Dunkle Sehnsucht - Jeaniene Frost - E-Book
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Dunkle Sehnsucht E-Book

Jeaniene Frost

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Beschreibung

Eine coole Vampirjägerin, jede Menge Action und eine schier unmögliche Liebe

Aus Liebe zu dem Vampir Bones wurde die Jägerin Cat Crawfield ebenfalls zu einer Untoten. Gemeinsam schützen sie die Menschen vor den Kreaturen der Nacht. Doch nun steht ein Krieg der Untoten bevor, der auch die Welt der Lebenden erschüttern wird. Die mächtige Voodoo-Königin Marie Laveau könnte das Zünglein an der Waage in diesem Konflikt sein. Aber die hat ganz eigene Pläne und wird sie erst offenbaren, wenn Cat dem König der Ghule im tödlichen Duell gegenübersteht – und Bones seiner Geliebten nicht beistehen kann …

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Seitenzahl: 468

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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel»This Side of the Grave« bei Avon, New York.
Deutsche Erstausgabe September 2011
Copyright © der Originalausgabe 2011 by Jeaniene Frost
Published by arrangement with Avon,an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München Neumarkter Str. 28, 81673 München
ISBN 978-3-641-07140-0V003
www.blanvalet.dewww.penguinrandomhouse.de

Buch

Kaum sind Cat und Bones aus Paris nach Amerika zurückgekehrt, erschüttern mehrere Morde an Vampiren die Gesellschaft der Untoten. Und obwohl Cat sich eigentlich erst einmal mit ihren neu erworbenen vampirischen Fähigkeiten vertraut machen wollte, haben sie und Bones im Prinzip keine Wahl, als sie um Unterstützung bei der Untersuchung der Angelegenheit gebeten werden.

Sie brauchen nicht lang, um herauszufinden, dass die Morde von Ghulen – Leichenfressern – begangen wurden. Doch wer oder was steckt dahinter? Steht wirklich ein Krieg unter den Untoten bevor? Droht ein Kampf Ghule gegen Vampire? Und was macht die Ghule so sicher, dass sie den Konflikt gewinnen würden?

Cat und Bones wird rasch klar, dass sie diesen Krieg unbedingt verhindern müssen. Denn er würde nicht nur die Welt der Untoten erschüttern, auch die Welt der Lebenden würde aus den Fugen geraten. Die Sterblichen würden von den Unsterblichen erfahren, und der nächste Krieg – dieses Mal zwischen Lebenden und Untoten – wäre unausweichlich.

Und daher folgen sie beide unbeirrt der heißesten Spur, die zu Marie Laveau, der mächtigen Voodoo-Königin, führt. Glaubhaften Gerüchten zufolge will sie sich in diesem Konflikt auf die Seite der Ghule schlagen – und mit ihrer Unterstützung wären die Leichenfresser tatsächlich praktisch unbesiegbar. Doch zu Cats Überraschung sichert Marie Laveau den Vampiren ihre Unterstützung zu. Doch kann man ihr wirklich trauen?

Das wird sich erst zeigen, wenn die letzte Entscheidung ansteht – und Cat gegen Apollyon, den König der Leichenfresser, antreten muss!

 

Inhaltsverzeichnis

BuchWidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37DanksagungCopyright

Für Matthew, Melissa und Ilona – aus mehr Gründen, als ich aufführen kann

1

Der Vampir zog an den Ketten, mit denen er an die Wand gefesselt war. Seine Augen waren grellgrün, ihr Glanz erhellte die uns umgebende Finsternis.

»Glaubst du wirklich, die könnten mich festhalten?«, wollte er wissen; ein britischer Akzent umschmeichelte die provokante Frage.

»Klar doch«, gab ich zurück. Die Fesseln waren von einem Meistervampir installiert und getestet worden, also waren sie stark genug. Ich musste es wissen. Ich hatte selbst schon einmal in ihnen gesteckt.

Das Lächeln des Vampirs enthüllte Reißzähne in seiner weißen oberen Zahnreihe. Vor ein paar Minuten waren die noch nicht da gewesen, sodass er für das ungeübte Auge noch als Mensch hätte durchgehen können.

»Also schön. Was willst du, da ich dir nun so hilflos ausgeliefert bin?«

Er klang, als fühlte er sich nicht im Mindesten hilflos. Ich schürzte die Lippen und dachte über die Frage nach, während ich ihn musterte. Nichts war mir dabei im Weg, denn er war nackt. Schon vor langer Zeit hatte ich gelernt, dass Waffen sich in den unterschiedlichsten Kleidungsstücken verbergen ließen. Nackte Haut hingegen verbarg nichts.

Gerade eben hatte sie allerdings auch eine äußerst ablenkende Wirkung auf mich. Der Körper des Vampirs war ein wundervoll bleiches Zusammenspiel aus Muskeln und schlanken, eleganten Linien, gekrönt von umwerfend filigranen Gesichtszügen. Mit oder ohne Kleidung; der Vampir sah fantastisch aus, und darüber war er sich offensichtlich im Klaren. Seine leuchtend grünen Augen sahen mich mit wissendem Blick an.

»Soll ich die Frage wiederholen?«, erkundigte er sich mit anzüglichem Unterton.

Ich bemühte mich, unbeeindruckt zu wirken. »Für wen arbeitest du?«

Sein Grinsen wurde breiter, gab mir zu verstehen, dass meine schauspielerischen Fähigkeiten nicht so überzeugend waren, wie ich glaubte. Er reckte sich sogar noch, sodass seine Muskeln unter seiner Haut spielten.

»Für niemanden.«

»Lügner.« Ich zog ein Silbermesser hervor und ließ die Spitze sachte über seine Brust nach unten gleiten, ohne die Haut zu ritzen, sodass lediglich eine hellrosa Linie zurückblieb, die innerhalb von Sekunden wieder verblasste. Vampire hatten zwar blitzschnelle Selbstheilungskräfte, aber ein Silbermesser im Herzen war tödlich für sie. Nur ein paar Zentimeter Haut und Muskeln trennten das Herz dieses Exemplars von meiner Klinge.

Er warf einen Blick auf die Messerspur. »Soll mir das Angst machen?«

Ich tat, als müsste ich über die Frage nachdenken. »Na ja, ich schlachte schon seit meinem sechzehnten Lebensjahr Vampire ab. Sogar einen Spitznamen habe ich bekommen, Gevatterin Tod, und wenn ich ein Messer auf dein Herz gerichtet habe, dann solltest du Angst haben, ja.«

Sein amüsierter Gesichtsausdruck blieb. »Hört sich an, als wärst du ein richtiger Satansbraten, aber wie ich das sehe, könnte ich mich befreien und dich flachlegen, bevor du mich aufhalten kannst.«

Arroganter Bastard. »Leeres Geschwätz. Beweise es.«

Er trat zu, und ich geriet aus dem Gleichgewicht. Sofort machte ich einen Satz nach vorn, aber im nächsten Augenblick drückte ein harter, kühler Leib mich auf den Höhlenboden nieder. Mein Handgelenk wurde mit eisernem Griff gepackt, sodass ich mein Messer nicht einsetzen konnte.

»Hochmut kommt vor dem Fall«, murmelte der Vampir selbstzufrieden.

Ich versuchte, ihn abzuwerfen, aber eine Tonne Backsteine wären leichter loszuwerden gewesen. Ich hätte ihm Arme und Beine anketten sollen, bevor ich ihn provoziere, schalt ich mich im Stillen.

Das arrogante Lächeln des Vampirs kehrte zurück, während er auf mich heruntersah. »Winde dich ruhig weiter so, Süße. Du massierst mich an genau den richtigen Stellen.«

»Wie bist du die Fesseln losgeworden?« Über seine Schulter hinweg sah ich ein Loch in der Höhlenwand, wo zuvor die zentimeterstarken Titanschellen gebaumelt hatten. Unglaublich. Er hatte sie einfach aus dem Fels gerissen.

Er zog die dunklen Brauen hoch. »Ich wusste genau, in welchem Winkel ich ziehen muss. Ging ganz schnell; und dann hatte ich dich auch schon flachgelegt. Wie versprochen. «

Hätte mein Herz noch geschlagen, hätte es jetzt gerast, aber es hatte aufgehört zu schlagen – meistens jedenfalls –, als ich vor einigen Monaten vom Halbblut zum vollwertigen Vampir geworden war. Meine Augen begannen grellgrün zu leuchten, und meine Zähne formten sich zu Fängen.

