E-Book 71-80 - Friederike von Buchner - E-Book

E-Book 71-80 E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Alois zog sich mit dem Packen Zeitungen auf die Terrasse zurück. Er freute sich jede Woche auf den Tag, an dem Hilda und Wenzel die Tageszeitungen auf die Berghütte heraufschickten. Sie waren zwar schon zwei Wochen alt, aber das störte ihn nicht. Tonis Eltern hatten die Tageszeitung abonniert. Sie sammelten sie wöchentlich und gaben sie an die Oberländers weiter. Nachdem die beiden sie gelesen hatten, wanderten die Zeitungen auf die Berghütte, schön gesammelt, in einer Stofftasche. »Toni, Anna, kommt mal her!«, rief Alois. Toni und Anna setzten sich mit einem Becher Kaffee zu ihm an den Tisch. Sie machten ihre morgendliche Pause. »Was ist?«, fragte Toni. Der alte Alois griff in die Stofftasche und zog einen Briefumschlag hervor. »Den habe ich bei den Zeitungen gefunden. Er ist an euch adressiert.« »An Toni und Anna Baumberger, Berghütte«, las Toni. Dann drehte er das Briefkuvert um. »Anna, was sagst dazu? Der Brief ist von Wenzel und Hilda. Sonderbar, das ist sehr sonderbar! Da sieht man sich jeden Tag und Wendy ist bei ihnen, und sie schmuggeln mit den Zeitungen einen Brief herauf. Kannst du dir darauf einen Reim machen, Anna?« »Toni, sie werden schon ihren Grund haben. Mache ihn auf!« Toni holte sein Taschenmesser aus der Lederhose und schnitt den Umschlag auf. »Mei, ein mehrseitiger Brief!« Anna und Toni steckten die Köpfe zusammen und lasen. Dabei hielten sie immer wieder inne und schauten sich an. Alois ließ seinen Blick nicht von ihnen. Toni und Anna machten ernste Gesichter. Sie lasen den Brief zu Ende und überflogen dann die beiliegenden Blätter. »Herr im Himmel, das E-Book 1: Ein Opfer wird belohnt E-Book 2: Auf der Suche nach Geborgenheit E-Book 3: Erben um jeden Preis E-Book 4: Schutz und Sicherheit gefunden E-Book 5: Berühmt, aber nicht glücklich E-Book 6: Ein überraschendes Geständnis E-Book 7: Vermächtnis einer Liebe E-Book 8: Auf der Schattenseite des Lebens E-Book 9: Su-Su, der Scheidungsgrund E-Book 10: Barri, der Lebensretter

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Inhalt

Ein Opfer wird belohnt

Auf der Suche nach Geborgenheit

Erben um jeden Preis

Schutz und Sicherheit gefunden

Berühmt, aber nicht glücklich

Ein überraschendes Geständnis

Vermächtnis einer Liebe

Auf der Schattenseite des Lebens

Su-Su, der Scheidungsgrund

Barri, der Lebensretter

Sophienlust Extra – Staffel 7 –

E-Book 71-80

Friederike von Buchner

Ein Opfer wird belohnt

Wie sich Irene um ihre kleinen Nichten kümmerte ...

Roman von Rothberg, Gert

Denise von Schoenecker beobachtete verstohlen die beiden kleinen Mädchen, die unruhig auf ihren Stühlen hin und her rutschten. Es waren hübsche Kinder, denen man auf den ersten Blick ansah, dass sie Schwestern waren. Beide Mädchen hatten blonde Haare und große blaue Augen, die aber im Augenblick sehr ängstlich und verstört blickten. Es war den Kindern anzusehen, dass sie in der letzten Zeit oft geweint hatten. Wie zwei verängstigte Vögelchen, die aus dem Nest gefallen sind, hockten sie auf ihren Stühlen. Sie waren sehr geschmackvoll und modisch gekleidet. Sie trugen bunte Faltenröcke und dazu passende rote Jacken.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie Daniela und Stefanie vorläufig in Sophienlust aufnehmen wollen«, sagte der weißhaarige Herr, der Denise gegenübersaß. »Ich hoffe, dass es sich nur um eine kurze Zeit handelt. Ich werde bereits morgen nach Berlin fliegen und mit Frau Stetten sprechen.«

»Frau Stetten ist die Tante der Kinder, nicht wahr, Herr Dr. Buchner?« fragte Denise.

Der Anwalt nickte. »Frau Stetten ist Danielas und Stefanies Tante. Die Mutter der Kinder war die Schwester von Frau Stetten. Diese ist jetzt die einzige Verwandte der Kinder. Wie ich Ihnen bereits schrieb, war es der Wunsch der Verstorbenen, dass die Kinder nach Deutschland gebracht werden und dass ihre jüngere Schwester Irene die Vormundschaft übernimmt. Frau Stetten wird entscheiden müssen, was mit den Kindern geschieht. So war es der Wunsch von Frau Korten, der Mutter der beiden Mädchen.«

»Und der Vater?« fragte Denise bedrückt.

»Der Vater der Kinder ist leider vor zwei Jahren verstorben. Er war wie seine Frau beim amerikanischen Fernsehen tätig. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Frau Korten eine bekannte und beliebte Fernsehansagerin war. Ich kannte die Familie seit Jahren und habe als Anwalt die Interessen der Familie wahrgenommen. Deshalb ist mir jetzt auch die Aufgabe zugefallen, die Kinder nach Deutschland zu bringen. Ich möchte hierbei noch einmal betonen, wie dankbar ich Ihnen bin, dass sie die Kinder zunächst in Ihrem Kinderheim aufnehmen wollen. Ich hoffe, dadurch in Kürze nach New York zurückfliegen zu können.«

»Frau Stetten, die Tante der Kinder, kennen Sie nicht persönlich?« fragte Denise. Tiefes Mitleid mit den elternlosen Kindern erfasste sie.

»Leider nein. Frau Korten war zwölf Jahre älter als ihre Schwester. Soviel ich weiß, haben sich die Schwestern nicht besonders gut verstanden. Wahrscheinlich war der Altersunterschied zu groß. Sie hatten kaum noch Kontakt und tauschten nur zu den Festtagen Kartengrüße aus. Frau Korten lebte seit zwanzig Jahren in Amerika und Frau Stetten in Berlin, der Heimatstadt der Schwestern. Irene Stetten ist übrigens Schauspielerin.«

Wieder warf Denise den beiden Mädchen einen verstohlenen Blick zu. Wie schrecklich ist das alles für die Kinder, dachte sie traurig. Nicht nur, dass sie die Mutter verloren haben und in ein Land gebracht wurden, in dem ihnen alles fremd ist, obendrein ist ihr Schicksal vollkommen ungewiss. Es hängt davon ab, wie sich diese Tante, die sie gar nicht kennen und von der sie wahrscheinlich nicht einmal viel gehört haben, entscheidet.

Denise nahm sich in diesem Augenblick vor, um diese beiden Kinder zu kämpfen: Da sagte der Anwalt, als habe er ihre Gedanken erraten: »Für die Kinder kommt es nun darauf an, wie sich Frau Stetten entscheidet. Ich hoffe sehr, dass die Kinder wenigstens beisammenbleiben können. Gut wäre es, wenn Frau Stetten die Kinder zu sich nehmen würde, aber ich glaube kaum, dass das der Fall sein wird. Frau Stetten ist fünfundzwanzig Jahre alt und Schauspielerin. Sicher hofft sie auf eine große Karriere. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich mit einem sieben und einem fünfjährigen Kind belasten wird. Zum Glück sind die Kinder nicht ganz mittellos. Das kleine Vermögen ist in recht sicheren Papieren angelegt und wird für eine gute Ausbildung reichen.«

»Wann fahren wir zu Tante Irene?« piepste in diesem Augenblick die siebenjährige Daniela. »Ich möchte zu Tante Irene nach Berlin.«

»Nach Berlin, zu Tante Irene.« Die um zwei Jahre jüngere Stefanie war das Echo ihrer älteren Schwester.

»Wann fahren wir?« Das war wieder Daniela. »Wir wollen zu Tante Irene. Hier gefällt es uns nicht.« Die Stimme des kleinen Mädchens konnte recht energisch klingen. »Onkel Buchner, du hast uns versprochen, dass du uns zu Tante Irene bringst.«

Daniela begann zu weinen, und prompt kullerten auch bei ihrer Schwester die Tränen.

»Ihr sprecht aber gut Deutsch«, sagte Denise bewundernd und hoffte, die Kinder damit auf andere Gedanken zu bringen.

»Deutsch ist doch unsere Muttersprache. Das hat Mutti immer zu uns gesagt. Und wir sind doch in einen deutschen Kindergarten gegangen. Dort haben wir nur Deutsch gesprochen«, erklärte Daniela.

»Ich möchte in den Kindergarten«, jammerte Stefanie. Sie kletterte von ihrem Stuhl herab und lief zur Tür. »Ich will nicht hierbleiben. Ich will nach Hause, ich will nach New York.«

»Ich auch«, schrie Daniela nun. »Hier ist es doof.«

»Doof«, echote Stefanie hinterher und versuchte, die Tür zu öffnen.

