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Vergessen Sie ABBA und IKEA – jetzt kommt GUSTAF! Die Komödie »Ein alter Schwede zum Verlieben« von Claus Vaske jetzt als eBook bei dotbooks. Erst denken die Baumanns, das ganz große Los gezogen zu haben – denn da ahnt die Familie noch nicht, dass es in ihrer soeben bezogenen, verdächtig günstigen Traumvilla spukt: Seit Gustaf vor fast 400 Jahren versehentlich im rheinischen Rotthoven verstarb, wartet der schwedische Schwerenöter und Trunkenbold darauf, endlich nach Herzenslust seine Qualitäten als Hausgeist unter Beweis stellen zu können! Innerhalb kürzester Zeit wirbelt er das Leben von Saskia, ihrem Mann und den beiden Kindern gründlich durcheinander. Aber ist das vielleicht genau das, was die Baumanns schon lange brauchen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Herrlich komisch und trotzdem wunderbar warmherzig – »Ein alter Schwede zum Verlieben« von Claus Vaske wird die Fans von David Safier und Dora Heldt begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 266
Über dieses Buch:
Erst denken die Baumanns, das ganz große Los gezogen zu haben – denn da ahnt die Familie noch nicht, dass es in ihrer soeben bezogenen, verdächtig günstigen Traumvilla spukt: Seit Gustaf vor fast 400 Jahren versehentlich im rheinischen Rotthoven verstarb, wartet der schwedische Schwerenöter und Trunkenbold darauf, endlich nach Herzenslust seine Qualitäten als Hausgeist unter Beweis stellen zu können! Innerhalb kürzester Zeit wirbelt er das Leben von Saskia, ihrem Mann und den beiden Kindern gründlich durcheinander. Aber ist das vielleicht genau das, was die Baumanns schon lange brauchen?
Über den Autor:
Claus Vaske, Jahrgang 1965, ist zum einen in Werbung und PR erfolgreich – und hat zum anderen mit seinen Gags und Drehbüchern viele tausend Mal für Lacher im deutschen Fernsehen gesorgt: Unter anderem arbeitete er für Formate wie »Die Harald Schmidt Show«, »Kalkofes Mattscheibe« und »TV Total«.
Der Autor im Internet: www.vaske.de
Bei dotbooks veröffentlichte Claus Vaske neben »Ein alter Schwede zum Verlieben« auch seinen Roman »Die Monroe in mir«.
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eBook-Neuausgabe November 2022
Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Gustaf – alter Schwede« bei HarperCollins.
Copyright © der Originalausgabe 2017 by HarperCollins in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg.
Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock.com
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-98690-407-4
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Claus Vaske
Ein alter Schwede zum Verlieben
Roman
dotbooks.
Wo ist der Haken?
Unsicher stöckelt Frau Schüller auf ihren Pumps durch das leere Wohnzimmer, gerät ins Schlingern und versucht sich an der Wand abzustützen. Der Butler in Dinner for One ist gar nichts dagegen. Ich schaue Achim an, der erstaunt die Augenbrauen hochzieht. Diese Frau hat ein klares Alkoholproblem. Wahrscheinlich hilft ihr das eine oder andere Glas Prosecco über die Wechseljahresbeschwerden hinweg.
Sie trinkt. Aber ist das unser Bier? Hey, wir stehen mitten in einem hohen, lichtdurchfluteten Raum mit Stuck an der Decke. Das Parkett strahlt honiggelb in der Nachmittagssonne, vor uns führt eine Flügeltür hinaus zur Gartenterrasse. Das ist kein Wohnzimmer, das ist ein Ballsaal! Vor meinem inneren Auge wehen luftige weiße Vorhänge im Wind, ich sehe mich bereits Walzer tanzend durch den Raum schweben. Wenn ich hier einziehen darf, dann ertrage ich auch eine betrunkene Maklerin.
Lukas, unser Kurzer, rennt mit lautem Jubelgeheul und ausgestreckten Armen einmal laut im Kreis herum. Weil genug Platz ist. Seine große Schwester hingegen zieht es vor, draußen beim Wagen zu warten. Sie findet ihre Eltern doof, Hausbesichtigungen langweilig und auf dem Land zu leben peinlich. Oder waren Hausbesichtigungen doof und die Eltern peinlich? Ein schwieriges Alter…
Früher war das hier mal eine Burg. Ehrlich, kein Quatsch. Aber keine Sorge, man sieht es nur noch an dem alten Gewölbekeller, auf dem das Haus steht, es gibt schon fließend Wasser und so weiter.
Ich dachte auch erst: Burgen, die stehen doch oben auf einem Berg, da hat die Maklerin wohl zu tief ins Glas geguckt, als sie das Exposé geschrieben hat. Aber dann fiel mir ein, dass es schließlich auch diese ganzen Wasserburgen im Münsterland gibt, und da ist es noch viel flacher als bei uns hier. Warum also keine Burg in Rotthoven? Sie wurde irgendwann verlassen, das Gemäuer stand jahrhundertelang leer und verfiel. Bis dann vor über hundert Jahren irgendein reicher Mann auf die Idee kam, sich an gleicher Stelle einen Landsitz zu bauen.
