Eierkratz-Komplott - Thomas Stipsits - E-Book

Eierkratz-Komplott E-Book

Thomas Stipsits

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Beschreibung

Das Eierkratzen ist ein altes Stinatzer Kunsthandwerk, das in der Osterzeit nur mehr von ganz wenigen Frauen ausgeübt wird. - Die Eier sind gefärbt, die Messer sind gewetzt! Als Gruppeninspektor Sifkovits gerade mit seiner Mutter Baba unterwegs ist, um Eier-Nachschub zu besorgen, erhält er die Nachricht, dass Fredi Horvatits erstochen wurde - mit dem Eierkratzmesser von Sifkovits' Mutter. Der "burgenländische Columbo" steht vor dem kniffligsten Fall seiner Karriere.

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Über das Buch

Das Eierkratzen ist ein altes Stinatzer Kunsthandwerk, das in der Osterzeit nur mehr von ganz wenigen Frauen ausgeübt wird. Gruppeninspektor Sifkovits wurde von seiner Mutter Baba verpflichtet, mit ihr Eier-Nachschub zu holen. Unterwegs erreicht ihn die Nachricht, dass eine Leiche aufgefunden wurde – erstochen mit einem Eierkratzmesser.

Der „burgenländische Columbo“ steht vor dem kniffligsten Fall seiner Karriere – kann ihm die restliche Besetzung der „Kopftuchmafia“, die Resetarits Hilda und die dicke Grandits Resl, dabei helfen, den Mörder zu überführen?

Der Autor

Thomas Stipsits, 1983 in Leoben geboren, ist einer der beliebtesten Kabarettisten Österreichs. 2000 erhielt er den Kärntner Kleinkunstpreis. 2004, gemeinsam mit Klaus Eckel, Pepi Hopf und Martin Kosch, den Österreichischen Kabarettförderpreis. Er ist in zahlreichen Fernsehproduktionen („Braunschlag“, „Tatort“, „Vorstadtweiber“), Filmen („Love Machine“) und regelmäßig in „Was gibt es Neues?“ zu sehen. 2021 war er Preisträger des „Salzburger Stiers“.

Zuletzt erschienen bei Ueberreuter seine Bestseller „Kopftuchmafia“ und „Uhudler-Verschwörung“.

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© Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2022

ISBN 978-3-8000-9009-9

ISBN 978-3-8000-9909-2 (e-book)

E-Book-Ausgabe der 2022 im Carl Ueberreuter Verlag erschienenen Buchausgabe.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie das öffentliche Zugänglichmachen z. B. über das Internet.

Lektorat: Marina Hofi nger

Covergestaltung: Saskia Beck, s-stern.com

Umschlagfotos: © Barbara Wirl, wirlphoto.at

Foto hintere Innenklappe: Marko Zlousic, zlouma.at

Satz: Sabina Karasegh, skgh.at

Konvertierung: bookwire.de

www.ueberreuter.at

Thomas Stipsits

EIERKRATZ-KOMPLOTT

Ein Stinatz-Krimi

Für Geli Oma und Dida Oma

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Babas Makarul

Übersetzung von Babas Schimpftirade

Glossar

Danke an

Drei Fragen an Thomas Stipsits

1.

Darf man einen schlechten Menschen der Gerechtigkeit wegen ermorden? Ich habe keine Antwort auf diese komplexe Frage.

Ich stehe direkt vor seiner Tür. Das Eierkratzmesser umklammere ich fest mit meiner rechten Hand. Ich gebe die Zahlenkombination 25687 in das elektronische Zahlenschloss neben der Klingel ein. Ein leises Surren ist zu hören, danach öffnet sich die schicke Eingangstür. Zögernd trete ich ein. Das Haus wirkt verlassen. Vorsichtig gehe ich durch den Vorraum in die großzügige Wohnküche. Ich höre das Ticken der Küchenuhr. Welch verfluchte Stille doch so eine tickende Uhr erzeugen kann!

Ich beginne zu zweifeln. Noch wäre es möglich, umzudrehen, noch ist nichts geschehen, noch habe ich kein Schicksal beeinflusst. Zugegeben, es war eine tragische Geschichte.

