Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein - Nicole Jäger - E-Book

Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein E-Book

Nicole Jäger

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Beschreibung

Nicole Jäger führt ein Leben, von dem viele Menschen träumen: Sie schreibt Bücher, spielt in ausverkauften Hallen und tritt im Fernsehen auf. Und sie war trotzdem noch nie so unglücklich wie an jenem Tag, an dem sie sich spontan ins Auto setzt, um ungeplant allein einen Roadtrip ans Meer zu machen – auf dem Weg dahin verzweifelt sie erst und findet dann doch zu sich selbst. Denn der Weg zum Glücklichsein muss nicht immer schön sein, nicht gerade oder weichgezeichnet für Instagram. Er kann rough sein und dreckig, voller Tränen und Überwindungen. Glücklichsein braucht Mut und die Erlaubnis, all die schönen, aber auch die miesen Dinge zu fühlen. Und manchmal braucht man zum Glücklichsein einfach eine Dose kalte Ravioli. Dass man Glücklichsein nicht immer geschenkt bekommt, sondern es sich manchmal holen muss, davon erzählt sie in ihrem unverwechselbaren Ton: gefühlvoll, ehrlich, witzig.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 261

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nicole Jäger

Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein

 

 

 

Über dieses Buch

Der Weg, den Nicole Jäger in den letzten Jahren zurückgelegt hat, ist erstaunlich – gestartet als die «Fettlöserin» mit einem Überraschungsbestseller, wurde sie über die Jahre zu einer festen Größe auf den deutschen Comedybühnen und im TV. Sie betreibt einen erfolgreichen Podcast, tourt mit dem mittlerweile vierten Soloprogramm durch ausverkaufte Hallen, und ihre Fangemeinde wächst kontinuierlich. Dabei bringt Nicole ihre Fans nicht nur zum Lachen, denn die Themen, die sie auf ihre ganz besondere Art anspricht, gehen tief, tun manchmal weh. Und so wischen sich in ihren Programmen die Fans nicht nur Lachtränen aus dem Gesicht, sondern haben Gänsehaut. In ihrem neuen Buch verbindet Nicole Jäger nun Humor mit Lebenshilfe und bestärkt Frauen darin, sich ihr Glück zuzutrauen, sich den Raum zu nehmen, der ihnen zusteht – einfach Ja zu sagen zum Leben. Denn das hat Nicole auch getan, trotz aller Hürden und Schwierigkeiten, und davon erzählt sie in ihrem unverwechselbaren Ton: laut, lustig, einfach sehr Nicole Jäger.

Vita

Nicole Jäger lebt in Hamburg. Sie ist Autorin und Stand-up-Comedian. Gleich mit ihrem ersten Buch «Die Fettlöserin» landete sie einen Bestseller. Aus der dazugehörigen Lesereise entwickelte sich ihr erstes Stand-up-Comedy-Programm «Ich darf das, ich bin selber dick». Ihr zweites Buch «Nicht direkt perfekt» erschien 2017, und mit dem gleichnamigen Comedy-Programm tourte sie durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Anfang 2020 hatte ihr drittes Bühnenprogramm «Prinzessin Arschloch» Premiere. In ihrem dritten Buch «Unkaputtbar» beschäftigte sie sich mit dem Thema häusliche Gewalt. Ihr aktuelles Programm heißt «Walküre».

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Coverabbildung privat

ISBN 978-3-644-02058-0

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für meine kleine Schwester Stefanie Westphal.

Es endet mit uns.

Kühlschrankmagnet

Ich sitze auf dem Bett des mit Abstand hässlichsten Hotelzimmers, das ich jemals bewohnt habe, und schaue auf mein Handy. Unzählige verpasste Nachrichten. Die meisten von meiner besten Freundin. Ich entsperre mein Display und öffne WhatsApp.

«Hey. Dir ging es die letzten Tage nicht so gut, oder? Ich wollte mal checken, ob du okay bist.»

Einige Stunden später:

«Was machst du heute eigentlich? Bist du schon auf dem Weg nach Hamburg? Lass mal hören.»

Drei Anrufe in Abwesenheit.

«Muss ich mir Sorgen machen, dass du meine Nachrichten nicht liest? Ich habe den ganzen Tag noch nichts gehört. Melde dich mal.»

Zwei Anrufe in Abwesenheit.

«MOAH!!!»

Sechs Anrufe in Abwesenheit.

 

Etwas später:

«MELDE DICH JETZT GEFÄLLIGST, BEVOR ICH DIR MIT MEINEM NACKTEN ARSCH INS GESICHT SPRINGE, DU BLÖDE KUH! KANN ICH JA LEIDEN, WENN ICH NICHTS VON DIR HÖRE!»

17 Anrufe in Abwesenheit.

 

Später:

«Wehe dir, du bist tot. Ich schwöre dir, ich steige hinab, hole dich zurück und bringe dich eigenhändig noch mal um. Und davon abgesehen, wie, glaubst du bitte, soll ich deinen Sarg wegwuchten? Melde!! Dich!!»

