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Dieses E-book beinhaltet folgende Romane: Das Geheimnis des Tempels Die Gruft des bleichen Lords Zwei Romantic Thriller von Alfred Bekker - zweimal Liebe, die dem Grauen begegnet. Phantastisch, übersinnlich, romantisch. Eine Reporterin sieht ihren eigenen Tod voraus - und gelangt in den Tempel der Unendlichkeit. Eine junge Frau gerät in den Bann okkulter Mächte, als sie die Stellung als Verwalterin eines Landguts antritt – und der geheimnisvolle bleiche Lord wirft seinen dunklen Schatten auf sie...
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Seitenzahl: 223
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Dunkler Zauber
Zwei Romantic Thriller
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173875
Cover
Titel
Impressum
Das Geheimnis des Tempels
Die Gruft des bleichen Lords
Mein Puls raste und eine Gänsehaut bedeckte meine bloßen Unterarme.
Ich fröstelte und fühlte mich wie lebendig begraben. Schier unmenschliche Kälte kroch mir den Rücken hinauf, und ich zitterte leicht.
Vor mir lag ein hohes, düsteres Gewölbe aus kaltem Stein, das sich unendlich lang hinzuziehen schien. An den Wänden befanden sich steinerne Schalen, aus denen Flammen emporzüngelten, die alles in ein eigenartiges, fast gespenstisches Licht tauchten. Schatten tanzten an den Wänden wie böse Geister.
Auf beiden Seiten des Gewölbes befanden sich mehr als ein Dutzend einander gegenüberliegende offene Tore, durch die etwas Weißes, Kaltes hereinströmte, das wie ein schweres Gas über den Boden kroch.
An was für einen Ort war ich hier nur geraten … Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Einen Augenblick später warf ich einen Blick durch eines der Tore und musste unwillkürlich schlucken. Dort schien buchstäblich nichts zu sein. Nur namenlose Finsternis, viel schwärzer als die Nacht.
Und Kälte.
Ein eisiger Hauch kam von dort draußen herein und ließ mich bis ins Mark erschauern.
"Sehen Sie sich ruhig alles genau an!", hörte ich hinter mir eine schneidende Frauenstimme, deren Klang so eisig war, wie der gespenstische Nebel, der um meine Beine herumwaberte. Ich wirbelte herum und blickte in das Gesicht einer Frau von Mitte dreißig.
Sie hatte rabenschwarzes Haar und ihr Gesicht war trotz des weichen Lichts, das in diesem Gewölbe herrschte, blass wie das einer Toten. Ein feingeschnittenes, hübsches Gesicht, das mich erstaunt ansah. Ihr Mund war halb geöffnet, die blauen Augen musterten mich eingehend.
Der kalte Hauch, der aus den finsteren Toren heraus blies bewegte den roten Umhang ihres dunklen Kleides hin und her. Sie kam auf mich zu und ihr Gesicht veränderte sich. Es wurde wurde hart und mitleidlos.
Sie deutete auf eines der Tore.
"Sehen Sie ruhig hinaus!", wies sie mich an und der Klang ihrer Stimme klirrte wie Eis.
Ihr Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck höhnischen Triumphs.
Ich wandte halb den Kopf und blickte in die Schwärze, die jenseits der Tore herrschte …
"Was ist dort?", flüsterte ich tonlos.
"Dort wartet der Tod auf Sie, Miss Hollister!", sagte die Frau im roten Kleid kalt lächelnd.
Ich war unfähig, irgend etwas zu erwidern und schluckte nur. Instinktiv ahnte ich jedoch, dass mein Gegenüber die Wahrheit sprach und diese Erkenntnis ließ mich schaudern.
"Sie werden sterben!", zischte die Frau und ihr Tonfall hatte etwas Schlangenhaftes, Kaltes.
Es war mehr als eine Drohung, die da über ihre Lippen kam. Fast klang es wie die Verkündung eines Urteils. Ein Sog erfasste mich dann. Unsichtbare Arme schien nach mir zu greifen und mich durch eines der Tore zu schleudern. Panik erfasste mich, als ich begriff, dass nicht die geringste Chance für mich bestand, mich zu wehren.
Es dauerte nicht länger als einen Augenaufschlag und ich war bereits dort, auf der anderen Seite eines jener Tore, hinter denen zweifellos die Kälte des Todes regierte. Ich fiel hinein in diese unendliche Schwärze. Es wurde kalt, kälter als in jedem Grab dieser Welt. Alles drehte sich, Schwindel erfasste mich und schiere Verzweiflung. Ich schrie aus Leibeskräften, obwohl ich tief in meinem Innern zu wissen glaubte, dass dieser Schrei von niemandem mehr gehört werden konnte.
