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Eine Reise weit heraus aus der Komfortzone – bei der Kurt Krömer mehr gelernt hat als andere auf dem Jakobsweg. Dieses Buch ist ein Ereignis. Der Komiker und ARD Late-Night-Talker Kurt Krömer ist bekennender Pazifist und anerkannter Wehrdienstverweigerer. Doch als sich die deutschen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gerade von ihm einen Auftritt zur Truppenunterhaltung wünschten, sagte er spontan Ja. Von dieser Reise in eine der gefährlichsten Krisenzonen der Weltpolitik berichtet Kurt Krömer in seinen Aufzeichnungen – eine Reise, der dann sogar noch eine zweite Reise folgte, um neben dem Alltagsleben der deutschen Soldaten das Leben in der Hauptstadt Kabul kennenzulernen. Das Sensationelle dieses Berichts liegt im Aufeinandertreffen von Komik und Tragik, von scharfem Witz, genauer Beobachtung und der allgegenwärtigen Bedrohung, der die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan jederzeit ausgesetzt sind. Entscheidend ist, dass Kurt Krömers trockener Humor nie zynisch ist, sondern es regelrecht befreiend wirkt, wenn er auf seine unnachahmliche Art die überall lauernden Gefahren beschreibt und die Soldaten und Soldatinnen portraitiert, auf die er dort getroffen ist und die ihn mit offenen Armen empfangen haben.
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Seitenzahl: 197
Kurt Krömer / Tankred Lerch
Zu Besuch in Afghanistan
Buch lesen
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über Kurt Krömer / Tankred Lerch
Über dieses Buch
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
Prolog
Vorwort
Erster Teil
Anreise
Ankunft Kabul
Der erste Auftritt – alte Zeiten
Camp Warehouse
Grüß Gott, Herr Pfarrer
Die Wolfshöhle
Wieder in Mazar-e Sharif
Die Entführung
Die Heimreise
Zweiter Teil
Vorwort II
Ankunft in Kabul
Warum?
Die erste Fahrt durch Kabul
Auf dem Berg Wazir Akbar Khan – die zwei Gesichter Kabuls
Afghanisches Abendessen
Die erste Nacht im Hotel
Besuch eines TV-Senders – Channel One
Im Kebab-Restaurant
Besuch im Spozhmai-Hotel am Kargah-See
Ein Gespräch mit Sibghatullah Modschaddedi
Die Müllberge von Bagram
White City – mein erstes ernsthaftes Interview
Auf dem Markt in Kabul
Die Heimreise
Nachwort
Quellenangaben/Fotografien
Inhaltsverzeichnis
An dieser Stelle muss ich kurz das erste Vorwort erwähnen, das ich bereits vor Monaten, nach meiner ersten Reise nach Afghanistan, für dieses Buch geschrieben hatte. Und erklären, warum ich es wieder gelöscht habe.
In diesem ersten Vorwort sah man deutlich, hier ist ein Berufskomiker am Werk: in jedem Satz eine Knaller-Pointe, ein dicker Otto. Gib dem Affen Zucker! Wo Kurt Krömer draufstand, sollte auch Kurt Krömer drin sein! Mein erstes Buch! Die Leute sollten schließlich ein Kurt-Krömer-Buch bekommen. Und ich wollte schließlich vorm Hugendubel am Hermannplatz vorbeispazieren und meine Deko-Auslage genießen.
Die Wahrheit ist: Ich schrieb dieses Vorwort unter Einfluss von Alkohol. Ich schrieb es in der Angst, den Erwartungen, die der Verlag, die Leserschaft und ich selbst an mich stellen würden, nicht gerecht werden zu können.
Es war auch die Angst, der ich auf zwei Reisen nach Afghanistan begegnet bin. Bei Soldaten, Zivilisten, meinem Team und nicht zuletzt bei mir selbst. In der Zeit davor und danach.
Ich hatte versucht, das wegzudrücken, mit pfiffigen Sprüchen wegzuschreiben. Es ist ja schließlich alles gut gegangen. Gut gegangen? Wie naiv!
In drei Tagen geht das Buch in den Satz. Ich habe ein neues Vorwort geschrieben, und diesmal ist es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Ihr Kurt Krömer
Berlin, im März 2013
Inhaltsverzeichnis
Anfang 2012 erreichte mich eine Einladung der Bundeswehr. Beim Wort Bundeswehr zuckte ich zusammen. Ich hatte total verweigert, weder Wehrdienst noch Zivildienst geleistet.