Denise sprang auf. »Hiergeblieben, ihr Ausreißer!« sagte sie scherzend und fasste die Kinder fest an den Händen. »Jetzt bleibt ihr erst einmal bei uns in Sophienlust. Passt auf, es wird euch hier gefallen. Sophienlust ist ein Kinderheim. Hier leben viele Kinder.«

»Kinderheim, was ist das?« fragte Daniela gedehnt. »Ist das so etwas wie ein Kindergarten?«

Denise nickte. »Das ist so etwas Ähnliches wie ein Kindergarten«, bestätigte sie.

»Und wo sind die Kinder?« fragte Daniela und sah sich um. »Ich sehe keine Kinder.«

»Keine Kinder«, piepste Stefanie.

»Ich werde jetzt nach Schwester Regine läuten. Sie wird mit euch zu den anderen Kindern gehen und euch euer Zimmer zeigen.«

»Wer ist Schwester Regine?« erkundigte sich Daniela misstrauisch. »Ist das eine Krankenschwester wie bei Mutti im Krankenhaus?«

»Ich will nicht zu einer Schwester Regine aus dem Krankenhaus.« Stefanie schrie plötzlich wie am Spieß.

Es kostete Denise viel Mühe, das Kind zu beruhigen. »Schwester Regine ist sehr lieb. Sie ist so lieb, wie es sicher eure Kindergartentante war«, versicherte Denise immer wieder.

Für einen kurzen Augenblick klärte sich Danielas Gesicht etwas auf, während Stefanie noch immer leise vor sich hin weinte. »Tante Resi war lieb«, sagte Daniela leise und versonnen.

»War lieb.« Stefanie nickte ein wenig mit dem Kopf.

»Seht ihr! Und bald werdet ihr auch Schwester Regine lieb haben. Und nun verabschiedet euch von Herrn Dr. Buchner, denn gleich wird Schwester Regine kommen.«

»Nein«, erklärte Daniela energisch und stampfte ein wenig mit dem Fuß auf. »Er hat gesagt, dass er uns zu Tante Irene bringt. Er hat es uns versprochen. Was man verspricht, muss man halten.«

»Muss man halten«, ließ sich Stefanie weinerlich vernehmen.

Der alte Anwalt warf Denise einen flehenden Blick zu, den diese verstand. »Glaubt mir, es ist bestimmt besser, ihr bleibt zunächst ein Weilchen bei uns in Sophienlust. Herr Dr. Buchner wird erst einmal allein nach Bern fliegen und mit eurer Tante sprechen. Es muss vieles besprochen und erledigt werden. Danach wird euch eure Tante sicher zunächst einmal besuchen. Alles Weitere sehen wir dann schon«, versuchte Denise den Kindern ihre Lage möglichst vorsichtig zu erklären.

Daniela sah Denise misstrauisch an. »Will sie uns nicht?«

»Will sie uns nicht?« fragte nun auch Stefanie und begann wieder zu weinen. Es war gut, dass in diesem Augenblick Schwester Regine das Zimmer betrat. Dadurch wurden die Kinder erst einmal abgelenkt. »Wer weint denn hier?« fragte die junge Kinderschwester und beugte sich liebevoll zu der kleinen Stefanie hinab.

»Ich«, murmelte Stefanie.

»So, und warum weinst du?«

»Wir wollen nicht hierbleiben«, übernahm Daniela das Wort und legte beschützend ihren Arm um die Schulter der jüngeren Schwester. »Wir wollen zu Tante Irene.«

»Nun, sicher werdet ihr auch bald zu eurer Tante kommen«, meinte Schwester Regine mit einem lieben Lächeln, denn sie war von Denise bereits über das Schicksal der Kinder unterrichtet worden. »Jetzt bleibt ihr aber am besten erst einmal bei uns in Sophienlust. Die Kinder hier freuen sich schon auf euch. Sie sind gespannt auf euch, weil ihr aus Amerika kommt. Sie werden staunen, wenn sie hören, wie gut ihr Deutsch sprecht. Könnt ihr denn auch Englisch sprechen?«

»Natürlich«, sagten beide Mädchen wie aus einem Munde. Sie begannen sofort in englischer Sprache zu erzählen, dass sie nur zu Hause mit der Mutti und im Kindergarten Deutsch gesprochen hatten, aber auf der Straße und beim Einkaufen und in dem großen Haus, in dem sie gewohnt hatten, Englisch. Sonst hätte sie ja niemand verstanden.

Für einen Augenblick hatten die Kinder ihren Kummer tatsächlich vergessen. Sie bemerkten kaum, dass Schwester Regine sie aus dem Zimmer führte. Erst auf dem Flur verstummte Daniela. Sie sah sich misstrauisch um und wollte dann zurücklaufen, aber Schwester Regine hielt sie am Arm fest.

»Ich zeige euch jetzt das Zimmer, in dem ihr schlafen werdet, und dann werden wir zusammen in den Speisesaal gehen, wo ihr die anderen Kinder kennenlernen werdet. Heute Abend gibt es Würstchen und Salat. Ist das nicht etwas Gutes?«

»Ich habe gar keinen Hunger.«

»Keinen Hunger«, echote Stefanie und schüttelte zur Bekräftigung ihrer Worte den Kopf.

»In Gesellschaft der Kinder wird sich der Hunger und der Appetit schon einstellen. So, und jetzt müssen wir hier die Treppe hinaufgehen.«

»Wo ist der Lift?« fragte Daniela. Misstrauisch musterte sie die schön geschwungene Treppe, die von der Halle hinauf in den ersten Stock führte, wo die Schlafräume der Kinder lagen.

»Hier gibt es keinen Lift. Wir brauchen hier auch keinen. Diese Treppe führt zum ersten Stock hinauf.«

»So ein kleines Haus«, staunte Daniela beeindruckt. »Wir haben in einem großen Haus gewohnt. Es hatte zwanzig Stockwerke, und wir haben ganz oben gewohnt.«

»Wir haben ganz oben gewohnt.« Stefanie fasste nach der Hand der älteren Schwester. »Komm, Daniela, wir wollen hier nicht bleiben. Hier gibt es keinen Lift.« Sie versuchte, ihre Schwester fortzuziehen.

»Wenn es nur ein kleines Haus ist mit einem Stockwerk, brauchen wir vielleicht keinen Lift«, überlegte die Siebenjährige und setzte einen Fuß auf die Treppe.

Schwester Regine seufzte erleichtert auf.

»Brauchen wir vielleicht keinen Lift.« Stefanie folgte dem Beispiel der Schwester. Hand in Hand stiegen die beiden nun die Treppe empor. Schwester Regine folgte ihnen lächelnd. Oben blieben die Kinder stehen und sahen sich neugierig um.

»Die Treppe ist schön, aber ein Lift ist besser. Der ist fast so wie ein Flugzeug.«

Das Flugzeug erinnerte Daniela wieder an ihren Kummer. Ihr Gesicht, das eben noch etwas gelöster ausgesehen hatte, wurde wieder traurig.

»Wir fliegen nach Berlin, hat Onkel Buchner gesagt. Wir wollen zu Tante Irene. Hier wollen wir nicht bleiben.« Daniela fing wieder an bitterlich zu weinen, und natürlich flossen auch bei Stefanie wieder die Tränen.

Schwester Regine war froh, als sie die Kinder endlich in dem Zimmer hatte, das sie bewohnen sollten. Die Koffer der Kinder standen schon mitten im Raum, und darauf thronten zwei Puppen, die schon etwas mitgenommen aussahen, ein Zeichen dafür, dass sie von Daniela und Stefanie heiß geliebt wurden.

»Karline!« schrie Daniela. Sie stürzte sich auf ihr Puppenkind und herzte und küsste es.

Auch Stefanie nahm ihre Puppe auf den Arm und presste sie fest an sich. »Sie heißt Julchen«, sagte sie leise und blickte mit tränennassen Augen zu Schwester Regine empor. »Mutti hat sie mir selbst gemacht. Ist sie nicht schön?«

»Wunderschön«, versicherte Schwester Regine. »Ich habe noch nie eine Puppe gesehen, die so schön ist, Stefanie. Du musst sie sehr lieb haben.« Schwester Regine hatte das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. Sie hätte den Kindern so gern geholfen, hätte ihnen so gern etwas Tröstendes gesagt, aber sie wusste, dass es für die Kinder im Augenblick noch keinen wirklichen Trost gab.

Stefanie schien jedoch zu fühlen, dass die junge Frau es gut mit ihr und ihrer Schwester meinte. Sie hielt ihre Puppe hoch, während sie sich dicht an Schwester Regine lehnte. »Du darfst ihr einen Kuss geben, weil du lieb bist«, sagte sie leise.

Gerührt nahm die Kinderschwester die Puppe und küsste sie sanft auf die Stirn. Stefanie sah befriedigt zu, dann bettete sie das Puppenkind zärtlich in ein Bett. »Schlafe ich hier?« fragte sie.

Schwester Regine nickte. »In dem einen Bett schläfst du, im anderen Daniela.«

»Aber nur eine Nacht. Morgen will ich zu Tante Irene. Carline will auch nicht hierbleiben. Es gefällt ihr hier nicht, hat sie mir eben gesagt.«

»Ich glaube, es wird Carline hier schon noch gefallen. Morgen könnt ihr die Puppenkinder in einen Puppenwagen setzen und spazieren fahren.«

»Hast du einen Puppenwagen?« fragte Daniela interessiert.

