Dürre - D. K. Berg - E-Book

Dürre E-Book

D. K. Berg

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Beschreibung

Was, wenn Du als Computercrack unfreiwillig auf einem Mond ohne Technik strandest? Computernerd Jack O'Connor bringt sich mit seinen illegalen Programmierungen konstant in Schwierigkeiten. Als Senator O'Connor erfährt, dass sein Sohn entführt werden soll, zögert dieser nicht lange und versteckt Jack auf dem Getreidemond Luna V. Fernab von jeder Technik und ohne jeden weiteren Kontakt nach Hause. Jacks Onkel regiert auf seiner Farm mit brutaler Härte und lässt seinen Neffen erbarmungslos für Dinge büßen, die weit in der Vergangenheit liegen. Erst ein überraschender Briefkontakt zu der berühmten Sternenakademie auf Terra Nova ändert die aussichtslose Lage. Doch der Preis, den Jack zahlen muss, ist hoch. Auftakt der Sci-Fi-Trilogie über Gefahren, Geheimnisse und ein Computergenie, das den Schatten seiner Vergangenheit entkommen will.

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Dürre

Schatten der Vergangenheit

D.K. Berg

Triggerwarnung:

Häusliche Gewalt, Misshandlung

 

Impressum:

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Veröffentlicht bei Infinity Gaze Studios AB

1. Auflage

Juni 2024

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2024 Infinity Gaze Studios

Texte: © Copyright by D. K. Berg

Cover & Buchsatz: Valmontbooks

Autorenfoto: Maike Vará

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung von Infinity Gaze Studios AB unzulässig und wird strafrechtlich verfolgt.

Infinity Gaze Studios AB

Södra Vägen 37

829 60 Gnarp

Schweden

www.infinitygaze.com

 

Widmung

 

Für Annie.

Die damals meine

Seele berührte.

Du fehlst mir.

 

Prolog Anno 2486

 

„…spricht das hohe Gericht von Terra Nova Jack O’Connor vom Vorwurf der illegalen Programmierung von Holoevent-Abenteuern aus Mangel an Beweisen frei.“ Der richterliche Hammer sauste mit einem kräftigen Schlag auf das Holz.

Jack zuckte bei dem lauten Klang kurz erschrocken zusammen. Dann lachte er erleichtert auf. Es fiel ihm schwer, nicht in ein wildes Freudengeheul auszubrechen. Sie hatten ihm nichts nachweisen können! Erst jetzt merkte er, wie sehr ihm die letzten Stunden der Verhandlung zugesetzt hatten. Obwohl alles ganz eindeutig auf einen Freispruch hinauslaufen musste...

Er lockerte seine verkrampften Schultern und sah sich triumphierend im Saal um. Sein Lachen erstarb allerdings, als er auf das unbewegliche Gesicht seines Vaters schaute, der ihn mit zusammengepressten Lippen finster musterte. Die smaragdgrünen Augen, die den seinen so verblüffend ähnlich waren, schienen ihn geradezu aufzuspießen. Provozierend hob der Junge die Augenbrauen. Doch von der anderen Seite kam keine Regung.

War er etwa immer noch sauer auf ihn? Es war doch alles gut ausgegangen! Sein Anwalt hatte ganze Arbeit geleistet und die Staatsanwaltschaft genüsslich auseinandergenommen. Von wegen Beweise! Nichts hatten sie beweisen können. Sie beruhte allein auf Verdachtsmomenten und Anschuldigungen, die irgendwer in die Welt gesetzt hatte, um ihm eins auszuwischen.

Er konnte sich gut vorstellen, wer dieser jemand war. Aber das hatte Jack nicht vorgetragen. Er ritt keine anderen Leute…

Erneut stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht, als er an den Anwalt der Staatsanwaltschaft dachte. Wie der sich gewunden hatte, um zu erklären, dass der Angeklagte angeblich eine eindeutige Signatur im Quellcode hinterlassen hatte, die ihn zweifelsfrei identifizierte! Und wie er schlussendlich zugeben musste, dass er sie doch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit nachweisen konnte.

Natürlich nicht! Seine Holoevent-Programme besaßen keine eindeutige Signatur. Dafür sorgte sein anderes Programm, das er entwickelt hatte, um genau ebendiese Signatur zu verwischen, die jeden Programmierer wie einen Fingerabdruck identifizierte. Im Strom gab es hunderte Seiten, die darüber spekulierten, wer der anonyme Programmierer war. Noch nicht einmal seine Freunde wussten, dass er die Programme selbst schrieb. Er war klug genug, das für sich zu behalten. Sie gingen davon aus, dass er eine illegale Quelle hatte, die ihm die Abenteuer besorgte.

Sein Blick glitt weiter zu seinem Freund Lee, der als Zeuge vernommen worden war. Dieser hatte immer und immer wieder beteuert, dass Jack keine Programme geschrieben hatte. Lee fing seinen Blick auf und zwinkerte ihm zu. Dann hob er kurz die Hand und ließ sich von seiner Mutter aus dem Raum führen. Grenzenlose Dankbarkeit wallte in Jack auf. Lee war der Einzige, der wusste, was er auf seinem Computer alles ausheckte. Wie beispielsweise sein Programm zur Bereinigung des Datenstroms, bei dem ihm sein Vater erst vor zwei Monaten erwischt hatte. Mann, hatte das einen Stress zu Hause gegeben!

Sein Freund hatte bedingungslos einen Meineid geleistet und vor Gericht für ihn gelogen. Seine Dankbarkeit schlug augenblicklich in Unbehagen um, als er darüber nachdachte, was es bedeutet hätte, wenn der Richter tatsächlich herausgefunden hätte, dass jedes Wort der Staatsanwaltschaft der Wahrheit entsprach.

Hatten sie aber nicht. Das wäre ihnen nie im Leben gelungen. Niemand konnte seine Spiele zu ihm zurückverfolgen. Das war unmöglich.

Er lehnte sich aufatmend zurück und wartete auf einen Justizbeamten, der ihn aus seiner Anklagebank herauslies. Schließlich war er freigesprochen worden. Unschuldig nicht unbedingt, aber das wusste ja niemand, außer Lee.

Er entdeckte einen jungen Mann, der sich seinen Weg zu seinem Vater bahnte. Das Gesicht kam ihm vage bekannt vor. Irgendein Angestellter seines Vaters, vermutete er. Er beobachtete, wie dieser seinen Vater respektvoll am Arm berührte und Aaron O‘Connor sich umdrehte. Das Murmeln der Leute im Saal verhinderte, dass Jack verstehen konnte, was zwischen ihnen gesprochen wurde. Allerdings sah sein Vater für einen kurzen Augenblick massiv beunruhigt aus. Der Blick seines Vaters streifte ihn. Was wohl los war? Erneut zogen sich die Brauen von Aaron O’Connor böse zusammen. Der Junge verschränkte die Arme vor der Brust und hielt dem intensiven Blick stand. So wütend hatte er seinen Vater noch nie erlebt! Allerdings hatte er bisher auch noch nie mit seinen Eskapaden vor Gericht gestanden. Dieses Mal hatte er es wirklich übertrieben. Hoffentlich konnte er das wieder ausbügeln. Erneut beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Immerhin stand sein Vater im Zentrum der allgemeinen Öffentlichkeit. Als Hexaviratsmitglied in Terra Nova konnte er es sich sicherlich nicht leisten, dass sein Sohn mit dem Gesetz in Konflikt kam. Ein Justizangestellter trat an den Jungen heran und grinste spitzbübisch.

„Na, Rotschopf? Glück gehabt, würde ich sagen.“

„Kein Glück. Nur…“

„Jack!“

Sein Vater war unbemerkt hinzugetreten und packte ihn hart am Arm. Verärgert versuchte Jack die Hand, die ihn umklammerte, abzuschütteln.

„Was denn? Ich habe mich doch nur unterha…“

„Halt den Mund und komm mit.“

Der Befehl seines Vaters war eindeutig. Offenbar hatte er Sorge, dass er doch noch etwas Dummes sagte, was die Entscheidung des Richters zunichtemachen könnte. Als wäre er so dämlich!

„Aber ich…“

„Kein Wort“, zischte der Senator mit zusammengebissenen Zähnen. „Wir sind noch immer im Alekto-Turm. Halt den Mund und tue einmal das, was ich dir sage.“

Unsanft wurde Jack Richtung Tür gestoßen, wo sich gefühlt hundert Journalisten tummelten, die auf ein Interview mit dem Senator und seinem Sohn hofften. Einer der beiden Bodyguards, die seinen Vater ständig abwechselnd begleiteten, wartete aufmerksam daneben. Die Hand seines Vaters fühlte sich wie eine Schraubzwinge an und ließ ihm keine Chance als ungeschickt nach vorn zu stolpern. Er warf einen Blick über seine Schulter. Die Journalisten kamen ihnen, wenn auch in gebührendem Abstand, nach. Der Bodyguard bildete eine natürliche Barriere.

„Wie willst du der Meute denn entkommen, Dad?“

„Das lass mal meine Sorge sein.“

Sie erreichten die Fahrstühle und drängten sich zu den anderen Passagieren. Jack runzelte die Stirn. Wo wollte sein Vater denn jetzt noch hin?

„Dad. Ich will nach Hause! Ich bin müde.“ Er schüttelte die Hand seines Vaters energisch ab.

Die Türen schlossen sich und der Fahrstuhl sauste nach oben. Erst jetzt drückte Aaron den Knopf für die 154. Etage.