Meinem Stress mit dem Kreiswehrersatzamt und der folgenden zweijährigen Flucht vor dem Dienst habe ich ein eigenes Kapitel in diesem Buch gewidmet.
Deswegen sei an dieser Stelle nur kurz angemerkt: mein Verhältnis zur Bundeswehr war suboptimal.
Sie können sich daher vorstellen, dass ich beim Erhalt der Einladung schon ein wenig irritiert war. Es war allerdings nicht die erste Auftrittsanfrage. Vor etwa sieben Jahren, zu Zeiten des Kosovo-Krieges, hatte ich bereits die erste Einladung der Bundeswehr bekommen.
Auf reine Truppenbetreuung hatte ich aber auch jetzt keine Lust. Hinfliegen, den Hampelmann machen und dann wieder zurück nach Hause? Nicht mit mir. Also beschloss ich schnell, die Begegnung mit der Bundeswehr zu filmen. Dann hätten wir beide was davon, dachte ich mir, die Bundeswehr ihre Truppenbetreuung und ich kleine, kurze Filme für eine geplante Fernsehsendung. Die Gespräche mit der Pressestelle der Bundeswehr in Potsdam begannen.
Was man sich denn so vorstelle, lautete ihre erste Frage.
Trotz aller Behäbigkeit des Beamtenapparates der Bundeswehr schien man der ganzen Aktion gegenüber aufgeschlossen zu sein. Wir schrieben ihnen also, dass wir gerne Gespräche mit den Soldaten führen, deren Tagesabläufe und Freizeitaktivitäten filmen, des Weiteren Gespräche mit dem Militärpfarrer und mit weiblichen Soldaten führen und ansonsten vor Ort sehen wollten, was uns interessant erscheint. Kurzum, wir wollten eine Drehgenehmigung für alles. Dem wurde stattgegeben. Dass alles so unkompliziert und schnell zu unseren Gunsten entschieden wurde und eine ständige Offenheit herrschte, machte uns allerdings stutzig. Wir machten uns darauf gefasst, dass Zusagen, die in Potsdam gemacht werden, vor Ort in Afghanistan jederzeit gekippt werden könnten. Die einzige Auflage, die schon im Vorfeld ausgesprochen wurde, lautete: Gefilmt werden dürfen ausschließlich deutsche Soldaten. Keine Soldaten anderer Nationen. Und auf gar keinen Fall amerikanische Soldaten. Es dürfen keine Bilder oder Aufnahmen von den Wachtürmen in den jeweiligen Camps gemacht werden. Und die Namen der jeweiligen deutschen Soldaten dürfen weder ausgesprochen noch auf der Uniform lesbar sein. Das mit den sichtbaren oder ausgesprochenen Namen könnte zu Anfeindungen der Soldaten und ihren Familien in Deutschland führen, schärfte man uns ein.
(Deswegen haben wir den Personen, die wir kennengelernt haben, in diesem Buch erfundene Namen gegeben, ausgenommen sind solche, die in der Öffentlichkeit stehen.)
Als der Deal mit der Bundeswehr abgeschlossen war, stellte ich mein Team zusammen. Ein Kameramann, der schon ein paar Jahre zuvor monatelang für die ARD in Afghanistan gedreht hatte, plus sein damaliger Ton-Mann. Außerdem kamen meine beiden Manager, Kleo und Pino, und mein Realisator Tankred Lerch mit auf diese Reise.
Tankred Lerch hatte ich auf meiner letzten Tournee kennengelernt. Wir diskutierten über die uns anwidernde Comedy-Szene in Deutschland und über den Widerspruch, sich über eine Welt aufzuregen, von der man andererseits lebt. Und sofort waren wir bei der allseits beliebten Debatte, über wen oder was man sich eigentlich lustig machen kann oder darf. Und mitten in diese Diskussionen hinein kam meine Einladung zur Bundeswehr nach Afghanistan. Wir waren uns über alle Maßen einig, was meine Absichten betraf, und prompt wurde die Reise um eine Person aufgestockt.