Ein Schrei, verloren in der Unendlichkeit …
"Nein!"
*
Hände umfassten meine Schultern und schüttelten mich. Kerzengerade und schweißgebadet saß ich im Bett und hatte die Augen weit aufgerissen.
"Nein!"
"Brenda!"
Ich blickte in das besorgte Gesicht von Tante Bev, die auf meiner Bettkante saß und mich festhielt.
"Brenda, es ist alles gut!"
Ich atmete tief durch. Langsam realisierte ich, dass die schreckliche Szene, die ich so eben erlebt hatte, nur ein Traum gewesen war.
Nur …
Tante Bev nahm mich in den Arm und ich fühlte mich wieder wie ein kleines Kind. Nach dem frühen Tod meiner Eltern hatte meine Großtante Beverly Gatwick - ich nannte sie Tante Bev mich aufgenommen und wie eine eigene Tochter aufgezogen. Jetzt war ich sechsundzwanzig und arbeitete als Reporterin beim London City Observers. Aber noch immer wohnte ich bei Tante Bev, in deren alter, viktorianischer Villa ich die obere Etage für mich hatte.
"Brenda …", murmelte Tante Bev dann.
"Ja?"
"Erzähl mir, was du geträumt hast!"
Sie sah mich sehr ernst dabei an.
"Du meinst …"
"Ja!", unterbrach sie mich. Ich hatte eine leichte übersinnliche Gabe, die vielleicht ein Erbe meiner verstorbenen Mutter war. In Träumen, Tagträumen und Visionen konnte ich offenbar schlaglichtartig die Abgründe von Raum und Zeit zu überwinden. Lange hatte ich mich dagegen gewehrt, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich über diese Gabe verfügte aber inzwischen hatte ich begriffen, dass ich lernen musste, damit umzugehen. Es gab Dinge, die mit den Methoden der Naturwissenschaft bislang nicht zu erklären waren. Und diese mir selbst noch immer unheimliche Fähigkeit gehörte zweifellos dazu.
"Wie viel Uhr ist es, Tante Bev?", fragte ich.
"Fünf Uhr morgens."
"Ich glaube nicht, dass ich bis zum Morgen Schlaf finden werde."
"War es so …" Tante Bev zögerte, ehe sie ihren Satz vollendete. "So furchtbar?"
"Ja", erwiderte ich tonlos. Und dann erzählte ich ihr alles. Jede Einzelheit dieses grauenerregenden Alptraums, von dem ich wusste, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach etwas mit der Zukunft zu tun hatte.
Meiner Zukunft.
Zu oft hatte ich inzwischen erlebt, dass das, was ich in meinen Visionen sah, in der einen oder anderen Form schließlich Realität wurde.
"Ich habe meinen Tod gesehen!", hörte ich mich selbst mit belegter Stimme sagen.
*
Tante Bev hatte bereits mein Zimmer verlassen. Ich zog mir schnell etwas an. Etwas Praktisches: ein paar Jeans und eine Bluse. Dann folgte ich Tante Bev in die untere Etage, die einem eigentümlichen Kabinett glich. Ihr auf einer Forschungsreise seit Jahren verschollener Mann Franklin Gatwick war ein berühmter Archäologe gewesen, der von seinen zahlreichen Reisen allerlei Mitbringsel angehäuft hatte. So waren die Räume der Gatwick-Villa jetzt voller archäologischer Fundstücke, Artefakte bizarrer Kulte und anderen seltsamen Dingen. Schrumpfköpfe und uralte Totenschädel, die vor langer Zeit zu unaussprechlichen Ritualen verwandt wurden standen neben kleinen Steintafeln mit bislang nicht entzifferten Schriften. Onkel Franklin hatte ein Faible für das Ungewöhnliche gehabt und diese Begeisterung hatte sich auf seine Frau übertragen. Beverlys Steckenpferd war der Okkultismus und alle Arten übersinnlicher Phänomene, denen sie mit wissenschaftlicher Akribie nachging. Tante Bev war eine Sammlerin. Sie sammelte alles, was sie zu diesen Bereichen in die Hände bekommen konnte, angefangen von Zeitungsartikeln, die sie sorgsam archivierte bis hin zu entlegenen, oft nur in Privatdrucken mit geringer Auflage erschienenen Schriften, in denen magische Praktiken, geheime Rituale und okkultes Wissen vermittelt wurde. Uralte staubige Folianten reihten sich in der Bibliothek aneinander, manche davon hatte Tante Bev selbst in mühevoller Kleinarbeit aus einzelnen Fragmenten restauriert. Vermutlich hatte sie das größte Okkultismus-Archiv in ganz England. Natürlich war ihr nur zu gut bewusst, dass gerade auf diesem Gebiet sich eine Unzahl von Betrügern und Geldschneidern tummelte, die nichts anderes im Sinn hatten, als die Sehnsucht der Menschen, mehr über das Unerklärliche zu wissen, schamlos ausnutzten.
