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Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. E-Book 1: Die beste Mutter für mein Kind E-Book 2: Ein Lausejunge macht von sich reden E-Book 3: Als Jonte verschwunden war ... E-Book 4: Wollen wir es wagen? E-Book 5: Geheime Kinderwünsche E-Book 6: Eine Rosskur für den Casanova E-Book 7: Aschenputtels große Liebe E-Book 8: Das Rätsel der doppelten Mama E-Book 9: Du bist doch der Vater! E-Book 10: Cool! Du sollst unser Papi werden!
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Seitenzahl: 1177
Die beste Mutter für mein Kind
Ein Lausejunge macht von sich reden
Als Jonte verschwunden war ...
Wollen wir es wagen?
Geheime Kinderwünsche
Eine Rosskur für den Casanova
Aschenputtels große Liebe
Das Rätsel der doppelten Mama
Du bist doch der Vater!
Cool! Du sollst unser Papi werden!
»Wie sieht es denn hier aus?« Verblüfft sah Alex Peters auf seine Frau. Im Schneidersitz saß sie auf dem Teppich. »Du bist ja eingerahmt von Fotos.«
Marie war erschrocken zusammengezuckt, so sehr war sie in die Vergangenheit getaucht.
»Du bist aber zeitig heute, Alex.«
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, sie war ein Geschenk von Marie zu ihrem zehnten Hochzeitstag.
Er verzog ein wenig den Mund, und über sein gut geschnittenes Gesicht glitt ein Anflug von Ärger.
»Ich habe mich sogar verspätet, Marie. Was machst du denn da? Warum liegen die Bilder auf dem Teppich?«
»Jetzt bist du ärgerlich.« Sie sah zu ihm auf. In ihre blauen Augen hatte er sich zuerst verliebt, und auch jetzt schmolz er dahin.
»Frau Johanna hat die Schachtel fallen lassen.«
Er furchte die Stirn.
»Frau Johanna?«
»Meine Putzfrau. Ich wollte die Bilder selbst wieder einräumen, aber dann habe ich sie angesehen. Ich habe die Zeit vergessen, die Vergangenheit hat mich eingeholt.«
Auf ihrem blonden Haar lag ein Streifen Sonne; ungehindert fiel das Licht durch die geöffnete Terrassentür und nistete in ihren Augen. Sie hielt ein Foto in der Hand und reichte es ihm.
»Sieh nur, Alex, da war Vera zwölf Jahre. Schon damals war sie wunderschön. Und das wusste sie auch. Ich erinnere mich genau da-ran, wie das Bild gemacht wurde.«
Er nahm es nur zögernd, starrte darauf, aber erkennen konnte er nichts. Ein Schleier lag vor seinen Augen.
»Ihr wart die besten Freundinnen, nicht wahr?«
Seinen flüchtigen Ärger hatte er vergessen, es war, als schnürte ihm ein unsichtbares Etwas den Hals zusammen.
Sie strich die blonden Locken am Ohr zurück. Er liebte diese Geste, wie eigentlich alles an seiner Frau. Sie sah so wunderschön aus, wie ein junges Mädchen hockte sie da.
»Darüber habe ich gerade nachgedacht. Weißt du, Alex, Mama war oft krank und musste immer wieder ins Krankenhaus. Veras Mutter war Mamas beste Freundin, und für sie war es selbstverständlich, dass ich dann bei ihnen wohnte. Ich hatte immer eine panische Angst vorm Kinderheim. Vera und ich waren in derselben Klasse, sie setzte es durch, dass sie neben mir saß. Sie war furchtbar bequem, ja, faul. Und schrecklich verwöhnt.«
Sie legte das Bild zurück, ein Schatten lag in ihren Augen, und der Mund zitterte, als ob sie weinen wollte.
»Sie setzte bei ihrem Vater alles durch, er war Wachs in ihren Händen. Und wenn ihre Mutter ihr etwas verbot, warf sie nur den Kopf zurück. Und machte, was sie wollte.
An dem Tag, als das Foto gemacht wurde, habe ich sie ge-?hasst.«
»Hassen kannst du nicht, Liebes.« Er stand noch immer vor ihr. Sein Herz zog sich zusammen, so sehr liebte er sie. Dieses klare wunderschöne Gesicht, die Augen. Bis in den Grund ihrer Seele konnte man in ihnen sehen.
Das Gefühl verschwand auch rasch wieder. Sie lachte bitter auf. »Weißt du, Alex, sie wollte immer alles haben. Alles. Besonders von mir, wenn ihr etwas gefiel.«
Einen Moment vergaß er zu atmen, so traf ihn der Satz. »An dem Tag ging es um einen goldenen Drehbleistift. Natürlich sah er nur aus wie Gold. Ich hatte ihn von Mama zum Geburtstag bekommen.
Sie wollte ihn haben. Sie schmeichelte, bettelte, versprach mir alles Mögliche. Aber ich wollte nicht. Da drohte sie mir. Wenn meine Mutter wieder ins Krankenhaus musste, würde sie dafür sorgen, dass ich ins Kinderheim kam, Waisenhaus sagte sie. Aber mich packte der Trotz, ich wollte ihn ihr nicht geben. Und als ich nachmittags an meinem Schreibtisch saß und den Stift suchte, war er nicht da. Sie behauptete, sie habe ihn von mir geschenkt bekommen. So war sie. Aber du hast recht, wir sind Freundinnen, das alles ist Vergangenheit.«
Elastisch stand sie auf, warf den Kopf zurück und lächelte ihn an.
»Ich bin eine wirklich nachlässige Ehefrau. Da vergesse ich, dass mein Mann kommt und Hunger hat. Aber keine Angst, Alex, das Essen ist vorbereitet. Während du dich ein wenig frisch machst, gehe ich in die Küche. In einer Viertelstunde können wir essen.«
Sie musste sich ein wenig auf die Zehen stellen, sie war so viel kleiner als er. Sie küsste ihn, und als er sie umarmen wollte, war sie schon verschwunden.
Er starrte auf das Foto. Flüchtig hatte sie die Bilder eingeräumt, aber Veras Foto lag noch auf dem Teppich.
Schon damals wirkte sie aufreizend selbstbewusst, dachte er. Er stand da, wie festgewachsen und sah auf das Bild hinunter. So siegesbewusst war sie schon als Kind, das wusste, wie schön es war.
Am liebsten hätte er das Bild zerrissen. Schwerfällig wie ein alter Mann ging er die Treppe hinauf und verschwand im Badezimmer. Am liebsten hätte er den Spiegel verhängt, er mochte sich nicht ansehen. Und wie er bei Tisch seiner Frau gegenübersitzen und so tun sollte, als wäre alles in Ordnung, das wusste er nicht.
*
Marie machte sich Sorgen. So bedrückt hatte sie ihren Mann schon lange nicht mehr erlebt. Um sich abzulenken, nahm sie die Rosenschere und den kleinen Korb und ging in den Vorgarten.
An der frischen Luft ging es ihr immer besser, aber heute wollte der Druck, der auf ihrem Herzen lag, nicht weichen.
Ein Auto hielt mit quietschenden Bremsen dicht vor dem Gartentor. Nur kein Besuch, dachte Marie alarmiert.
Das Auto, ein Luxussportwagen, war ihr fremd, aber die Dame die ausstieg, kannte sie.
Beide Damen musterten sich mit einem intensiven Blick. Sie sieht in den dreiviertellangen Jeans wie ein kleines Mädchen aus, dachte Vera neidisch, sie scheint nicht älter zu werden.
Und Marie dachte ohne Neid, toll sieht Vera aus, wie einem Modejournal entstiegen.
»Vera.« Marie stellte den Korb auf den Boden, legte die Schere hinein und ging der Besucherin entgegen. »Dir müssen heute Morgen die Ohren geklingelt haben. So intensiv habe ich an früher gedacht.«
Sie küssten sich auf die Wange. Das betäubende Parfüm mochte Marie nicht, und flüchtig überlegte sie, wo sie es schon einmal bemerkt hatte. »Ich dachte, du bist in Paris. Und deinen Wagen kenne ich auch nicht.«
»Sag mal, musst du die Gartenarbeit machen? Habt ihr keinen Gärtner?« Veras perfekt geschminktes Gesicht verzog sich einen Moment, aber sofort glättete sie ihre Stirn wieder.
»Der kommt im Herbst und im Frühling. Ich habe doch Zeit, Vera, und ich arbeite gern im Garten.« Marie wollte sich die Freude über den Besuch nicht verderben lassen. »Seit wann bist du wieder in der Stadt, Vera?«
»Ich bin überhaupt nicht weg gewesen. Jürgen wollte natürlich, dass ich ihn begleite, er ist wirklich manchmal ein abscheulicher Egoist. Was soll ich in Istanbul? Er ist den ganzen Tag beschäftigt und hat eine furchtbare Laune, wenn er endlich ins Hotel kommt.«
»Gehen wir ins Haus, oder möchtest du im Garten sitzen?«
Bei sich dachte Marie an die Stadt, die voller Sehenswürdigkeiten steckte. Aber Vera war und blieb ein oberflächliches Geschöpf, das sich eigentlich nur für sich selbst interessierte.