Uns beide interessierte von Anfang an, wie man Humor in einem Kriegsgebiet einsetzt, ohne sich über die Opfer – in diesem Fall das afghanische Volk – lustig zu machen. Klar war auch, dass wir nicht über die Soldaten herziehen wollten. Das wäre zu einfach. Das hätte man schließlich in einer Berliner Kaserne oder irgendwo anders in Deutschland als Fernsehen-Sketch drehen können.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir alle noch keinen blassen Schimmer, wie sehr uns diese Reise beeindrucken würde. Wir waren coole Fernsehleute, die eine kühne Sendung aufstellen wollten. Und das mit echtem Material.
Von einem möglichen Buch war noch gar keine Rede. Überhaupt kam die Idee dazu erst viel später, Tage nach unserer ersten Heimreise.
Dieses Buch ist ein Erfahrungsbericht über meinen zweiwöchigen Aufenthalt in Afghanistan. Ich möchte mich hier weder als Kriegsberichterstatter noch als Historiker in Sachen afghanischer Geschichte etablieren. Es wäre pure Scharlatanerie.
Wir haben monatelang geplant. Um die Berichterstattung in eigener Sache haben wir uns auch gekümmert. Wir haben damals lange Stillschweigen bewahrt und nichts über meine Reise durchsickern lassen, auch aus Sicherheitsgründen. Bis zur Pressekonferenz in Sachen neuer Krömer ARD Show. Dort verkündete ich selbstbewusst: Übrigens, ich war gerade in Afghanistan. Stille. Schockstarre. Dann, aus der Tiefe des Raumes, die Frage: Warum tragen Sie die Haare jetzt hoch und nicht mehr gescheitelt?
Das hat mich sehr aufgebaut, da ich jetzt weiß: Sollte meine Karriere irgendwann mal den Bach runtergehen, kann ich immer noch als Haarmodel arbeiten.
In meinen Bühnenprogrammen mache ich mich oft – und oft zu Recht – über Journalisten lustig. Allerdings hat es ein Einzelner geschafft, mich nachhaltig zu beeindrucken und den Berufsstand für mich persönlich wieder ins rechte Licht zu rücken: Peter Kümmel.
Denn um nicht ganz auf journalistische Berichterstattung zu verzichten, haben wir Peter Kümmel auf den ersten Teil unserer Reise mitgenommen, der zusätzlich aus seinem Blickwinkel über unseren Besuch bei den Soldaten und die Dreharbeiten in Afghanistan für das ZEIT-Magazin berichtet hat.
Teile seiner Reportage, die am 16.08.2012 im ZEIT-Magazin erschienen ist, durfte ich als Ergänzung in meinen Bericht einbauen. Dafür bedanke ich mich herzlich.
Inhaltsverzeichnis
Zu Besuch bei der Bundeswehr in Afghanistan
Wenn man vom Flughafen Köln/Bonn aus mit der Luftwaffe nach Afghanistan fliegen möchte, ist das schon ein Unterfangen an sich. Man muss nämlich zuallererst auf den militärischen Teil des Flughafens gelangen. Hier sieht man mustergültig, dass militärische Geheimnisse in Deutschland durchaus bewahrt werden können. Denn niemand kann uns sagen, wie wir dorthin kommen. Die beste Antwort gibt es von einem blonden Engel an der Airport-Info: Außen rum.
Aha! Über das Rollfeld, oder was?
Selbst Kölns Taxifahrer haben keine Ahnung. Im Nachhinein ist mir auch klar, wieso. Die Tour ist für sie nicht gut. Man muss tatsächlich von außen einmal um das halbe Flugplatzgelände herumfahren und landet dann bei knapp zehn Euro auf dem Taxameter. Aber einer von hundert Taxifahrern am Flughafen lässt sich dann doch herab und erweist uns die Ehre, seiner Beförderungspflicht nachzukommen. Einzige Bedingung: Das sofortige Starten des Taxameters. Und bei der Größe unserer Truppe wird ihm das mehr Gewinn einbringen als ein durchschnittliches Rubbelfix-Los, denn mein Manager Pino ist irgendwo im Flughafen auf der Suche nach Kippen verloren gegangen, und Peter Kümmel, der Journalist der ZEIT, versucht eine Winterjacke mit Fellkragen in seinem Koffer zu verstauen. Der Koffer ist so riesig, dass man darin eine Kita eröffnen könnte. Peter hat ihn allerdings so gut befüllt, dass darin nicht einmal mehr Platz für seine Jacke ist.