»Angeber.«

Der Vampir beugte sich vor, bis unsere Gesichter nur noch einen Zentimeter voneinander entfernt waren. »Und nun, da du so hilflos unter mir liegst, meine schöne Gefangene, was soll mich davon abhalten, dir Gewalt anzutun?«

Das Messer, das ich noch immer umklammert hielt, fiel mir aus der Hand, als ich ihm die Arme um den Hals schlang. »Nichts, hoffe ich.«

Bones, mein vampirischer Ehemann, ließ ein leises, sündiges Lachen hören. »Das ist die Antwort, die ich hören wollte, Kätzchen.«

 

Die meisten Leute wären wahrscheinlich nicht gerade scharf auf einen Last-Minute-Aufenthalt in einer Höhle gewesen, aber ich fühlte mich wie im Paradies. Alles, was man hörte, war das stete Rauschen des unterirdischen Flusses. Es war eine Erleichterung, nicht länger die unzähligen Unterhaltungen im Hintergrund ausblenden zu müssen, die für die Ohren eines Vampirs nur allzu laut waren. Wäre es nach mir gegangen, hätten Bones und ich hier noch Wochen verbracht.

Aber wir konnten uns nicht so einfach eine Auszeit vom Leben nehmen. Das hatte ich bereits auf die harte Tour gelernt. Ich hatte auch gelernt, dass wir uns Augenblicke der Ruhe gönnen mussten, wann immer wir konnten. Daher auch der Zwischenstopp in der Höhle, in der vor sieben Jahren meine Beziehung zu Bones ihren Anfang genommen hatte, und in der wir jetzt die Morgendämmerung verschlafen wollten. Damals war ich an die Felswand gekettet gewesen, überzeugt, ein böser Blutsauger wollte mir den Garaus machen. Aber am Ende hatte ich eben jenen Blutsauger geheiratet.

In der Ecke des kleinen Gelasses gab mein Kater ein klägliches Miauen von sich und kratzte an der als Tür dienenden Steinplatte.

»Du darfst nicht raus«, sagte ich zu ihm. »Du würdest dich nur verlaufen.«

Er miaute noch einmal, begann aber, sich die Pfote zu lecken, wobei er mir die ganze Zeit böse Blicke zuwarf. Er hatte mir noch immer nicht verziehen, dass ich ihn monatelang mit einem Haussitter allein gelassen hatte. Ich nahm ihm seinen Groll nicht übel, aber wenn er bei mir geblieben wäre, hätte er das vielleicht mit dem Leben bezahlt. Das war schon einigen Leuten so gegangen.

»Genug geruht, Süße?«, erkundigte sich Bones.

»Hmhm«, machte ich und streckte mich. Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung hatte mich der Schlaf übermannt, nicht jedoch die plötzliche Bewusstlosigkeit, die mich während meiner ersten paar Wochen als Vampir geplagt hatte. Diese Phase hatte ich zu meiner Erleichterung überwunden.

»Dann machen wir uns jetzt am besten auf den Weg«, meinte Bones.

Ach ja. Wir mussten los, wie üblich.

»Das Einzige, was mich hier stört, ist, dass es keine ordentliche Dusche gibt«, seufzte ich.

Bones schnaubte amüsiert. »Na komm, der Fluss ist äußerst erfrischend.«

»Erfrischend« war eine wirklich nette Art, die knapp fünf Grad zu umschreiben, die die höhleneigene Wasserversorgung aufwies. Bones schob die Steinplatte aus dem Weg, sodass wir die Kammer verlassen konnten, um sie gleich wieder an Ort und Stelle zu platzieren, damit der Kater nicht mit uns hinausschlüpfte.

»Der Trick ist, einfach reinzuspringen«, fuhr Bones fort. »Es langsam anzugehen, macht es nicht einfacher.«

Ich verkniff mir ein Lachen. Der Ratschlag hätte auch auf das Eintauchen in die Welt der Untoten gepasst. Na dann. Ein Sprung in den eiskalten Fluss gefällig? Kommt sofort.

Und dann war es Zeit, sich dem eigentlichen Grund unserer Reise nach Ohio zu stellen. Mit etwas Glück waren in meinem alten Heimatstaat nur ein paar vampirinterne Querelen am Laufen.

Ich bezweifelte es, aber hoffen konnte man ja trotzdem.

 

Die Nachmittagssonne stand noch hoch am Himmel, als Bones und ich am Springbrunnen in der Easton Mall ankamen. Na ja, eine Straße davon entfernt. Wir mussten uns erst vergewissern, dass uns keine Falle erwartete. Bones und ich hatten eine Menge Feinde – eine Folge der beiden Vampirkriege, die in letzter Zeit stattgefunden hatten, ganz zu schweigen von unseren früheren Berufen.

Ich spürte keine außergewöhnlich starke übernatürliche Energie, lediglich ein kleines Machtprickeln in der Luft, das von einem, vielleicht zwei jüngeren Vampiren in der Menge kündete. Trotzdem bewegten Bones und ich uns keinen Millimeter, bis eine schemenhaft undeutliche Gestalt über den Parkplatz und in unseren Mietwagen geschwebt kam.

»Zwei Vampire sind am Brunnen«, erklärte Fabian, das Gespenst, das ich sozusagen adoptiert hatte. Seine Umrisse festigten sich, bis er mehr einer Person als einer dichten Partikelwolke ähnelte. »Sie haben mich nicht bemerkt.«

Obwohl das der Sinn der Sache war, klang Fabian bei seiner letzten Feststellung fast traurig. Anders als Menschen konnten Vampire Geister sehen, ignorierten sie aber gemeinhin. Tot zu sein bedeutete nicht automatisch, dass man auch miteinander auskam.

»Danke, Kumpel«, sagte Bones. »Halte Wache, um sicherzugehen, dass keine unangenehmen Überraschungen auf uns warten.«

Fabians Züge verblassten, bis sein ganzer Körper verschwunden war.

»Ursprünglich sollte nur ein Vampir zu diesem Treffen kommen«, überlegte ich. »Was hältst du davon, dass unser Kontaktmann noch einen Bekannten dabeihat?«

Bones zuckte mit den Schultern. »Ich denke, er sollte einen verdammt guten Grund dafür haben.«

Er stieg aus dem Wagen. Ich folgte ihm und betastete dabei zur Beruhigung kurz die Silbermesser, die in meinen Ärmeln verborgen waren. Nie ohne sie das Haus verlassen, lautete mein Motto. Vampire waren zwar darauf bedacht, die Existenz ihrer Art geheim zu halten, und wir befanden uns an einem belebten, öffentlichen Ort, aber das garantierte noch keine Sicherheit. Die Messer auch nicht, aber sie verbesserten unsere Chancen. Genau wie die beiden Vampire, die ein Stück entfernt in der Straße parkten, bereit einzuschreiten, falls sich herausstellte, dass hier nicht nur Informationen ausgetauscht werden sollten.

Aromen strömten auf mich ein, als ich mich dem Springbrunnen näherte. Parfum, Körpergeruch und verschiedene Chemikalien stachen hervor, aber darunter verbarg sich eine weitere Schicht, die ich inzwischen schon besser deuten konnte: Emotionen. Angst, Gier, Verlangen, Zorn, Liebe, Traurigkeit … sie alle manifestierten sich in Gerüchen, die von süßlich aromatisch bis bitter ranzig reichten. Den unangenehmen Gefühlen entsprachen dabei naturgemäß die herberen Aromen. Das beste Beispiel waren die beiden Vampire auf der Betonbank: Sie verströmten den für Angst typischen Geruch von verfaultem Obst, und zwar schon bevor Bones ihnen einen vernichtenden Blick zuwarf.

»Wer von euch ist Scratch?«, erkundigte er sich barsch.

Der Vampir mit den grauen Strähnen im Haar erhob sich. »Ich.«

»Du kannst bleiben, aber er«, Bones unterbrach sich und wies mit einem Kopfrucken auf den zweiten, mageren Vampir, »verschwindet.«

»Warte!« Scratch senkte die Stimme und trat näher an Bones heran. »Diese Sache, über die ihr mit mir reden wollt? Er kann vielleicht ein paar Informationen beisteuern.«

Bones warf mir einen Blick zu. Ich zog in einem halben Achselzucken die Schulter hoch. »Wir können uns ja mal anhören, was unser unerwarteter Gast zu sagen hat«, meinte ich.

»Ich bin Ed«, meldete sich der Vampir zu Wort und warf mir über Bones’ Schulter hinweg einen nervösen Blick zu. »Scratch hat mir nicht gesagt, dass er sich mit euch hier treffen will.«

Eds Gesichtsausdruck zufolge hatte er aus meinem leuchtend roten Haar, dem dicken roten Diamanten an meinem Finger, Bones’ britischem Akzent und der prickelnden Machtaura, die ihm entströmte, wohl bereits geschlossen, wer wir waren.

»Das wusste er ja auch nicht«, gab Bones kühl zurück. Seine Gefühle, die ich spüren konnte, seit Bones mich verwandelt hatte, waren jetzt hinter dem undurchdringlichen Panzer verborgen, mit dem er sich in der Öffentlichkeit schützte. Aber der gereizte Tonfall, mit dem er weitersprach, verriet ihn trotzdem.