Als sich die Türen öffneten, stolperte der Junge gemeinsam mit seinem Vater auf den fast menschenleeren Gang. Der Bodyguard folgte ihnen wie ein Schatten. Jack begriff augenblicklich, was sein Vater vorhatte. Auf dieser Etage gab es einen Übergang von einem Skycity-Turm in den nächsten. Schlau. Während die Journalisten unten vermutlich dachten, dass Senator O’Connor noch etwas mit dem Senator für innere Angelegenheiten, Finanzen, Verteidigung und Sicherheit zu bereden hatte, konnten sie gänzlich unbemerkt in den anderen Stadtteil wechseln und von dort mit der Bahn zurück zum Zephyr-Turm gelangen.

 

 

Bis nach Hause sprach sein Vater kein einziges Wort. Ganz offensichtlich war er gedanklich völlig woanders und ignorierte seinen Sohn vollständig. Jack war das nur Recht. Er hatte keine Lust, sich erneut Vorwürfen auszusetzen. Diese hatte er sich in den letzten Tagen und Wochen zu Genüge anhören müssen. Dabei fand er die ganze Aufregung darum reichlich albern. Es waren nur ein paar blöde Spiele! Zugegeben illegal. Aber es war niemand zu Schaden gekommen und die Jungs hatten einen Heidenspaß gehabt. Erschöpft fuhr er sich über das Gesicht.

Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Er war froh, wenn er sich in seine Röhre zurückziehen und schlafen konnte. Kaum betraten sie die Wohnung, tauchte auch schon seine Mutter auf.

„Sie haben in den Nachrichten darüber berichtet. Warum hast du dich nicht sofort gemeldet?“ Sie sah seinen Vater vorwurfsvoll an und nahm gleichzeitig ihren Sohn liebevoll in den Arm. Aaron seufzte leise.

„Ich muss mit dir reden! Jetzt!“ Er fixierte seinen ungeratenen Sprössling mit einem durchdringenden Blick. „Du gehst auf dein Zimmer. Sofort! Und daraus rührst du dich so lange nicht, bis ich es dir erlaube. Hast du mich verstanden?“

Jack rollte mit den Augen. „Ach Dad! Du tust so, als wäre es das Ende von Terra Nova. Es ist doch alles gutgegangen.“

„Alles gut gegangen? Du hast einen Eintrag in deiner Akte! Damit kannst du deine politische Laufbahn vergessen.“

„Oh! Das ist wirklich tragisch.“ Er versuchte erst gar nicht, den Sarkasmus aus seiner Stimme zu halten.

„Ja, das ist es tatsächlich. Wo du so ein helles Köpfchen hast. Dir könnte die Welt offenstehen, Jack. Aber du vergeudest sie mit illegalen Programmierungen. Schlimm genug, dass du unseren Namen durch den Schmutz ziehst. Du hast heute enormes Glück gehabt. Hätte die Staatsanwaltschaft auch nur irgendeinen Beweis auf deinem Computer gefunden, dass du diese Spiele programmiert hast, hätte ich nichts mehr für dich tun können.“

„Haben sie aber nicht“, entgegnete Jack bockig. „Und werden sie auch nie.“

„Du willst es nicht einsehen, oder? Du genießt den Triumpf, dass sie dich nicht erwischt haben. Aber du bereust nichts.“ Aaron schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich will dich nicht mehr sehen. Verschwinde in dein Zimmer!“

Mit ausgestrecktem Arm wies er in die Richtung, in die sein Sohn sich trollen sollte. Mit einem wütenden Schnauben stopfte dieser seine Hände in die Hosentaschen und verschwand.

 

 

Aaron seufzte leise und strich sich entnervt über das Gesicht. Er blickte kurz auf den Boden, um sich wieder in den Griff zu bekommen.

Es hätte nicht viel gefehlt und ihm wäre die Hand ausgerutscht. Dabei hatte er sich geschworen, dass er es anders machen würde als sein eigener Vater bei ihm. Wäre er an Jacks Stelle gewesen – sein Vater hätte ihn windelweich geprügelt. Als Antwort auf Verfehlungen hatte sein Vater immer nur den Gürtel parat gehabt. Er seufzte erneut, legte seiner Frau den Arm um die Schultern und dirigierte sie ins Wohnzimmer. Isabelle sah ihn misstrauisch an, als sie sich setzte.

„Was ist los, Aaron? Ich verstehe ja, dass du wütend auf ihn bist. Aber da ist doch noch etwas Anderes, oder?“

Aaron ging unruhig im Raum auf und ab. Hin und wieder warf er einen Blick auf die geschlossene Wohnzimmertür. Der Bodyguard hatte sich diskret zurückgezogen. In den eigenen vier Wänden war er kaum präsent – zumindest fühlte es sich so an.

„Jack muss weg von hier“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Warum sollte er denn weg? Wo willst du ihn denn hinbringen? Was hast du vor?“ Isabelle sah plötzlich beunruhigt aus.

„Er ist in Gefahr. Er muss hier weg. Sofort.“

„In Gefahr? Wie meinst du das? Dass er sich mit seinem Verhalten selbst gefährdet?“

„Das sicherlich auch. Nein, ich weiß aus geheimer Quelle, dass er entführt werden soll.“

Seine Frau erbleichte. „Entführt? Wieso? Von wem denn?“

„Es ist ein Geheimbund. Die Bruderschaft des Lichts. Er ist hier nicht sicher, Isabelle.“

„Was wollen die denn von ihm? Er ist doch nur ein 13-jähriger Junge!“

„Das ist jetzt viel zu kompliziert, um dir das alles genau zu erklären.“

„Und wo willst du ihn unterbringen?“

„Wäre er heute verurteilt worden, dann wäre er jetzt auf dem Weg nach Luna II. Da wäre er sicher.“

„Das meinst du jetzt nicht ernst!“ Seine Frau schaute ihn ungläubig an. „Du kannst dir doch unmöglich wünschen, dass dein Sohn im Gefängnis sitzt! Aaron! Du weißt, was da auf Luna II passiert!“

„Für seine Sicherheit würde ich sogar Luna II in Kauf nehmen!“

„Sicher? Gewalt, Korruption und sexuelle Übergriffe stehen dort laut den Nachrichten an der Tagesordnung. Das nennst du sicher?“

„Das weiß ich, Isabelle!“

„Eine Verurteilung zu Luna II kommt unter Umständen einem Todesurteil gleich! Es kommt dort regelmäßig zu Aufständen zwischen den Insassen! Nur aufgehalten durch die Wachen, die alles blutig niederschlagen, was aufbegehrt. Rehabilitierte Gefangene, die von Luna II zurückkehren, sind selten diejenigen, die sie einmal waren.“

„Das ist mir bekannt, verdammt nochmal. Ich habe ja auch gar nicht vor…“ Aber seine Frau hatte sich in Fahrt geredet.

„Die Selbstmordrate von ehemaligen Strafgefangenen ist unglaublich hoch, ebenso die Zahl derjenigen, die im Anschluss in eine geschlossene psychiatrische Abteilung eingewiesen werden. Und das willst du für unseren Sohn? Was für ein Monster bist du?“

„Isabelle. Der Junge schwebt in höchster Gefahr. Er muss von der Bildfläche verschwinden, bis wir diese Bruderschaft erledigt haben.“

„Aber nicht auf Luna II, Aaron. Ich verbiete es dir, hörst du?“

„Es war ja nur … eine spontane Idee.“ Aaron schnaubte unwillig. „Ich weiß selbst, dass es keine gute ist.“ Er zögerte kurz. „Du hast mich ja gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Mittlerweile habe ich eine andere Lösung, wo er vermutlich sicher und gut aufgehoben wäre, bis alles wieder normal ist.“

„Aber wo denn, Aaron? Wo wäre er denn deiner Meinung nach sicher?“

„Auf Luna V.“

„Was? Du meinst…“

„Genau dort. Und ich bringe ihn jetzt dorthin!“

„Wie, jetzt? Was meinst du mit jetzt?“

„Ich habe heute nur ein kleines freies Zeitfenster. Wenn ich mich beeile, dann wird niemand merken, dass ich überhaupt weg war. Noch nicht einmal Sam und Hugh. Du musst die beiden Bodyguards so lange ablenken, bis ich mit ihm verschwunden bin. Ich nutze eine von den kleinen Autopilotkapseln.“

„Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist? Du warst über zehn Jahre nicht mehr dort. Was wird dein Bruder sagen, wenn du plötzlich vor seiner Tür stehst?“

„Das wird sich dann zeigen.“ Er zögerte kurz. „Verabschiede dich. Jetzt! Aber sag ihm nichts! Ich schreibe in der Zwischenzeit einen kurzen Brief.“

 

 

Jack saß wie gewohnt an seinem Computer, als es leise an seiner Tür klopfte.

„Herein.“

Seine Finger flogen über die Tastatur. Seine Wut über das – in seinen Augen – ungerechte Verhalten seines Vaters, hatte sich in einem kreativen Schub verwandelt und nun sprudelten die Ideen für ein neues Computerspiel in seinem Kopf. Er schaute nur kurz auf. Doch dann bemerkte er, dass die Augen seiner Mutter in Tränen schwammen. Erschrocken stand er auf.

„Was ist denn los?“

Statt einer Antwort kam Isabelle auf ihren Sohn zu und drückte ihn fest an sich. Tränen liefen ihr über das Gesicht und tropften auf sein Haar.

„Mum, was ist denn los? Ist jemand gestorben?“ Er versuchte sich mit einem irritierten Lachen von ihr zu lösen. Aber Isabelle drückte ihn nur noch fester an sich.