Aber sie war überzeugt davon, dass es einen Rest gab, bei dem es sich wirklich um Phänomene handelte, die mit den Mitteln der heutigen Wissenschaft entweder überhaupt nicht oder nur unzureichend zu erklären waren.
Und diesen Dingen galt ihr Interesse.
Als ich die Treppe hinunterging, grinste mich das groteske Gesicht eines hölzernen Totems an, der an der Wand hing. Mir konnte dieses Gesicht schon lange keinen Schrecken mehr einjagen. Schließlich war ich es gewohnt, in dieser Villa zu leben, die eine eigentümliche Mischung aus Geisterbahn und Museum darstellte.
Tante Bev hatte inzwischen Tee aufgesetzt und im Esszimmer für das Frühstück gedeckt.
"Eigentlich ist es mir nicht recht, dass du dir auch die Nacht um die Ohren schlägst", meinte ich. Aber Tante Bev lächelte nur.
"In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel Schlaf, mein Kind."
Ich sah sie an und sie erwiderte meinen Blick. Für einen Moment schwiegen wir beide.
Dann sagte ich: "Ich habe Angst, Tante Bev!"
"Ich weiß, Brenda!"
"Ich frage mich die ganze Zeit über, was das nur für ein Ort gewesen ist, an dem ich mich in meinem Traum befunden habe …"
"Glaubst du, es gibt dieses Gewölbe wirklich?"
"Ja", erwiderte ich. "Ich bin überzeugt davon …" Ich murmelte fast wie in Trance vor mich hin. "Irgendwo … tief unter der Erde … Sehr tief!"
"Rede weiter, Brenda!", forderte Tantre Bev. "Folge dem Strom deines Bewusstseins …"
Für einen Moment schloss ich die Augen, um die Szene noch einmal zu vergegenwärtigen.
Aber es gelang mir nicht. Die Bilder vor meinem inneren Augen waren blass und unscharf. Nur die eisige Kälte aus dem Bereich jenseits der düsteren Tore war in diesem Augenblick wieder derart real für mich, dass sich eine leichte Gänsehaut über meine Unterarme zog.
Ich schüttelte den Kopf und öffnete die Augen.
"Es hat keinen Sinn", sagte ich.
"Sei vorsichtig, Brenda!", entgegnete Tante Bev und ich nickte leicht.
"Ja, ich weiß."
"Betrachte diesen Traum als Warnung."
"Das werde ich."
Ich fühlte mich furchtbar. Wie ein Boxer, den man gezwungen hatte, mit verbundenen Augen in den Ring zu steigen, nachdem er einen kurzen Blick auf seinen Gegner werfen durfte und der nun die Schläge seines Gegners erwartete.
"Ich weiß nicht, ob es wirklich eine Gabe ist, worüber ich verfüge", meinte ich dann seufzend zu Tante Bev.
"Kind …"
"Es ist ein Fluch!"
*
Der Mann hieß Jack Balmore, war Mitte dreißig, Mitinhaber einer Werbeagentur und beruflich immerhin so erfolgreich, dass er sich ein Penthouse leisten konnte. Es war weit nach Mitternacht und und er schlief noch immer nicht, obwohl er einen harten Tag hinter sich hatte.
Aber da war eine seltsame Unruhe, die ihn erfasst hatte und die ihn keinen Schlaf finden ließ. Er goss sich einen Drink ein und führte das Glas zum Mund. Aber er trank nicht. Balmore zögerte.
Tu es!
Er hatte diesen Gedankenimpuls schon einmal registriert, als er am Abend in seine Wohnung gekommen war.
