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Dieses Buch fasst eine Reihe von Vorlesungen zusammen, die Thomas Troward in Edinburg hielt. Das übergreifende Thema seiner Vorlesungen war seine Mentalwissenschaft. Damit war keineswegs das gemeint, was wir unter Geisteswissenschaft verstehen, sondern eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem menschlichen Bewusstsein, oder anders gesagt: die Kraft und Macht unserer Gedanken. Der Autor beginnt sein Werk zunächst mit einigen abstrakten und eher metaphysischen Überlegungen, geht zur Arbeitsweise unseres Bewusstseins über, überträgt die sich daraus ergebenen Erkenntnisse in die Praxis und schließt sein Werk dann mit drei 1909 ergänzten Kapitel ab, in denen er die Funktionsweise des Bewusstseins an Hand des organischen Aufbaus des Menschen erklärt und die Beziehung des menschlichen Bewusstseins zum Göttlichen darlegt. Das Besondere an diesem Buch ist, dass es dem Autor gelingt, wissenschaftliche Rationalität mit christlicher Mystik zu verbinden und beide zu einem Ganzen zusammenzuführen. Zum Autor: Thomas Troward lebte von 1841 bis 1916 und war ein Autor, dessen Werke die amerikanische New Thought Movement (Neugeist-Bewegung) maßgeblich beeinflussten. Er wurde in Indien als Kind britischer Eltern geboren und wurde somit sowohl durch das Christentum als auch durch die indische Glaubenswelt geprägt. Nachdem er seine spätere Tätigkeit als Bezirksrichter von Punjab beendete und in den Ruhestand ging, widmete er seine Zeit dem Verfassen esoterischer und metaphysischer Schriften. Thematisch verband er in ihnen die Lehren des Christentums, Hinduismus und Buddhismus und versuchte ihren gemeinsamen esoterisch-mystischen Kern herauszuarbeiten. Ungewöhnlich ist jedoch, dass er sich diesem Thema auf sehr rationale und logische Weise näherte, und somit einen gänzlich neuen Weg zum Verständnis der mystischen Esoterik eröffnete. Obwohl Thomas Troward im englischen Sprachraum immer noch als einer der herausragendsten Philosophen und Metaphysiker anerkannt wird, sind seine Werke bisher niemals in die deutsche Sprache übersetzt worden. Eine kurze Erwähnung finden er und seine Werke lediglich in dem Bestseller „The Secret“.
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Seitenzahl: 146
von Thomas Troward 1909
Der Autor widmet dieses kleine Buch liebevoll seiner Frau.
Dieses Buch umfasst eine Vorlesungsreihe, die der Autor jüngst in der Queen Street Hall von Edinburg hielt. Ihre Absicht ist es, dienatürlichen Gesetzmäßigkeitender Wechselwirkung zwischen mentaler Aktivität und materiellen Gegebenheiten darzustellen und damit einen leicht verständlichen Ausgangspunkt für weitere praktische Studien auf diesem Gebiet anzubieten. T.T. 1909
Geist und Materie
Die höhere Intelligenz regiert die niedrigere
Die Einheit des Geistes
Subjektives und objektives Bewusstsein
Weitere Überlegungen bezüglich des subjektiven und des objektiven Bewusstseins
Das Gesetz des Wachstums
Empfänglichkeit
Wechselwirkungen zwischen dem universellen und dem individuellen Bewusstsein
Ursachen und Bedingungen
Intuition
Heilung
Der Wille
Verbindung mit dem Unterbewusstsein
Der Körper
Die Seele
Der Geist
Es ist nicht ganz einfach, den idealen Einstieg für den Beginn einer Vortragsreihe über die Mentalwissenschaft zu finden. Man kann sich diesem Thema von verschiedenen Seiten nähern, wobei jede ihre eigenen besonderen Vorzüge besitzt. Aber nach reiflicher Überlegung scheint es mir für den vorliegenden Zweck kein besseres Einstiegsthema zu geben als die Beziehung zwischen Geist und Materie. Ich wählte es deshalb, weil uns der Unterschied zwischen beidem – oder dem, was wir dafür halten – so vertraut ist, dass ich diese Kenntnis bei jedem als gegeben voraussetzen kann. Daher nehme ich als einziges Unterscheidungsmerkmal die zwei Adjektive, die üblicherweise als Ausdruck des natürlichen Gegensatzes zwischen beidem gelten: lebendiger Geist und tote Materie.