»Vorstellen müssen wir uns wohl nicht mehr, oder?«

Scratchs Blick huschte zu mir und gleich darauf wieder zurück. »Nein«, murmelte er. »Du bist Bones, und das ist die Gevatterin.«

Bones’ Miene wurde nicht versöhnlicher, aber ich schenkte den Vampiren mein bestes Ich-werde-euch-nicht-umbringen-Lächeln.

»Nennt mich Cat, und warum suchen wir uns nicht ein schattiges Plätzchen, wo wir reden können?«

Sonnenstrahlen waren für Vampire zwar nicht tödlich, wie die Legenden behaupteten, aber Sonnenbrand bekamen wir durchaus schnell. Unnötig, einen Teil unserer übernatürlichen Energie darauf zu verschwenden, die Schäden durch die brennende Sommersonne zu heilen. Ein französisches Restaurant mit Sitzbereich im Freien war in der Nähe, also suchten wir uns einen Tisch unter einem Sonnenschirm und setzten uns, als wären wir alte Freunde, die sich lange nicht gesehen hatten.

»Du sagtest, deine Meisterin wurde vor einigen Jahren ermordet und hat niemanden hinterlassen, der sich um die Mitglieder ihrer Sippe kümmert«, wandte Bones sich an Scratch, als die Bedienung unsere Getränkebestellung aufgenommen hatte. »Daraufhin habt ihr euch zu einer Gruppe zusammengeschlossen und gegenseitig aufeinander aufgepasst. Wann hattet ihr zum ersten Mal den Eindruck, dass etwas Seltsames vorgeht?«

»Vor ein paar Monaten, im Herbst letzten Jahres ungefähr«, antwortete Scratch. »Anfangs dachten wir, ein paar von unseren Leuten hätten sich einfach abgesetzt, ohne etwas zu sagen. Wir behalten einander im Auge, aber Babysitter spielen wir nicht, klar? Als dann immer mehr unserer Leute verschwunden sind, auch solche, die normalerweise von sich hören lassen, bevor sie abhauen … na ja. Da haben wir angefangen, uns Sorgen zu machen.«

Das bezweifelte ich nicht. Als junge, herrenlose Vampire standen Scratch und seinesgleichen ganz unten in der Hackordnung der Untoten. Ich hatte zwar einige Einwände gegen das Feudalsystem, das der Vampirgesellschaft zugrunde lag, aber wenn es um den Schutz ihrer Sippenmitglieder ging, waren die meisten Sippenoberhäupter verdammt wachsam. Selbst die boshaften unter ihnen.

»Dann sind immer mehr Ghule in der Gegend aufgetaucht«, fuhr Scratch fort.

Meine Anspannung wuchs. Aus eben diesem Grund hatten Bones und ich unser Haus in den Blue Ridge Mountains wieder verlassen, kaum, dass wir ausgepackt hatten, und waren nach Ohio gekommen. Wir hatten auch von dem plötzlichen Ghul-Zustrom in meinem alten Heimatstaat gehört, und dazu kamen noch Berichte über vermisste Vampire.

»Hey, das hier ist ein Tummelplatz für Untote«, fuhr Scratch fort, dem mein Unbehagen nicht aufgefallen war. »So viele Ley-Linien und tolle Vibes, also haben wir uns nichts gedacht, als all die Körperfresser aufgetaucht sind. Aber ein paar von denen sind echt fies zu Vampiren. Mobben die herrenlosen, verfolgen sie bis nach Hause, fangen Streit an, … da haben wir uns gedacht, dass sie vielleicht etwas mit den verschwundenen Vampiren zu tun haben. Das Problem ist, dass es niemanden kratzt, weil wir keinen Meister haben. Wundert mich, dass es euch interessiert, ehrlich gesagt.«

»Ich habe meine Gründe«, antwortete Bones wieder in diesem gleichgültigen Tonfall. Mich sah er nicht einmal an. Er hatte jahrhundertelange Übung im Vortäuschen von Teilnahmslosigkeit. Ed und Scratch würden nicht vermuten, dass wir eigentlich wissen wollten, ob das feindselige Verhalten einiger Ghule – und das Verschwinden der Vampire – mit meinem Status als seltsamster Vampir der Welt zusammenhing.

»Wenn ihr Geld wollt, wir haben nicht viel«, meldete sich Ed zu Wort. »Übrigens dachte ich, du würdest nicht mehr als Auftragskiller arbeiten, seit deine Sippe sich mit der dieses Mega-Meisters vereinigt hat.«

Bones zog die Augenbrauen hoch. »Versuch, nicht zu oft nachzudenken, sonst tust du dir am Ende noch was«, gab er munter zurück.

Eds Gesicht verfinsterte sich, aber er hielt den Mund. Ich musste mir ein Lächeln verkneifen. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul – erst recht nicht, wenn er bissig ist.

»Könnt ihr irgendwie beweisen, dass Ghule hinter dem Verschwinden eurer Freunde stecken?«, fragte ich Scratch, um aufs Thema zurückzukommen.

»Nein. Kommt uns nur nicht wie purer Zufall vor, dass die Verschwundenen zuletzt immer an einem der Orte gesehen wurden, an dem diese Drecksghule sich herumtreiben.«

»Was für Orte?«, wollte ich wissen.

»Bars, Clubs …«

»Namen«, drängte Bones.

Scratch begann eine Liste herunterzurattern, aber mit einem Mal ging seine Stimme in einer Vielzahl von anderen unter.

»… noch vier Stunden, bis ich Pause machen kann …«

»… hab ich den Kassenzettel? Wenn es nicht passt, bringe ich es zurück …«

»… wenn sie noch ein einziges Paar Schuhe anprobiert, schreie ich …«

2

»Was ist, Kätzchen?«, fragte Bones sofort.

Ed und Scratch warfen mir ihrerseits besorgte Blicke zu. Ich rang mir ein Lächeln ab, bemüht, mich auf sie statt auf das Durcheinander aus Stimmen zu konzentrieren, das plötzlich in meinem Kopf herrschte.

»Ist, äh, bloß ein bisschen heiß hier draußen«, murmelte ich. Keinesfalls würde ich zwei wildfremden Vampiren mein eigentliches Problem offenbaren.

Bones’ Blick wanderte über mein Gesicht, seinen dunkelbraunen Augen entging nichts, während die Stimmen in meinem Kopf unerbittlich weiterschnatterten.

»… niemand hat was gesehen. Hoffentlich kriege ich die Diebstahlsicherung ab …«

»… dem werde ich bald einen Grund zum Heulen geben …«

»… wenn sie in fünf Minuten nicht auftaucht, esse ich alleine …«

»Ich, äh, brauche frische Luft«, stammelte ich, bevor mir auffiel, wie bescheuert das klang. Erstens waren wir schon draußen, und zweitens war ich ein Vampir. Zu atmen brauchte ich nicht mehr, und irgendwelche Gesundheitsprobleme, auf die ich mein sonderbares Verhalten schieben konnte, hatte ich erst recht nicht.

Bones erhob sich, nahm mich beim Ellbogen und warf Ed und Scratch über die Schulter hinweg ein knappes »Bleibt hier« zu.

Ich ging mit schnellen Schritten, versuchte, mich auf den kühlen Druck von Bones’ Hand statt auf unsere Gehrichtung zu konzentrieren. Den Kopf hielt ich gesenkt, weil meine Augen vor Aufregung bestimmt grellgrün waren. Klappe halten, Klappe halten, Klappe halten, beschwor ich die ungebetene Gesellschaft in meinem Kopf.

Der Aufruhr in meinem Innern schien das Lärmen der uns umgebenden Menschenmenge zu potenzieren, bis alles zu einer Art weißem Rauschen verschmolz. Immer stärker wurde es, überlagerte alle anderen Sinneseindrücke, sodass ich Schwierigkeiten hatte, mich auf etwas anderes als die Stimmen zu konzentrieren, die erbarmungslos von allen Seiten auf mich einredeten. Ich versuchte, sie wegzudrücken, meine Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes zu richten als dieses Lärmen, das mit jedem Augenblick lauter zu werden schien.

