Dunkle Verlockung - Hauch der Versuchung / Engelsbann / Engelstanz - Nalini Singh - E-Book
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Dunkle Verlockung - Hauch der Versuchung / Engelsbann / Engelstanz E-Book

Nalini Singh

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Beschreibung

Packende Geschichten zu Nalini Singhs Gestaltwandlerserie und ihren erfolgreichen Engelromanen. In einer Welt voller Schönheit und Blutgier, in der Engel über Vampire und Sterbliche herrschen, in der Mediale versuchen, die Emotionen zu verbieten und Gestaltwandler um das Überleben kämpfen, brodeln die Gefühle - Rache, Hass und Leidenschaft. Jeder ist auf der Suche nach einer Liebe, die alle Grenzen überwindet ...

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NALINI SINGH

DUNKLEVERLOCKUNG

Ins Deutsche übertragen von

Nora Lachmann und Cornelia Röser

Hauch der Versuchung (Gestaltwandler-Serie)

Engelsbann (Gilde der Jäger)

Engelstanz (Gilde der Jäger)

HAUCH DER VERSUCHUNG

Für May, Jennifer und Kay – die besten Freunde, die man sich nur wünschen kann!

THE SAN FRANCISCO GAZETTE

2. AUGUST 2072

Am Puls der Stadt: Ärger in Chinatown?

Gerüchte über eine neue Verbrecherorganisation in der Stadt werden bislang von der Polizei weder bestätigt noch dementiert. Auf den Straßen heißt es allerdings, eine Gang – die am Tatort stets ein schwarzes »V« hinterlässt – wolle die Macht über sämtliche illegalen Aktivitäten in San Francisco an sich reißen. Noch beschränkt sich der Aktionsradius von V auf Chinatown, aber unseren Quellen zufolge will die Organisation bald die ganze Bucht übernehmen.

In einer amtlichen Stellungnahme hat der telepathische Regierungssprecher Smith Jenson beteuert, V stelle keine ernsthafte Bedrohung dar. Bei allem gebotenen Respekt müssen wir leider feststellen, dass man auch völlig anderer Meinung sein kann. Mediale wie Mr Jenson und seine Kollegen mögen hoch oben in ihren Wohnungen sicher sein, aber Menschen und Gestaltwandler auf den Straßen haben bereits am eigenen Leib die neue Gefahr zu spüren bekommen. Noch sind keine Toten zu beklagen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann das der Fall sein wird.

Unserer Meinung nach muss die Regierung schnellstens Flagge zeigen. Falls nicht, ist ihre Machtstellung in San Francisco in Gefahr.

1

Rias Strumpfhose war zerrissen. Ungläubig starrte sie auf ihre Füße. Wo waren bloß die Schuhe? Wahrscheinlich in der Gasse, in der irgendein Schwein versucht hatte, sie zu vergewaltigen, um auf diese Weise doch noch eine Art »Abschlag« auf das Schutzgeld zu bekommen, das ihre Familie nicht hatte zahlen wollen.

Etwas streifte ihre Schultern und legte sich warm und weich um ihren Körper. Eine Decke. Sie griff danach und zuckte zusammen, als ihre blutenden Handflächen die Wolle berührten. Sofort ließ sie wieder los. Die Decke rutschte auf die Kante des Rettungswagens.

»Lassen Sie mich die Decke halten.« Ria blickte in Richtung der tiefen Stimme und sah ein ihr unbekanntes Gesicht. Der Gestaltwandler, der den Angreifer gegen die Mauer geschleudert hatte, war blond und blauäugig gewesen und hatte sie an ihren ungestümen jüngeren Bruder Ken erinnert. Doch der Mann vor ihr war aus härterem Holz geschnitzt: Auf seinem markanten Gesicht lagen Schatten, die Augen waren bernsteinfarben wie lange gereifter Whiskey, das Haar war dunkel und dicht, durchzogen von goldenen Strähnen. »Komm schon, Schätzchen, sag was.«

Sie schluckte, suchte nach Worten, verlor sich aber im Wirrwarr ihrer Gedanken und versank im dumpfen Sumpf der Angst. Es war eine schreckliche Furcht, die sie in der Gasse im brodelnden Chinatown, nur wenige Minuten von ihrem Elternhaus entfernt, erfasst hatte – ein entsetzlicher Moment, der ihr ewig lang erschienen war. In Bruchteilen von Sekunden hatte sich die Welt um sie herum vollkommen verändert. Gerade hatte sie noch gelächelt, und im nächsten Augenblick war die Aufregung über die letzte bestandene Prüfung der Abendschule Schmerz und Schock gewichen, als der Kerl sie schlug und überall betatschte.

Weiches Mandarin erklang plötzlich, so völlig unerwartet und so willkommen, dass es durch den Schmerz und die Angst drang. Erstaunt sah sie wieder auf. Der Fremde fragte sie in der Sprache ihrer Großmutter, ob es ihr gut ginge. Sie nickte und fand endlich doch Worte: »Ich spreche Englisch.« Das hätte sie nicht extra sagen müssen. Im Gegensatz zu ihrer halb chinesischen, halb amerikanischen Mutter hatte Ria bis auf die Knochenstruktur nur wenig von ihrer Großmutter geerbt. Ihr Haar war glatt, aber nicht pechschwarz, sondern dunkelbraun. Die leichte Mandelform der Augen bemerkte man nur, wenn man sehr genau hinsah. Das Aussehen hatte sie mehr von ihrem amerikanischen Vater geerbt, der braunes Haar und braune Augen hatte.

»Wie heißen Sie?« Eine Hand legte sich auf ihre Wange.