Gute Entscheidung.
Es ist fast schon ein kleines Schlösschen, hinter einem kleinen Wäldchen idyllisch im Grünen gelegen. Und trotzdem haben wir es gleich gefunden. Von der Hauptstraße sind wir auf einen schmalen Weg abgebogen und zwischen zwei alten Pfeilern hindurch auf den gekiesten Vorplatz gefahren. Wir haben vor der alten Remise geparkt, sind die Stufen zur Eingangstür hinaufgegangen, auf den Flur mit dem alten Terrazzo-Boden getreten, und schon waren wir in einer anderen Welt.
Dieses Haus ist ein Traum. Der Volltreffer. Und wir könnten es sofort haben. Einmal innen durchstreichen, fertig, schon könnten wir einziehen. Ist das nicht der Wahnsinn? Okay, dafür müssten wir uns natürlich über unseren Tod hinaus verschulden. Völlig normal, wenn man ein Haus kauft. Irgendwie werden wir das schon stemmen, und ein Urlaub im Sauerland kann auch sehr schön sein. Außerdem sind wir schon so lange auf der Suche, wir wollten umgezogen sein, bevor Lukas auf die weiterführende Schule wechselt, so war unser Plan. Das ist im kommenden Sommer. Und was haben wir schon für Bruchbuden besichtigt. Manche Häuser waren so verbaut – Schrägen, an denen man sich den Kopf stößt, Dusche mitten im Schlafzimmer, Fenster in schwindelerregender Höhe, die man nicht putzen kann – ein Zweijähriger hätte das mit Lego besser hinbekommen.
Einmal sollte gegenüber ein Swingerclub eröffnet werden, was uns der Makler natürlich verschwiegen hatte, dann wieder war der Oma ein lebenslanges Wohnrecht garantiert, wir hätten mit ihr unter einem Dach leben müssen. No way!
Und dann diese Badezimmer. Nicht falsch verstehen: Ich liebe Badezimmer. In einem schönen Badezimmer könnte ich glatt wohnen. Aber allein diese Fliesen, die früher verlegt wurden: Die Hölle muss ein Ort sein, der in den Siebzigerjahren von deutschen Fliesenlegern gekachelt wurde – in Lachsorange, Giftgrün oder Eitergelb. Dazu zählen auch diese mittelbeigebraunen Waschbecken und Badewannen, die aussehen, als wären sie in fünf Jahrzehnten kein einziges Mal geputzt worden. Das muss doch psychische Schäden hinterlassen, sich täglich in so einem Bad aufzuhalten.
Ein anderes Mal standen wir plötzlich inmitten einer altrömischen Säulenlandschaft vor einem riesigen muschelförmigen Whirlpool, vom Stil her irgendwo zwischen Kaiser Neros Villa und dem Puff von Wanne-Eickel angesiedelt. Ich will gar nicht wissen, was die Vorbesitzer darin getrieben haben.
Dazu immer wieder diese unverbesserlichen Maklersprüche:
»Mehr Fenster? Die müssen Sie aber auch putzen.«
»Das ist doch nicht alt, das ist retro. In Berlin ist das wieder voll angesagt.«
»Aber die Züge hören Sie doch nur bei Ostwind.«
»Das Haus hat Charakter. Wie Helmut Schmidt.«
»Halb so wild, der Schaden. Mit ein bisschen Geschick kann man das selbst reparieren.«
Ich hatte die Hoffnung auf eine brauchbare Bleibe fast schon aufgegeben. Und dann, nach all den Enttäuschungen, erwischen wir so einen Prachtbau, traumhaft gelegen und dazu noch erschwinglich? Sorry, aber das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Irgendwas stimmt da nicht. Es muss einen Haken geben.
Frau Schüller wankt den weiten Weg zur Terrassentür. Als sie die beiden Flügel öffnet, fällt sie fast hintenüber. Während Achim und ich hinaustreten, hält sie sich mühsam am Türgriff fest.
Wie groß der Garten ist! Auf dem Rasen könnte man locker zwei Tennisplätze unterbringen, ein Zaun trennt ihn von der dahinter liegenden Pferdeweide, und an den Seiten wuchern alte Rhododendronbüsche: Grün, so weit das Auge reicht. Ich komme mir vor wie in einem Rosamunde-Pilcher-Film, es fehlen nur die steifen britischen Landadligen.
Vielleicht haben wir einfach nur Glück. Tatsache ist: Das Haus ist eine Scheidungswaise, die Vorbesitzer hatten es erst liebevoll saniert und sich dann zerstritten. Nun sind sie gezwungen, es zu verkaufen. Wir haben sie vorhin noch kennengelernt, ein Ehepaar in unserem Alter: Während er noch ganz vernünftig wirkte, hat sie ihn nur angegiftet und ihm, als sie gegangen ist, die Nase vor der Tür zugeschlagen. Dann ist sie in ihrem Auto davongebraust. Der blanke Hass. Wir waren froh, als sie endlich weg war.
