Dunkle Materie und Dinosaurier - Lisa Randall - E-Book

Dunkle Materie und Dinosaurier E-Book

Lisa Randall

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Beschreibung

Die Natur der Dunklen Materie gehört zu den spannendsten Fragen der Kosmologie. Die Bestseller-Autorin und Harvard-Professorin Lisa Randall nimmt uns in ihrem neuen Buch ›Dunkle Materie und Dinosaurier. Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums‹ mit auf eine Reise in die Welt der Physik und hilft uns zu verstehen, welche Rolle die Dunkle Materie bei der Entstehung unserer Galaxie, unseres Sonnensystems und sogar des Lebens selbst gespielt hat. Eindrucksvoll zeigt sie, wie die Wissenschaft neue Konzepte und Erklärungen für dieses weithin unbekannte Phänomen entwickelt und verwebt geschickt die Geschichte des Kosmos mit unserer eigenen. Ein Buch, das ein völlig neues Licht auf die tiefen Verbindungen wirft, die unsere Welt so maßgeblich mitgeprägt haben, und uns die außerordentliche Schönheit zeigt, die selbst den alltäglichsten Dingen innewohnt.

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Lisa Randall

Dunkle Materie und Dinosaurier

Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

FISCHER E-Books

Inhalt

EinleitungTeil I Die Entwicklung des Universums1 Die Dunkle-Materie-GeheimgesellschaftDas Ungesehene in unserer MitteSchwarze Löcher und dunkle Energie2 Die Entdeckung der dunklen MaterieEine kurze Geschichte über die Entdeckung der dunklen MaterieGravitationslinsenDer Bullet-HaufenDunkle Materie und die kosmische Hintergrund-MikrowellenstrahlungDer kosmische KuchenSupernovae des Typs 1a und die Entdeckung der dunklen EnergieDunkle Materie zum Letzten3 Die großen FragenFragen ohne Antworten4 Fast ganz am Anfang: ein sehr guter AusgangspunktDie UrknalltheorieDas BalloniversumVorhersagen über die Entwicklung nach dem UrknallKosmologische Inflation5 Eine Galaxie wird geborenDas Ei und das HuhnHierarchische StrukturenUnsere NachbarschaftDie MilchstraßeDie Sonne und das SonnensystemTeil II Ein aktives Sonnensystem6 Meteoroiden, Meteore und MeteoritenVerschwommene GrenzenPlanetenAsteroidenDie Verteilung der AsteroidenMeteore, Meteoroiden und Meteoriten7 Das kurze, prachtvolle Leben der KometenVom Wesen der KometenKurz- und langperiodische KometenDer Kuiper-Gürtel und die scattered diskDie Oort-Wolke8 Der Rand des SonnensystemsWar Voyager drinnen oder draußen?9 Ein gefährliches LebenAus heiterem HimmelEreignisse aus jüngerer ZeitErdnahe ObjekteRisikobewertungDie Erkenntnisse der WissenschaftlerWas sollen wir tun?10 Schock und EhrfurchtDer Meteor CraterDie Entstehung von EinschlagkraternKrater auf der Erde11 AussterbenLeben und TodDie Hürden überwindenErklärungsversuche für das AussterbenDie Großen FünfEin sechstes Aussterben?12 Das Ende der DinosaurierZeit der DinosaurierDie Suche nach AntwortenDie Inspiration schlägt zuAn der K-Pg-GrenzeSchlagende IndizienDas Leben schlägt zurückFündig geworden: die Wiederentdeckung des Kraters13 Leben in der habitablen ZoneDie Anfänge des LebensDie habitable ZoneMeteoroiden und die Entwicklung des Lebens14 Wie man in den Wald hineinruft …Nachweis der RegelmäßigkeitPeriodizität bei AussterbeereignissenHinweise auf Periodizität bei den KraternDer »Sieh-anderswo-nach-Effekt«15 Rasende Kometen aus der Oort-WolkeAsteroiden und KometenAuslöserDie Nemesis-IdeeDie Bewegung der Galaxis als AuslöserTeil III Die Identität der dunklen Materie wird enträtselt16 Die Materie der unsichtbaren WeltModellbauWIMPSAsymmetrische dunkle MaterieAxionenNeutrinosMACHOsWas also tun?17 Im Dunkeln sehenExperimente zum unmittelbaren NachweisIndirekter NachweisDunkle Materie und der LHCDunkle Materie ohne WIMPs18 Dunkle Materie, sozial vernetztFragen des kleinen MaßstabsMögliche FolgerungenSelbst-interagierende dunkle Materie19 Die Geschwindigkeit des DunklenGewöhnliche-Materie-ChauvinistenDie interagierende MinderheitDer FunkeDie dunkle Scheibe20 Die Suche nach der dunklen ScheibeVielgestaltige dunkle MaterieSpuren einer dunklen ScheibeDie Form der Galaxis wird vermessen21 Dunkle Materie und KometeneinschlägeDas SzenarioEine Idee wird geborenDie dunkle Scheibe und das SonnensystemUnd die Dinosaurier …Zum Schluss: ein Blick nach obenDanksagungenVerzeichnis der AbbildungenWeiterführende LektüreRegister

Einleitung

»Dunkle Materie« und »Dinosaurier« – diese Wörter hört man kaum einmal in einem Atemzug, außer vielleicht auf dem Spielplatz, in einem Club für Fantasyspiele oder in einem noch nicht erschienenen Spielberg-Film. Dunkle Materie ist ein schwer fassbarer Stoff im Universum, der wie gewöhnliche Materie durch Gravitation interagiert, aber Licht weder aussendet noch absorbiert. Astronomen können den Einfluss ihrer Schwerkraft nachweisen, aber sehen können sie sie nicht. Dinosaurier dagegen … Ich glaube nicht, dass ich die Dinosaurier erklären muss. Sie waren in der Zeit vor 231 bis 66 Millionen Jahren die Herrscher unter den landlebenden Wirbeltieren.

Zwar sind sowohl dunkle Materie als auch Dinosaurier unabhängig voneinander faszinierend, aber man könnte mit Fug und Recht annehmen, dass die noch nie gesehene physikalische Substanz und das beliebte biologische Sinnbild nicht das Geringste miteinander zu tun haben. Das wäre auch durchaus denkbar. Aber das Universum ist definitionsgemäß ein Ganzes, und im Prinzip stehen alle seine Bestandteile untereinander in Wechselbeziehung. Das vorliegende Buch untersucht ein spekulatives Szenario: Meine Mitarbeiter und ich vermuten, dass die dunkle Materie letztlich (und indirekt) die Ursache für das Aussterben der Dinosaurier war.

Paläontologen, Geologen und Physiker konnten nachweisen, dass vor 66 Millionen Jahren ein Himmelskörper mit einem Durchmesser von mindestens zehn Kilometern aus dem Weltraum auf die Erde stürzte und sowohl die landlebenden Dinosaurier als auch drei Viertel aller anderen biologischen Arten auslöschte. Bei dem Himmelskörper dürfte es sich um einen Kometen aus den Außenbezirken des Sonnensystems gehandelt haben, aber warum er von seiner nur schwach an die Sonne gebundenen und dennoch stabilen Umlaufbahn abwich, weiß niemand.

Irgendwann durchlief die Sonne die mittlere Ebene der Milchstraße, jenes Streifens aus Sternen und hellem Staub, den man in klaren Nächten am Himmel beobachten kann. Dabei traf das Sonnensystem nach unserer Vermutung auf eine Scheibe aus dunkler Materie, die einen weit entfernten Himmelskörper aus seiner Bahn warf und damit den katastrophalen Einschlag in Gang setzte. In unserer galaktischen Nachbarschaft umgibt uns eine Riesenmenge an dunkler Materie als riesige, glatte, diffuse Wolke.

Die dunkle Materie des Typs, der den Untergang der Dinosaurier einleitete, wäre dann ganz anders verteilt gewesen als der größte Teil der schwer fassbaren dunklen Materie im Universum. Diese besondere dunkle Materie hätte die Wolke unversehrt gelassen, aber ihre ganz andersartigen Interaktionen hätten dazu geführt, dass sie zu einer Scheibe kondensierte – und zwar genau in der Mittelebene der Milchstraße. Diese schmale Region könnte so dicht sein, dass sie einen ungewöhnlich starken Gravitationseffekt ausübt, wenn die Sonne auf ihrer Umlaufbahn in der Galaxis auf und ab schwankt, während sie die Region durchquert. Ihre Gravitation könnte so stark sein, dass sie Kometen an den Rändern des Sonnensystem aus der Bahn wirft; die konkurrierende Schwerkraft der Sonne würde dann nicht ausreichen, um sie zurückzuholen. Solche vagabundierenden Kometen werden aus dem Sonnensystem ausgestoßen oder – folgenschwerer – in die inneren Bereiche des Sonnensystems umgeleitet. Dort besteht die Möglichkeit, dass sie die Erde treffen.

Eines möchte ich von vornherein klarstellen: Ich weiß nicht, ob die Idee stimmt. Nur dunkle Materie eines unerwarteten Typs könnte einen messbaren Einfluss auf Lebewesen ausüben (die, hm, genau genommen nicht mehr am Leben sind). Das vorliegende Buch erzählt die Geschichte unserer unkonventionellen Vermutungen über genau eine solche überraschend einflussreiche dunkle Materie.

Aber so provokativ unsere spekulativen Gedanken auch sein mögen, sie stehen nicht allein im Mittelpunkt des Buches. Mindestens ebenso wichtig wie die Geschichte des dinosauriertötenden Kometen sind die Zusammenhänge und wissenschaftlichen Befunde, zu denen sie gehört. Das schließt auch den weit besser gefestigten kosmologischen Rahmen und die Erforschung des Sonnensystems ein. Ich empfinde es als großes Glück, dass die Themen, mit denen ich mich beschäftige, meine Gedanken häufig in Richtung der großen Fragen lenken: Woraus besteht die Materie? Was ist das Wesen von Raum und Zeit? Und wie hat sich alles im Universum zu der Welt entwickelt, die wir heute sehen? Auch darüber möchte ich in diesem Buch eine Menge mitteilen.