Balmore schluckte und fühlte, wie sein Puls schneller ging. Er ahnte, dass etwas Furchtbares geschehen würde. Etwas, das er selbst niemals gewollt hätte. Und doch … Gegen den Impuls konnte er sich nicht wehren.
Tu es … jetzt!
Es war ihre Stimme, die er in seinem Innern hören könnte. Die Stimme der ERLEUCHTETEN. Sein Blick ging zu dem goldumrahmten Foto an der Wand, das ihr Gesicht zeigte. Dunkelhaarig war sie und ihre blauen Augen schienen ihn geradewegs anzusehen. Ein hübsches Gesicht.
Über Tausende von Kilometern stand er mit ihr in geistiger Verbindung und sie gab ihm Kraft. Aber diesmal war es nicht das wohlige Gefühl neuer Energie, das ihn durchströmte. Diesmal war es etwas anderes, düsteres …
Ihm schauderte.
Sein Gesicht wurde blass, als er erkannte was er tun sollte.
"Nein", flüsterte er tonlos, in der Gewissheit, dass jeglicher Widerstand zwecklos war.
Ein fremder Willen schien seinen Körper jetzt zu lenken. Balmore setzte sein Glas auf dem kleinen Wohnzimmertisch ab und ging zum Fenster und öffnete es. Das fluoreszierende Leuchten, das ihn wie eine eigenartige Aura umgab, bemerkte er nicht. Er blickte in die Tiefe. Selbst um diese Zeit herrschte dort unten immer noch Leben. Nachtlokale, Diskotheken und einige Theater machten dort mit greller Leuchtreklame auf sich aufmerksam. Dazu einige etwas ausgefallene Restaurants und Bars. Männer im Smoking und Damen in feiner Abendgarderobe kehrten schlendernd zu ihren Wagen zurück oder warteten auf ein Taxi, das sie nach Hause bringen sollte.
Jetzt!
Balmore lehnte sich hinaus in die Dunkelheit, setzte einen Fuß auf die niedrige Fensterbank und sprang.
Die Menschen unten sahen eine eigenartig leuchtende Gestalt sich gegen den Nachthimmel abheben, die wie ein Stein zu Boden fiel.
*
Als ich am Morgen das Großraumbüro der Redaktion des London City Observers betrat, lief mir Jim Allenby über den Weg. Jim war Fotograf und arbeitete häufig mit mir zusammen. Wir waren im selben Alter und insgeheim war er wohl auch ein bisschen in mich verliebt.
Wir waren ein gutes Team, aber kein Liebespaar. Und auch wenn Jim sich das insgeheim anders wünschen mochte, würde sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern. Der unkonventionelle, etwas jungenhaft verspielt wirkende Jim mit seinen etwas zu langen blonden Haaren und der zerschlissenen Jeans, die fast schon Museumscharakter hatte, war einfach nicht der Typ Mann, von dem ich träumte.
Er lachte mich an und wischte sich mit einer beiläufigen Handbewegung ein paar blonde Strähnen aus dem Gesicht. Ich bemerkte, dass an seinem Hemd ein Knopf fehlte. Das Revers seines bereits etwas abgewetzten Jacketts war durch die Kameras, die er um den Hals zu tragen pflegte, derart verknittert, dass es wohl nie wieder in Form zu bringen sein würde.
"Na, die Nacht durchgezecht?", fragte er und zwinkerte mir dabei zu.
"Wieso?"
"Na, die Ringe unter deinen Augen."
"Und ich dachte, ich hätte mir viel Mühe damit gegeben, sie wegzuschminken!"
Er machte ein Gesicht, in dessen Zügen gespielte Anerkennung stand. Dann musterte er mich und verengte dabei die Augen zu schmalen Schlitzen.
"Hm, doch … Die Augenringe dürften nur noch den wenigen Experten auf der Welt auffallen, die über ein ähnlich geschultes Fotografenauge verfügen wie …"
"Wie du?" Ich hob die Augenbrauen.
"Sicher!"
"Dass ich nicht lache! Aber als Gentleman übersieht man solche Sachen wie Augenringe tunlichst - auch wenn man über einen derartigen Wunderblick verfügt!"
Wir lachen beide.
Er hatte immer eine witzige Bemerkung auf der Zunge und den Schalk förmlich im Nacken. Und auch jetzt hatte er mich zumindest kurzzeitig aus den düsteren Gedanken herausgerissen, die mich seit dem nächtlichen Alptraum beherrschten.