Zwei Stunden später:

Ich:

«Selber fett, und du kommst auch in die Hölle. ‹Hinab.› Frechheit!!»

Sie:

«Na ENDLICH! Wo steckst du? Ist alles gut? Ich habe mir Sorgen gemacht! Du antwortest doch sonst immer schnell. Bist du schon wieder zu Hause? Und auf jeden Fall haben wir Ehrenplätze im Fegefeuer, verlass dich drauf.»

Ich:

«Bist du zu Hause, oder was machst du gerade?»

Sie:

«Yep. Ich hänge auf’m Sofa und plane deine Beerdigung. Soll ich rumkommen? Dann kann ich auch schon mal Maß nehmen für deinen Sarg. Möchtest du Konfetti auf deiner Beerdigung? Was ist los bei dir?»

Ich:

«Luftballons bitte und Lichterketten! Ich schicke dir kurz meinen Standort. Aber dreh nicht durch.»

Mein Handy fragt mich, ob ich meinen Live-Standort teilen möchte. Ich bejahe.

Ein kleiner grüner Punkt zeigt auf acht Meter genau, wo ich mich gerade befinde.

Valence. Frankreich. Ich drücke auf Senden und warte auf zwei Dinge, von denen ich mir sicher bin, dass sie nahezu zeitgleich geschehen werden: zwei blaue Haken, die anzeigen, dass sie die Nachricht gelesen hat, und dann ein Anruf. Ich würde eine große Summe Geld darauf verwetten, dass zwischen den beiden Ereignissen weniger als zehn Sekunden vergehen werden.

 

Es sind fünf.

 

«Willst du mich verarschen? WILLST!! DU!! MICH!! VERARSCHEN??!!»

«Hey, Schatz.»

«Du bist wo? WO? In fucking FRANKREICH?! Du verarschst mich, oder? Du warst doch heute Morgen noch in München. Stimmt da irgendwas nicht? Stimmt der Live-Standort?»

«Ja, das ist korrekt.»

«Weinst du? Wurdest du entführt? Sag Pumpernickel, wenn ich ein Einsatzkommando schicken soll. Bist du allein? Kannst du reden? Verschleppen sie dich und verkaufen dich als … keine Ahnung, als Sitzsack an irgendeinen Perversen?»

«Ich glaube …»

«FRANKREICH? Wie zur Hölle kommst du nach Frankreich? Und warum? Du kannst kein Wort Französisch! Hast du überhaupt geschlafen? Und viel schlimmer, warum weiß ich davon nichts?»

«Das war eine spontane Entscheidung, ich …»

«Spontane Entscheidung am Arsch! Muss ich dich holen? Soll ich einen Flieger buchen? Wo liegt überhaupt Valence? Habe ich noch nie von gehört. Ist es nett? Was machst du da überhaupt? Ich google das Kaff jetzt.»

«Könntest du kurz mal Luft holen, Frau?»

«Okay. Ich bin ganz ruhig. Erzähl. Was ist los, und warum wisperst du so? Bist du krank?»

«Ich muss leise sein.»

«Aha? Weil?»

«Ich glaube, der Hotelbesitzer ist irre.»

«Was?»

«Der Hotelbesitzer. Gruselig. Das ist so ein ganz komischer Typ. Der hat mich beim Einchecken gefragt, ob ich denn keine Angst hätte, so ganz alleine zu reisen. Als Frau.»

«Nicht ganz unberechtigte Frage.»

«Ja, schon, aber dann meinte er, ich sei ja der einzige Gast im ganzen Hotel und ich solle mir keine Sorgen machen, nachts sind hier manchmal komische Geräusche, aber das ist nichts Schlimmes, meint er, ich soll trotzdem vorsichtshalber die Tür lieber abschließen. Von innen. Aber es ist nichts, worüber ich mir Sorgen machen muss. Und seit einer halben Stunde kratzt da etwas an meiner Tür und versucht reinzukommen.»

«Ach du Scheiße!!!»

«Ja, und ich glaube, er hat eine Axt und murmelt die ganze Zeit immer wieder ‹Hier ist Joooooohnny!›.»

«Warte mal … zitierst du gerade Jack Nicholson in ‹Shining›?»

«Yapp. Aber du hast es kurz geglaubt, stimmt’s?!»

«Alta, nicht witzig, ey! Ich habe bis vor ein paar Minuten noch gedacht, ich muss eine Grabrede schreiben, weil du dich um irgendeinen Brückenpfeiler gewickelt hast.»

«Keine Sorge. Mir geht es gut.»

«Klar geht es dir gut. Wir haben ja ständig solche Gespräche, in denen wir uns gegenseitig flennend anrufen und dabei in zwei verschiedenen Ländern hocken. Ganz normaler Tag im Grunde. Sag, was los ist.»

