Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Alfred Bekker DUNKLE AHNUNGEN 4 unheimliche Romane Gesamtumfang: ca. 400 Normseiten INHALT Sara und der Kult der Schlange Das Phantom von Tanger Dunkler Reiter Dein Albtraum wird zur Wirklichkeit Zu den Romanen: SARA UND DER KULT DER SCHLANGE „Sara Norwood reist nach Irland, um den Tod ihres Bruders aufzuklären. Der Archäologe und Spezialist für alt-keltische Kulte starb unter mysteriösen Umständen. Welche Rolle spielte dabei ein mysteriöser Schlangenkult, der offenbar bis heute praktiziert wird? Sara begegnet einer Mauer des Schweigens und einem gleichermaßen faszinierenden wie zwielichtigen Mann, in den sie sich verliebt. Schließlich muss Sara erkennen, dass man auch sie töten will...“ DAS PHANTOM VON TANGER „Linda reist ihrem Verlobten in die marokkanische Stadt Tanger nach, wo dieser eine britische Firma als Anwalt vertritt. Doch ihr Verlobter wirkt seltsam verändert und scheint sie kaum wieder zu erkennen. Eine furchtbare, unerklärliche Verwandlung muss mit ihm vor sich gegangen sein und schon bald hat Linda den Verdacht, dass er das geheimnisvolle Phantom ist, das bei Vollmond durch die Straßen der Stadt schleicht und scheinbar wahllos tötet...“ Keine andere Stadt hat den Autor Alfred Bekker so fasziniert wie Tanger, weshalb er in seinen Romanen (z.B. „Das Phantom von Tanger“ und „Tod in Tanger“) immer wieder dorthin zurückkehrt. DUNKLER REITER Die junge Lehrerin Maureen Stanley tritt in einem kleinen Ort ihre erste Stellung an und mietet von dem etwas merkwürdig wirkenden Jason Cormick ein Haus, auf dem eine Art Fluch zu liegen scheint. Die Vormieterin endete im Wahnsinn. Sie glaubte von einem unheimlichen, schwarz maskierten Reiter verfolgt zu werden. Und genau dieser unheimliche Reiter scheint es auch auf Maureen abgesehen zu haben. DEIN ALBTRAUM WIRD ZUR WIRKLICHKEIT „Linda wird von Albträumen geplagt, in denen sie von einer Gestalt in eine Burgruine gehetzt wird. Ist sie nur überarbeitetet oder schon dem Wahnsinn nahe? Als sie dann dieselbe Burgruine auf einem Reiseprospekt entdeckt und sie ihren scheinbar grundlosen Ängsten auf den Grund zu gehen versucht, wird ihr Albtraum zur Wirklichkeit...“
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 442
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Alfred Bekker
DUNKLE AHNUNGEN
4 unheimliche Romane
Gesamtumfang: ca. 400 Normseiten
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author (Alfred Bekker)
© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173653
Cover
Titel
Impressum
Zu den Romanen
Über den Autor
Sara und der Kult der Schlange
Das Phantom von Tanger
Dunkler Reiter
Dein Albtraum wird zur Wirklichkeit
SARA UND DER KULT DER SCHLANGE
„Sara Norwood reist nach Irland, um den Tod ihres Bruders aufzuklären. Der Archäologe und Spezialist für alt-keltische Kulte starb unter mysteriösen Umständen. Welche Rolle spielte dabei ein mysteriöser Schlangenkult, der offenbar bis heute praktiziert wird? Sara begegnet einer Mauer des Schweigens und einem gleichermaßen faszinierenden wie zwielichtigen Mann, in den sie sich verliebt. Schließlich muss Sara erkennen, dass man auch sie töten will …“
DAS PHANTOM VON TANGER
„Linda reist ihrem Verlobten in die marokkanische Stadt Tanger nach, wo dieser eine britische Firma als Anwalt vertritt. Doch ihr Verlobter wirkt seltsam verändert und scheint sie kaum wieder zu erkennen. Eine furchtbare, unerklärliche Verwandlung muss mit ihm vor sich gegangen sein und schon bald hat Linda den Verdacht, dass er das geheimnisvolle Phantom ist, das bei Vollmond durch die Straßen der Stadt schleicht und scheinbar wahllos tötet …“
Keine andere Stadt hat den Autor Alfred Bekker so fasziniert wie Tanger, weshalb er in seinen Romanen (z.B. „Das Phantom von Tanger“ und „Tod in Tanger“) immer wieder dorthin zurückkehrt.
DUNKLER REITER
Die junge Lehrerin Maureen Stanley tritt in einem kleinen Ort ihre erste Stellung an und mietet von dem etwas merkwürdig wirkenden Jason Cormick ein Haus, auf dem eine Art Fluch zu liegen scheint. Die Vormieterin endete im Wahnsinn. Sie glaubte von einem unheimlichen, schwarz maskierten Reiter verfolgt zu werden. Und genau dieser unheimliche Reiter scheint es auch auf Maureen abgesehen zu haben.
DEIN ALBTRAUM WIRD ZUR WIRKLICHKEIT
„Linda wird von Albträumen geplagt, in denen sie von einer Gestalt in eine Burgruine gehetzt wird. Ist sie nur überarbeitetet oder schon dem Wahnsinn nahe? Als sie dann dieselbe Burgruine auf einem Reiseprospekt entdeckt und sie ihren scheinbar grundlosen Ängsten auf den Grund zu gehen versucht, wird ihr Albtraum zur Wirklichkeit …“
Alfred Bekker schrieb diese fesselnden Romantic Thriller. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL AUS MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im Dezember 2012 erscheint mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.
Alfred Bekker
© 1997 by Alfred Bekker
© 2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress
Ein CassiopeiaPress E-Book
Es war, als ob sich eine kalte Hand auf Saras Rücken legte.
Ein Schauer durchfuhr ihren Körper. Sie fühlte, wie sich innerhalb eines einzigen Augenblicks eine Gänsehaut bildete.
Sara schluckte.
Zwei blutrote Augen starrten sie an. Es waren kalte Facettenaugen mit einer grausamen, unmenschlichen Ausstrahlung, die zu einem schuppigen Schlangenkopf gehörten.
Das Maul war halb geöffnet. Die Giftzähne waren gut sichtbar.
Dazwischen züngelte etwas Dunkles hervor. Eine gespaltene Zunge.
"Was ist das für ein Amulett?", brachte Sara Norwood heraus, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. Sie streckte die Hand aus und griff nach dem Amulett mit dem Schlangenkopf. Es stellte eine Handarbeit in höchster Perfektion da. Es war kein billiger Ramsch, das stand fest. Und irgendwie schien es nicht so recht zu dem anderen Plunder zu passen, den es in diesem Second-hand-Laden zu kaufen gab.
Sara nahm das Amulett und hielt es ins Licht.
Die roten Schlangenaugen funkelten dabei böse und Sara fragte sich, woher der eisige Schauer rührte, den dieses Ding ihr über den Rücken gejagt hatte. Es gab eigentlich keinen Grund dafür.
Es war ein kitschiges Amulett. Nichts weiter.
Ihre Hand umschloss den Schlangenkopf.
Sara atmete tief durch.
"Zeigen Sie mal, Miss", war indessen die Stimme von Mr. Kline zu hören, dem dieser Laden gehörte. T.K.Kline - An- und Verkauf - so stand es groß über der Ladentür.
Kline war ein kleiner, drahtiger Mann, der die sechzig sicher schon überschritten hatte. Er lächelte freundlich und Sara hielt ihm das Amulett hin.
"Ich meine das hier!", sagte sie.
Klines Gesicht veränderte sich. Es verlor innerhalb eines einzigen Augenblicks fast jegliche Farbe. Mit zitternder Hand griff er nach dem Amulett und nahm es an sich.
"Geben Sie her!", forderte Kline dann unvermittelt.
Sara deutete auf das Regal mit alten Büchern.
"Es lag einfach dort."
"Was?"
"Dort, in der Lücke." Sara studierte aufmerksam das Gesicht ihres Gegenübers. Kline sah aus, wie ein Mann, dem man gerade sein Todesurteil gezeigt hatte.
"Was ist das für ein Amulett?", wiederholte Sara ihre Frage, während Kline sich bereits halb abgewandt hatte.
"Was?" Er drehte sich herum. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich das schüttere Haar wieder nach hinten. "Es ist nichts", beeilte er sich dann. "Es ist nichts …"
"Ist es nicht zu kaufen?"
"Nein!"
"Von wem haben Sie es? Es sieht ziemlich … merkwürdig aus."
"Es ist schon ziemlich spät", sagte Kline und steckte das Amulett in die Tasche seines ausgebeulten Tweedjacketts. Er fasste Sara bei der Schulter. Das war deutlich. Er wollte sie hinauskomplimentieren. "Ich möchte jetzt schließen!"