Der Weg, auf den mich die hier beschriebenen Forschungsarbeiten führten, wurde für mich zum Anlass, umfassender über Kosmologie, Astrophysik, Geologie und sogar Biologie nachzudenken. Das Schwergewicht lag immer noch auf den Grundlagen der Physik. Aber nachdem ich mich während meines ganzen Lebens mit eher konventioneller Teilchenphysik beschäftigt hatte – das heißt mit der Erforschung der Bausteine vertrauter Materie, beispielsweise des Papiers oder Bildschirms, auf dem man dies lesen kann –, war es eine willkommene Abwechslung, zu dem vorzustoßen, was man über die dunkle Welt weiß – oder bald wissen wird; außerdem interessierte mich, welche Folgerungen sich aus den grundlegenden physikalischen Prozessen für das Sonnensystem und die Erde ergeben.

Dunkle Materie und Dinosaurier: Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums beschreibt, was wir heute über das Universum, die Milchstraße und das Sonnensystem wissen, und welche Voraussetzungen für eine bewohnbare Zone und das Leben auf der Erde gegeben sein müssen. Ich werde nicht nur die dunkle Materie und den Kosmos erklären, sondern mich auch mit Kometen, Asteroiden und dem Leben – seiner Entstehung und seinem Verschwinden – beschäftigen. Besonders werde ich mich dabei auf den Himmelskörper konzentrieren, der auf die Erde stürzte und die landlebenden Dinosaurier auslöschte – und auch eine Menge anderer Lebensformen. Ich will etwas über die vielen unglaublichen Zusammenhänge mitteilen, die uns überhaupt erst so weit gebracht haben, dass wir begreifen können, was sich heute abspielt. Wenn wir über unseren Planeten nachdenken, möchten wir auch besser verstehen, in welchem Zusammenhang er sich entwickelt hat.

Als ich mich erstmals näher mit den Konzepten beschäftigte, die den Gedanken in diesem Buch zugrunde liegen, war ich von Ehrfurcht ergriffen und bezaubert – und zwar nicht nur wegen unserer derzeitigen Kenntnisse über unsere lokale, solare, galaktische und universelle Umwelt, sondern weil wir von unserem zufälligen kleinen Ausguck hier auf der Erde aus noch so viel mehr verstehen wollen. Ebenso war ich überwältigt von den vielen Zusammenhängen zwischen Phänomenen, die letztlich unser Dasein möglich machen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich vertrete keine religiöse Sichtweise. Ich empfinde keine Notwendigkeit, all dem Sinn oder Bedeutung beizulegen. Aber wenn wir allmählich die ungeheure Weite des Universums und die Vergangenheit verstehen und letztlich begreifen, wie alles zusammenpasst, kann ich mich dennoch nicht eines Gefühls erwehren, das man oft als religiös bezeichnet. Das bietet uns allen eine gewisse Perspektive, wenn wir es mit den Torheiten des Alltagslebens zu tun haben.

Diese neueren Forschungsarbeiten haben sogar dazu geführt, dass ich die Welt und die vielen Teile des Universums, die die Erde einschließlich unserer selbst hervorgebracht haben, mit anderen Augen sehe. Ich bin in Queens aufgewachsen und habe die beeindruckenden Bauten von New York gesehen, aber über die Natur wusste ich nicht viel. Das wenige, was ich von ihr zu sehen bekam, waren angelegte Parks und Rasenflächen; von der Form, die sie hatte, bevor die Menschen kamen, war kaum noch etwas erhalten. Wenn man aber an einem Strand entlanggeht, spaziert man über kleingemahlene Lebewesen – oder zumindest über ihre Schutzgehäuse. Auch die Bestandteile der Kalksteinklippen, die man am Meer oder in ländlichen Gebieten vielleicht sieht, waren einstmals – vor Jahrmillionen – lebende Organismen. Berge steigen durch die Kollision tektonischer Platten in die Höhe, und das geschmolzene Magma, das ihre Bewegungen antreibt, entsteht durch radioaktives Material, das in der Nähe des Erdkerns begraben liegt. Unsere Energie stammt aus den nuklearen Prozessen in der Sonne – aber seit diese urtümlichen Kernreaktionen stattgefunden haben, wurde sie umgewandelt und auf andere Weise gespeichert. Viele Ressourcen, die wir nutzen, sind schwere Elemente; sie kamen aus dem Weltraum und wurden von Asteroiden oder Kometen auf der Erdoberfläche abgelagert. Auch manche Aminosäuren stammen von Meteoroiden, die damit vielleicht das Leben – oder den Keim des Lebens – auf die Erde brachten. Und bevor all das geschah, stürzte die dunkle Materie zusammen und bildete Klumpen, deren Gravitation immer mehr Materie anzog, bis sie sich am Ende in Galaxien, Galaxienhaufen und Sterne wie unsere Sonne verwandelte. Die gewöhnliche Materie, so wichtig sie für uns auch ist, erzählt uns nicht die ganze Geschichte.

Wir erleben zwar vielleicht die Illusion einer in sich geschlossenen Umwelt, aber jeden Tag bei Sonnenaufgang und jede Nacht, wenn der Mond und die viel weiter entfernten Sterne ins Blickfeld rücken, werden wir daran erinnert, dass unser Planet nicht allein ist. Sterne und Sternennebel sind ein weiterer Beleg dafür, dass wir in einer Galaxis zu Hause sind, die sich in einem noch weitaus größeren Universum befindet. Wir kreisen in einem Sonnensystem, und auch hier erinnern uns die Jahreszeiten an unsere Orientierung und unseren Ort darin. Schon unsere Zeitmessung in Tagen und Jahren macht deutlich, wie wichtig unsere Umgebung ist.

 

Unter den Forschungsergebnissen und der Lektüre, die zu diesem Buch geführt haben, ragen vor allem vier faszinierende Erkenntnisse heraus, die ich mitteilen möchte. Am meisten liegt mir die befriedigende Erkenntnis am Herzen, dass die Einzelteile des Universums auf so bemerkenswerte, ganz unterschiedliche Weise in Verbindung stehen. Auf der grundsätzlichsten Ebene lautet die große Lektion: Die Physik der Elementarteilchen, die Physik des Kosmos und die Biologie des Lebendigen sind miteinander verknüpft – und zwar nicht in irgendeinem esoterischen Sinn, sondern auf eine bemerkenswerte Weise, die zu verstehen sich lohnt.

Die Erde wird ständig von Material aus dem Weltraum getroffen. Und doch ist unser Planet mit seiner Umgebung durch eine Hassliebe verbunden. Von einem Teil dessen, was um ihn herum vorgeht, profitiert er, vieles kann aber auch tödlich sein. Die Position der Erde macht die richtige Temperatur möglich; die äußeren Planeten lenken die meisten ankommenden Asteroiden und Kometen ab, bevor sie die Erde treffen können; die Entfernung zwischen Mond und Erde stabilisiert unsere Umlaufbahn so weit, dass größere Temperaturschwankungen vermieden werden; und das äußere Sonnensystem schirmt uns gegen gefährliche kosmische Strahlung ab. Meteoroide, die auf unseren Planeten gestürzt sind, dürften Ressourcen mitgebracht haben, die für das Leben unentbehrlich sind, sie hatten auf die Wege des Lebendigen aber auch schädliche Auswirkungen. Ein solcher Himmelskörper verursachte vor 66 Millionen Jahren ein verheerendes Massenaussterben. Er fegte die landbewohnenden Dinosaurier hinweg, ebnete aber auch den Weg für die Entwicklung der größeren Säugetiere einschließlich unserer selbst.

Ebenso eindrucksvoll ist der zweite Punkt: Viele wissenschaftliche Entwicklungen, von denen hier die Rede sein wird, sind noch ganz neu. Diese Aussage hätten die Menschen vielleicht zu jedem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte machen können, aber das mindert ihren Wahrheitsgehalt nicht: Wir haben unsere Kenntnisse in den letzten [setzen Sie hier eine vom Zusammenhang abhängige Zahl hin] Jahren ungeheuer erweitert. Für die Forschungsarbeiten, die ich beschreiben möchte, liegt die Zahl bei unter 50. Als ich selbst forschte und von den Arbeiten anderer las, war ich immer wieder verblüfft darüber, wie neu und zutiefst revolutionär viele Entdeckungen der jüngeren Zeit waren. Immer wieder zeigten sich Erfindungsreichtum und Hartnäckigkeit der Menschen: Wissenschaftler bemühten sich darum, sich mit den oftmals überraschenden, immer aber unterhaltsamen und manchmal auch beängstigenden Dingen anzufreunden, die wir über die Welt in Erfahrung gebracht haben. Die in diesem Buch präsentierten wissenschaftlichen Erkenntnisse sind Teil einer größeren Geschichte – sie ist 13,8 oder 4,6 Milliarden Jahre lang, je nachdem, ob man sich auf das Universum oder das Sonnensystem konzentriert. Und doch ist die Geschichte der Menschen, die solche Ideen ans Licht gebracht haben, kaum mehr als ein Jahrhundert alt.

Die Dinosaurier starben vor 66 Millionen Jahren aus, aber wie das geschah, fanden Paläontologen und Geologen erst in den 1970er und 1980er Jahren heraus. Nachdem die entscheidenden Gedanken auf dem Tisch lagen, dauerte es noch einige Jahrzehnte, bis die Gemeinde der Wissenschaftler sie vollständig bewertet hatte. Dieser zeitliche Ablauf war kein reiner Zufall. Der Zusammenhang zwischen dem Aussterben und einem Objekt aus dem Weltraum wurde glaubwürdiger, als Astronauten auf dem Mond gelandet waren und Krater aus der Nähe gesehen hatten – denn nun verfügten sie über detaillierte Belege für die Dynamik des Sonnensystems.