Diese Beschreibungen drücken unseren derzeitigen Eindruck der Gegensätzlichkeit von Geist und Materie sehr treffend aus. Und allein vom äußeren Anschein aus betrachtet, ist dieser Eindruck auch zweifellos korrekt. Der allgemeine Konsens der Menschheit, den Hinweisen der eigenen Sinne zu vertrauen, ist richtig. Jedes System, welches verlangt, dies nicht zu tun, wird in vernünftigen und gesunden Gemeinschaften niemals dauerhaft Bestand haben.
An den Hinweisen, die uns die gesunden Sinne eines gesunden Körpers liefern, ist nichts verkehrt. Vielmehr schleicht sich dort der Fehler ein, wo wir diese Hinweise bewerten. Wir sind es gewohnt, einzig an Hand des äußeren Anscheins und an Hand begrenzter Bedeutungen einiger Worte zu beurteilen. Sobald wir jedoch damit beginnen, nach der wahren Bedeutung unserer Worte zu forschen und die Ursachen analysieren, aus denen sich der Anschein entwickelte, fallen unsere gewohnten Vorstellungen Stück für Stück von uns ab. Bis wir schließlich mit der Erkenntnis aufwachen, in einer völlig anderen Welt zu leben, als wir es bisher dachten.
Die alte, begrenzte Denkweise hat sich davongestohlen und wir entdecken, dass wir eine neue Weltordnung betreten haben, die nur aus Freiheit und Leben besteht. Das ist das Werk einer erleuchteten Intelligenz, die aus der beharrlichen Entschlossenheit die tatsächliche Wahrheit herauszufinden, entsteht. Unabhängig von vorgefassten Meinungen – egal welcher Quelle sie entstammen. Es ist die Entscheidung, wahrhaftig selbst zu denken, statt sich das Denken abnehmen zu lassen.
Lasst uns nun damit beginnen zu untersuchen, was wir wirklich mit der Lebendigkeit meinen, die wir dem Geist zuschreiben, und was mit der Leblosigkeit, die wir der Materie zuschreiben.
Zunächst könnten wir vermuten, dass Lebendigkeit in der Fähigkeit zur Bewegung besteht, und dass Leblosigkeit durch das Unvermögen sich zu bewegen gekennzeichnet ist. Aber ein kurzer Blick auf den aktuellen Stand der Wissenschaft wird uns schnell deutlich machen, dass diese Unterscheidung nicht tief genug greift. In der Physik ist es heute eine allgemein anerkannte Tatsache, dass kein Atom der sogenannten „toten Materie“ bewegungslos ist. Vor mir auf dem Tisch liegt ein massiver Klumpen Stahl. Aber im Lichte der modernen Wissenschaft betrachtet, weiß ich, dass die Atome dieser scheinbar trägen Masse mit der höchsten Kraft schwingen. Ständig rasen ihre Bestandteile hierhin und dorthin, treffen aufeinander und prallen von einem zum anderen. Oder sie kreisen – wie in einem Miniatur-Sonnensystem – mit enormer Geschwindigkeit und in solch komplexen Mustern umeinander herum, dass es unsere Vorstellungskraft verwirrt. Die Masse als Ganzes mag träge auf dem Tisch liegen, aber so unbeweglich sie auch zu sein scheint, existiert in ihrem Innern doch eine unermüdliche Kraft, welche die Teilchen mit solch einer hoher Geschwindigkeit bewegt, dass die Geschwindigkeit eines Expresszugs dagegen nichts ist. Daher eignet sich die Fähigkeit zur Bewegung allein doch nicht zur Unterscheidung von Geist und Materie. Wir müssen noch tiefer gehen.