„Ich hab dich lieb, mein Schatz.“ Mittlerweile schüttelten sie unterdrückte Schluchzer. Er umfasste sie instinktiv und strich ihr beruhigend über den Rücken.

Genauso plötzlich, wie sie hereingekommen war, löste sie sich nach ein paar Atemzügen von ihm und verließ beinahe fluchtartig sein Zimmer. Tief bestürzt blickte Jack ihr nach. Offenbar litt seine Mutter und es war nicht weiter schwierig sich auszudenken, woran. Immerhin wäre er fast ins Gefängnis gewandert.

Sein Blick glitt zu seinem Computer. Hier lag der Ursprung für ihre Traurigkeit. Plötzlich fühlte er sich hundeelend. Es war alles seine Schuld!

 

 

Sie fuhren von der obersten Etage des Zephyr-Turms hinunter in den angeschlossenen Hangar, dessen hohes Glaskuppeldach einen Blick in den mittlerweile dunklen Himmel ermöglichte. Auf Jacks wiederholte Fragen reagierte sein Vater nur mit eisigem Schweigen. Im Hangar befanden sich nur wenige Menschen, die kaum aufblickten, als sie eilenden Schrittes an ihnen vorbeiliefen. Ganz hinten standen die kleinen Raumtransporter, die nicht mehr als drei Personen fassen konnten. Zielgerichtet steuerten sie darauf zu.

„Wo willst du mit mir hin, Dad?“ Die Frage hatte der Junge in den letzten zehn Minuten bestimmt dreißig Mal gestellt. Auch dieses Mal erhielt er keine Antwort.

Per Fingerscan öffnete sein Vater den Einstieg und ließ ihm den Vortritt. Als würde er sichergehen wollen, dass er auch wirklich mitkam. Jack schnaubte leise. Die kleine Raumkapsel bot kaum ausreichend Platz. Missmutig warf er sich in einen der Sitze und schnallte sich an. Er konnte nicht sehen, welches Ziel sein Vater eingab. Aber seine Beunruhigung wuchs. Was hatte sein Vater mit ihm vor? Er war bisher nur zwei Mal mit einer solchen Kapsel unterwegs gewesen. Eigentlich hätte er aufgeregt sein sollen. Die Geschwindigkeit, mit der die Kapsel ins Weltall schoss, drückte ihn in seinen Sitz.

Je weiter sie sich von Terra Nova entfernten, umso mehr wuchs seine Angst. Schließlich füllte sie ihn völlig aus und er erwog kurz, ob es nicht besser wäre, seinen Vater einfach anzuschreien, um vielleicht so zu ihm durchzudringen und in Erfahrung zu bringen, was er, verdammt noch mal, mit ihm vorhatte. Dann besann er sich anders. Er würde seinem Vater nicht zeigen, dass er vor Angst beinahe verging. Wenn er wollte, konnte er ein ebenso gutes Pokerface aufsetzen wie sein alter Herr.

In der Hinsicht waren sie sich ziemlich ähnlich – nicht nur optisch. Also blickte er scheinbar gelangweilt in den dunklen Weltraum hinaus und behielt die Contenance.

Terra Nova wurde schnell kleiner. Je länger der Flug dauerte, umso überzeugter war er davon, dass der Landeplatz sich auf Luna II befinden würde. Dort, wo sich das größte Gefängnis der Menschheitsgeschichte befand. Ihm wurde übel. Ein in seiner Dimension unvorstellbar großes Gefängnis, welches Verbrecher verschiedenster Art und Weise beherbergte. Natürlich gab es auch einen Sektor für jugendliche Straftäter.

Er warf einen schnellen Blick zu seinem Vater, der mit den Gedanken weit weg zu sein schien. Er würde ihn doch nicht ernsthaft ins Gefängnis stecken! Der Richter hatte ihn freigesprochen! Allerdings besaß Senator Aaron O’Connor, gleichzeitig noch Bürgermeister des Skycity-Turmes Zephyr, durchaus die Macht, dies zu arrangieren.

Schon den jüngsten Einwohnern von Terra Nova und auch auf anderen bewohnten Monden wurde früh beigebracht, dass Luna II ein Ort war, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Jack hatte, wenn seine schulischen Leistungen einmal wieder zu wünschen übrigließen oder er sonst wie über die Stränge schlug, immer wieder die Drohung seines Vaters zu hören bekommen: „Ich sorge dafür, dass du einen tieferen Einblick in das Leben auf Luna II erhältst, wenn du dich nicht endlich zusammenreißt.“

Wirklich abgenommen hatte der Junge ihm das nie, wohlwissend aber eine Zeitlang einen Gang zurückgeschaltet, bis Gras über die jeweilige Sache gewachsen war. Doch jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Erst nach einer Weile wurde ihm klar, dass sie offenbar nicht Luna II sondern Luna V ansteuerten und sein Vater vor hatte, dort auch zu landen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie hier bei den Hinterwäldlern wollten.

Nachdem die Raumkapsel gelandet war, machte sich sein Vater zu Fuß auf den Weg. Eine Eskorte oder irgendwer, der sie in Empfang nahm, war nicht aufgetaucht. Das war ungewöhnlich. Sein Vater war ein wichtiger Mann, der normalerweise ständig von einer Schar Menschen umringt war. Ihn beschlich das Gefühl, dass niemand außer ihnen wusste, wo sie sich derzeit aufhielten. Es war dunkel, viel dunkler als Jack es von Terra Nova her gewohnt war. In den Skycities herrschte immer Betrieb. Zumal alles überdacht war. Die Lichter flackerten ununterbrochen. Hier wehte eine leise, warme Briese. Es duftete nach gemähtem Gras und Erde. Irgendwo im Dunkeln zirpten ein paar Grillen. Zumindest hielt er es dafür. Er blickte auf und erkannte neben drei anderen Monden auch Terra Nova im Nachthimmel. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

„Wohin gehen wir, Dad? Ich bin müde!“

Sein Vater stapfte grimmig und schweigend durch die Wiesen und Felder und ignorierte ihn immer noch. Offenbar kannte sein Vater den Weg ziemlich genau, denn er lief zügig vorweg, ohne auch nur eine Lichtquelle zu nutzen. Nach einem kurzen, zügigen Marsch ragte schließlich als schwarze Silhouette ein Farmhaus in der Dunkelheit vor ihnen auf. Offenbar war die Raumkapsel ganz in der Nähe gelandet und hatte die offizielle Landebahn einfach überflogen. Auch das war äußerst ungewöhnlich. Das ungute Gefühl verstärkte sich deutlich. Jack fühlte eine nicht zu benennende Bedrohung, die im Dunkeln auf ihn lauerte.

 

 

Als sie das Tor erreichten, rannte ihnen bellend ein Hund entgegen. Jack sprang erschrocken zurück, registrierte dann aber, dass der Hund an einer Kette hing, die ihm nur einen bestimmten Radius verschaffte. Mit offenem Mund sah er zu, wie sein Vater sich zu dem Hund beugte und ihm die Faust entgegenstreckte. Wollte er das Tier etwa schlagen? Es schnüffelte ausgiebig, leckte vorsichtig über seine Finger und begann mit dem Schwanz zu wedeln. In der dunklen Außenfassade erschien ein blassgelbes Rechteck, als jemand die Tür öffnete.

„Wer ist da?“

Die herrische, tiefe Stimme ließ dem Jungen die Nackenhaare zu Berge stehen. Unwillkürlich suchte er hinter seinem Vater Schutz.

„Ich bin es, Amos. Dein Bruder Aaron!“

„Du hast einen Bruder, Dad? Hier?“

Jack war fassungslos. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nicht einmal gewusst, dass sein Vater überhaupt Geschwister hatte. Über die Familie seines Vaters war in seiner Gegenwart nie ein Wort gefallen. Sein Vater war ein Loonie! Der Gedanke schob sich äußerst sperrig durch seine Gehirnwindungen. Das konnte nicht sein. Sein Vater war Bürgermeister und Senator von Terra Nova! Aber wenn er hier einen Bruder hatte …

Schockiert dämmerte ihm, dass sein Vater in Wahrheit ein Luna V-Bewohner sein musste! Einer von diesen Hinterwäldlern, die keine Ahnung von Technik hatten. Wie war er denn nach Terra Nova gekommen? Wie hatte er Senator werden können? Ging das als Loonie überhaupt? Unzählige Fragen schossen ihm zeitgleich durch den Kopf. Hatte sein Vater wegen der offensichtlich relativ einfachen Verhältnisse darüber geschwiegen, um seine Kariere nicht zu gefährden? Er hätte sich im Traum nicht vorgestellt, dass er auf Luna V Verwandte haben könnte.

„Der Herr Senator. Was für eine unverhoffte Überraschung. Was verschafft uns die Ehre?“

Jack entging nicht der beißende, ironische Ton. Sein Vater ging allerdings nicht darauf ein. Jack versuchte den Mann genauer in Augenschein zu nehmen. Aber er blieb einfach ein dunkler Schattenriss gegen das Licht, das in seinen Rücken schien.

„Dürfen wir hereinkommen?“

Der Mann, der sich so überraschend als sein Onkel entpuppt hatte, warf ihm einen finsteren Blick zu, als sie an ihm vorbeigingen, um der wortlosen Aufforderung Folge zu leisten, das Haus zu betreten. Das weiche Licht der Kerzen verbarg nicht, dass er nicht sonderlich erfreut war, sie zu sehen. Jack wich automatisch seinem stechenden Blick aus. Der Mann führte sie in eine Küche.

