Echt jetzt, Rut?! - Susanne Ospelkaus - E-Book

Echt jetzt, Rut?! E-Book

Susanne Ospelkaus

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Beschreibung

"Du und deine Gedanken!", hieß es, wenn Rut ihre Fragen stellte. Ist es nicht ungerecht, dass Frauen benachteiligt werden? Wieso greift Gott nicht ein? Kann man in der Fremde eine Heimat finden? Susanne Ospelkaus erzählt, wie das Leben von Rut ausgesehen haben könnte. Ein Roman über zwei Frauen, die trotz Not und in einer von Männern dominierten Welt ihr Leben in die Hand nehmen. Eine faszinierende biblische Geschichte über Solidarität und Flucht, Mut und Weisheit und einen Gott, der eine neue Heimat schenkt. Packend und zeitgemäß nacherzählt. Für junge Leserinnen und Leser ab 10 Jahren.

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Seitenzahl: 95

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Susanne Ospelkaus & J. G. Pulido

Echt jetzt, Rut?!

Alles riskiert

© 2024 Brunnen Verlag GmbH Gießen

Lektorat: Annette Zaborowski, Alena Dörr

Illustrationen: Justo Pulido

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Satz: Brunnen Verlag GmbH

ISBN Buch 978-3-7655-2175-1

ISBN E-Book 978-3-7655-7873-1

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Teil 2

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Teil1

Kapitel1

„Rut, hol Wasser!“

Mutter hockt am Boden vor unserer Hütte und wäscht Linsen. Vorsichtig spült sie Staub von den Körnern und Wasser rinnt ihr durch die Finger. Es sickert in den rissigen Boden. Ständig brauchen wir frisches Wasser. Ständig muss ich es holen.

„Rut, wo bleibst du?“

Hastig staple ich das Feuerholz. Meine Finger sind wund und ich zucke zusammen, als sich ein Splitter unter meinen Fingernagel schiebt.

„Rut, wir brauchen frisches Wasser.“

Ich deute auf meinen kleinen Bruder.

„Kann Esat mir helfen?“

„Nein, er soll den Hof fegen. Er ist doch erst vier Jahre alt und du bist zwölf … fast erwachsen.“

„Ja, fast … vielleicht können mir nachher meine großen Brüder …“

Mein Bruder brüllt wie ein Löwe und hält seinen Besen wie einen Speer. Er hüpft hoch, dreht sich im Kreis und fuchtelt mit dem Besen herum, als würde er einen Berglöwen jagen.

„Wenigstens Esat könnte mir beim Wasserholen helfen“, versuche ich es erneut. „Der Krug ist schon ohne Wasser schwer und der Weg ist lang. Unser kleiner Löwe könnte einen kleinen Krug tragen.“

Mutter schaut mich an und sagt: „Geh. Wasser. Holen.“

Ihre Worte zerschneiden die Luft. Selbst Esat hält inne und beginnt das Laub zusammenzufegen. Mutter beugt sich wieder über ihre Arbeit und ihre Worte rollen über die Linsen.

„Warum widersprichst du ständig? Jeder hat seinen Platz. Die Männer arbeiten auf dem Feld und wir Frauen im Haus. Du holst Wasser. Los jetzt!“

Ich nehme den Tonkrug und hebe ihn auf die Schulter. Die Kanten drücken sich in meinen Nacken und die Gedanken drücken in meinem Kopf: Nach der Feldarbeit können sich Vater und meine Brüder ausruhen, doch wir Frauen arbeiten weiter. Kochen, Aufräumen, Putzen, Kümmern, Versorgen. Wenn Mutter endlich mal sitzt, hat sie ein Kind auf dem Schoß, das getröstet werden will. Ist das immer so? Ist das überall so?

Ich laufe die schattige Gasse zwischen den Lehmhäusern entlang und als ich das Stadttor erreiche, weht mir ein frischer Wind ins Gesicht. Unsere Stadt liegt auf einem Hügel und ist von einer Mauer umgeben. Hier sind wir sicher vor wilden Tieren und Räubern, doch das Quellwasser sprudelt weiter unten.

Am Stadttor ist Markttag und ich bahne mir einen Weg durch das Gedränge. Ich rieche die Gewürze der Händler aus dem Osten. Ich bestaune die bunten Stoffe der Händler aus dem Westen.

Der Wind trägt die Gespräche der Reisenden zu mir. Wenn ich ihnen zuhöre, ist es, als wäre ich selbst eine Reisende.

Einer erzählt: „Ihr Fluss ist größer als der Jordan. Überall fließen Bäche. Das Land ist so fruchtbar, dass den Menschen die reifen Früchte in den Mund fallen.“

„Das kann nicht sein.“

„Doch und sie bauen dreieckige Häuser. Ja, alles ist dreieckig, die Wände und das Dach. Sie sind so hoch, dass sie in den Himmel piksen.“

Ich kenne nur Häuser mit einem flachen Dach und unsere Früchte muss man mühsam mit der Hand pflücken.