Hoffentlich bedeutet das kein schlechtes Karma, wenn wir hier einziehen. Wie bringt man es überhaupt fertig, in so einem herrlichen Haus zusammen unglücklich zu sein?
Achim blinzelt in die Abendsonne, er zeigt hinaus auf die Wiesen jenseits des Gartens. »Unverbaubar?«
Frau Schüller nickt. »Unverbaubar.«
Ich hake sicherheitshalber noch mal nach. »Da kommt nichts hin: keine Autobahn, kein Gewerbegebiet und auch kein Atomkraftwerk?«
Frau Schüller wirkt bereits leicht genervt, wie sie den Kopf schüttelt. Vielleicht braucht sie aber auch nur bald wieder einen Drink.
»Kein Haken?«, frage ich.
»Kein Haken«, versichert Frau Schüller erstaunlich nüchtern.
Achim und ich sehen uns an. Ich weiß, er denkt das Gleiche: Das ist es! Zum ersten Mal, seit wir auf der Suche sind, fühlt es sich richtig an!
»Du weißt, was Pu der Bär immer sagt?«, beginnt Achim. Er zitiert immer Pu der Bär, wenn es ernst wird. Das ist so ein Tick von ihm.
»Was denn, Achim?«
»Er sagt: Greif zu, sonst nimmt es dir ein anderer fort!«
»Ja, dann …«, antworte ich. »Wenn Pu der Bär das sagt …«
»Saskia, ehrlich, meinst du, wir sollen …?«
»Ja, auf jeden Fall. Mir gefällt’s.«
»Wir kaufen!«, rufen wir beide schließlich, sehen Frau Schüller gespannt an und warten auf ihre Antwort.
»Schön, ’llückwunsch«, grunzt sie zufrieden. Dafür, dass sie eigentlich nur betrunken herumstand, wird sie nun eine fette Provision einstreichen. Davon kann sie sich viele Flaschen Prosecco kaufen.
»Greif zu, sonst nimmt es dir ein anderer fort« – das hat zwar nicht Pu gesagt, sondern Balu, der Bär aus dem Dschungelbuch, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber wen interessiert das? Wer so begeistert ist wie wir, kann die Bären schon mal durcheinanderbringen.
Achim und ich fallen uns jubelnd in die Arme. Er hebt mich hoch und wirbelt mich durch die Luft. Ist das nicht unglaublich? Wir haben ein Haus. Sofern sich die alte Saufnase von Maklerin morgen noch an uns erinnert …
Wir sind die neuen Herrscher auf Burg Rotthoven. Nicht schlecht, oder? Wir müssen es nur noch unserer Tochter beibringen.
Frau Schüller hatte uns nicht vergessen.
In so einen riesigen, alten Kasten einzuziehen, fühlt sich einfach wunderbar an. Damit verbunden ist das lebenslange Recht, alle Einrichtungshäuser der Region zu plündern. Und es fehlt noch so viel: ein zweites Sofa, Kissen, Vorhänge, Blumen, Übertöpfe, Bilder, Regale, Tischchen, Teppiche, Dekokram, Kerzenständer, Teelichter ohne Ende … Hatte ich Bilderrahmen schon erwähnt? Ich habe schon genaue Vorstellungen, wie ich alles einrichten werde. Ich brauche nur noch einen Lottogewinn.
Die Tinte unter dem Kaufvertrag war kaum getrocknet, da haben wir schon losgelegt und jedes Wochenende gewerkelt und gewirbelt, gedübelt und geschraubt, gepackt, nachdem wir die wertvollsten Sachen bereits in unser neues Heim getragen haben.
Gestern stapelten sich in unserer alten Wohnung noch die Umzugskartons, sodass wir kaum mehr einen Fuß auf den Boden setzen konnten. Nun stehen sie in unserem neuen Flur herum, wo sie eher ein bisschen verloren wirken. Einige der Möbelpacker verteilen sie nach und nach auf die Zimmer, während ein anderer gerade unser Schlafzimmer nach oben schleppt. Das Bett mit der eins vierzig breiten Matratze. Jetzt könnten wir auch mal über was Größeres nachdenken …
Endlich haben wir genug Platz für alle. Die Kinder bekommen ihre eigenen Zimmer. Ich könnte mir sogar ein Arbeitszimmer einrichten. Und dann wäre da noch die Remise gegenüber dem Haupthaus, die könnten wir auch noch ausbauen. Wie das klingt: Ein Haupthaus, wir haben ein Haupthaus. Mit Nebengebäude. Als wären wir die Ewings auf ihrer Southfork Ranch. Dabei haben wir eben noch in einer Dachgeschosswohnung gewohnt.
Kim wünscht sich schon ewig ein Pferd, und mein Göttergatte eine eigene Garage mit Werkstatt für seinen Oldtimer. Den er noch nicht hat. Sein Traum ist ein alter Mercedes, ein Cabrio. Doch nach den ganzen Anschaffungen fürs Haus träume ich nur von einem ausgeglichenen Dispo. Also habe ich erst mal mein Hollandrad in die Remise gestellt.