Staunend sah Jack sich in dem Raum um, während sein Vater und sein Onkel – es war für ihn immer noch schwer vorstellbar, dass dieser Mann mit ihm verwandt sein sollte – mit gedämpften Stimmen ein paar Worte wechselten. So eine Küche hatte er noch nie gesehen. Sein Blick glitt über Wände, an denen merkwürdige Gerätschaften hingen, deren Nutzung sich ihm nicht erschloss. Ein großer Apparat aus Eisen nahm ihn ganz gefangen. Was stellte man um Himmelswillen damit an? Wo war der Lebensmittelkreator? Das Murmeln der Männer hielt an. Jack schielte kurz zu ihnen hinüber und fragte sich, ob in Anbetracht der langen Trennung der Brüder das Wiedersehen nicht herzlicher ausfallen müsste. Am Tisch stand eine Frau, deren verschlossenes Gesicht ebenfalls Missbilligung ausdrückte.

Er beobachtete, wie sein Vater dem Mann einen Umschlag in die Hand drückte. Was war das? So etwas wie Papier? Woher hatte sein Vater das? Dann nickte dieser knapp, drehte sich um und verließ ohne ein Wort und ohne einen weiteren Blick auf seinen Sohn zu werfen, das Haus.

„Dad?“ Jack wollte hinter ihm her, doch eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter.

„Hiergeblieben, Freundchen.“

„Aber…“

„Kein aber. Du bleibst hier, verstanden?“

„Aber…“

„Kein. Aber!“

Der Druck auf seiner Schulter verstärkte sich unmissverständlich schmerzvoll und erstickte jedes weitere Widerwort im Keim.

Der Junge kämpfte verbissen mit den Tränen und unterdrückte den erneuten Impuls, hinter seinem Vater herzulaufen, um ihn anzuflehen, ihn wieder mit nach Hause zu nehmen. Er starrte stumm aus dem Fenster, um seinen Vater bis zur letzten Sekunde im Blick zu behalten.

Es tat ihm wirklich leid! Er hatte das nicht gewollt und würde bestimmt nie wieder …

Erst als sich die blinkenden Lichter der Raumkapsel im dunklen Himmel verloren, wurde ihm klar, dass sein Vater ihn in die Verbannung geschickt hatte.

 

 

- 1 -

 

 

2489, drei Jahre später

„Was macht euren Heimatmond Luna V so außergewöhnlich?“ Ella Blakes Augen huschten aufmerksam über die Reihen der Kinder, die sich ihr präsentierten. Es war eine altersgemischte Klasse. Die jüngeren Grundschüler teilten sich die vorderen Bänke, während die älteren Jahrgänge dahinter saßen. Alle Augenpaare schienen auf ihr zu ruhen, wie sie zufrieden feststellte. Bis auf eines, korrigierte sie sich. Sie runzelte die Stirn. Der O’Connor-Junge starrte nach draußen, anstatt ihr aufmerksam zu folgen.

„Jack?“ Er zuckte noch nicht einmal zusammen, als sie ihn aufrief.

„Jack!“

Sie gab ihrer Stimme bewusst einen scharfen Ton. Er schnitt wie ein Peitschenhieb durch die Luft.

„Jack? Hörst du zu?“

Er blinzelte und schien erst jetzt wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden. Mit einer katzengleichen Bewegung erhob er sich von seinem Platz und musterte sie mit unbewegtem Gesicht. Unter seinem rechten Jochbein schimmerte ein blauer Fleck. Kurz wallte so etwas wie Mitleid in ihr auf. Aber das Gefühl erstarb direkt wieder. Diese smaragdgrünen Augen hatten etwas Unheimliches. Als könnten sie direkt in ihr Herz hineinsehen und Dinge entdecken, die lieber unentdeckt blieben.

„Ja, Mrs. Blake?“

Für seine 16 Jahre gehörte er zu den kleineren Jungen in der Klasse. Und diese Haare! Ein Sonnenstrahl hatte sich durch das Fenster verirrt und entzündete ein wahres Feuerwerk aus Rot-, Braun und Goldtönen auf seinem Kopf.

Kinder mit roten Haaren waren die schwierigsten. Vermutlich gab es allein deshalb öfter Ärger zu Hause.

„Ob du zugehört hast, will ich wissen.“

„Sicher.“

Sein undurchdringlicher Gesichtsausdruck ließ keine Rückschlüsse zu, ob er die Wahrheit sagte, was ihren Unmut noch verstärkte.

„Was habe ich gerade gesagt?“

Sie gestattete sich ein kleines Lächeln, als ihr Gegenüber nicht direkt antwortete. Irgendein Kind kicherte verhalten, brach aber augenblicklich wieder ab. Unwillig verzog der Junge sein Gesicht. Dann senkte er den Blick.

„Ich weiß es nicht.“

„Das habe ich bemerkt.“

„Es tut mir leid.“

Sein Blick glitt wieder nach oben und bohrte sich direkt in ihre Augen. So eindringlich als wollte er sie hypnotisieren. Sie war sich nicht sicher, ob er die Entschuldigung ernst meinte.

„Das glaube ich dir gern“, sagte Ella kühl. „Dein Onkel wird nicht erfreut sein zu hören, dass du meinem Unterricht nicht folgst.“

Mit einer gewissen Befriedigung sah sie, dass sein Gesicht jede Farbe verlor.

„Es tut mir wirklich leid!“

Sie wandte sich von ihm ab und ging wieder nach vorn.

„Bitte.“ Jacks Stimme klang beschwörend. Ella drehte sich halb zu ihm um und musterte ihn. „Sagen Sie ihm nichts.“ Er blickte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Es war diese unnatürliche, leuchtend grüne Farbe, die sie jedes Mal irritierte, wenn er sie ansah. Sie wich seinem Blick aus und richtete ihr Augenmerk scheinbar nach draußen. Trotzdem behielt sie ihn unauffällig im Auge. Die Vorstellung, dass sie mit seinem Onkel über sein Verhalten sprechen wollte, schien ihn wirklich zu beunruhigen. Sehr gut. Er sollte sich hüten, in ihrem Unterricht zu träumen.

„Ich überlege es mir.“

Ella genoss es, ihn im Ungewissen zu lassen. Sie kehrte zum eigentlichen Thema zurück. „Was Luna V so außergewöhnlich macht, wollte ich wissen, Jack.“

Für einen kurzen Moment schloss der Junge die Augen und atmete tief ein. Auf Luna V war eindeutig die Zeit stehen geblieben, für seinen Geschmack. Er konnte fühlen, dass ihn alle anstarrten und darauf warteten, was er nun sagen würde. Er hasste es, der Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu sein. Aber er war selbst schuld. Warum hatte er ihr auch Anlass gegeben, ihn aufs Korn zu nehmen? Kurz kramte er in seinem Gedächtnis. Er hatte viel über Terra Nova und seine sieben Monde gelesen. Damals.

„Seit seiner Besiedlung 2207 wird der Ackerbau auf Luna V wie vor 600 Jahren auf der Erde mit Pferd und Wagen betrieben. Moderne Arbeitsgeräte lehnen die traditionsbewussten Farmer ab“, begann er.

„Warum ist das so?“

„Der motorlose Anbau ist nach Einschätzung der Bewohner für das Klima auf Luna V eindeutig besser“, leierte er herunter. „Als die Besiedelung des Trabanten begann, besannen sich die Bauern auf die Vorfahren auf der Erde, die Anfang des 18. Jahrhunderts den Kontinent Amerika besiedelt hatten. Ohne Technik. Dieser Geist, der die damaligen Pioniere inspirierte, beseelte die Siedler von Luna V, Technik so weit wie möglich zu verbannen.“

Mrs. Blake hob die Augenbrauen, sichtlich überrascht, dass einer ihrer Schüler ein so detailliertes Wissen über die Historie des Mondes besaß. Er wusste, dass er sich verdächtig machte, wenn er so viel von seinem Wissen preisgab. Die Schulbücher gaben bei weitem nicht so viel her, wie er tatsächlich darüber wusste und hier jetzt anbrachte. Sein Onkel hatte ihm immer wieder eingetrichtert, dass er jetzt ein Luna V Bewohner war und alles andere zu vergessen hatte. Aber es brach einfach aus ihm heraus. Es war eines der wenigen Themen im Geographieunterricht, das ihn wirklich interessierte. Da ihn seine Lehrerin immer noch erstaunt musterte, fuhr er fort:

„Noch heute wird alles von Hand erzeugt, die Saat von Hand gesät und später die Ernte durch reine Muskelkraft auf die Wagen geladen. Der Erfolg einer ertragreichen Ernte hängt somit auch maßgeblich von den Wettergegebenheiten ab, denn per Hand dauert die Ernte somit um ein Vielfaches länger und gerät dadurch viel schneller in Gefahr.“

Oh ja, das ist verdammt wahr! Er ballte kurz die Fäuste, als er darüber nachdachte. Das Wetter war das Schicksal der Farmer, die auf Luna V hauptsächlich Getreide anbauten. Zu Beginn der Pionierzeit auf dem Mond waren die Wetterverhältnisse hervorragend für den Ackerbau gewesen. Sonne, Wind und Regen wechselten sich beständig ab und ließen die Ernten üppig ausfallen.