«Nichts. Mein Hotelzimmer war nur so hässlich, und dann dachte ich, fahre ich halt ans Meer, und nun bin ich über 800 Kilometer gefahren und habe mich mit einem Belgier oder Franzosen und seinem Kuschelhund gestritten, wurde beinahe von einem Bären gefressen auf einem Rastplatz, also nicht wirklich, nur so in meinem Kopf, und ich schwitze den ganzen Tag, weil ich zu fett bin für ein Sommerkleid und weil ich keine Kraft habe für all die Blicke, und deswegen fühle ich mich ekelig und dumm, und weißt du, wo ich jetzt bin? Richtig, in einem hässlichen Hotelzimmer. Nur halt in Frankreich. Haha. Witzig, oder?»

«Ich habe dich lustiger in Erinnerung. Ein Bär?»

«Sorry. Ich glaube nur, ich habe mich eventuell in irgendwas verrannt.»

«Warte, lass mich das zusammenfassen: Gerade alles kacke. Du hast nur Scheiße im Kopf – und Bären und Plüschhunde, und seit wann bist du eigentlich zu dick für Sommerkleider? Na, jedenfalls ist das Einzige, was jetzt hilft, Wasser. Also fährst du kurzerhand mal nach Frankreich.»

«Spanien.»

«Was?»

«Ich fahre nach Spanien.»

«Am Arsch fährst du nach Spanien. Du gehst jetzt schlafen. Dann stehst du morgen auf, setzt dich ins Auto und kommst nach Hause.»

«Aber ich muss ans Meer!»

«Nein, musst du nicht. Wir haben hier auch Meer. Komm an unser Meer. Ich fahre dich auch, dann kannst du da durchdrehen.»

«Ich muss ans Mittelmeer. Glaub mir.»

«Was ist am Mittelmeer?»

«Ich bin da. Vielleicht. Ich glaube, ich habe mich da vergessen. Oder ich bin schon vorausgefahren und warte da auf mich. Das hoffe ich zumindest. Vielleicht bin ich da auch nicht. Dann muss ich weiterfahren. Was kommt nach Spanien? Portugal? Ich war noch nie in Portugal. Warst du schon mal in Portugal? Kann man sich da am Wasser finden? Weiß man da schon Näheres?»

«Schatz?»

«Hmmm?»

«Weißt du noch, als wir letztes Jahr darüber sprachen, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem du entweder eine Delfin-Therapie beginnen musst oder überschnappen wirst nach all der Scheiße mit deinem ekligen Ex-Freund, der Arbeit, Corona und all dem Mist?»

«Ich erinnere mich.»

«Kann es sein, dass es für eine Delfin-Therapie zu spät ist und wir jetzt schon auf Level ‹Überschnappen› sind?»

«Möglich?»

Sie seufzt. Wir beide schweigen einige Minuten. Angenehme Minuten.

«Du weinst doch.»

«Nein.»

«Und warum klingst du dann, als würdest du versuchen, nicht zu weinen?»

«Weil mir immer dann Wasser aus dem Kopf läuft, wenn ich die Augen aufmache. Deswegen lasse ich die jetzt zu.»

«Klingt nach einer tollen Lösung.»

«Ich bin undicht.»

«Du bist in der Tat nicht ganz dicht, das stimmt schon. Ich hasse es, wenn du weinst, hör auf damit! Du musst das wegmachen, sonst weine ich mit. Bist du dolle unglücklich?»

«Ich glaube, ein bisschen schon.»

«Macht es das da besser in dem Kaff?»

«Weiß ich nicht. Gerade nicht. Das Zimmer ist so hässlich, dass ich von der Tapete Augenkrebs bekomme. Ich schicke dir nachher mal ein Bild. Liebst du mich auch, wenn ich spinne?»

«Das ist im Grunde der Hauptgrund, warum ich dich liebe. Natürlich. Was kann ich tun?»

«Kannst du dich um meine Katze kümmern?»

«Klar. Wann kommst du zurück?»

«Weiß ich noch nicht. Es ist weit bis Spanien.»

«Ich ziehe dann für die Zeit in dein Haus, okay?»

«Gern.»

Wir schweigen erneut.

«Glaubst du, es fühlt sich irgendwann wieder okay an?»

«Was meinst du?»

«Ich fühle mich schon so lange nicht mehr okay. Es ist, als würde ich in mein eigenes Leben nicht mehr hineinpassen. Es macht keinen Spaß mehr, ich zu sein. Mir ist das zu anstrengend geworden. Als würde ich ständig kämpfen müssen. Für alles. Muss ich ja auch, aber neuerdings kämpfe ich auch mit mir oder gegen mich, ich bin mir da noch nicht so ganz sicher. Aber es bockt nicht mehr. Ich bringe andere zum Lachen, aber mich bringt nichts mehr zum Lachen. Ich fühle mich wie so ein kitschiger trauriger Clown aus einem alten Schwarz-Weiß-Movie. Du weißt schon, diese Typen, die dann immer mit weißer Farbe im Gesicht vorm Spiegel sitzen und ihre Tränen wegschminken, während im Hintergrund traurige Geigenmusik plärrt. Gott, hör dir an, wie theatralisch ich bin. Ekelhaft.»