Geräuschvoll öffnete sich in diesem Moment die Tür zum Büro des Chefredakteurs. Breitschultrig und hemdsärmelig stand Martin T. Blackstowe da und ließ den Blick über die Schreibtische und Computerbildschirme des Großraumbüros schweifen, bis er uns gefunden hatte.
"Brenda! In mein Büro!", rief er. So war er nunmal. Etwas grantig und ohne Umschweife gleich zur Sache kommend. Aber im Grunde war er ein netter Kerl, auch wenn er die Angewohnheit hatte, jedermann möglichst vom Gegenteil zu überzeugen. Er hatte sich bereits umgedreht, da rief er noch. "Und bringen Sie Mr. Allenby gleich mit!"
*
Auf Martin T. Blackstowes Schreibtisch herrschte heilloses Durcheinander. Manuskriptstapel schwangen sich in schwindelerregende Höhen auf und jedesmal, wenn der Chef des London City Observers nach irgend etwas suchte, erwartete man, dass einer dieser Stapel zu Boden stürzte.
"Guten Morgen, Brenda! Guten Morgen, Mr. Allenby! Ich hoffe Sie beide sind ausgeschlafen und fit!"
"Nun", meinte Jim gedehnt, aber Blackstowe war an seiner Antwort gar nicht interessiert. Wenn jemand beim Observer arbeitete, dann ging Blackstowe einfach davon aus, dass man zu jeder Tages und Nachtzeit Höchstleistungen von ihm erwarten konnte. Blackstowe erwartete das im übrigen auch von sich selbst, auch wenn er ständig über Stress und Überarbeitung klagte. Im Grunde brauchte er diese Belastung allerdings wohl. Der Observer, das war sein Lebenswerk. Und dafür war er bereit, alles einzusetzen.
"Gleich zur Sache", meinte Blackstowe, ganz so, wie es seinem Charakter entsprach. "Heute Nacht haben weltweit mehrere Dutzend Mitglieder einer obskuren Sekte Selbstmord begangen, die sich selbst DIE ERLEUCHTETEN DER UNENDLICHKEIT nannten. Haben Sie von denen schon einmal gehört, Brenda?"
"Nein", erwiderte ich.
Blackstowe zuckte die Achseln.
"Hätte ja sein können. Schließlich sind Sie ja auf diesem Gebiet ein wenig zur Expertin geworden."
"Tut mir leid."
"Solche Massenselbstmorde sind ja inzwischen leider nichts allzu Ungewöhnliches mehr. Das hat es schon öfter gegeben. Aber an diesem Fall sind mehrere Dinge doch sehr merkwürdig. Erstens starben alle exakt zum selben Zeitpunkt. Auf die Minute genau …"
"Und zweitens?", fragte Jim etwas ungeduldig, wofür er von Blackstowe einen tadelnden Blick erntete.
"Zweitens scheint es sich durchweg um ziemlich vermögende Damen und Herren zu handeln, die darüber hinaus die ERLEUCHTETEN DER UNENDLICHKEIT zum Erben ihres Vermögens eingesetzt haben. Hier in London gab es übrigens auch einige dieser Fälle …"
"Befasst sich Scotland Yard mit der Sache?"
"Ja, Brenda. Und ich habe Ihnen auch gleich einen Termin bei dem zuständigen Inspektor besorgt, der zufällig ein alter Schulfreund von mir ist …" Blackstowe sah auf die Uhr. "Wenn Sie sich beeilen, komme Sie noch pünktlich! Selbst bei dem Verkehr um diese Zeit!"
*
Inspektor Julian Dawson hatte ein Gesicht wie aus Granit. Er musste in Blackstowes Alter sein, machte aber den Eindruck als hätte er bereits sehr viel mehr in seinem Leben erlebt und es nicht hinter dem Schreibtisch eines Redaktionsbüros verbracht. Sein Haar war für sein Alter noch sehr voll. Er trug es kurz. Seine blauen Augen hatten etwas Melancholisches.
Ich traf Dawson zum ersten Mal, hatte aber schon einiges über ihn gehört. Demnach hatte er eine Bilderbuchkarriere hinter sich, die dann irgendwann ziemlich abrupt wegen einer dunklen Geschichte abgebrochen war, über die nie etwas Näheres an die Öffentlichkeit drang. Jedenfalls hatte man ihn nicht mehr befördert und nur noch mit den Fällen betraut, bei denen es keinen Ruhm zu ernten gab oder die von vorn herein aussichtslos waren.