»Ich nicht, aber es gibt hier einen wunderschönen Puppenwagen.«

»Können wir ihn gleich haben? Morgen sind wir doch nicht mehr hier. Wir wollen doch zu Tante Irene.«

Schwester Regine tat, als habe sie nichts gehört. Sie packte eine Reisetasche aus. »So, jetzt könnt ihr euch die Hände waschen, und dann gehen wir zusammen hinunter zum Abendessen.«

Wortlos und mit gesenkten Köpfen gingen die Kinder ins Badezimmer, um sich die Hände zu waschen. Sie machten einen sehr bedrückten Eindruck. Auch als sie später neben Schwester Regine hinunter in den Speiseraum gingen, hielten sie die Köpfe gesenkt und sahen kaum auf.

Wie immer, wenn ein neues Kind in Sophienlust eintraf, waren die Kinder des Heims neugierig auf den Neuankömmling. Auf die beiden Schwestern aus Amerika waren sie natürlich ganz besonders neugierig, aber sie wussten auch aus Erfahrung, dass es besser war, die Neuen zuerst einmal in Ruhe zu lassen. Denise hatte den Kindern erzählt, dass Daniela und Stefanie vor Kurzem die Mutter verloren hatten und nun außer einer Tante in Berlin keine Verwandten mehr hatten.

Alle Kinder, die in Sophienlust lebten, hatten schon Trauriges erlebt. Die meisten von ihnen hatten Vater und Mutter verloren und wussten daher, wie den Schwestern zumute war. Sie hatten auch schon oft erlebt, dass die Kinder, die neu nach Sophienlust kamen, in der ersten Zeit traurig waren, dass sie weinten. Deshalb war es für sie ganz natürlich, dass die beiden Schwestern aus Amerika verweinte Augen hatten und kaum aufsahen. Dass sie aus diesem Grund ganz besonders nett und freundlich zu den beiden Neuen waren, war für sie selbstverständlich.

Die kleine Heidi Holsten, die ständig in Sophienlust lebte, wollte sogar auf ihr Würstchen verzichten und es Daniela und Stefanie geben. Als die beiden aber stumm den Kopf schüttelten, war sie doch sehr froh, denn Würstchen aß sie für ihr Leben gern.

Daniela und Stefanie aßen ohne Appetit, aber sie aßen gehorsam alles auf, was Schwester Regine ihnen auf den Teller legte. Während der Mahlzeit sprachen sie kein Wort und sahen kaum von ihren Tellern auf. Die Kinderschwester war froh, als sie mit den Kindern wieder nach oben gehen konnte. Daniela rieb sich unentwegt die Augen vor Müdigkeit, und Stefanie schien bereits halb zu schlafen. Nach all dem Neuen und Aufregenden, das die beiden an diesem Tag erlebt hatten, fielen ihnen fast die Augen zu.

Wenn die Kinderschwester aber geglaubt hatte, dass die beiden unter solchen Umständen sofort einschlafen würden, dann sah sie sich getäuscht. Als die Kinder nämlich in ihren Betten lagen, kam ihnen wieder so recht zu Bewusstsein, dass ihre Mutti nicht da war, die mit ihnen stets das Abendgebet gesprochen hatte, dass sie in einem fremden Land waren, in einer fremden Umgebung. Sie hatten Sehnsucht nach der Mutter und Heimweh nach der vertrauten Umgebung und begannen wieder zu weinen.

Es blieb Schwester Regine nichts weiter übrig, als den Kindern freundlich zuzusprechen und ihnen zu versprechen, sie nicht allein zu lassen, sondern bei ihnen zu schlafen. Da waren die Kinder plötzlich nicht mehr müde. Interessiert sahen sie zu, wie die junge Kinderschwester auf der Couch, die im Zimmer stand, ihr Nachtlager richtete. Der Gedanke, in der Nacht nicht allein zu sein, beruhigte sie ungemein. Ihre Tränen versiegten, sie sprachen ihr Nachtgebet, und der Schlaf brachte ihnen danach endlich für ein paar Stunden Frieden und Vergessen.

Schwester Regine war das Herz schwer, als sie auf die schlafenden Kinder blickte. Die nächste Zeit würde ganz sicher noch sehr schwer und sehr traurig für Daniela und Stefanie sein. Ähnliches sagte Denise ein wenig später, als sie mit der Kinderschwester sprach. »Ich bin sehr besorgt um die Kinder«, meinte sie. »Besonders sorge ich mich um die Zukunft der beiden. Wie mir Herr Dr. Buchner sagte, hat die Verstorbene noch kurz vor ihrem Tod zu den Kindern gesagt, dass sie bald zu ihrer Tante Irene nach Berlin reisen würden und dass die Tante sie sehr lieb haben würde. Es ist also nur natürlich, dass Daniela und Stefanie es nun, nach dem Tod ihrer Mutter, nicht abwarten können, zu der Tante zu kommen. Hoffentlich werden sie nicht enttäuscht. Diese Tante ist erst fünfundzwanzig Jahre alt. Wird sie die Kinder zu sich nehmen? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich kann nur hoffen, dass sie einsieht, dass man die Kinder nicht trennen darf. Ich werde mich auf jeden Fall dafür einsetzen, dass Daniela und Stefanie nicht getrennt werden. Vielleicht können sie hier in Sophienlust bleiben wenigstens für die nächste Zeit.«

Denise seufzte. »Das alles hängt von einer Frau ab, die wir nicht kennen, von der wir nichts wissen. Was ist diese Irene Stetten für ein Mensch?«

*

Die gleiche Frage stellte fast zur gleichen Zeit Adelheid von Wüstrow ihrem ältesten Sohn Klaus. Mutter und Sohn saßen um diese Zeit auf der Terrasse ihres großen Anwesen. Ein Mädchen in schwarzem Kleid und weißer Schürze hatte sie soeben verlassen, nachdem es ihnen nach dem Abendessen Eistee auf der Terrasse serviert hatte.

Adelheid von Wüstrow liebte diese Abendzeit ganz besonders. Es war die Zeit, da es in dem großen Hause langsam ruhig und still wurde, da die Söhne etwas Zeit für sie hatten. Das gab ihr das Gefühl, dass nun nicht mehr viel Unangenehmes passieren könne, denn der Tag neigte sich ja dem Ende zu. Es war auch die Zeit, da Adelheid von Wüstrow gern von der Vergangenheit sprach, von ihrer Jugend auf den großen Gütern im Osten Deutschlands, von ihrer Hochzeit. Lange war es her, dass sie den Grafen Wüstrow geheiratet hatte. Jetzt lebte die Familie auf einem nach Ansicht der alten Dame recht bescheidenen Besitz. Man hatte den Grafentitel abgelegt, und statt eines Dieners in Livree servierte ein Mädchen in schwarzem Kleid und weißer Schürze. Die Zeiten hatten sich geändert, aber es war schwer, sich mit dem Neuen abzufinden. Vieles konnte Adelheid nicht verstehen. Vor allem auch, dass Bodo, ihr jüngster Sohn, die Absicht hatte, eine junge Schauspielerin aus Berlin zu heiraten.

»Was ist diese Irene Stetten überhaupt für ein Mensch? Wie kommt Bodo darauf, sie heiraten zu wollen? Verstehst du das, Klaus? Ich habe noch nie etwas von einer Irene Stetten gehört.«

»Ich auch nicht, Mama«, gestand Klaus von Wüstrow und legte die Zeitung, in der er gelesen hatte, auf den Tisch. »Ich muss gestehen, dass mich das Mädchen auch nicht interessiert. Über Bodo bin ich verärgert, einfach verärgert. Er hätte es dir etwas schonungsvoller beibringen können.«

»Das finde ich auch.« In dem schmalen feinen Gesicht von Adelheid von Wüstrow zuckte es ein wenig »Er hätte sie uns wenigstens vorher einmal vorstellen können. Einfach zu sagen, ich habe die Absicht, sie zu heiraten, ist nicht korrekt. Früher gab es eine Verlobung und einen großen Empfang. Wenn ich an meine Verlobung denke, Klaus ... Es waren über hundert Leute geladen. Irgendwo muss ich noch ein Bild haben. Lass mich nachdenken.« Sie stützte den Kopf mit dem noch dunklen Haar in die schmale gepflegte Hand, an der ein paar kostbare Brillantringe funkelten. »Oder ist das Bild damals bei dem Brand vernichtet worden?«

»Wahrscheinlich«, sagte Klaus von Wüstrow rasch. »Ich erinnere mich, dass du einmal so etwas gesagt hast.«

Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber wie er seine Mutter kannte, würde sie sonst tagelang nach dem Bild suchen. Das aber wollte er nicht nur ihr, sondern allen im Haus ersparen.