Schwindel überkommt mich, meine Beine beginnen zu zittern. Es läuft mir heiß und kalt über den Rücken. Vor mir beginnt die Einrichtung zu verschwimmen, als würde ich meine Augen ganz fest zusammenpressen, aber nicht schließen. Mein Magen beginnt zu rebellieren. Ich schmecke Magensäure, meine Augen tränen. Gerade kann ich noch verhindern, dass ich mich erbreche. Tief atmen. In den Bauch. Ich denke an meinen imaginären Rucksack. Darin habe ich eine Familienpackung Mut verstaut.

Mein Verstand lässt mich im Stich, meine Gedanken sind wie Treibgut in der Brandung. Natürlich bin ich feige. Ich fürchte mich davor weiterzugehen, nach ihm zu suchen und endlich auszusprechen, was ich all die Jahre tief in mir verborgen hatte. Wahrscheinlich hätte ich es nie gewagt, doch dann erlebte ich plötzlich neues Glück.

Erfordert das Zugeben seiner Feigheit nicht auch einen gewissen Mut? Ich bin der festen Überzeugung, dass am Ende meines Handelns endlich Freiheit auf mich wartet. Man kann mit einem halben Herzen keine ganzen Schritte gehen. Das weiß ich! Ich hebe die Einzelteile auf und setze es wieder zusammen.

Die Sehnsucht nach einer glücklichen Zukunft lässt mich weitergehen. Ich folge der Treppe nach oben zum Schlafzimmer. Dort hat er viele Jahre geschlafen und sich nervös im Bett hin und her gewälzt, weil er die Lächerlichkeit seiner Existenz nicht akzeptieren wollte. Dort hat er die Ideen ausgetüftelt, die viele Menschen ins Unglück stürzten. Das Bett ist leer und fein säuberlich gemacht.

Wieder steigen Ängste in mir hoch. Augenblicklich sehe ich ihn vor mir, wie er hinläuft, kurz schaut und gleich wieder zurückkehrt.

Ich verpasse mir eine Ohrfeige. Sie hallt bis in die Vergangenheit, um mit etwas Verzögerung wieder in der Gegenwart anzukommen. Reiß dich zusammen, sage ich zu mir, du hast die Kraft, es zu tun, deine Fußspitzen zeigen nicht nach links und rechts, sondern parallel nach vorne. Nichts kann dich umhauen! Ich kann, weil ich will, tun, was ich muss!

Vorsichtig steige ich die Treppen wieder hinunter. Der lange Korridor vor mir führt in den Wellnessbereich. Ich schiebe die Glastür zur Seite. Da liegt er! In seinem Solarium und genießt seinen ergaunerten Wohlstand.

„Ich muss mit dir reden“, sage ich.

Er gibt mir keine Antwort. Er scheint zu schlafen. Selbst in diesem für mich so wichtigen Moment straft er mich mit seiner Ignoranz.

„Hörst du nicht? Ich will reden! Ich weiß, dass du mich hörst!“ Meine Stimme wird lauter. „Ich habe keine Angst mehr vor dir, jemand hat mir das Herz geöffnet und mir gezeigt, was ich wert bin.“ Ich trete näher. „Los, sprich mit mir, du verdammtes Schwein! Sie werden dich an den Pranger stellen, dich in Stücke reißen und die Wände mit deinem Blut beschmieren, sodass jeder deine Schuld erkennen kann.“ Ich schreie aus vollem Herzen. „ICH MÖCHTE, DASS DU VERSCHWINDEST. VERSCHWINDE AUS MEINEM LEBEN!“

Ich reiße den Deckel des Solariums hoch und steche zu. Nur ein einziger Stich. Das Eierkratzmesser ragt aus seinem Hals.

Ich schenke ihm keinen Blick mehr. Ich weiß, dass man diese Tat nicht mehr aus der Welt schaffen kann. Ich laufe in die Küche und öffne den Kühlschrank. Oben im Eisfach werde ich fündig. Danach verlasse ich diesen schrecklichen Ort, um meinen neuen Weg zu beginnen.

2.