«Warum hast du nichts gesagt? Wir hätten gemeinsam weglaufen können. Ich hätte uns Snacks gemacht.»

«Weil ich ja so gut darin bin, um Hilfe zu bitten, oder was? Manchmal ist es so schwer, was zu sagen. Das fühlt sich immer an, als würde ich versagen, und das Gefühl mag ich nicht.»

«Zu versagen?»

«Klar. Und es zu sagen, ist beängstigend. Also, dass ich eventuell ein Problem habe oder gerade nicht mehr kann. Wenn ich es ausspreche, dann ist es in der Welt. Wenn es erst einmal über meine Lippen gekrochen kommt, dann kann ich es nicht mehr zurückstopfen. Dann ist es draußen. Dann muss ich sagen, dass es mir nicht gut geht, und dann wollen Menschen helfen, und ich muss denen sagen, wie, aber ich weiß ja selbst nicht, was mir helfen würde.»

«Und da dachtest du dir, läufst du halt weg? Kommst du zurück?»

«Ja, natürlich komme ich zurück.»

«Versprochen?»

«Ehrenwort!»

«Das Ehrenwort von Verrückten ist immer sehr beruhigend! Glaubst du, du findest, was du suchst?»

«Ich hoffe es.»

«Was es ist, weißt du nicht?»

«Nicht genau. Aber wäre es vermessen zu sagen, dass ich mein Glücklichsein suche? Ist das überhaupt ein richtiger Satz?»

«Na, jetzt ist es einer.»

«Na, dann suche ich mein Glücklichsein. Ich weiß nur nicht, was genau das sein soll, aber ich hoffe, dass es mir begegnet beim Weglaufen oder Hinlaufen oder so. Und dass ich es erkenne.»

«Das Glücklichsein?»

«Ja. Es fühlt sich manchmal so an, als wäre das sehr weit weg.»

«Nun, das trifft sich doch gut, Spanien ist ja auch sehr weit weg. Vielleicht ist es ja wirklich in Spanien.»

«Siehste! Das dachte ich mir ja auch.»

«Musst du etwas von mir hören? So was wie: Du schaffst das. Tschakka! Hoch die Hände, Wochenende? Dicke Titten, Kartoffelsalat?»

«Du könntest mir sagen, dass es okay ist, gerade nicht ganz okay zu sein.»

«Es ist vollkommen okay, gerade nicht okay zu sein.»

«Tss. Du musst es schon so sagen, dass ich es auch glaube.»

«Du hast so gewaltig einen an der Waffel, dass ich mich frage, wie du es geschafft hast, über 40 zu werden, ohne dass sie dich mit einem Betäubungsgewehr abgeknallt und in eine Zelle mit kuscheligen Wänden gesperrt haben. Ich glaube fest daran, dass deine Kreativität Ausdruck deines Wahnsinns ist, und du bist viel zu exzessiv. Ständig. Ganz besonders dann, wenn es dir wirklich nicht gut geht, weil du nie gelernt hast, um Hilfe zu bitten, es ewig lang schleifen lässt und sagst ‹Es geht schon›, bis es dann nicht mehr geht und du überschnappst. So wie jetzt. Aber weißt du noch, was du mir damals gesagt hast, als ich bei dir im Coaching saß und dir gesagt habe, wie unglücklich ich bin und dass es sich so komisch anfühlt, so vieles nicht gebacken zu bekommen?»

«Dass es okay ist, nicht immer okay zu sein?»

«Korrekt. Und als ich dann losflennte und dir von all dem erzählte, was in mir gerade nicht so gut ist und dass ich das Gefühl habe, ich würde mehr Freude und Glück und Leben wollen, als mir eigentlich zusteht, weil ich in einer merkwürdigen Beziehung zu meinem Minderwertigkeitskomplex stecke? Was war da dein Satz an mich?»

«Dass du ein Recht darauf hast, glücklich zu sein, und dass, wenn du es gerade nicht bist, wir einen Weg finden müssen, damit du es wieder bist.»

«Exakt. Und?»

«Und dass es egal ist, wie dieser Weg aussieht, weil weder deine Figur noch deine verkorkste Kindheit, deine Schwächen oder Fehler oder sonst irgendwas und schon gar nicht irgendjemand von außen dir das wegnehmen darf oder dir sagen darf, dass du es nicht wert bist.»

«Genau.»

«Um Gottes willen, ich klinge wie ein Kühlschrankmagnet.»

«Mir hat es geholfen.»

«Na immerhin.»

«Schön, dass du das noch so runterbeten kannst übrigens.»

«Easy. Ich habe das jedem gesagt.»

«Hast du es geglaubt?»

«Natürlich. Es ist ja im Grunde auch wahr. Wir haben ein Recht darauf, glücklich zu sein. Warum sind wir denn sonst überhaupt am Leben? Im Ernst jetzt? Wir machen das hier alle wahrscheinlich exakt ein Mal. Wir sollten das Beste rausholen, bevor es zu spät ist. Das ist vielleicht ein bisschen hedonistisch, aber im Grunde wollen wir doch alle nur glücklich sein, oder? Oder zumindest zufrieden. Sonst ist das Leben echt lästig.»