»Die Sonne ist viel zu grell. Du hast ja nicht mal einen Hut auf! Seit wann trägst du dein Haar in einem Zopf auf dem Rücken?«
»Deine Stimmung scheint nicht die beste zu sein.« Marie lächel-?te die Freundin an, während sie über den Plattenweg zur Haustür ging.
»Das hat mich schon immer an dir genervt, Marie, dass dich nichts aus der Ruhe bringt. Vermutlich hast du ein viel dickeres Fell als ich, obwohl alle dich für ein Seelchen halten.«
»Ach ja? Komm ins Haus, hier ist es herrlich kühl, die richtige Temperatur bei diesem Wetter.« Und trocken fügte sie hinzu: »Du musst also um deine Schönheit keine Angst haben. Das Jackenkleid ist toll«, stellte sie ohne Neid fest. Sie wusste doch, wie wild Vera auf Komplimente war. Und für gewöhnlich besserte sich ihre Laune auch.
Marie streifte die Gartenschuhe von den Füßen und schlüpfte in Sandalen. Geringschätzig warf Vera einen Blick darauf. Aber das Wohnzimmer fand Gnade vor ihren kritischen Augen.
»Aus dir machst du ja nichts, aber für das Haus hast du ein gutes Händchen.«
Sie ließ sich in den Sessel fallen und schlug die elegant beschuhten Beine übereinander.
»Kann ich dir etwas anbieten?« Etwas zögernd fragte sie: »Ich weiß, wie gern du Sekt trinkst, aber du bist mit dem Auto. Im übrigen ein toller Wagen.«
»Ein Geschenk von Jürgen, weil er ein schlechtes Gewissen hat.«
Marie setzte sich in ihren Lieblingssessel. Einmal hatte er in ihrem Elternhaus gestanden und hing voll Erinnerungen.
»Warum hat er ein schlechtes Gewissen? Er ist doch der rücksichtsvollste Mann, den ich kenne. Außer Alex natürlich.«
»Aber Alex kommt jeden Abend nach Hause. Jürgen glänzt ständig durch Abwesenheit.«
»Bist du nicht jetzt ein wenig ungerecht? Er ist der Direktor eines großen Konzerns, das hast du doch gewusst, als du ihn geheiratet hast.«
»O Himmel, Marie, hör auf zu predigen, das kannst du vorzüglich. Und erzähle mir jetzt nicht, dass ich mir alles leisten kann, dass ich mir jeden Wunsch erfüllen kann. So leben, wie du lebst, könnte ich nicht. Manchmal denke ich sogar, dass es Dummheit von dir ist, dass du mit allem zufrieden bist und nie die Nerven verlierst. Du könntest mir ein Glas Champagner geben.«
Wortlos stand Marie auf. »Dann muss ich dich einen Moment allein lassen.« Sie hatte die Tür schon erreicht und sah Vera an. Wie gut, dass Vera sich selbst nicht sehen konnte. Das unzufriedene Gesicht machte sie nicht hübscher, da half das beste Make up nichts. »Vielleicht wirst du dich nach einem kühlen Trunk besser fühlen.«
Sie hat Kummer, dachte Marie resigniert, als sie die Flasche aus dem Kühlschrank holte. Es sieht so aus, als ob sie mal wieder in einer Klemme steckt. Hört das denn nie auf? Sie könnte ein so herrliches Leben führen, aber sie wird immer zu den Menschen gehören, die nie zufrieden sind.
Sie öffnete die Flasche, füllte zwei Gläser und stellte sie auf ein Tablett, die Flasche ließ sie in der Küche. Mehr trinken durfte Vera nicht.
Sie fand Vera vor dem großen Blumenfenster. Als Marie ins Zimmer kam, drehte sie sich um.
»Der Garten ist schöner als unserer, dabei haben wir einen ständigen Gärtner. Bei euch blüht alles.« Sie setzte sich wieder, nahm das Glas und trank einen großen Schluck, ohne dabei auf Marie zu achten.
Besorgt musterte Marie ihren Gast. Aber sie wagte nicht zu fragen, sie wollte nicht wieder mit Veras Dummheiten konfrontiert werden. Wie oft hatte sie schon für Vera gelogen und wie oft ihr versichert: Vera, das ist das letzte Mal.
Vera hielt das Glas in der Hand, sie legte den Kopf an den Gobelinbezug, der bei Gelegenheit erneuert werden musste. Der trotzige Ausdruck in Veras grünen Augen ließ Marie das Schlimmste vermuten.
»Ich bekomme ein Kind.«
Marie stellte das Glas auf den Tisch zurück und starrte Vera an. »Und dann machst du ein Gesicht, als ob die Welt untergeht? Ich habe schon Schlimmes vermutet. Ja, freust du dich denn nicht?«
Und dabei spürte sie den Druck auf dem Herzen, der sich zu einem Schmerz verstärkte, der ihr den Atem nahm. Wie sehnsüchtig wünschten sie sich ein Kind. So oft war sie bei ihrem Arzt gewesen, aber er konnte ihr auch nicht helfen. Marie wusste nicht, ob es an ihr oder an Alex lag.
»Nein, das wäre auch zu viel verlangt«, war die spöttische Antwort.
»Aber, Vera, du freust dich ganz bestimmt! Denk doch nur an die Freude, die du deinem Mann machst. Ich weiß, dass er sich Kinder wünscht.«
»Ob er sich in diesem Fall freut, bleibt dahingestellt.« Die zynische Art stieß Marie ab, sie saß da und bemühte sich, den Schmerz nicht zu zeigen.
Marie kannte das Gesicht Veras. So hatte sie schon als Kind ausgesehen, wenn sie etwas angestellt hatte und selbstverständlich auf Hilfe wartete.
»Du bist schwer von Begriff, Marie. Das Kind ist nicht von Jürgen.«
Stille. Durch die geöffnete Tür drangen die gedämpften Laute der Straße. Das Ticken der alten Standuhr teilte geräuschvoll die Stille.
»Himmel«, fuhr Vera auf, »starr mich nicht so an, du bist schrecklich blass geworden. Hast du denn noch nie von solch einer Tatsache gehört?«
»Gelesen schon.« Marie musste sich anstrengen, ruhig zu sprechen. »Aber dass das meiner Freundin passiert, dass …«
»Du musst nicht weiter sprechen. Du bist und bleibst ein Seelchen. Mein Mann behauptete einmal, dass an dich kein Schmutz herankommt, weil du die Seele eines Kindes hast. Krieg dich ein, Marie. Ich bekomme ein Kind, das ist eine Tatsache, und Tatsache ist auch, das Jürgen nicht der Vater ist.«
Marie flocht die Hände ineinander.
»Wann wirst du es Jürgen sagen?« Sie konnte nur mühsam die Worte formen, ihr Mund war wie ausgetrocknet.
»Bist du verrückt, Marie? Natürlich werde ich es ihm nicht sagen, er würde sich sofort scheiden lassen; er hat da veraltete Wertbegriffe.«
»Aber …, ich meine, der Vater des Kindes, weiß er es?«
»Natürlich. Er soll genau wie ich Angst haben. Meinst du, ich schone ihn? Wir hatten eine herrliche Zeit, ich habe sie genossen und er bestimmt auch. Er hatte allerdings ständig ein schlechtes Gewissen. Ein Gewissen kann etwas Lästiges sein.«
»Aber du sagst doch, dass du Angst hast.«
»Hab’ ich. Vor der Geburt. Davor, dass mein Körper entstellt wird, und weiß ich denn, ob ich meine Figur zurückbekomme?«
»Und Jürgen? Jürgen kann schließlich rechnen, er ist schon eine Weile nicht mehr bei dir.«
Vera machte nur eine wegwerfende Handbewegung.
»Vergiss nicht, dass ich das Zeug zu einer großen Schauspielerin habe. Ich hatte nur nicht die Geduld, die Ausbildung hinter mich zu bringen. Ich werde zu Jürgen fahren, und dann bekomme ich die Wehen früher als vorgesehen. Männer lassen sich doch leicht hinters Licht führen, besonders, wenn sie so verliebt sind wie Jürgen.«
Marie starrte in den Garten, sehen konnte sie nichts, ihre Augen schwammen in Tränen.
»Und der Vater des Kindes?«
»Was ist mit dem? Der ist verheiratet, vermutlich hat er Angst, dass seine Frau es erfährt. Wie soll sie das?« Sie schnippte mit dem Finger. »Ich werde es ihr bestimmt nicht erzählen. Je weniger davon wissen, um so besser. Aber mein Seitensprung kann ruhig etwas schmoren. Warum soll ich allein das Unangenehme ausbaden müssen?«
Als Marie nicht antwortete, ?musterte Vera sie spöttisch.
»Es hat dir offensichtlich die Sprache verschlagen.«
Sie nickte und fühlte sich plötzlich müde, als quälte sie eine Krankheit.