„Der Haas, das ist so ein Hundling. Musst dir vorstellen, komme ich drauf, dass er meine gekratzten Eier, die ich für einen Euro fünfzig pro Stück verkaufe, in Wien am Ostermarkt um sechs Euro das Stück weiterverkauft! Seine Frau hat dort ein Standl mit burgenländischen Spezialitäten.“

Baba Sifkovits war sichtlich aufgeregt. Sie saß mit ihrem Sohn, Gruppeninspektor Sifkovits vom LKA Eisenstadt, in dessen grünen Peugeot 206. Sifkovits, Mitte 40, mit leichtem Wohlstandsbauch, trug wie immer seine ockerfarbige Chinohose, seine ockerfarbige Ballonmütze, sein weißes Hemd und seine graue Strickweste. Er hatte diese Kombination exakt zehnmal in seinem Schrank, um sich die allmorgendliche Entscheidung zu sparen, was er anziehen solle. Die beiden waren unterwegs zu „Erikas Freilandeier“ im steirischen Hartberg, eine Fahrt von circa 30 Minuten entlang der idyllischen Lafnitz.

„Die Resl hat’s mir erzählt und die hat es von ihrem Cousin gehört, der vor Kurzem in Wien war“, blaffte sie weiter.

Inspektor Sifkovits hatte seiner Mutter versprochen, sie zu begleiten, um Eiernachschub zu besorgen. Es war der Tag vor dem Gründonnerstag. Da Sifkovits am LKA Eisenstadt gerade wenig zu tun hatte, hatte er Osterurlaub genommen und beschlossen, nach Stinatz zu fahren, um mit seiner Mutter Ostern zu verbringen.

Sifkovits’ Frau Carina weilte mit „Ärzte ohne Grenzen“ in Kenia und würde erst am Ostersonntag wieder zurück nach Österreich kommen.

Er war seiner Heimat noch immer eng verbunden. Stinatz war ein ganz besonderer Ort, in dem viele Burgenlandkroaten lebten. Die Bezeichnung Burgenlandkroaten bezieht sich auf eine kroatische Minderheit, die im Gebiet an der Grenze zu Ungarn lebt. Die Burgenlandkroaten sind ursprünglich Flüchtlinge, die während der Türkenkriege aus Kroatien flohen und im Westen des damaligen Königreichs Ungarn angesiedelt wurden.

Über 60 Prozent der Dorfbevölkerung von Stinatz bekennen sich aktuell zur kroatischen Sprache. Der gesprochene kroatische Dialekt bestand seit etwa 500 Jahren und hatte diese Ortschaft über diesen langen Zeitraum kaum verlassen. Die Dialekte in den Nachbarortschaften hatten mit jenem von Stinatz fast nichts zu tun.

Dass sich ein Dialekt über 500 Jahre in einer Ortschaft hält und diese über diesen langen Zeitraum auch kaum verlässt, ist ein Phänomen, das ansonsten nur bei afrikanischen Stämmen vorkommt. Positiv gemeint. Man hatte sich über all die Jahre seine Eigenständigkeit behalten und bewahrt.

Es gibt ein schönes Sprichwort, das besagt: „Die Europäer haben die Uhr, die Afrikaner haben die Zeit.“ Auch in diesem Punkt scheint Stinatz dem Äquator näher zu sein. Eine durchaus mediterrane Lebenseinstellung lässt sich nicht verleugnen.

Unbestätigten Gerüchten zufolge soll es in Stinatz Wirtshäuser gegeben haben, in denen man Jahre nach der EUROEinführung noch mit Schilling zahlen konnte. Sifkovits’ Mutter stellte aktuell gerade vom Videorekorder auf DVD-Player um und E-Mail war für viele noch ein Geschirr. Man hatte einfach erkannt, dass Fortschritt nicht nur positive Seiten hat.

In jüngerer Vergangenheit erlangte Stinatz durch den STS-Song „Fürstenfeld“ überregionale Bekanntheit, auch durch die Resetarits-Brüder, ebenfalls Söhne des Ortes, und durch einen sonderbaren Menschen, der sich zum Ziel gesetzt hat, ein Freibad in Stinatz zu errichten.

Baba Sifkovits war eine von drei Frauen in Stinatz, die das Handwerk des Eierkratzens noch beherrschten. Ursprünglich ein slawischer Osterbrauch, fand das Eierkratzen über Kroatien, Polen, Tschechien und Siebenbürgen den Weg ins südburgenländische Stinatz. Die Kratztechnik gehört zu den schwierigsten und filigransten Ritztechniken, da die Eier bei zu viel Druck sofort zerbrechen würden.