Damit wir in Ruhe auspacken und einräumen können, haben wir Lukas bei seinem besten Schulfreund geparkt. Ich spiele am Eingang den Platzanweiser für die Möbelpacker, zwischendurch mache ich die Küche betriebsbereit, während Achim im Wohnzimmer unsere neuen Stühle zusammenbaut: Immer wieder jault der Akkuschrauber auf. Nur einmal, da war es Achim selbst, der aufgejault hat, weil ihm einer der IKEA-Kartons auf die Finger gefallen war.
Unser Fräulein Tochter stapft über den Vorplatz, der feine Kies knirscht unter ihren Boots. Kim hat wie immer das Handy am Ohr. »Wer weiß, ob wir uns jemals wiedersehen«, jammert sie, als sie in den Flur kommt. »Die haben mich verschleppt, meine eigenen Eltern!«
Sie seufzt dramatisch.
»Internet, hier? Machst du Witze? … Ja, voll die Wildnis hier …«, stöhnt sie weiter.
All das ist glatt erfunden. Wir haben Internet, das WLAN hatte Achim bereits vor Tagen installiert, und zur Schule ist sie laut Busfahrplan morgens nur sechs Minuten länger unterwegs als früher. Wenn sie nicht sowieso mit ihrem Vater fährt, der sie meist auf dem Weg ins Büro mitnehmen kann. Rotthoven ist nicht das australische Outback, mit dem Auto sind wir in einer Viertelstunde in der Bonner Innenstadt. Eine Vierzehnjährige sollte das überleben!
Kim hat sich dennoch zum Umzugsopfer erklärt. Aber mit einem Pferd, auf dem sie über die Felder galoppieren kann, würde sich die Situation natürlich schlagartig ändern, sagt sie. In dem Fall wäre es sogar toll, auf dem Land zu leben! Und die Remise könnten wir gerne zum Stall umbauen lassen. Tja, was das angeht, muss sie mit ihrem Vater verhandeln, der den Platz für seine nicht-existenten Oldtimer vorgesehen hat – und beide sollten sie dringend mit unserem Bankberater sprechen. Dann wäre zumindest nicht wieder ich diejenige, die Nein sagen muss.
Statt um den letzten verbliebenen Karton einfach herumzugehen, steigt Kim betont umständlich mit ihren Storchenbeinen darüber hinweg, und während sie die Treppe zu ihrem neuen Zimmer hochgeht, schimpft sie unverdrossen weiter in ihr Handy. »Ich stink schon nach Kühen, ich schwöre!«
Oben knallt die Tür zu.
Ich zähle: Fünf, vier, drei, zwei, eins …
Die Tür fliegt wieder auf. »Ooooh Mamaaa!«
»Was denn, mein Herz?«, flöte ich so gelassen wie möglich.
»Wo ist mein Pulli? Wo ist mein Sitzsack? Und wo sind meine Socken?« Kims Stimme klingt nach Weltuntergang. »Es ist kalt, Mama! Ich friere! Wetten, hier draußen gibt es Rentiere?!«
Kalt? Wir haben Anfang Oktober, draußen sind es sechzehn Grad.
»Schau in die Kartons.«
»In welche?«
»In welche schon. In deine!«
»Was sind denn meine Kartons?«, kreischt sie.
»Probier’s mal mit denen, die in deinem Zimmer stehen. Die mit deinem Namen drauf!«
Ich will mich weiter darum kümmern, die Möbelpacker zu dirigieren, die gerade Lukas’ Kinderzimmermöbel ins Wohnzimmer tragen wollen, doch Kim lässt nicht locker. »Und mein Sitzsack? Ist der auch in einem Karton? Wo soll ich denn jetzt lesen?« Ihre Stimme droht, sich zu überschlagen.
»Du sollst nicht lesen, du sollst dein Zimmer einräumen! Du wirst hier wohnen!« Und leise füge ich hinzu: »Bis du Abi hast und wir dich endlich rausschmeißen können …«
Aber worüber rege ich mich auf? Kim kann nichts für ihre Reaktion, so ist der Gang der Dinge. So würde ich jedenfalls Hechts Psychologisches Wörterbuch, 15. Auflage, zu dem Thema interpretieren.
Pubertät, die
Pubertät nennt man den geschlechtlichen Reifeprozess heranwachsender Menschen. Er wird von allen Beteiligten als konfliktträchtig und schwierig erlebt.
Der Hypothalamus sendet einen Botenstoff aus, woraufhin die Geschlechtsdrüsen beginnen, Hormone zu produzieren. Der Körper verändert sich, das Gehirn wird neu strukturiert. Das verursacht Stress im Körper eines jungen Menschen. Erst läuft der Mandelkern im Hirn (griech.: Amygdala) Amok und dann die ganze jugendliche Person. Was wiederum Stress für ihre Umwelt bedeutet. Ein Drama.
siehe auch:
→ Amygdala (Hirnregion).
→ Amidala: Natalie Portmans Rolle in »Star Wars«.