Er gab Jim und mir die Hand.
Dann bot er uns einen Platz in seinem spartanisch eingerichteten Büro an.
"Ich freue mich, Sie kennenzulenen, Miss Hollister. Und ehrlich gesagt, ich hoffe auch ein bisschen auf Ihre Hilfe …"
"Meine Hilfe?", echote ich.
"Ja."
"In wie fern?" Ich glaubte nicht, dass er das wirklich ernst meinte. Dennoch - ich war etwas überrascht und wusste nicht so recht, worauf er eigentlich hinauswollte. Seine blauen Augen musterten mich intensiv - so intensiv, dass es schon fast unangenehm war.
"Ich verfolge schon seit einiger Zeit Ihre Artikel im London City Observer. Sie schreiben oft über das, was man gemeinhin als ungewöhnliche Phänomene bezeichnet …"
"Ich weiß nicht, ob dem Wahn verfallene Sektenmitglieder, die sich gemeinsam umbringen in der heutigen Zeit noch ein ungewöhnliches Phänomen sind", erwiderte ich trocken. Über Dawsons Gesicht ging ein mattes Lächeln. Um seine Augenwinkel herum entstanden dabei ein paar Falten.
"Da haben Sie leider recht, Miss Hollister. Aber das meine ich auch nicht."
"Was dann?"
"Das werden Sie gleich begreifen, Miss Hollister."
"Ich bin gespannt!"
Dawson lehnte sich zurück. "Von einem der Selbstmorde gibt es Zeugen. Es geschah in der belebten Hamphire-Street, in der es einige Nachtlokale gibt, so dass selbst zu diesem Zeitpunkt ein paar Dutzend Menschen das Geschehen beobachtet haben. Ein Mann namens Jack Balmore stürzte sich aus dem Fenster seines Penthouses, dass er sich im übrigen erst vor kurzem gekauft und bar bezahlt hatte. Und all diese Zeugen bestätigen, dass er dabei von einer seltsamen Aura aus fluoreszierendem Licht umgeben war …"
"Vielleicht waren diese Zeugen schon reichlich betrunken!", meinte Jim. Aber Dawson schüttelte den Kopf.
"Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Es waren sogar zwei Polizisten darunter, die auf Streife waren …"
"Sie erwarten jetzt sicher keine Erklärung von mir", sagte ich daraufhin.
Dawson lächelte dünn.
"Nein. Aber ich weiß, dass Sie über eine exquisite Quelle verfügen, die vielen Ihrer Artikeln zu diesem Themenbereich zu Grunde liegt. Ihre Großtante soll über ein außerordentliches Privatarchiv auf diesem Gebiet verfügen …"
"Sie vermuten einen okkulten Hintergrund?", fragte ich zurück. "So eine Lichterscheinung kann alle möglichen - auch natürlichen - Ursachen haben …"
Dawson zuckte die Achseln. "Ich weiß, Miss Hollister. Aber diese Lichterscheinung ist auch letztlich nicht viel mehr als ein merkwürdiges Begleitphänomen. Sehen Sie, für mich stellen sich die Tatsachen so da: In der ganzen Welt sterben exakt zur selben Minute Menschen, die folgendes gemeinsam haben: Sie sind vermögend, sie glauben daran, mit einer so genannten ERLEUCHTETEN geistig verbunden zu sein und von ihr durch mentale Impulse Kraft zu bekommen und sie bestimmten, dass ihr gesamtes Vermögen nach ihrem Tod einer sektenähnlichen Organisation mit dem Namen DIE ERLEUCHTETEN DER UNENDLICHKEIT vermacht wird …"
"Sie glauben …"
"… auf jeden Fall nicht an einen Zufall! Eher schon daran, dass diese Organisation Geld brauchte."
"Was wissen Sie über diese Sekte?"
Dawson beugte sich vor und faltete die Hände. Er drehte dabei die Daumen umeinander. "Sie residiert irgendwo in Arizona am Rande der Gila-Wüste und scheint es tunlichst zu meiden, in die Schlagzeilen zu geraten. Immerhin besitzen wir ein Foto der so genannten ERLEUCHTETEN …"
"Kann ich es sehen?"