Der eine sagt: „Den Ägyptern geht es gut. Doch den Menschen in Juda geht es schlecht. Bei ihnen herrscht eine Hungersnot.“

Ein anderer: „Ja, jetzt kommen sie zu uns nach Moab, weil ihre Brunnen ausgetrocknet sind. Jeden Tag werden es mehr. Einige bauen schon Hütten neben unseren Feldern.“

Der eine: „Die Judäer sind ein seltsames Volk. Sie haben keinen König, keine Armee und glauben nur an einen Gott. Ich habe gehört, dass sie lesen und schreiben können. Alle! Selbst die Frauen.“

„Das kann nicht sein. Wozu sollten Frauen das lernen. Selbst wenn es stimmt, es nützt ihnen nichts, wenn sie kein Wasser haben. Vielleicht haben sie kein Wasser, weil es den Göttern nicht gefällt, dass alle lesen und schreiben wollen.“

Ich stelle mir vor, was wäre, wenn ich lesen und schreiben könnte. Könnte ich eine Händlerin werden? Könnte ich dann auch von Stadt zu Stadt reisen? Könnte ich alleine Entscheidungen treffen?

„Schläfst du?“ Eine Hand berührt meinen Rücken.

„Erwischt!“ Tara lacht. „Bist du auch so müde wie ich?“

Zu gern möchte ich hören, was die Männer über Juda erzählen. Doch meine Freundin plappert über Hausarbeit‚ dass sie Wolle kämmen und Mehl mahlen musste.

Ich unterbreche sie: „Komm! Bevor die Hirten mit ihren Schafen am Brunnen sind und wir warten müssen.“

Die Luft flimmert über den Feldern. Der Weg ist ausgetreten. Die vielen Schritte haben eine Spur durch das Gras gezogen. Rosmarin wuchert über den Weg. Die Äste der Terebinthen biegen sich wie ein Tunnel über uns und ihre Blütenblätter schwirren wie kleine Käfer umher und in meinem Kopf schwirren die Fragen.

„Wieso müssen wir Frauen am Brunnen unsere Arbeit unterbrechen, wenn die Männer mit ihren Tieren kommen? Die Männer können doch warten, bis wir fertig sind.“

„Ach Rut, du mit deinen vielen Fragen.“

Kapitel2

„Du bist so träge wie ein altes Kamel“, necke ich meine Freundin und eile an ihr vorbei.

Tara hält Schritt und gemeinsam erreichen wir den Brunnen. Die Frauen dort scheinen ihre Krüge schon gefüllt zu haben, aber niemand hat es eilig, nach Hause zu kommen.

„Hallo, Tara! Rut!“, begrüßen sie uns.

Ich nehme das Seil und werfe den Eimer in den Brunnen. Kühle Luft steigt auf und streicht mir über Stirn und Wangen.

„Sie war heute Mittag hier“, sagt eine Frau.

„Wer?“, frage ich.

„Die Fremde. Sie wollte in der Mittagshitze heimlich Wasser stehlen.“

„Stehlen? Quatsch“, sage ich. „Das Wasser ist für alle da.“

Ich blicke Tara an und erwarte, dass sie mir zustimmt. Doch sie zögert.

„Wenn noch mehr Fremde wegen der Hungersnot aus Juda kommen, wird es nicht reichen.“

„Doch!“ Ich ziehe kräftig am Seil. „Der Brunnen hat eine Quelle. Es fließt immer frisches Wasser nach. Wenn wir alle teilen, wird es für alle reichen.“

Plötzlich schwatzen alle durcheinander. Manche sagen, dass man helfen muss, und andere sagen, die Fremden sollten sich selbst helfen.

Mit Schwung hieve ich den gefüllten Wassereimer hoch und sage: „Wir haben doch genug.“

„Es ist ja nicht nur das“, Tara hat sich aufgerichtet. „Mein Vater sagt, sie haben einen anderen Glauben, andere Traditionen und mit ihren Gewändern sehen sie komisch aus. Hast du gehört, wie sie heißen?“

„Nein. Woher soll ich das wissen? Ich bin ihnen noch nicht begegnet.“

„Eine Familie lebt in der Nähe unseres Feldes. Sie haben Land gepachtet. Der Vater heißt Elimelech, die Söhne Machlon und Kiljon und die Mutter …“ Tara zieht eine Augenbraue hoch. „Die Mutter heißt Noomi.“

„Das klingt schön“, sage ich. „Es ähnelt unserem Wort für Sonne. Ob Noomi schreiben und lesen kann? Ob sie alleine Entscheidungen treffen kann?“

Tara packt ihren Wasserkrug mit beiden Händen und wuchtet ihn sich auf die Schulter. Dann wendet sie sich zu mir: „Du und deine seltsamen Fragen.“

„Warte“, rufe ich.

Hastig fülle ich meinen Krug und folge ihr. Der Heimweg geht bergauf und der Krug liegt schwer auf meiner Schulter. Ich will mich nicht mit meiner Freundin streiten und bin froh, als Tara mit etwas anderem anfängt.