Egal. Wir lieben unser pubertierendes Töchterchen, ob mit rotierendem Mandelkern oder ohne. Doch der osteuropäische Möbelpacker, der gerade den heiß ersehnten roten Sitzsack in Kims Zimmer getragen hat, verdreht auf dem Rückweg genervt die Augen und flucht leise vor sich hin. Wahrscheinlich irgendwas mit »Göre« und »eine scheuern«.
Achim geht an mir vorbei und verschwindet im Keller. Ein paar Augenblicke später kehrt er mit einem Hammer zurück und geht wieder ins Wohnzimmer. Muss ich mir Sorgen um unsere neuen IKEA-Stühle machen?
»Sag mal, hast du den Schlüssel für die Tür da unten?«, fragt er mich im Vorbeigehen.
»Was für eine Tür?«, frage ich.
Achim bleibt stehen, sieht mich verblüfft an und zeigt in Richtung Keller. »Die alte Tür. Da unten.«
Wir haben eine Tür im Keller? Aha. Das wusste ich gar nicht. Ich muss allerdings auch zugeben, dass ich seit der Hausbesichtigung nicht mehr unten war. Es gibt nun mal Spannenderes als Keller, deren einziger Zweck darin besteht, all das Gerümpel einzulagern, das woanders keinen Platz findet: Skier, Winterreifen, alte Fahrräder … Und dafür haben wir auch noch die Remise.
Dabei ist unser neuer Keller durchaus eindrucksvoll, das gebe ich zu: ein altes gemauertes Gewölbe, hoch genug, um darin stehen zu können. Ich könnte mir wunderbar eine Sauna da unten vorstellen. So aufwendig kann das doch nicht sein. Ach, wäre das herrlich, so eine eigene kleine Wellness-Oase. Irgendwann, wenn Achim seinen Oldtimer bekommen hat und Kim ihr Pferd, dann werde ich sie mir einrichten.
Also nie.
Nebeneinander stehen mein Mann und ich vor der massiven alten Holztür. Ich rüttle an dem geschwungenen Griff, der für meine Hand viel zu groß ist. »Wo kommt die Tür denn plötzlich her? Wohin führt die?«
Die muss zentnerschwer sein! Sie läuft oben spitz zu und ist mit einem Gitter aus schwarzem Metall beschlagen. Mich erinnert sie an den Eingang zu einem Verlies, so wie in alten Abenteuerfilmen, als würde dahinter d’Artagnan oder Lady de Winter gefangen gehalten. Erstaunlicherweise sehe ich nirgendwo Staub oder Spinnweben. Es wirkt, als wäre sie neulich noch benutzt worden. Aber von wem? Haben unsere Vorbesitzer noch den Schlüssel? Wir müssen versuchen, unsere Maklerin zu erwischen, wenn sie nüchtern ist, dann könnten wir sie fragen und vielleicht sogar eine brauchbare Antwort erhalten.
»Saskia, Türen wandern nicht«, erklärt Achim. »Die muss immer schon da gewesen sein.«
»Aber so eine große Tür? Die hätte mir doch auffallen müssen.«
Achim runzelt nachdenklich die Stirn. »Vielleicht war das Licht schlecht. Oder es stand irgendwas davor, ein Schrank oder ein Regal. Keine Ahnung …«
»Was ist wohl dahinter?«, grüble ich.
»Wer weiß … Vielleicht das Bernsteinzimmer«, fantasiert Achim herum. »Oder der Schatz der Nibelungen, und wir finden ihn.«
»Ich tippe eher auf einen vergammelten Öltank, und wir müssen ihn für viel Geld entsorgen.«
Doch Achim hört mir gar nicht richtig zu, sondern schaut mich aus glänzenden Augen an. »Schatz, das erste Geheimnis in unserer Burg!«
Die erste Nacht im eigenen Haus, heißt es, sei wegweisend. In diesem Fall möchte ich gerne von Achim in den Schlaf gekuschelt werden.
Nach der Schinderei und Schufterei habe ich mir eine Dusche gegönnt. Das Handtuch um den Körper geschlungen, komme ich frisch eingecremt und wohlriechend ins Schlafzimmer, wo Achim sich nach getaner Arbeit wie ein müder Löwe streckt. Diese sehnige Statur, hach! Er ist fast noch so schmal wie damals, als wir uns kennengelernt haben. Fast zwanzig Jahre ist das schon wieder her. Ein paar Pfund mehr hat er heute vielleicht auf den Hüften, aber immer noch diesen entzückenden, festen Po …
Kim und Lukas sind im Bett, kein Fußgetrappel und kein Kichern sind zu hören. Nur der Wind rauscht draußen in den Bäumen, die vor unserem tollen, neuen Haus stehen. Ich umarme Achim, er dreht sich zu mir um, und wenn mein Handtuch mir jetzt nicht wie von selbst von den Hüften rutscht, dann muss ich wohl ein bisschen nachhelfen. Endlich haben wir Raum für uns, mein Mann und ich.
»Hey Liebes, Wahnsinn, oder? UnserHaus!«, haucht er mir ins Ohr, und ich bekomme vor Glück glatt eine Gänsehaut, ein Schauer fährt durch meinen Körper.