In den letzten 50 Jahren haben bedeutende Fortschritte in Teilchenphysik und Kosmologie zum Standardmodell geführt, das die Grundbausteine der Materie so beschreibt, wie wir sie heute verstehen. Auch die Menge dunkler Materie und dunkler Energie im Universum wurde erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dingfest gemacht. Unsere Kenntnisse über das Sonnensystem haben sich in dem gleichen Zeitraum ebenfalls verändert. Und erst in den 1990er Jahren entdeckten Wissenschaftler die Objekte des Kuiper-Gürtels in der Nachbarschaft des Pluto, womit gezeigt war, dass der Pluto die Sonne nicht allein umkreist. Die Zahl der Planeten wurde vermindert – aber nur, weil die wissenschaftlichen Kenntnisse, die manch einer vielleicht auf der Oberschule erworben hat, heute reichhaltiger und komplexer sind.

Im Mittelpunkt der dritten wichtigen Lektion steht die Geschwindigkeit des Wandels. Natürliche Selektion ermöglicht Anpassung, wenn die Arten genügend Zeit für die Evolution haben. Aber eine solche Anpassung kommt mit radikalen Veränderungen nicht zurecht – dazu ist sie viel zu langsam. Die Dinosaurier waren nicht in der Lage, sich darauf vorzubereiten, dass ein zehn Kilometer großer Meteoroid die Erde trifft. Sie konnten sich nicht anpassen. Für diejenigen unter ihnen, die an Land festsaßen und so groß waren, dass sie sich nicht eingraben konnten, gab es keinen Ausweg.

Wenn neue Gedanken oder technische Möglichkeiten aufkommen, spielen auch Diskussionen über katastrophale oder allmähliche Veränderungen eine große Rolle. Der Schlüssel zum Verständnis der meisten neuen Überlegungen – ob in der Wissenschaft oder anderswo – ist das Tempo der von ihnen beschriebenen Prozesse. Ich höre häufig, bestimmte Entwicklungen, zum Beispiel die Genforschung oder die Fortschritte, die aus dem Internet erwachsen, seien von beispielloser Dramatik. Aber das stimmt nicht ganz. Die verbesserten Kenntnisse über Krankheiten oder über den Blutkreislauf reichen Jahrhunderte weit zurück und brachten einen mindestens ebenso tiefgreifenden Wandel mit sich wie heute die Genetik. Die Einführung der Schriftsprache und später der Druckerpresse hatte großen Einfluss darauf, wie Menschen ihr Wissen erwarben und wie sie dachten – und dieser Wandel war mindestens ebenso bedeutsam wie der, den das Internet ausgelöst hat.

Wie bei diesen Entwicklungen, so ist die Geschwindigkeit auch für den derzeitigen Wandel ein wichtiger Faktor – und dieses Thema ist nicht nur für wissenschaftliche Prozesse von Bedeutung, sondern ebenso für den Wandel in Umwelt und Gesellschaft. Der Tod durch einen Meteoroiden braucht uns zwar heute wahrscheinlich keine größeren Sorgen zu machen, aber der ständig beschleunigte Wandel in der Umwelt und beim Artensterben ist durchaus besorgniserregend – und seine Auswirkungen könnten in vielerlei Hinsicht vergleichbar sein. Es ist das vielleicht gar nicht so versteckte Ziel dieses Buches, die verblüffende Geschichte darüber, wie wir bis hierher gekommen sind, besser zu verstehen; und sie soll uns ermutigen, diese Erkenntnisse klug zu nutzen.

Dennoch gibt es eine vierte wichtige Lektion: Wir besitzen bemerkenswerte wissenschaftliche Erkenntnisse über die oftmals verborgenen Elemente unserer Welt und ihre Entwicklung – und darüber, inwieweit wir überhaupt darauf hoffen können, das Universum zu verstehen. Viele Menschen sind von der Idee eines Multiversums fasziniert – von anderen Universen, die außerhalb unserer Reichweite liegen. Mindestens ebenso faszinierend sind aber die vielen – sowohl biologischen als auch physikalischen – verborgenen Welten, bei denen wir eine Chance haben, sie zu erkunden und mehr über sie in Erfahrung zu bringen. In Dunkle Materie und Dinosaurier: Die erstaunlichen Zusammenhänge des Universums möchte ich vermitteln, wie anregend es sein kann, über das nachzudenken, was wir wissen – und über die Dinge, die wir voraussichtlich oder möglicherweise in Zukunft wissen werden.

 

Dieses Buch beginnt mit der Kosmologie – der Wissenschaft vom Universum und seiner Entwicklung bis zum gegenwärtigen Zustand. Im ersten Teil präsentiere ich die Urknalltheorie, die kosmologische Inflation und die Zusammensetzung des Universums. In diesem Abschnitt wird auch erläutert, was dunkle Materie ist, warum wir so genau wissen, dass es sie gibt, und warum sie für den Aufbau des Universums von so großer Bedeutung ist.

Dunkle Materie macht 85 Prozent der Materie im Universum aus; die gewöhnliche Materie – wie sie beispielsweise in Sternen, Gasen und Menschen enthalten ist – stellt dagegen nur 15 Prozent. Dennoch beschäftigen sich die Menschen vor allem mit der Existenz und Bedeutung der gewöhnlichen Materie – die, das muss man gerechterweise sagen –, viel stärkere Wechselbeziehungen eingeht.

Aber wie bei den Menschen, so ist es auch hier nicht sinnvoll, unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf den kleinen Bruchteil zu konzentrieren, der überproportional viel Einfluss hat. Die beherrschenden 15 Prozent der Materie – der Anteil, den wir sehen und fühlen können – sind nur ein Teil der Geschichte. Ich werde die unentbehrliche Funktion der dunklen Materie im Universum erläutern: Unentbehrlich war sie für die Entstehung der Galaxien und Galaxienhaufen, die in der Frühzeit des Universums aus dem formlosen kosmischen Plasma hervorgegangen sind, und unentbehrlich ist sie auch heute für die Aufrechterhaltung der Stabilität dieser Strukturen.

Im zweiten Teil des Buches konzentrieren wir uns auf das Sonnensystem. Dieses allein könnte natürlich das Thema für ein ganzes Buch abgeben, wenn nicht sogar für eine Enzyklopädie. Deshalb beschränke ich mich auf die Bestandteile, die für die Dinosaurier von Bedeutung gewesen sein könnten – auf Meteoroiden, Asteroiden und Kometen. In diesem Teil wird erläutert, welche Objekte bekanntermaßen die Erde getroffen haben und mit was für Treffern wir für die Zukunft rechnen können. Außerdem wird von den spärlichen, aber nicht von vornherein haltlosen Belegen für Aussterbeereignisse und Meteoroideneinschläge die Rede sein, die in regelmäßigen Abständen von rund 30 Millionen Jahren stattgefunden haben. Dieser Abschnitt behandelt auch die Entstehung des Lebens sowie seine Zerstörung – wir verschaffen uns einen Überblick darüber, was über die fünf großen Ereignisse des Massenaussterbens bekannt ist, darunter auch das verheerende Ereignis, das die Dinosaurier hinwegfegte.

Der dritte und letzte Teil des Buches führt die Gedanken aus den ersten beiden Teilen zusammen und beginnt mit den Modellen für dunkle Materie. Er erläutert die eher vertrauten Überlegungen zu der Frage, was dunkle Materie sein könnte, und neuere Vermutungen über ihre Wechselwirkungen, die ich zuvor bereits erwähnt habe.

Vorerst brauchen wir nur zu wissen, dass dunkle und gewöhnliche Materie durch Gravitation in Wechselwirkung treten. Im Allgemeinen ist die Gravitation so schwach, dass wir ihren Einfluss nur wahrnehmen, wenn es sich um gewaltige Massen handelt – beispielsweise die von Erde und Sonne; und selbst diese Effekte sind nicht sonderlich stark: Wir können eine Büronadel mit einem winzigen Magneten hochheben, womit wir erfolgreich gegen den Gravitationseinfluss der ganzen Erde antreten.

Die dunkle Materie dürfte aber auch noch anderen Kräften unterworfen sein. Unser neues Modell stellt die Annahme – und das Vorurteil – in Frage, wonach die uns vertraute Materie wegen der Kräfte, durch die sie interagiert – Elektromagnetismus, schwache und starke Kernkraft –, etwas Besonderes ist. Diese Kräfte der herkömmlichen Materie sind weitaus stärker als die Gravitation und bilden die Grundlage für viele interessante Eigenschaften unserer Welt. Aber was wäre, wenn auch ein Teil der dunklen Materie neben der Gravitation anderen einflussreichen Interaktionen unterläge? Wenn es so ist, könnten die Kräfte der dunklen Materie zu dramatischen Indizien für Zusammenhänge zwischen der elementaren Materie und makroskopischen Phänomenen werden, die noch tiefer gehen als die vielen, die wir bereits kennen.

Im Prinzip könnten zwar alle Dinge im Universum untereinander in Wechselbeziehung treten, die meisten derartigen Interaktionen sind aber so klein, dass man sie nicht ohne weiteres wahrnehmen kann. Beobachten können wir nur Dinge, die uns auf nachweisbare Weise betreffen. Wenn wir es mit etwas zu tun haben, das nur winzige Effekte ausübt oder erlebt, kann es unmittelbar vor unserer Nase liegen und doch unserer Aufmerksamkeit entgehen. Das ist vermutlich der Grund, warum die einzelnen Teilchen der dunklen Materie sich bisher einer Entdeckung entzogen haben – und das, obwohl sie uns vermutlich überall umgeben.