Etwas Hartes presste sich von vorn an mich, während ich im Rücken ein ebeneres, festeres Hindernis spürte. Durch das zu einem Tosen angeschwollene Raunen hindurch hörte ich eine vertraute Stimme mit britischem Akzent …

»… alles okay, Süße. Unterdrücke es. Hör auf mich, nicht auf sie.«

Ich versuchte, mir die unzähligen Stimmen in meinem Kopf als Fernsehsender vorzustellen, den ich nur leiser zu schalten brauchte … mit meiner Willenskraft als Fernbedienung. Finger streichelten mein Gesicht; die Berührung war ein Anker, der mir Stärke verlieh. Mit großer Mühe schaffte ich es, meinen Verstand von dem Stimmengewirr zu lösen, mich von dem Lärm zu distanzieren, der all meine Sinne vereinnahmen wollte. Nach einigen Minuten verbissener Konzentration verebbte das Getöse in meinem Innern zu einem nervigen, aber erträglichen Murren. Ähnlich den Geräuschen der Menschen um uns herum, denen nicht bewusst war, dass sie sich in Bissweite von Kreaturen befanden, die es gar nicht hätte geben sollen.

»Ich muss aufhören, dein Blut zu trinken«, sagte ich zu Bones, als ich mich wieder so weit im Griff hatte, dass ich mich traute, die Augen zu öffnen. Ich sah mich um und stellte fest, dass er mich so an eine Säule gedrängt hatte, dass es, den schiefen Blicken nach, die man uns zuwarf, wohl wirkte, als hielten wir uns leidenschaftlich umarmt.

Bones seufzte. »Dann wirst du schwächer.«

»Aber bei klarem Verstand«, fügte ich hinzu. Und auch sicherer, denn wenn mich im Kampf aus heiterem Himmel Hunderte von Stimmen bestürmten, war ich womöglich so unkonzentriert, dass ich draufging.

Ich zupfte an Bones’ kurzen dunklen Locken, bis er ein Stück zurückwich und mich ansah. »Du weißt, dass das nicht mehr von Mencheres’ Blut kommen kann; es geschieht immer öfter, nicht seltener«, sagte ich sanft. »Es muss von dir kommen. Und ich kann es nicht kontrollieren.«

Ich hatte geglaubt, mit meinem Status als Sonderling wäre es vorbei, wenn ich erst vom Halbblut zum vollwertigen Vampir geworden wäre, aber das Schicksal hatte anders entschieden. Als ich nach meiner Auferstehung wieder zu mir gekommen war, hatte ich zwei in der Geschichte der Vampire nie da gewesene Besonderheiten besessen: ein Herz, das gelegentlich schlug, und ein Verlangen nach untotem Blut. Nebeneffekt letzterer Besonderheit war, dass ich über das Blut, das ich trank, zeitweise auch die besonderen Fähigkeiten des Spenders in mich aufnahm, ähnlich normalen Vampiren, die aus menschlichem Blut Leben bezogen. Das war zwar alles gut und schön, aber wenn ich von einem Meistervampir trank, übernahm ich zeitweise eben auch dessen Fähigkeiten. Das war toll, wenn es mehr Körperkraft bedeutete, aber weniger toll, wenn es um Besonderheiten ging, die sich meiner Kontrolle entzogen. Wie Bones’ Gabe, menschliche Gedanken zu lesen.

»Du unterschätzt dich, Kätzchen«, antwortete er leise.

Ich schüttelte den Kopf. »Vampire bekommen ihre besonderen Fähigkeiten nicht ohne Grund erst nach Jahrhunderten – und nur, wenn sie zu Meistern werden. Sie wären sonst überfordert. Wenn ich weiter von dir trinke, wird mein Zustand nur schlimmer. Die Fähigkeit, Gedanken zu lesen, die Mencheres auf dich übertragen hat, ist offenbar so sehr zu einem Teil von dir geworden, dass ich anfange, sie mit deinem Blut in mich aufzunehmen.«

Und falls Bones durch die Macht, die er von seinem Mitregenten erhalten hatte, noch andere Besonderheiten entwickelte, wollte ich an denen keinesfalls auch noch teilhaben. Ich hatte einmal von Mencheres getrunken, als ich keine andere Wahl gehabt hatte, und war über eine Woche danach noch völlig zugedröhnt gewesen. Ich schauderte bei der Erinnerung. Nie wieder, wenn es nach mir ging. Die Stimmen, die in meinem Hinterkopf dröhnten, schienen mir recht zu geben.

»Wir kümmern uns später darum, aber jetzt müssen wir zurück, wenn du so weit bist«, meinte Bones und streichelte noch ein letztes Mal mein Gesicht.

»Alles okay mit mir. Gehen wir zurück, bevor die beiden ausrasten und sich vom Acker machen.«

Bones löste sich langsam von mir. Der Lärm in meinem Kopf war inzwischen so leise, dass mir mehrere Frauen in unserer Nähe auffielen, die ihn anschmachteten. Ich verjagte die inneren Stimmen mit noch mehr Nachdruck. Das Letzte, was ich jetzt brauchte, war, eine Flut von Sexfantasien mit meinem Mann und anderen Weibern in der Hauptrolle mitzubekommen.

Verdenken konnte ich es den Mädels ehrlich gesagt nicht. Selbst in seinen üblichen schwarzen Hosen und dem lässigen weißen Pullover stach Bones mit seinen fein geschnittenen Zügen und der hochgewachsenen wohlgeformten Gestalt aus der Menge heraus wie ein Juwel unter Kieseln. Jede seiner Bewegungen ließ die schlanken Muskelstränge spielen, und seine makellose Alabasterhaut drängte einen praktisch dazu nachzuforschen, ob sie sich so gut anfühlte, wie sie aussah, … was der Fall war. Bereits bei unserem ersten Zusammentreffen, als ich noch die Absicht gehabt hatte, ihn umzubringen, hatte Bones’ gutes Aussehen mir den Kopf verdreht. Was das betraf, war er ein perfekter Jäger, der seine Beute anlockte, bis sie nah genug war, um sie reißen zu können.

»Während wir reden, treiben es in Gedanken etwa ein Dutzend Mädels mit dir, aber das weißt du bestimmt schon«, bemerkte ich sarkastisch.

Bones’ Lippen hauchten zarte Küsse auf meinen Hals, die mich schaudern ließen.

»Mich interessieren nur die Begierden einer Frau«, murmelte er, und sein Atem liebkoste beim Sprechen mein Ohr.

Er war mir so nah, dass sein Körper meinen leicht berührte, ein verlockender Hinweis darauf, wie gut er darin war, jeder meiner Begierden nachzukommen, sowie einigen, von denen ich womöglich noch gar nichts wusste. Mir wurde ganz heiß, aber wir mussten ein paar Vermisstenfällen nachgehen. Die Leidenschaft musste warten.

Wie zum Beweis schwoll der Stimmenchor in meinem Kopf wieder an und setzte der warmen Sinnlichkeit ein Ende, die Bones’ Nähe in mir ausgelöst hatte.

»Ich weiß nicht, wie du diesen Radau jeden Tag aushältst«, murmelte ich und schüttelte den Kopf, als könnte mir das Ruhe verschaffen.

Bones warf mir einen unergründlichen Blick zu und wich zurück. »Wenn man ihn immer hört, ist er leichter zu ignorieren. «

Das stimmte vielleicht. Hätte mein Kopf nicht die meiste Zeit über meinen eigenen Gedanken gehört, hätte es mich vielleicht weniger überwältigt, anderer Leute Frequenzen einzufangen. Ich wusste es nicht.

Trotzdem wollte ich keinesfalls weiter Bones’ Blut trinken, um es herauszufinden.

 

Ed und Scratch verloren kein Wort über unser abruptes Verschwinden, als Bones und ich uns wieder zu ihnen setzten. Ihre Gesichter waren entsprechend ausdruckslos, aber die verstohlenen Blicke, die sie mir zuwarfen, sprachen Bände. Sie fragten sich, was zum Teufel gerade passiert war.

»Ich dachte, ich hätte einen Bekannten gewittert«, verkündete ich und kippte den Gin Tonic, der während unserer Abwesenheit zusammen mit den anderen Drinks serviert worden war.

Die Lüge war offensichtlich, aber Ed und Scratch brummten zustimmend und taten, als würden sie mir glauben. Der Blick, den Bones ihnen zuwarf, erstickte eventuelle Nachfragen im Keim.

»Also gut. Hängen diese fiesen Körperfresser sonst noch irgendwo rum?«, erkundigte sich Bones, als wäre die Unterhaltung nie unterbrochen worden.

Scratch stieß den anderen Vampir mit dem Ellbogen an. »Nein, aber Ed möchte euch etwas sagen.«

Ed wirkte unschlüssig, straffte dann aber die schmalen Schultern.

»Ein Freund von mir, Shayne, hat letzte Nacht bei mir angerufen und erzählt, unser Kumpel Harris wäre von ein paar Ghulen in einem Club zusammengeschlagen worden. Shayne wollte mit Harris nach Hause gehen, um sie nicht weiter zu provozieren. Ich versuche jetzt schon den ganzen Tag, Shayne auf seinem Handy zu erreichen, aber er meldet sich nicht, und das sieht ihm gar nicht ähnlich. Ich habe es Scratch erzählt, und der hat gemeint, ich soll mitkommen, weil er sich mit ein paar Leuten treffen will, die uns vielleicht helfen können.«

»Weißt du, wo Harris wohnt?«, erkundigte ich mich sofort.