Was will er eigentlich mit so einer Felljacke? Wir fliegen doch nach Afghanistan und nicht an den Nordpol. Und was will er überhaupt mit den ganzen Klamotten? Will er länger bleiben als wir? Vielleicht hat er auch seinen Fotografen darin versteckt, denn der ist der Einzige, der noch nicht hier ist.
Apropos Fotograf, wo ist eigentlich meine Kamera?
Ich habe sie nicht mehr bei mir. Ich habe sie drinnen vergessen. Aber in welchem Drinnen? Drinnen im Flugzeug? Drinnen im Terminal? Wenn Terminal, dann welcher Terminal? Köln oder Berlin? Ich werde wahnsinnig. Jetzt fällt es mir wieder ein. Haupthalle Tegel. Super. Ich rufe Pino an und bitte ihn, die Hotline des Flughafens anzurufen. Na ja, denke ich, dann habe ich jetzt schon mal ein Ziel, falls ich heil nach Hause zurückkommen sollte: meine Kamera wiederbeschaffen. Ich würde mir am liebsten selbst in den Hintern treten.
Ich schaue mich um. Ich habe ein Dreamteam um mich versammelt. Da wären meine Managerin Kleo (Pino ist immer noch nicht aufgetaucht), mein Realisator Tankred, der einen Pulli mit der Aufschrift Koksen ist achtziger trägt (auch eine sichere Bank, um schnell durch jede Zollkontrolle zu kommen), Herr Kümmel und sein Fotograf (den wir ebenfalls noch vermissen) sowie ein Kamerateam, bestehend aus zwei Mann. Kamera und Ton.
Das Kamerateam verhält sich vorbildlich. Beide sind freundlich, ruhig und bieten mir Schokoriegel und Haferkekse an. Da ich im Flugzeug von Berlin nach Köln das Pappbrötchen verschlafen habe, nehme ich beides dankend an.
Der Taxifahrer hat jetzt telefonisch einen Verwandten erreicht, der bereit zu sein scheint, ihm den Weg zum Militärflughafen zu beschreiben. Er sieht nicht amused aus.
Wir nutzen die Wartezeit, um drei Zigaretten nacheinander zu rauchen. Dabei beobachten wir, wie der Taxifahrer Kleo dabei beobachtet, wie sie das schwere Gepäck in seinen Wagen lädt.
Ich habe mich vorher schlaugemacht. Aus unserem Team haben zwei gedient: Pino, mein Manager, war beim Musikkorps, und bei Tankred, meinem Realisator, gab es während des Wehrdienstes irgendwelchen Ärger mit Haschisch. Nach eigener Aussage war er aber wohl entweder unschuldig oder wurde freigesprochen. Die anderen haben verweigert oder sind ausgemustert worden. Und ich, ich bin Totalverweigerer. Mir wird klar, wir brauchen keinen Hinterhalt zu befürchten. Wir sind bereits einer.
Pino kommt zurück. Der Geldautomat war kaputt. Und wegen meiner Kamera, da würde man ihn – falls man sie findet – anrufen. Alles klar, denke ich, das Ding ist also für immer weg.
Zigaretten hat Pino in der Eile vergessen zu kaufen. Er raucht eine von meinen und beobachtet uns, wie wir den Taxifahrer beobachten, der immer noch Kleo beobachtet, die nun den letzten Koffer in den Wagen gehoben hat. Warum hilft ihr denn keiner, denke ich, und zünde mir noch eine Zigarette an.
Wir steigen ein. Das Taxameter steht bei sechsunddreißig Euro. Bei dreiundvierzig achtzig halten wir wieder an. Wir sind da. Der Militärflughafen Köln-Wahn. In der Mitte der Wartehalle steht ein Hippie mit Haaren bis zum Hintern und einer Piloten-Sonnenbrille, die sich in seinen Haaren verfangen hat. In seiner Mähne könnte man die halbe Auslage eines durchschnittlichen Optikergeschäftes verstecken. Er winkt uns zu. Es ist Christian, der Fotograf der ZEIT. Jetzt sind wir komplett und bereit für das Spiel Passlotto, wer hat ihn heute vergessen?. Die Antwort ist einfach: Keiner, weil Kleo vor Reisebeginn alle Pässe an sich genommen hat.
Jetzt wird es ernst.