Der dritte Teil des Buches zeigt, wie weiter gefasste Gedanken über die dunkle Materie – die Frage, warum das dunkle Universum so einfach sein soll, wo unseres doch so kompliziert ist – uns dazu veranlassen, über neue Möglichkeiten nachzudenken. Vielleicht erlebt ein Teil der dunklen Materie ihre eigene Kraft – ein dunkles Licht, wenn man so will. Wenn der größte Teil der dunklen Materie in der Regel in die relativ einflusslosen 85 Prozent abgeschoben wird, könnte man auf den Gedanken kommen, dass der neu vorgeschlagene Typ der dunklen Materie eine aufwärts orientierte mittlere Kategorie darstellt – mit Interaktionen, die denen der bekannten Materie ähneln. Die zusätzlichen Wechselwirkungen könnten Auswirkungen auf den Aufbau der Galaxis haben und die Möglichkeit schaffen, dass dieser Teil der dunklen Materie die Bewegungen der Sterne und anderer Objekte im Bereich der gewöhnlichen Materie beeinflusst.

In den kommenden fünf Jahren wird man mit Satelliten die Form, die Zusammensetzung und die Eigenschaften unserer Galaxis detaillierter vermessen als je zuvor. Daraus werden wir viel über unsere galaktische Umgebung erfahren, und wir können prüfen, ob unsere Vermutung stimmt. Solche Folgerungen, die sich beobachten lassen, machen die dunkle Materie und unser Modell zu legitimen wissenschaftlichen Überlegungen, die weiterzuverfolgen sich lohnt – und das, obwohl die dunkle Materie kein Baustein von dir und mir ist. Zu den Folgen könnten auch die Einschläge von Meteoroiden gehören – und einer davon könnte das Bindeglied zwischen der dunklen Materie und dem Verschwinden der Dinosaurier sein, auf das der Titel des Buches anspielt.

Die Hintergründe und Konzepte, die solche Phänomene verbinden, verschaffen uns ein weit gefasstes, dreidimensionales Bild des Universums. Mit diesem Buch verfolge ich das Ziel, solche Ideen weiterzugeben und jeden dazu zu ermutigen, selbst den bemerkenswerten Reichtum unserer Welt zu erkunden, wertzuschätzen und zu stärken.

Teil IDie Entwicklung des Universums

1Die Dunkle-Materie-Geheimgesellschaft

Dinge, mit denen wir nicht rechnen, bemerken wir oftmals nicht. In einer mondlosen Nacht schießen Meteore über den Himmel; wenn wir durch den Wald wandern, verfolgen uns unbekannte Tiere, auf einem Spaziergang durch eine Stadt sind wir von großartigen architektonischen Details umgeben. Solche bemerkenswerten Bilder übersehen wir häufig – und das selbst dann, wenn sie unmittelbar in unserem Blickfeld liegen. Unser eigener Organismus beherbergt Bakterienkolonien. Die Bakterien sind zehnmal zahlreicher als unsere eigenen Zellen und helfen uns beim Überleben. Und doch sind wir uns dieser mikroskopisch kleinen Lebewesen kaum bewusst, die Nährstoffe verbrauchen und unser Verdauungssystem unterstützen. Nur wenn Bakterien unartig sind und uns krank machen, nehmen die meisten von uns sie überhaupt zur Kenntnis.

Um etwas zu sehen, muss man hinschauen. Und man muss wissen, wohin man schauen muss. Aber die Phänomene, die ich gerade erwähnt habe, kann man im Prinzip wenigstens sehen. Stellen wir uns einmal vor, wie viel schwieriger es ist, etwas zu verstehen, das wir buchstäblich nicht sehen können. So ist es mit der dunklen Materie, jenem schwer fassbaren Stoff im Universum, der mit der Materie, die wir kennen, nur in winzigsten Wechselwirkungen steht. Im nächsten Kapitel werde ich erklären, wie Astronomen und Physiker mit einer Vielzahl von Messungen nachgewiesen haben, dass es dunkle Materie gibt. In diesem möchte ich die schwer fassbare Materie erst einmal vorstellen und darlegen, was sie ist, warum sie unter Umständen so verwirrend zu sein scheint und warum sie das – unter einigen wichtigen Gesichtspunkten – überhaupt nicht ist.

Das Ungesehene in unserer Mitte

Das Internet ist zwar ein einziges riesiges Netzwerk, in dem Milliarden Menschen sich online begegnen, aber von den vielen, die in sozialen Netzwerken kommunizieren, interagieren nur die wenigsten direkt oder auch nur indirekt miteinander. Die Beteiligten freunden sich in der Regel mit Gleichgesinnten an, folgen anderen mit ähnlichen Interessen und halten sich an Nachrichtenquellen, in denen sich ihre eigene besondere Sicht auf die Welt widerspiegelt. Mit derart eingeschränkten Interaktionen zerfallen die vielen Menschen, die online gehen, in ganz verschiedene Gruppen, die nicht miteinander in Wechselbeziehung treten, und innerhalb ihrer Gruppe treffen sie nur selten auf unangenehme Ansichten. Selbst die Freunde der Freunde setzen sich meist nicht mit den gegensätzlichen Meinungen anderer Gruppen auseinander; deshalb vergessen die meisten Internetnutzer, dass es unbekannte Communities mit ganz anderen, unvereinbaren Ideen gibt.

Nicht alle Menschen sind von Welten, die außerhalb ihrer eigenen liegen, so abgeschnitten. Aber wenn es um dunkle Materie geht, sind wir alle der gerade erwähnten Versäumnisse schuldig. Die dunkle Materie gehört einfach nicht zum sozialen Netzwerk der gewöhnlichen Materie. Sie lebt in einem Internet-Chatroom, von dem wir bisher noch nicht wissen, wie wir ihn betreten sollen. Sie befindet sich in demselben Universum und besetzt sogar die gleichen Raumregionen wie die sichtbare Materie, und doch können ihre Teilchen nur unmerklich mit der gewöhnlichen Materie, die wir kennen, in Wechselbeziehung treten. Es ist wie mit den Internet-Communities, an die wir nicht denken: Solange man uns nichts über dunkle Materie erzählt, würden wir in unserem täglichen Leben überhaupt nicht bemerken, dass sie existiert.

Wie die Bakterien in uns, so ist auch die dunkle Materie eines der vielen anderen »Universen«, die unmittelbar vor unserer Nase liegen. Und wie die mikroskopisch kleinen Lebewesen, so ist auch sie überall um uns herum. Dunkle Materie durchquert geradewegs unseren Körper – und ist auch in der Außenwelt zu Hause. Ihre Auswirkungen bemerken wir nicht, weil sie ungeheuer schwach interagiert – so schwach, dass sie eine eigene Population bildet. Sie ist eine vollkommen von der bekannten Materie getrennte Gesellschaft.

Aber eine wichtige. Während Bakterienzellen zwar zahlreich sind, aber nur ungefähr ein bis zwei Prozent unseres Gewichtes ausmachen, hat die dunkle Materie – auch wenn sie nur ein unbedeutender Teil unseres Körpers ist – an der gesamten Materie im Universum einen Anteil von rund 85 Prozent. Jeder Kubikzentimeter um uns herum enthält ungefähr Materie von der Masse eines Protons. Das hört sich nach viel oder nach wenig an, je nachdem, wie man es betrachtet. Was es aber bedeutet: Wenn die dunkle Materie aus Teilchen besteht, die in ihrer Masse mit den uns bekannten Teilchen vergleichbar sind, und wenn diese Teilchen mit einer Geschwindigkeit wandern, mit der wir aufgrund der gut bekannten Dynamik rechnen, dringen in jeder Sekunde Milliarden Teilchen der dunklen Materie durch jeden Menschen hindurch. Und doch bemerkt niemand, dass sie da sind. Selbst Milliarden Teilchen der dunklen Materie haben auf uns nur winzigste Auswirkungen.

Der Grund: Wir spüren die dunkle Materie nicht. Dunkle Materie interagiert nicht mit Licht – jedenfalls soweit man es bisher untersuchen konnte. Dunkle Materie besteht nicht aus dem gleichen Material wie gewöhnliche Materie – sie setzt sich nicht aus Atomen oder den vertrauten Elementarteilchen zusammen, die mit Licht interagieren – was für alles, was wir sehen können, unabdingbar ist. Das Rätsel, das meine Kollegen und ich zu lösen hoffen, lautet: Woraus besteht dunkle Materie eigentlich? Besteht sie aus Teilchen eines neuen Typs? Und wenn ja, welche Eigenschaften haben sie? Beteiligen sie sich neben ihren gravitationsbedingten Wechselwirkungen überhaupt an irgendwelchen Interaktionen? Wenn wir mit unseren derzeitigen Experimenten Glück haben, könnte sich herausstellen, dass die Teilchen der dunklen Materie ganz geringe elektromagnetische Interaktionen erleben, die so klein sind, dass man sie bisher nicht nachweisen konnte. Sonden suchen gezielt danach – wie das geschieht, werde ich im dritten Teil des Buches erläutern. Bisher jedoch bleibt die dunkle Materie unsichtbar. Selbst auf die empfindlichsten heutigen Detektoren hat sie keinen Einfluss.

Wenn aber große Mengen dunkler Materie sich in bestimmten Regionen zusammenballen, üben sie unter dem Strich einen beträchtlichen Gravitationseinfluss aus, was bei den Sternen und nahe gelegenen Galaxien zu messbaren Effekten führt. Dunkle Materie hat Auswirkungen auf die Ausdehnung des Universums, den Weg der Lichtstrahlen, die von weit entfernten Himmelskörpern zu uns gelangen, die Umlaufbahnen der Sterne um die Zentren der Galaxien und viele andere messbare Phänomene – deshalb sind wir überzeugt davon, dass es sie gibt. Dass wir etwas über dunkle Materie wissen – und dass wir überhaupt wissen, dass sie existiert –, liegt an diesen messbaren Gravitationseffekten.