Er schob sie vor sich her und brachte sie zur Tür. Bevor sie hinausging, wandte sie sich noch einmal kurz zu Mr. Kline um. Aber der Blick, mit dem der Besitzer des Second-hand-Ladens sie bedachte, ließ sie davor zurückschrecken, nochmal nachzufragen.
Klines Augen waren glasig.
"Auf Wiedersehen", sagte er mit tonloser Stimme. Und einen Moment später fand Sara sich auf der Straße wieder. Es war kühl und der Nebel hing mal wieder grau und schwer über London. Sara ging die vollgeparkte Nebenstraße entlang, in der sich Mr. Klines Laden befand.
Bis zu ihrer Wohnung waren es kaum fünf Minuten. Seit gut drei Monaten hatte sie eine großzügige Dachgeschosswohnung gemietet.
Es war beileibe keine Luxusunterunterkunft, aber dennoch teuer genug. Aber das machte nichts. In ihrem Job in der Redaktion einer Illustrierten hatte sie ohnehin nicht selten einen Sechzehn-Stunden-Tag und war nicht oft zu Hause. Da spielte das keine Rolle.
Den ganzen Weg über und noch während sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufging erschien immer wieder das Amulett mit dem Schlangenkopf vor ihrem inneren Auge. Sie schloss ihre Wohnungstür auf und stellte dabei fest, dass ihre Hand zitterte.
Mein Gott, das ganze hat mich wohl mehr mitgenommen, als ich dachte!, ging es ihr durch den Kopf. Sie war etwas verwundert. Schließlich war der Anlass eigentlich nicht der Rede wert gewesen. Ein Amulett mit einen Schlangenkopf, dessen Augen rot und böse funkelten.
Eine merkwürdige, unheimliche Aura der Bedrohung schien von diesem Amulett auszugehen.
Etwas, das nicht zu erklären war …
Sara schloss die Wohnungstür hinter sich und warf die Handtasche auf die Couch. Der Mantel flog gleich hinterher. Die flachen Pumps ließ sie auf dem Teppich und dann ging sie in die Küche.
Sie war müde und hungrig.
Und morgen wartete wieder ein anstrengender Tag auf sie.
Sie hatte ihren Job noch nicht sehr lange und das hieß, dass sie sich bewähren musste. Sie war Anfängerin und musste deswegen besonders gut sein. Außerdem hatte sie sich vorgenommen, Karriere zu machen. Eines Tages Chefredakteurin sein, davon träumte sie.
Aber im Moment war sie nur hungrig und müde.
Sie machte den Kühlschrank auf. Aber was da zu sehen war, war nicht sehr vielversprechend.
Sara seufzte.
Und dann klingelte es an ihrer Wohnungstür.
Sara machte den Kühlschrank wieder zu und schlüpfte in ihre Pumps.
*
Vor der Tür stand ein breitschultriger Mann in den Vierzigern, der den Großteil seiner Haare bereits eingebüßt hatte.
"Inspektor Curren - Scotland Yard", sagte der Mann, noch ehe Sara auch nur Luft geholt hatte. Er zeigte ihr seinen Dienstausweis und Sara nickte.
"Guten Abend. Was wollen Sie von mir?"
"Sind Sie Miss Norwood? Sara Norwood?"
"Ja, die bin ich."
"Ich muß Sie sprechen, Miss Norwood …"
Curren sah die junge Frau nicht an, als er das sagte und es schien Sara fast so, als würde er ihrem Blick ausweichen.
Sara fühlte ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend.
Curren sah aus wie jemand, der eine schlechte Nachricht zu überbringen hatte und Sara fragte sich instinktiv, was wohl geschehen war.
"Was ist passiert?", hörte sie sich selbst sagen.
"Darf ich hereinkommen?", fragte Curren. Er schluckte dabei.
Viel Spaß schien ihm sein Beruf in diesem Moment nicht gerade zu machen.
"Ja, sicher", beeilte sich Sara.
Sie bot ihm einen Sessel an, in dem er sich niederließ.
Er sah sie noch immer nicht an. Curren druckste etwas herum, hüstelte verlegen und begann dann: "Miss Norwood, Sie haben einen Bruder, nicht wahr?"
"Jack!"
Auf einmal schlug Sara der Puls bis zum Hals. Ein dicker Kloß steckte in ihrer Kehle, so dass sie unmöglich einen Laut hätte hervorbringen können. Eine furchtbare Ahnung ergriff sie.
"Ihr Bruder ist tot", brachte Inspektor Curren indessen mit tonloser Stimme heraus. Der Inspektor langte in seine Jackett-Innentasche und holte ein Foto hervor, das er Sara reichte. Sara nahm das Bild in die Hand. Es kostete sie eine ziemlich große Überwindung, hinzusehen.
"Ist das Jack Norwood - Ihr Bruder?", fragte Curren.
Sara spürte, wie eine Träne über ihre Wange lief. Sie nickte stumm. Er war es. Immerhin waren ihm die Augen geschlossen worden.
Und dann stutzte sie.
Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie das Amulett sah, das ihr toter Bruder um den Hals trug. Ein Schlangenkopf mit böse funkelnden Facettenaugen …
Es versetzt Sara einen Stich und sie fühlte augenblicklich wieder die Gänsehaut ihren Körper überziehen. Es war dieselbe Empfindung, die sie in T.K.Klines Second-hand-Laden gehabt hatte - nur viel stärker.
Wie durch einen Nebel hörte sie die Stimme des Inspektors.
"Ich weiß, dass es ein schwerer Schlag für Sie ist, Miss", hörte sie ihn sagen, aber sie achtete kaum auf seine Worte..
Ihr Blick hing statt dessen wie gebannt an dem Amulett.
"Was ist passiert?", murmelte Sara schließlich, als der Inspektor aufgehört hatte zu reden. Sie legte das Foto auf den niedrigen Wohnzimmertisch. Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich über die Augen und kämmte eine Haarsträhne nach hinten.
"Es ist vor vier Wochen passiert", erklärte Inspektor Curren. "Drüben, in Irland. Gwenderon, so heißt der Ort - das ist ein kleiner Ort bei Limerick."
Sara sah ihn fassungslos an. "Was?" Sie konnte es nicht fassen. "Vor vier Wochen?"
"Nun, Sie scheinen in letzter Zeit einige Male umgezogen zu sein, Miss Norwood. Es war nicht ganz einfach, Sie ausfindig zu machen …"
Sara atmete tief durch.
Da musste sie dem Mann von Scotland Yard recht geben.
Außerdem hatte es jetzt auch keinerlei Sinn, sich darüber zu beschweren. Das half nicht weiter. Und am wenigsten konnte es Jack noch helfen …
"Gibt es noch weitere Angehörige, die verständigt werden müssten?", fragte Curren.
Sara schüttelte den Kopf.
"Nein. Unsere Eltern sind vor ein paar Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Und sonst gibt es niemanden … Woran starb Jack?"
"Oh, habe ich das nicht gesagt? An einem Schlangenbiss."
"Was?" Sara sah Curren erstaunt an. "Aber wenn Scotland Yard sich um die Sache kümmert, dann …"
"Vermutet man ein Verbrechen. Das ist richtig. Die Kollegen in Irland haben das auch. Schließlich ist Irland nicht gerade ein Land, in dem Giftschlangen frei herumkriechen. Außerdem hat er noch eine Kopfverletzung, von der man nicht genau sagen kann, ob sie von einem Sturz oder einem Schlag herrührt …"
"Wo hat man ihn gefunden?"
"In einem einsamen Cottage. Die Sache scheint ziemlich rätselhaft. Hat Ihr Bruder je etwas mit Schlangen zu tun gehabt?"
Sara schüttelte den Kopf. "Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Allerdings ist der Kontakt zu Jack seit etwa einem Jahr abgebrochen."
Curren sah sie fragend an. "Wie meinen Sie das, Miss Norwood?"
Sara zuckte die Schultern. "Er ist einfach verschwunden. Eine Karte von irgendwoher, das war alles. Er hat sich nicht mehr gemeldet. Und ich hatte auch keinerlei Ahnung, wo er sich aufhält."
Inspektor Curren warf plötzlich einen Blick auf die Uhr. Dann erhob er sich. "Es ist schon ziemlich spät … Ich muß jetzt gehen. Vielleicht könnten Sie in den nächsten Tagen nochmal in mein Büro kommen. Dann können wir Ihre Aussage aufnehmen …"
"…die Sie dann den Kollegen in Irland schicken", schloss Sara. Und die würden das Protokoll wahrscheinlich in eine Akte heften und damit war die Sache erledigt. "Hat man die Schlange eigentlich gefunden, die Jack gebissen hat?"
"Nein."