Ich war plötzlich ziemlich erregt und Dawson schien das zu bemerken. Zuerst er zog seine Augenbrauen zusammen, überlegte einen Moment und nickte dann. "Sicher", meinte er, griff in die Schublade seines Schreibtischs und legte dann ein Schwarzweiß-Foto auf den Tisch. "Alle Toten, die dieser seltsamen Selbstmordserie zugeordnet werden können, besaßen ein oder mehrere Bilder von ihr. Wahrscheinlich um den geistigen Kontakt aufrecht zu erhalten. Sie wissen, dass mentaler Kontakt über ein Foto eine gängige okkulte Praxis ist …"
"Ja, ich weiß."
"Für mich stellt sich nun die Frage, wie diese ERLEUCHTETE - sie heißt bürgerlich übrigens Carla Grayson - vielleicht all diese Menschen derart beeinflussen könnte, dass sie sich umbrachten. Hypnotische Befehle per Telefon oder über das Internet schließe ich aus, denn der erwähnte Jack Balmore besaß beispielsweise noch gar keinen Telefonanschluss, weil er sein Penthouse gerade erst bezogen hatte. Ich stehe vor einem Rätsel … Miss Hollister?"
Ich starte wie gebannt auf das Foto und nahm es dann an mich. Meine Hand zitterte dabei, so sehr ich mich bemühte, das zu meiden.
Ich schluckte.
Carla Grayson - die Frau auf dem Foto - hatte dunkles Haar und blaue Augen, die den Betrachter mit einer geradezu unheimlichen Intensität anzusehen schienen.
Sie ist es!, ging es mir schlagartig durch den Kopf. Carla Grayson ist die Frau aus meinem Traum … Die Frau, der ich in jenem unterirdischen Gewölbe begegnen werde, dessen Tore geradewegs in die Finsternis des Todes zu führen scheinen …
"Ist Ihnen nicht gut, Miss Hollister?", hörte ich Dawsons Stimme. "Sie sehen so blass aus."
*
Wir interviewten ein paar Zeugen, die Jack Ballmores Selbstmord in der Hampshire Street gesehen hatten. Sie schilderten uns alle sehr glaubhaft das seltsame Leuchten, das den amoklaufenden Mann umgeben hatte …
Im Archiv des Observers verbrachten Jim und ich den größten Teil des Nachmittags. Alles, was weltweit an Informationen verfügbar war, wurde hier gesammelt und geordnet.
Über die ERLEUCHTETEN DER UNENDLICHKEIT fanden wir allerdings nicht sehr viel. Das meiste waren Gerüchte, die einige Todesfälle von Personen betrafen, die der Sekte auf die eine oder andere Weise in die Quere gekommen waren. Ein paar mehr oder minder verschwommene Bilder der Sekten-Chefin Carla Grayson in Begleitung ihrer Anwälte illustrierten eine zehn Jahre alte Story, die in einer amerikanischen Zeitung gestanden hatte. Es ging dabei um dubiose Grundstücksgeschäfte der ERLEUCHTETEN. Der Prozess endete mit einem Vergleich und außer einer Bestätigung der Tatsache, dass diese Organisation über immense Finanzmittel verfügen musste, brachte dies keine neuen Erkenntnisse.
In einem Nebensatz war von einem gigantischen, mehrere Millionen Dollar teuren Tempel die Rede, den die Sekte irgendwo in der Wüste mit den Spendengeldern ihrer vermögenden Gönner und Mitglieder errichtet hatte. Auch davon gab es nur ein ziemlich verschwommenes Bild, das mit einem Teleobjektiv geschossen worden war.
"Viel ist das nicht", meinte Jim.
"Ich werde trotzdem heute heute Abend noch einen Artikel darüber schreiben müssen", seufzte ich.
"Vermutlich wird man nur vor Ort weiterkommen", war Jim überzeugt. "Wäre zumindest interessant, mal zu hören, was diese Carla Grayson zu diesem Massenselbstmord zu sagen hat …"
"Sicher!"
"Immerhin ist sie irgendwie mitverantwortlich", meinte Jim.
"Selbst wenn man sie nie dafür verurteilen wird … Aber wenn jemand Menschen derart beeinflusst, dass sie sich am Ende begeistert in den Tod stürzen …" Er schüttelte den Kopf und setzte dann noch hinzu: "Auch das ist ein Verbrechen!"
"Ich frage mich nur, wie sie das gemacht hat …", flüsterte ich.