Die Lösung des Problems wird jedoch nie gefunden werden, solange wir etwas Lebendiges mit dem vergleichen, was wir als tot bezeichnen. Der Grund dafür wird zwar erst später offensichtlich, aber der wahre Schlüssel liegt im Vergleich von einer Lebensstufe mit einer anderen Lebensstufe. Natürlich geht es nicht darum, die Qualität von Lebendigkeit in Stufen einteilen zu wollen, aber im gewissen Sinne ist es tatsächlich eine Frage der jeweiligen Stufe. So würde ein durchschnittlicher Junge als Haustier wahrscheinlich den Foxterrier dem Goldfisch vorziehen. Ebenso kann man den Jungen selbst auch als Fortschritt gegenüber dem Hund betrachten. Die Pflanze, der Hund und der Junge sind alle gleichermaßen lebendig, aber es gibt einen Unterschied in der Qualität ihrer Lebendigkeit, an der niemand zweifeln wird. Es würde wohl auch niemand zögern zu sagen, dass dieser Unterschied in der Intelligenzstufe liegt. Wie auch immer wir es drehen oder wenden, stets werden wir feststellen, dass Lebendigkeit immer an seiner Intelligenz bemessen werden kann. Es ist der Besitz einer höher entwickelten Intelligenz, der ein Tier höher auf der Skala aller Lebewesen platziert als eine Pflanze, den Menschen höher als das Tier und den gebildeten Menschen höher als den ungebildeten. Die höhere Intelligenz beherrscht seine eigenen aktiven Bewegungen in einem entsprechend höheren Maße. Je weiter entwickelt eine Intelligenz ist, desto vollständiger sind die Bewegungen unter ihrer eigenen Kontrolle. Wenn wir jedoch die Skala der Intelligenz hinabsteigen, ist dieser Abstieg mit einem entsprechenden Anstieg von automatischen Bewegungen verbunden, die nicht der bewussten Kontrolle unterliegen. Diesen Abstieg kann man in Stufen unterteilen – von der erweiterten Selbsterkenntnis der höchsten menschlichen Persönlichkeit, bis hin zur niedrigsten sichtbaren Form, die wir als „Ding“ bezeichnen und die gänzlich abseits der Selbstkenntnis liegt.
Wir erkennen, dass die Lebendigkeit von Lebensformen in deren Intelligenz – oder mit anderen Worten: in ihrer Kraft zu denken – besteht. Daher könnten wir das Denken als besondere Eigenschaft der Intelligenz bezeichnen und die Form als besondere Eigenschaft der Materie. Ohne Form können wir uns keine Materie vorstellen. Irgendeine bestimmte Form muss vorhanden sein – selbst wenn sie für das physische Auge nicht sichtbar ist. Um überhaupt Materie zu sein, muss sie einen bestimmten Raum für sich beanspruchen und das lässt zwangsläufig auf eine entsprechende Form schließen. Aus diesem Grund können wir als grundlegende Prämissen festlegen, dass die besondere Eigenschaft des Geistes das Denken und die der Materie die Form ist. Das ist eine fundamentale Unterscheidung, aus der sich bedeutende Konsequenzen ergeben und sollte daher von jedem Studierenden sorgfältig beachtet werden.