Sie strich eine Strähne am Ohr zurück und nickte noch einmal.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Du hast schon manches gemacht, was in meinen Augen Dummheit war. Aber dieses …«
»Sprich dich ruhig aus. Jetzt bin ich in deinen Augen noch verdorbener. Und warum? Weil ich einsam war, weil ich mich in einen Mann verliebt habe, den ich bewundere, den ich mag, sehr mag, noch lieber als meinen eigenen Mann. Und selbst auf die Gefahr hin, dass du vor Entsetzen in Ohnmacht fällst, muss ich dir sagen, dass ich Jürgen nicht liebe, ich habe ihn nie geliebt. Es imponierte mir, dass ein so reicher Mann, der von den Frauen umschwärmt wurde, der erfahrener, reifer war als ich, sich in mich verliebte. Das schmeichelte mir, und sein Reichtum war natürlich nicht zu verachten.«
Sie befeuchtete ihre Lippen. »Und warum heiratet dein Liebhaber dich nicht?«
»Du lebst wirklich am Rande der Wirklichkeit, du Arme. Ich wette, dir ist noch nie etwas Aufregendes passiert. Er behauptet, seine Frau zu lieben. Aber mich liebt er auch, das weiß ich.«
Marie schüttelte den Kopf und sah Vera an, als rede sie in einer fremden Sprache.
»Das geht doch nicht. Ein Mann kann doch nicht zwei Frauen lieben.«
»Natürlich kann er das, du Närrchen. Frauen können das auch.«
»Wann wirst du zu Jürgen fahren?«
»Ich rufe ihn heute Abend an, dann ist er im Hotel. Er hasst es, wenn ich ihn tagsüber störe, meistens hockt er in einer Sitzung, und da will er nicht abgelenkt werden. Kann sein, dass er schon auf dem Weg nach Italien ist, das wäre mir natürlich lieber.«
Sie nahm ihre Handtasche, holte einen Spiegel heraus und musterte eingehend ihr Gesicht. Plötzlich verspürte Marie den drängenden Wunsch, ihr den Spiegel aus der Hand zu schlagen, sie kräftig zu schütteln. Wie oft hatte sie als Kind den Wunsch gehabt.
»Ich weiß das Geheimnis bei dir gut aufgehoben, da habe ich keine Angst.« Sie nahm das Puderdös-chen und tupfte ein wenig Puder auf die Nasenspitze. »Du kannst es natürlich Alex sagen.« Sie klappte das goldene Döschen zusammen und legte es in die Tasche zurück.
»Wenn es dir unangenehm ist, dass Alex es erfährt, sage ich ihm es nicht.«
»Sehr großmütig von dir, Marie. Aber er kann es ruhig erfahren, das Schweigen fiele dir auch viel zu schwer. Ich weiß doch, dass du keine Geheimnisse vor ihm hast. Und außerdem weiß ich auch, dass er nicht so prüde ist, wie du es bist, er hat Verständnis für die Schwächen anderer.«
Marie brachte sie zur Tür. Vera war schon im Vorgarten, als sie sich noch einmal umdrehte. »Du kannst schon mal anfangen, Strampelhöschen zu stricken. Und überhaupt musst du dir Bücher kaufen, du wirst gebraucht, meine Liebe. Du kannst meinen Sohn bestimmt besser erziehen, als ich es kann.«
Und lachend stieg sie in ihr Auto, hupte und fuhr davon.
*
Marie wanderte ruhelos durch das Haus, ging in jedes Zimmer, blieb unschlüssig darin stehen. Sie war gefangen in ihrem Schmerz. Die Traurigkeit hatte von ihr Besitz ergriffen. Jetzt konnte auch der Garten nicht helfen.
Sie blieb vor einer Tür stehen, als hätte sie Angst, sie zu öffnen.
Es war ein wunderschönes Zimmer, das einzige im Haus, das leer war. Nur eine luftige Gardine bewegte sich im Wind, der durch das gekippte Fenster strich.
In Maries Fantasie war es nicht der Wind, es waren Kinderhände, die damit spielten.
Sie merkte nicht, dass Tränen über ihre Wangen liefen. Mit hängenden Armen stand sie da, das Herz voll Bitterkeit und Groll.
Ja, und Groll.
Lieber Gott, warum Vera? Wa-rum Vera, die gar nicht weiß, was für ein Geschenk sie unter dem Herzen trägt, was für ein unvorstellbares Glück?
Und sie denkt an ihre Figur. Lieber Gott, du kannst sehr ungerecht sein. Ich neide ihr nicht die Villa, die beinahe ein Schloß ist, nicht den Reichtum … Aber jetzt bin ich neidisch. Sie hat kein Kind verdient …
Die Zeile eines Gedichtes fiel ihr ein:
Als sie geboren wurde, hörte die Erde für einen kurzen Moment auf, sich zu drehen, und der Mond hielt den Atem an. Und ein neuer Stern erschien am Himmel.
Mit dem Handrücken strich sie über ihre Augen und wischte die Tränen fort.
Genug geweint, dachte sie müde. Alex hat heute einen schweren Nachmittag, eine verheulte, verzweifelte Frau ist bestimmt das Letzte, was er will.
Ich werde mich umziehen, dann gehe ich in die Küche. Das Leben geht weiter. Ich hab’ doch immer gewusst, dass es ungerecht ist.
*
Es war Alex gar nicht aufgefallen, dass seine Frau ungewöhnlich schweigsam war. Nach dem Essen verschwand er in seinem Arbeitszimmer. Aber auf die Akte, die vor ihm lag, konnte er sich nicht konzentrieren. Verzweifelt drehte er die Gedanken in seinem Kopf, und das Herz war ihm schwer
Einen Moment glaubte er, er wäre einem Herzinfarkt nahe, die Brust war ihm eng, das Herz raste.
Er ging zum Fenster, öffnete es und zog gierig den Atem ein. Die Luft hatte sich abgekühlt und war voller Düfte. Und dann sah er Marie.
Sie saß auf der Bank unter der Rotbuche, etwas lag auf ihrem Schoß. Vielleicht war es ein Blatt Papier, und sie malte wieder.
Er stand da, seine Liebe in den Augen. Wie ein junges Mädchen sah sie aus. Noch nie hatte er gespürt, wie unschuldig sie wirkte.
Sie war der beste Mensch, den er kannte. Sie war wie ein kostbarer Edelstein, und sie war das Wertvollste, was er besaß.
Er musste zu ihr gehen. Vielleicht fand er den Mut, es ihr zu sagen … Aber wie sollte ein Wesen, wie sie es war, das verstehen? Er begriff es ja selbst nicht.
Sie hob den Kopf, als sie seine Schritte hörte, und lächelte ihm entgegen.
»Du malst wieder, Kleines?« Er setzte sich neben sie und nahm das Blatt. Die Dämmerung lag zwischen den Bäumen, wie ein weiches Tuch war sie.
»Ich wollte die Abendstimmung einfangen. Ich finde, abends ist der Garten besonders schön. Aber ich bin nicht in der richtigen Stimmung. Mußt du heute Abend noch arbeiten?«
»Bedrückt dich etwas, Marie?« Er musterte ängstlich ihr Gesicht.
»Ja, Alex. Vielleicht wird es mir besser gehen, wenn ich es dir erzählt habe. Im Moment bin ich völlig durcheinander.«
»Für dich habe ich immer Zeit, so sollte es jedenfalls sein, Liebes. Wollen wir im Garten bleiben? Wir können auch ins Haus gehen, ich schenke uns Wein ein, und dann schüttelst du dir dein Herz aus.«
»Wenn es dir recht ist, lass uns hier bleiben. Ich glaube, hier spricht es sich leichter.«
Sie schmiegte sich an ihn, er legte seinen Arm um sie. Ich darf sie nicht verlieren, dachte er verzweifelt, ich brauche sie. Sie ist mein Leben.
»Ich möchte sie hassen, verabscheuen, sie hat weder Moral noch Schamgefühl.« Sie stieß die Worte wie eine Anklage aus. »Und es ist schrecklich, ich will kein Mitleid mit ihr haben.«
»Du sprichst von Vera?«
»Sie besuchte mich, Alex, sie bekommt ein Kind. Sie trägt das kostbarste Geschenk unter dem Herzen.«
Und als er nichts sagte, schmiegte sie sich noch fester an ihn.
»Das Kind ist nicht von Jürgen.« Sie sprach leise, als könnte man so etwas Schreckliches nicht laut aussprechen.
»Sie hat einen Liebhaber … und sie will ihrem Mann sagen, dass es natürlich sein Kind ist. Sie wird niemals mit so einer Lüge leben können. Du sagst nichts. Du bist genauso entsetzt wie ich.
Ich weiß nicht einmal, ob sie sich auf das Kind freut, aber vielleicht ändert ein Kind sogar so eine ?Egoistin, wie Vera es ist. Weißt du, Alex, sie ist sträflich verwöhnt, sie hat immer ihren Willen durchgesetzt und hat immer das bekommen, was sie wollte.«
Er konnte nicht sprechen, sein Hals war wie zugeschnürt.
»Die arme Frau.«
Er nahm sich mühsam zusammen. Die eigene Stimme klang ihm fremd im Ohr.
»Von welcher Frau sprichst du?«
»Ihr Liebhaber ist verheiratet. Vera sagt, sie hat ihren Mann nie geliebt, aber den Vater ihres Kindes liebt sie. Und wenn sie erst das Kind hat, dann will sie vermutlich auch den Mann. Und sie wird sich nicht darum kümmern, dass sie andere unglücklich macht. Und sie wird ihren Willen bekommen, wie alles.