Sie zuckte zusammen, doch die Berührung der großen Hand war sanft und geduldig. Nach einer Weile entspannte sie sich und genoss die Wärme der rauen Hände – der Mann war es offenbar gewohnt, mit den Händen zu arbeiten. »Ria. Und wer sind Sie?«

»Emmett«, sagte er sehr ernst. »Und ich bin für Sie verantwortlich.«

Sie runzelte die Stirn, die wahre Ria kämpfte sich durch den Nebel des Schocks. »Wer gibt Ihnen dazu das Recht?«

»Ich bin groß, ich bin stark und ziemlich sauer, dass es jemand gewagt hat, während meiner Wache Hand an eine Frau zu legen.«

Sie blinzelte. »Ihrer Wache?«

»Dorian gehört zu meinen Leuten«, sagte der Mann und nickte dem blonden Typen zu, der dem Täter die Knochen zerschmettert hatte. »Leider hat er gute Arbeit geleistet. Ich hätte das Stück Scheiße gern selbst auseinandergenommen.«

Gewalt war Ria noch nicht oft begegnet, aber sie hatte keinerlei Zweifel, dass ein Gestaltwandler vor ihr stand, der sich blitzschnell in einen Leoparden verwandeln konnte – und dass der Leopard keine Schwierigkeiten damit hatte, auf brutale Art Gerechtigkeit zu üben. In seinen Augen sah sie unbändige Wut … tief in ihnen flackerte etwas auf, das nicht ganz menschlich war. »Er kann mir nichts mehr tun.« Eigenartigerweise spürte sie das Bedürfnis, den Mann zu trösten.

»Aber er hat Ihnen etwas getan.« Das konnte man nicht leugnen. »Ich werde nicht eher ruhen, bis ich das Nest ausgeräuchert habe, aus dem diese miese Schlange gekrochen ist.«

Ria schaute zu dem Mann, der sie angegriffen hatte und nun bewusstlos in der Gasse lag. Er lebte – gerade eben noch – aber er würde eine ganze Weile kein Wort von sich geben. »Der arbeitet nicht auf eigene Faust?«

»Sieht so aus, als würde er einer neuen Verbrecherbande angehören.« Die Decke rutschte wieder, und Emmett zog sie vorsichtig hoch. »Die DarkRiver-Leoparden haben verdammt viel Energie reingesteckt, um die Stadt von solchem Abschaum zu befreien, aber nun kriecht das Ungeziefer wieder hervor.«

Ria kannte das Leopardenrudel. Jeder in der Stadt wusste, wer die Leoparden waren. Sie lebten in den Wäldern des Yosemite-Nationalparks und hatten San Francisco zum Teil ihres Territoriums erklärt, als Ria noch ein Kind gewesen war. Ohne die Erlaubnis der Leoparden kamen keine anderen Raubtiergestaltwandler in die Stadt. Aber seit ein paar Jahren entfernten sie auch menschliche Raubtiere aus der Stadt.

»Ich kann Ihnen noch mehr über den Kerl erzählen«, sagte sie mit kräftigerer Stimme, da nun langsam die Wut in ihr aufstieg. »Er ist in das Geschäft meiner Mutter gekommen und hat eine Kontonummer hinterlassen, auf die sie ein ›Schutzgeld‹ überweisen sollte. Wir haben gedacht, es wäre einer von den üblichen Strolchen.«

»Die Nummer hole ich mir morgen bei Ihnen ab. Jetzt müssen Sie erst einmal versorgt werden.« Er schob einen muskulösen Arm unter ihre Beine, legte den anderen um ihren Rücken und hob sie hoch, bevor sie wusste, wie ihr geschah.

Überrascht schrie sie auf.

»Ich lasse Sie schon nicht fallen.« Er murmelte beruhigende Worte und trug sie ins Innere des Rettungswagens. »Will Sie nur vor dem Wind schützen.«

Sie hätte sich wehren sollen, aber sie war zu müde; alles tat ihr weh, und er war so warm. Als er sich mit ihr hinsetzte, legte sie den Kopf an seine Brust und atmete tief ein. Sie seufzte schwer. Er roch so gut: heiß und männlich, sauber und frisch nach Aftershave. Obwohl er sich offensichtlich mehr als einmal täglich rasieren musste. Sein Kinn kratzte über ihr Haar, als er sie noch näher auf seinen Schoß zog. Aber dagegen hatte sie nichts, war ihr letzter Gedanke, bevor ihr die Augen zufielen.

Emmett strich der jungen Frau in seinen Armen, die ihn an einen Mink erinnerte, übers Haar. Sie war so zart wie ein kleiner Nerz und im Augenblick am Ende ihrer Kräfte. Wütend, weil jemand es gewagt hatte, ihr ein Leid anzutun, hielt er sie besonders vorsichtig, bis sie sich endlich entspannte. Als sie seufzte und sich an ihn kuschelte, knurrte der Leopard in ihm zufrieden. In diesem Moment warf Dorian einen Blick in den Wagen.

Der blonde Soldat nickte in Richtung Ria. »Geht es ihr gut?«

»Wo zum Teufel bleiben die Sanitäter?«, knurrte Emmett.

»Kümmern sich um das Stück Scheiße.« Dorian zuckte die Achseln. »Ich hätte ihn gleich umbringen sollen.«

Der wilde Teil von Emmett hätte Dorian gerne gesagt, er solle die Sache ein für alle Mal beenden, doch Emmett zwang sich, über die Wut des Leoparden hinauszudenken. »Wir brauchen alle Informationen über die Bande, die er uns geben kann, also hoffen wir mal, dass er nachher in der Lage sein wird, zu reden.«

»Jetzt könnten wir gut die Medialen brauchen«, murrte Dorian. Mediale waren die dritte Gattung im Triumvirat ihrer Welt. »Ein Telepath könnte dem Scheißkerl die Informationen aus dem Schädel reißen.«

»Ihr seid grausam«, ließ sich eine benommene weibliche Stimme vernehmen.

Ein Blick verriet Emmett, dass Ria die Augen geschlossen hatte. »Ja, das sind wir«, sagte er, vermutete aber, dass sie schon schlief. Ihre Wimpern lagen wie dunkle Halbmonde auf der verführerisch weißen Haut. Nur mit Mühe gelang es ihm, seine Aufmerksamkeit wieder Dorian zuzuwenden. »Hatte sie Kontaktnummern für den Notfall bei sich?« Der Soldat hatte Rias Sachen durchgesehen, während Emmett sich um die junge Frau kümmerte.