Adelheid von Wüstrow hob sichtlich erleichtert den Kopf. »Es ist sicher verbrannt. Um noch einmal auf diese Frau Stetten zurückzukommen. Kannst du dir vorstellen, dass sie in unsere Familie passt? Sie hat es sicher nur auf unser Geld, auf unseren alten Namen abgesehen und wird sich wieder mit Gräfin anreden lassen. Glaubst du nicht auch?«

»Kann schon sein, Mama. Ich muss gestehen, ich halte auch nicht viel von dieser Heirat, aber Bodo ist dreißig Jahre alt und muss wissen, was er tut. Bodo verdient gut, außerdem stehen ihm die Gewinne aus der Fabrik zu. Wenn er will, kann er sich jederzeit ein eigenes Haus bauen und eine Familie gründen.«

Klaus von Wüstrow griff wieder nach seiner Zeitung, aber es fehlte ihm jetzt die Ruhe zum Lesen. Es hatte ihn mehr, als er zeigte, verärgert, dass sein jüngerer Bruder ihnen vor ein paar Minuten eröffnet hatte, dass er in Kürze eine Schauspielerin aus Berlin heiraten werde. Nicht, dass Klaus etwas gegen Schauspielerinnen hatte, aber er kannte seinen Bruder und wusste aus Erfahrung, dass er nicht sehr wählerisch im Umgang mit Frauen war. Bodo hatte bereits mehrere Affären mit Frauen gehabt, die er, Klaus, nicht gern in seiner Familie gesehen hätte. Außerdem war Bodo in letzter Zeit mit einem jungen Mädchen befreundet gewesen. Annemarie von Dahlen war die Tochter eines Gutnachbarn. Seine Mutter und er, Klaus, waren über diese Freundschaft sehr befriedigt gewesen. Wenn Bodo jetzt eine andere Frau heiratete, würde es das junge Mädchen schwer treffen.

Klaus von Wüstrow seufzte verstohlen. Was war diese Irene Stetten für eine Frau? Seiner Meinung nach eine sehr berechnende und oberflächliche Frau, die es nur auf Bodos Namen, auf seine gesellschaftliche Stellung und auf sein Geld abgesehen hatte. Zum Glück konnte Bode nicht frei über das Familienvermögen verfügen. Außer seinem Gehalt als Geschäftsführer der Fabrik standen ihm noch Anteile aus den Jahresüberschüssen der Fabrik und des Gutes zu.

Wenn Klaus von Wüstrow daran dachte, fühlte er sich ein wenig erleichtert. Er wusste, Bodo war leichtsinnig, er konnte nicht mit Geld umgehen. Dadurch konnte er das hart erarbeitete Vermögen gefährden.

»Ich hatte mir immer eine Tochter gewünscht«, sagte Adelheid von Wüstrow nun in klagendem Ton, sodass Klaus aus seinen Gedanken aufschreckte und die Zeitung sinken ließ. »Lange blieb meine Ehe kinderlos«, fuhr seine Mutter fort! »Dann bekam ich zwei Buben. Jetzt hoffe ich auf eine liebe Schwiegertochter, die mir die Tochter ersetzen könnte. Warum musste Elisabeth damals ...«

»Bitte, Mama, lass das jetzt«, unterbrach Klaus seine Mutter. Er hatte noch immer nicht überwunden, dass die Frau, die er geliebt hatte, so kurz vor der Heirat bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Nach dem tragischen Tod von Elisabeth schien etwas in ihm gestorben zu sein. Es war ihm seitdem keine Frau begegnet, die auch nur sein Interesse erweckt hätte. Ob er wollte oder nicht, er musste stets Vergleiche anstellen, die dann immer zugunsten der Toten ausfielen.

Fünf Jahre war Elisabeth jetzt tot, und in diesen fünf Jahren hatte Klaus viele Frauen kennengelernt, denn er war ein Mann, zu dem sich die Frauen hingezogen fühlten. Er war groß und schlank und hatte im Gegensatz zu seinem Bruder, der blond war, das dunkle Haar seiner Mutter geerbt, ebenso deren feine, sympathische Gesichtszüge. Er sah eher wie ein Gelehrter und nicht wie ein Geschäftsmann aus.

»Elisabeth, das wäre die Tochter gewesen, die ich mir gewünscht hätte. Ich würde es so gern sehen, wenn in dieses große alte Haus wieder Leben käme«, fuhr Adelheid von Wüstrow klagend fort. »In ein solches Haus gehört Kinderlachen. Als ihr noch jünger wart, hatten wir wenigstens oft Gäste. Ich sprach erst heute mit Bertram darüber. Er ist übrigens unglücklich, dass er gar nichts mehr zu tun hat. Er möchte uns wenigstens am Nachmittag den Tee oder Kaffee bringen. Er langweilt sich, sagte er. Ich sollte deshalb bei dir ein gutes Wort für ihn einlegen.«

Klaus von Wüstrow lachte. Sein Lachen war sehr sympathisch und erinnerte an das Lachen eines großen Jungen. »Der gute alte Bertram! Mit achtzig Jahren sollte er sich ruhig einmal langweilen dürfen. Lange genug hat er uns bedient. Jetzt soll er sich selbst bedienen lassen. Wenn ich heute Abend noch einen Augenblick Zeit habe, bevor ich zu dem Empfang fahre, den die Bank gibt, werde ich ihn besuchen. Ist er denn mit seinem Zimmer im Ostflügel zufrieden?«

»Sehr! Wenn er mich sieht, bedankt er sich jedes Mal für sein schönes Zimmer mit dem großen Balkon. Glücklich ist er, dass es im ersten Stock liegt und er kaum Treppen zu steigen hat. Du weißt ja, seine Füße machen ihm zu schaffen. Wenn es so weitergeht, Klaus, dann haben wir im Ostflügel bald ein kleines Altersheim. Brigitte ist nun schon drei Jahre arbeitsunfähig und kann kaum noch sehen. Was war sie für eine gute Köchin!«

»Eben! Und deshalb ist es selbstverständlich, dass sie bei uns bleibt, solange sie will. Und sie bleibt gern, denn sie hat mit vierzehn Jahren in unserer Familie angefangen genau wie Bertram und der alte Franz, der schon bei Vaters Vater Kutscher war. Wo sollen sie denn hin? Irgendwie gehören sie zu uns.«

»Das sagst du, aber Bodo meinte neulich, dass es schade um den Ostflügel sei. Ich glaube, er möchte ihn umbauen lassen. Er meinte, dass wir doch keine Heimstätte für alte Leute seien, und die drei Alten wären in einem Altersoder Pflegeheim bestens untergebracht.«

»Sie können jederzeit in ein Altersoder Pflegeheim gehen, wenn sie das wollen, aber bis jetzt fühlen sie sich in der alten vertrauten Umgebung sehr wohl, wie sie mir immer wieder versichern. Vielleicht haben sie es Bodo noch nicht gesagt, was sehr wahrscheinlich ist, denn Bodo hält es ja nicht für nötig, mit den Leuten mal ein privates Wort zu wechseln.«

Klaus von Wüstrows Stimme klang spöttisch. Er legte die Zeitung zusammen und erhob sich. »Ehrlich gesagt, Mama, auf die Frau, die Bodo heiraten will, bin ich gespannt. Was mag sie nur für ein Mensch sein? Nun, eines Tages werden wir es wissen.«

*

Der Vorhang fiel rauschend zusammen. Die hundertste Vorstellung war zu Ende. Beifall erklang. Er war fast noch stärker als zur Premiere. Blumen wurden auf die Bühne gebracht.

Die Darsteller hielten sich an den Händen, lächelten und machten einen zufriedenen Eindruck. Für einen Augenblick schwoll der Applaus noch stärker an, dann traten die Schauspieler in kleinen Gruppen vor. Zuerst Isabella, die die Hauptrolle spielte. Sie lächelte strahlend. Schön, selbstsicher und sehr damenhaft verneigte sie sich vor ihrem Publikum. Sie wusste, dass es ihr Name war, der dem großen Haus in Berlin seit Wochen volle Kassen brachte. Das Klatschen nahm die Lautstärke eines Orkans an. Niemand sah Isabella in diesem Augenblick an, dass es am Nachmittag noch fraglich gewesen war, ob sie am Abend würde spielen können, denn sie hatte sich eine Sommergrippe zugezogen und hatte Fieber.

Irene gönnte der berühmten Kollegin den Erfolg. Für sie, die junge Anfängerin, die erst am Beginn ihrer Karriere stand, war es eine große Auszeichnung, dass sie in diesem guten Ensemble spielen durfte.

Das Stück war ein großer Erfolg. Aller Voraussicht nach würde es noch ein paar weitere Wochen auf dem Spielplan bleiben. Das Fernsehen hatte sich auch bereits für eine Aufzeichnung interessiert. Das aber würde bedeuten, dass der Name Irene Stetten über die Grenzen Berlins hinaus bekannt werden würde. Ihr Name würde hinter dem von Isabella stehen.

Bei diesem Gedanken lächelte Irene stolz.

»Schlaf nicht«, sagte neben ihr Max Bogner, ihr Partner in dem Stück, und gab ihr einen leichten Rippenstoß. »Komm, wir müssen noch einmal raus.«

Max zog Irene nach vorn. Gemeinsam verneigten sie sich, lächelten und verneigten sich noch einmal.

Irene meinte eine warme Welle von Sympathie zu spüren. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass man von seinem Publikum geliebt wurde. Sie wusste, dass viele nur ihretwegen kamen, um sie spielen zu sehen. Irgendwo im Dunkel des Raumes klang ihr Name auf. Jemand rief laut »Bravo«.

Morgen würden die Zeitungen bestimmt noch einmal ein paar freundliche Worte für das Stück und für die Schauspieler finden. Während sich Irene verneigte, erst nach links, dann nach rechts, suchte ihr Blick verstohlen Bodo. Er hatte noch einmal in die Vorstellung kommen wollen, aber sie konnte ihn nicht entdecken. Wahrscheinlich würde er in der Garderobe auf sie warten. Sie wollten zusammen essen gehen und dabei noch einmal in Ruhe die neue Lage besprechen, die sich für sie mit dem Tod ihrer Schwester Ellen ergeben hatte.