Darüber hinaus hat die dunkle Materie, obwohl unsichtbar und unfühlbar, für die Ausbildung der Struktur des Universums eine entscheidende Rolle gespielt. Man kann sie mit den unterschätzten »Menschen wie du und ich« in einer Gesellschaft vergleichen. Die vielen Arbeiter, die Pyramiden bauten, Autobahnen asphaltierten oder elektronische Geräte zusammensetzten, waren für die Entscheidungsträger in der Elite unsichtbar und doch für die Entwicklung ihrer Kulturen unentbehrlich. Wie andere unbemerkte Gruppen in unserer Mitte, so war auch die dunkle Materie für unsere Welt von entscheidender Bedeutung.

Wäre die dunkle Materie nicht in der Frühzeit des Universums vorhanden gewesen, gäbe es uns nicht einmal, und wir könnten keine Kommentare darüber abgeben, vom Aufbau eines zusammenhängenden Bildes von der Evolution des Universums ganz zu schweigen. Ohne dunkle Materie hätte nicht genug Zeit zur Verfügung gestanden, in der sich die Struktur, die wir heute beobachten, bilden konnte. Klumpen aus dunkler Materie waren die Samen unserer Milchstraße wie auch anderer Galaxien und Galaxienhaufen. Hätten sich die Galaxien nicht gebildet, gäbe es auch keine Sterne, kein Sonnensystem, kein Leben, wie wir es kennen. Auch heute sorgt die kollektive Wirkung der dunklen Materie dafür, dass Galaxien und Galaxienhaufen intakt bleiben. Und wenn die dunkle Scheibe existiert, auf die ich in der Einleitung angespielt habe, könnte die dunkle Materie sogar für den Weg des Sonnensystems von Bedeutung sein.

Und doch beobachten wir die dunkle Materie nicht direkt. Wissenschaftler haben viele Formen von Materie studiert, aber alle, deren Zusammensetzung wir kennen, wurden mit irgendeiner Form von Licht beobachtet – oder allgemeiner gesagt, mit elektromagnetischer Strahlung. Diese hat bei sichtbaren Frequenzen die Form von Licht, kann aber auch beispielsweise als Radiowellen oder Ultraviolettstrahlung auftreten, wenn sie außerhalb des begrenzten Frequenzbereichs liegt, den wir sehen können. Die Effekte kann man mit einem Mikroskop, mit Radargeräten oder als Bild auf einem Foto betrachten, aber immer handelt es sich um elektromagnetische Strahlen. Nicht immer sind es unmittelbare Wechselwirkungen – am direktesten interagieren geladene Elemente mit Licht. Aber die Elemente aus dem Standardmodell der Teilchenphysik – die grundlegendsten Elemente der Materie, die wir kennen – interagieren auch untereinander so stark, dass Licht zwar vielleicht nicht gerade ein Freund, aber zumindest der Freund eines Freundes aller Formen von Materie ist, die wir sehen können.

Nicht nur unser Sehvermögen, sondern auch unsere anderen Sinne – Berührung, Geruch, Geschmack und Hören – beruhen auf den Wechselwirkungen von Atomen, die ihrerseits aus den Wechselwirkungen elektrisch geladener Teilchen erwachsen. Der Tastsinn bedient sich aus komplizierteren Gründen auch elektromagnetischer Schwingungen und Wechselwirkungen. Da alle Sinne des Menschen in irgendeiner Form auf elektromagnetischen Interaktionen basieren, lässt sich die dunkle Materie auf den üblichen Wegen nicht unmittelbar nachweisen. Wenn Licht auf dunkle Materie fällt, geschieht nichts. Das Licht wandert einfach hindurch.

Angesichts der Tatsache, dass sie die dunkle Materie nie gesehen (oder gefühlt oder gerochen) haben, sind viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, ausgesprochen überrascht, dass es sie überhaupt gibt. Sie finden die dunkle Materie sehr geheimnisvoll oder vermuten sogar, es müsse sich um eine Art Irrtum handeln. Man fragt, wie es überhaupt sein kann, dass der größte Teil der Materie mit herkömmlichen Teleskopen nicht nachzuweisen ist. Ich persönlich würde genau das Gegenteil erwarten (aber zugegebenermaßen sieht nicht jeder die Sache so). Für mich wäre es noch rätselhafter, wenn die Materie, die wir mit unseren Augen sehen können, alle Materie wäre, die es gibt. Warum sollten wir perfekte Sinnesorgane haben, die alles unmittelbar wahrnehmen können? Die große Lektion der Physik im Laufe der Jahrhunderte lautete: Vieles bleibt unserem Blick verborgen. So betrachtet, lautet die eigentliche Frage: Warum hat der Stoff, den wir kennen, einen so großen Anteil an der Energiedichte des Universums?

Die Vorstellung von dunkler Materie mag sich für manch einen exotisch anhören, aber ihre Existenz zu postulieren ist weit weniger revolutionär, als wenn man die Gesetze der Gravitation umstürzen würde – was Dunkle-Materie-Skeptiker vielleicht lieber täten. Die dunkle Materie ist uns zwar tatsächlich nicht vertraut, aber wahrscheinlich gibt es für sie eine mehr oder weniger konventionelle Erklärung, die völlig im Einklang mit allen bekannten Gesetzen der Physik steht. Aber warum sollte alle Materie, deren Verhalten im Einklang mit den bekannten Gesetzen der Gravitation steht, sich genau wie die herkömmliche Materie verhalten? Oder, um es noch prägnanter zu formulieren: Warum sollte alle Materie mit Licht interagieren? Dunkle Materie könnte einfach Materie sein, die eine andere oder überhaupt keine grundsätzliche Ladung hat. Ohne elektrische Ladung oder Interaktionen mit geladenen Teilchen kann dunkle Materie schlicht kein Licht absorbieren oder aussenden.

Dennoch habe ich mit einem Aspekt der dunklen Materie ein kleines Problem, nämlich mit ihrem Namen. Gegen die »Materie« habe ich keine Einwände. Dunkle Materie ist tatsächlich eine Form der Materie, das heißt, sie ist eine Substanz, die Klumpen bildet, ihren eigenen Gravitationseinfluss ausübt und wie alle sonstige Materie durch Gravitation interagiert. Physiker und Astronomen weisen sie auf verschiedenen Wegen nach, aber die Grundlage ist immer diese Wechselwirkung.

Unglücklich gewählt ist aber das Attribut »dunkel«: Einerseits sehen wir dunkle Dinge, die Licht absorbieren, und andererseits hört sich der unheilvoll klingende Name machtvoller und negativer an, als es der Wirklichkeit entspricht. Dunkle Materie ist nicht dunkel – sie ist durchsichtig. Dunkle Substanzen absorbieren Licht. Durchsichtige dagegen nehmen es nicht zur Kenntnis. Licht kann auf dunkle Materie treffen, aber dadurch verändert sich weder die Materie noch das Licht.

Auf einer Tagung, auf der sich kürzlich Menschen aus den verschiedensten Fachgebieten trafen, lernte ich Massimo kennen, einen Marketing-Profi, der sich auf Markennamen spezialisiert hat. Als ich ihm von meinen Forschungsarbeiten erzählte, sah er mich ungläubig an und fragte: »Warum nennt man sie dunkle Materie?« Sein Einwand betraf nicht die wissenschaftliche Aussage, sondern die unnötig negativen Nebenbedeutungen des Namens. Eigentlich stimmt es nicht ganz, dass »dunkel« in allen Fällen eine negative Bedeutung hat. Der »Dark Knight« gehörte zu den Guten, das war allerdings kompliziert. Aber im Vergleich zu seiner Verwendung in Dark Shadows, His Dark Materials, Transformers: Die dunkle Seite des Mondes oder Darth Vaders »dunkler Seite der Macht« – ganz zu schweigen von dem vergnügten dark-Song aus dem Lego-Film – ist das »dunkel« in »dunkler Materie« ziemlich zahm. Trotz der offenkundigen Faszination, die dunkle Dinge auf uns ausüben, wird die dunkle Materie ihrem Namen eigentlich nicht gerecht.

Eine Eigenschaft hat dunkle Materie allerdings mit dem Stoff des Bösen gemeinsam: Sie bleibt den Blicken verborgen, weil sie kein Licht aussendet. In diesem Sinn ist sie wirklich dunkel – nicht weil sie undurchsichtig wäre, sondern weil sie das Gegenteil von Licht aussendender oder auch nur Licht reflektierender Materie ist. Und wie den vielen boshaften Geistern in Filmen und Literatur, so dient auch hier die Unsichtbarkeit als Schutz.

Massimo war wie ich der Meinung, dass »transparente Materie« ein besserer Name gewesen wäre – oder zumindest wäre er weniger beängstigend. Aus physikalischer Sicht stimmt er auch, aber ich bin mir nicht sicher, ob er richtig wäre. »Dunkle Materie« ist zwar nicht mein Lieblingsbegriff, offensichtlich erregt er aber eine ganze Menge Aufmerksamkeit. Andererseits ist die dunkle Materie weder unheilvoll noch mächtig – es sei denn, es handelt sich um eine große Menge von ihr.

Schwarze Löcher und dunkle Energie

Der Name »dunkle Materie« ist auch über die zuvor genannten, unheilvoll klingenden Folgerungen hinaus ein Anlass zur Verwirrung. Viele Menschen, mit denen ich über meine Forschung spreche, können beispielsweise dunkle Materie nicht von schwarzen Löchern unterscheiden. Um den Unterschied zu verdeutlichen, möchte ich einen kurzen Umweg machen und schwarze Löcher erörtern, Objekte, die entstehen, wenn zu viel Materie sich in einer zu kleinen Raumregion aufhält. Dem Einfluss ihrer gewaltigen Gravitation entkommt nichts – nicht einmal das Licht.