Während des gesamten Jahres herrschte ein mildes Klima. Das hatte sich in den letzten 100 Jahren deutlich verschlechtert. Die Sommer wurden trockener und die Winter kälter. Die Trockenperioden, gepaart mit immer weiter steigenden Temperaturen, verlängerten sich. Jack wusste aus einem Gespräch zwischen seinem Onkel und seiner Tante, dass schon sein Urgroßvater mit dem Wetter und der Trockenheit zu kämpfen gehabt hatte. Etliche der Seen waren mittlerweile ausgetrocknet.

„Wann wurde Terra Nova entdeckt?“ Mrs. Blake wechselte unvermittelt das Thema und ließ ihren Blick wieder in die Runde schweifen. Jack entließ sie mit einem gnädigen Nicken. Langsam sank er auf seinen Platz zurück. Ihre Augen blieben an dem unscheinbaren Mädchen rechts von ihm hängen.

„Georgina?“ Das Mädchen erhob sich umständlich und verhakte die Finger vor ihrem Körper. Sie schaute die Lehrerin nicht an.

„Der Planet gehört zu einem kleinen Sonnensystem von drei weiteren Planeten“ sagte sie. Jack hatte Mühe, sie zu verstehen.

„Lauter, Georgina“, kam es auch schon von der Lehrerin. „Ich kann dich nicht hören!“

„Er … er wurde von Forschern auf der Erde im Jahr 2056 entdeckt“, sprach das Mädchen mit stockender Stimme weiter.

„Korrekt“, bestätigte Mrs. Blake. „Es hat Jahre gedauert, herauszufinden, dass dieser kleine Planet mit seinen sieben Monden der Erde sehr ähnlich ist. Wie weit ist Terra Nova von der alten Erde entfernt? Billy?“ Der Junge, breit wie ein Schrank, kam auf die Beine, während sich Georgina wieder hinsetzte.

„Äh …“ Billy schüttelte hilflos den Kopf.

„200 Lichtjahre“, blaffte Mrs. Blake und wies den Jungen an, sich wieder hinzusetzen, was dieser auch schleunigst tat. „Ab diesem Zeitpunkt flossen in die Forschung Milliarden, um diese Distanz zu überbrücken. Aber erst Anfang des 22. Jahrhunderts war es der Menschheit gelungen, einen Antrieb zu entwickeln, der diese Entfernung in nur wenigen Monaten zurücklegen konnte.“

Sie liebte dieses Thema. Wenn sie wollte, konnte sie stundenlang darüber referieren. Auch wenn sie wusste, dass es an und für sich verschwendete Zeit war. Die Kinder konnten sich kaum vorstellen, wie weit die nächste Siedlung von ihnen entfernt lag. Geschweige denn, dass sie genau wussten, woher sie ursprünglich kamen. Die Erde war ein Mythos. Ein Märchen! Und der Planet Terra Nova, den dieser Mond umkreiste, in ihrer Vorstellung ebenso weit weg, wie die Erde selbst.

„Wer weiß, wann die erste Terra-Nova-Mission startete?“ Sie blickte sich wieder um, doch in den Augen ihrer Schüler erkannte sie das Unwissen. Nur Jack musterte sie aufmerksam. Erstaunlich. Normalerweise waren die Kinder hier im wahrsten Sinne des Wortes hinter dem Mond! Sie nickte ihm zu. „Jack?“

„2106, exakt 50 Jahre nach seiner Entdeckung wurde die erste Terra Nova-Mission eingeleitet, die den Planeten genau untersuchte. Terra Nova selbst war eher karg und heizte sich über den Tag auf rund 55°C auf. Es gab Wasser und eine sauerstoffreiche Atmosphäre. Allerdings war er – von Bakterien und kleineren Lebewesen abgesehen – unbewohnt. Für die Forscher eine absolute Sensation. Der Rest der Menschheit war darüber eher enttäuscht.“

Er stockte kurz, denn ihm wurde bewusst, dass er für seine Ausführungen nicht aufgestanden war. Er schoss aus seinem Sitz.

Ella lächelte säuerlich, ließ ihn aber weiterreden. Er war mit Abstand das Gescheiteste von den Kindern, die sie hier unterrichtete. Allerdings zeigte er das selten so deutlich. Er gehörte eher zu den ruhigen Vertretern. Gleichzeitig war er auch widerspenstig und prügelte sich gelegentlich mit den anderen Jungs, weshalb sie ihn hin und wieder bestrafen musste.

Für sie war er ein wandelnder Widerspruch, was dazu führte, dass sie ihn trotz seiner hervorragenden Leistungen nicht sonderlich mochte. Die Klasse hing immer noch an seinen Lippen.

„Es folgten weitere Flüge, die immer deutlicher machten, dass es eine handfeste Alternative zur kränkelnden Erde gab“, fuhr Jack fort. „Die Atmosphäre und mit ihr das Klima auf der Erde hatten angefangen, sich zu verändern. Das war schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich geworden.“

Die anderen starrten ihn mit offenem Mund an. In der Regel sagte er wenig bis gar nichts im Unterricht. Es sei denn, sie fragte ihn direkt. Einen solch ausholenden Vortrag hatten sie alle nicht erwartet.

„Anstatt den ständig steigenden CO2-Gehalt in der Luft zu reduzieren, der maßgeblich dafür sorgte, dass sich die Atmosphäre immer weiter aufheizte, die Pole abschmelzen ließ und so das Klima immer weiter kippte, schoben sich die Verantwortlichen gegenseitig die Schuld zu und vertagten zwingende Entscheidungen von einem zum anderen Mal.“

Es hat sich rein gar nichts an diesem egoistischen Gebaren geändert, schoss es Jack durch den Kopf. Aber das behielt er lieber für sich. Mrs. Blake übernahm an dieser Stelle wieder. Widerwillig lächelte sie ihn an.

„Korrekt. Danke Jack. Du kannst dich wieder setzen. Wer kann mir sagen, wie früher auf der Erde die Zeit eingeteilt wurde?“

Mehrere Finger schossen in die Höhe. Aha! Offenbar hatten einige seiner Klassenkameraden ihre Hausaufgaben doch gemacht. Er wusste, dass, anders als damals auf der Erde, hier ein Tag insgesamt 28 Stunden dauerte, bis Terra Nova sich einmal um seine eigene Achse gedreht hatte. Ein Jahr bestand aus 304 Tagen. Die sieben Monde brachten insgesamt zehn unterschiedliche Himmelskonstellationen zusammen, die sich regelmäßig wiederholten und so das Jahr in 10 Abschnitte einteilten. Die Monatskonstellationen, MK genannt, hatten 30 oder 31 Tage. Die Bewohner zählten alle nach dem gleichen System. Also eine gänzlich andere Zeiteinteilung als auf der Erde.

Er hörte den teilweise verworrenen Antworten seiner Mitschüler zu und seufzte. Sie hatten wirklich keine Ahnung!

„Wann war Luna V vollständig erschlossen?“ Mrs. Blake zeigte erneut auf Billy, der zügig auf die Beine kam.

„Ich glaube, um 2120?“, kam es zögerlich.

„2137“, sagte Jack leise. Mrs. Blake hatte ihn trotzdem gehört.

„Offenbar weißt du eine ganze Menge zu dem Thema“, sagte sie ruhig und stellte sich direkt an sein Pult.

Jack erhob sich zögerlich, schlug aber dieses Mal augenblicklich die Augen nieder. Er wusste, wann es besser war, in die Defensive zu gehen.

„Entschuldigung. Ich wollte nicht dazwischenreden.“

„Hast du aber“, erklärte sie unwillig. „Ich würde sogar behaupten, du hast vorgesagt. Das dulde ich nicht. Rechte Hand.“

Seine Augen schnellten in die Höhe. Er wusste, dass sich seine Beunruhigung in seinem Gesicht abzeichnete. Er drängte alle Emotionen wieder hinter seine ausdruckslose Maske und starrte sie einfach nur an. Ohne zu zögern, streckte er ihr seine Hand hin. Mrs. Blake griff an ihren Gürtel und löste von dort einen kurzen Lederriemen. Die Tawse pfiff kurz durch die Luft und landete mit einem satten Klatschen auf Jacks Handrücken. Der Junge zuckte kurz zusammen und unterdrückte erfolgreich den Impuls, seine Hand aus der Gefahrenzone zu bringen. Komm schon! Du bist ganz andere Dinge gewohnt! Ihre Blicke trafen sich, als seine Lehrerin erneut ausholte.

Mrs. Blake wiederholte den Vorgang fünf weitere Male. Die Klasse blieb mucksmäuschenstill.

„Da du dich so gut auszukennen scheinst, schreibst du mir einen Aufsatz über die Unterschiede zwischen Terra Nova und Luna V. Morgen gibst du ihn ab“, sagte sie ruhig und wandte ihm, noch während sie sprach, den Rücken zu. Jack sank auf die Bank zurück und rieb sich über seine malträtierte Hand.

„Gut. Ich denke, das reicht jetzt.“ Mit einem breiten Lächeln drehte sich Mrs. Blake wieder um, als wäre nichts weiter geschehen.

In die Stille hinein, die folgte, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Sie schritt wieder nach vorn und zog einen Stapel Briefe aus der Schublade.