Bei dem Gedanken an Ellen wusste Irene plötzlich, weshalb sie sich den ganzen Tag über so deprimiert gefühlt hatte. Der Tod der Schwester hatte sie doch stärker getroffen, als sie zuerst angenommen hatte. Auch wenn sie Ellen zehn Jahre nicht gesehen hatte und die Bindung zwischen ihnen nie sehr stark gewesen war, so hatte der plötzliche Tod ihrer Schwester sie doch tief erschüttert. In den ersten Tagen war sie wie benommen herumgelaufen und hatte gemeint, nicht spielen zu können.

Neben ihr lächelte Max Bogner strahlend. Er war ein ganz besonderer Liebling der Berliner, und das wusste er auch. Ein junges Mädchen, das vorn in der ersten Reihe saß, stand auf und warf ihm eine langstielige dunkelrote Rose vor die Füße.

»Isolde ist wieder da«, flüsterte Max.

Irenes Lächeln wurde spöttisch. Sie und Max hatten das junge Mädchen Isolde getauft, obwohl es einen ganz anderen Namen hatte. Isolde war eine glühende Verehrerin von Max und hatte eine Zeit lang jeden Abend in der ersten Reihe gesessen.

Irene war froh, als sie die Bühne verlassen konnte. Sie atmete befreit auf. Die hundertste Vorstellung war vorüber und alles war gut gegangen.

In den Garderoben herrschte ein Leben wie nach einer Premiere. Noch immer trafen Blumen ein, vor der Garderobe von Isabella warteten ein paar Reporter, die sich auf Irene stürzten, als sie sie entdeckten.

Irene sagte ein paar freundliche Worte und lächelte für die Kamera. Moni, ihre Garderobiere, schob sie in ihre Garderobe, und Irene ließ sich erschöpft in den Sessel vor dem Frisiertisch fallen. Doch der Spiegel ihr gegenüber zeigte ein bildschönes Gesicht, dem man nicht ansah, dass sie erschöpft und müde war.

Wie schon so oft, fand Irene es verwunderlich, dass sie so schön war, dass dieser Schönheit weder Trauer noch Kummer, Müdigkeit und Erschöpfung etwas anhaben konnten.

»Mit diesem Gesicht und dieser Figur muss man einfach Karriere machen, und wenn dann auch noch Talent dazukommt, braucht man sich um seine berufliche Zukunft keine Sorgen zu machen«, hatte einmal ein Theaterkritiker gesagt. Daran musste Irene denken, als sie in den Spiegel sah und sich kritisch betrachtete. Zugleich dachte sie an Ellen und an die beiden kleinen Mädchen, die jetzt keine Mutter mehr hatten. Kurz vor der Vorstellung hatte Dr. Buchner bei ihr angerufen und ihr mitgeteilt, dass er die Kinder vorläufig in einem Kinderheim untergebracht habe und dass er am nächsten Tag in Berlin eintreffen werde, um mit ihr über das weitere Schicksal der Kinder zu sprechen.

Irene war so in ihre Gedanken versunken, dass sie kaum bemerkte, dass Moni ihre Haare bürstete, bis sie wie Gold schimmernd auf ihre Schultern fielen.

»Du siehst heute müde aus«, sagte Moni und betrachtete prüfend ihr Werk. »An deiner Stelle würde ich heute früh ins Bett gehen. Lass dich nur nicht dazu verleiten, zu der Party zu gehen, die Max heute gibt.«

»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich gehe bestimmt nicht zu der Party. Bodo ist doch heute in Berlin. Wir haben uns zum Essen verabredet. Eigentlich hatte ich gedacht, er würde noch ins Theater kommen.«

Moni brummte etwas vor sich hin, was Irene nicht verstand. Wahrscheinlich war es nichts Schmeichelhaftes für Bodo von Wüstrow. Es war Irene bekannt, dass die Garderobiere nicht gut auf ihren Verlobten zu sprechen war. Warum, wusste sie nicht. Wahrscheinlich wusste es Moni selbst nicht. »Ich mag ihn eben nicht«, waren stets ihre Worte gewesen, wenn Irene sie gefragt hatte.

Im Spiegel trafen sich die Blicke der beiden Frauen. Irene lächelte ein wenig, aber die Garderobiere gab das Lächeln nicht zurück. Sie fragte: »Hast du es ihm schon gesagt?«

»Was?«

»Dass du die Kinder eventuell zu dir nehmen willst.«

Irene senkte den Kopf und betrachtete eingehend ihre Hände. »Ich wollte heute mit ihm darüber sprechen, denn morgen kommt Dr. Buchner, der Anwalt, der die Interessen der Kinder vertritt, nach Berlin. Bodo wird mir sicher zureden. Er wird es für selbstverständlich ansehen, dass ich die Kinder zu mir nehme.«

»Bist du dessen sicher?« fragte Moni und begann das Haar mit einem Band zurückzubinden, um Irenes Gesicht besser abschminken zu können. »Bist du wirklich sicher?« fragte sie noch einmal und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort: »Ich wäre an deiner Stelle nicht so sicher. Er ist einfach nicht der Mann, der sich mit zwei Kindern belastet, die ihn, wenigstens seiner Meinung nach, nichts angehen. Mit Geld hat das gar nichts zu tun. Im Gegenteil, er wird sehr großzügig sein und alles tun, damit die Kinder bestens versorgt sind. Nur persönlich wird er nichts damit zu tun haben wollen.«

»Du magst Bodo eben nicht«, sagte Irene ungeduldig. »Du schätzt ihn einfach vollkommen verkehrt ein.«

Moni lächelte etwas spöttisch. »Mein liebes Kind«, erwiderte sie, »bis jetzt habe ich nur ganz selten einen Menschen falsch eingeschätzt. Ich bin jetzt fast sechzig Jahre alt, und von diesen sechzig Jahren war ich vierzig Jahre lang Garderobiere. Ich habe in dieser Zeit viele Menschen kennengelernt. Mich kann so leicht keiner täuschen. Als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich sofort, dass du ein sehr sensibler Mensch bist, dabei herzensgut. Ein Mensch, der keiner Fliege ein Leid antun kann. Du bist viel zu gut für dieses Leben. Du musst einfach enttäuscht werden. Erwarte nicht zu viel von deinem Verlobten. Diesen guten Rat möchte ich dir geben.«

»Du kennst Bodo eben viel zu wenig. Glaube mir, er hat für alles Verständnis. Deshalb wird er auch für die Kinder Verständnis aufbringen. Schon meinetwegen wird er das tun. Das glaube ich ganz bestimmt.«

Irene spürte selbst, dass ihre Worte wenig überzeugend klangen und dass sie selbst nicht so recht an das glaubte, was sie sagte.

Moni machte auch prompt nur »Hm« und begann erst nach einer ganzen Weile wieder zu sprechen. »Einen Rat möchte ich dir noch geben, Irene. Lass dich nicht zu etwas überreden, was du ganz tief in deinem Inneren nicht willst, was du ablehnst. Wenn du ehrlich überzeugt bist, dass die Kinder am besten in einem Heim untergebracht sind, weil du dich nicht genügend um sie kümmern kannst, dann sieh dich nach einem guten Heim um. Bist du aber davon nicht überzeugt, dann lass die Finger davon. Du würdest dich in diesem Falle immer schuldig fühlen und hättest stets das Gefühl, versagt zu haben.«

*

An Monis letzte Worte musste Irene noch immer denken, als sie das Theater verließ und auf dem Weg zu Bodo war.

Wie immer war Bodo in einem der großen feudalen Hotels am Kurfürstendamm abgestiegen. Dieses Hotel konnte Irene gut zu Fuß erreichen. Aber auch ihre Wohnung, die in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms lag, war weder vom Theater noch von dem Hotel weit entfernt.

In den unteren großen Räumen des Hotels herrschte noch reges Leben, obwohl es bereits später Abend war. Die Theater und Kabaretts hatten geschlossen, viele Hotelgäste kamen zurück und begaben sich in die Bar oder in die Speiseräume, um noch eine Kleinigkeit zu essen.

Obwohl der langgestreckte Speiseraum gut besucht war, sah Irene Bodo sofort. Wie immer hatte er sich einen kleinen Tisch an einem der hohen Fenster reservieren lassen.

Mit einem strahlenden Lächeln auf seinem jungenhaften Gesicht erhob er sich, um Irene zu begrüßen. Befriedigt hatte er festgestellt, dass sich die Blicke der Anwesenden sofort auf Irene gerichtet hatten, als sie den Raum betreten hatte. Er war stolz auf seine schöne Verlobte. Es gefiel ihm, dass sie immer und überall Aufsehen erregte, wenn sie erschien. Was er nicht verstehen konnte, war, dass ihr das Aufsehen, das sie erregte, unangenehm und peinlich war. Sie vermied es, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, kleidete sich bewusst einfach und vermied jede Extravaganz. Und trotzdem fiel ihre Schönheit sofort auf. Hinzu kamen ihre tadellose Figur und ihre natürlichen und graziösen Bewegungen.

Bodo küsste Irene zuerst die Hand, dann drückte er ihr einen Kuss auf die Wange. »Hätte ich es zeitlich geschafft, wäre ich noch ins Theater gekommen, aber es war unmöglich.«

»Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass du ins Theater kommst. Wir hatten uns ja hier verabredet«, sagte Irene und wählte einen Platz, auf dem sie mit dem Rücken zu den übrigen Gästen des Speisesaals saß.