Jede Form setzt eine Ausdehnung im Raum voraus und gleichzeitig eine Beschränkung innerhalb bestimmter Grenzen. Geist setzt keines von beiden voraus. Sobald wir an Leben in beliebiger Form denken, assoziieren wir es deshalb mit der Vorstellung einer bestimmten Ausdehnung im Raum. So betrachtet könnte man sagen, dass ein Elefant aus einer erheblich größeren Menge lebendiger Substanz besteht, als eine Maus. Aber wenn wir an Leben im Sinne von Lebendigkeit denken, verbinden wir keine Vorstellung der Ausdehnung damit und stellen plötzlich fest, dass die Maus genauso lebendig ist wie der Elefant – ungeachtet des Größenunterschieds. Entscheidend dabei ist, sich etwas vorzustellen, was gänzlich ohne irgendeine räumliche Ausdehnung auskommt und im Grunde überall vorhanden sein muss und dem zu Folge an jeden Punkt im Raum gleichzeitig existiert. Die wissenschaftliche Definition von Zeit besagt, dass es sich dabei um die Dauer handelt, die ein bewegter Körper benötigt, um von einem bestimmten Punkt im Raum zu einem anderen zu gelangen. Sobald aber kein Raum vorhanden ist, kann nach dieser Definition auch keine Zeit vorhanden sein. Dem zu Folge muss die Vorstellung von Geist, der sich ohne Faktor Raum versteht, ebenfalls ohne den Faktor Zeit auskommen. Die Vorstellung von Geist, im Sinne von reinem Denken und nicht als irgendeine greifbare Form, ist also eine Vorstellung von etwas, das gänzlich unabhängig von den Faktoren Zeit und Raum existiert. Folglich muss alles, was wir uns auf dieser Ebene existierend vorstellen, immer im Hier und Jetzt gegenwärtig sein. So betrachtet, kann nichts von uns entfernt sein – weder räumlich noch zeitlich. Entweder gibt es diese Sache überhaupt nicht oder sie existiert als etwas Gegenwärtiges, aber nicht als etwas, das erst in Zukunft existieren soll. Da es keinen zeitlichen Ablauf gibt, kann es auch keine Zukunft geben. So wie es dort, wo es keinen Raum gibt, auch nichts geben kann, was sich von uns entfernt befindet. Sobald die Faktoren Zeit und Raum ausscheiden, können wir uns die Dinge in einem universellen Hier und Jetzt vorstellen. Zweifelsohne ist das ein sehr abstraktes Konzept, aber ich rate jedem, versucht es zu verstehen. Denn wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, ist es für die praktische Anwendung der Mentalwissenschaft von entscheidender Bedeutung.
Entgegengesetzt dazu liegt die Vorstellung von Dingen, die sich durch bestimmte räumliche und zeitliche Eigenschaften ausdrücken und auf diese Weise vielfältige Beziehungen zu anderen Dingen herstellen, wie bspw. in Form von Mengen, Entfernungen oder Zeitabläufen. Diese beiden Konzepte sind die des Abstrakten und des Konkreten, des Unbestimmten und Bestimmten, des Absoluten und des Relativen. Sie sind einander nicht entgegengesetzt im Sinne einer Unvereinbarkeit, sondern sie sind das jeweilige Gegenstück des Anderen und ihre einzige Wirklichkeit liegt in der Kombination von beidem. Während der extreme Idealist den Fehler begeht, das Absolute ohne das Relative verwirklichen zu wollen, versucht der extreme Materialist das Relative ohne das Absolute zu verwirklichen. Einerseits liegt der Fehler im Versuch, die Innenseite ohne die Außenseite zu verwirklichen und andererseits die Außenseite ohne die Innenseite. Beides ist notwendig, um ein Ganzes formen zu können.
Wir haben gesehen, dass die Stufen der Skala, die von einer Persönlichkeit, wie wir sie von uns selbst kennen, bis hinunter zur sogenannten unbelebten Form führt, in der die jeweilige Intelligenz bemessen wird. Vom Erkennen der eigenen Willenskraft, als die Fähigkeit neue Ketten aus Kausalzusammenhängen herzustellen, bis hin zur Unfähigkeit, sich überhaupt selbst erkennen zu können. Je höher die Stufe des jeweiligen Lebens ist, desto höher ist auch die Intelligenz. Woraus folgt, dass das höchste Prinzip des Lebens gleichzeitig auch der oberste Grundsatz der Intelligenz sein muss. Das wird von der großartigen natürlichen Ordnung des Universums anschaulich vorgeführt. Durch die wissenschaftliche Forschung ist uns allen das Prinzip der Evolution bekannt und die präzise Abstimmung aller Teile der kosmischen Ordnung ist zu offensichtlich, als das man deutlicher darauf hinweisen müßte. Jeder wissenschaftliche Fortschritt besteht in der Entdeckung neuer, bereits existierender Raffinessen in den Beziehungen innerhalb dieser herrlichen universellen Ordnung, die lediglich erkannt werden müssen, um praktisch genutzt werden zu können. Wenn also die größte Leistung der höchsten Intelligenzen aus nichts anderem besteht, als der Wahrnehmung einer bereits existierenden Ordnung, dann kommen wir nicht an der Schlussfolgerung vorbei, dass dem Lebensprinzip eine überragende Intelligenz innewohnen muss, die sich selbst als diese Ordnung offenbart. So erkennen wir, dass es eine große kosmische Intelligenz geben muss, die der Gesamtheit allen Seins zu Grunde liegt.
Ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Erde zeigt uns zuerst einen weißglühenden Nebel, der sich über ein immens großes Gebiet im Weltraum erstreckt. Dann verdichtet sich dieser Nebel zu einer zentralen Sonne, die von einer Familie glühender Planeten umrundet wird, welche noch dabei sind, sich aus dem formbaren Urstoff zu verdichten. Unzählige Millionen Jahre später beginnen sich dort geologische Formationen zu bilden. So entsteht schließlich die Erde, die anfänglich von den einfachsten pflanzlichen und tierischen Lebensformen besiedelt wird. Aus diesen Anfängen heraus beginnt eine majestätische, unaufhörliche, aber gemächliche Vorwärtsbewegung, damit sich die Dinge von Stufe zu Stufe weiter zu entwickeln. Bis hin zu den Gegebenheiten, wie wir sie heute kennen. Wie auch immer wir das Wesen dieses evolutionären Prinzips interpretieren mögen, bei genauer Betrachtung wird offensichtlich, wie treffsicher es die kontinuierliche Entwicklung der Arten zu leisten vermag. Allerdings vollbringt es dies durch die Erschaffung solch großer Mengen von jeder Art, dass es viel Spielraum für alle möglichen Mißgeschicke auf der Ebene des einzelnen Individuums bietet, ohne dadurch das Fortbestehen der Art zu gefährden.
„So behutsam mit der Art, so achtlos mit dem Einzelnen.“
Kurz gesagt: Das kosmische Leben arbeitet mit dem Gesetz des Durchschnitts, was viel Spielraum für Störungen und Versagen seitens des einzelnen Individuums bietet. Der Fortschritt in Richtung höherer Intelligenz ist jedoch mit der zunehmenden Einschränkung dieses Spielraums verbunden. Die Entwicklung trägt das Individuum immer weiter aus dem Einflussbereich des Gesetzes des Durchschnitts heraus und ersetzt es durch das Gesetz der individuellen Auslese. Wissenschaftlich formuliert ist dies das „Überleben des Tüchtigsten“. Die Reproduktionsrate bei Fischen liegt in einer Größenordnung, die das Meer verstopfen müsste, wenn jedes Individuum überleben würde [1]. Allerdings ist der Spielraum der Zerstörung ebenfalls dementsprechend gewaltig - auf diese Weise bewahrt das Gesetz des Durchschnitts das normale Verhältnis innerhalb einer Art. Auf der anderen Seite der Skala jedoch ist die Reproduktionsrate keineswegs gewaltig, sondern vielmehr das Verhältnis der Überlebenden. Zwar gibt es auch beim Menschen eine erhebliche Anzahl von Individuen, die auf Grund von Unfällen oder Krankheiten lange vor Erreichen der durchschnittlichen Lebensdauer sterben, aber das geschieht in einem gänzlich anderen Maßstab, als wie wenn einer von Tausenden überlebt. Von daher könnte man es als Fakt betrachten, dass das Individuum im selben Maße wie seine Intelligenz zunimmt, immer weniger dem Gesetz des Durchschnitts unterliegt, und seine Fähigkeit, die Bedingungen des eigenen Überlebens zu kontrollieren, stetig größer wird.