Schwarze Löcher und dunkle Materie haben nicht mehr gemeinsam als schwarze Tinte und film noir. Dunkle Materie interagiert nicht mit Licht. Schwarze Löcher absorbieren Licht – und auch alles andere, was ihnen zu nahe kommt. Schwarze Löcher sind schwarz, weil alles Licht, das in sie hineinfällt, dort bleibt. Es wird nicht abgestrahlt und nicht zurückgeworfen. Dunkle Materie könnte für die Entstehung schwarzer Löcher von Bedeutung gewesen sein[1], denn jede Form der Materie kann zusammenbrechen und zu einem schwarzen Loch werden. Aber schwarze Löcher und dunkle Materie sind mit Sicherheit nicht das Gleiche. Man sollte sie auf keinen Fall verwechseln.

Ein weiteres Missverständnis ist auf den unglückseligen Namen der dunklen Materie zurückzuführen. Da ein anderer Bestandteil des Universums »dunkle Energie« heißt – auch das eine problematische Bezeichnung –, wird diese ebenfalls häufig mit der dunklen Materie verwechselt. Also schweifen wir ein weiteres Mal von unserem Hauptthema ab: Dunkle Energie ist heute ein unverzichtbarer Teil der Kosmologie. Deshalb möchte ich auch diesen Begriff klären, um sicherzustellen, dass meine aufgeklärten Leser den Unterschied stets im Gedächtnis behalten.

Dunkle Energie ist keine Materie, sondern eben Energie. Sie existiert selbst dann, wenn kein echtes Teilchen oder irgendeine andere Form von Substanz vorhanden ist. Sie durchzieht das Universum, bildet aber im Gegensatz zu gewöhnlicher Materie keine Klumpen. Dunkle Energie hat überall die gleiche Dichte – sie kann in einer Region nicht dichter sein als in einer anderen. Auch darin unterscheidet sie sich stark von der dunklen Materie, die sich zu Objekten sammelt und an manchen Stellen eine größere Dichte hat als an anderen. Dunkle Materie verhält sich wie die Materie, die uns vertraut ist und in Objekten wie Sternen, Galaxien und Galaxienhaufen gebunden wird. Die dunkle Energie dagegen ist immer gleichmäßig verteilt.

Dunkle Energie bleibt außerdem im Laufe der Zeit konstant. Im Gegensatz zu Materie oder Strahlung wird sie mit der Ausdehnung des Universums nicht stärker verdünnt. Das ist in gewisser Hinsicht ihre definierende Eigenschaft. Die Dichte der dunklen Energie – Energie, die nicht von Teilchen oder Materie getragen wird – bleibt über die Zeit hinweg gleich. Deshalb bezeichnen Physiker diese Form von Energie häufig auch als eine kosmologische Konstante.

In der Frühzeit des Universums wurde die Energie zum größten Teil durch Strahlung getragen. Aber Strahlung wird schneller verdünnt als Materie, und deshalb übernahm diese irgendwann die Rolle als größter Energieträger. Viel später in der Geschichte des Universums übernahm die dunkle Energie – die sich ja im Gegensatz zu Strahlung und Materie nie verdünnt – die beherrschende Rolle, und heute macht sie im Universum rund 70 Prozent der Energiedichte aus.

Bevor Einstein seine Relativitätstheorie formulierte, dachte man nur an relative Energie – an den Energieunterschied zwischen verschiedenen Anordnungen. Mit Einsteins Theorie ausgerüstet, lernten wir dann, dass die absolute Energiemenge als solche von Bedeutung ist und eine Gravitationskraft entstehen lässt, die das Universum zusammenziehen oder ausdehnen kann. Das große Rätsel im Zusammenhang mit der dunklen Energie ist nicht die Frage, warum sie existiert – die Quantenmechanik wie auch die Gravitationstheorie legen die Vermutung nahe, dass es sie gibt, und Einsteins Theorie sagt uns, dass sie physikalische Auswirkungen hat –, sondern warum ihre Dichte so gering ist. Angesichts ihrer beherrschenden Stellung mag das nicht als wichtige Frage erscheinen. Aber obwohl die dunkle Energie heute im Universum den größten Teil der Energie ausmacht, trat ihr Einfluss erst in jüngster Zeit – nachdem Materie und Strahlung durch die Ausdehnung des Universums ungeheuer stark verdünnt waren – in Konkurrenz zum Einfluss anderer Energietypen. Früher war die Dichte der dunklen Energie winzig klein im Vergleich zu den viel größeren Beiträgen von Strahlung und Materie. Ohne die Antwort im Voraus zu wissen, schätzten Physiker, die Dichte der dunklen Energie müsse verblüffende 120 Zehnerpotenzen größer sein. Die Frage, warum die kosmologische Konstante so klein ist, beschäftigt die Physiker schon seit Jahren.

Nach Ansicht vieler Astronomen erleben wir heute eine Renaissance der Kosmologie: Theorien und Beobachtungen sind so weit fortgeschritten, dass präzise vorbereitete Untersuchungen bei der Beantwortung der Frage helfen können, welche Ideen im Universum tatsächlich verwirklicht sind. Aber da dunkle Energie und dunkle Materie eine so beherrschende Stellung einnehmen, während rätselhafterweise gleichzeitig so viel gewöhnliche Materie bis heute überlebt hat, sagen Physiker auch im Scherz, wir würden in einem dunklen Zeitalter leben.

Aber gerade diese Rätsel machen unsere Zeit für alle, die sich mit dem Kosmos beschäftigen, so spannend. Was den Gewinn von Kenntnissen über den dunklen Sektor angeht, hat man in der Wissenschaft große Fortschritte gemacht, aber es bleiben auch wichtige Fragen, deren Aufklärung nahe bevorsteht. Für eine Wissenschaftlerin wie mich ist das eine optimale Situation.

Vielleicht kann man sagen: Physiker, die »das Dunkle« studieren, sind in einer abstrakteren Form an einer kopernikanischen Revolution beteiligt. Die Erde ist nicht nur kein physikalisches Zentrum des Universums mehr, sondern unsere physikalische Zusammensetzung ist noch nicht einmal ein zentraler Bestandteil seines Energiebudgets – oder auch des größten Teils seiner Materie. Und genau wie die Erde das erste Objekt im Kosmos war, das von Menschen erforscht wurde – das Objekt, das ihnen am vertrautesten ist –, so konzentrierten sich die Physiker anfangs auch auf die Materie, aus der wir bestehen, denn sie ist am einfachsten zugänglich, am leichtesten zu erkennen und unentbehrlich für unser Leben. Das geographisch vielgestaltige, schwierige Gelände auf der Erde zu erkunden war nicht immer einfach. Aber so anspruchsvoll es auch war, die Erde vollständig zu verstehen, so war sie doch zugänglicher und einfacher zu erforschen als ihre weiter entfernten Gegenstücke – die abgelegenen Regionen des Sonnensystems und der Weltraum dahinter.

Eine ähnliche Herausforderung war es auch, die Grundbausteine unserer gewöhnlichen Materie kennenzulernen, und doch war ihre Erforschung weitaus einfacher als die Erkundung der »durchsichtigen« dunklen Materie, die unsichtbar ist – und uns doch überall umgibt.

Heute jedoch ändert sich die Lage. Mittlerweile ist die dunkle Materie ein vielversprechender Forschungsgegenstand, denn es sollte möglich sein, sie mit den Prinzipien der herkömmlichen Teilchenphysik zu erklären, und außerdem kann man sie wahrscheinlich einem breiten Spektrum derzeit gebräuchlicher experimenteller Methoden unterwerfen. Trotz ihrer schwachen Wechselwirkungen haben die Wissenschaftler in den kommenden zehn Jahren eine echte Chance, das Wesen der dunklen Materie aufzuklären und abzuleiten. Und da die dunkle Materie sich auch zu Galaxien und anderen Strukturen zusammenballt, wird die Beobachtung unserer Galaxis und des Universums für Physiker und Astronomen die Möglichkeit schaffen, sie auf neuartige Weise zu vermessen. Wie wir außerdem noch genauer erfahren werden, dürfte die dunkle Materie sogar eine Erklärung für einige Besonderheiten in unserem Sonnensystem liefern, die mit Meteoroideneinschlägen und dem Entwicklungsweg des Lebendigen auf der Erde zu tun haben. Dunkle Materie ist nicht räumlich abgetrennt (und sie ist real), das heißt, das Raumschiff Enterprise wird uns nicht zu ihr bringen. Aber mit den Ideen und technischen Möglichkeiten, die derzeit in Arbeit sind, steht die dunkle Materie im Begriff, zum letzten – oder zumindest zum nächsten spannenden – Neuland zu werden.

2Die Entdeckung der dunklen Materie

Wenn man durch die Straßen von Manhattan schlendert oder durch Hollywood fährt, hat man manchmal das Gefühl, als sei eine berühmte Person in der Nähe. Selbst wenn wir George Clooney nicht unmittelbar sehen, reicht der Verkehrsstau, der durch die wartende, mit Handys und Kameras ausgerüstete Menge entsteht, um uns auf die Anwesenheit eines Prominenten aufmerksam zu machen. Wir spüren zwar seine Gegenwart nur indirekt, aber George hat beträchtlichen Einfluss auf alle um ihn herum, und deshalb können wir trotz allem sicher sein, dass in der Nähe etwas Besonderes vorgeht.