Bodo registrierte es mit Ärger, aber er sagte nichts, denn er wollte Irene nicht gleich verärgern. »Hattest du einen anstrengenden Tag?« fragte er höflich und schob ihr die Speisekarte zu.

»Anstrengend kann ich es nicht nennen. Und du? Hast du mit deiner Familie gesprochen? Ich meine, wie haben sie es aufgenommen?«

»Sie mussten ja damit rechnen, dass ich eines Tages an eine Heirat denke« sagte Bodo ausweichend und schlug die Weinkarte auf. »Nimmst du wie immer einen Badischen?«

»Ich möchte heute nichts Alkoholisches trinken. Nun, sie waren also, wie vorausgesehen, nicht gerade begeistert, dass du eine Schauspielerin zu heiraten gedenkst.«

Bodo lachte. »So ist es nicht gerade. Natürlich war man überrascht. Aber wenn sie dich erst kennengelernt haben, werden sie mich voll und ganz verstehen und von meiner Wahl entzückt sein.«

»Hoffentlich«, sagte Irene. Ernst und nachdenklich sah sie ihren Verlobten an. »Ich wünschte, du und deine Familie hätten etwas weniger Geld und nicht einen uralten Namen.«

»Für unseren Namen können wir nichts, und Geld kann man meiner Meinung nach nie genug haben. Eine Frau, die so schön ist wie du, kann gar nicht genug Geld haben. Du brauchst nur noch den richtigen Rahmen, und die ganze Welt wird dir bewundernd zu Füßen liegen.«

»Vielleicht will ich gar nicht, dass mir die Welt bewundernd zu Füßen liegt. Es genügt mir, wenn du es tust.«

Zärtlich legte Irene ihre schöne schmale Hand, an der der kostbare Verlobungsring funkelte, auf Bodos Arm. Wie so oft, wenn sie mit Bodo zusammen war, erfasste sie eine tiefe Liebe und Zärtlichkeit für ihn. Bodo von Wüstrow entsprach in allem den Vorstellungen, die sie von dem Mann hatte, mit dem sie leben, mit dem sie gemeinsam alt werden wollte.

Bodo sah tatsächlich sehr gut aus. Seine ganze Erscheinung hatte etwas Gewinnendes. Die jungenhafte Art machte ihn sehr sympathisch und nahm ihn für sich ein. In seiner Gegenwart vergaß man unwillkürlich seine Sorgen und Probleme und lachte und scherzte mit ihm. Gerade das war es, was so anziehend auf Irene wirkte. Zuerst war sie allerdings von seiner äußeren Erscheinung beeindruckt gewesen. Mit seiner hohen schlanken Gestalt, dem blonden Haar und den lebhaften strahlenden Augen war er eine Siegfried-Erscheinung. Das hatte Moni etwas spöttisch geäußert, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

Der Ober kam an den Tisch, und sie bestellten die Gerichte, die sie ausgewählt hatten. Irene hatte sich für ein Ragout entschieden, das ihr für den späten Abend am geeignetsten erschien.

Als sich der Ober wieder entfernt hatte, ergriff Bodo Irenes Hand und küsste sie zärtlich und fast andächtig.

»Ich habe noch eine Überraschung für dich. Ein Makler hat mir eine entzückende kleine Villa im Grunewald angeboten. Eine sehr günstige Gelegenheit. Wie wäre es, wenn wir sie uns morgen ansehen würden? Ich war heute schon einmal kurz dort und habe mir die Villa angesehen. Du wirst begeistert sein. Sie liegt in einem herrlichen Garten wie eine Perle in der Muschel.«

»Du kannst ja sogar schwärmen und machst mich neugierig.« Vor Überraschung hatte Irene rote Wangen bekommen. »Eine kleine Villa im Grunewald. Davon habe ich als junges Mädchen geträumt.«

»Als junges Mädchen und jetzt nicht mehr?« scherzte Bodo und küsste ihr wieder verliebt die Hand. »Ich schlage vor, wir fahren morgen früh einmal hin und schauen uns die Villa an. Wenn sie dir gefällt, mache ich die Sache gleich perfekt. Es ist wirklich eine einmalige Angelegenheit. Du freust dich doch?« Er sah sie forschend an.

»Natürlich freue ich mich, aber der Abschied von meiner Wohnung wird mir auch schwerfallen. Schließlich bin ich dort groß geworden. Ich glaube, ich habe dir mal erzählt, dass meine Eltern schon dort gelebt haben. Und dann Marlene. Was wird aus Marlene? Sie wohnt jetzt schon drei Jahre bei mir.«

»Marlene wird eine andere Unterkunft finden.«

»Das wird gar nicht so einfach sein. Du weißt, sie hat wenig Geld, kommt gerade so mit ihrem Geld aus.«

»Sie hätte eben nicht ein zweites Studium beginnen dürfen. Und das mit dem Kind hätte ja auch nicht zu sein brauchen. So schwierig ist es ja heute ...«

»Bitte«, unterbrach Irene ihn scharf. »Das ist Marlenes Sache. Sie ist sehr glücklich, dass sie das Kind hat. Sie wird die nächsten Jahre schon überstehen. Wie sie mir sagte, war es schon als Kind ihr Wunsch, einmal Ärztin zu werden.«

»Das alles ist nicht unsere Sache«, sagte Bodo etwas ungeduldig. »Schließlich können wir nicht auf Marlene Rücksicht nehmen. Jeder lebt nur einmal.«

Irene wollte darauf etwas erwidern, aber in diesem Augenblick brachte der Ober die bestellten Gerichte. Während er die einzelnen Schüsseln auf den Tisch stellte und ein Beistelltischchen mit der Warmhalteplatte herantrug, dachte sie an ihre Untermieterin, an die Medizinstudentin, die jetzt seit drei Jahren bei ihr wohnte.

Als sie Marlene kennengelernt hatte, war die kleine Ulrike gerade geboren worden, und Marlene hatte sich am Abend ein paar Euro als Statistin verdienen wollen. Irene sah noch immer das enttäuschte Gesicht der jungen Frau vor sich, als ihr gesagt worden war, dass sie gar keine Aussicht habe, am Theater einen Job zu bekommen. Dazu gäbe es zu viele Interessenten. Sie war dann mit Marlene ins Gespräch gekommen, wobei sich herausgestellt hatte, dass die junge Frau mit ihrem Baby und zwei anderen Studentinnen in einem Zimmer lebte. Kurz entschlossen hatte Irene die junge Frau mit ihrem Baby bei sich aufgenommen. Ihre Wohnung, die sie seit dem Tod ihrer Eltern allein bewohnte, war viel zu groß für sie allein. Diese Altstadtwohnung in Charlottenburg umfasste sechs Zimmer, Bad, Küche, einen großen Abstellraum und eine Speisekammer, wie man sie nur noch in einer alten Wohnung fand.

Diesen Entschluss hatte Irene keinen Augenblick bereut. Sie kam sich seitdem nicht mehr so verlassen vor, wenn sie die große Wohnung betrat. Irgendwie war die Wohnung jetzt mit Leben erfüllt. Dafür sorgte schon die kleine Ulrike, die schon bald der Liebling des großen alten Hauses geworden war. Hinzu kam, dass Marlene ein geselliger Mensch war. Sie hatte viele Freunde, die ihr hilfreich beistanden. Für Ulrike fand sich stets ein Babysitter, wenn Marlene einmal nicht da war. Aber auch Irene hatte schon von der Wohngemeinschaft profitiert. Wenn sie nur an den letzten Winter dachte, als sie mit einer schweren Grippe im Bett gelegen hatte und der Arzt sie durchaus ins Krankenhaus hatte bringen wollen. Geradezu rührend hatte man für sie gesorgt. Marlene war kaum von ihrem Bett gewichen.

»Ich habe absolut nichts gegen Marlene«, sagte Bodo, als er und Irene wieder allein waren. »Sie ist sehr tüchtig und auch attraktiv, aber trotzdem meine ich, dass sie nicht der richtige Umgang für dich ist.« Bodo begann kunstgerecht seine Seezunge zu zerlegen. »Es wäre mir sehr lieb, wenn du dich von ihr zurückziehen würdest.«

»Aber warum denn?« Irene sah ihren Verlobten erstaunt an. »Was hast du gegen Marlene?«

»Ich habe nichts gegen Marlene«, erklärte Bodo, jetzt wieder mit leichter Ungeduld in der Stimme. »Aber sieh mal, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass meine Familie ... Ich meine ... sie passt einfach nicht zu uns.«

»Aber warum denn? Weil sie das Kind hat? Es gibt doch heute viele Frauen, die es vorziehen, ihr Kind allein großzuziehen, als sich an einen Mann zu binden, den sie nicht lieben.«

»Das müssen sich diese Frauen eben vorher überlegen.«

»Marlene hat es sich überlegt. Ulrikes Vater wollte Marlene heiraten, aber sie wollte nicht mehr. Sie hat ihn gern gehabt, aber für ein ganzes Leben hat es eben nicht ausgereicht. Später wäre es sicher zu einer Scheidung gekommen, und das wäre für das Kind schlimm gewesen. Dann ist es so schon besser, meine ich.«