Baba Sifkovits hatte dieses Handwerk von ihrer Mutter gelernt und Babas Mutter von ihrer Mutter usw. Mit neun Jahren hatte Baba ihr erstes Osterei gekratzt. Sie hütete es noch immer wie einen Schatz. Die beiden anderen Damen in Stinatz, die diese Kunst auch ausübten, waren Elfie Horvatits und Renate Stipsits. Jede hatte ihre eigenen Muster und man erkannte sofort, von wem die Eier stammten. Natürlich beanspruchte jede der drei Damen für sich, die beste Eierkratzerin zu sein.

Vor Jahren erlangte das Eierkratzen große Bekanntheit durch den Lachanfall einer burgenländischen Fernsehmoderatorin. Anscheinend hatte sie dem Wort „Eierkratzen“ eine sinnbildliche Tätigkeit zugeordnet und an alles außer Ostern gedacht. Ihr sympathischer Ausbruch verbreitete sich rasant im Internet und schon bald hatten die drei Damen aus Stinatz noch mehr Kunden, die gekratzte Eier kaufen wollten.

Die Kundschaft kam mittlerweile aus ganz Österreich. Auch Deutsche oder Italiener hätten sich nie nach Stinatz verirrt, gäbe es nicht diese schönen Eier.

Die kleinen Kunstwerke hatten Baba schon einige Treffen mit Prominenten beschert. Nahezu jeden Bundespräsidenten der letzten 50 Jahre hatte Baba auf diese Weise kennenlernen dürfen.

„Im Mai bei der Wahl wählen wir Klestil auf jeden Fall.“ Diesen Spruch hatte sie in ein Straußenei geritzt und es feierlich Thomas Klestil überreicht. Das dazugehörige Erinnerungsfoto hing in Babas Küche direkt neben dem Partezettel von Sifkovits’ Vater.

„Komm gut heim“ fürs Auto, diverse Namen und „Frohe Ostern“ waren ebenso beliebte Sprüche.

Natürlich hatte Baba auch schon Eier an Menschen verschenkt, die sie nicht mochte. Sifkovits konnte sich gut an den Geburtstag eines Verwandten erinnern. Baba hasste ihn. Dennoch überreichte sie ihm ein Ei mit der Aufschrift: „Alles Gute zum 80er. Bleib, wie du bist!“ Sifkovits wusste nicht, dass ihr Verwandter zu diesem Zeitpunkt schon sehr schwer herzkrank gewesen war. Seine Mutter wusste es schon. Aus diesem Blickwinkel wirkte der Spruch doch etwas schadenfroh.

Das Landleben hat seine eigenen Gesetze und Nachbarschaft immer zwei Seiten. Eine ungemein schöne Sache am Land ist es, wenn man sich beim Nachbarn eine Säge ausborgen möchte. Eigentlich dauert das nur fünf Minuten, in Stinatz kommt man aber drei Stunden später völlig betrunken zurück, ohne Säge. Das fördert das soziale Miteinander. Solche Ausreißer konnte sich Baba während ihrer Arbeit an den Eiern nicht leisten. „Dieses Jahr ist mein letztes. Ich mag nicht mehr!“, hörte ihr Umfeld seit gefühlt zehn Jahren und alle wussten, dass sie am 7. Jänner wieder zu färben begann.

Inspektor Sifkovits hatte das Eierkratzen auch probiert. Seine Fähigkeiten lagen aber ganz offensichtlich woanders. Es entstanden zwar interessante Muster, aber nicht auf den Eiern, sondern auf Sifkovits’ Fingern. Einige Narben erinnerten den Inspektor noch heute an sein mangelndes Talent.

Sifkovits blickte etwas besorgt auf die Temperaturanzeige seines Autos. Der Zeiger stand ungewöhnlich hoch. Komisch, dachte er, ich war doch eben erst beim Service.

Seine Mutter riss ihn aus seinen Gedanken. „Hörst du mir überhaupt zu?!“

„Was?“ Sifkovits versuchte, das eben Gehörte zu reproduzieren. „Ja klar, Mama. Irgendwer hat einen Hasen in Wien verkauft. Viel zu teuer.“

Baba legte ihre Stirn in Falten. „Was für einen Hasen?“, fragte sie verdutzt.