Auch die dunkle Materie sehen wir nicht, aber wie der Prominente hat sie Einfluss auf ihre Umgebung. Anhand dieser indirekten Einflüsse haben die Astronomen auf ihre Gegenwart geschlossen. Heute geben uns Messungen mit ständig wachsender Präzision Auskunft über den Energiebeitrag der dunklen Materie. Auch wenn die Gravitation eine schwache Kraft ist, haben ausreichend große Mengen an dunkler Materie einen messbaren Einfluss – und ihre Menge im Universum ist wahrlich groß. Das wahre Wesen der dunklen Materie kennen wir noch nicht, aber die Messungen, die ich jetzt beschreiben werde, machen eines deutlich: Sie ist ein realer, unentbehrlicher Bestandteil unserer Welt. Die dunkle Materie ist zwar bisher für unsere Augen und direkte Beobachtungen unsichtbar, aber ganz verstecken kann sie sich nicht.

Eine kurze Geschichte über die Entdeckung der dunklen Materie

Fritz Zwicky war ein unabhängiger Geist, der einige eindrucksvolle Ideen und auch manche unsinnigen Gedanken hatte. Er war sich seiner Stellung als Querkopf genau bewusst und wollte sogar eine Autobiographie mit dem Titel Operation einsamer Wolf schreiben. Sein Ruf ist vielleicht zum Teil die Erklärung dafür, warum man ihn 40 weitere Jahre lang nicht ernst nahm, nachdem er 1933 eine der spektakulärsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts gemacht hatte.

Was Zwicky 1933 schlussfolgerte, war tatsächlich bemerkenswert. Er beobachtete die Geschwindigkeiten der Galaxien im Coma-Haufen (ein Haufen ist eine große Ansammlung von Galaxien, die durch die Gravitation aneinander gebunden sind). Die Gravitationsanziehung der Materie in einem Galaxienhaufen steht in Konkurrenz zur kinetischen Energie der darin enthaltenen Sterne; beide gemeinsam schaffen ein stabiles System. Bei einer zu geringen Masse kann die Gravitationsanziehung in dem Haufen nicht verhindern, dass die kinetische Energie die Sterne wegtreibt. Aufgrund seiner Messungen der Geschwindigkeit von Sternen berechnete Zwicky, dass die Masse, die dem Haufen eine ausreichende Gravitationsanziehung verleihen würde, 400-mal größer war als die gemessene leuchtende Masse – die Masse der Materie, die Licht aussendet. Um die zusätzlichen Mengen zu erklären, äußerte Zwicky die Vorstellung, es müsse dunkle Materie geben, wie er sie auf Deutsch nannte – und das hörte sich entweder unheilvoll oder verrückt an, je nachdem, wie man es aussprach.

Schon ein Jahr vor Zwicky war der brillante, produktive niederländische Astronom Jan Oort zu ähnlichen Schlussfolgerungen über die dunkle Materie gelangt. Wie er erkannte, haben die Sterne in unserer galaktischen Nachbarschaft eine so hohe Geschwindigkeit, dass man ihre Bewegung nicht ausschließlich auf den Gravitationseinfluss der lichtaussendenden Materie zurückführen kann. Auch Oort schloss daraus, dass irgendetwas fehlen muss. Er stellte sich aber nicht eine neue Form der Materie vor, sondern nur nicht leuchtende, ansonsten aber normale Substanzen – eine Vermutung, die seither aus mehreren Gründen verworfen wurde; von ihnen wird später noch die Rede sein.

Aber auch Oort dürfte mit seiner Entdeckung nicht der Erste gewesen sein. Auf einer Tagung über Kosmologie, an der ich kürzlich in Stockholm teilnahm, erzählte mir mein schwedischer Kollege Lars Bergström von den relativ unbekannten Arbeiten des schwedischen Astronomen Knut Lundmark. Dieser hatte bereits zwei Jahre vor Oort beobachtet, dass Materie in den Galaxien fehlte. Zwar hatte Lundmark ebenso wenig wie Oort die gewagte Vermutung geäußert, es gebe eine völlig neue Form von Materie, aber seine Messungen zum Verhältnis der dunklen zur sichtbaren Materie kamen sehr dicht an den tatsächlichen Wert heran – dieser liegt, wie wir heute wissen, bei ungefähr fünf zu eins.

Aber trotz solcher frühen Beobachtungen wurde die dunkle Materie lange Zeit mehr oder weniger ignoriert. Die Idee rückte erst in den 1970er Jahren wieder ins Blickfeld, als Astronomen beobachteten, dass man die Bewegung der Satellitengalaxien – kleiner Galaxien in der Nachbarschaft größerer – nur mit einer zusätzlich vorhandenen, unsichtbaren Materie erklären konnte. Aufgrund dieser und anderer Beobachtungen wurde die dunkle Materie allmählich zum Gegenstand ernsthafter Forschungsarbeiten.

Auf ein festes Fundament wurde ihre Stellung aber erst durch die Arbeiten der Astronomin Vera Rubin gestellt, die an der Carnegie Institution in Washington mit dem Astronomen Kent Ford zusammenarbeitete. Nachdem Rubin an der Georgetown University ihr Examen gemacht hatte, entschloss sie sich, die Winkelbewegungen der Sterne in Galaxien zu messen und dabei mit der Andromedagalaxie zu beginnen – unter anderem wollte sie damit vermeiden, allzu weit in die Lieblingsreviere anderer Wissenschaftler einzudringen. Sie änderte ihre Forschungsrichtung, nachdem ihre Doktorarbeit – in der sie die Geschwindigkeiten von Galaxien gemessen und die Existenz von Galaxienhaufen bestätigt hatte – von großen Teilen der Wissenschaftlergemeinde abgelehnt worden war, und das unter anderem aus dem unhöflichen Grund, dass sie sich in die Forschungsreviere anderer vorgewagt hatte. Nach der Promotion entschloss sich Rubin, sich auf ein weniger bevölkertes Forschungsgebiet zu begeben und die Umlaufgeschwindigkeiten von Sternen zu studieren.

Rubins Entscheidung führte zu der vielleicht spannendsten Entdeckung ihrer Zeit. In den 1970er Jahren fand sie in Zusammenarbeit mit Kent Ford heraus, dass die Umlaufgeschwindigkeit von Sternen immer mehr oder weniger gleich ist, unabhängig davon, wie weit sie vom Zentrum der Galaxie entfernt sind. Das heißt, Sterne bewegen sich mit konstanter Geschwindigkeit, und das noch weit außerhalb der Region, die leuchtende Materie enthält. Dafür gab es nur eine Erklärung: eine bisher nicht beschriebene Materie, die dazu beiträgt, die weiter entfernten Sterne, die sich weit schneller als erwartet bewegen, im Zaum zu halten. Ohne diesen zusätzlichen Effekt würden die Sterne mit den Geschwindigkeiten, die Rubin und Ford gemessen hatten, aus der Galaxie herausfliegen. Daraus zogen die beiden Wissenschaftler den bemerkenswerten Schluss, dass die gewöhnliche Materie nur ungefähr ein Sechstel der Masse ausmacht, die notwendig ist, um die Sterne in ihren Umlaufbahnen festzuhalten. Rubins und Fords Beobachtungen lieferten zu ihrer Zeit den stichhaltigsten Beleg dafür, dass es dunkle Materie gibt, und die Rotationsbahnen der Galaxien sind bis heute ein wichtiger Anhaltspunkt geblieben.

Seit den 1970er Jahren sind die Indizien für dunkle Materie und ihren Anteil an der Gesamt-Energiedichte des Universums durch neue Beobachtungen immer stichhaltiger geworden. Zu den dynamischen Effekten, mit deren Hilfe wir etwas über dunkle Materie erfahren können, gehört auch die gerade beschriebene Rotation der Sterne in den Galaxien. Solche Messungen gelten allerdings nur für Spiralgalaxien, in denen die sichtbare Materie wie in unserer Milchstraße in einer Scheibe liegt, von der sich Spiralarme nach außen erstrecken. Eine andere wichtige Kategorie sind die elliptischen Galaxien, in denen die leuchtende Materie eher zwiebelförmig aussieht. In elliptischen Galaxien kann man wie in den von Zwicky vermessenen Galaxienhaufen die Geschwindigkeitsverteilung messen – man kann also feststellen, wie stark sich die Geschwindigkeiten der einzelnen Sterne in den Galaxien unterscheiden. Da diese Geschwindigkeiten von der Masse im Inneren einer Galaxie abhängen, kann man aus ihnen auf die Masse der Galaxie schließen. Auch bei der Vermessung elliptischer Galaxien wurde nachgewiesen, dass die leuchtende Materie als Erklärung für die gemessene Dynamik ihrer Sterne nicht ausreicht. Obendrein waren auch Messungen zur Dynamik des interstellaren Gases – Gas, das nicht zu Sternen gehört – nur mit dunkler Materie zu erklären. Da diese besonderen Messungen einen Bereich betrafen, der zehnmal weiter vom Zentrum der Galaxien entfernt war als die Ränder der sichtbaren Materie, war mit ihnen gezeigt, dass dunkle Materie nicht nur existiert, sondern dass sie sich auch weit über den sichtbaren Teil einer Galaxie hinaus erstreckt. Bestätigt wurde der Befund durch die Messung von Temperatur und Dichte des Gases mit Hilfe von Röntgenstrahlen.

Gravitationslinsen

Die Masse von Galaxienhaufen kann man auch anhand ihrer Gravitationslinsenwirkung auf das Licht messen (siehe Abb. 1). Denken wir noch einmal daran, dass niemand die dunkle Materie als solche sehen kann. Durch ihre Gravitationsanziehung kann sie aber Einfluss auf die sie umgebende Materie und sogar auf das Licht ausüben. Schon Zwicky beobachtete am Coma-Haufen, wie sich dunkle Materie auf die Bewegung der Galaxien auswirkt.