»Ja, die Eltern sind bereits auf dem Weg.« Dorians Zähne blitzten auf, als er lächelte. »Der Stimme nach zu urteilen, ist der Vater ziemlich geladen. Du solltest sie vielleicht nicht so ansehen wie gerade.«

»Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß.« Emmett umfasste Ria noch ein wenig fester.

Dorian hob die Hände und zog sich lachend zurück. »Okay, deine Beerdigung.«

»Hol endlich die Sanitäter.«

»Ich glaube, Tammy kommt gerade. Sie kann dein Mädchen zusammenflicken.«

Kaum hatte Dorian das gesagt, tauchte die Heilerin der Leoparden an der Wagentür auf. »Lass mich mal sehen«, sagte sie mit sanfter Stimme und stellte ihre Tasche in das Fahrzeug.

Sobald sie die Berührung der Frau spürte, schlug Ria die Augen auf. Emmett strich ihr beruhigend über den Rücken. »Das ist Tamsyn, unsere Heilerin. Sie können ihr vollkommen vertrauen.« Zur Freude des Leoparden entspannte Ria sich beinahe augenblicklich wieder.

»Nennen Sie mich Tammy.« Die Frau lächelte. »Das machen alle.«

»Ich kenne Sie«, sagte Ria einen Moment später. »Sie haben einen großen Jadestein im Laden meiner Mutter gekauft.«

»Alex ist Ihre Mutter?« Tammy lächelte erneut, als Ria nickte. »Ich habe gefragt, ob sie mir etwas empfehlen könnte, womit ich meinen Dickschädel von Mann in die Schranken weisen kann, und sie hat nur gemeint, für einen dicken Schädel brauche man einen ebenso dicken Stein.«

»Das hört sich mehr nach meiner Großmutter an.«

Tammy grinste. »Ab einem gewissen Alter hören sich alle Frauen wie ihre Mütter an.« Sie zwinkerte.

Nun musste Ria trotz allem lächeln. »Dann bin ich dem Untergang geweiht.« Sie hielt Tammy die verletzten Hände hin. »Es tut eigentlich gar nicht mehr weh.«

»Hmm, lassen Sie mich mal sehen. Sind Sie auf die Hände gefallen?« Sie säuberte die Wunden von Schmutz und Steinen.

Ria nickte und zuckte zusammen, als Tamsyn etwas zum Desinfizieren auftrug. »Ja.«

Die Heilerin sah sich die gesäuberten Handflächen an. »Genäht werden muss nichts«, murmelte die nette Frau mit dem braunen Haar. »Darf ich mir Ihr Gesicht ansehen, meine Liebe?« Tammys Berührungen waren unglaublich kompetent und vorsichtig, obwohl sie groß wie ein Model war und sich ebenso elegant bewegte.

Ria hatte sich schon immer gewünscht, groß zu sein. Die Körpergröße hatte sie leider nicht von ihrem Vater geerbt, sondern war so klein geblieben wie ihre Mutter – allerdings ohne deren schlanken Körperbau. Ganz im Gegenteil: Ria war klein mit reichlich »Kurven«. Man konnte eher sagen, großzügig gepolstert. Ihre Mutter konnte sechs Klöße essen und hatte immer noch Platz für mehr. Sie selbst aß drei und legte fünf Pfund dabei zu.

»Sind Sie eingeschlafen?«, grummelte es in ihr Ohr.

Sie schüttelte den Kopf. »Hellwach.« Irgendwie jedenfalls.

»Hier und da Schrammen«, verkündete Tammy, »aber kein bleibender Schaden.« Sanft trug sie eine Salbe auf. »Das wird helfen, die blauen Flecken in Grenzen zu halten.«

»Xiexie«, entfuhr es Ria automatisch bei der Berührung. Tamsyns Hände fühlten sich an wie die ihrer Großmutter. Hände, die einen umsorgten. Hände, denen man trauen konnte.

»Gern geschehen.« Ria nahm Tamsyns Lächeln wahr, obwohl sie die Augen geschlossen hatte. »Emmett, du musst uns ein paar Minuten allein lassen.«

Ria spürte, wie der große Mann die Muskeln anspannte. Mühevoll öffnete sie die Augen und legte ihm die Hand auf die Brust, obwohl sie nicht wusste, woher sie den Mut dafür nahm. Erregte Gestaltwandlerleoparden konnten tödlich sein. Doch trotz seines finsteren Blicks hatte sie den Eindruck, diese Raubkatze würde ihr nie etwas tun. »Ist schon in Ordnung.«

»Tammy«, widersprach Emmett und sah noch finsterer drein, »sie schläft doch fast.«

»Ich muss ihr ein paar recht intime Fragen stellen«, sagte Tammy in ihrer ruhigen und gefassten Art. »Erst dann weiß ich, ob sie noch weitere Medikamente benötigt.«

Der Nebel in Rias Hirn lichtete sich erneut. »So weit ist es nicht gekommen. Er hat mich nur verprügelt.«

Ein gefährliches Knurren ertönte. Ria fuhr senkrecht in die Höhe, ihr Herz raste. »Was war das?«

»Emmett!«

Sie blinzelte bei dem Ton, den Tammy anschlug, und sah dem Mann ins Gesicht, der sie auf dem Schoß hielt. »Sie waren das?«

»Ich bin ein Leopard«, sagte er, als hätte ihn ihr Erstaunen seinerseits überrascht.