„Ich weiß nicht. Du hast von einem Hasen gesprochen.“

„Sag einmal, spinnst du jetzt, Spatzl?“ Baba trauten ihren Ohren nicht. „Wer redet von einem Hasen? Ich habe vom Haas gesprochen.“

Der Inspektor war wieder ganz in der Realität angekommen.

„Ach so, ja, vom Haas. Was ist mit dem?“, fragte er.

„Du hörst mir ja doch nicht zu. Der Haas hat meine Eier teurer in Wien weiterverkauft“, wiederholte seine Mutter. „Dass Menschen zu so etwas fähig sind! Da rackert man sich ab, steckt sein ganzes Herzblut in jedes einzelne Ei und dann wird von anderen daraus ein Profit geschlagen, der seinesgleichen sucht.“

Der kleine Peugeot passierte das Ortsschild von Hartberg. Der Temperaturzeiger ging erneut etwas nach oben.

„Mama, ich habe dir schon immer gesagt, dass du deine Eier viel zu billig hergibst. Du hast ja einen Stundenlohn von 75 Cent. Verlang doch ein bissl mehr!“

Baba schüttelte heftig ihren Kopf. „Nein, das kann ich nicht. Die Eier haben früher pro Stück 20 Schilling gekostet. Die Leute sollen wissen, dass es einen Geschäftszweig gibt, bei dem nicht alles mit dem Euro teurer geworden ist.

Wenn ich früher um 500 Schilling eingekauft habe, dann brauchte ich zwei Einkaufssackerl und die konnte ich fast nicht schleppen. Heute mit 35 Euro? Da brauche ich nur ein Sackerl und das ist fast so leicht, dass ich mit der anderen Hand einen Pullover stricken kann.“

Sifkovits bemühte sich weiter, seine Mutter zu beruhigen. „Schau Mama, die Renate und die Elfie verlangen auch mehr für ihre Eier …“

Er wurde jäh unterbrochen. „Weil’s Massenware sind. Immer die gleichen Muster, ohne Fantasie“, fauchte sie.

„Das mag schon sein, aber der Lupo hat doch auch einmal deine Eier am Ostermarkt in Oberwart weiterverkauft und die Kerstin in ihrem Geschäft auch“, konfrontierte Sifkovits sie mit den Tatsachen. Er bemerkte, wie seine Mutter nach Argumenten suchte.

„Der Lupo ist mein Cousin!“, entgegnete sie.

„Und die Kerstin?“, fragte ihr Sohn

„Die hat die Eier bei der Renate gekauft. Das geht mich nichts an. Soll der Haas in Zukunft auch bei der Renate kaufen oder bei der Elfie. Von mir kriegt der keine Eier mehr.“

Ihr Entschluss klang endgültig.

Der Zeiger bewegte sich langsam in den roten Bereich. Sifkovits war sich sicher, dass der Ärger seiner Mutter über die Kundschaft der intensiven Arbeit geschuldet war. Einige Tage vor Ostern schmiss seine Mutter öfter die Nerven. Wegen der vielen Vorbestellungen begann sie meistens schon im Jänner, nach den Heiligen Drei Königen, zu kratzen. Die beiden anderen Damen übrigens auch. Die Karwoche war dann die stressigste Zeit, weil viele Leute ihre Eier im letzten Moment haben wollten. Oftmals wurden sogar am Ostersonntag noch Eier geholt.

Das Osterfest galt in Stinatz als das wichtigste kirchliche Ereignis, quasi das GTI-Treffen der Katholiken. In Sifkovits’ Familie gab es bis zum Ostersonntag sehr strenge Tagesabläufe. Es begann mit dem Palmsonntag. Natürlich waren seine Mutter und er in der Kirche, um bei David Grandits, dem Pfarrer aus Stinatz, die Palmkatzerl zu weihen. David hatte Sifkovits erklärt, dass am Palmsonntag der Einzug von Jesus in Jerusalem stattgefunden hatte.

„Und warum die Palmkatzerl?“, fragte Sifkovits David.

„Weil das Volk ihm mit Palmwedeln beim Einzug in Jerusalem gehuldigt hat, als Zeichen seines Königreichs.“

Zugegeben, Sifkovits könnte sich spannendere Zeichen als Palmzweige vorstellen, aber er sagte an jenem Sonntag nichts zu David.