"Wie groß sind die Chancen, die Sache aufzuklären?", fragte Sara, als Curren schon zwei Schritte in Richtung Tür gemacht hatte. Er wich ihrem Blick wieder aus, eine Angewohnheit, die sie nicht mochte.
Curren zuckte die Schultern.
"Nun …"
"Sie können ruhig ehrlich zu mir sein, Inspektor!"
Der Inspektor sah auf und bedachte sie mit einem Blick, der Bedauern ausdrückte. Er wirkte hilflos,als er so mit seinen breiten Schultern zuckte.
"Ein rätselhafter Todesfall", murmelte er. "Nach dem, was unsere irischen Kollegen uns mitgeteilt haben, besteht keine große Chance die Sache aufzuklären. Niemand in Gwenderon und Umgebung will ihren Bruder gekannt oder irgend etwas gesehen oder bemerkt haben, was weiterhelfen könnte. Aber die Ermittlungen sind ja erst am Anfang. Und vielleicht …"
Sara hob den Kopf.
"Schon gut, Inspektor. Ich verstehe schon."
"Es tut mir sehr leid. Glauben Sie mir, es gibt Dinge, die ich sehr viel lieber mache, als solche Nachrichten zu überbringen …"
"Das verstehe ich." Saras Stimme hatte einen heiseren Klang, als sie das sagte.
"Leben Sie wohl, Miss Norwood."
"Einen Moment noch!"
Er hatte den Türgriff schon in der Hand. "Ja?", fragte er und hob dabei die Augenbrauen.
"Darf ich das Foto behalten?"
"Wenn Sie wollen …"
Curren reichte es Sara. Diese warf einen kurzen Blick darauf und deutete dann mit dem Finger auf das Amulett. "Weiß man, was das hier zu bedeuten hat?"
Curren sah auf das Bild und runzelte die Stirn.
"Nein. Keine Ahnung."
"Ich habe so etwas schon mal gesehen."
"Und wo?"
Sara erzählte dem Inspektor von T.K.Kline und seinem Laden. "Dieses Amulett muss irgendeine Bedeutung haben, Inspektor, denn Mister Kline wurde totenblass, als ich es ihm zeigte."
Curren schien weniger davon überzeugt zu sein, dass dieses Schlangenkopfamulett irgend eine Bedeutung hatte. "Und? Was ist denn Ihre Idee, was das Ding da zu bedeuten hat?"
"Ich weiß es nicht. Aber Mister Kline wusste es, das steht für mich fest."
Curren seufzte. "Kann ich jetzt noch bei ihm vorbeischauen?"
"In seinem Geschäft ist er um diese Zeit nicht mehr. Er wohnt irgendwo außerhalb, aber ich habe keine Ahnung, wo genau. Am besten, Sie versuchen es morgen."
Curren nickte. "Gut."
Dann öffnete er die Tür und ging die Treppe hinunter. Und während Sara seine schweren Schritte verhallen hörte, spürte sie, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen und das dezente Make up verwischten.
Jack! Oh, Gott, warum nur?
Sie schloss die Wohnungstür, presste das Foto an sich und ließ sich dann auf die Couch fallen. Was mochte nur mit Jack geschehen sein? Was hatte ihn in die Abgeschiedenheit des westlichen Irlands getrieben? In Saras Kopf wirbelte alles durcheinander. Sie machte sich Vorwürfe und dann waren da so viele bohrende Fragen.
Dinge, die einfach nicht zueinander passten.
Sara war fünf Jahre älter als Jack und hatte sich immer ein bisschen für ihn verantwortlich gefühlt. Besonders, nachdem ihre Eltern so plötzlich gestorben waren. Jack war damals erst siebzehn gewesen und hatte noch die Schule besucht, während Sara ihren ersten Job als Reporterin gehabt hatte damals noch in der Lokalredaktion einer Tageszeitung.
Dann hatte Jack studiert. Erst Archäologie, dann alte Geschichte, schließlich Philosophie. Einen Abschluss hatte er nirgends gemacht. Dann war er mit ein paar Freunden durch Europa getrampt, hatte sich als Straßenmusiker und Taxifahrer verdingt.
Langsam aber sicher war der Kontakt zwischen den Geschwistern lockerer geworden. Und eines Tages war er dann nach Irland gegangen.
Sara hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb.
Wahrscheinlich war es einfach eine Augenblickslaune von ihm gewesen.
Schließlich war der Kontakt ganz abgerissen. Und jetzt dieses Foto …
Ich muss herausfinden, was mit ihm geschehen ist!, ging es ihr durch den Kopf. Das war sie ihm irgendwie schuldig …
*
Am nächsten Morgen musste sie erst um zehn in der Redaktion sein. Zeit genug also, um noch einmal bei Mr. Kline vorbeizuschauen. Um diese Zeit musste er eigentlich in seinem Laden stehen und an Jugendliche gebrauchte Schallplatten und alte Comic-Hefte verkaufen.
Es war ein kalter diesiger Tag.
Der Nebel hing noch immer wie eine Glocke über London und tauchte alles in ein tristes Grau. Irgendwie passte das Wetter zu der Stimmung, die sie empfand. Sara hatte schlecht geschlafen. Unruhige Träume hatten sie die ganze Nacht über gequält. Sie konnte sich nicht mehr so recht an sie erinnern, aber eines wusste sie noch …
Ein Schlangenkopf hatte in diesen Träumen eine Rolle gespielt …
Wahrscheinlich die überreizten Nerven, die mir da einen Streich gespielt haben!, ging es ihr durch den Kopf, während sie fröstelnd die wenigen Dutzend Meter Bürgersteig hinter sich brachte, die zwischen ihrer Wohnung und Mister Klines Second-hand-Laden lagen.
Seit Wochen arbeitete sie sehr hart und dann die schlimme Nachricht, die Inspektor Curren ihr am Vorabend übermittelt hatte. Das war alles etwas zuviel auf einmal gewesen.
Als sie den Laden betrat, fiel ihr sofort auf, dass nicht geheizt war. Es war kalt und klamm im Laden. Für gewöhnlich hatte Kline immer einen Ölofen in Betrieb, auf dem er sich Mittags eine Suppe kochte, nach der dann der ganze Laden roch.
"Mister Kline?", rief Sara. Aber niemand antwortete ihr.
Sara umrundete einen riesigen, ungeordneten Stapel alter Taschenbücher und blickte sich um. Das Licht war seltsamerweise nicht eingeschaltet.
Im Laden herrschte eine Art Halbdunkel und Saras Augen brauchten ein paar Augenblicke, um sich daran zu gewöhnen.
"Mister Kline, sind Sie da?"
Dann bemerkte sie, dass ein Stapel alter Comics vom Tresen gerissen worden war.
Die Hefte lagen auf dem Boden verteilt. Sara umrundete den Tresen und erstarrte.
Das Blut drohte ihr förmlich in den Adern zu gefrieren.
T.K.Kline lag ausgestreckt auf dem Boden. Seine Augen blickten starr und tot ins Nichts. Und auf seiner Brust lag jenes Schlangenamulett, das ihn am Tag zuvor so sehr erschreckt hatte …
Ein Amulett, das den Tod zu bringen schien …
Sara stand einen Augenblick lang wie erstarrt da. Es ist wie in einem schrecklichen Alptraum!, ging ihr es durch den Kopf.
Allerdings gab es aus diesem Alptraum nicht ein einfaches Erwachen, nachdem nichts weiter, als eine vage Erinnerung blieb …
Ich werde die Polizei anrufen müssen!, wurde es ihr klar.
Sie blickte sich um und suchte mit den Augen nach dem Telefon. Sie fand es schließlich neben der Kasse, begraben unter einem gebrauchten Judoanzug, den Kline für ein paar Pfund zum Kauf anbot. Sie räumte den Anzug beiseite und nahm den Hörer ans Ohr. Mit schnellen Bewegungen wählte sie die Nummer der Polizei.
Ein Geräusch ließ sie dann in der nächsten Sekunde zusammenzucken. Es war ein unangenehmer, drohender Zischlaut.
Aus den Augenwinkeln heraus nahm sie eine Bewegung war und wirbelte herum. Auf dem Boden kroch etwas Längliches, Schuppenbewehrtes langsam auf sie zu …
Eine Schlange.
Kalte Facettenaugen blickten sie an, eine dunkle, gespaltene Zunge schnellte hervor. Die Giftzähne waren lang und spitz. Dann spürte sie im nächsten Moment, wie sie bei der Schulter gepackt und von einer unwiderstehlichen Kraft zu Boden gerissen wurde. Sie fühlte noch, wie ihr Kopf irgendwo aufschlug.
Und dann wurde es dunkel vor ihren Augen.