»Ja. Gar nicht so weit von hier.«

»Und doch bist du nicht hingegangen, um nach ihm zu sehen?«, forschte Bones skeptisch nach.

Ed warf Bones einen müden Blick zu. »Nein, und das werde ich auch nicht, es sei denn, ein paar Leute kommen mit. Ich will nicht der nächste Vampir sein, der auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Denkt von mir, was ihr wollt, aber ich habe keine Mega-Kräfte, um mich zu verteidigen, falls Shayne und Harris etwas zugestoßen ist … und die Ghule, die es zu verantworten haben, noch da sind.«

Mitgefühl kam in mir auf und ließ die in meinem Kopf vor sich hinmaulenden Stimmen in den Hintergrund treten. Ed und Scratch taten ihr Bestes, um in einer Welt, die sie praktisch wie Bürger zweiter Klasse behandelte, für ihre Freunde da zu sein. Ich wusste aus Erfahrung, wie schlimm es war, niemanden zu haben, der einem den Rücken stärkte, während die Monster um einen herumstrichen. Genau genommen waren Ed und Scratch natürlich auch Monster.

Wie ich selbst. Was in diesem Fall ein Vorteil war.

Bones sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Packen wir’s an«, beantwortete ich seine unausgesprochene Frage.

Er erhob sich, ließ mit einer schnellen, geübten Bewegung die Fingerknöchel knacken und warf ein paar Scheine auf den Tisch.

»Also schön, Leute. Sehen wir nach, ob Shaynes Handy bloß keinen Saft mehr hat.«

 

Wie Ed gesagt hatte, war Harris’ Wohnung nur zwanzig Minuten entfernt. Ich fand es ironisch, dass sie nur etwa anderthalb Kilometer entfernt von dem Apartmentkomplex lag, in dem ich gewohnt hatte, als ich – wie es mir schien in einem anderen Leben – an die OSU gegangen war. Falls Bones die Nähe zu meiner alten Wohnung auffiel, sagte er nichts dazu. Sein Interesse schien eher dem Gebäude zu gelten, in dessen Inneren er etwaige gefährliche Schwingungen zu erspüren versuchte. Fabian als Kundschafter vorzuschicken, konnten wir nicht riskieren. Der Geist war von Ed und Scratch unbemerkt in den Kofferraum unseres Wagens gehuscht, aber hätten wir ihn jetzt vorgeschickt, wären die beiden definitiv auf ihn aufmerksam geworden.

Prickelnde Energie erfüllte die Atmosphäre auf dem schmalen Parkplatz hinter uns. Ed und Scratch fuhren herum, aber Bones zuckte nicht mit der Wimper. Das waren Tiny und Band-Aid, unsere Verstärkung, die uns vom Einkaufszentrum aus gefolgt war.

»Tiny, Band-Aid, behaltet die beiden kurz im Auge, ja?«, wies Bones sie an, bevor er sich dem Gebäudekomplex näherte. Während ich ihm folgte, streifte ich mir meinen langen Ledermantel über. Nicht, weil mir kalt war; es war ein warmer Spätsommertag, aber mein Mantel beherbergte ein kiloschweres Arsenal an Silbermessern. Unter meiner Bluse hatte ich natürlich auch welche, aber bei denen handelte es sich um kürzere Wurfmesser für Vampire. Ghule konnte man nur durch Enthauptung töten, was bedeutete, dass ich größere Kaliber brauchte, falls wir da drinnen von irgendwelchen übel gesinnten Angehörigen dieser Spezies erwartet wurden.

Als wir im ersten Stock angekommen waren, witterte Bones. Ich ebenfalls. Die Eingangstüren der Wohnungen lagen alle nebeneinander in Richtung Parkplatz, sodass die frische Luft verräterische Gerüche der Bewohner größtenteils verwehte, aber aus der vorletzten Wohnung drang ein leichtes, nicht menschliches Aroma zu mir. Bones hatte es wohl ebenfalls erschnuppert, denn seine Schritte beschleunigten sich. Als wir fast bei der Tür angekommen waren, sog ich noch einmal die Luft ein und zog die Nase kraus. Bones blieb stehen und warf mir einen grimmigen Blick zu.

Die Rollos waren komplett heruntergelassen, sodass wir nicht sehen konnten, was drinnen vor sich ging, aber ich wusste bereits, was uns erwartete. Der Geruch des Todes war unverkennbar.

»Wir sind zu spät«, flüsterte ich. Das aufgebrochene Türschloss brauchte ich eigentlich gar nicht mehr zu sehen.

Bones stieß die Tür auf und trat sofort zur Seite, falls ihn jemand mit einem blitzenden Silbermesser begrüßen wollte. Aber nichts regte sich. In der Wohnung war es still wie in einer Gruft.

Und genau wie in einer Gruft lagen Leichen darin.

»Ich spüre niemanden, aber halte die Augen auf«, sagte Bones, als er eintrat. Ich folgte ihm, sah erst in den Ecken nach und machte dann gemeinsam mit Bones einen Rundgang durch die gesamte Wohnung, wobei wir so vorsichtig waren, als wüssten wir, dass feindliche Truppen dort lauerten. Wie wir bereits vermutet hatten, war aber außer uns – und zwei verschrumpelten Vampiren auf dem Boden des winzigen Wohnzimmers – niemand anwesend.

Die verdammten Stimmen in meinem Kopf wurden wieder lauter. Der Apartmentkomplex war nicht so überfüllt wie die Mall, also sprengte mir der Lärm nicht den Schädel, aber es war, als surrte ein aufgebrachter Bienenschwarm in meinem Kopf. Ich rieb mir die Schläfe, als könnte das die Geräusche dämpfen, aber natürlich half es nicht.

Bones entging die Geste. Seine Aufmerksamkeit war noch auf die beiden schrumpligen Leichen zu unseren Füßen gerichtet.

»Sieht nach einem Hinterhalt im Morgengrauen aus«, stellte er fest, während er die Körper betrachtete, die weder Schuhe trugen noch vollständig bekleidet waren. »Die armen Schweine hatten keine große Chance, sich zu wehren.«

Das fehlende Durcheinander in dem Apartment bestätigte das. Wenn übernatürliche Wesen sich einen Kampf auf Leben und Tod lieferten, zog das für gewöhnlich mehr als nur ein paar umgestürzte Tische und Blutflecken auf dem Teppich nach sich. Für mich war es noch immer ein wenig ungewohnt, in vampirischen Mordfällen zu ermitteln. Zwar hatte ich jahrelang für eine Geheimabteilung des Heimatschutzes gearbeitet und es dort ebenfalls mit paranormalen Mordfällen zu tun gehabt, aber da waren für gewöhnlich die Vampire die Täter gewesen. Nicht die Opfer.

»… wenn ich die Rate für das Auto nicht zahle, habe ich genug Geld für die Hypothek …«

»… habe dem Bastard doch gesagt, ich lasse mir das nicht mehr gefallen, dass er die ganze Nacht wegbleibt …«

»… so stolz auf sie, sie wird mit ihrer Klasse den Abschluss machen …«

Ich rieb mir abermals den Schädel, als die Stimmen lauter wurden. Diesmal sah es Bones.

»Schon wieder?«

»Mir geht’s gut.«

Sein Blick wurde bohrend. »Schmonzes.«

»Ich hab’s unter Kontrolle, du musst dir keine Sorgen machen«, lenkte ich ein. Es stimmte. Leichen hatten Vorrang vor dem Geplapper in meinem Kopf.

Seinem Gesichtsausdruck nach kaufte Bones mir mein cooles Gehabe nicht ab, aber die Zeit drängte. Wir hatten Leichen zu beseitigen, Beweise zu vernichten und Killer aufzuspüren.

Bones hob die Stimme. »Ed, komm rauf.«

Der magere Vampir verzog das Gesicht, als er eintrat und die Leichen sah. »Ach, Scheiße«, stöhnte er.

»Sind das Shayne und Harris?«, erkundigte sich Bones in sanfterem Tonfall als zuvor.

Ed beugte sich vor und schnupperte an den beiden Leichen. Nach ihrer Verwandlung alterten Vampire äußerlich zwar nicht mehr, aber wenn sie tot waren, war es damit vorbei. Dann verfiel die Leiche ihrem wahren Alter gemäß, sodass in den meisten Fällen nichts übrig blieb als mumifizierte Reste in den Kleidern, in denen der Betreffende gestorben war. Diese beiden bildeten keine Ausnahme.