„Weißt du, dass ich bald heirate?“

„Wieso? Deine Schwester Vela kommt doch zuerst!“

„Genau, erst heiratet Vela und dann bin ich dran.“ Tara dreht ihren Kopf und strahlt: „Wenn wir verheiratet sind, werden wir richtige Frauen sein.“

„Richtige Frauen?“

„Ja!“

Taras Schritte federn über den Boden, als würde sie keinen schweren Krug tragen. Ich verstehe ihre Freude nicht. Wieso muss ich verheiratet sein, um eine richtige Frau zu werden? Sind das auch wieder seltsame Gedanken? Tara wird immer munterer, während ich immer schwerfälliger werde. Jetzt sind wir zwölf Jahre alt. Wahrscheinlich leben wir noch zwei Jahre in unserem Elternhaus. Wenn wir heiraten, müssen wir es verlassen. Ich will nicht daran denken.

Taras Schritte werden immer größer. Sie ruft: „Und wer ist jetzt das alte Kamel?“

Kapitel3

„Rut, nimm den Wasserkrug und vergiss den Wein nicht.“

„Es ist alles da. Nun ruh dich mal aus. Das große Fest beginnt erst in der Dämmerung.“

„Und die Mandeln?“

„Ja, die sind auch da und die Oliven und die Feigen. Komm! Setz dich.“

„Du wirst mal eine gute Ehefrau sein. Du bist so fleißig.“

Ich bin vierzehn Jahre alt, könnte heiraten und selbst eine Familie haben – will ich das? Will ich so wie Mutter werden? Immer ist sie gebeugt; über Töpfe, über Wäsche oder über meine Geschwister. Nie wird die Arbeit fertig sein. Wir sind eine große Familie mit acht Kindern, den Großeltern und Vaters Schwester Muna. Aber alleine könnte ich auch nicht leben. Tante Munas Ehemann starb, bevor sie ein Kind bekam. Ohne meine Eltern wäre Tante Muna eine Bettlerin. Als Frau kann man kein Geld verdienen, außer man würde seinen eigenen Körper verkaufen. Die Prostituierten leben in der Dunkelheit. Sie sind Ausgestoßene. Ich kann froh sein, dass unsere Familie so groß ist und wir uns umeinander kümmern.

„Hast du auch ein Kissen für Großmutter?“

„Ja, Mutter, und das Gemüse, die Linsen und den Fleischtopf.“

Heute Abend schleppt jede Familie Körbe voller Essen zum Tempelplatz und dann speisen wir als Gemeinschaft. Nur die Schale mit dem Brandopfer für unseren Wettergott Kemosch steht noch im Haus. Ich musste sie auf ein Regal stellen, weil Esat ständig seine Nase hineinhängt. Es duftet wunderbar – süß und würzig. Ein Priester wird die Kräuter anzünden, wenn er das Gebet spricht. Ich freue mich auf den Abend. Alle Bewohner werden unsere Götter und vor allem Kemosch verehren. Wir loben, danken und feiern auf dem Tempelplatz. Ich freue mich, Tara zu sehen, die Leckereien zu essen und mit den anderen Mädchen zu tanzen.

Wir versammeln uns vor dem Tempel. Kletterpflanzen ranken an seinen Säulen und Blumen wachsen in großen Schalen neben dem Altar. Seit dem letzten Regen leuchten ihre Blüten in Rot und Gelb. Die Männer stehen vor den Altarstufen. Die Frauen sitzen auf dem Vorplatz und wachen über die mitgebrachten Speisen. Großmutter thront auf ihrem Kissen und wiegt das Baby im Schoß. Tante Muna spielt mit Esat ein Fingerspiel. Tara winkt mir zu und ich husche zu ihr. Gemeinsam warten wir, dass wir endlich essen dürfen. Doch es dauert. Drei Priester gehen die Tempelstufen zum Altar hoch. Der Erste singt ein Lied. Der Zweite sagt Verse auf. Der Dritte opfert Gott Kemosch eine Taube.

Der erste Priester hebt seine Hände in den Himmel und singt: „Kemosch, unberechenbarer Gott! Wir huldigen deiner Macht. Kemosch, unberechenbarer Gott! Wir huldigen deiner Macht.“

Er singt die immergleichen Verse und ich werde schläfrig. Tara stupst mich an. Sie flüstert: „Da! Die Fremden.“

Tara zeigt auf Noomi, den Ehemann und die Söhne, die abseits unter einem Olivenbaum stehen.

„Tara, was redest du. Sie leben jetzt seit zwei Jahren bei uns. Wie kannst du sie noch immer Fremde nennen?“

Der zweite Priester erhebt seine Stimme und sagt Verse aus einem Gebet: „O, Kemosch, Regengott in den Wolken. Betropfe uns mit Lebenskraft. Ergieße dich über Pflanzen, Tier und Mensch. O, Kemosch, Regengott in den Wolken.“