»Mmh …«, gurre ich und schmiege mich noch enger an ihn. Endlich löst sich dieses blöde Handtuch, er streichelt und umarmt mich, wir küssen uns. Schon landen wir auf dem frisch bezogenen Bett. Wie wunderbar das alles duftet: die neuen Laken, das Zimmer, mein Kerl. Das macht mich ganz wuschig.
Na, was regt sich denn da bei ihm? Es ist … also … Es ist nicht nichts, aber …
»Boah, bin ich fertig …«, stöhnt er.
Doch: Es ist nichts. Tote Hose.
»Soll ich dich ein bisschen aufmuntern, hm …? Dich massieren?«, säusele ich.
»Tut mir so leid …« Seufzend rollt er hinüber auf seine Seite.
Game over, mal wieder.
Als das Licht aus ist, robbe ich mich zur Löffelchenstellung an ihn heran. Vielleicht war es nur der falsche Moment. Außerdem hat er recht. Der Tag war wirklich anstrengend. Achim hat geschuftet wie ein Ochse. Ich bin stolz auf ihn!
Wenn man so will, wohnen wir auch noch gar nicht richtig hier, denn es gibt noch so viel im Haus zu tun. Dann ist eben die zweite Nacht die erste.
Die komplette Familie Baumann ist an diesem Morgen spät dran. Ich hätte es ahnen können. In so einem großen Kasten dauert alles länger. Ehe ein komplett verpennter Zehnjähriger über den langen Flur den Weg ins Bad findet, vergeht allein schon eine halbe Ewigkeit. Seine pubertierende Schwester dagegen findet gar nicht mehr aus dem Bad heraus, nachdem sie es gefunden hat. Ich habe keine Ahnung, was sie darin die ganze Zeit macht. Bewundert unser Burgfräulein sich im Spiegel, kämmt es sein güldenes Haar oder kann es sich wieder nicht zwischen Lipgloss mit oder ohne Glitzer entscheiden?
Ich selbst laufe auch noch völlig planlos durch die Gegend. Vor dem Schlafzimmer stehend überlege ich: Wo ist noch mal die Küche? Ah stimmt, wir haben jetzt ja ein zweites Stockwerk. Ich eile also die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Heute Morgen bräuchte ich für dieses Haus definitiv ein Navi.
Doch irgendwann haben die Kinder ihr Frühstück, und ich kann mir meinen Kaffee machen. Kim thront lässig auf der Arbeitsfläche und mampft beinebaumelnd ihr Müsli. Lukas sitzt am Tisch, futtert seinen Toast und nippt an der Kakaotasse. Während die Espressomaschine vor sich hin brummt, wende ich mich an die Runde: »Ihr wisst doch: Was man in der ersten Nacht im neuen Haus träumt, das geht in Erfüllung. Also, wovon …«
»Pferd!«, kommt Kims Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Nicht schon wieder, denke ich.
»Och, Kim …«
»Ehrlich, es stimmt!«, beteuert sie. »Ich habe geträumt, dass ich ein Pferd habe, so ein großes, mit dem man auch Turniere reiten kann. Ich schwöre!« Frech grinsend fügt sie hinzu: »Du hast gesagt, mein Traum geht in Erfüllung. Krieg ich jetzt eins?«
»Netter Versuch, Liebes«, sage ich und lächle kühl. Seit sie aus den Windeln raus ist, quengelt sie, dass sie ein Pferd haben will. Die paar Wochen, bis Jungs wichtiger sind, sitzen wir doch locker auf einer Backe ab!
»Und ich habe von einem Gespenst geträumt«, verkündet Lukas.
Kim kichert. »Lukas, du Dummkopf. Du verstehst das Prinzip nicht. Du musst sagen, du hättest von einer Playstation geträumt!«
»Aber da war ein Gespenst!«, kräht ihr kleiner Bruder fröhlich. »So ein ganz alter Mann. Der hat gelacht.«
»Das ist schön, Lukas«, lobe ich ihn. »So ein Gespenst ist auch viel billiger als ein Pferd!«
»Aber Mama, was soll er mit einem Gespenst? Das kann ja noch nicht mal Angry Birds. Lukas, hör auf mich: Nimm die Playstation.«
Lukas rutscht so weit wie möglich auf seinem Stuhl herunter und versteckt sich hinter seiner Kakaotasse. »Das Gespenst gibt es«, schmollt er.
»Ach übrigens, Mama, ich habe nicht nur von einem Pferd geträumt«, plappert Kim übermütig weiter. »Da war auch ein Elektro-Roller, ein Bauchnabel-Piercing – und ich war shoppen auf Mallorca!«
Ich verbrenne mir vor Schreck fast den Mund an dem heißen Kaffee. »Oh Gott, Kim, so ein Bauchnabel-Piercing geht gar nicht. Das kommt nicht infrage.«
Kim hüpft von der Arbeitsplatte herunter. »Dann darf ich zum Shoppen nach Mallorca? Juhu! Danke, Mama!«
Mit restfeuchten Haaren kommt mein Mann in die Küche. Er gibt mir einen Kuss und nimmt mir bei der Gelegenheit die Tasse mit dem frisch gebrühten Kaffee aus der Hand.
