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**Wie ein Phönix aus der Asche** Endlich hat Malia herausgefunden, was in Chris' Vergangenheit geschehen ist und ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Doch im Gegensatz zu seinen Erwartungen lässt sie dieses Wissen nur umso mehr an ihn und ihre gemeinsame Zukunft glauben. Denn Malia ist mehr als bereit, ihre Liebe zu Chris unter Beweis zu stellen. Während der Kampf zwischen den außergewöhnlichen Elementträgern und dem Rest der Welt seinen finalen Höhepunkt erreicht, setzt sie auf die allerletzte Karte, die ihnen noch bleibt. Nun wird sich entscheiden, ob alles, wofür sie gekämpft hat, den Hass der Menschen stoppen und ihnen allen eine neue Welt bescheren kann… //Alle Bände von Vivien Summers bittersüßen Dystopie-Welt: -- Spark (Die Elite 1) -- Fire (Die Elite 2) -- Blaze (Die Elite 3) -- Dust (Die Elite 4) -- Die Elite-E-Box (E-Book-Gesamtausgabe) -- Flood (Elite-Spin-off)//
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Vivien Summer
Dust (Die Elite 4)
**Wie ein Phönix aus der Asche** Endlich hat Malia herausgefunden, was in Chris' Vergangenheit geschehen ist und ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Doch im Gegensatz zu seinen Erwartungen lässt sie dieses Wissen nur umso mehr an ihn und ihre gemeinsame Zukunft glauben. Denn Malia ist mehr als bereit, ihre Liebe zu Chris unter Beweis zu stellen. Während der Kampf zwischen den außergewöhnlichen Elementträgern und dem Rest der Welt seinen finalen Höhepunkt erreicht, setzt sie auf die allerletzte Karte, die ihnen noch bleibt. Nun wird sich entscheiden, ob alles, wofür sie gekämpft hat, den Hass der Menschen stoppen und ihnen allen eine neue Welt bescheren kann …
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Vita
Danksagung
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© privat
Vivien Summer wurde 1994 in einer Kleinstadt im Süden Niedersachsens geboren. Lange wollte sie mit Büchern nichts am Hut haben, doch schließlich entdeckte auch sie ihre Liebe dafür und verfasste während eines Freiwilligen Sozialen Jahres ihre erste Trilogie. Für die Ausbildung zog sie schließlich nach Hannover, nahm ihre vielen Ideen aber mit und arbeitet nun jede freie Minute daran, ihr Kopfkino zu Papier zu bringen.
Für manche ist es der Himmel,
doch für dich bleibt es die Hölle.
Mich zu lieben wird nicht einfach werden.
Du wirst die Waffe halten und ich werde dir die Kugel geben.
Es wird Krieg bedeuten.
Ryan starrte auf die bewusstlosen Körper, die vor den Fenstern wie Dominosteine umgefallen waren. Sofort war der Kugelregen verstummt, genauso wie oben auf dem Dach, wo noch das Echo nachhallte.
Er atmete schwer und versuchte zu begreifen, was da gerade vor seinen Augen passiert war.
»Hab ich Halluzinationen?«, fragte er in die Runde und warf einen Blick zu seinem besten Freund und Kollegen Trevor, der in seiner unmittelbaren Nähe stand und ebenso schockiert die Szene betrachtete.
Was ein Wunder war. Trevor zeigte normalerweise nie Emotionen, aber das musste ihn echt aus den Socken gehauen haben.
Ryan wusste nicht, wie lange sie regungslos dastanden und darauf warteten, dass etwas passierte. Dass sich die Körper wieder bewegten. Dass sie in Flammen aufgingen. Dass sie sich in Luft auflösten. Irgendwas. Aber sie blieben einfach ruhig liegen und verwirrten ihn damit noch mehr.
Ohne, dass er einen äußeren Einfluss wahrgenommen hatte, waren die Soldaten New Asias, die ihren Unterschlupf attackiert hatten, zu Boden gesackt und allem Anschein nach nicht mehr … keine Ahnung. Lebendig? Bei Bewusstsein? Ryan konnte von der Distanz aus nicht erkennen, ob sie überhaupt noch atmeten.
War sich aber auch zu fein dafür, um nachzusehen. Das konnte doch einer von den Supersoldaten machen, die sich hier allerdings auch keinen Millimeter rührten, als warteten sie auf die große Explosion.
»Nein«, antwortete ihm die vertraute Stimme von Chris schließlich. Er stand ebenfalls im Foyer, erwachte aber langsam aus seiner Verwirrung und löste damit eine Welle des Aufatmens aus.
Ryan drehte sich zu ihm um. Er kannte ihn schon seit ein paar Jahren, doch seit Neuestem kam er ihm verändert vor. Zu gut erinnerte er sich noch an die Zeiten, in denen Chris nichts hatte anbrennen lassen. Unzählige Male hatte Ryan ihn mit einem anderen Mädchen erwischt, ihm Alkohol weggenommen, wenn er seine Grenzen überschritten hatte, oder sich seine Klugscheißersprüche anhören müssen.
Er wollte sich ja nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber dass Malia ihn veränderte, wurde von Tag zu Tag sichtbarer. Auf der einen Seite war das mehr als merkwürdig, aber auf der anderen konnte Ryan sich einfach nur freuen, dass sein Küken den Teufel bezwungen hatte. Oder immerhin dabei war.
»Wartet hier drin!«, wies Chris seine Soldaten an und ging Richtung Treppen. »Sobald ich euch Bescheid gebe, werdet ihr nachsehen, ob die noch leben.«
Er ließ sich seinen Befehl kurz abnicken und lief dann die Treppe nach oben. Kurz überlegte Ryan, ob er ihm folgen solle, aber er verharrte im Foyer des Schulgebäudes, das sie inzwischen als Versteck nutzten. Sowieso wäre er jetzt viel lieber bei seiner Laurie gewesen, aber er wusste auch so, dass sie bei Clarissa in guten Händen war. Trotzdem würde er sofort zu ihr gehen, wenn sie die Angelegenheit hier geregelt hatten.
Zoés Worte hallten wie ein düsteres Echo in meinen Ohren wider. Sie umkreisten mich in einem ungeheuren Tempo, in dem ich selbst nur dastand und nicht wusste, wie ich auf diese schlimme Prophezeiung hin reagieren sollte.
Ich sollte also jetzt – vollkommen unvorbereitet – in diese Maschine einsteigen und zu Präsident Longfellow gebracht werden, um mit ihm unsere Kooperation auszuhandeln. Dabei musste ich nur noch bedenken, dass Chris nicht weggesperrt wurde, dass niemand der Rebellen um sein Leben fürchten musste, und ach ja, dass ich nicht wider Erwarten festgehalten und gefoltert würde.
Durchaus tolle Aussichten, wenn man mich fragte. Aber das tat ja ganz offensichtlich niemand.
Stattdessen wurde ich von allen Seiten erwartungsvoll angestarrt, nachdem ich mich nach Zoés Kundgabe, New Asia in den Hintern zu treten, immer noch nicht gerührt hatte.
Meine Muskeln, meine Knochen, selbst mein Blut schien von einer Sekunde zur anderen mit Stickstoff versetzt zu sein. Ich war in diesem Angstschock gefangen, weshalb ich mich keinen Millimeter bewegen konnte. Lediglich meine Augen huschten hilfesuchend zu Chris, der mich mit hochgezogener Braue ein paar Schritte von mir entfernt musterte und zu warnen schien, indem er seine Lippen streng verzog.