Alex, ich muss immer an das Kind denken. Wenn ich in ihrer Situation wäre … Wenn ich ein Kind bekommen dürfte …«
»Ich weiß, wie sehr du dir ein Kind wünschst«, flüsterte er heiser. »Du hast so viele Frauenärzte aufgesucht.«
»Sie alle sagen das gleiche. Geduld, man muss Geduld haben. Mein Körper spielt einfach nicht mit, und warum ich nicht schwanger werde, kann mir niemand sagen.
Ich wollte nicht von mir sprechen, Alex. Ich will dich nicht mit meinem Kummer belasten, ich sehe dir doch an, dass du Sorgen hast. Ich würde dir sehr gerne helfen.«
»Du bist ein Engel, Liebste. Ich habe dich sehr, sehr lieb, das darfst du nie vergessen.«
»Das weiß ich doch. Jetzt ist mir schon wohler. Es tut gut, dass du mir zuhörst. Ich bin eine glückliche Frau, Alex. Das weiß ich, auch wenn ich noch kein Kind habe. Aber ich habe dich. Nur, dass ausgerechnet Vera ein Kind bekommt, finde ich vom Schicksal ein wenig ungerecht.«
»Kommt Jürgen von seiner Reise zurück?«
»Nein, sie fährt zu ihm.« Sie küsste ihren Mann auf die Wange und schmiegte sich an ihn. »Sie wird ihre Rolle perfekt spielen, da kannst du sicher sein.«
»Und der Vater des Kindes? Hat sie eine Andeutung gemacht?«
»Nein. Und das ist auch gut so. Wenn ich seinen Namen wüsste, könnte ich versucht sein, die Frau aufzusuchen. Und ich würde ihr den Rat geben, besser auf ihren Mann aufzupassen.« Und grimmig setzte sie hinzu: »Oder besser noch, sie soll ihn zum Teufel schicken.«
*
Die Tage reihten sich aneinander, der Sommer wuchs in den Herbst hinein. Es gab Tage, da dachte Marie nicht an Vera. Sie beschäftigte sich im Garten, und sie malte wieder. Nur für den Hausbedarf, erklärte sie immer, wenn jemand ihre Bilder lobte. Am liebs-ten war es ihr, wenn niemand von ihrem Hobby Notiz nahm.
Alex war stiller geworden, wirkte oft bedrückt. Marie schob es auf seine Arbeit. Aber er war sehr aufmerksam, sehr zärtlich. Marie hatte allen Grund, zufrieden zu sein.
Heute Abend würde sie mit Alex ins Theater gehen. Das Kleid hing am Ständer im Ankleidezimmer. Es war wunderschön. Sie würde prächtig darin aussehen. Und vielleicht gingen Alex und sie noch in ihre Lieblingsweinstube.
Als das Telefon klingelte, dachte sie ängstlich: hoffentlich ist es nicht Alex, der mir erzählt, dass etwas dazwischen gekommen ist.
Aber es war Vera.
»Hallo.« Ihre Stimme war laut und fröhlich. »Ich bin wieder im Land.«
»Vera.« Marie setzte sich auf die alte Truhe. Eine Brauttruhe war sie. Einmal hatte sie im Haus von Alex’ Urgroßmutter gestanden, später bei seiner Großmutter und Mutter und jetzt bei ihnen. »Wie geht es dir?«
»Danke für die Nachfrage. Ganz prächtig. Jürgen weiß nicht, wie er mich noch mehr verwöhnen kann. Er ist überglücklich, richtig rüh-rend ist das. Wirklich, ich habe ihn sehr glücklich gemacht. Er verwöhnt mich, wie ich noch nie verwöhnt wurde.«
»Und das will etwas heißen«, warf Marie trocken ein.
»Meine Figur hat sich noch nicht sonderlich verändert. Ein kleines Bäuchlein hab’ ich natürlich schon, aber jeder sagt mir, dass mir die Schwangerschaft gut steht, dass ich noch hübscher geworden bin.«
»An mangelnder Bescheidenheit hast du noch nie gelitten, meine Liebe.«
»Höre ich da ein wenig Spott? Das passt aber nicht zu dir. Und wie geht es dem schönen Alex?«
»Wie immer. Viel Arbeit, ich habe nichts Besonderes zu berichten.«
»Das Übliche, das tägliche Ei-nerlei. Wie du das ereignislose Leben aushältst und dabei noch gut gelaunt bist, ist mir ein Rätsel. Ganz so abwechslungsreich wie früher ist mein Leben jetzt auch nicht. Manchmal geht mir Jürgens Fürsorge sogar auf die Nerven. Stell dir vor, wenn ich ein Glas Sekt trinke, hebt er schon die Augenbraue, und wenn ich das zweite will, kommt noch die Stimme dazu.« Wieder lachte sie, aber Marie hörte den gereizten Unterton heraus.
»Du musst mich unbedingt besuchen kommen, Marie. Wir waren 14 Tage in Paris, und ich habe mir süße Kleider gekauft, und Jürgen bestand darauf, dass ich den Pelzmantel kaufte. Wenn ich erst meine Figur wieder habe, wird manche Dame vor Neid erblassen, wenn sie mich sieht. Wann kommst du? Wie ist es mit heute Abend?«
»Heute geht es nicht. Alex und ich gehen ins Theater.«
»Was gibt es denn?«
»Keine Operette und auch kein Lustspiel.«
»Sondern?«
»Hamlet. Und ich freue mich sehr darauf.«
»Hm. Ich hätte auch Lust«, überlegte sie. »Das ist zwar nicht ganz mein Fall, aber ich bin we-?nigstens in einer schicken Loge, kann sehen und werde gesehen. Das wäre eine gute Gelegenheit, ein Abendkleid auszuführen.«
»Du wirst keine Karten bekommen, Vera. Das Stück ist schon seit Wochen ausverkauft. Es hat aber auch eine tolle Besetzung.«
»Da kennst du mich schlecht, meine Liebe. Ich werde eine Karte bekommen. Ich rufe Jürgen an, und der macht das Unmögliche möglich. Es würde mich nicht mal wundern, wenn er die Sterne vom Himmel holte. Der Mann ist einfach genial. Er treibt Karten auf, du wirst sehen. Also bis heute Abend. Mach dich hübsch, sonst stichst du zu sehr von mir ab. Nein, das sollte nur ein Scherz sein.«
Marie legte langsam den Hörer zurück und ärgerte sich. Warum musste ich Dumme von dem Theater reden? Es war schlimm, aber die Freude war ihr vergangen.
Und Alex schien es genauso zu gehen, als sie es ihm erzählte. Er war viel zu spät aus der Kanzlei ?gekommen, sie mussten sich beeilen, wenn sie pünktlich sein wollten.
»Wir lassen uns den Genuss nicht verderben«, beruhigte sie ihn und sich selbst.
»Sie werden keine Karten bekommen. Ausgeschlossen. Hilfst du mir bitte beim Binder? Meine Hände sind nervös.«
»Du arbeitest zu viel, mein Lieber. Wir sollten Urlaub machen, du hast ihn wirklich nötig.«
Einen Moment legte er den Kopf auf ihr Haar.
»Du riechst so gut, Liebste.« Er zog sie fester an sich. »Am liebsten bliebe ich mit dir zu Hause. Wir könnten uns einen gemütlichen Abend machen. Es ist so kühl, da wäre ein behagliches Kaminfeuer angesagt.«
»Aber, Alex. Wir haben uns doch auf den Abend gefreut.«
Er löste sich zögernd von ihr.
»Du bist wunderschön, Liebste. Du hast recht, wir gehen viel zu selten aus. Es ist einfach so, dass ich gern mit dir allein bin.«
»Mir geht es doch genauso, Lieber. So ein tolles Kleid hab’ ich auch noch nie gehabt.«
»Schön bist du, Kleines. Sogar wunderschön. Mit einer wunderschönen Frau an der Seite fühlt sich ein Mann bedeutend.«
Sie lachte glücklich, stellte sich auf die Zehen und küsste ihn auf den Mund.
»Du kannst dich aber auch sehen lassen, mein Lieber.«
»Gut, einigen wir uns darauf: wir sind ein gut aussehendes Paar.«
»Und jeder sieht uns an, dass wir glücklich sind. Aber jetzt sollten wir uns beeilen, sonst stehen wir noch vor verschlossenen Türen.«
*
Vera saß mit ihrem Mann in der Loge, sie sah Alex und Marie sofort. Ein Stich fuhr durch sie hindurch. Wie jung Alex aussah. Die grauen Schläfen betonten das Markante des Gesichtes. Der dunkle Anzug stand ihm ausgezeichnet. Elegant, dynamisch wirkte er.
Neid quälte sie. Sie warf einen Blick auf ihren Mann. Wie dick er geworden war. Und wie er schwitzte. Die Leute müssen mich doch für seine Tochter halten, dachte sie boshaft.
»Geht es dir gut, Liebling?« Er musterte sie besorgt.
»Da kommen Marie und Alex. Sie nehmen in der dritten Reihe Platz.«
»Marie sieht ja prächtig aus. Sie scheint überhaupt nicht älter zu werden.«
Das war nicht das, was Vera hören wollte.