»Papa, wovon träumst du denn?«, will Kim wissen. »Ich will ein Pferd und Lukas weiß noch nicht.«
»Ach, das weiß eure Mutter schon längst.«
»Und …?«
»Nichts Besonderes, nur ein altes Auto. Aber ihr wisst ja …«
»Ja. Wir müssen vernünftig sein«, sagt Kim seufzend.
»So sieht’s aus«, bestätigt Achim und zwinkert mir amüsiert zu.
Sehr lustig. Mal wieder bin ich die Spaßbremse. Nur weil er es nie schafft, auch mal Nein zu sagen. Soll ich ihm mal erzählen, wovon ich so träume? Besser nicht vor den Kindern. In dieser Nacht war es ein Möbelpacker mit großen, kräftigen Händen, der Oberkörper frei, die Jeans halb geöffnet … So weit ist es schon gekommen, dass ich mir nachts einen Achtziger-Jahre-Softporno zusammenträume.
Wie wäre es damit: Achim bekommt sein Cabrio und ich den knackigen Mechaniker aus der Autowerkstatt. Wäre das ein Deal?
Ich öffne den Kühlschrank, um meinen Camembert herauszuholen. Ich liebe Käse, je würziger, desto besser. Ohne Käse kein Frühstück!
Immer muss ich die Vernünftige sein, denke ich, während ich zwischen den Lebensmitteln herumsuche. Es ärgert mich selbst, aber wir haben nun mal neuerdings ein Haus, das wir die nächsten zwanzig Jahre abstottern müssen. Das ist eine Tatsache. Einer muss den Laden zusammenhalten. Und die paar Euro, die wir noch auf dem Konto haben, brauchen wir bestimmt für andere Dinge als für Springpferde oder schicke Oldtimer. Sind wir das britische Königshaus? Ist das hier Windsor Castle? Und wo ist der Käse?
Ja, wo ist er geblieben? Gestern hatte ich welchen eingekauft, einen leckeren Camembert und einen Allgäuer Bergkäse, ich bin mir ganz sicher. Der Bergkäse ist noch da, aber der Camembert ist weg. Ich bin doch nicht blöd, das habe ich doch nicht geträumt.
Ich drehe mich zu meiner Familie um. »Raus damit, wer hat meinen Käse gegessen?«
»Deinen fiesen Stinkekäse?«, ekelt sich Kim.
»Ja, genau den.«
»Vergiss es. Eher würde ich meine Socken essen.«
»Gestern Abend war da noch welcher!«
»Gut, dass er weg ist!«
»Kim, der verschwindet nicht über Nacht …«
»Also – ich war’s auch nicht«, beteuert Achim.
»Ich weiß es!«, ruft Lukas. »Das Gespenst hat den Käse gegessen!«
»Unser Kleiner!«, spottet seine Schwester und wuschelt ihrem Bruder dabei durchs Haar. »Wie süß, du glaubst wohl auch noch an den Weihnachtsmann.«
Lukas kneift genervt die Augen zu und zieht einen Flunsch. Oje, ich ahne schon: Das wird nicht gut gehen, das gibt gleich Streit.
»Und du träumst von Dustin«, ruft Lukas.
Zack! Da ist die Retourkutsche, die hat gesessen. Kim bleibt die Spucke weg, ihr stockt der Atem, dann läuft sie himbeerrot an. »Oh Lukas! Mama, Papa, das ist doch gar nicht wahr! Das … das stimmt nicht …«
»Ihr habt euch gekööösst«, macht Lukas unverfroren weiter.
»Lukas!«, kreischt Kim, ihr schießen die Tränen in die Augen. Sie rennt aus der Küche. Jungs und Küssen – das fällt wohl noch in die Rubrik »peinlich«, zumindest vor uns, ihren Eltern.
»Lukas, das war gemein von dir. Du entschuldigst dich bei Kim«, schimpfe ich. »Sofort!«
»Aber …«
»Sofort!«
Schmollend trottet Lukas aus der Küche.
Achim sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Dustin?«
Ich kann nur mit den Schultern zucken. »Keine Ahnung. Ich höre den Namen auch zum ersten Mal.«
»Hm. Es ist also so weit«, brummt mein Mann.
»Was ist wie weit?«, frage ich misstrauisch.
»Was schon: Ab jetzt renne ich mit der Flinte ums Haus.«
Damit verlässt er die Küche, um die Kinder für die Schule einzusammeln.
Na also, geht doch. Da ist er, der erste Freund. Bestimmt sind Pferde für Kim bald völlig unwichtig.
Ich schaue in den Mülleimer: Unten auf dem Boden liegt einsam und verloren das Einwickelpapier des Camemberts. Und auf einmal bin ich mir nicht mehr sicher: War ich es vielleicht doch selbst, die ihn weggefuttert hat?