»Hab ich mich undeutlich ausgedrückt?«, sprach Zoé mich wieder an, aber ich konnte nicht anders, als ihren Blick blinzelnd zu erwidern, als hätte ich sie nicht verstanden.
Irgendwie hatte ich das auch nicht.
Sie konnten mich doch nicht wirklich zum Präsidenten schicken, ohne dass wir wenigstens einmal darüber gesprochen hatten, was ich überhaupt sagen sollte – oder was ich tun sollte, würde er mich einsperren. Wir hatten über keine einzige Eventualität gesprochen.
Im Augenwinkel sah ich, wie Jasmine einen Schritt vortrat. Sie legte mir die Hand auf den Oberarm, aber ich spürte es kaum.
»Du musst das nicht tun, wenn du nicht willst, hörst du?«
Ich wollte gerade nicken, als Zoé genervt die Luft ausstieß. »Ich glaube, du hast hier noch was zu klären, Chris. Und Gnade dir Gott, sollten wir umsonst hierhergeflogen sein.«
Er seufzte. »Gib uns eine Minute«, meinte er ernst, woraufhin er meinen zwei Begleiterinnen zunickte.
Jasmine strich noch einmal beruhigend sowie aufmunternd über meine Schulter und trat dann ebenfalls den Rückzug an. Gern hätte ich noch irgendetwas zu ihr gesagt, aber mein Mund war so trocken, dass ich nicht mal schlucken konnte.
Als Zoé sich kopfschüttelnd ebenfalls zum Gehen wandte und den Soldaten mit einem Wink befahl ihr zu folgen, beschleunigte mein Puls ruckartig. Mein Körper ahnte bereits, dass Chris gleich jegliches Mittel recht sein würde, um mich wieder zu beruhigen. Dabei hatte ich nicht mal Lust darauf, dass er sich mir mehr als einen Meter näherte.
Ich war – neben der Verarbeitung meiner Angst – immer noch damit beschäftigt, das Bild von Zoé und ihm aus dem Kopf zu bekommen. Bisher vergebens. Schließlich hörte man nicht alle Tage direkt aus seinem Mund, mit wem er welche Art Beziehung gehabt hatte. Dass es ausgerechnet Zoé war, hätte mich eigentlich nicht wundern dürfen. Dennoch war es komisch.
Aber wie konnte ich ihm das schon zum Vorwurf machen, dass er quasi eine Affäre mit seiner Ausbilderin hatte? Er war schließlich meiner.
Kaum war Zoé außer Hörweite, überbrückte er den Abstand zwischen uns, blieb aber dennoch einen Schritt von mir entfernt stehen. Besser wurde die Situation dadurch trotzdem nicht.
»Ich weiß, dass wir kaum darüber gesprochen haben, aber du brauchst dir keine Gedanken zu machen«, sagte er und legte den Kopf schief. Wollte er mir damit signalisieren, dass er Verständnis für meine Lage hatte? – Weit gefehlt: Das altbekannte Funkeln trat in seine Augen. »Zoé wird dich nicht alleinlassen.«
Juhu. Noch mehr Zeit, die ich mit Chris' Betthäschen verbringen durfte.
Er musste die fehlende Begeisterung in meinem Gesicht gelesen haben, denn ein schelmischer Zug umspielte plötzlich seine Lippen. »Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?«
Ich musste mich zusammenreißen, mich nicht wie ein trotziges Kleinkind zu verhalten und diese Tatsache abzustreiten. Diese völlig irrsinnige, lächerliche Tatsache, die mein Herz schmerzhaft anschwellen ließ. Also wieso nicht einfach mal die Wahrheit sagen?
»Willst du mir jetzt einreden, dass es dafür keinen Grund gibt?«, fragte ich ihn mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme, damit er ganz genau wusste, dass das kein Spaß für mich war.
Aber natürlich ging es nicht nur um Zoé! Es ging darum, dass er mich ins offene Messer laufen ließ. Einfach so. Ohne jemanden, ohne irgendetwas, das sich schützend dazwischenwerfen würde.
Nicht zu vergessen war diese Nikki, die sich vor meinen Augen an seinen Hals geworfen hatte und damit die neue Eifersucht wegen Zoé nur bestärkte.
»Den gibt es auch nicht«, antwortete er, immer noch grinsend – als würde ihm meine Eifersucht auch noch gefallen. Typisch. »Das mit Zoé ist Jahre her und wie eben schon gesagt, war es scheiße und definitiv keine Wiederholung wert.«
Dafür gab es aber andere Mädchen …
Ich wandte störrisch den Blick ab. »Du bist mir keine Rechenschaft schuldig. Noch nicht«, sagte ich warnend, obwohl ich nicht mal wusste, wieso.
Trotz seiner Vergangenheit hoffte ich so sehr, dass er mir das nicht antun würde. Er wusste, wie viel ich für ihn empfand, und bisher hatte er nicht den Eindruck gemacht, als ginge es ihm anders. Durch das Gespräch zwischen ihm und Ben war das auch mehr als deutlich geworden – aber man konnte ja nie wissen.
Ich hatte immerhin keine Ahnung, wie es für ihn sein musste, sich nur noch auf eine Person einzulassen, wenn man vorher keine Verpflichtungen eingegangen war. Falls wir das überhaupt getan hatten. Darüber gesprochen hatten wir nun auch nicht wirklich.
»Aber dafür müsstest du mir mal erklären, was ich Longfellow sagen soll. Ich habe keine Ahnung, wa…«
»Doch, du weißt es«, widersprach Chris mir und unterbrach mich sanft. Ich sah ihn wieder an und erkannte, dass er mir in dieser Angelegenheit hundertprozentig vertraute. »Und du wirst das auch hinkriegen. Malia …« Er hörte auf zu sprechen, klang aber so, als hätte er mir noch etwas zu sagen.
Ich hob fragend den Blick. »Ja?«
»Biete ihm nichts an, verstanden? Wir wollen, dass die Therapien eingestellt werden, und dafür unterstützen wir seine Truppen, nicht mehr und nicht weniger.«
Da Chris mich plötzlich eindringlich ansah, nickte ich. »Was ist, wenn er mehr fordert?«
»Bleib standhaft«, erwiderte er fest. »Er wird dir wahrscheinlich seinen Schutz versprechen, wenn du dafür seine Laborratte wirst. Er wird damit rechnen, dass du nicht zustimmst, also wird er auf allen Wegen versuchen dir seine Meinung einzureden.«
»Was er nicht schaffen wird«, murmelte ich, allerdings wenig überzeugt.
Ich wusste, wie charismatisch er sein konnte – genauso wie Chris. Die beiden standen nun mal für ihre Ideale ein, hatten genügend dafürsprechende Gründe, die sie genauso überzeugend darstellen konnten. Was, wenn mir Longfellows Gründe plötzlich besser gefielen?
Aber nein. So weit würde ich es nicht kommen lassen.
Hoffentlich.
»Nein, das wird er nicht«, bekräftigte er. »Fang nur nicht an, mit ihm zu diskutieren. Er weiß genau, wie er dir jedes Wort im Mund umdrehen kann.«
»Okay.« Ich schluckte nervös. Eigentlich war gar nichts okay. Am liebsten wäre ich noch ewig hier stehen geblieben, um mit ihm zu reden – schließlich war das die einzige Möglichkeit, wie ich den Abflug hinauszögern konnte.
Aber ich hatte es ihm versprochen und irgendwie würde ich dieses Versprechen halten.
»Gut«, antwortete Chris und trat den letzten Schritt auf mich zu, um mir überraschend sanft einen Kuss auf meine angsterstarrten Lippen zu hauchen. Für eine Sekunde entspannte ich mich ein wenig, doch als er dann wieder den Rückzug antrat, legte sich eine ungewohnte Kälte um meinen Körper.
Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, doch Wärme spendete es mir kaum. Eher durchflutete mich eine Welle der Hitze, die mir die Röte auf die Wangen trieb. »Lass mich nicht zu lange warten«, hatte er noch leise gesagt und mir anzüglich zugezwinkert, ehe er sich von mir entfernte und Zoé ein Zeichen gab, dass es losgehen konnte.
Wo war mein Zeichen, dass ich bereit war? Ich hoffte auf irgendetwas, das mein Körper mir mitteilte, aber es schien nichts weiter als vollkommene Leere in mir zu existieren. So viel Leere, dass auf einmal jegliche Angst von mir abzufallen schien, als ich – ohne weiter darüber nachzudenken – auf den Hubschrauber zuging.
Nur nicht umdrehen, sagte ich mir und wiederholte die Worte immer wieder. Auf halbem Weg pfiff Zoé dem Piloten eine Anweisung zu, woraufhin einige Sekunden später das Sirren des Motors erklang. Die Rotorblätter begannen sich langsam zu drehen.
Ich hatte das Gefühl, je schneller sie wurden, desto mehr beschleunigte mein Herz. Es schien mir mitteilen zu wollen, dass ich Panik hatte, aber mein Kopf machte sein eigenes Ding. Er steuerte mich weiterhin auf die Maschine zu, ließ meine Hand nach Zoés greifen, sodass sie mich halbwegs in den Hubschrauber hineinzog.
Kaum stand ich drin, hatte ich keine Möglichkeit zu reagieren oder es mir anders zu überlegen. Die Luke senkte sich und Zoé drückte mich blindlings in einen der Sitze.
»Anschnallen!«, befahl sie grob. »Könnte ein rasanter Flug werden. Wehe, du kotzt hier alles voll!«
Wie in Trance gehorchte ich ihr. Suchend drehte ich mich nach den Gurten um, entdeckte sie unter der Kopfstütze und griff mechanisch danach. Als wäre ich vollkommen mit der Technik vertraut, zog ich mir den Gurt über den Kopf und fixierte ihn an einer Schnalle, die ich unter dem Sitz hervorholte. Keine Ahnung, woher ich das wusste, aber es erschien mir logisch.
Gerade, als der Hubschrauber abhob, setzte ich mich wieder aufrecht hin und zog den Gurt fest, sodass ein großes, eng anliegendes Y über meine Brust verlief. So wie ich drauf war, hätte ich den Gurt so festgezogen, dass er mir die Luft abgeschnürt hätte, aber meine Muskeln wurden zu Pudding, als ich einen Blick nach draußen warf.
Obwohl die Scheiben von außen schwarz gewesen waren, hatte ich von innen einen hervorragenden Blick über die Terrasse, die bedrohlich zu schwanken begann. Kurz ließ ich die Faszination darüber zu, aber mindestens genauso schnell wurde mir bewusst, dass ich gleich fliegen würde. Dass ich in wenigen Sekunden irgendwo im Himmel wäre und aus der Welt dort unten flüchten konnte.
Eine schöne Vorstellung, wäre dieses flaue Gefühl im Magen nicht gewesen.
Zoé ließ sich mir gegenüber in den Sitz fallen und schnallte sich ebenfalls an. Den Helm schob sie zuvor unter ihren Sitz, wo er wohl seinen gewohnten Platz hatte.
Zwei der vier Soldaten saßen links von uns, die anderen beiden hatten die Sitze hinter Zoé eingenommen und kehrten uns den Rücken zu.
Während ich das registrierte, versuchte ich mich von der Aussicht loszureißen – und trotzdem blieb mein Blick an Chris hängen, der uns bereits den Rücken zugedreht hatte und darauf wartete, dass Jasmine und die anderen wieder zu ihm kamen.
So wie er auf die am Boden liegenden östlichen Soldaten zeigte, erteilte er ihnen bestimmt einen Befehl, was mit ihnen gemacht werden sollte.
»Sind sie tot?«, fragte ich, um mich von der Tatsache abzulenken, dass mein Magen eine Etage tiefer sackte.
»Also der, der von der Explosion erwischt wurde, auf jeden Fall«, sagte Zoé unberührt und klang nicht so, als würde sie diese Tatsache sonderlich stören.
Bevor Zoé mit den Hubschraubern gekommen war, hatten uns Soldaten New Asias angegriffen. Ich hatte gegen einen Soldaten kämpfen müssen, der in die zweite Etage der Schule gelangt war und gegen mein Feuer immun zu sein schien.
Nachdem ich ihn bewusstlos geschlagen hatte, waren Jasmine und ich zur Terrasse gegangen. Ich erinnerte mich auch an den Soldaten, der von seiner eigenen Bombe getroffen worden war. Zumindest wusste ich, dass er uns zuvor mit eben dieser die Fensterscheibe zerstören wollte. Als sie alle beim Auftauchen von Zoé Hubschraubern umgefallen waren, war eine letzte Bombe in die Luft gegangen.
Eine Mischung aus Mitleid und Hass keimte in mir auf. Einerseits hatte er es verdient, andererseits war es eine grausame Art, zu sterben.
»Und die anderen werden sich wünschen tot zu sein, wenn sie aufwachen«, fuhr sie fort und ergänzte nachdenklich: »Falls sie wieder aufwachen. Ich weiß noch nicht, welche Variante mir besser gefallen würde.«
Ich zwang mich endlich dazu, woanders hinzusehen, und entschied mich stattdessen an die Decke der Maschine zu starren. Auch wenn es dort nichts gab, was mich ablenken konnte, so kam ich immerhin nicht in Versuchung, wieder nach draußen zu sehen. Wenn mein Magen jetzt schon protestieren wollte, wie sollte es dann erst weitergehen, wenn wir erst mal die Flughöhe erreicht hatten?
»Was gefällt dir besser, Riot?«, sprach sie einen der Männer an und hatte dabei einen scheinheiligen Unterton in der Stimme.
Der Soldat neben mir antwortete mit einem hörbaren Grinsen: »Wenn sie tot sind, was sonst?«
Ja, genau, was sonst? Ein Teil von mir stimmte ihm zu und wollte, dass sie bluteten. Doch der andere Teil fühlte sich schlecht, weil er Menschen den Tod wünschte, obwohl sie genau dasselbe taten wie ich. Sie kämpften für ihr Land, für ihre Familie, für diejenigen, die sie liebten. Sie kämpften in meinen Augen nur für die falsche Seite.
»Stimmt«, pflichtete sie ihm bei. »Dann muss man sich wenigstens keine Gedanken machen, dass die zu Zombies mutieren könnten.«
»Sie experimentieren mit dem Serum, oder?«, fragte ich, damit sie bloß nicht aufhören würden zu reden. Auch wenn ich währenddessen immer noch angespannt an die Decke starrte … was meinen Magen irgendwie beruhigte. Das Kribbeln hatte nachgelassen.
»Da hat wohl wer im Chemieunterricht aufgepasst«, flötete Zoé, obwohl ich nicht mal verstand, was das jetzt für eine Rolle spielte. Außerdem hatte ich Chemie gehasst. »Aber ja. Oder was glaubst du, wie sie aufs Dach gekommen sind.«
»Luftsoldaten?«, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort selbst geben konnte. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, es sei denn, sie besäßen auch Flugmaschinen oder Leitern, die lang genug wären.
Das erklärte auch, wie der Soldat in den zweiten Stock gekommen war und mich hatte angreifen können. Die Luftsoldaten beherrschten den Wind; sie konnten seine Geschwindigkeit nutzen. Ich hatte selbst gesehen, wie es funktionierte, als ich aus Haven geflohen war und die Stadt noch in Flammen gestanden hatte.