Die auf den Palmsonntag folgende Karwoche wurde auch als die „Stille Woche“ bezeichnet. Sie war in Sifkovits’ Familie etwa so still wie die letzten Tage vor Weihnachten. Karl Valentin hatte einmal gesagt: „Nach der stillen Zeit wird’s wieder ruhiger!“ Diesen Satz konnte Sifkovits zu hundert Prozent unterschreiben. Dass sich das Wort „Kar“ von Kummer herleitet, konnte der Inspektor gut verstehen.

Am Gründonnerstag gab es immer Spinat. Dazu geröstete Erdäpfel mit Spiegeleiern. Sehr viele Spiegeleier. Zeitweise übertraf die Menge an Spiegeleiern sogar jene des Spinats. Ob Jesus damals am Gründonnerstag, beim letzten Abendmahl, auch Spinat mit Spiegeleiern hatte, wagte Sifkovits zu bezweifeln.

Am Karfreitag kochte Baba nie etwas Großes. Es gab, den Umständen geschuldet, Eierspeis. Sifkovits konnte an diesen Tagen das Geselchte in der Speisekammer förmlich riechen, aber seiner Mutter und den katholischen Traditionen zuliebe verzichtete er auf Fleisch. Seine Frau Carina hatte ihn ohnehin oftmals gebeten, weniger Fleisch zu essen. Nicht einmal Sifkovits’ geliebte Erdäpfelsauce war an diesem Tag für seine Mutter denkbar. „Heute ist Jesus gestorben“ war ihr Argument. Und was sollte man dagegen schon sagen? Immerhin ging der Typ übers Wasser und hat selbiges in Wein verwandelt.

Am Ostersamstag zu Mittag dann die große Fleischweihe. Anschließend erste Osterjause, dann großes Osterfeuer beim Feichtinger, das gern bis hinein in die Nacht der Auferstehung dauerte und krönender Abschluss war. Und am Sonntag Davids größter Auftritt im Jahr, die Ostermesse in der Stinatzer Pfarrkirche.

Sifkovits hinterfragte diese Traditionen nicht, er machte sie manchmal zähneknirschend, manchmal wohlwollend mit. Die älteren Bewohner von Stinatz nahmen diese Bräuche sehr ernst.

Manchmal fragte sich der Inspektor, ob sie mit den nächsten Generationen langsam verschwinden werden. Es würde schleichend passieren. Irgendwann kommen immer weniger Menschen zur Fleischweihe und in die Ostermesse und schlussendlich zahlt sich der ganze Aufwand nicht mehr aus. Vielleicht würde man die Jahre danach an diese Feste zurückdenken, aber mit der Zeit würde niemand mehr davon reden. Damit wäre ein weiterer Brauch ausgestorben.

Obwohl Sifkovits kein praktizierender Katholik war und außerhalb von Stinatz mit der Kirche eigentlich nichts am Hut hatte, stimmte ihn dieser Gedanke schon etwas trübsinnig. Bräuche müssen nicht grundsätzlich ein konservatives Weltbild vermitteln. Er sah diesen ganzen Osterzirkus auch als kleine Reise in seine Kindheit. Niemals schmeckten die Ostereier so gut wie damals. Er konnte förmlich den verklebten Salzstreuer vor sich sehen, es war wirklich sehr schwierig, zumindest einige Salzkörner herauszubekommen.

Der Ostersonntag und der Ostermontag waren dann nur mehr ein leichter Abgesang auf den Strapazen davor, am Dienstag normalisierte sich der Gemütszustand der Menschen und in Stinatz kehrte wieder Ruhe ein.

Die Temperaturanzeige war nun vollständig im roten Bereich angekommen. Der Peugeot passierte das Schuhgeschäft Eder und das direkt daneben liegende Hotel mit demselben Familienamen. Es waren Bruder und Schwester, die sich nach dem Tod ihrer Eltern die Geschäfte aufgeteilt hatten. Unglücklicherweise waren beide Parteien mit dem jeweils erhaltenen Erbe nicht vollends einverstanden und so kam es, dass man seit einigen Jahren kein Wort mehr miteinander wechselte. Das Schuhgeschäft erbte die Tochter, das Hotel der Sohn. Es gab Gerüchte, dass Verheiratete auf Abwegen stundenweise Zimmer im Hotel Eder mieteten.