Wir verließen das Archiv. Jim ging ins Fotolabor, um noch ein paar Bilder zu bearbeiten und ich setzte mich an den Schreibtisch, um aus den notdürftigen Fakten, die ich bislang hatte, einen kleinen Artikel zu schreiben. Natürlich ging es dementsprechend zäh voran. Meine Finger schienen wie in Zeitlupe über die Computertastatur zu gleiten und ich war heil froh, als ich die vorgeschriebene Länge endlich erreicht hatte.
"Wie weit sind Sie?", ließ mich irgendwann eine Stimme in meinem Rücken zusammenzucken.
Ich drehte mich auf meinem Bürostuhl herum und blickte direkt in Blackstowes aufmerksame Augen.
"Viel ist es nicht, was ich bis jetzt habe", gestand ich ein.
"Lassen Sie mal sehen", brummte er und blickte mir über die Schulter auf den Computerschirm. Mit gerunzelter Stirn las er, was ich geschrieben hatte. Dann seufzte er.
"Gehen Sie der Sache weiter nach", meinte er dann. "Da steckt sicher noch mehr dahinter …"
"Das denke ich auch", erklärte ich. "Diese Selbstmorde sind vermutlich nur die Spitze eines Eisbergs, von dessen Gestalt ich noch keine Ahnung habe …"
Blackstowe nickte.
"Geldgierige Sekten, die es besonders auf einflussreiche und vermögende Menschen abgesehen haben, schießen leider wie Pilze aus dem Boden. Es wird Zeit, dass wir darüber mal etwas bringen …"
"Der Schlüssel zu allem liegt aber nicht hier in London, Sir!"
"Sondern in Arizona, meinen Sie das?"
"Ja."
Blackstowe sah mich an.
Es war nicht zu erraten, was in diesem Moment hinter seiner Stirn vor sich ging. Er musterte mich, halb abschätzig, halb bewundernd. "Gut", sagte er dann. "Machen Sie eine große Hintergrundstory daraus. Bislang scheint ja kaum jemand etwas über diese ERLEUCHTETEN DER UNENDLICHKEIT zu wissen. Das muss sich ändern. Aber …" Er zögerte.
"Aber was?" fragte ich.
Sein Gesicht wurde sehr ernst.
"Seien Sie vorsichtig, Brenda. Sie sind eine gute Journalistin, mit dem, was man eine Spürnase nennt. Etwas, ohne das niemand es in unserem Beruf es zu etwas bringen kann. Aber in diesem Fall sollten Sie immer auf Nummer sicher gehen. Sie wissen wie solche Organisationen arbeiten und das sie bei der Wahl ihrer Mittel nicht immer zimperlich sind …"
"Heißt das, Sie hätten gegen eine Dienstreise in die Staaten nichts einzuwenden?"
"Unter der Voraussetzung, dass Sie Jim Allenby mitnehmen, damit er auf Sie aufpassen kann."
"Das meinen Sie doch sicher umgekehrt, Mr. Blackstowe!" Blackstowe grinste von einem Ohr zum anderen.
"Sie sind unverbesserlich, Brenda."
*
"Und du bist dir ganz sicher?"
Tante Bevs Gesicht wirkte besorgt. Es war Abend und ich war ziemlich spät aus der Redaktion nach Hause gekommen. Aber der Tag war für mich noch keineswegs zu Ende.
Da war ein Gesicht, das mir nicht aus dem Kopf ging. Das Gesicht von Carla Grayson, jener Frau, die mir im Traum meinen Tod angekündigt hatte ….
Mir schauderte allein schon bei dem Gedanken daran. Vor meinem inneren Auge sah ich die Tore, die aus dem seltsamen unterirdischen Gewölbe hinaus in das finstere Nichts führten und glaubte für einen Sekundenbruchteil wieder zu fallen … Es war schrecklich.
Ich schloss die Augen und nickte.
"Ich bin mir absolut sicher, Tante Bev! Ich habe diese Frau im Traum gesehen!"
"Carla Grayson …"
"Ja!"
Wir befanden uns in Beverly Gatwicks Bibliothek. Ich ließ mich in einen der Sessel fallen, während Tante Bev im Nachbarraum verschwand, wo einige Aktenschränke voll mit Presseartikeln zu finden waren. In ihrem Archiv herrschte eine sehr persönliche Ordnung, um es vorsichtig zu formulieren. Außer ihr selbst konnte sich wohl kaum jemand in dem ganzen Wust zurechtfinden.
"Ich habe diesen Namen schon gehört!", vernahm ich ihre Stimme aus dem Nachbarraum. "Allerdings in einem anderen Zusammenhang …"