»Jop!« Zoe schnalzte mit der Zunge. »Ist ziemlich scheiße gelaufen, würde ich mal vorsichtig behaupten. Seit Jahren versuchen wir das Serum zu verbessern und die Reisfresser schaffen es in ein paar Wochen.«
Ich erlaubte mir einen kurzen Augenkontakt mit ihr. »Aber wer sagt, dass es für die keine Konsequenzen hat?«
»Niemand«, antwortete sie grob. »Wir wissen bisher kaum etwas über ihre Selbstversuche, außer, dass unser Gift sie ausknockt und die Selbstheilungsprozesse lahmgelegt werden. Alles Weitere steht in den Sternen.«
Das klang ja vielversprechend. »Und hat Longfellow sich schon geäußert, wie er weiter vorgehen will?«
Ein kurzes Kichern war zu vernehmen gewesen, ehe sie mir antwortete.
»Prinzesschen, mach dir darum mal keine Gedanken. Für strategisches Denken bist du zu unerfahren – oder zu blöd, was sich zu gegebener Zeit rausstellen wird – und Chris ist zu impulsiv.«
Da konnte ich ihr wohl oder übel zustimmen. Nur über ihre Beleidigung, dass ich zu blöd wäre, hörte ich mal hinweg. Viel schlimmer war es sowieso für mich, seinen Namen aus ihrem Mund zu hören. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir damit Unsinn unter die Nase reiben wollte. Sie war ja offensichtlich nicht mal verletzt, weil Chris das, was sie gehabt hatten, als Scheiße bezeichnet hatte.
Einen Moment lang hatte ich das Bedürfnis, sie darauf anzusprechen, doch dann schluckte ich meine Neugier hinunter – und stellte mit Erstaunen fest, dass mein Magen das verkraftete. Also traute ich mich auch, mich ein wenig zu entspannen und das Gefühl zu genießen, obwohl sich meine Finger immer noch in den samtigen Bezug des Sitzes krallten, als würden sie ihn nie wieder loslassen wollen.
»Ich kapiere auch nicht, wie ihr ihn als euren Anführer sehen könnt«, fuhr sie schließlich fort und weckte dadurch wieder meine Aufmerksamkeit.
»Na ja«, erwiderte ich gedehnt, »er hat doch das Ganze erst ins Rollen gebracht, oder? Ich schätze deswegen.« Und weil er genau weiß, was er will. Weil er das gewisse Etwas hat, dass die anderen dazu bringt, seinem Beispiel zu folgen.
»Und? Das ist doch kein Grund.« Zoé zog ihre rechte Augenbraue hoch, weshalb ich plötzlich die rasierte Seite ihres Kopfes fixierte, und das Tattoo, das über ihrem Hals in ihre Uniform verlief. Es machte mich neugierig, auch wenn ich mir sicher war, dass Tribals nur als Schmuck dienten und keine besondere Bedeutung hatten. »Fakt ist doch, dass man Chris nicht vertrauen kann«, fuhr sie unbeirrt fort.
Auch damit hatte sie recht. Dass man es nicht tun sollte, hatte er mehr als einmal unter Beweis gestellt. Nicht nur, weil er mir nichts von seinen Plänen, die Regierung zu stürzen, erzählt hatte, sondern auch, weil er mich zwei Wochen lang im Gefängnis eingesperrt hatte – zu meinem Schutz, wie er behauptete.
Dass er gelogen hatte, als er mir weisgemacht hatte, meine Familie wäre in Sicherheit, hatte seinen Worten nach ebenfalls dazu gedient haben, dass ich mich von meinen Sorgen um sie nicht in den Abgrund ziehen ließ.
Tja. Er hatte sich im Nachhinein damit ein Eigentor geschossen, denn das Vertrauen zu ihm war einerseits verschwunden.
Meine Gefühle andererseits aber nicht.
Inzwischen wusste ich mehr über ihn und seine Beweggründe, sodass ich ihm längst verziehen hatte.
So, wie wir uns vor weniger als zwei Stunden auf seiner Couch geküsst hatten, war wohl deutlich geworden, dass ich wieder mehr Vertrauen zu ihm fasste.
Mir blieb auch kaum eine Wahl, wenn wir das gemeinsam durchziehen wollten.
»Er hat Fehler gemacht, ja«, antwortete ich dann doch, weil ich das Bedürfnis hatte, ihn zu verteidigen. »Aber das bedeutet doch nicht, dass er kein guter Anführer ist. Immerhin sind wir alle noch am Leben.«
»Ach, Gott. Du bist aber süß.« Zoé grinste mich mit einer Mischung aus Verblüffung und Ironie an. Ein amüsiertes Funkeln trat in die dunklen Augen. »Er würde sich bestimmt geehrt fühlen, wenn er wüsste, dass du glaubst, dass ihr seinetwegen noch nicht ins Gras gebissen habt.«
Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, runzelte ich bloß die Stirn und machte den Fehler, mein Gesicht von ihrem abzuwenden. Mein Blick fiel wieder nach draußen.
Wir waren inzwischen so weit oben, dass ich nichts weiter als die karge Landschaft erkennen konnte. Haven hatten wir längst hinter uns gelassen.
Das Gespräch hatte mich so sehr von meiner Übelkeit abgelenkt, dass ich sie inzwischen überwunden hatte. Jetzt musste ich nur noch aufpassen, dass die Angst nicht zurückkam, wo ich sie gerade doch im Griff zu haben schien. Und da ich nicht wusste, wie lange mein Glück anhalten würde, wollte ich es nicht überstrapazieren, indem ich an die bevorstehende Verhandlung dachte.
Also musste ich mich mit etwas anderem ablenken – und da blieb entweder die schwindelerregende Aussicht oder ein Gespräch mit Zoé. Aber bei Letzterem wusste ich nicht mal, wie ich daran anknüpfen sollte.
»Und«, richtete sie überraschend das Wort an mich, als hätte sie meine Gedanken wahrgenommen, »wie ist es so, mit einem Psycho zusammen zu sein?«
Unwillkürlich stutzte ich. Wollte sie jetzt darauf anspielen, dass Chris mich in der Residenz eingesperrt hatte – aber dann stellte sich die Frage, woher sie das wusste –, oder wollte sie darauf hinaus, dass er das Land in einen Krieg gestürzt hatte?
Aber anstatt sie danach zu fragen, blinzelte ich bloß. »Ehrlich gesagt, weiß ich jetzt nicht, was du von mir hören willst.« Mal ganz abgesehen davon, dass ich ganz bestimmt nicht mit ihr darüber sprechen wollte.
Wie Chris vor wenigen Minuten legte auch sie den Kopf schief. »Na, mich interessiert es, wie du damit umgehen kannst. Ich meine, wer kann denn bitte mit jemanden zusammen sein wollen, der weder Empathie noch Schuld empfinden kann?«
Gute Frage. Chris hatte mir selbst gesagt, dass er kein schlechte Gewissen besaß … aber … »Damit komme ich zurecht.«
»Und dass er manipulativ ist? Dass er lügt und talentiert darin ist, anderen das Leben zur Hölle zu machen? Seien wir mal ehrlich, so wir Mädels unter uns: Ist es, weil er so gut aussieht?«
Ich hob die Augenbraue und hoffte sie gerade falsch verstanden zu haben. »Ich bin nicht oberflächlich.«
»Dann bist du das naive, kleine Mädchen, das hofft die eine zu sein, die sein gefrorenes Herz zum Schmelzen bringt?«, säuselte Zoé und klimperte dabei gespielt unschuldig mit den Wimpern.