«Hört, hört! Stellt sich nur die Frage, warum du das mir sagst und nicht dir?»

«Weiß nicht. Es ist einfacher, es anderen zu sagen. An andere zu glauben, fällt mir superleicht.»

«Dann lass mich mal meine beste Freundin zitieren: Du hast ein Recht aufs Glücklichsein!»

«Deine beste Freundin ist ein Glückskeks?»

«Ein weiser alter Glückskeks, der ein bisschen nach nasser Pappe riecht.»

«Oh. Danke!»

«Gern!»

«Nasse Pappe? Ich, Mann!»

«Ja, okay, das war gemein.»

«Mal im Ernst. Meinst du? Auch dann, wenn … na ja, du weißt schon, wenn ich vieles tue, was irgendwie dumm ist? In letzter Zeit mache ich viel, das sich nicht so gut anfühlt.»

«Auch dann.»

«Sicher?»

«Sagt zumindest meine Beste, und die muss es wissen.»

«Weil?»

«Weil Betrunkene, kleine Kinder und Irre immer die Wahrheit sagen.»

«Beruhigend.»

«Mach das. Im Ernst. Fahr nach ganz weit weg. Finde, was immer du finden musst. Bring mit, was du mitbringen musst, und dann komm irgendwann wieder nach Hause. Glücklich oder unglücklich. Okay oder nicht okay. Nass oder trocken. Hauptsache, du kommst zurück.»

«Versprochen.»

«Gut. Und melde dich. Jeden Tag! Und schick Bilder!»

«Mache ich. Eine Sache noch.»

«Ja?»

«Wann weiß ich, dass es besser ist?»

«Das musst du mir sagen. Du bist doch weggefahren. Ohne mich. Was ich dir ewig vorhalten werde übrigens. Vielleicht wenn du nicht mehr heulend in einem Hotelzimmer sitzt? Oder wenn es dich mehr nach Hause als nach ganz weit weg zieht? Oder wenn es sich wieder gut anfühlt, du zu sein?»

«Das kann echt dauern.»

«Macht nichts. Ich liebe dich auch kaputt und warte hier.»

«Das ist gut. Ich dich auch.»

«Uns bleibt auch nichts anderes übrig. Und bring mir was mit!»

«Einen Spanier zum Beispiel?»

«Wenn er gut aussieht, why not?!»

«Ich gucke mal, ob ich den in den Kofferraum gestopft bekomme.»

«Mach dich glücklich und bis dahin mach es gut. Und wenn du dann herausgefunden hast, wie es geht, das mit dem Glücklichsein und so, dann sagst du mir Bescheid, damit wir es nicht wieder vergessen, okay?»

«Weil wir ein Recht darauf haben, glücklich zu sein?»

«Yes, Ma’am, ganz genau. Wer, wenn nicht wir, wann, wenn nicht jetzt, wo, wenn nicht hier. Oder wie ging der Spruch?»

«Jetzt klingst du wie ein Kühlschrankmagnet.»

«Ich habe von dir gelernt!»

«Leider wahr.»

«Bis morgen?»

«Auf jeden Fall.»

«Du wirst das französische Frühstück übrigens hassen!»

«Meinst du? Warum?»

«Warte es nur ab. Bis morgen. Küsschen aufs Nüsschen.»

«Igitt.»

 

Drei Minuten später geht eine Nachricht auf WhatsApp ein.

«Alta. Dein Zimmer ist echt unnötig hässlich! Da wäre ich auch am Heulen.»