Die Wartehalle besteht aus Glas und Stahl. Das Gebäude ist voller Soldaten. Angehörige und andere Zivilisten sind in der absoluten Unterzahl. An diesem Morgen gehen vier Flüge raus. Unser Flug geht nach Termez in Usbekistan. Ab da soll es mit der Transall erst nach Mazar-e Sharif und dann nach Kabul weitergehen. Dort dann entweder per Hubschrauber oder Konvoi. Das wissen wir noch nicht. Unser Flieger ist der dritte. Wir haben noch Zeit für ein paar Zigaretten und einen Kaffee. Der Kaffee kostet nur neunzig Cent, schmeckt aber wie zwanzig. Die Uniformen der Soldaten sind alle gleich. Unterscheiden tun sie sich nur durch die Rangabzeichen auf den Schultern. Das zivile Prinzip »Keiner ist besser angezogen als der Chef« wird somit außer Kraft gesetzt. Das ist selten. Außer bei der Bundeswehr geht das nur bei Angela Merkel und Sido. Aber die geben ihren Leuten auch kaum eine Chance.
Dann ist es so weit: Passkontrolle, Gepäckaufgabe und Röntgen des Handgepäcks. Unser Flieger ist ein Airbus A310 – 300 und er ist gut besetzt.
Anstatt des üblichen Bordmagazins liegt eine Ausgabe von Y – Das Magazin der Bundeswehr in der Sitztasche vor einem aus. Das ganze Heft ist ein einziger Werbeprospekt für die Bundeswehr. Ich sehe mich um, doch niemand blättert darin, außer mir.
Einstieg in die Maschine der Luftwaffe in Köln-Wahn
Wir fliegen unter anderem über die Grenze zwischen Kasachstan und Usbekistan. Von oben sieht es aus, als würde man Mittelerde in Richtung Auenland überfliegen. Oder als ob Kinder eine Landschaft für eine Modelleisenbahn gebaut hätten. Das eine Kind ein prachtvoller Tausendsassa aus gutem, liebevollem Elternhaus und das andere ein depressives Heimkind.
Nach ca. fünf Stunden landen wir in Usbekistan auf dem Flughafen von Termez. Der Kapitän ist vom Rang her Major. Das weiß ich, weil er es sagt. Er bedankt sich bei allen Gästen und bittet uns sitzen zu bleiben, bis wir aufgerufen werden. Da der Flieger voll besetzt ist, kann das hier wohl dauern, denke ich mir. Doch beim Aussteigen gibt es Promibonus. Allerdings nicht für mich, sondern für einen Staatssekretär aus dem Bundesministerium der Verteidigung. Er darf als Erster aussteigen. Die Soldaten freuen sich über seine Anwesenheit ungefähr so wie die spanische Regierung über die Ratingagentur Moody’s. Unsere kleine Reisegruppe kommt aber auch recht bald dran, wir werden an der Gangway von Feldwebel Thea empfangen. Dass sie Feldwebel ist, weiß ich, weil sie es sagt. Im Verlauf unseres Aufenthalts wird uns auffallen, dass Militärs sich stets und prompt mit Rang und Namen vorstellen. Thea erklärt uns zunächst das Notwendigste dessen, was wir hier in Termez wissen müssen: Folgen und Aufsitzen. Folgen heißt Folgen und Aufsitzen bedeutet, in einen camouflagefarbenen VW-Bus einzusteigen. Die Pässe behält sie.
Um das Gepäck brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, sagt Feldwebel Thea. Klar, das sagen sie bei Airberlin auch immer. Und dann hat man die zweihundert Euro Gebühr für achtzig Gramm Übergepäck umsonst bezahlt, weil der Koffer auf Mallorca ist und man selbst in Buenos Aires.
Es gibt hier aber viel zu viel zu sehen, um sich lange darüber aufzuregen. Stahl, Beton und Stacheldraht. Schön ist es nicht, und die Sonne geht hier in Usbekistan schneller unter als die FDP in Deutschland. Man möchte meinen, selbst die Dunkelheit kommt zackig. Feldwebel Thea zeigt uns noch kurz, wo es nachher Abendessen gibt, und schickt uns dann auf den Marktplatz.
Marktplatz? Ja, sagt sie, das würde nur so heißen und wäre genau dort, wo wir jetzt gerade stehen. Aha. Also bleiben wir stehen und rauchen an Ort und Stelle die ersten vier Zigaretten nach dem Flug. Es ist nicht übermäßig heiß. Nur sehr warm.