Nach beiden Eder-Geschäften kam das kleine Casino und anschließend führte rechts eine steile Straße den Hügel hinauf. Oben konnte man schon die Anlage von „Erikas Freilandeier“ sehen. Sifkovits atmete auf, als er seinen Wagen auf dem nicht asphaltierten Parkplatz abstellte. Erst jetzt erkannte er, dass aus seiner Motorhaube leichter Rauch aufstieg. Er war weiß, ähnlich wie bei der Papstwahl.

Erika Schuster, eine gestandene Frau im Alter von Sifkovits’ Mutter, trat aus einem großen Metalltor und ging auf die beiden zu.

„Servus, Baba! Wie viele Eier brauchst du?“, sagte sie gut gelaunt.

Baba schälte sich aus dem grünen Peugeot.

„Griaß di, Erika. 150 sollten reichen. Dann bin ich durch für heuer.“

Erika erblickte Sifkovits.

„Schön, dass du deinen Sohn auch mitgebracht hast.“ Erika kannte den Inspektor schon als kleinen Buben.

„Grüß Gott, Frau Schuster.“

Sie schüttelten sich die Hände.

„Kommt’s rein. Wollt’s einen Kaffee?“, fragte Erika. Baba nickte.

„Für mich bitte nur heißes Wasser, den Tee hab ich selber dabei.“ Der Inspektor zog einen Beutel Käsepappeltee aus seiner Westentasche. Er war einer der wenigen, die diese Teesorte gern ohne medizinische Notwendigkeit tranken.

„Natürlich, Schiffi. Irgendwer muss das Zeug ja trinken.“

Erika deutete den beiden, mitzukommen. Sifkovits lehnte ab, da er noch den Motor überprüfen musste. Der weiße Rauch machte ihm doch mehr Sorgen als gedacht.

„Ich komme gleich“, gab er zu verstehen.

Als sich Erika und seine Mutter entfernten, konnte er noch die letzten Gesprächsfetzen hören. Auch Erika bekam die Haas-Geschichte serviert. Diesmal fand seine Mutter ein verständnisvolles Gegenüber. Erika regte sich genauso darüber auf wie Baba im Auto.

Sifkovits öffnete die Motorhaube und erkannte sofort das Problem. Ein Schlauch, der vom Kühlflüssigkeitsbehälter wegführte, tropfte. Der Inspektor wusste, dass man den Behälter erst öffnen konnte, wenn der Wagen etwas ausgekühlt war. Also beschloss Sifkovits, ebenfalls nach drinnen zu gehen, um seinen Tee zu trinken.

Die beiden Damen saßen in Erikas Büro und unterhielten sich angeregt über die arbeitsintensive Osterzeit.

„Bitte, dein heißes Wasser steht hier auf dem Tisch“, deutete Erika dem Inspektor.

„Vielen Dank, Frau Schuster. Hätten Sie vielleicht auch kaltes Wasser für mich?“, fragte Sifkovits.

„Ja klar, aber darin wird sich dein Käsetee nicht so richtig entfalten können.“

„Nein, das kalte Wasser wäre für mein Auto“, klärte er das Missverständnis auf. „Am besten einen Liter.“

Erika füllte Wasser aus der Leitung in eine verbeulte Plastikflasche. Während die beiden Damen weiter lautstark plauderten, musterte der Inspektor Erikas Büro. Der Schreibtisch war unaufgeräumt. Unzählige Zettel, Mappen und Briefe stapelten sich darauf. An der Wand hingen der obligatorische Raika-Kalender, ein Kalender, der die Abholzeiten des Mülls angab, und einige lustige Sprüche über Hühner. „Ich liebe Hühner, die gacken mein Frühstück“ war da etwa zu lesen. Ob das nicht auch ein Spruch für Babas Eier wäre, dachte Sifkovits.

„Kannst du dich noch an den schwarzen Hahn erinnern, Schiffi?“, riss Erika den Inspektor aus seinen Gedanken.

Natürlich konnte er. Als er etwa sechs Jahre alt war, erzählte ihm Erika eine Geschichte über einen schwarzen Hahn. Er lebe hier auf dem Gelände, aber er zeige sich nie. Außer, wenn kleine Kinder schlimm seien. Da würde der Hahn aus seinem Versteck kommen und den Kindern in den Finger pecken. Sifkovits hatte jahrelang große Angst vor diesem Hahn und selbst heute hallte diese Geschichte noch etwas nach.