. Mein Kumpel Jakob Hein und ich hatten ein Kinderbuch geschrieben: »Gute Nacht, Carola«. »Die Sendung mit der Maus« hat daraus einen Zeichentrickfilm gemacht und ich sollte den Sprecher geben. Ich war im Vorfeld megastolz gewesen, dass ich das machen durfte. Aber an diesem Tag habe ich mich nur geschämt. Ich kam mir so erbärmlich vor, dass ich für kleine Kinder etwas einspreche und nach Alkohol stinke und schwitze wie ein Schwein, dass ich blasse Haut hatte und Augenringe. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt beim Einsprechen. Ich konnte mich also gut in den Studenten reinversetzen, konnte das sehr gut nachvollziehen, was er mir erzählte. Das Erste, was mir meine Therapeutin gesagt hatte, war: »Herr Bojcan, Sie dürfen sich nicht schämen, Sie müssen das als Krankheit annehmen.«

Der Zusammenbruch

So, jetzt denkst du bestimmt beim Lesen: »Warum redet der denn jetzt hier über Alkoholsucht? Ich habe mich doch so auf ein schönes, unterhaltsames Depressionsbuch gefreut.« Als ich 2020 für acht Wochen in einer ambulanten Klinik war, um meine Depressionen behandeln zu lassen, hatte ich eine Erkenntnis: der Alkohol war dazu da gewesen, die Depression wegzuschieben. Ich habe quasi mit Alkohol versucht, die Depression zu ertränken. Das hat auch wunderbar geklappt, nur dass ich dann auf einmal zwei Probleme hatte: Depression und Alkoholsucht. Diese Kombination hat dann 2009 erstmals zum kompletten Zusammenbruch geführt. Ich war zur ARD-Weihnachtsfeier in München eingeladen. Ich hatte mich darauf gefreut, alle Kolleginnen und Kollegen zu sehen und eine gute Zeit in München zu haben. Mein Hotel war zentral gelegen, in der Nähe war der Stachus, ein Platz, der in eine große Einkaufsstraße mündet, in der Nähe von Rathaus und Marientor. Es war Anfang Dezember und Tausende von Menschen sind mir in dieser Einkaufsstraße entgegengekommen. Und obwohl es sehr kalt war, habe ich angefangen zu schwitzen. Ich spürte, dass ich leichenblass aussehen musste. Ich bekam nicht mehr richtig Luft und hatte das Gefühl, ich würde jeden Moment umkippen. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich sterben würde. Ich dachte, ich falle jetzt zu Boden, werde ohnmächtig und das geht dann in den Tod über. »Oh Gott, was passiert eigentlich, wenn da einer hinfällt? Denkt man dann, den lassen wir mal liegen, der ist besoffen? Oder kommt dann sofort einer, der hilft?«, dachte ich wieder und wieder. Ich stellte mir die Szene immer wieder vor und steigerte mich immer weiter in die Angst rein, gleich zu sterben, ohne dass jemand mir helfen könnte. Und auf einmal habe ich angefangen laut zu singen. Es war mir egal, ob das einer mitbekommen würde, ich konnte mich sowieso nur auf mich konzentrieren in diesem Moment. Ich habe laut gesungen, weil ich mich wach halten wollte. Mein Hals hat sich mehr und mehr zugeschnürt und die Menschenmenge um mich herum hat mich in eine solche Panik versetzt, dass ich versucht habe, in irgendeine Seitenstraße abzutauchen. Eigentlich war ich nur etwa zehn Minuten von meinem Hotel entfernt, aber durch all die Seitenstraßen brauchte ich fast eine Stunde. Und dann habe ich mich in mein Bett gelegt und war selig. Das war ein gutes Gefühl, im Bett zu liegen. Das Telefon hatte permanent geklingelt, das musste ich ausmachen, weil mich das sehr gestresst hat, es hat mir Angst gemacht. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, hatte ich Todesangst. Ich kann nicht sagen, warum, es gab keinen wirklichen Grund dafür. Eine diffuse Angst war das, die mir wirklich körperliche Schmerzen bereitet hat. Tage später ging ich deswegen zum Arzt und musste erfahren: Das war die erste Panikattacke meines Lebens.