»Ja, sie hat sich ganz schön rausgeputzt. Als Kind hat sie immer in meinem Schatten gestanden. Kleider machen nun mal Leute.«
Er war viel zu klug, um auf diese Bemerkung einzugehen. In der letzten Zeit quälte sie ihn mit ihren Launen. Das sagte er in der Pause zu Alex, als die beiden Damen für einen Moment verschwunden waren.
»Aber ich bin der glücklichste Mann in dieser Stadt«, strahlte er. Er war kleiner als Alex, sein Haar lichtete sich. Der Anzug konnte nicht elegant aussehen, da er überall spannte. »Ich werde Vater, Alex. Ein wundervolles Gefühl. Ich habe das Kinderzimmer schon fertig gemacht. Ich hab’ es selbst gemacht, das lasse ich mir doch nicht nehmen.«
Vera, die seine letzten Worte hörte, meinte spitz:
»Jeden Tag schleppt er ein neues Spielzeug heran. Wenn das so weiter geht, müssen wir anbauen. Stell dir vor, Alex, er hat sogar eine elektrische Eisenbahn aufgebaut.«
»Lass mir doch die Freude«, erklärte er gelassen. Mit dem Taschentuch putzte er den Schweiß von der Stirn. »Ich denke, meine Liebe, du kommst nicht zu kurz.«
»Er ist davon überzeugt, dass es ein Junge wird, Alex. Aber ich werde mich über eine Tochter auch freuen.«
»Ich doch auch«, beeilte Jürgen sich zu versichern. »Hauptsache, das Kind ist gesund. Und deshalb musst du dich schonen, Liebes. Marie, dürfen schwangere Damen so lange stehen? Müssen sie sich nicht immer wieder setzen?«
»Da darfst du mich nicht fragen.« Es kostete sie ein wenig Mühe zu lachen. »Ich denke, der Arzt wird ihr sagen, wie sie sich zu verhalten hat.«
»Ich soll mich bewegen und genauso leben wie bisher.«
Jürgen wehrte entsetzt ab.
»Auf keinen Fall. Der Mann weiß ja nicht, was für ein abwechslungsreiches Leben du geführt hast. Von einer Party auf die andere. Zu Hause warst du selten.«
»Soll das ein Vorwurf sein?«
»Natürlich nicht. Ich habe dir doch den Spaß gegönnt. Ich weiß doch, dass man eine Frau wie dich an der langen Leine halten muss.«
Er lachte dröhnend. Vera verzog genervt das perfekt geschminkte Gesicht. Wie vulgär das Lachen war. Neben Alex sieht er wie sein eigener Großvater aus.
»Es klingelt.« Noch nie hatte Marie das Klingelzeichen so erleichtert begrüßt. »Komm, Alex, ich mag es nicht, wenn die anderen aufstehen müssen, nur weil wir uns verspäten.«
»Das rücksichtsvolle Seelchen. Du wirst dich nie ändern, Marie, du bist aus Rücksichtnahme zusammengesetzt.«
Alex nahm besitzergreifend Maries Arm. Bevor er etwas sagen konnte, bat Jürgen nervös:
»Ihr dürft ihr nichts übel nehmen. Schwangere Frauen sind so, das liest man überall. Es ist ja auch eine gewaltige Sache, die in ihrem Körper passiert.«
Vera warf den Kopf in den Nacken und rauschte davon. Wie ein ungezogenes Kind, dachte Alex wütend. Von ihrer Schönheit bemerkte er nichts, alles an ihr stieß ihn ab. Marie hatte recht, sie war nicht nur launisch und verwöhnt, sie hatte auch einen schlechten Charakter.
*
»Wir haben gestern Abend auf euch gewartet«, beschwerte Vera sich am Telefon. »Ihr wart wie vom Erdboden verschwunden.«
»Das tut mir leid. Wir haben in der Weinstube nur mit Mühe noch einen Platz bekommen.«
»Wie egoistisch von dir, Marie, da wäre ich gern dabei gewesen. Du kannst dir doch vorstellen, dass ich nach Abwechslung lechze.«
»Jürgen ist in seiner Freude und seiner Sorge um dich richtig liebenswert.«
»Er muß immer alles übertreiben. Mal arbeitet er nur und ist selten zu Hause, jetzt hängt er fast nur in der Villa herum. Und ständig predigt er mir, dass ich das nicht darf und das schon lange nicht. Wirklich, Marie, er kann mir auf die Nerven gehen. Stell dir vor, er will nicht mal, dass ich Auto fahre. Hat man schon so einen Schwachsinn gehört?«
»Er hat eben Angst um dich. Und um den Sohn.«
»Ich finde es abscheulich von dir, dass du mich hängen lässt. Du bist doch sonst so rücksichtsvoll. Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich dich brauche? Ich habe doch niemanden, mit dem ich reden kann.«
»Aber, Vera, jetzt übertreibst du, du hast doch massenhaft Freunde.«
»Pah. Jetzt, da ich Gesellschaft brauche, ist keiner da. Nicht einmal du, und das enttäuscht mich sehr. Jürgen wundert sich auch schon, dass ihr euch überhaupt nicht blicken lasst.«
»Alex hat viel zu tun, Vera.«
»Das lasse ich als Ausrede nicht gelten. Außerdem hast du Zeit genug. Ich weiß sowieso nicht, was du den ganzen Tag machst. Heute Nachmittag bin ich allein im Haus. Ich habe dem Personal Ausgang gegeben, ich will mit dir allein sein. Dienstboten haben ihre Ohren überall, da kann man nicht vorsichtig genug sein. Alex kann dich abends abholen.«
*
Alex weigerte sich energisch, sie abzuholen.
»Es ist schlimm genug, dass sie ihren Mann mit ihren Launen quält«, ärgerte er sich. »Du solltest nicht nach ihrer Pfeife tanzen, Marie.«
»Sie tut mir trotz allem leid. Sie ist nun mal ein Bewegungsmensch, gewohnt, das zu tun, was sie will. Außerdem wird ihr vermutlich auch einiges Probleme machen.«
»Du hast für jeden Verständnis! Ich glaube, du würdest sogar einen Schwerverbrecher entschuldigen. Na gut, ich hole dich ab.«
»Du bist ein Schatz, Alex. Aber bitte, komm nicht so spät.«
*
Marie erschrak, als sie Vera sah. Sie lag auf dem Sofa, sie war ungeschminkt, sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, den zerdrückten Hausanzug zu wechseln.
»Hallo«, begrüßte sie Marie mürrisch. »Wenn Jürgen gleich kommt, musst du sagen, dass ?du geraucht hast. Für kleine Schwächen hat er überhaupt kein Verständnis. Kein Mensch kann von jetzt auf gleich mit dem Rauchen aufhören, aber von mir verlangt er es.«
»Wunderschön ist dieses Zimmer«, versuchte Marie sie aufzuheitern. »Ist das Bild neu? Ich muss es mir näher ansehen, es ist wunderschön.«
»Jürgen hat es mir in Florenz gekauft. Wer es gemalt hat, hab’ ich wieder vergessen, mir gefielen die Farben.«
»Es ist ein echter Renoir«, staunte Marie. »Das muss doch ein Vermögen gekostet haben.«
»Hat es. Weißt du, wenn ich etwas aussuche und es haben will, macht es Spaß. Aber wenn ich es besitze, ist es uninteressant. So geht es mir auch mit Schmuck oder Kleidern. Setz dich, nein, näher zu mir, der Sessel ist ganz bequem. Du hast das Bild beinahe ehrfürchtig angesehen.«
»Vor einer solchen Kunst kann man auch ehrfürchtig werden. Soll ich nicht die Tür zur Terrasse öffnen? Es ist warm im Zimmer.«
»Nein, es könnte jemand auf ?der Terrasse stehen, der uns be-lauscht.«
»So misstrauisch kenne ich dich ja gar nicht.«
Sie holte das goldene Zigarettenetui vom Glastisch und nahm eine Zigarette.
»Vera, ich glaube, Jürgen hat recht, deinem Kind wird das Nikotin nicht gut tun.«
»Fang du nicht auch noch an, das ewige Nörgeln verfolgt mich von morgens bis abends.«
Am liebsten hätte Marie ihr die Zigarette fortgenommen. Aber sie traute sich nicht. Sie kannte Veras Jähzorn.
Es war still im Haus, aber für Marie war es keine Stille, die entspannte. Außerdem hatte sie sich in diesem Wohnzimmer nie wohl gefühlt. Hier hatte man mit Geld nicht gespart, und der beste Innenarchitekt der Stadt hatte seine Träume verwirklicht. Aber eine Seele besaß das Zimmer nicht.
»Möchtest du etwas trinken?« Vera bemühte sich um einen freundlicheren Ton; sie brauchte Marie.
»Nein, danke, im Moment nicht. Wenn, dann kann ich mir selbst den Sprudel holen.«
»Ich würde ein Glas Sekt vorziehen. Aber stell dir vor, es ist keiner da. Natürlich hat Jürgen ihn fortgenommen.« Sie drückte die Zigarette aus.