»Achten Sie nicht auf ihn«, sagte Tammy und fing Rias Blick auf, als sie sich an den Schrammen auf ihren Knien zu schaffen machte. »Sind Sie auch sicher? Niemand wird Ihnen Vorwürfe über das machen, was geschehen ist.«

Einer Frau wie dieser musste man einfach vertrauen. »Ich habe ihn mit der Handtasche geschlagen und ihm in die Eier getreten. Danach wollte er mir eher wehtun als … Sie wissen schon.«

Tamsyn nickte. »In Ordnung. Aber wenn Sie mit jemandem reden müssen, rufen Sie mich an.« Sie legte ihre Karte in die Riesenhandtasche, die jemand aufgelesen und in den Rettungswagen gelegt haben musste, ohne dass Ria es mitbekommen hatte.

»Das ist …«, sagte Ria gerade, als es vor dem Rettungswagen laut wurde.

»Wo ist meine Tochter? Sie da! Wo ist sie? Wenn Sie mir nicht sofort sagen, wo sie ist, werde ich …«

»Mom.« Als ihre Mutter in den Rettungswagen kletterte und Tammy aus dem Weg schob, ungeachtet der Tatsache, dass die Heilerin sehr viel stärker und größer war als Alex, schossen Ria zum ersten Mal an diesem Abend Tränen in die Augen.

»Meine Kleine.« Alex fasste sie überall an und küsste ihr mit mütterlicher Wärme auf die Stirn. »Dieses Schwein!«

»Mom!« Ihre Mutter fluchte nie. Wenn Rias Großmutter gemein sein wollte, nannte sie Alex verklemmt, nur um zu sehen, wie diese in die Luft ging – Rias Großmutter hatte Dynamit im Hintern.

»Sie da!« Alex richtete einen zornigen Blick auf Emmett. »Was haben Ihre Hände auf meiner Tochter zu suchen?«

Die Hände hielten Ria nur noch fester. »Ich kümmere mich um sie.«

Alex hüstelte verschnupft. »Ist Ihnen nicht gerade gut gelungen, nicht wahr? Man hat sie doch hier überfallen, unweit der Hauptstraße.«

»Mom«, versuchte Ria die Vorwürfe zu beenden. Doch Emmett nickte ruhig. »War mein Fehler. Ich bringe das wieder in Ordnung.«

»Gut.« Alex wandte sich an Ria. »Deine Großmutter wartet auf dich.«

»Wie hast du sie dazu gebracht, zu Hause zu bleiben?«

»Ich habe ihr gesagt, dass du ihren ganz speziellen Jasmintee haben möchtest, wenn du zurück bist.«

Emmett war in einem starken, lebendigen Rudel aufgewachsen. Er würde mit Rias Familie schon fertig werden, hatte er gedacht. Doch da kannte er Rias Großmutter noch nicht. Ein Meter fünfzig reine Wut und mühsam zurückgehaltener Zorn, der deshalb nur umso beeindruckender war.

Natürlich kam Ria an erster Stelle. Etwas anderes hätte Emmett nie zugelassen, selbst wenn ihre Großmutter ihm nicht befohlen hätte, ihre Enkelin zu tragen – die lautstark verkündete, sie könne sehr wohl »selbst hineingehen, Himmel noch mal«. In dem Zimmer, in dem sie sich waschen und umziehen sollte, schlief ansonsten wahrscheinlich die Großmutter. Sobald Emmett seine Pflicht erfüllt hatte, war er in die Küche verbannt worden, um dort zu warten.

Rias Vater war am Tatort geblieben, wo man ihn davon abhalten musste, dem halb toten Angreifer den Rest zu geben. Rias älterer Bruder war ebenfalls noch dort. Deshalb saß Emmett nun mit Rias Mutter und ihrer Schwägerin Amber in der Küche. Alex und Amber sahen eher wie Schwestern aus. Rias Mutter war eine schöne Frau, klein und anmutig. Amber war ebenso zart – selbst in ihrem hochschwangeren Zustand. Ihre Arme wirkten zerbrechlich wie feines Porzellan.

Emmett saß reglos auf dem Stuhl, den man ihm zugewiesen hatte. Fast fürchtete er, schon eine zufällige Berührung von ihm könnte die beiden Frauen beschädigen. Ria jedoch wollte er fest in den Händen halten.

»Hier! Trinken Sie!« Jemand stellte mit einem Knall ein Getränk vor ihm auf den Tisch.

Eine Pfütze Jasmintee bildete sich um die kleine Tasse, und Emmett beschloss, kein Wort über Alex’ Temperament zu verlieren. »Vielen Dank.«

»Glauben Sie etwa, ich hätte keine Augen im Kopf?« Sie bohrte ihm den Finger in die Schulter. »Glauben Sie, ich hätte nicht bemerkt, wie Sie meine Kleine ansehen?«

Niemand wagte es sonst, Emmett zu berühren oder anzugreifen. Er gehörte zu den gefährlichsten Leoparden im Rudel, und wenn man ihn reizte, konnte er unberechenbar werden. Für seine Schüler wäre es bestimmt ein Fest, zu sehen, wie er klein beigab, um niemanden zu verletzen. »Wie sehe ich sie denn an?«

Alex kniff die Augen zusammen. »Wie eine große Raubkatze ihr Fressen.« Rias Mutter krümmte die Finger zu Krallen und fuhr damit durch die Luft. »So!«

»Stellt das für Sie ein Problem dar?«

»Jeder Mann, der etwas von meiner Tochter will, ist ein Problem für mich.« Damit wandte sich Alex ab und trat wieder an den Küchentresen. »Und ihr Vater hat ein noch größeres Problem damit.«

Ob Alex wohl annahm, sie könnte ihm damit Angst machen? »Ich bin in einem Rudel aufgewachsen.« Er war gewöhnt an nervige Gefährten, knurrige Väter und wilde, beschützende Mütter.