Auch wenn sie recht hatte, wollte ich ihr nicht zustimmen. Ich hatte mir vorgenommen, seine harte Schale zu knacken, aber musste das denn gleich bedeuten, dass ich naiv war, weil ich es wenigstens versuchte?
Zoé, die meine Nicht-Antwort wohl als Bestätigung ihrer Aussage sah, lachte herzlich. »Ach, Süße. Schlag dir das am besten wieder aus deinem Spatzenhirn. Er wird sich nicht ändern, er kann es nicht. Was meinst du, zu wie vielen Ärzten er geschleppt wurde, bis sie ihn für einen hoffnungslosen Fall erklärt haben?«
»Ärzte?«, hakte ich nach, weil ich nicht wusste, wovon sie sprach.
»Ja, Ärzte. Die Männer in den weißen Kitteln. Nur, dass sie am Ende kurz davor waren, ihn zwangseinzuweisen. Keine schöne Sache, sag ich dir, aber das ist eine andere Geschichte.« Sie verdrehte die Augen, als wäre es ihr zu anstrengend, jetzt darüber zu reden. Dass es mir aber zu anstrengend wurde, ihr zu folgen, schien ihr gar nicht aufzufallen.
Da ich aber wieder dran war, etwas zu sagen, fragte ich: »Bei wie vielen denn?«
»Waren bestimmt um die dreißig. Und alle hatten immer wieder dieselbe, unheilbare Diagnose«, seufzte sie und verschränkte entspannt die Arme vor der Brust. Sie holte tief Luft. »Aber naja, wenn man von Geburt an als Forschungsexperiment missbraucht wird, wundert's mich nicht, dass irgendwann die Bombe hochgeht. Wenn du mich fragst, ist die Regierung selbst schuld an dem Krieg. Ha, das wäre 'ne krasse Schlagzeile, findest du nicht?«
Ich musste die Kontrolle über meine Mimik verloren haben, denn Zoé fing an zu lachen. Sie lachte laut und verblüfft, sodass ich mir mehr als verarscht vorkam. Die flache Hand hielt sie gegen den Bauch gepresst, als würde der Gefühlsausbruch ihr Schmerzen bereiten.
»Deinem Blick nach zu urteilen, hast du keinen Schimmer, wovon ich rede, kann das sein?«
Wie ferngesteuert nickte ich und wartete darauf, dass sie mich aufklärte. Einerseits in dem Sinne, dass sie mir herunterbetete, was sie mit den Experimenten meinte, andererseits, dass sie mich in ihren Witz einweihte und mir mitteilte, dass sie nur Spaß gemacht hatte.
Aber sie lachte nur herzlich weiter und machte mich damit umso nervöser. Eine Frage nach der anderen raste durch meinen Kopf und brachte mich vollkommen durcheinander.
Ich wusste nicht, ob sie mir die Wahrheit sagte oder sich einen schlechten Scherz erlaubte.
»Das ist nicht witzig«, meinte ich schließlich spitz, weil ich mir ihr Lachen nicht mehr anhören konnte. Etwas daran ließ das Blut in meinen Adern kochen, sodass ich meine Finger noch tiefer in die Polster krallte, um damit nicht irgendeinen anderen Blödsinn zu machen.
Auch wenn ich sie nicht verletzen konnte – schließlich war sie eine Wassersoldatin und auch noch eine ziemlich hochranginge –, hinderte das meinen Körper nicht daran es zu versuchen.
Theatralisch wischte Zoé sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dabei verzog sie das Gesicht, als würde sie gleich niesen müssen – allerdings stellte sich schnell heraus, dass sie nur einen weiteren Lachanfall zurückhalten musste.
»Oh, wenn du wüsstest, wie witzig das ist.«
»Kein bisschen«, wehrte ich ab und zwang mich dazu, mich so tief wie möglich in den Sitz zu drücken. Vielleicht könnte ich mich dann besser konzentrieren.
»Also.« Sie holte tief Luft und blinzelte einige der Lachtränen fort. »Er hat es dir nicht gesagt?«
Ich schüttelte den Kopf, presste dabei die Lippen fest aufeinander.
»Ups«, meinte sie bloß und riss gespielt schockiert die Augen auf. Offensichtlich war es ihr vollkommen egal, was diese neue Information mit mir anrichtete.
Obwohl ich selbst nicht genau wusste, was ich damit anfangen sollte, war mir dennoch klar, dass jetzt der falsche Zeitpunkt dafür war. Noch unpassender hätte er vermutlich nicht sein können.
»Macht dir das Spaß?« Ich legte säuerlich die Stirn in Falten.
»Was? Zu sehen, dass er wohl zu feige war, mit offenen Karten zu spielen?«
Diese Worte fühlten sich an wie ein Schlag ins Gesicht – noch schlimmer war es, dass ich wusste, wie viel Wahrheit in ihren Worten steckte. Schließlich hatte Chris nie einen großen Hehl daraus gemacht, Geheimnisse vor mir zu haben, die er mir nicht verraten wollte. Zumindest noch nicht.
Zoé grinste selbstzufrieden. »Obwohl … wenn ich so genau darüber nachdenke, an seiner Feigheit liegt es wohl nicht. Sondern einfach in seiner Natur«, seufzte sie vermeintlich schwer. »Das sagt er doch immer so … oder? Als würde das irgendwas rechtfertigen.«
So langsam wurde mir klar, dass solche Worte wie: Hey, das war nur ein Witz!, nicht kommen würden.
Allem Anschein nach schien sie es vollkommen ernst gemeint zu haben, als sie sagte, dass Chris ein Experiment der Regierung war. Aber … waren wir das nicht alle?
Ich schluckte schwer. Alles in mir schien plötzlich nach unten zu sacken und mich mit einem tonnenschweren Gewicht auf den Sitz zu nageln.
»Du – es … Chris ist ein Experiment?«
»Ja«, bestätigte mein Gegenüber skeptisch, als hielte sie mich für unfähig ihr zuzuhören. »Wie du bestimmt mitbekommen hast, bezeichnen sie ihn als perfekten Soldaten. Warum wohl, hm? Bestimmt nicht, weil er wie ein Weltmeister küssen kann.«
Ich versuchte den Seitenhieb auszublenden. Es gelang mir nur leider nicht meinen verstörten Blick von ihr abzuwenden und so zu tun, als hätte ich den Rest davon nicht wahrgenommen.
Mein Verstand hatte sich selbstständig abgeschaltet, sodass die ganzen unbewussten Gedanken, Hoffnungen, Ängste, Gefühle in ihrem Käfig eingesperrt blieben und ich mich auf eine einzige Frage konzentrieren konnte: Überraschte mich das wirklich so sehr?
Einerseits, ja. Aber andererseits schien alles plötzlich einen Sinn zu ergeben. Dort, wo die Puzzleteile nicht zusammengepasst hatten, entstand jetzt endlich ein Bild, das ich klar und deutlich vor Augen hatte.
Ich musste an sämtliche Gespräche und Situationen denken, in denen ich genau wusste, dass etwas mit ihm nicht stimmte, ich aber einfach nicht sagen konnte, was es war. Es war so, als würde man auf zwei beinahe gleiche Fotos sehen, doch auf einem der beiden waren Fehler, die man zu erkennen versuchte. Bis jetzt war ich blind gewesen, doch mit dem neuen Wissen entdeckte ich plötzlich die Fehler und kreiste sie mit einem dicken roten Stift ein.