»Sie schmeckt nicht. Dich darf ich wohl nicht bitten, dass du mir eine andere Marke besorgst.«
»Du hast recht. Warum bist du so unzufrieden, Vera?«
»Weil dieses Kind ein Wahnsinn ist. Heute Nacht habe ich mich miserabel gefühlt. Und meine Figur ist scheußlich. Was uns die Männer antun, ahnen sie einfach nicht.«
»Freust du dich denn gar nicht auf das Kind?«
»Nein, ich weiß es nicht. Im Moment macht das alles mir wenig Freude.«
»Ich beneide dich«, sagte Marie leise. Der alte Schmerz war wieder da und trieb ihr die Tränen in die Augen.
Vera musterte sie neugierig. »Warum habt ihr kein Kind?«
»Ich weiß es nicht.«
»An Alex liegt es ganz sicher nicht.«
»Das kannst du nicht wissen.«
»Das sagt mir einfach mein Gefühl, er ist ein gesunder, vitaler Mann.«
Von einem Moment zum anderen wechselte ihre Stimmung. Sie nahm Maries Hand und drückte sie verzweifelt.
»Ich habe Angst, Marie.«
»Dass der Schwindel auffliegt?«
Sie runzelte ärgerlich die Stirn.
»Natürlich nicht. Das habe ich beinahe vergessen.«
»Du meinst, du hast es verdrängt. Warum hast du Angst?«
»Vor der Zeit, die jetzt kommt. Man wird immer unbeweglicher, und die Tage schleppen sich hin. Und dann die Geburt. Niemand wird mir die Schmerzen abnehmen können, ich muss das ganz alleine durchstehen.« Tränen sammelten sich in ihren Augen, das machte sie nicht hübscher.
»Du musst mir etwas versprechen, Marie. Wenn du etwas versprichst, dann hältst du es auch. Marie, du musst bei der Geburt dabei sein, die ganze Zeit. Ein wenig ist das auch dein Kind. Und du musst dich um mich kümmern, ich brauche dich. Und später brauche ich dich auch. Ich weiß, dass ich kein guter Mensch bin, ich kann auf nichts verzichten. Aber das ist nicht meine Schuld, Papa und Mama haben mich einfach zu sehr verwöhnt. Aber mein Kind soll anders sein als ich. Es soll sich über Kleinigkeiten freuen können, wie du es kannst. Es soll so ein zufriedener Mensch werden, wie du es bist.«
Marie erwiderte den Händedruck.
»Ich wusste gar nicht, dass du über dich nachdenkst, Vera. Ja, ich helfe dir, so gut ich kann.«
»Dich erschrecken auch meine Launen nicht«, erklärte sie und verfiel wieder in den alten Ton. »Du kennst mich beinahe besser, als ich mich kenne.«
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich sollte mich zurechtmachen. Der schöne Alex muss mich nicht in diesem Zustand sehen. In der Zeit kannst du meinen neuen Schmuck bewundern, er liegt im Sekretär, in der oberen kleinen Lade.«
Sie erhoben sich beide, Veras hochhackige Pantoffel machten kein Geräusch, die dicken Teppiche verschluckten jeden Laut.
Marie ging zum Sekretär, der zwischen den beiden Fenstern stand. Er war wunderschön; die Intarsienarbeit hatte sie schon oft bewundert. Auch jetzt strich sie behutsam über das glänzende Holz. Der Schmuck interessierte sie nicht.
*
Marie war sehr oft in der Villa. Und sie bewunderte Jürgens Geduld. An manchen Tagen war Vera unausstehlich, dann wieder war sie heiter und amüsant, besonders wenn Alex bei ihr war. Es ergab sich ganz von selbst, dass Jürgen Marie manchmal sein Herz ausschüttete. Er schimpfte nie auf seine Frau und hatte für ihre Launen Verständnis.
»Du kannst dir nicht vorstellen, Marie, wie ich dem Tag entgegenfiebere, wenn das Kind geboren wird. Dann wird Vera wieder normal, davon bin ich überzeugt. Zur Geburt schenke ich ihr das Auto, das sie sich schon lange wünscht. Und dir möchte ich auch etwas schenken. Jetzt, seit du häufig bei uns bist, ist auch für mich manches leichter.«
»Du musst mir nichts schenken«, wehrte sie ab. »Ich freue mich auf das Kind. Ich bin gern Pate, das ist eine Ehre für mich.«
*
Weihnachten war vorüber, Silvester hatten sie mit Vera und Jürgen gefeiert. Jürgen hatte seine Frau ausgelacht, als sie erklärte, dass sie sich die Karnevalsfeste auf keinen Fall entgehen lassen wollte.
Zwei Tage vor Rosenmontag klingelte in der Nacht das Telefon. Das Telefon stand in der Diele. Marie hastete die Treppe hinunter.
»Marie«, rief Jürgens aufgeregte Stimme. »Es ist soweit. Es ist viel zu früh, aber Vera sagt, dass es Wehen sind.«
»In welchen Abständen kommen sie?«
»Das weiß ich nicht. Sollte ich das wissen?«
»Lass nur, Jürgen. Ich komme.«
»Du bist ein Engel, Marie. Komm schnell, sie stöhnt so schrecklich.«
Es waren Wehen, und sie kamen alle vier Minuten. Jürgen schien alle Energie verloren zu haben; der Mann, der bei den größten Geschäften einen kühlen Kopf bewahrte, der bei Riesensummen, ob er verlor oder gewann, keine Miene verzog, benahm sich wie ein Nervenkranker.
Marie war es, die den Krankenwagen bestellte, die im Krankenhaus Veras Kommen anmeldete, die den Arzt verständigte.
»Ich fahre mit«, entschied Jürgen zögernd, als seine Frau in einen Stuhl gesetzt wurde und zum Krankenauto gefahren wurde.
»Nein«, entschied Vera hysterisch. »Ich brauche dich nicht. Marie ist da.«
In ihrer sanften Art sagte Marie: »Vera hat recht. Du kannst nicht helfen, du musst zusehen, dass du ein wenig ruhiger wirst. Es wird alles gut, Jürgen. Vera ist nicht die ?erste Frau, die ein Kind bekommt.«
»Aber sie ist so zart«, sagte er sich.
»Rede keinen Unsinn«, lachte Marie ihn aus. »Sie ist kerngesund und stark. Sie wird die Geburt im Handumdrehen überstehen.«
»Komm endlich, Marie.«
*
Veras Sohn wurde in den frühen Morgenstunden geboren. Die Geburt war nach Meinung der Ärzte leicht und schnell gewesen. Aber Vera hatte entschieden:
»Nie wieder. Das war das Schrecklichste, was ich je mitgemacht habe.«
»Dafür entschädigt dich dein Sohn.« Marie war nicht von Veras Seite gewichen. Jetzt legte sie ihr das krebsrote, schreiende Bündel in den Arm.
Veras Körper schmerzte noch immer, und am liebsten hätte sie ihren Sohn wieder in Maries Arme gelegt. Aber sie sah auf das schreiende verschrumpelte rote Gesicht.
»Er sieht ja furchtbar aus. So hässlich«, rief sie entsetzt.
»So sehen sie alle aus, wenn sie gerade geboren sind. Es ist ein besonders hübscher Junge. Er wiegt sieben Pfund und ist 53 cm groß.«
»Für ein Sieben-Monatskind ungewöhnlich«, murmelte der Arzt und sah Vera unschuldig an.
»Wieso sieben Monate?« wollte die Hebamme verwundert wissen.
»Das erzähle ich Ihnen später.« Damit eilte er aus dem Zimmer.
»Nimm ihn, Marie. Ich bin müde und habe nur den einen Wunsch zu schlafen.«
Behutsam nahm Marie das kleine Wesen auf den Arm. Der Kleine öffnete die Augen …, leuchtend blaue Augen hatte er. Der Blick fiel direkt in Maries Herz. Es fiel ihr schwer, den Jungen in das Bettchen zu legen.
*
In der Villa Tembrink war das Glück eingekehrt. Jürgen war närrisch vor Freude, immer wieder stand er vor dem Bettchen und bewunderte seinen Sohn. Auch Vera war zufrieden.
»Jetzt sieht er menschlich aus«, erklärte sie Alex, der sie besuchte und ihr einen großen Blumenstrauß überreichte. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie erschrocken ich war, als man ihn mir im Kreißsaal in den Arm legte.«
Vera genoss die Aufmerksamkeit, die man ihr entgegenbrachte. Die Besuche rissen nicht ab. Natürlich würde Jürgen ein Kindermädchen einstellen, das verlangte Vera. Aber sie war sicher, dass Jürgen hoffte, sie würde sich selbst um den Jungen kümmern.
Die Taufe war ein gesellschaftliches Ereignis. Alles, was Rang und Namen hatte, wurde eingeladen. Man bewunderte den Jungen, aber noch mehr bewunderten die Gäste Vera.
Kein Wunder, dass Vera in ihrem Element war.
»Sie ist wirklich wunderschön«, fand auch Marie. »Erstaunlich, dass sie beinahe ihre alte Figur wieder hat.«
Alex stand am Bettchen des Kleinen und sah auf das schlafende Kind hinunter.