Zweihundertsiebenundsechzig

Einen Tag vor diesem Gespräch mit meiner besten Freundin liege ich wach und zähle die Muster auf der Tapete an der Wand vor mir. Zweihundertsiebenundsechzig. Das soll wahrscheinlich irgendwie verspielt aussehen, ist aber ordentlich schiefgegangen. Zweihundertsiebenundsechzig. Ich habe sie alle gezählt. Mehrfach. Und ich habe Zeit, sie ein weiteres Mal zu zählen. Und dann vielleicht noch einmal. Denn anstatt zu schlafen, liege ich wach und starre an die Wand. Seit Stunden. Ich schlafe im Moment nicht sehr gut. Eigentlich schlafe ich seit einer Ewigkeit beschissen. Ich schlafe schlecht ein und noch schlechter durch. Mein Kopf ist zu voll. Mein Körper schmerzt zu sehr. Ich fühle mich ausgelaugt. Leer. Müde und gleichzeitig zu erschöpft, um zu schlafen. Mein Kopf ist rastlos, während alles andere in mir sich nach Ruhe sehnt. Eine Kombination, die mir den Schlaf raubt. Ich liege in einem Hotelzimmer irgendwo in München. Ich liege ständig in irgendeinem Hotelzimmer in irgendeiner Stadt, das ist Teil meines Jobs und Teil des Problems. Ich bin auf Tournee. Ich stehe jeden Tag in einer neuen Stadt auf. In einem fremden Bett. Schleiche manchmal zum Frühstück runter, ganz oft aber auch nicht, weil ich so früh am Morgen nicht essen mag und noch weniger sprechen möchte, weswegen ich sozialen Interaktionen bis nach dem zweiten Kaffee aus dem Weg gehe. Kaffee, der in Hotels immer lauwarm ist und immer ein wenig nach Freudlosigkeit schmeckt. Abends geht es dann zur Location. Get-in um 17 Uhr. Aufbau. Lichtprobe. Tonprobe. Durchgehen des Ablaufes. Noch einmal checken, ob alles für den Abend bereit ist. Make-up. Haare. Den BH zurechtrücken. Durchlaufprobe im Backstage. Einlass um 19 Uhr. Showtime um 20 Uhr. 22 Uhr 30 ist Showende. Mal etwas früher, mal etwas später. Dann kurz zurück ins Backstage. Haare. Deo. Retten, was vom Make-up zu retten ist. Ein Fisherman’s und eine Coke Zero. Ein letzter Blick in den Spiegel. Dann wieder raus. Nach vorn in die Halle, ins Foyer oder eben an den Platz, an dem der Signiertisch steht. Der Ort ist immer zu warm oder zu kalt. Als würden Signiertische ihre eigene unkomfortable Klimazone mitbringen.

Gewusel. Eine Schlange, so lang, dass ich das Ende nicht sehen kann. Fotos. Blitzlicht, das einen erblinden lässt. Dabei sieht man auf Fotos mit Blitzlicht immer aus, als hätte man sich gerade erschrocken. Habe ich mich meistens auch. Noch dazu schwitze ich. Auch wenn ich friere. Das ist der Nachklapp der Bühne. Da oben ist es immer heiß. Was das angeht, sind Bühnen wesentlich konstanter als Signiertische. Auf ihnen gibt es nur ein Klima: Tropenaquarium. Die Lichter, die eigene Aufregung, die konstante Konzentration, das Performen über zwei Stunden hinweg. Ein Raum voll mit Hunderten Menschen, die alle um die 37 Grad mitbringen. Das alles sorgt für konstante Hitze. Am Tisch dann viele Hallos. Kurze Gespräche. Zugeworfene Luftküsse. Herzen, aus Händen geformt. Blicke. Tausende davon. Unterschriften. Auf Autogrammkarten, in Bücher, auf nackter Haut. Ich signiere fast alles außer Geschlechtsteile und Haustiere.

Umarmungen. Geschüttelte Hände. Getätschelte Schultern. Umfasste Hüften. Menschen fassen einen an Autogrammtischen gerne an. Ich weiß nicht ganz genau, warum das so ist, aber ich habe eine Theorie. Ich glaube, dass es an den Emotionen liegt, die ich als Comedian auslöse. Meine Programme sind witzig, was bei einer Comedyshow nicht weiter überraschend ist, und sie sind emotional – vielleicht doch eher ungewöhnlich. So ein Programm ist eine Reise. Wir, das Publikum und ich, wir begeben uns Abend für Abend auf ein gemeinsames kleines Abenteuer. Das Ziel unserer Reise ist irgendwo in uns drin. Manchmal dort, wo oft ganz wenig Licht hinscheint. Wo es dunkel und ab und an etwas unheimlich ist und wo auf dem Weg so viele Scherben liegen, weil schon so manches in uns kaputtgegangen ist bei all den Kämpfen, die wir bis hierher ausgetragen haben. Kämpfe gegen andere und die zerstörerischsten gegen uns selbst. Wir betreten diese Regionen in uns lieber nicht, halten sie vor anderen verborgen. Vielleicht aus Selbstschutz, vielleicht aus Scham, sehr wahrscheinlich aus beiden Gründen. Aber weil wir uns sicher fühlen an einem solchen Abend, weil es dunkel ist um uns herum und wir uns unsichtbar fühlen dürfen inmitten all der Menschen, die uns das Gefühl von Anonymität schenken, trauen wir uns. Wir lachen und klatschen und kichern uns voran. Schritt für Schritt. Gag für Gag. Und weil da dieser Mensch auf der Bühne steht, der sich stellvertretend für uns alle selbst zum Narren und das Publikum zu Helden macht – denn so sollte es immer sein –, trauen wir uns, mitzugehen, zuzugeben, dass es diese dunklen Orte in uns gibt, diese nie verheilten Wunden, diese Fragen, auf die wir nie eine Antwort bekamen, die Stimme, die uns an uns selbst zweifeln lässt. Dass wir uns manchmal an diesen inneren Barrikaden aus Stacheldraht über die Jahre wund und blutig reiben. Aber weil wir darüber gemeinsam laut lachen und manchmal genauso laut weinen, trauen wir uns, uns berühren zu lassen.