Ed hockte sich neben dem Leichnam mit den Jeans auf die Hacken. »Sie sind es«, antwortete er mit belegter Stimme. Dann fauchte er: »Scheiß Ghule.«

»Geh doch wieder nach draußen, ja?«, sagte ich und tätschelte Eds Arm. Er konnte nichts mehr tun, aber Bones und ich mussten uns noch um einiges kümmern.

Ed warf Harris’ und Shaynes Leichen noch einen langen Blick zu und stand dann auf, um hinauszugehen. Ich seufzte. Das hier war aus so vielen Gründen furchtbar, und Eds Schmerz war nur einer davon.

»Warum, glaubst du, haben sie die Leichen hier liegen lassen?«, fragte ich Bones leise. »Laut Ed und Scratch gab es bei den anderen Vermisstenfällen keine Leichen. Meinst du, die Täter wurden gestört?«

Bones’ Blick schweifte durch den Raum. Das dauerte nicht lang; er bestand nur aus einer winzigen Küche und einem Wohnbereich, in dem gerade mal eine große Couch Platz hatte.

»Nein, Süße«, antwortete er schließlich. »Ich glaube, wer immer das hier war, hatte Zeit, die Leichen verschwinden zu lassen, wollte es aber nicht.«

Ich schluckte. Ich hatte schon erlebt, dass Killer sich für zu schlau hielten, um erwischt zu werden. Leider glaubte ich, dass das in diesem Fall nicht so war. Es schien mir eher der Beweis für ein viel größeres Problem zu sein. Die Killer wollten, dass wir über sie Bescheid wussten. Nur ein Idiot hätte die Ghule nicht als Hauptverdächtige eingestuft, nachdem sie Harris am Abend vor seiner und Shaynes Ermordung aufgemischt hatten. Die Ghule wussten, dass sie praktisch ihre Namen auf die Leichen geschrieben hatten, indem sie sie hier liegen ließen.

Mir fiel nur eine Erklärung dafür ein, dass plötzlich nicht mehr nur Vampire verschwanden, sondern auch ihre Leichen absichtlich am Tatort belassen wurden: Wer auch immer der Drahtzieher hinter all dem war, er fühlte sich stark genug, um sich zu seinen Taten zu bekennen. Hier wollte jemand öffentlich bekannt geben, dass die Ghule ihre Angriffe verstärken wollten, und es war bestimmt kein Zufall, dass die Leichen der Vampire ausgerechnet in der Gegend auftauchten, in der ich aufgewachsen war. Nein, wer immer es war, wollte sagen: »Du kannst mich nicht aufhalten, Gevatterin. « Und das wollte ich keinesfalls auf mir sitzen lassen. Anderswo verschwanden zwar auch Vampire, aber hier provozierten uns die Täter, indem sie die Leichen einfach so zurückließen. Wenn wir jetzt keinen Schlussstrich zogen, forderten wir geradezu heraus, dass es andernorts noch schlimmer wurde.

»Außer uns wird wohl niemand etwas unternehmen, oder?«, fragte ich Bones in einem plötzlichen Anfall von Frust. »Mein altes Team wird sich nicht einmischen, weil es nur etwas unternimmt, wenn Menschen von Untoten angegriffen werden. Die Vampire werden nur mit den Achseln zucken, weil Shayne und Harris herrenlos waren. Ed und Scratch können es allein nicht mit einer Horde Ghule aufnehmen, und wenn wir uns die Killer vorknöpfen und ihr Meister der ist, den ich vermute, spielen wir dem Bastard direkt in die Hände.«

Bones starrte mich unverwandt an. »Du weißt, dass du recht hast, was dein altes Team, die Vampire und die Tatsache angeht, dass wir uns die Ghule nicht offen vorknöpfen können, falls Apollyon in die Sache verwickelt ist.«

Apollyon. Das Bild des jahrhundertealten Ghuls mit seinem gedrungenen Körper und den fast schon lächerlichen, über die Glatze gekämmten Haarsträhnen tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Eine Augenweide war Apollyon wahrlich nicht, aber im vergangenen Jahr hatte er uns eine Menge Ärger eingebrockt. Bones war fast draufgegangen, als wir vor einigen Monaten in Paris von Ghulen angegriffen worden waren, die noch dazu einen Meistervampir unterstützt hatten, der mich zwingen wollte, zu ihm zurückzukehren. Alles dank Apollyons Hetzreden. Ich hoffte zwar, dass ich falsch lag, wusste im Grunde aber genau, dass er hinter den Angriffen steckte.

3

Ein großer Schatten schob sich vor die Tür und verdunkelte die Sonne, als Tiny die Wohnung betrat. Der Spitzname des Vampirs war pure Ironie, denn er war so riesig, dass selbst Conan der Barbar Komplexe bekommen hätte.

»Die Bullen kommen«, sagte er.

Ich hatte schon lange gehört, wie das Sirenengeheul sich näherte. Beim Anblick der finsteren Gestalten auf dem Parkplatz hatte ein Hausbewohner es wohl mit der Angst zu tun bekommen. Der tödliche Kampf, der ein paar Stunden zuvor stattgefunden hatte, war offenbar unbemerkt geblieben, sonst wären wir nicht die Ersten am Tatort gewesen.

»Sieh dich weiter um, ich kümmere mich um sie«, wandte ich mich an Bones. Mit etwas Glück erkannte Bones einen der Killer am Geruch. In seinem über einhundertzwanzigjährigen Leben als Vampir war er einer Menge Untoter begegnet, und deren Geruch war so einzigartig wie ein Fingerabdruck.

Ich hegte allerdings nicht allzu viel Hoffnung, dass wir die Morde so einfach würden aufklären können. Bones kannte zwar viele Untote, aber Vampire und Ghule stellten etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung. Obwohl Bones so alt war, konnte er die nicht alle persönlich kennen.

Bones warf Tiny einen Blick zu, als der mir nach draußen folgte. Obwohl es mein erster Impuls gewesen war, zückte ich nicht mein Handy. Ich hatte jahrelang für die Regierung gearbeitet, und so war es mir zur Gewohnheit geworden, meine Verbindungen zu nutzen, um die Bullen von Tatorten zu verscheuchen. Was ich jetzt machen musste, war mir dagegen relativ neu.

»Hey«, rief ich auf den Parkplatz hinunter, als die Polizeibeamten eintrafen und aus dem Streifenwagen stiegen. »Gut, dass Sie da sind, ich wollte gerade anrufen.«

»Wohnen Sie hier, Ma’am? Uns wurde gemeldet, in der Gegend würden sich verdächtige Personen aufhalten«, antwortete der blonde Beamte, Tiny argwöhnisch beäugend. Die Hand seines Partners wanderte zur Pistole.

»Rühr das Teil noch einmal an, und ich vergesse, dass ich nicht hungrig bin«, murmelte Tiny so leise, dass es die Beamten nicht hören konnten.

Ich unterdrückte ein Lachen und wandte mich wieder an die Polizisten. »Ich wohne nicht hier, aber in die Wohnung meines Freundes ist eingebrochen worden. Können Sie mal nachsehen?«

Die Beamten musterten mich von oben bis unten, während sie die Treppe zum ersten Stock heraufkamen. Ich lächelte unschuldig und achtete darauf, dass meine leeren Hände gut sichtbar waren. Ein ordentlicher Cop hätte sich natürlich gefragt, warum ich an einem warmen Sommernachmittag einen langen Mantel trug.

Als die Männer noch etwa drei Meter von mir entfernt waren, ließ ich meine grauen Augen grün aufblitzen. Ich richtete ihren Strahl auf sie, um durch meine vampirischen Hypnosekräfte ihren Verstand zu vernebeln.

»Hier ist nichts passiert«, verkündete ich. »Dreht euch um und geht, der Anruf war falscher Alarm.«

»Nichts passiert«, leierte der blonde Beamte.

»Falscher Alarm«, wiederholte sein Kumpel, während seine Hand sich von der Pistole löste.

»So ist’s recht. Verschwindet. Geht woanders eurer Pflicht nach.«

Die beiden machten auf dem Absatz kehrt, stiegen wortlos wieder in ihren Wagen und fuhren davon. Bevor ich zur Vampirin geworden war, wären zwanzig Minuten und zwei Telefonate nötig gewesen, um dasselbe Ergebnis zu erreichen, es sei denn, Bones wäre mir zu Hilfe gekommen. Wenn man Gedanken kontrollieren konnte, hatte man es an Tatorten auf jeden Fall leichter, bürokratische Hindernisse zu umgehen.

Bones erschien mit zwei schmalen, in Laken gehüllten Bündeln in der Wohnungstür. Für neugierige Nachbarn sah es aus, als würde er lediglich eingepackte Rollos herumtragen, … nicht die sterblichen Überreste von Shayne und Harris.