 

- 2 -

 

 

Die Klasse summte wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm. Jack lenkte seine Gedanken von seiner schmerzenden Hand zurück in das Schulzimmer, um herauszufinden, was seine Klassenkameraden plötzlich so in Aufruhr versetzt hatte. Die Lehrerin hielt einen Stoß Briefe in der Hand. Offenbar Antworten auf ihre Zeilen, die sie vor ein paar Wochen zu Papier gebracht hatten, um mit einem Erstsemester der Sternenakademie auf Terra Nova in Briefkontakt zu kommen. Er erinnerte sich genau an die von Mrs. Blake gestellte Aufgabe:

„Schreibt etwas über euch. Wie ihr heißt, wie alt ihr seid und ein wenig aus eurem Leben. Euer Briefpartner besitzt keinerlei Vorstellung, wie es ist, beispielsweise auf einer Farm zu leben. Und selbstverständlich schreiben sie normalerweise nicht auf Papier. Aber anders ist eine Kommunikation zwischen hier und dort ja nun mal nicht möglich. Ihr seid ihnen in der Hinsicht gegenüber im Vorteil.“

Eine gefühlte Ewigkeit hatte Jack auf das Blatt gestarrt und nicht gewusst, was er schreiben sollte.

Ich werde wohl kaum über mein liebevolles Zuhause erzählen, war es ihm durch den Kopf geschossen. Nein. Was auf der Farm passierte, ging niemanden etwas an.

Die Lehrerin wanderte nun durch die Reihen und verteilte die Briefe. Der Junge rechnete nicht damit, dass sein Schreiben auf Resonanz gestoßen war, und wandte seinen Blick wieder nach draußen. Der Himmel war strahlend blau. Keine einzige Wolke war zu entdecken. Er konnte schon jetzt die herrische Stimme seines Onkels hören: „Sieh zu, dass der Kräutergarten deiner Tante Wasser bekommt! Und schau nach den Wassertanks. Immerhin hast du mir versprochen, dass es besser funktionieren wird, wenn du dich darum kümmerst. Dann sieh zu, dass es auch funktioniert.“

Jack seufzte leise. Ein Windstoß trieb eine Staubwolke über den hitzeflimmernden Schulhof. In den letzten vier Mondkonstellationen war nicht ein Tropfen Regen gefallen.

Ein Schatten fiel auf sein Pult, so dass er überrascht und beunruhigt aufblickte. Einen weiteren Fehltritt durfte er sich heute wirklich nicht mehr erlauben.

„Du solltest dich lieber weiter auf den Unterricht konzentrieren, Jack!“ Mrs. Blake stand neben ihm und legte einen dicken Briefumschlag neben seine rechte Hand, die durch die Schläge rot und geschwollen aussah. Sie schaute ihn prüfend an und zog vielsagend eine Augenbraue hoch. Seine Hände fuhren augenblicklich unter sein Pult, aus dem Blickwinkel seiner Lehrerin.

„Ja, Mrs. Blake“, sagte er leise und senkte den Blick. Wenn er doch nur unsichtbar wäre! Das würde vieles erleichtern.

Mit einem kurzen Nicken ging sie weiter. Er starrte auf den Brief, den sein Name zierte: Jack O’Connor.

Einen winzigen, völlig irrwitzigen Moment lang keimte Hoffnung in ihm auf. War ihm vielleicht doch verziehen worden? Vielleicht war das gar nicht die Antwort von irgendeinem Studenten, sondern der so lang erwartete Brief, der ihm endlich Nachricht von seinem Vater brachte, um ihm mitzuteilen, dass seine Verbannung aufgehoben war.

Aufgeregt nahm er den Umschlag und drehte ihn herum. Joe Trusc stand in krakeligen Zügen auf der Rückseite. Seine Hoffnung fiel jäh in sich zusammen. Natürlich. Wie hätte es auch ein Brief von seinem Vater sein können? Er ärgerte sich über sich selbst. Offenbar hatte er nun einen Brieffreund. Jack war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte, oder nicht. Sein Leben war schon so kompliziert genug – auch ohne Briefkontakte.

Langsam öffnete er den Umschlag und entnahm einige eng beschriebene Seiten. Einen Moment starrte er die Blätter an, als wüsste er nicht, wie sie dahin gekommen waren. Dann faltete er sie bedächtig zusammen und stopfte sie zurück in den Umschlag. Er würde sie später lesen. Auf unbestimmte Weise fürchtete er sich plötzlich vor dem Inhalt. Würde Onkel Amos diesen Briefkontakt überhaupt billigen?

Mrs. Blake war mittlerweile wieder an ihr Pult zurückgekehrt.

„Ich möchte, dass ihr euren neuen Brieffreunden so schnell wie möglich antwortet. Spätestens Ende dieser Woche werde ich die Briefe einsammeln und dafür sorgen, dass sie nach Terra Nova zur Sternenakademie weitergeleitet werden. Jetzt machen wir mit Mathematik weiter.“

Jacks Blick wanderte wie magisch angezogen erneut zum Fenster. Gelangweilt stieß er die Luft durch die Nase und stupste missmutig den Briefumschlag an.

„Ich erwarte, dass du dein Bestes gibst und dass du genau das tust, was man dir sagt. In jeder Beziehung. Wenn du das nicht verstehst, dann bringe ich es dir bei.“

Diese Sätze seines Onkels, kurz bevor sie das erste Mal zusammen die kleine Dorfschule betreten hatten, blitzten in seinem Kopf auf und ließen ihn unruhig auf seiner Bank hin und her rutschen. Es gab keinerlei Spielraum für ihn. Nur den klar abgesteckten Weg, den ihm Onkel Amos jeden Tag wieder deutlich vor Augen führte. Trotzdem. Wann kamen endlich einmal wieder Informationen im Unterricht, die er nicht schon kannte? Nur weil das Leben hier so wenig Anspruch an den Intellekt stellte, musste die Lehrerin doch nicht zwangsweise nur rudimentäres Wissen vermitteln. Das war etwas, woran er sich in den ganzen drei Jahren, die er jetzt auf diesem verdammten Mond festsaß, nicht gewöhnen konnte. Vermutlich liegt es einfach daran, dass die Menschen hier gar nicht das Bedürfnis besitzen, über den Tellerrand hinwegzusehen, dachte er zynisch. Es reicht gerade mal bis zum nächsten Feld. Aber er wusste auch, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Er betrachtete die Kinder, die in seinem Blickfeld saßen. Sie alle packten nach dem Unterricht in ihrem familiären Umfeld mit an. Wann sollten sie über Gebühr vermitteltes Wissen anwenden, wenn sie mit 16 Jahren die Schule verließen? Er lehnte sich vorsichtig zurück und entspannte die verkrampften Schultern.

Nicht mehr lange, dann war die Schulstunde vorbei und er musste sich auf den Weg zurück zur Farm machen. Also genoss er besser die Zeit, die er hier in dieser wunderbaren Blase des gefühlten seligen Nichtstuns verbrachte.

Wenn ich nur nicht so völlig planlos in der Luft hängen würde! Wütend kaute er an seiner Unterlippe. Irgendwann muss Dad sich doch melden und mir sagen, wie es jetzt weitergeht. Eine Begnadigung. Irgendetwas, das meinen Aufenthalt hier endlich beendet! Frustriert strich er sich über das Gesicht.

Hör auf, in Selbstmitleid zu baden, wies er sich selbst zurecht. Lass das Denken und konzentrier dich auf das Wesentliche! Fast konnte er die Stimme seines Onkels hören.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Mrs. Blake, die Algebra-Aufgaben an die Tafel schrieb. Sein Blick huschte erneut über die Klasse. Eifrig beugten sich die Köpfe über die Hefte. Hier und da blitzte eine Zungenspitze in dem bemühten Versuch, die Aufgaben korrekt zu lösen. Seufzend nahm er sein Rechenheft heraus und begann die Aufgaben, die an der Tafel standen, in sein Heft zu übertragen und zu rechnen. Er ließ sich mit den Ergebnissen Zeit. Mathematik fiel ihm leicht. Er erinnerte sich, dass er früher davon geträumt hatte, als kreativer Ingenieur im Flottenstützpunkt zu arbeiten. Oder als Pilot. Die Sternenakademie auf Terra Nova war damals schon in sichtbare Nähe gerückt. Sein Vater sprach ständig mit ihm über seine Zukunftspläne. Da war er gerade mal 12! Er hatte es gehasst.

„Mich hat die Politik dahin gebracht, wo ich heute stehe, mein Junge. Ich bin sicher, dass du es in diplomatischen Verhandlungen sehr weit bringen könntest!“

Jack hatte ihn ausgelacht und sich wieder seinen Computerprogrammen gewidmet, die er auf Terra Nova programmiert hatte. Dieser Traum war ausgeträumt. Der Eintrag in seine Akte aufgrund der Verhandlung zu seinen illegalen Programmen würde ihn auf ewig behindern. Und auf Luna V gab es keine Technik. Nichts, wo er seinem schöpferischen Potential wirklich freien Lauf lassen konnte. Genau das machte ihn krank.

Kurz huschte ein zynisches Lächeln über sein Gesicht, als er an ein Gespräch mit seinem Onkel zurückdachte.

„Ein Junge mit deiner Vergangenheit kann froh sein, wenn er nach der Schule überhaupt Arbeit bekommt.“

„Du klingst, als hätte ich jemanden umgebracht, Onkel Amos.“

„Irgendwann hätte es darin geendet. Sei dankbar, dass du hier auf der Farm nicht weiter in Versuchung geführt wirst. Du allein bist für deine Taten verantwortlich. Also musst du auch mit den Konsequenzen leben!“

„Ich will aber nicht mein Leben damit vergeuden, Äcker zu bestellen und dafür zu sorgen, dass die Völker mit genügend Nahrung versorgt werden!“ Die Ohrfeige, die er sich daraufhin eingefangen hatte, war ihm gut im Gedächtnis geblieben.