Mir fiel unsere erste, wirkliche Begegnung wieder ein, als er mein Bild verbrannt hatte. Damals hatte er zu mir gesagt, dass es für alle besser gewesen wäre, sie hätten die Therapien bei ihm abgebrochen. Ben hatte etwas Ähnliches erzählt; außerdem, dass es einen Grund gab, wieso Chris dieser Supersoldat war, den wir alle kannten.
Und so langsam wurde mir klar, wie es zusammenpasste. Die Regierung wollte sein Blut, weil es besonders war. Weil er Gene hatte, die das Kämpfen erleichterten, die die Gleichgültigkeit nährten, die das Lügen steuerten. Sie wollten es benutzen, um andere Soldaten wie ihn werden zu lassen – oder vielleicht sogar, um noch weiter zu experimentieren.
Da er als Einziger als perfekter Soldat bezeichnet wurde, stand für mich fest, dass er auch der Einzige seiner Art war. Der einzige geglaubte Erfolg der Regierung.
Aber das hatten sie nun davon.
Chris hatte so oft Andeutungen gemacht, dass er nicht der war, für den ich ihn hielt. Er warnte mich vor sich selbst, befahl mir ihm nicht zu vertrauen – aber aus welchem Grund hatte er es getan?
All seine Worte, die mir das Gefühl gaben, ihm etwas zu bedeuten, prasselten auf mich ein. Dass er mich nur beschützen wollte, dass er nicht zulassen konnte, dass sie mich töten würden. Dass ich nicht nur eine Soldatin für ihn war.
Er hatte Sara für mich gerächt. Er hatte mir das Leben gerettet. Er hatte mich aufgefangen, als ich drohte zu fallen. Er hatte so vieles für mich getan – aber wofür?
Millionen von Fragen kreisten in meinem Kopf. Ich wusste nicht mal, welche ich davon zuerst stellen sollte und vor allem, welche Antwort ich noch verkraften konnte. Was, wenn jetzt herauskäme, dass es ihm immer nur darum gegangen war meine Fähigkeiten zu benutzen, um Profit für sich selbst herauszuschlagen? Was, wenn all das hier ein abgekartetes Spiel war und ich zu blind, um es zu erkennen?
Was, wenn ich ihm nicht das Geringste bedeutete?
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen; die stechende, schreckliche Ungewissheit überfiel mich so heftig, so schnell, dass ich den entscheidenden Moment der Rettung verpasste. Mein Körper lenkte in eine Richtung, die ich nicht rückgängig machen konnte.
Denkst du, dass du dich verbrennen würdest?, hatte er mich im Bunker gefragt, kurz nach meiner Panikattacke.
Bis jetzt hätte ich mit großer Wahrscheinlichkeit gesagt, dass ich zwar brannte, aber nicht aus Leid oder Hass. Ich hätte behauptet, dass wir zusammen brannten. Aber jetzt – jetzt spürte ich, wie meine Adern vom heißen Feuer versenkt wurden. Ich konnte es nicht aufhalten.
Ja, ich würde mich verbrennen.
Ich hatte all seine Warnungen überhört. Es war mir egal gewesen, irgendwann. Auch wenn ich die ganze Zeit gewusst hatte, dass ich ihm nicht vertrauen sollte, auch wenn ich ihn dafür gehasst hatte, dass er mich eingesperrt hatte – es war mir alles egal gewesen. Sogar als er mich gedemütigt hatte, indem er mich in seiner Anwesenheit unter die Dusche geschickt hatte, hatte ich an kaum etwas anderes denken können als an ihn.
Chris hatte mich vollkommen in seiner Gewalt, schon von Anfang an.
»Du fängst jetzt aber nicht an zu flennen, oder?«, fragte mich Zoé mit skeptisch hochgezogener Augenbraue und betrachtete mich abschätzend. »Wir sind in ein paar Minuten da, also solltest du dich besser zusammenreißen.«
»Ich muss nicht heulen«, antwortete ich ihr überraschend ruhig und monoton, obwohl alles in mir danach schrie, meiner Wut durch Tränen ein Gesicht zu verleihen.
Aber andererseits wollte ich das nicht. Ich wollte nicht mal wütend sein. Vielleicht hatte das alles einen ganz einfachen Grund … vielleicht hatte er Angst … nein, das war das falsche Wort. Chris war ein Egoist. Wenn er es mir verheimlicht hatte, dann nur, damit ich bei ihm blieb. Sollte es hierbei nur um die Phönix-Sache gehen, hätte ihm doch egal sein können, ob ich damit klarkam, oder?
»Na dann.« Zoé verdrehte wenig überzeugt die Augen.
Ich hob daraufhin das Kinn an. »Also«, begann ich und versuchte noch die Worte in meinem Mund zu ordnen, aber sie waren bereits aus mir herausgekommen, noch bevor ich es mir anders überlegen konnte, »alles, was Chris jemals gesagt hat, war gelogen?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Du kennst ihn doch, oder? Ihr hattet was miteinander. Und du kennst sein Geheimnis.«
Ihr rechter Mundwinkel hob sich spottend. »Wir sind zusammen aufgewachsen«, erklärte sie mir. »Ich war wie die Schwester, die er nie hatte.« Verblüfft runzelte sie die Stirn. »Wow, ich wollte das zwar immer schon mal sagen, aber hätte nicht gesagt, dass es sich so abartig anhört.«
»Allerdings«, murmelte ich – war mir egal, ob sie es hörte. Irgendwie war mir auf einmal alles egal. Ich wollte nur noch aus diesem Hubschrauber raus, die Verhandlung hinter mich bringen und mit Chris reden.
Ich würde es erst glauben, wenn ich es aus seinem Mund hörte – und dann würde ich wissen wollen, ob er mich von Anfang an nur als einen Spielstein betrachtet hatte.
»Wie dem auch sei«, fuhr sie fort, als hätte sie nicht mal bemerkt, dass ich etwas gesagt hatte. »Nicht alles, was über seine zuckersüßen Lippen kommt, sind Lügen. An guten Tagen ist er durchaus in der Lage, die Wahrheit zu sagen. An schlechten Tagen zwar auch, aber dann will sie niemand hören.«
Ob die guten Tage wohl die gewesen waren, an denen er mich immer gefragt hatte, ob ich die Wahrheit wirklich wissen wollte?
»Okay«, war schließlich das Einzige, was ich dazu sagen konnte.
»Okay?«, hakte Zoé allerdings schnell nach und machte nicht gerade den Eindruck, als wäre sie glücklich über meine Reaktion. »Spürst du etwa nicht den Drang, dich schreiend vom nächsten Gebäude zu stürzen?«
»Warum sollte ich?«
»Weil eure Beziehung, oder wie auch immer du diese abstoßende Sache zwischen euch beschreibst, für ihn nichts wert ist.« Bei diesen Worten spürte ich einen winzigen Stich, aber er war so schnell wieder verschwunden, dass ich ihn mir nur eingebildet haben musste. Sie wollte mich bloß provozieren. »Ich habe ja keine Ahnung, was du dir unter den Versuchen vorstellst, aber die haben ihn auf alle erdenkliche Arten gebrochen und gebogen, so wie sie es wollten. Nur seinen Wunsch nach Rache haben sie wohl etwas unglücklich ausgelegt. Wie dem auch sei. Dir sollte bewusst sein, dass das mit euch für ihn keine Zukunft hat.«
»Ich werde nicht aufgeben«, antwortete ich bloß und wandte den Blick von ihr ab. Nein, ich würde Chris weder im Stich lassen, noch aufhören darum zu kämpfen an seiner Seite zu sein. Diese Experimente an ihm mussten schließlich nicht gleich bedeuten, dass ihm alle Menschen egal waren. Dass ich ihm egal war.