»Tiny, pack die hier in deinen Kofferraum«, befahl Bones und übergab dem anderen die Leichen. Dann sprang er über die Brüstung, landete geschmeidig auf dem Parkplatz und lief auf Ed und Scratch zu. Beide Vampire sahen ihm düster entgegen.

»Was macht ihr mit ihren Leichen?«, erkundigte sich Ed.

»Irgendwo vergraben«, antwortete Bones.

Scratch fuhr sich mit der Hand durch das grau melierte Haar. »Ihr haut dann jetzt wohl wieder ab, nachdem ihr erfahren habt, was ihr wissen wolltet.«

Er klang resigniert. Ich bemerkte Bones’ leises Lächeln, als ich ganz normal über die Treppe auf den Parkplatz kam.

»Steigt ein, Jungs. Wir haben was zu besprechen.«

Ich setzte mich hinters Steuer, Bones nahm auf dem Beifahrersitz Platz, während Ed und Scratch argwöhnisch hinten einstiegen. Im Rückspiegel sah ich, wie Tiny die Überreste der Vampire in den Kofferraum packte, dann waren er und Band Aid aufbruchsbereit.

»Zurück zum Einkaufszentrum?«, fragte ich, als ich vom Parkplatz rollte.

»Genau, Kätzchen«, antwortete Bones. Sein Arm ruhte auf der Rückenlehne seines Sitzes, während er es sich lässig bequem machte und dabei Ed und Scratch anstarrte.

»Würdet ihr versuchen, die Mörder eurer Freunde zur Rechenschaft zu ziehen, wenn euch jemand dabei behilflich wäre?«, wollte Bones von ihnen wissen.

Ed schnaubte spöttisch. »Natürlich. Shayne hat ein solches Ende nicht verdient. Harris kannte ich nicht sehr gut, aber für ihn gilt sicher das Gleiche.«

»Und ob«, murmelte Scratch.

Ich warf Bones einen Seitenblick zu und fragte mich, worauf er hinauswollte, denn eine Verbindung zu seinen Emotionen konnte ich noch immer nicht herstellen. Nachdenklich tippte er sich ans Kinn.

»Wäre gefährlich, sogar mit Unterstützung.«

Wieder ein spöttisches Schnauben, diesmal von Scratch. »Das ganze Leben ist gefährlich, wenn man keinen Meister hat und nicht gerade zu den glücklichen Starken gehört, nicht, dass du davon eine Ahnung hättest.«

Ein Lächeln geisterte um Bones’ Lippen. »Was es bedeutet, in Gefahr zu leben, weiß ich sogar recht gut, aber da ihr offensichtlich nicht gern herrenlos seid, wie würdet ihr es finden, meiner Sippe beizutreten?«

Mein Blick huschte kurz zu Bones, bevor ich wieder in den Rückspiegel sah. Ed und Scratch machten verdutzte Gesichter. Ich auch. Was Bones ihnen da anbot, war quasi eine Adoption.

»Denkt nach, bevor ihr antwortet«, fuhr Bones fort. »Habt ihr den Eid einmal geleistet, könnt ihr euch nicht mehr umentscheiden und eure Freiheit wiederhaben, es sei denn, ihr bittet mich förmlich darum, und ich beschließe, eurem Wunsch nachzukommen.«

Ed stieß einen leisen Pfiff aus. »Du meinst das ernst, oder?«

»Todernst«, antwortete Bones lässig.

»Ich habe gehört, du wärst ein fieser Bastard«, sagte Scratch nach einer langen Pause. »Aber fair bist du angeblich auch. Fies und Fair, damit komme ich klar. Immer noch besser als herrenlos zu sein und es allein mit jedem Arschloch aufnehmen zu müssen, das glaubt, vogelfreie Vampire zu töten, wäre eine leichte Methode, sich einen Namen zu machen.«

Seine unverblümten Worte ließen mich die Augenbrauen hochziehen, aber Bones wirkte kein bisschen beleidigt. »Wie steht’s mit dir, Ed?«

»Warum bietest du uns das an?«, erkundigte sich der Vampir und sah Bones aus schmalen Augen an. »Du erkennst doch an unserem Energieniveau, dass wir nie Meister sein werden. Unseren mickrigen Zehnten hast du doch wohl auch nicht nötig, also, was bringt es dir?«

Bones erwiderte Eds Blick. »Erstens will ich diese Ghule schnappen, und ihr helft mir dabei. Ihr habt sicher auch gehört, dass in den letzten Kriegen einige meiner Sippenmitglieder umgekommen sind. Selbst nach dem Tod eurer Herrin wart ihr euren Freunden gegenüber noch loyal, und das, ohne ihnen gegenüber zu etwas verpflichtet zu sein. Dann wart ihr schlau genug, nicht ohne Rückendeckung in eine potenzielle Falle zu tappen. Ich habe immer Verwendung für schlaue Burschen, die mir, meiner Frau und meinem Mitregenten treu ergeben sind.«

Ed begegnete kurz meinem Blick im Rückspiegel, bevor er wieder Bones ansah. »Also schön«, sagte er, die Worte einzeln betonend. »Ich bin dabei.«

Bones zog ein Silbermesser hervor. Ich zwang mich, mein Augenmerk wieder auf die Straße zu richten, bevor ich durch meine Unaufmerksamkeit noch einen Unfall provozierte. Mir war schließlich klar, dass Bones nicht vorhatte, Ed und Scratch zu erstechen. Er wollte lediglich den Pakt besiegeln.

»Bei meinem Blut«, sagte Bones, während er sich in die Handfläche schnitt, »erkläre ich, dass du, Ed, und du, Scratch, Mitglieder meiner Sippe seid. Sollte ich diesen Eid brechen, soll zur Strafe mein Blut fließen.«

Bones gab das Messer an Ed weiter. Die Schnittwunde verheilte, bevor die ersten Blutstropfen auf seine dunkle Hose fielen. Ich musste nicht nach hinten sehen, um zu wissen, dass Ed sich ebenfalls in die Handfläche schnitt; der verführerische Geruch frischen Blutes verriet es mir.

»Bei meinem Blut erkenne ich dich, Bones, als meinen Meister an«, krächzte Ed. »Sollte ich diesen Schwur brechen, soll zur Strafe mein Blut fließen.«

Scratch sprach die gleichen Worte, während wieder dieser köstliche Geruch den Wagen erfüllte. Abgesehen von dieser ganzen »Meister«-Geschichte, die in Vampirsippen üblich war, machte mir jetzt auch noch ein Ziehen im Magen zu schaffen. Seit letzter Nacht hatte ich nichts zu mir genommen, und an meine nächste Mahlzeit war unter Umständen nur schwer heranzukommen, nachdem ich beschlossen hatte, nicht mehr von Bones zu trinken, und erst einen anderen Blutspender finden musste. Normalen Vampiren standen Nahrungsquellen in Hülle und Fülle zur Verfügung. Durch ihren Hypnoseblick konnten sie sich bei ihren Opfern bedienen, ohne dass diese sich daran erinnerten. Oder sie stellten ausgewählten Sterblichen Kost und Logis im Austausch für ihre Blutspenden zur Verfügung.

So leicht hatte ich es nicht. Vampire waren immun gegen Hypnose, und mir war kein vampirischer Haushalt bekannt, in dem man Vampire als Blutspender hielt. Außerdem wollten wir meine absonderlichen Ernährungsgewohnheiten – und ihre Nebenwirkungen – nach wie vor nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen. Ich konnte also schlecht den erstbesten Vampir, der mir über den Weg lief, fragen, ob ich ihn mal beißen durfte.

Nachdem Scratch seine Treue geschworen hatte, gab er das blutverschmierte Messer an Bones zurück. Ich widerstand dem spontanen Drang, die Klinge abzulecken, konzentrierte mich auf die Straße und überlegte mir dabei, wie ich an Blut kommen konnte. Juan, eins meiner alten Teammitglieder, war seit knapp einem Jahr untot, den konnte ich also anpumpen. Vielleicht würde ich ihn dazu bringen können, mir etwas von seinem Blut zu schicken, obwohl er sich zweifellos fragen würde, wozu ich es brauchte. Keiner meiner Ex-Kollegen wusste über meine seltsamen Ernährungsgewohnheiten Bescheid.

Bones’ bester Freund, Spade, war eingeweiht, und sein Blut hatte ich auch schon getrunken, aber das wollte ich nicht zur Gewohnheit werden lassen. Spade war ein Meistervampir und damit zu stark. Das traf auf die meisten von Bones’ Freunden zu.

Verdammt. Wenn ich nicht verhungern wollte, würde es schwieriger sein als gedacht, auf Bones’ Blut zu verzichten.