»Das mag stimmen, aber lass bitte diese Meinungen nicht in Gegenwart meiner Mutter hören. Und auch meinem Bruder gegenüber würde ich so etwas nicht äußern. Und was Marlenes Freunde und Freundinnen anbelangt, würde ich auch ein bisschen vorsichtig sein. Sie sehen mitunter reichlich abenteuerlich aus.«

Bodo lachte leise, als habe er einen Witz gemacht, aber Irene war es nicht möglich, ebenfalls zu lachen. Dafür sagte sie: »Sie sind aber alle sehr nett und sehr hilfsbereit.«

Bodo beugte sich ein wenig vor. »Du bist viel zu gut und vertrauensvoll diesen Leuten gegenüber. Mitunter befürchte ich, dass sie dich ausnutzen. Doch was gehen uns Marlene und ihre Freunde an? Bleibt es bei morgen Vormittag? Ich hole dich ab, und wir fahren gleich raus. Wenn es dir recht ist, essen wir dann irgendwo draußen.«

Irene wollte schon zustimmen, da fiel ihr die Verabredung mit Dr. Buchner ein. »O Bodo«, sagte sie erschrocken, »morgen Vormittag kann ich ja gar nicht. Ich sagte dir doch bereits am Telefon, dass Dr. Buchner nach Berlin kommt. Heute hat er sich bei mir gemeldet. Er ist bereits in Berlin eingetroffen, und wir wollen uns morgen Vormittag treffen.«

»Dann sage ihm ab. So wichtig ist die Sache ja nun auch nicht. Ich habe das Gefühl, dass sich dieser Herr Advokat ein bisschen interessant machen will.«

»Das Gefühl habe ich nicht«, widersprach Irene ärgerlich. Fröstelnd zog sie dabei die Schultern zusammen. »Ich meine, dass es sogar sehr wichtig ist, dass ich mich mit ihm treffe. Es muss doch eine Entscheidung getroffen werden. Er hat die Kinder in einem Kinderheim untergebracht. Das Heim heißt Sophienlust. Es soll ein sehr gutes Kinderheim sein und liegt irgendwo im Süden.«

»Na, wunderbar! Was wollt ihr denn dann noch beraten? Die Kinder sind gut untergebracht, wie du eben selbst gesagt hast und das ist doch die Hauptsache.«

»Das ist eben nicht die Hauptsache. Die Kinder haben ihre Mutter verloren und brauchen jetzt Liebe und Zuwendung sowie das Gefühl, nicht allein zu sein.«

»Wenn sie in einem Kinderheim sind, dann sind sie doch nicht allein. Oder?«

Irene legte die Gabel neben ihren Teller. »Verstehst du mich wirklich nicht, Bodo, oder willst du mich nicht verstehen? Ich meine, dass es meine Pflicht ist, mich persönlich um die Kinder zu kümmern.«

»Gut, dann fahre hin und besuche sie. Wenn das Heim wirklich gut ist, dann können sie dortbleiben, bis sie später auf ein Internat kommen.«

»Und du meinst, dass das genügt, dass ich nicht mehr für die Kinder tun müsste?«

Jetzt legte auch Bodo seine Gabel weg und sah Irene erstaunt und verständnislos zugleich an. »Was meinst du damit? Meinst du, dass wir sie irgendwie finanziell unterstützen sollten? Du sagtest doch, dass deine Schwester ihnen ein kleines Vermögen hinterlassen habe. Selbstverständlich bin ich jederzeit bereit, etwas für die Kinder zu tun. Daran soll es nicht liegen. Zum Glück bin ich so gestellt, dass es mir auf ein paar Hundert Euro im Monat nicht ankommt. Ihr könnt das beste und teuerste Heim aussuchen.«

»Das beste und teuerste Heim kann kein Elternhaus ersetzen, habe ich mal gehört«, entgegnete Irene leise. »Ich meine, dass es meine Pflicht ist, die Kinder zu mir nach Berlin zu holen und ihnen ein neues Zuhause zu geben. Ob mir das gelingt, weiß ich noch nicht. Ich möchte es aber versuchen, und ich hatte gedacht ... Ich meine, ich hatte gehofft, dass du mir dabei helfen würdest.«

»Ich?« fragte Bodo gedehnt und sah Irene dabei an, als fürchte er um ihren Verstand. »Was habe ich damit zu tun?«

Irene hob unsicher den Kopf und sah ihn an. Sie machte im Augenblick einen verschreckten Eindruck. Ihre Stimme war leise, als sie erläuterte: »Würde ich die Kinder zu mir nach Berlin holen, dann würde es dich natürlich etwas angehen.«

»Du meinst, dass du sie hier in Berlin in einem Heim unterbringen willst? Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, obwohl ich sie nicht für sehr gut halte. Wie ich dich kenne, würdest du meinen, du müsstest die Kinder ständig besuchen. Das aber würde dich nur zusätzlich belasten. Es gäbe Ärger und Probleme, Lass die Kinder lieber in dem Heim, in dem sie jetzt sind. Du kannst ja des Öfteren anrufen und dich erkundigen, wie es ihnen geht. Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen, denn schließlich war es ja der Wunsch deiner Schwester, dass du der Vormund der Kinder wirst.«

Irene merkte, dass sie vor Ärger und Enttäuschung langsam zu ersticken drohte. Dabei hätte sie am liebsten laut gelacht. War das eben Bodo gewesen, der da gesprochen hatte, der Mann, den sie liebte, dem sie vertraute? Oder war das ein fremder Mann gewesen? Ein Mann, den sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte?

»Ich habe überhaupt nicht die Absicht, die Kinder in einem Heim aufwachsen zu lassen. Ich werde sie nach Berlin holen, damit sie bei mir aufwachsen können. Ich hatte es eigentlich für selbstverständlich gehalten, dass du der gleichen Meinung bist wie ich. Ich sehe auch gar keinen Grund, weshalb wir die Kinder nicht zu uns nehmen sollten. Du sagtest doch soeben, dass Geld in deinem Leben keine Rolle spielt, da du genügend davon hast. Und ich verdiene auch ganz gut. Wir könnten uns also eine Erzieherin für die Kinder leisten. Und Platz hätten wir doch auch genug für sie. Wenn du die Villa ...«

Irene sprach nicht weiter, als sie sah, dass Bodos Gesicht förmlich erstarrte. Alles Jungenhafte war daraus verschwunden. Es sah jetzt hart und fremd aus.

»Das schlage dir bitte aus dem Kopf«, sagte Bodo leise, aber in einem Ton, der verriet, dass er in dieser Sache nie nachgeben würde. »Ich denke gar nicht daran, mich mit zwei Kindern zu belasten, die mir fremd sind. Was gehen mich die Kinder deiner Schwester an? Ich will dich haben, und zwar allein. Ich kann nicht teilen und will es auch nicht. Bitte, Irene, kein Wort mehr darüber.«

Irene sah ihn erschrocken an. »Ist das wirklich dein Ernst, Bodo? Es sind die Kinder meiner Schwester. Sie haben nur noch mich, sie haben keine Verwandten außer mir, und sie sind noch so klein und hilflos.«

»Du tust, als könnte ich etwas dafür. Auch denkst du immer nur an die Kinder. Denke doch auch einmal an mich. Würdest du mich lieben, so lieben, wie ich dich liebe, dann würdest du gar nicht erst auf solche Gedanken kommen. Außerdem hast du mir jetzt den Abend verdorben.«

»Das tut mir leid«, sagte Irene kalt, »aber entschuldigen kann ich mich dafür nicht. Ich sehe schon, es ist mit dir darüber nicht zu reden.«

»Allerdings. Es ist gut, dass du das einsiehst. Die Sache ist damit wohl erledigt. Du kennst meine Einstellung nun, und ich hoffe, du wirst sie respektieren.«

Irene schüttelte den Kopf, als könnte sie das alles noch nicht fassen. Sollte sie sich wirklich so in Bodo getäuscht haben? Der Ton, in dem er das alles gesagt hatte, war sehr kränkend gewesen. Die Kälte darin machte sie frösteln. Wenn sie bis jetzt noch gar nicht so sicher gewesen war, ob sie die Kinder zu sich holen sollte, so war sie in diesem Augenblick ganz sicher. Würde sie es nicht tun, würde sie sich ständig Vorwürfe machen und glauben, etwas unterlassen und versäumt zu haben.

»Ich muss dich leider enttäuschen«, äußerte Irene mit fester Stimme, »aber es ist ganz einfach meine Pflicht, mich um die Kinder zu kümmern. Wie mir Herr Dr. Buchner sagte, sind die Kinder noch tief traurig. Sie vermissen die Mutter sehr. Ich möchte, dass sie wieder fröhlich werden, dass sie wieder lachen können. Kannst du das nicht verstehen?«

»Natürlich kann ich das verstehen. Ich bin ja schließlich kein Unmensch. Ich verspreche dir, ich werde alles tun, damit es die Kinder gut haben. Ich möchte sie aber nicht ständig in meiner Nähe wissen, und ich möchte auch nicht, dass du dich persönlich um sie kümmerst. Für unser Verhältnis wäre das nicht gut, glaube mir. Du musst dich also entscheiden: die Kinder oder ich. Es braucht nicht gleich zu sein, aber ich möchte doch bald Bescheid wissen.«

Sein Gesicht war jetzt wieder gelöst, wirkte jungenhaft und sehr selbstsicher. Es war ihm anzusehen, dass er auch nicht eine Sekunde daran zweifelte, dass Irenes Entscheidung zu seinen Gunsten ausfallen würde. Irene sah wieder auf ihren Teller. Es war ihr einfach nicht möglich, in dieses selbstsicher lächelnde Gesicht zu blicken. Am liebsten hätte sie Bodo auf der Stelle gesagt, dass sie sich bereits für die Kinder entschieden habe, aber sie fand das unfair. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte sie deshalb.