Und weil das so ist, verwechselt man am Ende die Botschaft mit dem Boten. Und so wird aus mir, dem Comedian auf der Bühne, der über das «Manchmal-so-herrlich-kaputt-Sein» spricht, plötzlich ein Mensch, der sich vertraut anfühlt. Obwohl man sich eigentlich gar nicht kennt. Denn in dem, was in uns schmerzt, sind wir uns alle ähnlich. Und nah. Und weil man sich so nah fühlt, verleiht man diesem Gefühl Ausdruck. Mit mehr Nähe. Mit Umarmungen und Händen auf Armen und Schultern, dem Rücken oder der Hüfte. Ich verstehe das sehr gut. Ich mag es nur nicht besonders, angefasst zu werden. Mich verunsichert es, wenn Menschen, die ich nicht kenne, meinen Körper berühren, aber das ist ein Problem, das in meinem Kopf ist. Ein altvertrautes Problem. Eine meiner Stacheldraht-Burgen. Am Signiertisch lächle ich das weg und sage: «Ja natürlich, komm her!», wenn mich jemand um eine Umarmung bittet. Ich werde immer sagen: «Ja natürlich, komm her!», wenn jemand in den Arm genommen werden muss. Weil ich in den Arm genommen werden muss. Ganz dringend. Und deswegen weiß, wie nötig das manchmal ist, wie viel das bedeuten kann und dass eine aufrichtige Umarmung manchmal den Lärm im Kopf und in der Seele für einen kurzen Augenblick auf mute stellen kann. Und wenn ich der Schallschutz für einen anderen Menschen sein kann, auch nur für einen kurzen Augenblick, dann möchte ich es sein. Egal, wie lange ich dafür nach einer Show dort stehen muss, und im Regelfall stehe ich lange.

 

Mir tun die Füße weh. Der Rücken. Die Muskeln. Ich bin nicht gut im Small Talk. Das liegt vermutlich daran, dass ich nur auf der Bühne laut und outgoing bin. Privat, als Mensch ohne Mikro in der Hand, ohne Scheinwerferlicht im Gesicht, ohne die so oft zitierten Bretter unter meinen Füßen, die mir – so abgedroschen das auch klingen mag – wirklich die Welt bedeuten, bin ich introvertiert wie ein Einsiedlerkrebs. Menschen machen mir Angst. Besonders wenn viele von ihnen auf einem Haufen sind. Ich fühle mich unwohl, wenn ich im Mittelpunkt stehe. Ich empfinde es als außergewöhnlich herausfordernd, wenn ich angestarrt werde, und ich weiß nie, was ich sagen soll, wenn mich jemand anspricht, den ich nicht kenne. Mir ist klar, dass das fast ironisch klingt, wenn man sich meinen Beruf vergegenwärtigt. Ich bin Stand-up-Comedian. Autorin. Podcasterin. Mein Beruf ist es, Menschen zum Lachen zu bringen. Sie etwas fühlen und den Mist der Welt für zwei Stunden vergessen zu lassen. Ich gehe auf die Bühne und möchte dafür sorgen, dass all die Menschen im Publikum an diesem Abend ein bisschen weniger Schmerzen verspüren, seien es körperliche oder emotionale. Sie sollen den Stress draußen lassen können, und ich will, dass Menschen sich gesehen fühlen, die sonst so oft das Gefühl haben, unsichtbar zu sein. Dass sich Menschen weniger alleine, dafür aber mehr verstanden fühlen. Und ich bin gut in dem, was ich mache. Das ist nicht arrogant, es ist einfach so. Die Shows sind oft lang im Voraus ausverkauft. Die Bücher schaffen es in die Bestsellerliste. Die Quoten sind gut, wenn ich in eine TV-Kamera spreche. Ich bilde mir nichts darauf ein, aber ich bin froh und glücklich, dass es so ist. Ich bin Künstlerin von Kopf bis Fuß und weiß, wie glücklich ich mich schätzen darf, dass es, wie man so schön sagt, läuft. Ja, es läuft. Es läuft sogar extrem gut und viel besser, als ich es mir jemals erhofft hätte. Was das angeht, ist alles mehr oder weniger okay.

Was allerdings nicht okay ist, bin ich. Ich bin überhaupt nicht in Ordnung – wenn ich abends von der Bühne zurück ins Hotel komme, im Bett liege, so wie jetzt, oder unter der Dusche stehe und hoffe, dass das Wasser mich irgendwie wieder mit Leben auffüllt, weil ich schon so lange das Gefühl habe, dass mich nichts mehr wirklich erreicht. Dass ich nicht reiche. Dass mein Leben mir nicht zum Leben reicht. Wenn mein Job droht, zu etwas zu werden, das nur dazu da ist, meine Miete zu sichern, und wenn ich den ganzen Tag nah am Wasser gebaut habe, nur um dann festzustellen, dass ich abends zu erschöpft bin, um zu heulen, dann stimmt etwas nicht.