»Verratet vorerst niemandem etwas von unserer Verbindung«, wies Bones Ed und Scratch an und holte mich damit ins Hier und Jetzt zurück. »Macht einfach weiter, als wären wir uns nie begegnet. Hier ist eine Nummer, unter der ihr mich erreichen könnt. Sobald die Ghule auftauchen, verständigt ihr mich, aber legt euch nicht mit ihnen an. Verstanden? «

»Alles klar« und »natürlich« lauteten ihre Antworten. Ich fragte mich, ob sie wirklich kapierten, was hier lief. Ich hatte es kapiert und war alles andere als begeistert.

Ich setzte die Vampire in der Nähe des Springbrunnens ab, an dem wir uns mit ihnen verabredet hatten, und fuhr ein paar Kilometer, bevor ich Bones einen Blick zuwarf.

»Du benutzt sie als Lockvögel.«

Bones begegnete meinem Blick, seine dunkelbraunen Augen verbargen nichts. »Ja.«

»Gott«, murmelte ich. »Du verbietest ihnen zu erzählen, dass sie nicht mehr herrenlos, sondern Mitglieder der Sippe eines mächtigen Vampirs sind, damit diese Ghule sie nach wie vor als leichte Beute ansehen. Du bringst sie bewusst in Gefahr.«

»Nicht mehr als vorher, wie sie selbst gesagt haben. Wenn ihnen jetzt aber etwas geschieht, habe ich unserem Gesetz zufolge das Recht, Nachforschungen anzustellen«, war seine allzu logische Antwort. »Glaub mir, Schatz, ich hoffe, ihnen geschieht nichts und sie führen mich lediglich zu den Ghulen. Steckt allerdings Apollyon hinter den Übergriffen, müssen wir eine Möglichkeit finden, ihm das Handwerk zu legen, ohne grundlos feindselig zu wirken. Sonst …«

Bones musste den Satz nicht beenden. Sonst sieht es erst recht aus, als wollte ich eine Art Vampir-Stalin werden, wie er behauptet, führte ich seinen Satz im Geist zu Ende. Klar, als würde das jeden Morgen auf meiner To-do-Liste stehen. Zähne putzen. Haare waschen. Welt der Untoten mit eiserner Faust regieren.

»Ich weiß nicht, warum überhaupt irgendwelche Ghule Apollyon Glauben schenken, wenn er behauptet, ich wäre eine Riesenbedrohung«, murrte ich. »Ich habe zwar komische Ernährungsgewohnheiten, aber Apollyon kann niemandem mehr weismachen, ich würde ghulische und vampirische Kräfte in mir vereinen. Mit diesem paranoiden Gewäsch dürfte es nach meiner Verwandlung ja wohl vorbei sein.«

Bones’ Blick war mitfühlend, aber unnachgiebig. »Kätzchen, du bist erst seit knapp einem Jahr eine Vampirin. In dieser Zeit hast du einem Meistervampir durch Pyrokinese den Kopf weggeblasen und Dutzende Vampire per Telekinese gelähmt. Deine Fähigkeiten und dein gelegentlich schlagendes Herz machen den Leuten einfach Angst.«

»Aber das sind gar nicht meine Fähigkeiten!«, rief ich. »Okay, es ist mein Herz, das ab und zu schlägt, aber die anderen Kräfte hatte ich nur geborgt. Ich habe sie ja nicht mal mehr, und hätte ich nicht von Vlad und Mencheres getrunken, hätte ich sie auch nie bekommen.«

»Niemand weiß, wie du dazu gekommen bist, beziehungsweise, dass du sie nach einer Weile wieder verlierst«, bemerkte Bones.

»Vielleicht sollten wir es öffentlich machen.« Doch schon während ich das sagte, wusste ich es besser.

Bones stieß eine Art Seufzer aus. »Wüsste Apollyon, wie du zu deinen Kräften kommst, könnte er behaupten, du wärst in der Lage, dir jede gewünschte Fähigkeit anzueignen, indem du von einem Vampir trinkst, der sie besitzt. Besser, er glaubt, du wärst einfach ein Ausnahmetalent.«

Anders ausgedrückt, egal wie wir es der Öffentlichkeit verkauften, ich würde immer als gefährlicher Sonderling dastehen. Ich atmete tief durch, in der Hoffnung, das vertraute Ritual würde mich beruhigen. Was nicht der Fall war. Ich sog lediglich den Duft des Blutes ein, sodass mein Magen sich beinahe schmerzhaft zusammenkrampfte.

»Zu schade, dass dein Mitregent sein zweites Gesicht noch nicht wieder ganz zurückerlangt hat. Dann wären wir nicht im Ungewissen darüber, ob Apollyon hinter allem steckt.«

Bones zuckte bestätigend mit den Schultern. »Mencheres hatte bereits wieder die eine oder andere Zukunftsvision, aber keine, die uns betrifft, und er kann seine Visionen auch nicht willentlich herbeirufen. Wenn wir Glück haben, kommen seine Kräfte bald zurück.«

Aber bis dahin waren wir auf uns allein gestellt. »Wir erzählen also weiterhin niemandem, dass ich meine Fähigkeiten aus Vampirblut beziehe, und benutzen Ed und Scratch als Lockvögel für die Ghule, um herauszufinden, ob Apollyon der Drahtzieher ist.«

»Genau, Süße.«

Ich schloss die Augen. Der Plan gefiel mir zwar nicht, aber im Augenblick hatten wir keine andere Wahl.

4

Ich kannte die Wachleute nicht, die zum Helikopterlandeplatz gesprintet kamen, um Bones und mich ins Innere des Militärstützpunktes zu führen, der von meinem ehemaligen Chef und Onkel, Don Williams, geleitet wurde. Aber ich war ja auch seit letztem Jahr nicht mehr hier gewesen. Vielleicht hätte ich erst anrufen sollen. Mich beim Tower zu melden, als wir den Luftraum der Basis erreicht hatten, war ja nicht gerade eine Vorankündigung, aber Don musste über das sich zusammenbrauende Unheil Bescheid wissen. So etwas musste man meiner Meinung nach persönlich besprechen. Außerdem war Juan hier, den ich hoffentlich dafür erwärmen konnte, mir eine kleine Blutspende zukommen zu lassen.

Um ganz ehrlich zu sein, bei dem Spontantrip nach Ost-Tennessee ging es nicht allein um Informationsübermittlung und Nahrungsbeschaffung. Aus geschäftlichen Gründen hatte Don unsere letzten Treffen absagen müssen, sodass es einige Monate her war, seit ich meinen Onkel zum letzten Mal gesehen hatte. Wir hatten uns anfangs zwar schwer miteinander getan, aber ich vermisste ihn. Mit diesem Besuch konnte ich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen, was Don bestimmt gefallen würde. Er stand auf Multitasking.

Wir hatten gerade die Doppeltür auf dem Dach erreicht, als Bones so abrupt stehen blieb, dass einer der Wachhabenden mit ihm zusammenstieß.

»Verdammte Scheiße«, murmelte Bones.

Ich sah mich hektisch um, aber nirgends war etwas Ungewöhnliches zu sehen, bis auf den Soldaten, der ein verlegenes Gesicht machte, weil er in Bones hineingelaufen war. Dann flimmerten Mitgefühl und Entschlossenheit durch mein Unterbewusstsein. Ich verspannte mich. Das waren nicht meine Gefühle.

»Was?«, wandte ich mich an Bones.

Er machte ein so beherrschtes Gesicht, dass ich es mit der Angst bekam. Die beiden Wachen neben uns tauschten verdutzte Blicke aus, aber ob sie wussten, wo das Problem lag, konnte ich nicht sagen. Im Augenblick konnte ich nur meine eigenen Gedanken hören.

Bones nahm meine Hand. Sein Mund öffnete sich, aber bevor er sprechen konnte, schwangen die Türen auf, und ein muskulöser Vampir mit kurzem braunem Haar trat zu uns heraus.

»Cat, was machst du hier?«, wollte Tate wissen.

Ich ignorierte die Frage meines einstigen Hauptmanns und sah weiter Bones an. »Was?«, fragte ich noch einmal.

Seine Hand schloss sich um meine. »Dein Onkel ist sehr krank, Kätzchen.«

Etwas Kaltes kroch mir in den Nacken. Ich sah zu Tate. Er straffte grimmig die Schultern, also hatte Bones recht.

»Wo ist er? Und warum hat mich niemand angerufen?«

Tate verzog den Mund. »Don ist hier, im Sanitätstrakt, und dich hat niemand angerufen, weil er nicht wollte, dass du davon erfährst.«

Tate klang nicht, als würde er Dons Entscheidung gutheißen, aber ich wurde trotzdem wütend.

»Ihr wolltet es mir also erst sagen, wenn die Beerdigung ansteht? Klasse, Tate!«

Ich riss mich von Bones los und rauschte an Tate vorbei nach drinnen. Der Sanitätstrakt lag im zweiten Untergeschoss,