Amber lächelte, als sich Alex schniefend wegdrehte. »Mit Frauen haben sie in dieser Familie auch Probleme«, sagte sie in gespieltem Flüsterton. »Als das mit Jet und mir anfing, hat Alex mich beiseitegenommen und gesagt, wenn ich ihrem Sohn das Herz bräche, würde sie mich mit einem Nudelholz verprügeln.«

Alex schwang nun eben dieses Werkzeug in Ambers Richtung. »Vergiss das bloß nicht!«

Lachend umarmte Amber Alex. »Es geht ihr gut, Mom. Ria wird sich schon wehren – besser, als du und ich es je könnten.«

In diesem Augenblick kam der männliche Teil von Rias Familie zurück. Kaum war er über die Schwelle getreten, fragte Rias Vater: »Was zum Teufel sucht der hier?«

2

Ria ließ sich seufzend in das Schaumbad sinken, das ihre Großmutter für sie eingelassen hatte.

Kurz darauf klopfte es leise an die Tür.

»Komm rein, Popo.«

Ihre Großmutter trat ein. Obwohl sie so klein war und die vielen Runzeln in ihrem Gesicht beredt Zeugnis von einem erfüllten Leben ablegten, ging Rias Großmutter mit festem Schritt und hatte einen kristallklaren Blick. Miaoling Olivier trug noch einen ganzen Haufen Jahrzehnte in sich, wie sie gern zu sagen pflegte. Sie setzte sich auf den Toilettendeckel in eben dem Moment, als Rias Vater in der Küche losbrüllte.

»Geht das schon wieder los«, sagte Miaoling und verdrehte die Augen. »Manchmal glaube ich fast, wir hätten aus Versehen die Insassen einer Irrenanstalt ins Haus gebeten.«

Rias Lippen zuckten und in ihren Augen standen Tränen. »Sie sind bloß wütend und haben Angst um mich.«

»Schlaues Mädchen.« Rias Großmutter zog eine der ramponierten Hände an die Lippen. Sie küsste sie sehr sanft und liebevoll. Ria fühlte, wie etwas tief in ihr heilte. »Ich liebe dich, Popo.«

»Weiß du eigentlich, dass du die Einzige bist, die mich so nennt?«, fragte Miaoling. »Ken und Jet sagen beide Nana.«

»Darum bin ich ja auch dein Liebling und nicht sie.«

»Schsch.« Miaoling zwinkerte und legte Rias Hand zurück auf den Wannenrand. »Hast du dich schon bei dem jungen Mann bedankt, der dich gefunden hat? Vielleicht solltest du einen Kuchen für ihn backen.«

Ria musste grinsen. »Kein Interesse«, informierte sie ihre Großmutter, die stets aufs Neue Hoffnung hegte. »Er ist ein wenig zu hübsch für meinen Geschmack.« Der blonde Leopard war sicher ein gut ausgebildetes Mitglied des Rudels, aber so rank und schlank, dass er mehr einem jugendlichen Surfer als einem erwachsenen Mann glich. Emmett hingegen …

Ihre Großmutter seufzte. »Wenn du so weitermachst, verschrumpeln deine weiblichen Körperteile noch.«

Ria schnaubte lachend. »Popo!«

»Was denn? Ist nur die Wahrheit.« Miaoling wechselte vom perfekten Harvard-Englisch zu einem Slang, den sie nur benutzte, wenn sie mit jemandem sehr vertraut war. »In deinem Alter hatte ich deine Mutter schon im Ofen.«

»Die Zeiten haben sich geändert – und ich bin auch erst zweiundzwanzig, wohl kaum eine verschrumpelte alte Jungfer.« Ria lehnte den Kopf an die Wand. »Erzähl mir, wie du Großvater kennengelernt hast.«

»Warum? Das weißt du doch schon.«

»Bitte.« Es war eine tröstliche Geschichte, und Ria konnte Trost wahrlich gut brauchen.

»Na gut, für meine Riri.« Großmutter holte tief Luft. »Ich lebte damals auf einem Hof in der Provinz Henan, und meine Familie versuchte händeringend, eine Heirat für mich zu arrangieren. Aber, ai, ich war ein kleiner Teufel. Ich wollte keinen der Jungen, die sie anschleppten – zu dünn, zu fett, zu dumm, zu nah an Mutters Rockschößen.«

»Und das haben sie dir durchgehen lassen?«

»Ich war erstes Mädchen nach drei Jungen. War verwöhnt.« Ein stolzes Lächeln. »Ein Tag mein Vater kommt und sagt: Miaoling, du heute schön machen. Doktor aus Amerika kommt und sieht nach Augen von Alten.«

»Grauer Star.«

»Ja. Mein Vater sagt, vielleicht will verrückte amerikanische Doktor ja verrücktes chinesisches Weib, das auf niemanden hört. Natürlich ich sofort beschlossen, nix mögen Amerikaner.«

Ria kicherte, die Geschichte zog sie noch genauso in ihren Bann wie als Kind.

»Dann Großvater kam zum Essen. Und ich trug braunes Kleid, extra hässlich, und hässliche braune Schuhe.« Rias Großmutter strich ihr übers Haar, von dem sie einst gesagt hatte, es sei wie chinesische Seide, habe aber die satte schokoladenbraune Farbe eines vollkommen anderen Kulturkreises. »Doch Doktor ist schön. Schöne grüne Augen und schönes blondes Haar. Und ist nett. Lacht mich ganzen Abend still an. Merkt genau, was ich mache.«

»Er hat dich aber dennoch gefragt, ob du ihn heiraten willst.«

»Nach einer Woche. Und verrückte Miaoling sagen ja, und wir kommen nach Amerika.«

»So schnell«, sagte Ria kopfschüttelnd. »Hattest du denn keine Angst?«

»Pah, warum Angst? Wenn verliebt, keine Angst. Nur Ungeduld.«

»Sag es nicht, Popo!«

Doch es war schon zu spät. »Ungeduld zu benutzen weibliche Körperteile!«

Emmett verbarg sein Grinsen hinter der Teetasse. Seine Ohren waren leopardenscharf. Er hatte alles gehört, was Rias Großmutter gesagt hatte – und, verdammt und zugenäht, er war schon echt verliebt in die alte Dame! Kein Wunder, dass Rias Großvater die Frau geheiratet hatte.