Abb. 1

Das Licht, das von einem hellen Objekt wie einem Stern oder einer Galaxie ausgeht, biegt sich rund um ein massereiches Objekt wie beispielsweise einen Galaxienhaufen. Der Beobachter auf der Erde sieht dann mehrere Bilder der ursprünglichen Lichtquelle.

Hinter dem Gedanken über die Gravitationslinsen, den der vielseitige Fritz Zwicky als Erster äußerte, stand eine einfache Idee: Durch die Gravitationswirkung der dunklen Materie müsste sich auch der Weg des Lichtes verändern, das von einem leuchtenden Objekt an einer anderen Stelle ausgesandt wird. Ein massereiches Objekt, beispielsweise ein Galaxienhaufen, lenkt mit seiner Gravitation die Lichtstrahlen ab, die von dem leuchtenden Objekt ausgehen. Ist die Masse des Haufens groß genug, kann man die Biegung der Lichtstrahlen beobachten.

Die Richtung der Abweichung hängt dabei von der ursprünglichen Richtung des Lichtes ab: Fällt es über den oberen Rand des Haufens, wird es nach unten gebogen, und Licht von der rechten Seite biegt sich nach links. Wenn man die Strahlen so zurückverfolgt, als seien sie in gerader Linie verlaufen, gelangt man mit den Beobachtungen zu mehreren Bildern des Objektes, das das Licht ursprünglich abgegeben hat. Zwicky erkannte, dass man die dunkle Materie in Galaxienhaufen mit Hilfe der beobachteten Ablenkung der Lichtstrahlen und der scheinbaren Mehrfachbilder nachweisen kann, denn diese hängen von der Gesamtmasse in dem dazwischenliegenden Galaxienhaufen ab. Eine starke Gravitationslinsenwirkung liefert die Mehrfachbilder des lichtaussendenden Objekts. Eine schwache Gravitationslinsenwirkung, bei der die Formen verzerrt, aber nicht verdoppelt sind, kann man am Rand des Haufens finden, wo der Einfluss nicht derart stark ausgeprägt ist.

Für das von den Linsen abgelenkte Licht gilt das Gleiche wie für die Geschwindigkeit der Galaxien in einem Haufen, die Zwicky erstmals zu seiner radikalen Schlussfolgerung veranlasst hatte: Es steht unter dem sichtbaren Einfluss der Gesamtmasse des Haufens, obwohl die dunkle Materie selbst unsichtbar ist. Diesen dramatischen Effekt konnte man tatsächlich beobachten – allerdings erst viele Jahre nachdem die Vermutung erstmals aufgekommen war.

Heute gehören Messungen des Linseneffekts zu den wichtigsten Beobachtungen im Zusammenhang mit der dunklen Materie. Die Gravitationslinsen sind so spannend, weil sie (in einem gewissen Sinn) einen Weg bieten, um die dunkle Materie unmittelbar sichtbar zu machen. Die dunkle Materie zwischen einem leuchtenden Objekt und dem Beobachter lenkt das Licht ab. Das geschieht unabhängig von Annahmen über eine Dynamik, wie man sie bei der Geschwindigkeitsmessung von Sternen oder Galaxien angestellt hatte. Anhand des Linseneffekts kann man die Masse zwischen der Lichtquelle und uns unmittelbar messen. Irgendetwas hinter einem Galaxienhaufen (oder einem anderen Objekt, das dunkle Materie enthält) sendet Licht entlang unserer Blickrichtung aus, und dieses Licht wird von dem Galaxienhaufen gebogen. Mit Hilfe des Linseneffekts hat man auch die dunkle Materie in Galaxien vermessen: Licht eines Quasars, das hinter der Galaxie seinen Ursprung hat, wird in Form von Mehrfachbildern sichtbar, und das liegt an der Verzerrung, die auf den Gravitationseffekt der Materie in der Galaxie zurückzuführen ist – und dazu gehört auch die dunkle, nicht leuchtende Materie.

Der Bullet-Haufen

Messungen des Gravitationslinseneffekts sind auch von Bedeutung für den vielleicht überzeugendsten Beleg, dass es dunkle Materie gibt. Er stammt von Galaxienhaufen, die miteinander verschmolzen sind – wie es mit dem mittlerweile (zumindest unter Physikern) berühmten Bullet-Haufen geschehen ist (siehe Abb. 2). Der Bullet-Haufen entstand durch die Verschmelzung von mindestens zwei Galaxienhaufen. Diese Vorläufer enthielten neben dunkler auch gewöhnliche Materie, nämlich Gas, das Röntgenstrahlen aussandte. Gas unterliegt elektromagnetischen Wechselwirkungen, und die reichen aus, damit das Gas der beiden Haufen sich nicht weiter aneinander vorbeibewegt; das wiederum hat zur Folge, dass das Gas, das sich anfangs zusammen mit den Haufen bewegte, in der Mitte festgehalten wird. Die dunkle Materie dagegen interagiert sowohl mit dem Gas als auch, wie der Bullet-Haufen zeigt, mit sich selbst nur sehr schwach. Sie kann deshalb ungehindert weiterströmen, und das führt zu den ausgebeulten Mickymausohrenformen in den äußeren Regionen des verschmolzenen Galaxienhaufens. Das Gas verhält sich wie die Autos in einem Verkehrsstau, nachdem sich zwei Fahrspuren zu einer verengt haben; die dunkle Materie dagegen ähnelt den wendigen Mopeds, die sich ungehindert weiterbewegen können.

Abb. 2

Galaxienhaufen verschmelzen zum Bullet-Haufen. Dabei wird Gas in der zentralen Region der Verschmelzung festgehalten; die dunkle Materie wandert hindurch und befindet sich jetzt in den ausgebeulten Außenbereichen.

Mit Hilfe von Gravitationslinsenmessungen haben Astronomen herausgefunden, dass die dunkle Materie in den äußeren Regionen angesiedelt ist, und mit Röntgenmessungen konnten sie nachweisen, dass das Gas in der Mitte verbleibt. Das ist vielleicht der derzeit stichhaltigste Beleg, dass dunkle Materie genau das ist, was ihr Name sagt. Zwar wird auch weiter über Gravitationsabweichungen spekuliert, aber die charakteristische Struktur des Bullet-Haufens und andere, ähnliche Beobachtungen lassen sich kaum erklären, wenn nicht Materie, die keine Wechselwirkungen eingeht, die Ursache der seltsamen Form ist.

Dunkle Materie und die kosmische Hintergrund-Mikrowellenstrahlung

Mit den gerade geschilderten Beobachtungen wurde die Existenz der dunklen Materie nachgewiesen. Damit bleibt aber immer noch die Frage, wie groß die gesamte Energiedichte der dunklen Materie im Universum ist. Selbst wenn wir wissen, wie viel dunkle Materie in Galaxien und Galaxienhaufen enthalten ist, kennen wir nicht zwangsläufig ihre Gesamtmenge. Zwar stimmt es, dass der größte Teil der dunklen Materie in Galaxienhaufen gebunden sein müsste, denn alle Materie hat die typische Eigenschaft, sich zusammenzuballen. Deshalb sollte man dunkle Materie in Strukturen finden, die von der Gravitation zusammengehalten werden; sie sollte nicht diffus über das ganze Universum verteilt sein, das heißt, die in den Galaxienhaufen enthaltene dunkle Materie sollte nahezu die gesamte Menge ausmachen. Dennoch wäre es schön, wenn man die von der dunklen Materie transportierte Energiedichte messen könnte, ohne solche Annahmen machen zu müssen.

Tatsächlich gibt es eine noch zuverlässigere Methode, die Gesamtmenge der dunklen Materie zu messen. Diese Menge hat die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung beeinflusst – die übriggebliebene Strahlung aus den allerersten Augenblicken des Universums. Die Eigenschaften dieser Strahlung wurden mit großer Genauigkeit gemessen und sind heute von entscheidender Bedeutung, wenn man eine zutreffende kosmologische Theorie aufstellen will. Analysen der kosmischen Hintergrundstrahlung liefern den besten Maßstab für die Menge der dunklen Materie, denn sie erlaubt heute den klarsten Blick in das Frühstadium des Universums.

Hier muss ich im Voraus eine Warnung aussprechen: Die Berechnungen sind selbst für Physiker kompliziert. Aber einige wesentliche Konzepte, die in die Analyse einfließen, sind weitaus einfacher. Wichtig ist unter anderem die Information, dass Atome – elektrisch neutrale, gebundene Zustände positiv geladener Kerne und negativ geladene Elektronen – ganz am Anfang nicht existierten. Elektronen und Atomkerne konnten sich erst dann zu stabilen Atomen zusammenfinden, als die Temperatur unter die Bindungsenergie der Atome gesunken war. Bei höheren Temperaturen würde Strahlung die Protonen und Elektronen trennen und damit die Atome zerschlagen. Ganz zu Anfang konnte sich Strahlung, die das Universum durchzog, nicht frei bewegen. Sie prallte vielmehr von den vielen geladenen Teilchen ab, die im frühen Universum vorhanden waren.

Als das Universum sich dann aber abkühlte, lagerten sich die geladenen Teilchen bei der sogenannten Rekombinationstemperatur zu neutralen Atomen zusammen. Als nun keine ungebundenen, geladenen Teilchen mehr im Weg waren, hatten die Photonen freie Bahn und konnten ungehindert wandern. Entsprechend bewegten sich die geladenen Teilchen von dieser Zeit an nicht mehr unabhängig, sondern sie wurden in Atomen gebunden. Die Photonen, die nach der Rekombination ausgesandt und nicht mehr von geladenen Teilchen gestreut wurden, konnten geradewegs in unsere Teleskope gelangen. Wenn wir also die kosmische Hintergrundstrahlung betrachten, blicken wir in eine relativ frühe Zeit des Universums zurück.