»Wie viel Haare er schon hat, es sind richtige kleine Löckchen, braune Löckchen«, bewunderte Marie das Kind. »Sieh mal die Händchen, Alex, es sieht aus, als mache er eine Faust. Was für ein bezaubernd kleines Wesen.«
Etwas würgte in Alex’ Hals.
»Was meinst du, wann wir gehen können?«
»Musst du noch arbeiten?«
»Nein, aber mir geht das Theater hier auf die Nerven.«
»Das ist nun mal Veras Stil.« Sie lächelte nachsichtig. »Du musst keine Angst um mich haben, Alex. Ich glaube, du befürchtest, dass ich traurig bin.«
»Ich weiß doch, wie sehr du dir ein Kind wünschst.« Und beinahe wütend murmelte er: »Es sollte dein Kind sein.«
Man hatte das Himmelbett auf die Terrasse gefahren. Vera kam zu ihnen, ganz die glückliche Gastgeberin.
»Er ist süß, findest du das auch, Alex?«
»Für eine Frühgeburt ist er erstaunlich kräftig«, erklärte eine Dame verwundert, die sich zu ihnen gesellte.
»Nicht wahr?« strahlte Vera, und als sie mit Alex und Marie wieder allein war, zischte sie boshaft:
»Widerliche alte Hexe. Kommt jetzt in den Salon, ich möchte euch mit dem neuen Bürgermeister bekannt machen. Ein patenter Mann. Es kann dir nicht schaden, Alex, wenn du dich ein wenig unter die Leute mischst, es könnte dir von Nutzen sein.«
Sie sah hinreißend aus, und sie wusste es auch. Sie schob ihre Hand unter Alex’ Arm, eine Strähne ihres Haares streifte seine Wange. Ihr Parfüm störte ihn, war für ihn viel zu aufdringlich …, wie alles an dieser Frau. Er hätte gern Abstand zwischen ihr und sich gebracht, aber er wagte es nicht.
Marie war zurückgeblieben, sie konnte sich von dem Kind nicht trennen. Außerdem fand sie, dass der Kleine in dieser Jahreszeit nicht zu lange draußen stehen sollte. Wenn die Sonne hinter der dicken schwarzen Wolke verschwunden war, würde es bitter kalt werden.
Das fand auch Jürgen, der offensichtlich den gleichen Gedanken hatte.
»Sollten wir den Jungen nicht in sein Zimmer bringen? Vera glaubt allerdings, dass frische Luft ge-sund ist. Aber er ist doch noch so klein.«
»Sein Bettchen hat Räder, das ist also kein Problem.« Marie schob das Himmelbett bereits, er beeilte sich, die Tür zu öffnen.
»Zum Glück müssen wir nicht durchs Wohnzimmer. Die Luft da-rin ist zum Schneiden, grässlich. Ich staune, dass so viele rauchen. Wir fahren meinen Sohn durch mein Arbeitszimmer und dann in sein Zimmer.«
Er ist viel zu dick, dachte Marie, aber er ist ungemein liebenswert. Und Marie wusste, dass er sehr empfindlich war. Man darf ihm nicht weh tun, dachte sie und hätte so gern geglaubt, dass das Kind Jürgens Sohn war. Wenn sie das doch vergessen könnte.
Er schob das Bettchen in sein Kinderzimmer. Verlegen sah er auf die Spielsachen, die sich im Zimmer häuften.
»Ich hab’ übertrieben, ich weiß es natürlich. Aber ich war närrisch vor Glück, als ich von Veras Schwangerschaft erfuhr. Wie gut, dass sie mir nachgefahren ist.«
Behutsam nahm er die kleine Hand, strich mit andächtigem Gesicht darüber.
»Ich bin so froh. So unbeschreiblich glücklich, Marie. Nichts reicht an dieses Glück heran. Es ist vollkommen.«
»Ich freue mich für euch«, sagte sie leise und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Er darf es nie erfahren, dachte sie verzweifelt, das würde er nicht verkraften.
»Du warst für Vera und für mich ein großer Trost, Marie, eine große Hilfe. Wenn du da warst, wurde Vera ruhiger. Du musst uns oft besuchen, auf so eine Tante, wie du eine bist, kann mein Sohn nicht verzichten.«
»Das hast du nett gesagt.«
»Hier bist du.« Alex steckte den Kopf durch die Tür. »Ich hab’ dich gesucht.«
»Wir haben meinen Sohn ins Haus gebracht«, erklärte Jürgen ihm. »Es ist schließlich Winter.«
»Aber die Sonne ist schon warm«, erklärte Vera ungeduldig, die Alex gefolgt war. »Moderne Menschen machen es so. Frische Luft ist wichtig.«
»Natürlich, Liebes«, nickte Jürgen eifrig. »Aber als die Sonne sich versteckte, spürte man die Kälte. Natürlich weißt du es besser als ich, ich will dir ja nicht reinreden.«
»Warum wollt ihr schon gehen, Alex?« Vera beachtete ihren Mann nicht weiter. »Die ersten Gäste verabschieden sich schon. In einer Stunde sind wir unter uns, dann können wir es uns gemütlich machen.«
»Ja, bitte, bleibt.« Jürgen legte Alex die Hand auf die Schulter. »Dann feiern wir die Taufe unter uns. Wir vier. Nein, jetzt sind wir fünf.«
Sie hat keine Lust, mit Jürgen allein zu bleiben, dachte Marie traurig. Sie hat alles und ist weder dankbar noch zufrieden.
»Natürlich müsst ihr bleiben«, beharrte Vera noch einmal. »Ich brauche deine Hilfe, Marie. Du kannst das Wickeln des Jungen besser als die Schwestern. Wo hast du das nur gelernt? Vermutlich bist du ein Naturtalent, die geborene Mutter.«
In diesem Augenblick hasste Alex sie.
*
»Jürgen ist ein schrecklicher Tyrann geworden«, klagte Vera. Gestern war Bertrams Geburtstag gefeiert worden, und jetzt saß Vera in Maries Wohnzimmer, während Bertram mit einem Auto, dem ein Rad fehlte, auf dem Boden spielte.
»Übertreibst du nicht?« Am liebsten hätte sich Marie zu dem Buben auf den Boden gesetzt. Sie liebte den Jungen von ganzem Herzen, ein eigenes Kind konnte sie nicht lieber haben als ihn. Am schönsten war es, wenn sie und Bertram allein waren, noch schöner, wenn auch Alex da war. Zu ihrer Freude war auch Alex begeis-tert von ihm.
»Du musst ihn natürlich wieder in Schutz nehmen. Das ist doch Boshaftigkeit, dass er sich weigert, ein Kindermädchen einzustellen. Nur weil eine nachlässig war, sind doch nicht alle so. Aber nein, er will nicht. Und ich werde dir auch sagen, warum er nicht will. Weil er mir nicht gönnt, dass ich so oft eingeladen werde, dass ich mich auf dem Golfplatz wohl fühle. Es ist doch nun wirklich nicht meine Schuld, dass er ein solches Arbeits-tier ist.«
Marie hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie beobachtete Bertram. Er schob sein Auto unter den Stuhl, packte das Holz und zog sich mühsam hoch. Auf seinen kleinen Beinen wackelte er über den Teppich auf Marie zu.
»Sieh doch, Vera. Er wird immer sicherer, er läuft.«
»Warum soll er nicht laufen? Himmel, Marie, mach doch nicht so ein Getue. Das muss ich genug von Jürgen ertragen, wenn er denn mal zu Hause ist.«
Bertram hatte Marie erreicht, er quiekte vor Begeisterung und streckte ihr beide Ärmchen entgegen. Nur leider verlor er dabei das Gleichgewicht und plumpste auf seinen Po. Verdutzt sah er Marie an. Seine Mutter beobachtete er gar nicht.
»Komm.« Marie hob ihn hoch und setzte ihn auf den Schoß. Aber er strebte zum Fenster. Sie stellte ihn auf die Fensterbank und schob die Blumen zur Seite.
»Es schneit. Vera, es schneit.« Die Schneeflocken tanzten vom Himmel und unterstrichen die Gemütlichkeit des Zimmers. Die Sträucher im Garten sahen aus, als wären sie mit Puderzucker bestreut.
»Ob ich mit ihm in den Garten gehe, Vera? Das ist sein erster Schnee.«
»Du bist eine närrische Tante. Von mir aus kannst du das tun. Einen Mantel hat er ja mit. Ich wollte dich etwas fragen, Marie.«
Marie hatte den Jungen auf den Arm genommen, zutraulich legte er sein Köpfchen gegen ihre Wange.
Ein wenig Stolz verspürte Vera nun doch, als sie ihren Sohn betrachtete. Er hatte braunes dichtes Haar und große graue Augen und dichte schwarze Wimpern.
»Wenn er bei dir ist, ist er immer brav, aber du musst ihn bei mir erleben.«
Marie hätte eine gute Antwort darauf geben können, aber die Mühe machte sie sich nicht mehr.
Vera folgte den beiden in die Diele, sie nahm den Mantel von der Garderobe und reichte ihn Marie.
Aber Marie schüttelte energisch den Kopf.
»Ein Kind kann doch nicht im Mantel im Schnee herumtollen. Halte ihn einen Moment, ich habe ihm einen dicken Pullover gestrickt.«
Sie reichte Bertram zu Vera.