Beim Aufschauen sah er den Ausdruck auf Alex’ Gesicht, als ihr Mann sie in die Arme schloss. Hinter dem Getöse, das sie machte, verbarg sie ihre ehrliche Sorge um Ria. »Ihrer Tochter wird niemand mehr etwas tun«, sagte er leise und erhob sich.

Alle sahen ihn lange an, dann nickte Rias Vater Simon. Doch er sagte: »Meine Tochter ist nichts für Sie. Ria ist bereits vergeben.«

Emmett hob eine Augenbraue. »Sie trägt keinen Ring.« Und wenn so ein Blödmann zu dumm war, die Gelegenheit zu ergreifen, um seine Ansprüche geltend zu machen, war das nicht Emmetts Problem.

»Wird sie schon bald«, sagte Simon. »Wir sind seit Jahren mit Toms Familie, den Clarks, befreundet. Der Heiratsantrag ist nur noch eine Formsache.«

Emmett hörte immer noch Ria und ihre Großmutter im Bad kichern. Beide hatten in der Diskussion um den Gebrauch von »weiblichen Körperteilen« keinen Tom erwähnt. Der Leopard grinste katzengleich zufrieden in sich hinein, doch als Mann zeigte er keinerlei Regung. »Es kommt mir nicht so vor, als sei bei Ihrer Tochter bereits alles abgemacht. Sie wird ihre eigene Wahl treffen.« Wobei er natürlich dafür sorgen würde, dass die Wahl auf ihn fiele, aber das musste er ihren Eltern ja nicht auf die Nase binden. Noch nicht jedenfalls.

Nach einer kurzen Besprechung mit dem Alphatier der DarkRiver-Leoparden und einer Reihe von Kameraden rieb sich Emmett zwei Stunden später die brennenden Augen, als Nathan ihm noch ein Bier ausgab. »Ich muss nach Hause, eine Runde schlafen.«

»Entspann dich erst mal«, sagte der Wächter, der einen der höchsten Ränge im Rudel bekleidete. »Den ganzen Abend warst du angespannt wie ein schussbereiter Bogen. Ist alles in Ordnung mit dem Mädchen, das angegriffen wurde?«

»Ja.« Emmett wollte mit niemandem über Ria sprechen. Schon gar nicht heute Abend. »Was hat Luc noch mal über die Medialen gesagt?« Gestaltwandler und die gefühlskalte Gattung kamen sich selten in die Quere, doch nach dem, was er heute mitbekommen hatte, könnte es diesmal dazu kommen.

Nate trank einen Schluck. »Du weißt ja, wie dominant sie in der Politik sind. Nach unseren Informationen könnten sie sogar versuchen, die Rotte selbst zu neutralisieren.«

»Warum? Die scheren sich doch einen Dreck um tote Menschen oder Gestaltwandler.« Der einzige Grund, warum die Medialen weiterhin an der Macht blieben, war ihre Fähigkeit, Reichtum zu scheffeln, von dem dann und wann auch etwas für die Wähler abfiel. Mal abgesehen davon, dass Konkurrenten um politische Posten für gewöhnlich auch schnell von der Bildfläche verschwanden, weil plötzlich irgendein Skandal auftauchte.

»Wir treten ihnen in letzter Zeit immer häufiger auf die Füße«, sagte Nate. »Mediale haben gerne immer und überall die Situation im Griff.«

»Dann sollten wir schnell handeln.«

»Ein wenig Zeit bleibt uns noch.« Nate stellte sein Bier ab. »Offensichtlich sind nicht alle Entscheidungsträger der Medialen überzeugt davon, dass wir wirklich eine Bedrohung darstellen.«

Emmett schnaubte. »Die nehmen auch nichts wahr, was sich außerhalb ihres Elfenbeinturms befindet, oder?

»Menschen und Gestaltwandler tauchen auf ihrem Radar kaum auf.« Nates Lächeln war mehr als zufrieden. »Und während sie damit beschäftigt sind, sich zu überlegen, ob sie sich überhaupt um uns kümmern sollen, übernehmen wir die Stadt.«

Emmett hob die Flasche und prostete ihm zu. »Auf unseren Erfolg.« Doch er dachte dabei weniger an die Übernahme der Stadt durch die Leoparden als an seinen eigenen Erfolg. Komm, kleiner Nerz, spiel mit mir.

Ria lag seufzend im Bett. Seit sie zu Hause angekommen war, hatte die Familie sie halb tot gekost und umsorgt. An anderen Tagen hätte sie das verrückt gemacht. Heute hatte es ihr gut getan, so von Liebe umhüllt zu werden.

Wärme und Geborgenheit.

Sie entspannte sich, als ihr einfiel, wie es sich angefühlt hatte, zusammengerollt auf Emmetts Schoß zu sitzen. Noch nie zuvor hatte sie bei einem Mann auf dem Schoß gesessen. Die meisten Jungen, die es gewagt hatten, den Spießrutenlauf bei ihrer überbesorgten Familie auf sich zu nehmen, um mit ihr auszugehen, waren nette Jungs aus der Nachbarschaft gewesen. Gegen die war eigentlich nichts einzuwenden. Doch sie war nun mal mit einem Vater aufgewachsen, der mit erbitterter Leidenschaft für die Seinen sorgte, und einem älteren Bruder, der einen ähnlich stark ausgeprägten Beschützerinstinkt hatte. Die beiden hatten die netten Jungs zum Frühstück verspeist.

Ria träumte von einem Mann, der stattdessen mal die beiden ordentlich durchrüttelte!

Sie drückte das Kissen an sich und lächelte über diesen Gedanken. Man hätte meinen können, sie würde ihre Familie nicht mögen. Was der Wahrheit keinesfalls nahekam. Doch etwas überwältigend waren sie schon. Sie überrollten einfach alles. Und wie sollte sie einen Mann respektieren, der sich überrollen ließ?

Morgen komme ich wieder und sehe nach Ihnen.