„Hör auf, dich für etwas Besseres zu halten! Das ist exakt das, was dich erwartet! Das hier ist deine Zukunft, Schwachkopf. Alles andere ist Firlefanz und das dulde ich nicht! Dein Vater hat mir die Aufgabe übertragen, dich zu erziehen und zurück auf einen anständigen Weg zu führen. Und das werde ich! Verlass dich darauf!“

Eine kleine Papierkugel traf ihn seitlich am Kopf. Er drehte sich vorsichtig in die Richtung, aus der er das Geschoss vermutete. Billy grinste ihn unschuldig an und formte mit den Lippen lautlos das Wort „Streber“. Offensichtlich spielte Billy auf seine Ausführungen zu Terra Nova und seinen Monden an. Immerhin hatte er ihn ziemlich alt aussehen lassen. Jack ballte kurz die Faust. Mit Mühe hielt er sich zurück, aus seiner Bank zu springen, um dem unverschämten Kerl einfach eine reinzuhauen. Aber er hütete sich, seinen Gefühlen nachzugeben. Nicht nur, dass Mrs. Blake ihn dann erneut bestrafen würde. Spätestens dann würde sie Onkel Amos in jedem Fall von seinen Eskapaden im Unterricht erzählen. Und dann konnte er sich wirklich auf etwas gefasst machen. Nein! Darauf legte er in keiner Weise Wert! Also fixierte er Billy nur so lange ausdruckslos, bis dieser die Augen abwandte und konzentrierte sich dann wieder auf seine Aufgaben. Trotzdem war nun sein Onkel mehr als präsent in seinem Kopf.

Er versuchte sich auszumalen, was heute auf ihn zukommen würde. Holzhacken? Tiere versorgen? Das Korn war noch nicht ganz so weit. Oder vielleicht doch? Er scheiterte kläglich bei der Auswahl an den vielfältigen Arbeitsaufträgen, die Onkel Amos vielleicht in den Sinn kamen. Er konnte nur abwarten und sehen, was der Tag ihm brachte. Die Farm war groß und es gab so verdammt viel zu erledigen. Mal davon abgesehen, dass sein Onkel einfach unberechenbar war, was ihn selbst betraf. Er konnte das wutverzerrte Gesicht seines Onkels deutlich vor sich sehen.

„Warum ist das Holz so ungleichmäßig gestapelt? Willst du, dass es zusammenbricht und irgendwen verletzt?“ Schon bei dem Gedanken, dass er wieder irgendetwas in den Augen seines Onkels nicht korrekt erledigen könnte, brach Jack der kalte Schweiß aus. Denn so lief es immer ab: Er bekam eine Aufgabe, erledigte sie und versagte. Zumindest in den Augen von Onkel Amos. Und das zog unweigerlich schmerzhafte Konsequenzen nach sich.

„Du enttäuschst mich, und vor allem deinen Vater, mit deinem respekt- und hirnlosen Verhalten. Ich warte auf den Tag, dass ich deinem Vater endlich einmal etwas Positives über dich berichten kann, damit er zur Abwechslung mal stolz auf dich ist. Aber das passiert vermutlich in hundert Jahren nicht. Aaron ist doch ein intelligenter Mann! Wie konnte mein Bruder nur so einen Schwachkopf zeugen?“

Worte wie diese bekam er ständig zu hören. Bisher hatte ihn die Hoffnung, dass dieser Albtraum irgendwann überstanden war, einigermaßen aufrecht gehalten. Er würde in seine Welt zurückkehren ... Irgendwann ... Ganz bestimmt ...

 

- 3 -

 

 

Die Schulglocke läutete und entließ alle in den flirrenden Sonnenschein. Im Sonnenlicht leuchtete Jacks Haarschopf rostrot auf und bildete zu seinen smaragdgrünen Augen und der hellen Haut einen starken Kontrast. Seine Klassenkameraden hatten ihm schon einige Spitznamen deswegen verpasst. „Rusty“ war noch der harmloseste davon. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie eine Gruppe von Mädchen aus dem Schulgebäude trat und dabei kichernd ihre Köpfe zusammensteckten. Der heiße Wind zerrte an ihren grünen und gelben Kleidern. Der ein oder andere schmachtende Blick traf ihn. Bestimmt würde er in den nächsten Tagen wieder kleine Zettelchen mit irgendwelchen albernen Liebesschwüren in seinen Schulbüchern finden. Er hatte gewusst, dass es unklug war, sich in der Stunde so hervorzutun. Er hätte besser den Mund gehalten! Demonstrativ wandte er sich ab. Er wollte nicht noch mehr Ärger als unbedingt nötig.

„Wer hat dir geschrieben, Jack?“ Seine Klassenkameradin Georgina trat schüchtern an ihn heran. Auch sie hatte einen Brief in der Hand.

„Irgendein Joe“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Georgina nickte vorsichtig und strich sich dabei eine Strähne ihres braunen Haares hinter das Ohr, welches sich aus ihrem gelben Kopftuch gestohlen hatte.

Sie schien darauf zu warten, dass er weiterredete. Billy rempelte ihn von hinten an. Jack tat so als hätte er es ebenso wenig bemerkt wie Georginas Augen, die ihn eindringlich musterten. Diese Augen, die ihm ein Prickeln im Nacken bereiteten, jedes Mal, wenn er sie dabei ertappte, wie sie ihn ansah. Gesprochen hatten sie in der ganzen Zeit dennoch kaum fünf Sätze – dabei war sie … Nein. Nein, nein. Er atmete tief durch und schloss kurz die Augen.

Er durfte sie einfach nicht in seinen Kopf lassen. Kein Kontakt. Nichts. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Er blickte sie kurz finster an, als könnte sie etwas für seine ganze Misere. Dann nickte er energisch und ließ sie einfach stehen. Die Kinder und Jugendlichen trennten sich unter lärmenden Rufen. Mit jedem Schritt wirbelte Jack kleine Staubwolken auf. Die Sonne brannte unbarmherzig auf ihn herab und schon nach kürzester Zeit glühten seine nackten Füße. Die Hitze drang erbarmungslos durch seine Tunika. Nach nur wenigen Minuten rann ihm der Schweiß kitzelnd den Rücken und die Brust hinunter. Die Arbeit heute würde kein Vergnügen für ihn werden.

Auf der Hälfte des Weges kam er durch einen kleinen, schattigen Hain. Etwas versteckt gluckerte eine der selten gewordenen kleinen Quellen. Ein quälender Durst überfiel ihn. Er kniete sich in das feuchte Moos und tauchte seine Hand in das kühle Wasser. Es war herrlich kalt. Jack schöpfte aus der hohlen Hand und trank in tiefen Zügen. Es schmeckte leicht süßlich und löschte schnell seinen Durst. Anschließend spritzte er sich weiteres Wasser ins Gesicht und ließ es über seinen Nacken laufen. Eine wohlige Gänsehaut schüttelte ihn kurz. Er schloss müde die Augen.

Der Tag gestern war ebenso heiß gewesen und hatte ihm körperlich alles abverlangt. In der Nacht hatte er schlecht geschlafen, weil die Wärme den ersehnten Schlaf nicht kommen ließ.

Der Wind raschelte träge in den langsam braun werdenden Blättern der Bäume. Ein paar Vögel zwitscherten matt. Es war so friedlich hier. Keiner da, der irgendeinen Anspruch an ihn stellte. Am liebsten wäre er einfach im Schatten der Bäume sitzengeblieben, bis die Dämmerung hereinbrach. Aber der Preis, den er dann zu zahlen hatte, erschien ihm einfach zu hoch.

Der Brief fiel ihm wieder ein. Er kramte ihn aus seiner Tasche und glättete den Umschlag. Unschlüssig drehte er ihn hin und her. Dann zog er den Brief heraus. Sein Blick fiel auf einen Baumstumpf nicht weit von der Quelle entfernt. Er würde den Brief lesen und dann schnell weitergehen. Immerhin musste er wissen, ob es sich überhaupt lohnte, seinen Onkel auf die Brieffreundschaft hin anzusprechen.

„27. Tag, siebte MK 2489

 

Lieber Jack,

Vielen Dank für die Möglichkeit einer Brieffreundschaft mit Dir. Ich bin Joe, 16 Jahre alt und freue mich auf einen Austausch. Ich bin sehr gespannt darauf, zu erfahren, wie das Leben bei Dir funktioniert. Ich habe gelesen, dass es bei Euch so gut wie keine Technik gibt. Ist das wahr? Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Hier auf Terra Nova bin ich umgeben von Technik. Am liebsten gehe ich nach den Seminaren mit meinen Freunden auf sogenannte Holo-Events…“

 

Der Junge runzelte die Stirn. Er hatte befürchtet, dass dieser neue Briefkontakt Erinnerungen an sein früheres Leben wachrufen würde. Holo-Events waren sehr beliebt bei den Jugendlichen in den Skycities, zu denen er sich selbst einmal gezählt hatte.