Aber der Kleine strampelte, wehrte sich, und als seine Mutter ihn auf den Arm nahm, schrie er wie am Spieß. Das verzweifelte Weinen verlieh Marie Flügel. Sehr schnell war sie zurück und schalt den Jungen liebevoll.
»Da hat er dir eine Kostprobe gegeben. So hat er auch gestern Abend gebrüllt. Und ausgerechnet da kam Jürgen nach Hause. Für gewöhnlich taucht er erst auf, wenn Bertram bereits im Bett liegt.«
Marie stellte den Buben auf den Boden und streifte ihm den Pullover über. Das Gesichtchen war noch nass von Tränen, und er schluchzte noch auf. Nur sein Mund hatte sich schon wieder zu einem Lachen verzogen.
»Sieh mal in den Spiegel, kleiner Mann.« Vera schob ihren Sohn zum Spiegel hinüber. »Na, wie gefällst du dir? Soll die Figur darauf der Pumuckel sein, Marie?«
»Sehr gut ist er mir nicht gelungen«, lachte Marie, »aber wenn du ihn erkennst, kann es ja nicht zu schlecht sein. Komm, Bertram, wir gehen in den Garten. Vermutlich wird er versuchen, den Schnee in den Mund zu stopfen.«
»Dann bin ich euch nur im Weg. Ich habe noch einige Besorgungen zu machen. Ich wollte dich noch etwas fragen, und ich weiß, dass du mir den Gefallen tust. Du bist die Einzige, auf die ich mich verlassen kann.«
Marie hatte die Hand schon auf der Messingklinke.
»Bist du schon wieder in einer Klemme?« Sie musterte Vera resigniert. Wie sie da stand! Elegant vom Kopf bis zu den glänzenden Stiefeln.
»Wie du das aussprichst. Nein, ich habe nur eine Bitte, und die macht dir keine Mühe. Du sagtest, Alex kommt erst im Laufe des Sonntags zurück. Und Jürgen ist mal wieder in Japan. Und vom Golfclub wird am Samstag ein Karnevalsfest gegeben.«
»Natürlich kannst du Bertram zu mir bringen, ich freue mich.«
»Aber ich will nicht, dass Jürgen das erfährt. Sieh doch nicht so schockiert drein!« Wie wenig Vera sich doch verändert hatte. Als Kind hätte sie jetzt mit dem Fuß aufgestampft, jetzt begnügte sie sich damit, die Stirn zu runzeln.
»Aber er kann doch nichts dagegen haben, wenn du das Fest besuchst. Du bist doch Mitglied dort.«
»Du kennst ihn eben nicht. Du ahnst ja gar nicht, wie sehr er sich verändert hat. Nichts gönnt er mir. Ständig nörgelt er an mir herum. Ich kann ihm nichts recht machen.«
Bertram zerrte an Maries Hand, er wollte endlich in den Garten. Und da Marie nicht reagierte, stampfte er böse mit den Füßen auf.
»Ich werde ihm sagen, wenn er anruft, dass du allein bist und ich werde bei dir übernachten, weil wir uns gegenseitig trösten und einen gemütlichen Abend verbringen wollen.«
»Und wenn er hier anruft? Ja, Bertram, wir gehen ja sofort.«
»Sei doch nicht so schwerfällig, Marie. Da wird dir schon etwas einfallen, du bist doch nicht auf den Kopf gefallen. Also abgemacht, ich zieh mich bei dir um. Vom Personal muss es auch niemand wissen, da traue ich keinem.«
Sie lachte, war bester Laune und nahm ihren Pelzmantel vom Ständer. »Ich gehe dann, viel Spaß.«
Marie war unglücklich und sehr unzufrieden mit sich selbst. Alex hatte recht, sie ließ sich von Vera immer wieder ausnutzen, dabei nahm sie sich immer vor: das ist das letzte Mal. Sie hasste Lügen, es würde ihr schwer fallen, Jürgen hinters Licht zu führen. Er würde schon seine Gründe haben, wenn er so streng geworden war.
Ob sie das Fest mit dem Vater von Bertram besuchte? Herr im Himmel, wurde diese Frau denn nie vernünftig? Immer konnte es nicht gut gehen.
Energisch schob sie die Sorgen fort. Sie nahm den Jungen auf den Arm und lief mit ihm in den Garten. Auf dem Strauch, der im Sommer herrliche Blüten trug, lag der Schnee in kleinen Häufchen. Sie stellte Bertram auf den Boden und kniete sich neben ihn, so dass ihre Augen auf einer Höhe waren.
»Das ist Schnee, Bertram. Und wenn es die ganze Nacht schneit, setze ich dich morgen auf den Schlitten, und unten am Weg können wir sogar rodeln.«
Er verstand vermutlich kein Wort, aber das war nicht wichtig. Er lachte vergnügt und patschte mit beiden Händen auf die weiße Pracht. Ihm blieb der Mund vor Staunen offen stehen, als das nasse Weiß um seinen Kopf flog. Und die Schneeflocken tanzten vor seinen Augen.
Sein Jauchzen hatte sie noch im Ohr, als sie längst in ihrem Bett lag. Es war ihr heute besonders schwergefallen, Bertram zu Vera ins Auto zu setzen. Und wie er geweint hatte. Die Ärmchen hatte er ihr entgegengestreckt.
Ich muss vernünftig sein, nahm sie sich schon zum hundertsten Mal vor. Bertram ist nicht mein Kind.
Aber Vera ist eine miserable Mutter, war sofort ihre Entschuldigung.
Ohne Alex fühlte sie sich sehr einsam. Lieber Gott, ich danke dir, dass Alex und ich uns lieb haben. Und wenn ich keine Kinder bekommen kann, dann will ich trotzdem dankbar sein. Ich habe allen Grund dazu. Und ein Trostpflaster ist Bertram.
*
Vera hatte sich als Fee verkleidet, sie erzählte langatmig, wo sie das Kostüm aufgetrieben hatten. Bertram drängte sich fest an Marie, als seine Mutter ins Zimmer kam.
»Aber du musst doch keine Angst haben, mein Liebling«, zwitscherte Vera. »Ich bin es doch.«
Aber er barg sein Gesicht an Maries Pullover und presste die Hände gegen die Ohren.
»Er wird doch kein Feigling werden?«
»Darüber würde ich mir keine Gedanken machen. Aber mit dem schillernden Gebilde siehst du ein wenig wie die böse Fee aus.«
»Liest du noch immer Märchen? Ich lass das Auto stehen und fahre mit dem Taxi. Du siehst, wie vernünftig ich bin.«
Und dabei wirbelte sie um sich selbst, die Schleier flogen und gaben den Blick frei auf lange schlanke Beine, die in schwarzen Strümpfen steckten.
Marie umschloss das Kind mit beiden Armen. Wenn Marie bei ihm war, fühlte Bertram sich sicher, nur bei ihr fühlte er sich behütet, und am liebsten war er mit ihr hier in diesem Haus. Hier schrie niemand, hier wurden keine Türen geknallt, dass er zusammenzuckte.
»Gehst du mit dem Vater von Bertram zum Ball?«
»Sprich’s nicht aus, nicht in ?Bertrams Gegenwart, man weiß doch nie, was so ein kleines We-?sen mitbekommt. Nein, natürlich nicht. Der macht im Moment auf Familie und bemüht sich um seine Frau.«
Spöttisch setzte sie hinzu: »Wer weiß, wie lange das dauert. Mir würde die langweilige Häuslichkeit auf die Nerven gehen. Tschüs, Marie, von meinem Sohn kann ich mich ja nicht einmal mit einem Kuss verabschieden, er klebt ja förmlich an dir.«
Das Telefon klingelte. Vera strahlte. »Das wird Jürgen sein. Hoffentlich.« Sie eilte in die Diele. Bertram hob den Kopf, sah sich im Zimmer um. Und da die schreckliche Fee fort war, löste er sich aus Maries Arm und stapfte zu seiner Eisenbahn zurück. Marie und er hatten sie auf dem Teppich aufgebaut.
Marie aber horchte in die Diele.
»Ja, wir haben es sehr gemütlich. Alex versteht etwas vom Wein, und wir werden heute Abend bestimmt die Bestände reduzieren.«
Offensichtlich horchte sie und sagte dann, unüberhörbar gekränkt: »Ja, ja, ja, in deinen Augen ist nur Marie vernünftig. Es braucht niemand auf mich aufzupassen. Bertram geht es gut; wir werden ihn gleich zu Bett bringen.«
Keine Frage, wie es Jürgen geht, dachte Marie ärgerlich.
»Ja, tschau. Bis morgen Abend am Telefon.«
Sie steckte den Kopf noch einmal durch die Tür.
»Erledigt. Er musste mir natürlich wieder eine Predigt halten. Der Anruf ist gewesen, also lügen musst du heute Abend meinetwegen nicht.«
Und sie lachte dabei ohne den Anflug eines schlechten Gewissens.
*
Bertram war auf dem Teppich eingeschlafen. In seinem bunten Schlafanzug sah er in Maries Augen einfach bezaubernd aus. Sie stand auf und folgte ihrem Drang. Sie holte ihren Skizzenblock, der immer griffbereit auf dem antiken Sekretär lag.