Das hatte Emmett vor den Augen ihres Vaters gesagt.

Sie bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn diese großen, starken Hände über ihre Haut strichen, heiß und …

Ihr Handy läutete. Sie stöhnte, als sie die Nummer erkannte.

Tom.

Seufzend wollte sie gerade das Gespräch annehmen, doch der kleine Teufel in ihr stellte das Handy einfach aus. An Tom war nichts auszusetzen, bis auf seinen Wunsch, sie zu heiraten. Ihr Vater mochte Tom. Selbst Alex mochte ihn. Ria hatte auch kein Problem mit Tom. Sie wollte ihn nur nicht heiraten. Oh nein! Sie träumte von einer Liebesgeschichte, wie ihre Großmutter sie erlebt hatte – und Miaoling war auch die Einzige in der Familie, die Ria beim Widerstand gegen die »großartige Verbindung« unterstützte.

Aus der Sicht von Alex und Simon war die Verbindung tatsächlich großartig. Tom hatte ebenso wie sie teilweise chinesische Vorfahren. Er war ebenso wie sie in den Vereinigten Staaten aufgewachsen und vertrat einen westlichen Lebensstil, ohne sein Erbe der anderen Kultur zu vergessen. Und das Schönste daran war, dass die Clarks und die Wembleys schon Freunde gewesen waren, noch bevor Tom und Ria geboren waren.

Es war perfekt.

Nur würde Tom nie mit ihr über einen Witz lachen, den nur sie beide verstanden, wie es Großvater mit Großmutter getan hatte. Er würde sie nicht mit sanfter Leidenschaft umarmen wie Simon Alex, wenn er glaubte, dass niemand es sah. Und er würde nie einen Streit mit ihr anfangen, nur um sich dann wieder zu versöhnen, wie Jet es bei Amber machte.

Warum sah denn niemand, dass sie auch nur dasselbe wie alle anderen wollte? Ihr ganzes Leben war sie zufrieden gewesen, nicht ebenso im Rampenlicht zu stehen wie Jet und der etwas jüngere Ken. Die mittlere der Geschwister zu sein war irgendwie ganz schön – es brachte ihr das Beste beider Welten und eine enge Beziehung zu beiden Brüdern. Doch bei ihrem Mann, in der Ehe, wollte sie die Nummer eins sein.

»Schlaf jetzt, Ria«, flüsterte sie sich beruhigend zu, denn sie wusste, dass sie sich in solchen Gedanken verlor, weil sie sich vor Albträumen fürchtete.

Doch als sie schließlich einschlief, landete sie nicht in einem Albtraum … sondern in den starken Armen eines Mannes mit grünen Raubkatzenaugen.

Am nächsten Morgen starrte Emmett finster in den Badezimmerspiegel. Kaum zu glauben, dass Ria nicht schreiend davongelaufen war, als er sie in die Arme genommen hatte. Sie war so zart und weich, eine satte Handvoll Frau. Er dagegen sah aus, als wäre er gegen eine ganze Anzahl Fäuste und Mauern gelaufen. Das mit den Fäusten stimmte, obwohl wie bei allen Gestaltwandlern der Schaden längst geheilt war. Im Spiegel sah er nur das Gesicht, mit dem er auf die Welt gekommen war. Noch nie hatte ihn sein Aussehen groß gekümmert, doch nun rieb er sich das stoppelige Kinn und beschloss, sich verdammt noch mal zu rasieren, bevor er bei Ria aufkreuzte.

Nach Rasur und Dusche war er sauber, sah aber immer noch wie ein Strolch aus, als er an ihrer Haustür klopfte. Nicht annähernd so hübsch wie der Junge, der gerade mit einem großen Rosenstrauß die Auffahrt heraufschlenderte.

Scheiße.

Warum zum Teufel hatte er nicht an Blumen gedacht?

»Hallo«, sagte der Junge mit elitärem Tonfall. »Ich heiße Tom.«

Emmett streckte die Hand aus. »Emmett.«

»Simon hat mir bereits am Telefon von Ihrer Heldentat berichtet«, sagte Tom mit einem freundlichen Lächeln, das aber nicht verbergen konnte, dass er Emmett taxierte. »Sie haben Ria gestern Abend geholfen.«

»Sind Sie ein Freund der Familie?«, fragte Emmett, nur um zu hören, was Tom darauf antwortete, als sich die Tür öffnete.

»Nein, er ist der Verlobte meiner Tochter«, sagte Alex und zog Tom am Revers heran, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.

Emmett sah Tom an. »Von Ringen halten Sie nichts?«

»Es ist noch nicht offiziell.« Tom klang ruhig und selbstsicher, vollkommen überzeugt von seinem Anrecht auf die Tochter des Hauses.

Emmett lächelte nicht, doch der Leopard in ihm schnappte bereits mit den Zähnen. Dieser menschliche Bengel würde schon lernen, dass Leoparden einen Anspruch nur anerkannten, wenn die Frau diesem zugestimmt hatte. Und Ria fühlte sich nicht an diesen Kerl gebunden. Selbst wenn Emmett das Gespräch mit der Großmutter nicht mitbekommen hätte, deutete nichts in Rias Verhalten auf eine Bindung hin. Sie roch nicht nach Tom … und sie hatte Emmetts Umarmung nicht abgewehrt.

Doch er sagte nichts von alledem und wandte sich stattdessen an Alex. »Könnte ich Ria sprechen?«

»Warum denn?« Alex kniff die Augen zusammen, während sie Tom ins Haus zog und gleichzeitig die Hand auf den Türrahmen legte, um Emmett den Eintritt zu verwehren.

»Ich muss wissen, ob ihr noch mehr zum Tathergang eingefallen ist.« Emmetts Leopard erkannte einen ebenbürtigen Widersacher sofort. Alex war eine furchterregende Bärin, die ihr Junges schützte. Aber Emmett hatte im Rudel bereits mit mehreren von der Sorte zu tun gehabt. »Das würde uns helfen, die Straßen sicherer für alle anderen Töchter zu machen.« Nein, er war sich nicht zu schade, auch emotionale Erpressung zu benutzen, um ins Haus zu gelangen.