Kurze Zeit später treten alle Soldaten in Uniform auf dem Marktplatz an. Jede Gruppe hat vorhin beim Aussteigen eine Farbe genannt bekommen, und wenn die betreffende Farbe aufgerufen wird, darf die Gruppe zu dem von ihr aufgegebenen Gepäck gehen. Unsere Gruppe hat Grün. Oder Braun. Oder Grau. Da gehen die Meinungen auseinander. Wir gehen einfach bei Rot mit, und keiner protestiert. Thea bringt uns zu unserem Container. Die Containerbehausungen sehen so aus wie die Geschäftsstelle des FC St. Pauli.
Es gibt eine Containerkolonie mit Waschräumen und Toiletten und eine andere mit Schlafräumen. In den Zimmern gibt es Klimaanlagen und frisch bezogene Betten. Kleo und ich bekommen Einzelzellen. Der Rest kommt in eine Gruppenzelle. Ich bin überzeugt, wir haben es besser als ihrerzeit die RAF.
Unterkunft, erste Nacht in Usbekistan
Wir stellen unser Handgepäck hinein und machen uns auf den Weg zum Essensraum. Dafür muss man einmal durch das gesamte Camp marschieren, aber es lohnt sich: In einem großen Saal gibt es Pizza, Salat, Obst, Brot, Käse, Wurst und diverse Getränke. Alles deutlich über Jugendherbergsniveau.
Wir essen alle zusammen. Ein Kontakt zu den Soldaten hat sich noch nicht ergeben. Mein Kameramann scheint entweder schwerhörig oder unhöflich zu sein. Obwohl ich ihn mehrmals laut und deutlich mit Carsten anspreche, scheint er nicht zu reagieren. Viel später erfahre ich, dass er Marc heißt.
Nach dem Essen rauchen wir ein paar Zigaretten und gehen dann dahin, wohin auch alle anderen gehen. In die Kneipe im Camp, Area 51. Kein Witz! Die heißt wirklich so.
Doch anstatt Außerirdischer gibt es hier nur deutsche Soldaten. Die Area 51 sieht aus wie ein Vereinsheim in Tarnfarben. Lounge-Sessel und Sofas, ein Kicker, ein langer Tresen, ein DJ-Pult, eine Fernsehecke und überall Bilder mit Rangabzeichen. Es ist klimatisiert, und ein Bier kostet zwischen siebzig und neunzig Cent. Die Regel lautet: jeder Soldat darf nicht mehr als zwei kleine Dosen Bier pro Tag trinken.
Es könnte sich hier auch um ein Fest im Vereinshaus einer Kleingartenkolonie handeln. Nichts weist darauf hin, dass man sich fernab der Heimat befindet. Hier erinnert nichts an Krieg. Ein Ort der absoluten Ablenkung. Ich kaufe mir eine Schachtel Zigaretten zu eins zwanzig, gehe nach draußen und zünde mir eine an.
Ich merke, dass mich einige Soldaten erkennen. Aber sie sind sehr höflich und kommen nicht einfach an meinen Tisch gestürmt, sondern machen das sehr gesittet und freundlich. Alle freuen sich darüber, dass wir diese Tour hier machen, und sagen das auch ganz deutlich. Schnell haben wir eine Gruppe von Soldaten um uns versammelt und unterhalten uns. Mit am Tisch stehen zwei Stabsärzte. Einer hat den Rang eines Hauptmanns, einer den eines Majors. Das weiß ich, weil sie es gesagt haben. Der eine ist Zahnarzt und fliegt das erste Mal nach Afghanistan. Der andere operiert Verwundete. Da horchen wir auf. Ach ja, es gibt ja auch Verwundete. Wir befinden uns schließlich in einem Kriegsgebiet.
Kennen Sie dieses Gefühl von schwebender Unwirklichkeit zwischen Aufwachen und Augenaufschlagen? Man wacht auf und hat das Gefühl, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird?
Dann lacht man kurz, denkt sich: Was bist du für ein Schwachkopf! Und dann schlägt man die Augen auf, um zu sehen, dass man irgendwo in Usbekistan in einem klimatisierten Container in einem Militärcamp auf einem Flughafen aufgewacht ist und nach dem Frühstück nach Afghanistan fliegen wird!
Na dann mal los. Ich mache mich auf zum Körperpflegecontainer. Auf dem Weg dorthin werfe ich einen Blick auf meine Klamotten von gestern, die gleichzeitig auch die einzigen zur Verfügung stehenden Klamotten für heute sind. In diesem Moment beschließt man, dass Sprühen das neue Duschen ist, putzt sich nur die Zähne und deodorisiert den Rest.