Wie wir feststellen, gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen der kosmischen Intelligenz und der individuellen Intelligenz. Der Faktor, der die letztere von der ersteren unterscheidet, ist das Vorhandensein einer individuellen Willenskraft und es ist Aufgabe der Mentalwissenschaft zu erforschen, in welcher Beziehung die individuelle Willenskraft zu dem großen kosmischen Gesetz steht, das für die Aufrechterhaltung der Art sorgt. Der Punkt, der dabei besonders beachtet werden sollte, ist, dass die Kraft des individuellen Willens selbst das Resultat des kosmischen Evolutionsprinzips auf seinem höchsten Niveau ist. Seit lediglich die niedrigsten Lebensformen den Globus bevölkerten, war das Bestreben der Natur vorwärts auf die Weiterentwicklung gerichtet. Heute gipfelt dies in der Entwicklung eines Wesens mit einem Bewusstsein, das zu abstrakt-logischem Denken fähig ist, und in einem Gehirn, welches das physische Instrument dieses Bewusstseins ist. Das allerschaffende Lebensprinzip reproduziert sich selbst an diesem Punkt auf eine Weise, in der es fähig ist, das Wirken der evolutionären Gesetzmäßigkeit und die Einheitlichkeit und Kontinuität zu erkennen, die der gesamten Entwicklung bis heute zu Grunde liegt. Zweifellos muss die Aufgabe innerhalb der universellen Ordnung für solch ein Wesen darin bestehen, die Mitarbeit jenes Faktors einzuleiten, der bis dahin durch Abwesenheit auffällt: Die individuelle Willenskraft. Die Evolution, die uns bis zu diesem Punkt gebracht hat, vollbrachte dies mit Hilfe des kosmischen Gesetzes des Durchschnitts. Das war ein Prozess, an dem das Individuum selbst nicht bewusst teilgenommen hat. Da der Mensch nun aber einmal diesen Punkt erreicht hat und damit den evolutionären Triumphzug anführt, kann jede weitere Entwicklung nur noch durch seine eigene Mitwirkung geschehen. Die Mitwirkung an dem Gesetz, das ihn an den Punkt gebracht hat, an dem er erkannte, dass solch ein Gesetz überhaupt existiert. Seine weitere Evolution muss durch die bewusste Mitarbeit am Großen Werk geschehen und dies kann nur mit Hilfe seiner eigenen Intelligenz und durch eigene Anstrengungen erreicht werden. Das ist ein Prozess des intelligenten Wachstums. Niemand anderes kann für uns wachsen – jeder muss selbst wachsen. Bei diesem intelligenten Wachstum geht es darum, das universale Gesetz, das uns so weit gebracht hat, und unsere eigene Beziehung zu ihm immer besser zu verstehen, da wir dessen höchstentwickeltes Ergebnis sind. Ein bedeutender Grundsatz lautet, dass die Natur uns in demselben Maße gehorcht, wie wir ihr gehorchen. Wenn ein Elektriker versucht entgegen der Gesetzmäßigkeit zu handeln, die besagt, dass der elektrische Strom immer vom höheren zum niedrigeren Potential fließt, dann wird er damit nichts bewirken. Sobald er aber gemäß dieser Gesetzmäßigkeit handelt, kann er die elektrische Energie in jeder Weise nutzen, die er möchte.
Diese Überlegungen zeigen uns, dass es das Erkennen der eigenen Individualität ist, was die höhere von der niedrigeren Intelligenz unterscheidet. Je intelligenter dieses Erkennen ist, desto größer wird die Kraft werden. Die niedrigere Form der Selbsterkenntnis besteht lediglich darin, sich selbst als eine Einheit wahrzunehmen, die von allen anderen Einheiten getrennt ist. So unterscheidet sich das Ego vom Nicht-Ego. Aber die höhere Form der Selbsterkenntnis liegt im Erkennen seiner eigenen geistigen Natur und sieht beim Betrachten anderer Erscheinungsformen weniger das Nicht-Ego, oder das, was man nicht selbst ist, sondern eher das Alter-Ego, oder das, was man selbst in einer anderen Ausdrucksform ist. Diese höhere Form der Selbsterkenntnis ist die Kraft, durch die der Mentalwissenschaftler seine Ergebnisse bewirkt. Deswegen ist es zwingend notwendig, dass ihm der Unterschied zwischen Formen und Wesen klar ist. Er muss verstehen, dass das eine die Form des Relativen ist, dessen Kennzeichen die Abhängigkeit von Bedingungen ist, und das andere die Wirklichkeit des Absoluten, das die Bedingungen beherrscht.