Alex ließ die Hand sinken. »Hmm. Kommen Sie rein – aber wenn Sie Ria zu sehr aufwühlen, werde ich Sie persönlich windelweich schlagen.«

»So zerbrechlich bin ich nicht, Mom.« Rias vertraute Stimme erklang, und ihr vertrauter Geruch lag nun in der Luft – zart und frisch, aber mit einem Hauch von Würze.

Er sog die verschiedenartige Witterung ein. Der Leopard war auf der Hut, als Ria ihre Mutter umarmte und dann Tom die Blumen abnahm. Kein Kuss. Sehr gut! Die Krallen kratzten an Emmetts Haut, wollten nach draußen, wollten zerstören. Der hübsche Tom mit dem glatten Haar und der makellosen Haut machte den Leoparden zornig.

»Emmett.« Ria sah ihn an, große braune Augen, dichtes ebenso braunes Haar. »Wir können uns im Wohnzimmer unterhalten.«

Er nickte, Alex nahm die Rosen an sich. »Ich stell den Strauß ins Wasser. Tom kann sich zu euch setzen und dir moralische Unterstützung geben.«

»Wenn ich es recht überlege …«, begann Ria. Alex erstarrte mitten in der Bewegung. »Eigentlich hätte ich mehr Lust auf einen Spaziergang«, fuhr Ria fort, »dann könnte ich auch Emmett gleich zeigen, wo der Kerl mir aufgelauert hat. Ach, übrigens Tom: Großmutter möchte mit dir reden.«

Innerlich grinsend über die geschickte Art, wie Ria sämtliche Möglichkeiten bis auf die von ihr gewünschte ausgeschlossen hatte, trat Emmett aus der Tür und wartete, bis Ria sich zu ihm gesellte. »Setzen Sie sich öfters so geschickt durch?«, fragte er, als sie zusammen fortgingen.

»In meiner Familie muss man eine starke Persönlichkeit entwickeln«, sagte sie mit einem Anflug von Lächeln. »Das ist ein Überlebensmechanismus.« Sie griff in ihre Manteltasche und zog ein gefaltetes Stück Papier heraus. »Die Kontonummer.«

»Danke.« Er sah finster auf die blauen Flecken in ihrem Gesicht, die das Make-up nicht verdecken konnte. »Zeigen Sie mir Ihre Hände.«

Sie hielt die Handflächen nach oben. »Heilen gut.«

»Der Scheißkerl liegt im Koma«, grummelte Emmett und sah sich die Hände genauer an. Dem Leoparden gefiel es nicht, sie so gezeichnet zu sehen. Dem Mann noch weniger. »Kennen Sie einen Medialen, mit dem wir reden könnten?«

»Tja«, sagte sie, als er sich schließlich dazu überwunden hatte, ihre Hände loszulassen. »Die Steuerberaterin meiner Mutter ist Mediale, aber ich glaube kaum, dass Ms Bhaskar sich mit Verhören auskennt.«

»Schade.«

»Also, gestern Abend …«

»Können Sie wirklich schon darüber reden?« Er sah auf sie hinunter. »Wenn es zu schlimm ist, können wir das Gespräch auch ein paar Tage aufschieben.«

Leichter Ärger schien in ihren Augen auf. »Und was ist mit dem Vorhaben, die Straßen für alle Töchter sicherer zu machen?«

»Das ist wichtig«, gab er zu. »Die Bande, Vincents Rotte, ist eine Gefahr. Wenn wir sie nicht bald aus der Stadt vertreiben, verlieren wir das Anrecht auf unsere Stellung in der Stadt.«

»Tatsächlich?« Auf Rias Stirn erschienen Falten. »Warum denn?«

»Dabei geht es um Macht«, sagte er. »Ein Raubtierrudel kann nur ein Territorium beanspruchen, welches es auch halten kann – was nichts anderes heißt, als dass es in der Lage sein muss, andere Raubtiere daraus fernzuhalten. Die Rotte stellt unsere Autorität infrage. Ein anderes Rudel könnte dadurch auf den Gedanken verfallen, wir hätten kein Recht auf das Revier.«

»Was zu Blutvergießen führen würde«, sagte sie in ernstem Ton. »Die SnowDancer-Wölfe?«

»Sind gefährlich«, bestätigte er. »Doch sie haben schon ein recht großes Territorium. Unseren Informationen nach verfügen sie nicht über genügend Leute, um uns zu vertreiben.«

»Doch sie sind nicht die Einzigen, nicht wahr?« Ria schob die Hände in die Taschen des leuchtend roten Mantels und wies mit dem Kopf nach links. »In dieser Gasse hat er mich gepackt. Auf meinem Nachhauseweg von der Abendschule. Es war die Abschlussstunde.«

»Warum waren Sie allein?«, fragte er mit einem leichten Knurren in der Stimme. »Es war doch schon dunkel.«

»Gerade erst acht Uhr.« Wieder stieg Ärger in ihr hoch – Emmett zeigte schon ähnlich überbehütende Tendenzen wie ihre Eltern. »Und ich bin erwachsen, falls Sie das noch nicht bemerkt haben.«

Ein überraschtes Blinzeln. »Das habe ich sehr wohl bemerkt.«

3

Hitze breitete sich von ihrem Magen in sämtliche Glieder aus, gleich würde sie einen roten Kopf bekommen. »Dann lassen Sie das gönnerhafte Getue.« Sie nahm ihren Mut zusammen und sah in diese unglaublich faszinierenden Augen. »Außerdem war ich nicht unvorsichtig. Eine Menge Leute waren um diese Zeit noch unterwegs zu den Restaurants oder kehrten gerade von der Arbeit nach Hause zurück. Dieser menschliche Abschaum hat sich auf mich gestürzt, als gerade zufällig niemand in der Nähe war.«

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