Bodo begann zu lachen. »Köstlich, wie du das eben gesagt hast: ›Ich werde darüber nachdenken.‹ Einfach köstlich. Überschlafe die Sache, Liebling. Morgen wirst du über unser dummes Gespräch, das uns den Abend verdorben hat, lachen. Und morgen Vormittag hole ich dich ab. Wir sehen uns dann die Villa an.«

»Ich werde mich morgen Vormittag mit Dr. Buchner treffen. Das hast du vergessen. Wenn ich zurück bin, rufe ich dich im Hotel an.«

»Also gut, wenn du meinst, dass diese Verabredung so wichtig ist, dann fahren wir eben am Nachmittag raus und sehen uns die Villa an.«

Irene nickte geistesabwesend. Sie hatte das Gefühl, dass etwas in ihr gestorben sei. Vielleicht die Liebe oder das, was sie für Liebe gehalten hatte. Wie wenig hatte sie doch bis zu diesem Abend von Bodo gewusst und wie wenig kannte er sie. Es war geradezu erschreckend.

»Ich bin schrecklich müde, Bodo«, sagte sie und schob ihren Teller zurück. »Ich möchte nach Hause. Du weißt, nach der Vorstellung fühle ich mich immer etwas abgespannt.«

»Natürlich, selbstverständlich, Liebling. Wir sehen uns ja dann morgen und können in Ruhe alles besprechen.« Er sah sich nach dem Ober um und winkte ihn heran.

*

Irene atmete befreit auf, als sie die schwere Haustür aufschloss und auf den Lichtschalter für die Treppenbeleuchtung drückte. Sofort umgab sie die altvertraute Umgebung, die sie seit ihrer frühesten Kindheit kannte.

Das Haus war um die Jahrhundertwende gebaut worden und hatte zwei Weltkriege tapfer überstanden. Nur die dunkelroten Läufer auf den Treppen waren wohl schon einige Male erneuert worden. Der Fahrstuhl, bei dem man täglich die Sorge hatte, dass er es plötzlich nicht mehr tun würde, war noch immer der gleiche.

Im ersten Stockwerk lag die Praxis eines Rechtsanwaltes. Er hatte die ganze erste Etage gemietet. Links vom Fahrstuhl lag die Praxis, rechts seine Privatwohnung. Im zweiten Stock war die Pension der Baronin von Burgwedel. Sie hatte ihre Wohnung in eine Pension umgestaltet. Jedes Zimmer, das sie vermietete, war mit ihren alten kostbaren Möbeln und mit ihren echten Teppichen ausgestattet. Sie hatte keine Mühe gescheut und fast für jedes Zimmer ein Bad einbauen lassen. Diese Mühe und der Geldaufwand hatten sich gelohnt. Die Pension hatte einen guten Ruf. Die Baronin konnte es sich leisten, ihre Gäste auszusuchen.

Im dritten Stock lag dann Irenes Wohnung. Sie befand sich links vom Fahrstuhl. Auf der anderen Seite wohnte eine alte Opernsängerin, deren Wohnung einem Museum glich. Jeder Fremde, der sie betrat, hatte das Gefühl, in eine längst vergangene Zeit versetzt zu sein.

Irene hatte nach dem Tod ihrer Eltern in der großen Wohnung wenig verändert. Sie hing an den alten, recht kostbaren Möbeln und sah nicht ein, dass sie sie durch neue, weniger schöne Möbel ersetzen sollte. Nur ihr Wohnzimmer hatte sie neu und ganz nach ihrem Geschmack eingerichtet. Es lag gleich neben der Eingangstür.

Als Irene an diesem Abend den Flur betrat, wurde im gleichen Augenblick eine Tür geöffnet. In dem hellen Türrahmen stand Marlene in einem pastellfarbenen Morgenmantel, den Irene ihr zum letzten Weihnachtsfest geschenkt hatte. Das lange schwarze Haar fiel ihr bis weit über die Schultern. Irene fand, Bodo hatte recht, wenn er meinte, dass die junge Frau eine attraktive Erscheinung sei.

»Hallo«, sagte Marlene und hob ein wenig die Hand. »Du kommst spät heute. In der Küche steht noch Kaffee in der Warmhaltekanne, und im Eisschrank habe ich Geflügelsalat für dich aufgehoben. Manfred und Martina haben ihn mitgebracht.«

»Ich war mit Bodo essen. Hatte ich vergessen, dir zu sagen, dass er heute in Berlin ist?«

Marlene schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Richtig, das hatte ich vollkommen vergessen. Aber was ist mit dir? Bist du krank oder hast du Ärger gehabt?« Sie machte ein paar Schritte auf Irene zu und sah sie besorgt an. Dann schob sie die Freundin ins Zimmer hinein, zog ihr den Mantel aus, legte Irenes Handtasche auf den Tisch und drückte die Freundin in einen Sessel.

Irene ließ alles willenlos über sich ergehen. Gehorsam trank sie auch einen Schluck von dem Cognac, den Marlene ihr in einem Glas an die Lippen hielt.

»So, bald wird es dir wieder etwas besser gehen. Glaube mir, er ist es gar nicht wert, dass du dich so aufregst. Ich habe das kommen sehen. Je früher, desto besser für dich, auch wenn es erst einmal weh tut.«

Irene sah die Freundin betroffen an. »Woher weißt du es?« fragte sie erstaunt.

»Das ist doch nicht schwer zu erraten. Jetzt kann ich dir ja sagen, dass ich ihn nicht ausstehen kann, auch wenn er noch soviel Geld hat und einen feudalen Namen dazu.«

»Du sprichst fast wie Moni«, sagte Irene und starrte auf den Teppich, als müsste sie das Teppichmuster entwirren.

»Ist es aus zwischen euch?« fragte Marlene und griff nach ihren Zigaretten, die auf dem Tisch lagen. »Oder möchtest du jetzt noch nicht darüber sprechen?«

»Ich weiß es nicht. Mir ist alles so egal. Ich weiß auch nicht, ob es wirklich aus ist zwischen uns.« Irene schlug plötzlich die Hände vor das Gesicht und begann zu weinen.

Marlene blickte die Freundin mitleidig an. »Tränen sind gut. Weine nur! Es wird dich erleichtern. Es ist kein schlechtes Zeichen, wenn man über eine Sache weinen kann.« Ruhig saß sie dann in ihrem Sessel, rauchte ihre Zigarette und wartete.

Nach ein paar Sekunden nahm Irene die Hände vom Gesicht und lächelte schwach. »Entschuldige, aber ich bin eine dumme Gans. Wahrscheinlich hast du recht. Wahrscheinlich ist er es gar nicht wert. Weißt du, es geht um die Kinder.«

Marlene stieß einen leisen Pfiff aus. »Das dachte ich mir doch fast. Er will natürlich auf gar keinen Fall, dass du die Kinder zu dir nach Berlin holst. Ist es nicht so?«

Irene nickte und sah unglücklich zu der Freundin hinüber.

»Das hätte ich dir vorher sagen können, Irene, aber wenn ich es getan hätte, hättest du mir kaum geglaubt. Ist es nicht so?«

Wieder nickte Irene. »Wie kann ein Mensch nur so egoistisch sein. Wenn er wenigstens noch gesagt hätte, dass man es versuchen sollte. Wir hätten zusammen zu dem Heimfahren können, und er hätte dabei die Kinder kennengelernt. Das aber kommt für ihn alles gar nicht infrage. Er lehnt die Kinder einfach ab und will nichts mit ihnen zu tun haben. Er oder die Kinder. Ich soll mich entscheiden.«

»Das ist wirklich ein starkes Stück, aber ich habe nichts anderes erwartet. Und was wirst du tun?«

»Ich glaube, ich habe mich bereits entschieden. Weißt du, es ist ganz eigenartig, aber es tut kaum weh. Wirklich, ich empfinde fast so etwas wie Erleichterung. Nein, Erleichterung ist nicht der richtige Ausdruck. Vielleicht ist einem Menschen, der einer Gefahr entronnen ist, so zumute. Ich bin nur erschüttert, dass ich mich in Bodo so getäuscht habe. Ich glaube, ich bin eine sehr schlechte Menschenkennerin.«

»Du bist ganz einfach von Natur aus so anständig und gut, dass du dir nicht vorstellen kannst, dass es andere Menschen nicht sind. Das ist es. Und was wirst du nun tun?«

»Ich werde mich morgen erst einmal mit Dr. Buchner treffen und dann werde ich nach Sophienlust fahren.«

»Du bist also fest entschlossen, die Kinder zu dir zu holen?«

»Ja, das will ich. Ich weiß, es wird in der ersten Zeit nicht leicht sein. Es wird eine große Umstellung geben und vielleicht sogar auch Stunden, in denen ich meine Entscheidung bereuen werde. Dr. Buchner sagte mir am Telefon, dass die Kinder darauf warten, dass ich zu ihnen komme. Ich kann sie nicht enttäuschen. Oder glaubst du, dass ich es nicht schaffen werde?«