Nach all dem, was wir durchgemacht hatten, konnte das einfach nicht möglich sein.
Auch wenn ich meinen Reflexen nachgehen und ihr einen bösen Blick zuwerfen wollte, hielt ich dem Drang stand und fixierte die getönten Scheiben des Hubschraubers.
»Spar dir deine aufmunternden Worte für jemanden, der sich dafür interessiert.«
»Oh, du bist ja 'ne richtig kleine Kratzbürste«, provozierte sie mich weiter – oder versuchte es zumindest. »Na ja, kann mir ja egal sein. Sag aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
»Keine Sorge!«
Den Rest des Fluges versuchte ich mich wieder darauf zu konzentrieren, was mir gleich bevorstehen würde. Longfellow.
Jetzt, da ich plötzlich das Gefühl bekam, als wäre ich aus purem Zufall schlauer geworden, schien auch die Unsicherheit über den weiteren Verlauf des heutigen Tages von mir abzufallen. Klar, die Fragen um Chris blieben, aber ich hatte endlich eine Erklärung für sein merkwürdiges, oft abwertendes und angsteinflößendes Verhalten. Das genügte mir fürs Erste. Es beruhigte meine Nerven, weil ich jetzt wusste, dass er alles, was er je getan oder gesagt hatte, vielleicht nicht mal so meinte. Dass er es anders gemacht hätte, hätte man ihn nicht derart beeinflusst.
Mehr denn je klammerte ich mich an die Hoffnung, dass irgendwo etwas Gutes in ihm schlummerte. Man hatte sich nur nie darum bemüht, es zum Leben zu erwecken – nein, man hatte ihn laut Zoé zu einem hoffnungslosen Fall erklärt, nachdem man ihn erst mal zu dem gemacht hatte, was er eben war. Und das hatte er nicht verdient.
Wenn der Krieg vorbei war, würde ich dafür sorgen, dass er Hilfe bekam. Es war mir egal, wie ich das schaffen sollte, aber von Chris hatte ich gelernt, dass es immer Wege gab, sein Ziel zu erreichen. Dabei durfte allerdings nur ich diejenige sein, die die Richtung vorgab. Ich durfte niemanden eine andere Wahl lassen und genau so würde ich vorgehen.
Ich würde Longfellow nicht mal darüber nachdenken lassen sich gegen unsere Hilfe zu entscheiden.
Als der Hubschrauber landete, glaubte ich, mein Körper würde jeden Moment wie ein Kartenhaus auseinanderfallen. Der Aufprall, obwohl er ziemlich sanft war, erschütterte meine Knochen – es fühlte sich an, als würden sie so eng aneinandergedrückt werden, dass sie drohten beinahe aus den Gelenken zu springen. So, wie das zwei Erdplatten während eines Erdbebens taten.
Zoé ließ mir nicht besonders viel Zeit, mich wieder an den festen Boden unter den Füßen zu gewöhnen, denn sie schnallte sich schnell ab und bückte sich anschließend zu mir, um meinen Gurt mit einem geschickten Handgriff zu lösen. Bevor mir die Schnalle ins Gesicht fliegen konnte, hatte ich nach dem Band gegriffen und es mir vorsichtig über den Kopf geschoben.
Im Augenwinkel sah ich, wie Zoé mich verschmitzt angrinste. »Gute Reflexe«, hatte sie gesagt und dabei gepfiffen, ehe sie sich zur Luke wandte.
Ich erwiderte nichts darauf, sondern beobachtete sie dabei, wie sie einen auf Brusthöhe liegenden, neongelben Schalter drückte. Er begann kurz zu blinken, dann schob sich die gläserne Luke nach oben und gab den Blick auf den Landeplatz in seiner vollen Pracht frei.
Zoé sprang zuerst aus dem Hubschrauber; ihren Helm klemmte sie sich unter den linken Arm. Den rechten streckte sie auffordernd nach mir aus.
»Wir haben keine Zeit zu vergeuden, Prinzessin.«
Missbilligend verzog ich das Gesicht. Ich mochte es nicht, wenn sie mich so nannte – ich hatte es zwar noch weniger gemocht diesen Spitznamen von Chris bekommen zu haben, aber inzwischen war ich so daran gewöhnt, dass ich ihn sogar ganz schön fand. Aber Zoé wollte sich nur darüber lustig machen. Blöderweise schaffte sie es mich damit zu beleidigen.
Da ich aber keine Lust hatte, mir noch mehr von solchen Sprüchen anzuhören, erhob ich mich mit wackligen Beinen aus meinem Sitz. Dabei stützte ich mich haltsuchend an der Wand des Hubschraubers ab, bis ich mich zur Luke vorgetastet hatte.
Gefolgt von Zoé, sprang ich hinaus. Meine Füße trafen auf dunkelgrauen Schotter, der unter meinen Schuhen knirschte. Zumindest bildete ich mir das ein – dank der Motorengeräusche hörte ich so gut wie nichts; außer Zoé, die einem der Soldaten etwas zurief.
Ich wollte mir einen schnellen Überblick verschaffen, musste mir dafür aber erst mal meine umherwirbelnden Haare aus dem Gesicht streifen. Das war dann auch der Augenblick, in dem ich zutiefst bereute, mich an diesem Morgen gegen einen Zopf entschieden zu haben – und das alles nur, um Chris schöne Augen zu machen.
Wenigstens hatte es funktioniert.
Da das Problem mit den Haaren beseitigt war, erkannte ich auch, wo ich war. Obwohl ich die Residenz in Atlanta schon oft im Netzwerk gesehen hatte, verschlug mir die Pracht des Anwesens die Sprache. Mein Unterbewusstsein drängte mich zwar dazu, mich davon nicht blenden zu lassen und einfach weiterzugehen, aber meine Augen schafften es nicht sich davon loszureißen.
Auf den Fotos hatte es immer so ausgesehen, als wäre es nicht viel größer als die Residenz in Haven; aber da täuschte ich mich gewaltig. Es war mindestens dreimal so groß; das Gebäude erstreckte sich auf einer Anhöhe über eine Wiese endlosen Ausmaßes. Direkt vor der riesigen, weißen Steintreppe, die so breit war wie die gesamte Gebäudefront, schoss eine mindestens hundert Meter hohe Wasserfontäne aus dem Boden – so viel zum Thema Wasser sparen – und traf wenige Sekunden später schon wieder auf die aufgewühlte Wasseroberfläche des Springbrunnens auf.
Noch nie hatte ich einen echten gesehen. Aber ich konnte mich über seinen Anblick nicht freuen. Er wirkte so anmutig, so schön, so friedlich. Das Anwesen schien nicht mal ansatzweise vom Krieg berührt worden zu sein, so, als hätte er einen Bogen am Zaun gemacht und die Residenz verschont.
Es machte mich wütend. Haven lag halb in Schutt und Asche und hier schien die Welt vollkommen in Ordnung zu sein.
Das strahlend weiße Anwesen schien mich auszulachen; es leuchtete mir entgegen, verhöhnte mich regelrecht mit seiner Unantastbarkeit.
»Malia Lawrence?«, hörte ich plötzlich einen Soldaten dicht neben mir sagen, der mich um einen Kopf überragte.
Unbewusst hielt ich daraufhin nach Zoé Ausschau. Aber da ich sie nicht finden konnte, nickte ich bloß und wollte schon nach ihr fragen, als hinter mir ein weiterer Soldat auftauchte, der meine Arme packte und auf den Rücken drehte. Ein Keuchen verließ meine Lippen.