Namenlose, finstere Nacht umgab ihr Bewusstsein …
*
Das erste, was Sara Norwood sah, als sie erwachte, war ein diffuses Leuchten, das nach und nach die Finsternis aufzulösen begann.
Es dauerte eine Weile, bis sie völlig zu sich kam.
Schließlich sah sie, dass das Leuchten von einer Neonröhre stammte und das sie sich in einem Krankenhauszimmer befand.
Sie war allein im Raum. Das andere Bett war frei, die Decke glattgezogen, so dass nicht eine einzige Falte zu sehen war.
Sara fragte sich, wie viel Zeit vergangen war.
Und dann stiegen düstere Erinnerungen in ihr auf.
Erinnerungen an den toten Mister Kline, an das Amulett und die Schlange.
Es vergingen einige Minuten, dann kam eine Krankenschwester herein. Sie lächelte Sara erfreut an und rief per Knopfdruck gleich den Arzt.
Sara versuchte sich aufzurichten, aber sie merkte sofort, dass das keine gute Idee gewesen war. Schwindelgefühl erfasste sie. Alles drehte sich vor ihren Augen und ein dumpfer Kopfschmerz hämmerte hinter ihrer Stirn. Die Krankenschwester drückte sie sanft zurück in die Kissen.
"Bleiben Sie liegen, Miss …"
"Was ist passiert?"
Inzwischen hatte der Arzt das Zimmer betreten. Er stellte sich als Dr. Ashton vor und meinte dann: "Sie sind offenbar gestolpert und mit dem Kopf aufgeschlagen …"
"Gestolpert?", fragte Sara ungläubig. "Ich bin nicht gestolpert, ich …"
"Lassen Sie mal sehen …"
Dr. Ashton beugte sich über sie, und untersuchte sie kurz.
Etwas oberhalb der linken Schläfe hatte sie eine Wunde.
"Nichts Schlimmes", wie Dr. Ashton meinte. "Nicht lange und man wird nichts mehr davon sehen …" Er lächelte geschäftsmäßig. "Haben Sie Kopfschmerzen?"
"Ja."
"Die werden wohl auch noch einige Zeit bleiben", meinte er wenig tröstlich.
"Ich möchte nach Hause", sagte Sara.
Aber Dr. Ashton schüttelte energisch den Kopf. "Das kommt überhaupt nicht in Frage", sagte er. "Sie haben eine Gehirnerschütterung und werden eine Weile hierbleiben müssen …"
"Ich bin Reporterin … Ich muss in der Redaktion anrufen!"
"Bitte!" Der Arzt deutete auf das Telefon auf dem Nachttisch. "Aber Sie brauchen denen gar nicht erst Hoffnungen zu machen, dass Sie in den nächsten Tagen schon wieder an Ihrem Arbeitsplatz sitzen. Das ist ausgeschlossen."
*
Sara telefonierte mit ihrer Redaktion. Und dann mit Scotland Yard. Sie hatte sich schon gewundert, dass noch niemand von der Polizei bei ihr aufgetaucht war, um sie zu befragen. Curren war allerdings nicht zu erreichen und sonst schien niemand zuständig zu sein. Sara wünschte ihn zum Teufel.
Gegen Abend tauchte Inspektor Curren dann doch noch in ihrem Krankenzimmer auf.
Auf seine etwas unsichere, verlegene Art trat er an ihr Bett und reichte ihr die Hand.
"Was ist mit Mr. Kline passiert?", fragte Sara und kam damit ohne Umschweife zur Sache. "Haben Sie das Amulett gesehen?"
"Hören Sie …"
"Genau so ein Amulett hatte mein Bruder um den Hals, als man seine Leiche fotografierte."
"Miss Norwood …" Currens Tonfall gefiel Sara nicht. Der Inspektor schien sie nicht so recht ernst zu nehmen. Er sprach mit ihr wie mit jemandem, der nicht so ganz zurechnungsfähig war …
Sie erschrak über ihre Gedanken.
"Jemand hat mich zu Boden geschleudert", sagte sie.
"Es war niemand dort. Auch keine Spuren, die darauf hindeuten, dass es so war."
"Es war eine Giftschlange dort … Ich nehme an, dass Mister Kline durch sie gestorben ist. Genau wie mein Bruder. Inspektor! Begreifen Sie doch! Irgendein Verrückter benutzt eine Giftschlange als Mordwaffe!"
Curren zuckte die Achseln. "Kline ist an Herzschlag gestorben … Und von einer Giftschlange war nirgends etwas zu sehen."
Sara fuhr hoch.
Auf ihre Kopfschmerzen nahm sie dabei keine Rücksicht. Sie fasste sich an die Schläfe. Hatte sie sich das alles nur eingebildet?
Nein, nein, das konnte nicht sein. Sie hatte die Schlange gesehen. Und sie hatte die Hände gespürt, die sie zu Boden gerissen hatten.
"Was?", flüsterte sie. "Herzschlag?"
Curren setzte sich auf einen der Stühle, die in dem Krankenzimmer standen und schlug die Beine übereinander.
"Ich möchte Ihnen sagen, was meiner Ansicht nach geschehen ist. Kline ist nicht mehr der Jüngste. Er hatte eine Herzschwäche deretwegen er in ärztlicher Behandlung war. Um seine Überlebenschancen zu erhöhen, hätte er seinen Lebenswandel radikal ändern müssen, aber dazu war er nicht bereit. Und dann hat es ihn eines Morgens, kurz nachdem er sein Geschäft geöffnet hatte, eben getroffen. Für seinen Arzt war das alles andere als überraschend."
Sara fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sie fühlte den dröhnenden Kopfschmerz und ein leichtes Schwindelgefühl.
Einen Augenblick später sank sie zurück in die Kissen. Aber das besserte ihr Befinden nicht.
Auf einmal fühlte sie so etwas wie Zweifel in sich aufkommen. Zweifel an dem, was sie gesehen hatte. Die Erinnerung verblasste seltsam.
Ihre Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten.
Ich bin doch noch nicht verrückt!, hämmerte es in ihr.
"Was ist mit dem Amulett? Was ist mit dem Kerl, der mich zu Boden gerissen hat?"
"Ich bin noch nicht fertig, Miss Norwood."
"Dann fahren Sie fort!", forderte Sara ungeduldig.
"Sie kamen in das Geschäft und fanden den toten Mister Kline. Das muss Sie sehr erschreckt haben. Sie waren nervlich ohnehin schon angespannt, wegen der Sache mit Ihrem Bruder …"
"…und Sie wollen sagen, dass ich mir dann alles eingebildet habe! Zum Beispiel die Gehirnerschütterung, mit der ich hier liege."
Curren schüttelte den Kopf. Er machte eine beschwichtigende Geste. "Sie sind ausgerutscht, Miss Norwood. Mister Kline hatte seinen Boden immer sehr glatt gebohnert. Und was die anderen Dinge angeht. Ein Amulett haben wir nicht gefunden. Und von einer Schlange war auch keine Spur. Miss Norwood, man nennt so etwas eine Übertragung. Sie glaubten, diese Dinge zu sehen, aber Sie müssen die Realität akzeptieren, wie Sie ist …"
Saras Blick war nach innen gekehrt. Sie glaubte, sich verhört zu haben. Dann hob sie den Kopf und blickte den Inspektor verständnislos an.
"Ich weiß doch, was ich gesehen habe!"
"Miss Norwood!"
"Da war jemand, der mich niedergerissen hat!"
Curren hob die Augenbrauen und forderte kühl: "Dann geben Sie mir eine Beschreibung von ihm!"
Sara schwieg.
"Das können Sie nicht, nicht wahr?", antwortete der Inspektor an Saras statt. "Sie können es nicht, weil Sie nichts gesehen haben."
"Aber …"
Sara ahnte, dass es nicht viel Sinn hatte, Curren überzeugen zu wollen. Er schnitt ihr das Wort ab.
"Ich habe nicht viel Zeit, Miss Norwood. Vielleicht unterhalten Sie sich besser mit jemandem über die Sache, der.." Curren zögerte bevor er weitersprach. Sein Kopf drehte sich zur Seite, dann fuhr er fort. "…mit einem, der dafür ausgebildet ist!", brachte er dann heraus und holte anschließend tief Luft.
Er meint einen Psychiater!, wurde es Sara klar und die Erkenntnis versetzte ihr einen Stich.
"Für uns ist der Fall jedenfalls abgeschlossen", hörte sie Inspektor Curren wie durch einen Nebel sagen. "Und für Sie sollte er es auch sein …"
Sara öffnete halb den Mund und wollte etwas erwidern. Aber sie schluckte ihre Worte wieder hinunter. Es hatte keinen Sinn. Für Inspektor Curren war die Sache klar. Sie hatte sich etwas eingebildet.
Sie versuchte verzweifelt, die Erinnerung festzuhalten.