Triebabfuhr durch nächtliche Fressattacken, das wäre nicht so ungewöhnlich. So etwas kommt häufig genug vor. Habe ich etwa mit dem muskulösen Möbelpacker aus meinem Traum auch noch gemeinsam gefrühstückt?
Es gibt Momente, da zweifle ich an mir selbst.
Unser Krankenhaus liegt im Bonner Süden sehr schön am Hang, mit herrlichem Blick aufs Rheintal. Eine gehobene Gegend. In den Villen der Nachbarschaft wohnen ehemalige Politiker, die in Bonn geblieben sind, und die halbe Besatzung des ZDF-Traumschiffs ist hier gestrandet, warum auch immer, hinzu kommen ein paar verknöcherte und vergreiste Adlige. Würde man das Viertel überdachen und zum Seniorenheim erklären, wäre die Klinik auf einen Schlag überflüssig. Aber wahrscheinlich scheitert das an der Hanglage.
Im Hause bin ich für psychologische Betreuung und Beratung zuständig, ich spreche vor allem mit älteren Patienten und begutachte deren mentale Verfassung. Meist geht es dabei um Alzheimer oder Altersdepressionen.
Kurz: Ich bin die Psychotante. Ich quatsche nur.
Ich fürchte, manche der Ärzte würden meine Arbeit mehr respektieren, wenn ich selbst gebackenen Kuchen mitbringen würde.
Für die Patienten bin ich wahlweise Erbschleicherin, böse Nachbarin oder die verlorene Tochter. Je nach Schweregrad der Demenz.
Bevor ich morgens ins Büro gehe, führt mein Weg mich erst ins Schwesternzimmer auf der Inneren. Dort nehme ich mir einen Kaffee, plaudere ein wenig mit den Kolleginnen und erkundige mich, ob es in der Nacht irgendwelche besonderen Vorkommnisse gab.
Diesen Weg kreuzt heute Chiara Pütz, ein niedliches blondes Mäuschen, das neuerdings als Schwester auf der Station arbeitet. Sie trägt ein Tablett, auf dem einsam das künstliche Gebiss eines Patienten liegt.
Vergnügt grüßt sie mich: »Huhu, Frau Berger!«
Baumann. Ich heiße immer noch Baumann, und dass Schwester Chiara nicht der hellste Stern am Firmament ist, war mir bereits zu Ohren gekommen. Dafür hat sie andere Qualitäten. Diesen Kittel zum Beispiel, der für sie mindestens eine Nummer zu klein ist. Er sitzt wirklich unverschämt eng, unter dem Stoff zeichnet sich ein dünner String ab, und weiter oben purzeln ihr fast die Dinger aus dem Ausschnitt. So geht man höchstens als sexy Krankenschwester zum Karneval.
Wenn wir sie so zu den älteren Patienten lassen, steigert das nicht in unverantwortlicher Weise das Herzinfarktrisiko?
Es soll nicht mein Problem sein, denn das Sagen hat auf der Inneren Station immer noch Oberschwester Regine, und vor ihr habe ich echten Respekt, wie jeder andere hier. Ihr Motorrad parkt sie grundsätzlich auf dem Ärzteparkplatz, und niemand wagt es, dagegen zu protestieren. Es ist eine große, schwere Maschine, die sie angeblich ohne fremde Hilfe wieder aufstellen kann, wenn sie mal umgekippt ist. Die wenigsten Männer schaffen das!
Von der Statur her könnte ich sie mir auch gut als Metzgersgattin hinter der Fleischtheke vorstellen. Sie hat die Arme einer Gewichtheberin, nur tätowierter. Wenn sie wütend wird, flucht sie wie ein Straßenmafioso, der um sein Schutzgeld betrogen wurde. Aber als Stationsschwester ist sie ein Segen. Jedenfalls hat sie den Laden im Griff.
An diesem Morgen steht sie mit ein paar der Schwestern aufgeregt tratschend vor dem Schwesternzimmer.
»Morgen! Na, gibt’s was Neues?«, begrüße ich die Kolleginnen.
»Ah, die Psychotante«, begrüßt sie mich herzlich-derb wie immer und fragt verschwörerisch in die Runde: »Mädels, sollen wir’s ihr erzählen?«
»Was denn?«, frage ich.
»Na gut, weil Sie’s sind. Sie werden’s nicht glauben: Dr. Sittler hat heute Nacht in Zimmer 316 geschlafen!«
»Der Doc? Wieso das denn?«
Wer Dr. Sittler ist? Ganz einfach …
Emergency Room (Abk. ER), das
ER war eine US-amerikanische TV-Serie (1994–2009), die in der Notaufnahme eines fiktiven Krankenhauses in Chicago spielte. »Emergency Room« bedeutete für den Schauspieler George Clooney den internationalen Durchbruch, bevor er später mit Filmen wie »Ocean’s Eleven« Triumphe feierte und zum »Sexiest Man Alive« gewählt wurde.
siehe auch: → George Clooney.
siehe nicht: → Schwarzwaldklinik → Sascha Hehn.
Manche Kolleginnen behaupten zwar, Serien wie Emergency Room