 

Zweihundertsiebenundsechzig, und ich beginne wieder bei Eins. Irgendwann muss ich aufstehen und etwas tun. Aufstehen, duschen, alles einpacken und dann endlich nach Hause fahren zum Beispiel. Zurück nach Hamburg. Dorthin, wo meine Katze wohnt. Es ist der Morgen meines ersten freien Tages seit Monaten. Die letzte Zeit war intensiv, stressig, anstrengend und hat mich ausgelutscht wie eine Siebenjährige eine Capri-Sonne. Ich bin kaputt. Innen und außen. Die letzten Dreharbeiten haben mir mein rechtes Knie zerschossen. Eine falsche Drehung auf einem Feld irgendwo mitten in der Pampa. Beobachtet von zwei Kameras und einem Team von Menschen, von denen ich 80 Prozent nie wiedersehen werde. Ich kann seitdem nicht mehr schmerzfrei auftreten. Die letzten Shows und TV-Auftritte absolvierte ich mit einer Mischung aus Tapes, überdosierten Schmerzmitteln, Zähnezusammenbeißen und einem Mantra aus «Ich schaffe das schon» und «Fuck that shit». Sie wurden dennoch ein Erfolg. Stehende Ovationen. In den Shows mit und ohne Kamera. Ich sollte glücklich darüber sein, aber ich bin es irgendwie nicht. Ich bin froh, es ohne größere Katastrophen geschafft zu haben, aber ich bin schon lange nicht mehr glücklich gewesen. Oder zufrieden. Oder nicht so ängstlich. Oder schmerzfrei. Oder einfach nicht so leer, zerschossen und irgendwie unterschwellig traurig.

 

Sechsundneunzig, siebenundneunzig, achtundneunzig. Die Tapete ist gelb. Ich glaube, das war sie nicht immer. Es ist eines dieser Hotels, das in einem Zimmer mit Doppelbett einen Satz Handtücher entfernt und nur eine Decke und ein Kissen übrig lässt, sobald man dort allein übernachtet. Ich hasse das. Mir ist klar, dass das weniger Arbeit macht und bestimmt auch besser für die Umwelt ist, aber ich hasse es trotzdem. Man weiß dann auch sofort, wie das Frühstück ist, dass der Käse gewellte Kanten haben wird und das Personal gerade auch lieber woanders wäre. Ich verstehe das. Hotels sind Orte ohne Seele. Sie sind manchmal sehr hübsch eingerichtet. Manchmal werde ich beim Einchecken mit Namen begrüßt, und man ahmt das Gefühl von Heimeligkeit nach, aber im Grunde ist es kein Zuhause. Auch nach Monaten nicht. Hotels sind Verwahrungseinrichtungen. Mal mit viel Tamtam, Plüsch und Gold, ein anderes Mal ausgesprochen hässlich und fürchterlich in die Jahre gekommen, aber all der Luxus ersetzt in keinem Moment das Gefühl eines Zuhauses. Nicht einmal dann, wenn am Eingang eine sorgsam gepflegte 5-Sterne-Superior-Plakette glänzt.

 

Einhundertundzwei. Einhundertunddrei. Einhundertundvier. Ich fühle mich alleine. Das bringt der Beruf irgendwie mit sich. Ständig auf Tour, wenig zu Hause, kaum Freizeit. Da liegt das Privatleben schnell brach, aber das ist es nicht allein. Mir fehlt Verbundenheit, das Gefühl, mein Leben teilen zu können. Mit irgendjemandem oder wenigstens mit mir. Ich fühle mich seit einer Ewigkeit, als sei ich zu Besuch in meinem eigenen Leben. Alles ist durchorganisiert. Management. Tourmanagement. TV-Sender. Termine. Verträge. Meetings. Calls. Social-Media-Arbeit. Ich spreche in Mikrofone, in Kameras, zu Publikum, in Tonnen, auf Papier. Ich ziehe mich ständig um. Packe ständig neu. Reise, ohne jemals irgendwo anzukommen. Ich verdiene mein Geld damit, andere Menschen zum Lachen zu bringen, und beende jeden Abend damit, dass ich nach einer Show auf der Bettkante sitze, manchmal stundenlang, und nicht mehr genug Energie habe, um mich auszuziehen, meine Zähne zu putzen und schnell duschen zu gehen. Also bleibe ich da sitzen. Bis zwei Uhr, drei Uhr nachts. Manchmal länger. Warte. Und zähle Dinge. Lamellen. Tupfen. Türkise Ranken auf anthrazitfarbenen Teppichen. Tage, die ich noch habe, bis zum nächsten Mal Funktionierenmüssen. Minuten bis zum Sonnenaufgang. Tabletten im dafür vorgesehenen Vorsortierer. Atemzüge, die zwischen zwei Anfällen von Herzrasen liegen, das ich seit geraumer Zeit immer mal wieder habe. Es ist nichts, sagt mein Kardiologe, nur Stress, und vielleicht sollte ich mal kürzertreten. Mal was Schönes machen. Wegfahren. Urlaub oder so.