Aber konnte es nicht vielleicht doch sein, dass Curren recht hatte? Bilder schwirrten in ihrem Hirn durcheinander. Das Bild ihres toten Bruders Jack, das Bild einer Schlange mit unmenschlich kalten Facettenaugen, das Bild eines Amulettes und das Bild des toten Mister Kline …
Die Angst begann ihr die Kehle zuzuschnüren. Sie fühlte ein Frösteln von der Art, wie sie es gefühlt hatte, als sie zum ersten Mal das Schlangenamulett in Klines Laden gesehen hatte.
Nur viel stärker.
Ich verliere den Verstand!, zuckte es ihr durch den Kopf.
Sie nahm kaum war, wie Inspektor Curren sich verabschiedete und das Zimmer verließ.
*
In den nächsten Tagen verbesserte sich Saras Zustand zusehends. Da sie noch nicht lange in London war, war ihr Bekanntenkreis hier auch noch sonderlich groß. Besuch bekam sie daher selten. Die meiste Zeit lag sie allein in ihrem Zimmer und grübelte.
Wenigstens eine dachte an sie. Und das war Brenda Jackson, die für denselben Zeitschriftenverlag wie Sara arbeitete.
Allerdings nicht in einer Redaktion, sondern im Archiv.
Brenda war Anfang dreißig und die beiden Frauen hatten sich von Anfang an gut verstanden.
"Wie geht's dir?", fragte Brenda.
Sara lächelte matt. "Schon besser. Ende der Woche kann ich nach Hause."
"Das ist schön."
"Wie geht's bei euch zu?"
Brenda lachte. "Dein Blatt erscheint auch ohne dich, Sara! Ob du es nun glaubst oder nicht!"
Sie lachten. Sara setzte sich auf und bedachte Brenda mit einem prüfenden Blick. "Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Brenda."
"Kein Problem!"
Brenda zuckte die Achseln.
Saras Gesicht hingegen blieb ernst und das ließ Brenda die Stirn runzeln.
"Du musst etwas für mich herausfinden", kam Sara gleich zur Sache.
"Sara, werd' erst einmal wieder gesund!"
"Es ist wichtig, Brenda. Und ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht dringend wäre!"
Sie griff in die Schublade ihres Nachttischs und holte das Foto heraus, das Inspektor Curren ihr gegeben hatte und reichte es Brenda. "Ich muss wissen, was dieses Amulett für eine Bedeutung hat. Es muss eine Bedeutung haben. Da bin ich mir ganz sicher."
Brenda betrachtete das Foto und in ihrem Gesicht erschien ein zweifelnder Ausdruck.
"Wer ist dieser Tote?", fragte sie. Auf einmal schien ihr bei der ganzen Sache nicht mehr so ganz wohl zu sein.
"Unwichtig, Brenda." Sara wusste einfach nicht, in wie weit sie Brenda wirklich vertrauen konnte. Dazu kannten sie sich noch nicht gut genug und so zog sie es vor, nur das allernötigste preiszugeben.
Brenda hob die Augenbrauen.
"Eine Story?", hakte sie nach.
Soll sie das ruhig glauben!, dachte Sara.
"Eine Story", bestätigte sie. "Es ist sehr dringend, Brenda."
"Ich verstehe", murmelte die Archivarin in einem Tonfall, der andeutete, dass sie in Wahrheit gar nichts verstand.
"Irgend etwas wird sich in der Gruft schon an Informationen finden …" Die Gruft - das war bei den Mitarbeitern der Ausdruck für das Archiv. "Aber überanstrenge dich nicht, Sara. Wie gesagt, das Blatt erscheint ohne dich. Und das wichtigste ist, dass du wieder auf den Damm kommst!"
"Klar."
Saras Lächeln wirkte müde.
*
Es war an dem Tag, bevor Sara aus dem Krankenhaus entlassen wurde, als Brenda wieder bei ihr auftauchte.
"Hast du was über dieses Amulett herausgefunden?", fragte Sara.
Brenda zuckte die Achseln.
"Nicht viel", sagte sie. "Außer einem Lexikonartikel über den antiken Kult einer Schlangengottheit … Ich habe dir den Artikel kopiert. Die Abbildung, die da zu sehen ist, stimmt mit dem Amulett haargenau überein …"
Sara nahm die Kopie und als ihre Blick auf die Abbildung fiel, versetzte es ihr einen Stich. Ja, das war es …
Sie fühlte ihren Puls wild schlagen, während sie die wenigen Zeilen überflog. Der Kult des Schlangengottes Ktor stammte danach ursprünglich aus Persien und war durch römische Legionäre auf die britischen Inseln gekommen.Es war ein blutiger Geheimkult mit Menschenopfern … Die Existenz dieses Kultes war bis ins achte Jahrhundert belegt. Danach schien es der christlichen Kirche gelungen zu sein, ihn auszurotten.
Sara ließ die Kopie sinken.
"Viel ist das nicht", meinte Brenda fast entschuldigend dazu, als sie Saras etwas enttäuschtes Gesicht sah. "Aber das war auch eine harte Nuss, die du mir zu knacken gegeben hast …"
"Schon gut, Brenda. Du hast mir sehr geholfen", murmelte Sara fast wie in Trance. In Wahrheit war sie natürlich kein Stück weiter.
Was hatte dieser antike Schlangengott namens Ktor mit dem Tod zweier Menschen im zwanzigsten Jahrhundert zu tun?
Ihr kam wieder ins Bewusstsein, dass Jack sich ja mit alter Geschichte und Archäologie befasst hatte. Aber wie man die Sache auch drehte und wendete - sie blieb ein Rätsel.
Und für einen kurzen Moment kam ihr sogar in den Sinn, dass Inspektor Curren am Ende gar recht haben konnte und sie sich in ihrem Hirn etwas zurechtlegte, was mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte …
Ich muss nach Irland!, durchzuckte es sie siedend heiß. Ich muss nach Irland und der Sache auf den Grund gehen!
Und es gab niemanden, der ihr dabei helfen würde.
Niemanden, der ihr auch nur einen Bruchteil dessen glauben würde, was sie bereits erfahren hatte …
*
Als sie das erste Mal wieder bei ihrer Redaktion auftauchte, ging Sara geradewegs in das Büro ihres Chefredakteurs.
Marvin Garrett war ein hochgewachsener Mann in den vierzigern, dessen dunkles Haar bereits die ersten Grausträhnen bekommen hatte. Seine dunklen Augen wirkten warm und um die Mundwinkel herum spielte immer ein gewinnendes Lächeln.
"Es freut mich, dass Sie wieder gesund sind, Sara!", begrüßte er sie und gab ihr die Hand.
Dann bot er ihr einen Platz an, aber Sara wollte sich nicht setzen. Sie kam ohne Umschweife zur Sache. "Ich brauche dringend ein paar Wochen Urlaub …"
Marvin Garrett zog die Augenbrauen in die Höhe und bedachte Sara Norwood mit einem nachdenklichen Blick.
"Sie sehen in der Tat etwas mitgenommen aus."
"Ja, die letzte Zeit war nicht einfach. Ich brauche einfach …" Sie zögerte, ehe sie weitersprach und schien dabei nach dem richtigen Wort zu suchen. "…eine Pause", vollendete sie dann.
"Ich kann Sie verstehen, Sara, aber …"
"Ich würde Sie nicht darum bitten, wenn es nicht so dringend wäre", hakte Sara nach. Und in Ihrer Stimme lag etwas Unmissverständliches, Bestimmtes, das Garrett die Schultern zucken ließ.
"Schade", sagte er dann. "Ich hatte Sie eigentlich für das Interview mit Prinzessin Caroline vorgesehen … Das wäre eine Titelstory, Sara!"
Sara atmete tief durch. Aber dann schüttelte sie um so entschiedener den Kopf. "Tut mir leid! Aber das ändert nichts an meinem Wunsch."
Garrett hob die Hände. "Also gut, Sara. Sie bekommen Ihren Urlaub. Ich hoffe, Sie erholen sich gut. Wo geht's denn hin?"
"Nach Irland", murmelte sie tonlos.
*
Sara Norwood packte ein paar Sachen zusammen und nahm den nächsten Flug von London nach Shannon Airport bei Limerick, auf der Westseite Irlands gelegen.
Um nach Gwenderon zu kommen, musste sie mit dem Zug weiterfahren.
Sie war ziemlich müde, als sie sich in ihrem Abteil niederließ.
Ihr Gegenüber saß ein Mann mit hellblonden Haaren und markanten Gesichtszügen. Das braune Jackett hatte er lässig auf den Sitz neben sich geworfen. Den Hemdknopf trug er offen. Seine meerblauen Augen musterten sie eingehend. Als sie seinen Blick erwiderte, lächelte er freundlich.
"Machen Sie Urlaub hier?", erkundigte er sich.