»Lasst mich los!«, protestierte ich sofort mit einem Blick auf die Stelle seiner Uniform, wo meine roten Streifen, die für das Feuerelement, waren. Seine waren schwarz.
»Durchsucht sie nach Waffen!«, befahl der Soldat vor mir, wobei ich ihn wegen der Motorengeräusche und meines laut pochenden Herzens kaum verstehen konnte.
Was soll das hier werden? Am liebsten hätte ich nach Zoé geschrien, aber wenn sie mit denen unter einer Decke steckte, würde sie mir nicht helfen. War das etwa ihr Plan gewesen? Mich festzunehmen und einzusperren?
War es nicht genau das, was ich Chris gesagt und wovor ich unfassbare Angst gehabt hatte?
»Jetzt fahr mal ein paar Gänge runter.« Zoés Lachen drang an meine Ohren, aber ich konnte nicht zuordnen, wo sie war. »Die Jungs machen nur ihren Job.«
Als würde der Soldat, der meine Arme festhielt, ihre Aussage betonen wollen, drückte er sie noch mehr zusammen, weshalb ich mich leicht nach vorn beugen musste. Er schob meine Beine auseinander und der andere begann meinen Körper nach Waffen abzutasten.
Natürlich wurde mir meine Pistole abgenommen.
Nachdem sie ihre Durchsuchung beendet hatten, ließen sie mich immer noch nicht los, sondern bugsierten mich mit schnellen Schritten zur Residenz. Es juckte mir in den Fingern mich noch mal gegen den festen Griff zu wehren, aber Zoés Blick machte mich handlungsunfähig. Wollte sie mich beruhigen, obwohl sie eben noch unausstehlich zu mir gewesen war?
Jedenfalls, es funktionierte nicht ganz. Wir kamen bei der weißen Steintreppe an, die aussah wie aus Eis gemeißelt: so rein, dass ich befürchtete meine Schuhe könnten Abdrücke hinterlassen, als ich meine Gedanken und Gefühle noch immer nicht in Schach halten konnte. Immer wieder zerrten sie an mir; ich spürte regelrecht, wie sich meine Emotionen in mir stritten, um mich auf eine Seite zu ziehen.
Aber ich wollte jetzt nicht nachdenken. Ich wollte stark sein. Ich wollte mit Entschlossenheit vor den Präsidenten treten und mir meiner so sicher sein, dass ich keine Angst mehr hatte. Keine Angst um Chris, keine Angst um mich, keine Angst um meine Familie.
Drinnen angekommen, zwangen mich die Soldaten eine pompöse Treppe hinauf. Neben ihr lag ein gigantisches Foyer, dessen Anblick mich zu erschlagen drohte. Wäre ich ganz ohne Zwang gegangen, wäre ich vermutlich erst mal im Eingang stehen geblieben, doch die zwei Soldaten zogen mich unter einem riesigen, funkelnden Kronleuchter weiter. Von irgendwoher kamen Lichter, die ihn anstrahlten und somit in allen möglichen Farben funkeln ließen.
»Ich übernehme ab hier, Jungs«, durchbrach Zoé schließlich das Schweigen und wandte sich mit gehobener Augenbraue an meine zwei Schatten, woraufhin mich der eine losließ und beide mit einem Nicken wegtraten.
Automatisch richtete ich wieder meine Uniform und warf den Männern einen düsteren Blick zu. Sie hätten mich ganz sicher nicht wie eine Schwerverbrecherin hier reinschleppen müssen, nur um mich jetzt ohne Weiteres gehen zu lassen. Okay, mit Zoé gehen zu lassen.
»Ich hoffe, du hast dir inzwischen eine kleine Rede einfallen lassen«, meinte sie, kurz nachdem die Männer um die nächste Ecke verschwunden waren.
Auch wir gingen weiter auf eine große, weiße Tür zu, die mit blumigen Verzierungen übersäht war. »Wenn ich eins nicht leiden kann, dann, wenn ich etwas völlig umsonst mache.«
Kurz wanderte mein Blick zu ihr, doch da sie stur geradeaus sah, tat ich es ihr schnell nach.
»Ich werde tun, was ich kann. Mehr kann ich nicht versprechen.«
Sie nickte. »Sollte es in die Hose gehen, werde ich sowieso Chris dafür verantwortlich machen, Süße«, murmelte sie weiter und drehte sich dann doch kurz zu mir um. »Apropos. Du solltest deine Gefühle für ihn besser verbergen. Das ist nichts weiter als gefundenes Fressen für Longfellow.«
»Wie gesagt, ich werde tun, was ich kann.«
»Ich mein' ja nur.« Dann drehte sie sich wieder weg und nickte nach vorn. »Dahinter ist er. Er erwartet dich, auch wenn er so tut, als wäre er überrascht.«
Ich verdrehte die Augen. »Ich befürchte, das wird ein langes Gespräch.«
»Du kannst froh sein, wenn du heute Nacht wieder in Haven bist«, bestätigte sie freudlos – wahrscheinlich bedeutete es für sie ebenfalls Überstunden.
Schließlich musste mich ja irgendwer zurückbegleiten; und irgendetwas sagte mir, dass sie das sein würde.
Ich seufzte bloß. Die Tür war nicht mehr weit entfernt, schätzungsweise noch zehn Schritte, und ich würde dem Mann in die Augen blicken, dem ich die Schuld für alles gab.
Dafür, dass meine Schwester tot war, dafür, dass Chris' Krieg in unser Land geholt hat, dafür, dass mein Leben nur noch aus Hoffnung, Wut und Tod bestand. Ich hasste Präsident Longfellow abgrundtief dafür.
Mein Herz wollte mich daran erinnern, dass ich gleich dem König der Hölle persönlich gegenüberstehen würde, aber, wie vorhin beim Hubschrauber, wollte mein Kopf davon nichts hören. Stur und entschlossen richtete ich meinen Blick auf die Tür, als könnte ich sie allein durch meine Willenskraft öffnen. Ich fühlte mich so selbstbewusst wie schon lange nicht mehr, was nicht zuletzt daran lag, dass ich jetzt Chris' Geheimnis kannte. So hatte Longfellow immerhin weniger Möglichkeiten, mich mit überraschenden Neuigkeiten aus der Bahn zu werfen und mich zu etwas zu überreden, was ich vielleicht gar nicht wollte.
Ich war wach und ich war bereit.
»Okay. Los geht's«, meinte ich zu Zoé und nickte ihr zu, als sie nach der Türklinke griff.
»Enttäusch uns nicht.« Ihr Blick lag eindringlich auf mir; ihre dunklen Augen bohrten sich nahezu in meine, bedrohlich und warnend.
»Werde ich nicht.«
Präsident Maxwell Longfellow drehte sich mit einem strahlenden Lächeln um, als er Zoés Stimme wahrgenommen hatte. Wie gewohnt trug er einen eleganten Anzug in Schwarz und ein weißes Hemd – ohne Krawatte.
»Ah, da bekommt der berüchtigte Name wieder ein Gesicht«, begrüßte er mich, obwohl ich nicht den Eindruck hatte, dass seine Worte nett gemeint waren. »Malia Lawrence, richtig?«
»Ähm«, gab ich unsicher von mir, wobei ich mich noch unsicherer im Raum umsah. Gerade wurde ich noch von Soldaten festgehalten und jetzt schien alles so … freundschaftlich? »Hallo.«
Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Räume innerhalb des Anwesens genauso groß waren wie das Gebäude selbst. Doch dieser hier, eine Mischung aus Büro und Salon, war überraschend klein, sodass man ihn in weniger als zwanzig Schritten durchquert hatte.