 

„… Zu Deiner Erklärung (vermutlich hast Du noch nie von diesen Events gehört): Wir befinden uns eigentlich in einem sehr großen, leeren Raum. Ein Computer (ich hoffe, Du weißt, was das ist… das ist sonst ein wenig schwierig zu erklären) erstellt eine Simulation, nachdem wir uns für eine Mission entschieden haben, welche wir dann erfüllen müssen. Wir bestehen virtuell Abenteuer in unterschiedlichen Epochen und es macht einfach einen Riesenspaß!“

 

Ein wehmütiges Lächeln umspielte seinen Mund. Er hatte sich früher ständig auf den Holo-Events herumgetrieben. Er fühlte, wie ihm das Adrenalin in die Adern schoss, als er an die ganzen Monster, Piraten, Wegelagerer und Androiden dachte, gegen die er gekämpft hatte. Rätsel gab es dabei zu lösen und Mutproben zu bestehen. Natürlich bestand die Möglichkeit, die Simulation jederzeit abzubrechen. Alles war altersgerecht abgestimmt und in der Regel ungefährlich. Die Abenteuer fühlten sich fast echt an. Aber es gab auch einen großen Schwarzmarkt für Programme, die nicht immer altersgerecht aufbereitet waren oder Fehler, sogenannte Bugs, enthielten.

Sie ließen ein Abenteuer plötzlich unvorhergesehen vor -oder zurückspringen oder interpretierten Entscheidungen eigenmächtig, die den Spielverlauf komplett veränderten. Insbesondere diese Bugs faszinierten Jack, da sie die oft berechenbaren Spiele um ein Vielfaches spannender machten.

Er hatte begonnen, eigene Computerprogramme für Holo-Events zu schreiben und hatte diese zusammen mit seinen Freunden ausprobiert. Je länger er daran herumexperimentierte, umso intensiver, gefährlicher, gespickt mit Bugs und zunehmend illegaler wurden die Programme. Oft war er nach Stunden aus einem Raum herausgetaumelt, berauscht vom Adrenalin, das durch seine Adern pulsierte. Jack hatte sich wie ein Held gefühlt und sich von seinen Freunden für seine kreativen Ideen innerhalb der Holo-Events feiern lassen. Die plötzliche Razzia hatte alles verändert! Früher hatte er geglaubt, dass er unbesiegbar sei. Aber das war in einem anderen Leben gewesen. Jetzt schleppte er schwere Wassereimer, kämpfte gegen die unbarmherzige Dürre, hütete sich vor seinem unberechenbaren Onkel und versuchte, wenn möglich, nicht weiter aufzufallen.

 

„… Wenn ich nicht dort bin, bin ich in der Stadt unterwegs. Nun, eigentlich ist „Stadt“ kein korrekter Ausdruck mehr. Ich habe gelernt, dass es auf Deinem Mond noch üblich ist, Städte in der Horizontalen am Boden zu bauen und mit Straßen zu verbinden. Unsere Stadtteile befinden sich in gigantischen Türmen, die hunderte Meter in den Himmel ragen. Sie sind auf mehreren Ebenen miteinander verbunden. Die Türme beherbergen Schulen, Krankenhäuser, Einkaufszentren, eben auch die Holo-Events, Theater, sogar eine Spielarena aber auch Parks mit Springbrunnen. Viele Etagen in den Skycities sind Wohnblocks. Aber es gibt auch ganze Türme, die ausschließlich mit der Produktion von Dingen befasst sind. Fabriktürme, wenn du so willst. Oder Türme, die nur zu unserer Unterhaltung oder der Sicherheit dienen. Unsere „Straßen“ innerhalb der Türme sind die Aufzüge. Draußen kann man sich nicht gut aufhalten. Es ist dafür deutlich zu heiß. Die Temperatur sinkt selbst in der Nacht nicht unter 35°! Innerhalb der Türme herrscht ein immer gleichbleibendes Klima.

Um in die anderen Türme zu kommen, nimmt man eine der Schnellshuttlebahnen. Terra Nova City erstreckt sich über mehrere hundert Quadratkilometer.“

 

Jack ließ den Brief sinken. Eine Welle der Sehnsucht brach über ihm zusammen. Er wusste genau, wovon dieser Joe schrieb. Er war in einer der Skycities von Terra Nova groß geworden. Nun lebte er hier auf Luna V in der Verbannung und es war fragwürdig, ob und wann er Terra Nova und sein Zuhause je wiedersehen würde. Eine Träne stahl sich aus seinem Augenwinkel und er wischte sich unwillig über das Gesicht. Einerseits wollte er mehr erfahren, wollte eintauchen in Joes Beschreibungen und sich vorstellen, dass er wieder zu Hause wäre. Andererseits wusste er genau, dass es zu nichts führen würde. Im Gegenteil, sein Heimweh, das er bisher gut unter Kontrolle hielt, würde dann übermächtig werden und ihn vielleicht zu dummen Gedanken verleiten, die sein Exil noch weiter verlängern würden.

Entschlossen stopfte er den restlichen Brief zurück in seinen Umschlag und stand auf. Er würde ihn seinem Onkel übergeben und seine Entscheidung abwarten. Er machte sich nicht viele Hoffnungen. Wenn sein Onkel nur die ersten Zeilen las, würde er einen Kontakt sofort unterbinden, weil er eine direkte Verbindung an sein altes Leben darin sehen würde. Bei diesem Gedanken fühlte Jack einen Stich in der Magengegend. Er hatte so lange nichts von zu Hause gehört. Über dreißig Mondkonstellationen war er mittlerweile hier.

Ohne ein einziges Wort von daheim. Weder zu seinem Geburtstag noch sonst. Der Brief hatte ihm deutlich vor Augen geführt, wie sehr er sich ein Zeichen wünschte.

Er drängte die vielen Gefühle, die ihn zu überwältigen drohten, zurück in den hintersten Winkel seiner Seele. Keine Emotionen! Die waren gefährlich und sorgten regelmäßig dafür, dass er in Schwierigkeiten geriet. Sorgfältig faltete er den Brief in der Mitte und ließ ihn zurück in seine Hosentasche wandern. Er schulterte seine Tasche und beeilte sich, den restlichen Weg schneller als sonst zurückzulegen.

Die Sonne brannte unnachgiebig auf ihn herunter. Wenn das so weiterging, war die Ernte in Gefahr. Noch führten die unterirdischen Reservoirs des Mondes Wasser, doch seit einigen Tagen beobachtete er eine fallende Wassermenge am Pumpwerk. Er musste heute die oberirdischen Tanks begutachten und dann gegebenenfalls die Wasserleitungen abgehen und herausfinden, ob eventuell ein Leck dafür verantwortlich war. Er wäre Stunden in der sengenden Sonne unterwegs, wenn er gewissenhaft alle Leitungen kontrollieren wollte. Die Wasserflasche würde leer sein, lange bevor er wieder zurück war. Der Gedanke behagte ihm nicht, doch da das Rohrsystem in seiner Verantwortung lag, akzeptierte sein Onkel keine Entschuldigungen. Er würde gehen müssen.

Seinem Onkel war es gelungen, unterirdische Reservoirs mit einem ausgeklügelten Pumpenwerk über verschiedene Quellen anzuzapfen und seine Felder durch Unterflurbewässerung durch Wasserleitungen zu versorgen. So sicherte er bei längeren Trockenperioden die Ernte.

Die Rohre wurden von Luna I eingeflogen und kosteten ein Vermögen. Mehrere riesige Wassertanks speisten das hochgepumpte Wasser. Halbmechanisch wurde es dann zu den jeweiligen Feldern gepumpt.

Die Aktion sorgte für großes Aufsehen unter den anderen Farmern und löste über Monate hitzige Debatten aus. Noch immer diskutierten die Farmer bei den regelmäßigen Sitzungen darüber, ob das Rohrsystem dem Geist der Pioniere entsprach, oder nicht. Nur einige wenige hatten sich eher halbherzig Onkel Amos angeschlossen und es ihm gleichgetan. Das Ergebnis war mittlerweile aber deutlich zu sehen. Die Felder der restlichen Farmer duckten sich kilometerlang auf dünnen, braunen Stängeln vor der sengenden Sonne, während die Ähren seines Onkels und der Handvoll anderen Farmer fett im heißen Wind wogten.

Die Kornpreise waren durch die sinkenden Erträge in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Denn Terra Nova und die anderen Monde waren auf die Erträge aus dem Ackerbau dringend angewiesen. Es war ein fein aufeinander abgestimmtes System, das Schieflagen nicht gut verkraftete. Die Investitionen seines Onkels hatten sich für ihn mehr als ausgezahlt. Das Geld nutzte dieser, um die Farm entsprechend zu erweitern, neue Kornkammern bauen lassen und das fast 300 Jahre alte Farmhaus gründlich zu erneuern. Jack hatte ein geräumiges Zimmer für sich allein, eingerichtet war es nur mit dem Nötigsten. Eine Kommode beherbergte seine überschaubare Kleidung in den typischen Luna V Farben grün und gelb. Jedes Volk hatte seine eigenen Töne. Die Einwohner von Terra Nova trugen weiß.

Seine alte Kleidung hatte seine Tante noch an dem Abend, an dem er angekommen war, auf Anweisung seines Onkels in den Küchenofen gesteckt und verbrannt. Hilflos hatte er mit angesehen, wie seine Zugehörigkeit zu Terra Nova Stück für Stück ein Opfer der Flammen wurde. Die Kleidung, die er stattdessen bekommen hatte, fühlte sich ungewohnt auf seiner Haut an. Hart, etwas steif und kratzig. Die dunkelgrüne Tunika reichte ihm knapp an die Knie und wurde von einem kurzen ledernen Gürtel an der Taille gefasst. Die safrangelbe Hose wurde am Bund geschnürt, saß an den Oberschenkeln locker, fast weit und wurde ab dem Knie eng geknöpft. Mit dem Tausch der Kleidung war er sichtbar zu einem Loonie geworden. Alle Einwohner trugen die gleichen Farben. In der Regel nähten die Frauen aus dem gelieferten Tuch die Kleidung für die Familie.