»Die Karriere von Kurt Krömer ist vorbei«

Was das früher für ein Stress war, diese Panikattacken, die Alkoholsucht, dazu ein Burn-out. Im Herbst 2008 habe ich elf Vorstellungen im Admiralspalast in Berlin gespielt, alle ausverkauft. Da es zu Hause zu stressig für mich war, hatte ich mich dazu entschieden, für zwei Wochen im Hotel zu leben. Also vierzehn Tage Hotel, elf Shows am Stück. Heute habe ich Gott sei Dank Leute um mich herum, die sagen würden: »Bist du bescheuert? Du kannst maximal drei Shows machen, dann brauchst du eine Pause, sonst gehst du vor die Hunde.« Ich hatte dem aber damals zugestimmt, weil ich es einfach geil fand, weil es Spaß gemacht hat. Und das ist ein bisschen das Problem an meinem Beruf. Es gibt keine für mich erkennbare Grenze, denn ich mache eine Sache, die mir total Spaß macht. Damals kam noch hinzu, dass ich einfach gierig war, nach Erfolg, nach Applaus, auch nach Zustimmung.

Diese elf Shows habe ich einigermaßen gut über die Bühne gebracht, dann war eine zweiwöchige Pause, bevor es weiter nach Hamburg gehen sollte. Ich wollte diese Pause in Hamburg verbringen, auch da in einem Hotel, um einfach runterzukommen, um zuzusehen, dass ich die Zeit dazu nutze, wieder gesund zu werden, denn ich war nicht gerade in bester Verfassung. Ich war wackelig, ich konnte nicht mehr richtig laufen, ich war komplett angestrengt. Als ich mich dann dort einquartiert hatte, habe ich gemerkt, wie ich dieses Gefühl, im Bett zu liegen und die Bettdecke bis zum Hals hochzuziehen oder manchmal auch bis über den Kopf rüber, als sehr wohlig empfunden habe. Wie ein kleines Baby auf dem Schoß der Mutter oder vielleicht sogar ein Embryo im Bauch. Ich dachte, das sei das Einzige auf der Welt, was schön ist: im Bett zu liegen. Ich habe mir dann »Ich heirate eine Familie« im ZDF angeschaut, mit Peter Weck und Thekla Carola Wied. Eine total schnulzige Serie, aber das war genau das Richtige in dieser Situation. Ich lag also im Bett, ich war zugedeckt, ich schaute mir eine schnulzige Serie an, in der es um nichts ging. Alles Sachen, die den Kopf nicht angestrengt haben, die mir keine Angst gemacht haben. In dieser Zeit hat mir ja wirklich alles Angst gemacht. Es war die Zeit, in der ich eigentlich immer bis zwölf Uhr geschlafen habe, dann panisch aufs Telefon gestarrt habe, nicht in der Lage, jemanden anzurufen.

Ich wollte gern beim Room-Service anrufen und eine Flasche Weißwein bestellen und für diesen Akt brauchte ich eine halbe Stunde Anlauf. Ich dachte: »Scheiße, wenn dann die Flasche irgendwann leer ist, dann musst du noch mal da anrufen.« Und dann habe ich mittags um zwölf Uhr beim Room-Service angerufen und habe zwei Flaschen Weißwein auf Eis bestellt. Das war natürlich alles suboptimal. Mein Zustand verschlechterte sich mehr und mehr, also ging ich zu meinem Tourmanager, der im gleichen Hotel wohnte, und sagte: »Wolfgang, ich kann nicht mehr! Ich kann nicht auftreten. Es geht gar nichts mehr.« Und dann haben wir alles abgesagt. Die Tournee war sowieso schon fast zu Ende gespielt, es waren noch vier Auftritte, die wir absagen mussten.

Zurück in Berlin fuhr ich in die Charité, wo mein Kumpel Jakob Hein arbeitete. Ich saß da wie ein Häufchen Elend und habe gesagt: »Jakob, ich kann nicht mehr. Ich habe das Gefühl, ich muss sterben.« Jakob hat mir erst mal Tabletten verschrieben.