Sara sah ihn erstaunt an.
"Ja. Woher wissen Sie das?"
Sein Lächeln wurde etwas breiter und strahlte jetzt noch mehr Selbstsicherheit aus, als ohnehin schon.
"An Ihrem Gepäck sind noch die Kennschilder des Flughafens!", erklärte er, "Sie kommen aus London!"
Sara erwiderte unwillkürlich sein Lächeln. "Sie sind ein scharfer Beobachter."
"Wenn Sie das sagen …"
"Aber Sie sind ebenfalls nicht aus dieser Gegend."
Der Blonde hob die Augenbrauen. Für den Bruchteil eines Augenblicks schien er tatsächlich etwas erstaunt zu sein.
Aber er hatte seine Mimik recht schnell wieder unter Kontrolle. "Und woraus schließen Sie das?"
"Aus Ihrem Akzent. Sie sind kein Ire."
"Ich könnte lange in England gelebt und dort vielleicht studiert haben."
"Aber Sie hätten kaum eine Ausgabe der Londoner Times von heute dabei!", versetzte Sara, während sie mit dem Finger auf die Zeitung deutete, die halb unter dem hingeworfenen Jackett hervorschaute."
"Sie sind aber auch eine scharfe Beobachterin!", lachte er.
Er reichte ihr die Hand. "Mark Leyland", stellte er sich vor."Und ich bin ebenso wie Sie in diesem herrlichen, grünen Land, um auszuspannen und mich mal richtig zu erholen!"
Sara zögerte einen Augenblick, bevor sie ihren Namen nannte. "Sara Norwood."
"Ich darf Sie Sara nennen, ja?"
Sara zuckte die Achseln.
Er hatte etwas Überrumpelndes an sich. Aber er tat es auf eine sympathische Weise, die Sara irgendwie gefiel.
Sie lächelte. "Warum nicht?"
"Fahren Sie die ganze Strecke bis Galway?"
"Nein, nur bis Gwenderon, das kommt kurz hinter Gort."
In seinen Augen blitzte es. "Dann haben wir dasselbe Ziel. Ich will auch nach Gwenderon."
"So ein Zufall …"
Auf einmal wurde sie misstrauisch. Sie konnte nicht so recht erklären, woher das kam. Vielleicht war es dieser unglaubliche Zufall, dass sie beide Gwenderon als Ziel hatten.
Jedenfalls hat er innerhalb einer kurzen Zeit eine Menge über mich erfahren!, ging es ihr durch den Kopf. Er wusste, wie man während einer harmlosen Plauderei an Informationen kam …
Entweder, er war ein Naturtalent, oder es hatte mit seinem Beruf zu tun.
"Gwenderon ist nicht gerade ein hochattraktiver Ferienort", sagte Mark Leyland indessen gedehnt, während er aus dem Zugfenster blickte. Er hatte ein klassisches Profil. Und seine Augen machten einen wachen, intelligenten Eindruck. "Wie kommen Sie ausgerechnet auf Gwenderon? Ich glaube kaum, dass irgendein Reisebüro in London für ein so abgelegenes Nest Reklame machen würde …"
"Das sicher nicht …", erwiderte Sara und dachte: Jetzt werde ich den Spieß mal umdrehen.
Er hob die Augenbrauen. "Nun?"
Sie zuckte die Achseln und schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Gleichzeitig eröffnete sie ihm klipp und klar: "Ich finde, dass Sie mich jetzt zu Genüge ausgefragt haben, Mister Leyland …"
"Mark. Für Sie Mark, okay?"
"Meinetwegen, Mark."
Er wandte den Kopf zu ihr und seine meerblauen Augen sahen sie an. Und dabei verspürte sie unwillkürlich ein Kribbeln in der Bauchgegend. Sie konnte nicht sagen weshalb, aber dieser Blick ging ihr durch und durch.
"Dann fragen Sie mich jetzt etwas, Sara. Bitte! Alles, was Sie wollen!"
"Und wenn ich indiskret werde?"
Er lachte und erwiderte dann scherzhaft: "Dann werde ich Sie einfach anlügen, Sara. So einfach ist das."
Sie musste auch lachen. Dieser Mann gefiel ihr vielleicht besser, als ihr lieb war. Denn eigentlich hatte sie keine Zeit, sich auf irgend etwas einzulassen. Das war völlig ausgeschlossen. Sie wollte herausfinden, was mit ihrem Bruder geschehen war. Deswegen war sie hier - aus keinem anderen Grund.
Aber vielleicht konnte es nicht schaden, jemanden in Gwenderon zu kennen. Und wenn Mark Leyland hier einen Urlaub verbrachte, würde er ja wohl einige Zeit bleiben.
Sara beugte sich etwas vor und stützte das Kinn auf die Hand. Mit der anderen Hand strich sie sich das mittellange, braune Haar zurück.
"Was machen Sie beruflich, Mark?"
"Ich bin …", er zögerte einen kurzen Moment. Ein Zögern, das Sara unwillkürlich aufhorchen ließ. "…Geschäftsmann", vollendete er dann.
Das konnte alles und nichts sein. Die Journalistin in Sara erwachte und so hakte sie nach: "In welcher Branche?"
"In jeder, in der sich Geld verdienen lässt."
"Drücken Sie sich immer so genau aus?"
"Es ist die Wahrheit. Ich betreibe eine Handelsagentur, die mit Restposten handelt."
Er beugte sich ebenfalls etwas vor. Sara fragte sich, wie alt er war. Fünfunddreißig, so schätzte sie.
"Und Sie?", erkundigte er sich. "Was machen Sie?"
"Versuchen Sie es zu erraten!"
"Das ist nicht fair!"
"Sie Ärmster!"
"Krankenschwester?"
"Falsch. Aber bis Gwenderon haben Sie ja noch eine Weile Zeit, es herauszufinden."
*
"Wissen Sie schon, wo Sie heute Nacht bleiben?", fragte Mark Leyland, als der Zug im Bahnhof von Gwenderon hielt.
Sara, die inzwischen schon ihr Gepäck zusammengesucht hatte, blickte ihn etwas überrascht an und schüttelte dann den Kopf.
"Nein", musste sie zugeben. Sie war so überstürzt aus London aufgebrochen, dass sie gar keine Zeit dazu gehabt hatte, sich irgend etwas zu reservieren.
"Ich habe mir ein Zimmer in der Pension von Mister und Mrs. Keogh reservieren lassen. Ein Bett mit Frühstück für einen akzeptablen Preis. Wenn man will, bekommt man sogar Lunch. Was meinen Sie dazu? Ein Hotel gibt es nämlich in Gwenderon nicht."
Sara zuckte die Achseln.
"Damit hätte ich eigentlich rechnen müssen."
Er half ihr dabei, das Gepäck auf den Bahnsteig zu setzen.
Der Bahnsteig war sehr tief angelegt, so dass es nicht so ganz einfach war, aus dem Zug zu klettern.
Aber für die wenigen Fahrgäste, die hier in Gwenderon ausstiegen, lohnte es sich wohl kaum, einen richtigen Bahnsteig aufzuschütten. Die Bewohner dieser Gegend konnten froh sein, dass der Zug überhaupt hier hielt und nicht bis Gort weiterfuhr.
Mark und Sara waren die einzigen, die an diesem Tag nach Gwenderon wollten. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und fuhr gen Horizont davon. Nicht lange und er war hinter der nächsten Kette grüner Hügel verschwunden.
"Waren Sie schon einmal hier?", wandte sich Sara an Mark.
"Nein. Aber ich habe mich informiert, soweit das möglich war. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie kommen mit mir zu den Keoghs."
"Woher wissen Sie, dass die noch ein Zimmer frei haben?"
"Das weiß ich nicht. Aber wenn nicht, dann wissen die bestimmt, wo Sie sonst noch hier unterkommen können! In so einem Nest kennt doch jeder jeden!"
Das leuchtete Sara ein.
"Gut", meinte sie.
Es gab kein Taxi, das am Bahnhof wartete. Aber dafür wenigstens einen Münzfernsprecher, mit dem sich eines herbeirufen ließ. Fast eine halbe Stunde mussten sie darauf warten.
Der Himmel wurde indessen bedrohlich dunkel.
Der Fahrer war ein untersetzter Mann in einem groben Tweedjackett und mit deutlichem Rotstich in den Haaren.
Er kannte die Pension der Keoghs. "Kein Problem!" meinte er, während er das Gepäck in den Kofferraum lud.
Und dann begann es zu regnen.
Der Taxifahrer blickte nach oben und meinte: "Das ist der heutige Regen!" Er lachte dabei.
"Der heutige Regen?", fragte Sara.
Der Rothaarige grinste. "Wussten Sie das nicht, Ma'am? In Irland regnet es mindestens einmal am Tag."