Aprilfrischgesprüht mache ich mich auf den Weg zum Frühstückssaal.
Es ist morgens schon recht warm. Ich schwitze meine Klamotten bereits auf dem Weg zum Frühstückssaal ein. Dort ist direkt am Eingang eine ganze Reihe mit Waschbecken aufgestellt. Das ist mir gestern schon aufgefallen. Hygiene wird hier ganz großgeschrieben.
Mein Frühstück besteht aus frischem Rührei, frischen Brötchen und frischem Obst. Damit rangiert die Bundeswehr, was das Frühstück angeht, schon über der Hälfte aller Hotelketten.
An einem Tisch sitzt mein Realisator Tankred und unterhält sich mit einem Oberstleutnant. Der Oberstleutnant gehört zu den Pionieren. Er will alles über unsere Reise und meine Auftritte wissen und fragt uns dann, was die Menschen in unserem Umfeld über unsere Reise so gesagt haben.
Ich erzähle ihm, dass ich vor meiner Abreise nach Afghanistan deutlich gespürt habe, dass man von Leuten anders als sonst verabschiedet worden ist. Mein Steuerberater zum Beispiel hat mich beim letzten Treffen in den Arm genommen und mich fest gedrückt. Die Leute haben einen behandelt, als ob man schon tot wäre. Das ist hier wohl das erste Vorurteil, das man abbauen kann. Man wird nicht sofort erschossen, sobald man afghanischen Boden betritt. Es ist ein Kriegsgebiet, von daher nicht ungefährlich, aber man steht hier auch nicht unter ständigem Beschuss.
Der Oberstleutnant weist uns noch darauf hin, dass gleich als Nächstes der Flug mit der Transall von Termez nach Mazar-e Sharif ansteht, von da aus würde es dann mit Fahrzeugen in das erste Camp nach Kabul weitergehen. Er sagt, das Phantasialand sei ein feuchter Schiss gegen so einen Flug mit einer Transall.
Wir verabschieden uns von ihm und rauchen vor dem Gebäude die ersten drei Zigaretten des Tages. Tankred, der in Köln lebt, schaut mich an und sagt Et hätt noch immer jot jejange!
Ich lächle und erinnere ihn nicht an das Kölner Stadtarchiv und den U-Bahn-Bau.
Wir stehen mit gepackten Taschen zwischen dem Körperpflege- und dem Schlafcontainer neben einem Oberstleutnant. Er hat einen Militärrucksack und ich eine braune Ledertasche. In meiner Ledertasche sind alle meine wichtigen Dokumente. Zum Beispiel mein Programm und der Drehplan für die nächsten Tage. Der Herr Oberstleutnant ist der Kommandeur eines Nachschubbataillons in Mazar-e Sharif. Da fliegt er immer mal wieder hin, um nach seinen Jungs zu schauen, wie er sagt. Ist quasi so eine Art Dienstreise, sagt er, die er ein- bis zweimal im Monat macht. Der Herr Oberstleutnant würde rauchtechnisch gut in unsere Gruppe passen. Er raucht auch lieber zwei oder drei Zigaretten nacheinander. Wer weiß, wann es die nächste gibt.
Mein Realisator und der langhaarige Fotograf kommen dazu. Ich schaue mich um. Ansonsten stehen nur Soldaten auf dem Marktplatz.
Feldwebel Thea ruft die Gruppe Schwarz zum Einchecken in die Transall. Ich gebe den anderen ein Zeichen, dass wir diesmal so tun, als ob wir zu Schwarz gehören. Ich habe gesehen, was der Herr Oberstleutnant alles in den Taschen hat, und keine Lust, am Check-in zu warten, bis er das alles ausgepackt hat.
Wir werden über das Rollfeld gefahren. Der Check-in-Posten für die Transall besteht aus zwei großen Kisten. Aus der einen bekommt man einen Stahlhelm gereicht, aus der anderen eine bombensichere Splitterschutzweste. Der Kamerad an der Helmausgabe grinst mich an. Na, Krömer! Jetzt geht’s los, was?
Ja, denke ich, jetzt geht’s los, Krömer. Wenn man der Meinung ist, dass der Auftritt einer hundertköpfigen Blaskapelle, die auf einem Sechzehn-Tonner transportiert wird, laut ist, dann ist eine Transall sehr