Rückblickend merke ich, wie anders die Zeiten damals waren. Es galt, keine Schwäche zu zeigen, bloß nicht über Krankheit zu reden. Es durfte niemand wissen, dass Kurt Krömer krank ist, dass er seine Tour krankheitsbedingt absagt. Die Idioten von der Klatschpresse haben dann doch davon Wind bekommen und mich wie ein Schwein durchs Dorf gejagt. Überschrift: »Burn-out«. Eine Zeitschrift hat sogar getitelt: »Kurt Krömer liegt im Sterben.« Und das hat natürlich alles nur noch verschlechtert. Ich habe sie verklagt. Ich war so sauer, ich war so verletzt. Wie ein angeschossenes Tier, von dem man trotzdem verlangt zu kämpfen.

Das alles hat natürlich meine Angst noch verstärkt. Ich trug damals eigentlich immer ein Käppi und eine Sonnenbrille. Ich hatte eine solche Angst davor, erkannt und darauf angesprochen zu werden; Angst davor, dass mich Fans anschreiben oder ansprechen und fragen: »Was ist denn jetzt los? Warum ist denn dein Auftritt ausgefallen?« Es war eine diffuse Angst vor den Konsequenzen, die daraus folgen sollten, ja, vor Sanktionen. Ich stellte mir vor, wie irgendjemand sagen würde: »Die Karriere von Kurt Krömer ist vorbei. Der hat vier Auftritte abgesagt.« Im Nachhinein absolut lächerlich, aber zur damaligen Zeit war das genau so.

Und dann war ich impotent

Und dann war ich impotent. Die Nudel hing, nichts ging mehr. Ich weiß nicht, wie das bei Frauen ist, wenn die Libido auf Betriebsferien ist, aber bei Männern ist das eine sehr, sehr große Katastrophe. Wir definieren uns ja über nicht so viel: Fressen, ficken, fernsehen – wenn eine Sache davon wegfällt … also jetzt mal im Ernst: Ich war wirklich geschockt. Was sollte denn noch alles passieren? Die Stimmung war eigentlich dauerhaft im Arsch, ich wusste ja damals noch nichts von den Depressionen. Tag und Nacht diese diffusen Ängste und dann also auch noch untenrum tote Hose. Ich habe mich dann abgetastet, ich habe mir die Hoden abgetastet und dann natürlich auch sofort einen Knoten gefunden. Für mich war also sonnenklar: Hodenkrebs! Ausgerechnet zu dieser Zeit hatte ich Besuch von einem Kumpel, der extra von Afghanistan nach Deutschland gekommen war, um hier seinen Prostatakrebs behandeln zu lassen. Er war sehr früh erkannt worden, konnte also gut wegoperiert werden. Dieser Besuch zur falschen Zeit hat mich zum Hypochonder gemacht. Ich habe daraufhin einen Termin beim Urologen gemacht, der letzte Termin war etwa zwanzig Jahre her gewesen. Komischerweise die gleichen Symptome: untenrum tote Hose. Damals, vor zwanzig Jahren, hatte der Arzt mich fünf Minuten untersucht, dann in die Schublade gegriffen und mir vier Pillen Viagra gegeben und mich mit folgenden aufmunternden Worten entlassen: »Ja, ist halt so, hier, bitte schön.« Das hatte mich verstört. Ich dachte: »Okay, was ist Impotenz eigentlich?« Ich habe mir das dann noch mal erklären lassen, dass man Erektionsstörungen mit Viagra oder anderen Pillen behandeln kann, eine richtige Impotenz allerdings kriegt man eigentlich nur mit einer Spritze in den Griff. Du spritzt dir also ein Serum in das Glied und es wird steif. Möchtest du dann, dass das Glied nicht mehr steif ist, nimmst du die zweite Spritze, wieder rein in den Penis und er ist nicht mehr steif. Also relativ unsexy, wenn ich mir vorstellte, ich müsse erst mal ins Bad verschwinden und mein Serum spritzen, bevor es losgehen kann.

Erst viele Jahre später wusste ich dann, dass das alles mit der Depression zusammenhängt. Der Kopf ist quasi so beschäftigt mit Denken, dass er sich vom Lustzentrum abkoppelt und sagt: »Ey, Diggi, ich bin hier so beschäftigt mit Nachdenken, lass uns mal unten Betriebspause machen.«