*
Der Bahnhof von Gwenderon war etwas außerhalb des eigentlichen Ortskerns gelegen, der im Wesentlichen aus einer langen Reihe eng beieinanderstehender Häuser bestand.
"Zu den Keoghs wollen Sie also", meinte der Taxifahrer gedehnt und akzentschwer, während er beiläufig jemanden mit einer Handbewegung grüßte.
"Ganz recht", nickte Mark Leyland, während er seinen Blick über die schon etwas in die Jahre gekommenen Hausfassaden schweifen ließ.
"Soweit ich weiß erwarten die aber nur einen Herrn - und kein Ehepaar."
Mark wandte sich herum.
Er war sichtlich erstaunt. Ein dünnes Lächeln erschien um seine Mundwinkel herum.
"Spricht sich ja schnell herum", meinte er.
"Oh, nicht dass Sie denken, dass die Keoghs nichts für sich behalten könnten. Aber ich bin weitläufig mit ihnen verwandt."
"Verstehe", murmelte Mark Leyland und zwinkerte Sara zu.
"Im übrigen sind wir auch kein Paar!", mischte sich die junge Frau jetzt in das Gespräch ein.
Der Taxifahrer zuckte die Achseln. "Ich dachte …"
"Schon gut."
"Ich heiße übrigens Barry. Wenn Sie mal schnell einen Wagen brauchen - nur meine Nummer wählen!" Er deutete auf eine Telefonnummer, die in großen Zahlen vorne am Handschuhfach angebracht war.
Dann hatten sie das Haus der Keoghs erreicht. Es war ein Zweistock mit etwas verwitterter Fassade. Barry hielt den Wagen an und Mark bezahlte das Taxi. Sara bestand darauf, ihm die Hälfte des Preises wiederzugeben.
Dann stiegen sie aus.
Barry öffnete den Kofferraum und holte das Gepäck heraus.
"Vielleicht sollten Sie einen Moment warten", schlug Sara dem Taxifahrer vor.
Der Rothaarige grinste sie an.
"Wozu, Ma'am?"
"Weil ich mich nicht angemeldet habe und die Keoghs für mich vielleicht gar kein Zimmer mehr frei haben", erläuterte Sara.
Aber Barry schüttelte entschieden den Kopf und klappte dabei mit einer kräftigen Bewegung die Kofferraumklappe zu.
"Die beiden haben ein Zimmer für Sie, Ma'am. Das weiß ich ganz sicher. Aus erster Hand sozusagen!"
Damit stieg er wieder ein, startete den Wagen und fuhr los.
Als er nach dem Lenkrad fasste, rutschte der Ärmel seines Jacketts etwas hoch, so dass Sara für einen kurzen Augenblick Barrys Unterarm zu sehen bekam.
Und was sie da sah, verschlug ihr buchstäblich die Sprache.
Unter dem roten Haarflaum war deutlich eine Art Tätowierung zu sehen.
Ein Schlangenkopf mit roten Facettenaugen!
Barry fuhr los.
Es schnürte Sara die Kehle zu. Nur für einen winzigen Augenblick hatte sie die Tätowierung sehen können, aber sie war sich ihrer Sache sicher. Die Darstellung auf Barrys Unterarm stimmte in allen wesentlichen Details mit jener überein, die sich auf dem Amulett befand …
"Heh, Sara!"
Es war Mark Leylands Stimme, die wie durch einen Nebel in ihr Bewusstsein drang. Sie wandte sich zu ihm um.
"Mein Gott, Sie sehen ja aus wie eine weiße Wand, Sara!" stellte Mark erschrocken fest. "Was ist los? Ist Ihnen nicht gut?"
"Es ist alles in Ordnung", murmelte Sara wie mechanisch.
Mark runzelte die Stirn. "Irgendeine Laus scheint Ihnen gerade über die Leber gelaufen zu sein - aber ich habe keine Ahnung welche!"
Sara hatte in dieser Sekunde keine Antenne für Marks etwas flapsige Art. "Gehen wir 'rein", sagte sie. Und Mark Leyland zuckte nur den Achseln.
"Wie Sie wollen", hörte sie ihn murmeln.
*
Mrs. Keogh war eine Dame in den Sechzigern. Sie trug das Haar zu einem Knoten zusammengefasst und macht den Eindruck, als würde sie ihre Pension nicht nur des Geldes wegen betreiben, sondern auch deswegen, weil sie sich dann mit den Gästen unterhalten konnte.
Sie erzählte gerne und hörte gerne zu.
Ihr Mann, hager, großgewachsen und grauhaarig, war dagegen eher schweigsam.
Mrs. Keogh zeigte Sara ihr Zimmer. Es war recht groß, wenn auch reichlich vollgestellt mit alten Möbeln. Aber es wirkte gemütlich. Und die Einrichtung passte irgendwie zu den Keoghs.
Durch das Fenster konnte man hinaus auf die Straße sehen.
"Ich hoffe, Sie sind zufrieden", hörte Sara Mrs. Keogh sagen.
"Ja, sicher."
"Frühstück gibt es ab acht - aber Sie müssen nicht so früh aufstehen, wenn Sie nicht wollen. Sie bekommen einen Schlüssel für die Haustür und einen fürs Zimmer."
"Gut."
"Ich brauche dann noch Ihre Personalien und die Nummer Ihres Passes, Miss …"
"Norwood", sagte Sara. "Sara Norwood. Ich komme aus London."
Sara gab ihr ihren Ausweis.
Mrs. Keoghs Gesicht veränderte sich ein bisschen. Ihre dunklen Augen wurden ein wenig schmaler und sie musterte Sara eingehend. "Gut, Miss Norwood", sagte sie dann und wirkte etwas verlegen dabei. "Wie lange wollen Sie bleiben?"
"Ein oder zwei Wochen. Ich weiß noch nicht genau."
"Sie können es sich noch überlegen. Aber es wäre nett, wenn Sie wenigsten für ein Paar Tage im Voraus bezahlen würden. Nicht, dass ich Ihnen misstraute, aber wir haben schließlich auch Auslagen …"
Sara griff in ihr Portemonnaie und bezahlte für eine Woche im Voraus. "Ist das in Ordnung?"
"Ja."
Mrs. Keogh wollte sich schon zum Gehen wenden, aber Saras Stimme hielt sie zurück. "Dieser Barry …"
"Der Mann im Taxi?", fragte Mrs Keogh und Sara nickte.
"Genau der."
"Ein netter Mensch. Aber er hat es in der letzten Zeit nicht leicht gehabt. Seine Schwester ist vor einem halben Jahr gestorben. Wir waren auf der Beerdigung …"
Sara ahnte, dass jetzt eine von Mrs. Keoghs langatmigen Abschweifungen kam und so unterbrach sie ihre Gastgeberin.
"Er hat hier irgend etwas am Arm", stellte sie fest. "Eine Tätowierung. Der Kopf einer Schlange … "
Mrs. Keogh machte einen Schritt in Richtung Tür und zuckte die Achseln.
"Ist mir noch nicht aufgefallen", behauptete sie. "Aber Barry ist früher zur See gefahren. Vielleicht hat er sich damals irgend etwas in den Arm ritzen lassen. Solche Tätowierungen bekommt man ja auch nie wieder weg!"
Mrs. Keogh war auf einmal von einer seltsamen Unruhe befallen. Sie schien nicht länger über diese Sache reden zu wollen - aus welchem Grund auch immer. Jedenfalls ging ihr Blick zur Uhr an ihrem Handgelenk und dann sagte sie: "Ich muss jetzt dringend in die Küche! Sonst wird mein Kuchen nichts!"
Und damit war sie dann auch schon weg.
Sara hörte, wie sie die knarrende Treppe hinunterlief. Die junge Frau ging zur Tür, die von Mrs. Keogh nicht richtig geschlossen worden war und nun einen Spalt offen stand.
Sara sah hindurch.
Allzu wichtig schien der alten Dame der Kuchen nicht zu sein, denn anstatt direkt in die Küche zu gehen, unterhielt sich flüsternd und ziemlich aufgeregt mit ihrem Mann im Flur.
Mrs. Keogh wedelte dabei aufgeregt mit den Armen.
Zu dumm, dass man nichts verstehen kann!, ging es Sara durch den Kopf.
Kein Zweifel, die alte Dame wusste mehr, als sie preiszugeben bereit war. Es war auch schwer vorstellbar, dass irgend etwas in der Umgebung geschah, ohne dass sie früher oder später davon hörte …
*
Zunächst packte Sara ihre Sachen aus und verstaute sie in den Schränken. Es war mehr als Platz genug für ihre paar Sachen vorhanden.
Dann ging sie hinunter ins Esszimmer, das gleichzeitig eine Art Aufenthaltsraum war.
Die Einrichtung war nicht nur altmodisch, sie war auch alt.
Die hölzernen Armlehnen der zierlichen Sessel waren von jahrzehntelanger Benutzung verkratzt. In den Vitrinen befand sich das Geschirr. Und wo noch Platz an den Wänden war, hingen riesige, romantische Bilderschinken, wie Sara sie von Londoner Flohmärkten her kannte. Landschaften mit grünen Hügeln, Segelschiffe in tosender See.
Hinter einer ausgebreiteten Zeitung verborgen saß Mr. Keogh. Er hatte eine Tasse Tee neben sich stehen und senkte die Zeitung, als er Sara bemerkte.
"Wünschen Sie irgend etwas?", fragte er mit leiser, zurückhaltender Stimme. "Wenn Sie wollen, dann schenke ich Ihnen eine Tasse Tee ein."
Sara zuckte die Achseln. Warum eigentlich nicht?, dachte sie. Vielleicht konnte sie etwas erfahren.
"Gerne, Mister Keogh", sagte sie daher und setzte sich auf einen der zierlich wirkenden Sessel. Ihr Blick ging durchs Fenster. Draußen hatten sich die Wolken verzogen und der Sonne platzgemacht, die um diese Tageszeit jedoch schon recht milchig geworden war.
Mr. Keogh stand auf, ging zu einem der Schränke hin, öffnete ihn und holte eine Tasse. Er stellte sie vor Sara auf den Tisch und goss ihr Tee ein.
"Zucker?", fragte er.
"Nein, danke."
Mr. Keogh setzte sich wieder. Er bewegte sich dabei mit ausgesuchter Langsamkeit. Er faltete seine Zeitung sorgfältig zusammen und musterte dann Sara aufmerksam. "Ihr Name ist Norwood, nicht wahr?", vergewisserte er sich.
Sara nickte. "Ja. Warum fragen Sie? Haben Sie den Namen in letzter Zeit vielleicht schon einmal in anderem Zusammenhang gehört?"
"Nun …" Er wandte den Blick zur Seite, aber Sara ließ nicht locker.
"Jack Norwood. Das war der Name."
"Es hat hier einen Mann mit diesem Namen gegeben", gab Mr. Keogh dann zu, während er seine Teetasse zum Mund führte. Seine Hand zitterte ein wenig. "Die Sache stand in der Zeitung. Wissen Sie, Gwenderon ist nicht gerade eine Großstadt und die Sache hat hier viel Wirbel gemacht. Sie können sich das sicher vorstellen … Sind Sie mit Jack Norwood verwandt?"
"Ich bin seine Schwester."
Mr. Keogh nickte leicht.
Er schien sich etwas in der Art schon gedacht zu haben. Der Name Norwood war zwar alles andere als ungewöhnlich, aber es wäre ein zu großer Zufall gewesen, wenn keinerlei Verbindung bestanden hätte.
Mr. Keogh hüstelte etwas verlegen. "Dann brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen, was mit Ihrem Bruder geschehen ist …"
"Die Polizei hat es mir gesagt. Er starb an einem Schlangenbiss - unter mehr als merkwürdigen Umständen."
Mr. Keogh zuckte die Achseln.
"Mein Beileid, Miss Norwood."
"Danke."
"Sie sind wegen der Sache mit Ihrem Bruder hier, nicht wahr? Ich schlage vor, Sie sprechen mit Jim O'Grady, der die hiesige Polizeistation leitet, wenn Sie irgend etwas wissen wollen. Sie müssen allerdings bis Ennis fahren, das sind 5 Meilen."
"Haben Sie meinen Bruder gekannt?", hakte Sara nach.
"Gekannt?" Mr. Keoghs Stimme bekam auf einmal einen merkwürdigen Unterton.
Er hob die Schultern und verdrehte die Augen. Dann strich der hagere Mann sich mit einer fahrigen Geste eine Strähne seines grauen Haars zurück. "Nein", sagte er. "Gekannt nicht. Er war ein Fremder. Seinen Namen erfuhr ich erst aus der Zeitung."
"Ich verstehe …"
"Eine traurige Geschichte …"
"Wissen Sie, wo dieses Cottage liegt, wo man ihn gefunden hat?"
Mr. Keogh nickte.
"Sicher. Das war das alte Haus von O'Hare, das schon seit zwanzig Jahren nicht mehr bewohnt ist - seit O'Hare starb. Wenn Sie in westlicher Richtung aus der Stadt fahren müssen Sie einfach immer geradeaus. Zwei Meilen vielleicht, dann sehen Sie es links. Ist ein bisschen heruntergekommen, aber eigentlich ein schönes Haus. Wundert mich, dass niemand es mehr haben wollte …"
"Was ist mit der Schlange?", fragte Sara.
Mr. Keogh blickte auf.
"Welche Schlange?"
"Die, an deren Biss mein Bruder gestorben ist. Ist sie inzwischen aufgetaucht?"
Er schüttelte den Kopf.
"Nein. Aber ich glaube auch nicht, dass so ein Tier hier in freier Wildbahn überleben könnte. Schon gar nicht zu dieser Jahreszeit! Wir haben es im Moment nämlich recht kühl, nachts! Und ein kaltblütiges Reptil …"
"Mein Bruder hatte ein Amulett bei sich, als er starb. Ein Amulett mit einen Schlangenkopf. Haben Sie irgendeine Ahnung, was das bedeuten könnte? Barry, der Taxifahrer hat einen solchen Schlangenkopf auf dem Unterarm …"
"Nein …"
"Das ist der Gott eines uralten Kultes. Ktor …"
Bei der Nennung des Namens schluckte Mr. Keogh. Er schien etwas darüber zu wissen, das war überdeutlich. Der alte Mann schien innerlich hin und her gerissen zu sein. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet.
Er schluckte abermals. Dann rutschte er in seinem Sessel nach vorn und beugte sich näher zu Sara hinüber. Seine Stimme klang gedämpft, so als befürchtete er, dass irgendwer ihn hören könnte.
"Miss Norwood, hören Sie … Ich muss Sie warnen …"
In diesem Moment schnitt ein Geräusch wie ein Messer durch die Stille.
Jemand hatte die Tür geöffnet, deren Scharniere wohl nicht mehr richtig geölt waren.
Mr. Keogh schwieg abrupt und blickte wie gebannt in den Türrahmen. Dort stand niemand anderes als Mark Leyland. Er lächelte Sara gewinnend an.
"Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört", meinte er.
"Durchaus nicht!", beeilte sich Mr. Keogh.
"Ich habe vor, ein bisschen in der Gegend herumzufahren!", sagte Mark an Sara gewandt.
Saras Blick blieb an Mr. Keogh haften, aber der machte keinerlei Anstalten, mit dem, was er eigentlich hatte sagen wollen fortzufahren. Stattdessen erhob er sich und wollte sich in Richtung Küche davonmachen.
"Mr. Keogh, vielleicht sollten wir ein anderes mal weiterreden", schlug Sara vor.
Keogh drehte sich herum und zuckte verlegen die Schultern.
"Oh, ich hatte Sie eigentlich nur noch fragen wollen, ob Sie heute Abend noch etwas essen wollen, Miss Norwood."
Und damit war er auch schon verschwunden.
*
"Haben Sie Lust, mich zu begleiten?", drang Mark Leylands Stimme in ihr Bewusstsein. Sara drehte sich zu ihm herum. Ihre Blicke trafen sich. Gerade noch war sie ziemlich wütend auf ihn gewesen, aber irgendwie konnte sie ihm nicht richtig böse sein.
Sein Lächeln war einfach zu charmant.
"Wo soll's denn hingehen?", fragte sie.
Mark zuckte die Achseln.
"Ich bringe Sie, wohin Sie wollen!", lachte er. "Meinetwegen ans Ende der Welt!"
Sara erwiderte sein Lächeln.
"Sind wir da nicht schon?"
"Wie man's nimmt!" Mark zuckte die Schultern.
Sara runzelte indessen die Stirn und fragte plötzlich.
"Welchen Wagen nehmen wir denn eigentlich?"
"Den roten Land Rover, der vor dem Haus steht!" Er deutete aus dem Fenster. "Ich habe mir aus Ennis einen Leihwagen hier herbestellt …"
Sara staunte nicht schlecht. "Sie scheinen Ihre Reise hier her außerordentlich genau geplant zu haben!", stellte sie fest.
Mark lachte und zeigte dabei zwei Reihen makellos blitzender Zähne. "Ich weiß ganz gerne, was mich erwartet!", erklärte er dann dazu.
"Klingt etwas langweilig", versetzte Sara neckisch.
Mark hob die Augenbrauen und lachte.
"Wenn ich anders wäre, müssten Sie jetzt zu Fuß gehen, wenn Sie die Gegend erkunden wollten!"
*