Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Sie kennen Sherlock Holmes? Natürlich! Sie kennen auch Arsène Lupin? Glückwunsch! Aber kennen Sie A. J. Raffles, den berüchtigten Gentleman-Gangster? 1900 schuf Ernest William Hornung (übrigens ein Schwager des Sherlock-Holmes-Autors Arthur Conan Doyle) einen der interessantesten Köpfe der englischen Kriminalliteratur und gleichzeitig einen frühen Antihelden. A. J. Raffles hat in Oxford studiert, hat exzellente Manieren, ist ein Mann von Welt und lebt das Leben eines reichen Dandys. Er ist der Partylöwe unter den Schönen und Reichen und nutzt deren Festivitäten, um seine Beute auszukundschaften. Erleben Sie seine spannenden und äußerst unterhaltsamen Abenteuer erstmalig als E-Book. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 262
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ernest William Hornung
Ein Dieb in der Nacht
Neue Abenteuer aus der Einbrecherlaufbahn des A. J. Raffles
Ernest William Hornung
Ein Dieb in der Nacht
Neue Abenteuer aus der Einbrecherlaufbahn des A. J. Raffles
(A Thief in the Night)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Alwina Vischer EV: Verlag von J. Engelhorn, Stuttgart, 1908 (159 S.) 2. Auflage, ISBN 978-3-962813-80-2
null-papier.de/newsletter
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Aus dem Paradies verstoßen.
Zweites Kapitel. Die Silbertruhe.
Drittes Kapitel. Die Erholungskur.
Viertes Kapitel. Der Kriminologistenklub.
Fünftes Kapitel. Eine böse Nacht.
Sechstes Kapitel. Eine Einbrecherfalle.
Siebentes Kapitel. Rafflessche Reliquien.
Achtes Kapitel. Schlusswort.
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze
Der Frauenmörder
Eine Detektivin
Hemmungslos
Der Mann, der zu viel wusste
Noch mehr Detektivgeschichten
Sherlock Holmes – Sammlung
Eine Kriminalgeschichte & Das graue Haus in der Rue Richelieu
Der Doppelmord in der Rue Morgue
Indische Kriminalerzählungen
Kriminalgeschichten
und weitere …
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Wenn ich noch weitere Geschichten von Raffles erzählen soll, kann ich nichts Besseres tun, als auf die ersten Tage unsres Zusammentreffens zurückgreifen und die aus Zartgefühl leergelassenen Blätter der vorhandenen Annalen füllen. Indem ich dies tue, fülle ich aber trotz allem nur einen kleinen Teil jener großen Leere aus, über die ich jetzt sozusagen meine Leinwand für das erste lebenswahre Porträt meines Freundes gespannt habe. Eine vollkommen getreue Darstellung kann ihm jetzt ja nicht mehr schaden. Jede Warze will ich hineinzeichnen. Raffles war, wenn man alles in Betracht zieht, ein Schurke; es könnte seinem Andenken nur schaden, wollte man diese Tatsache beschönigen. Trotzdem habe ich selbst dies bis auf den heutigen Tag getan. Viele hässliche Episoden habe ich übergangen und mich dafür ungebührlich bei der die Scharten auswetzenden Seite aufgehalten. Und wer weiß, ob ich das nicht wieder tue, geblendet, selbst während des Schreibens, von dem Zauber seines Wesens, das mir meinen Schurken lieber machte als jeden anderen Helden. Trotzdem aber will ich jetzt jede Zurückhaltung aufgeben und als Beweis dafür nicht länger ein Geheimnis aus dem größten Unrecht machen, das Raffles selbst mir je angetan hat.
Mit peinlicher Vorsicht wähle ich meine Worte, denn ich möchte meinem Freunde noch immer treu bleiben und muss doch an jene Iden des März zurückdenken, wo er mich mit verbundenen Augen in Versuchung und Verbrechen führte. Dies war allerdings eine hässliche Tat und doch moralisch nur eine Bagatelle im Vergleich zu dem heimtückischen Streich, den er mir persönlich einige Wochen später spielte. Das zweite Vergehen erwies sich zwar, wenigstens der Gesellschaft gegenüber, als das weniger schwerwiegende und hätte schon vor Jahren veröffentlicht werden können. Persönliche Gründe hatten mir indes Schweigen auferlegt. Die Angelegenheit ging nämlich nicht nur mich ganz speziell an und warf ein allzuschimpfliches Licht auf Raffles, sondern eine dritte Person war darein verflochten, die mir noch näher am Herzen lag als Raffles selbst, und deren Name durch die Verbindung mit dem unsrigen auch jetzt nicht besudelt werden soll.
Es genüge, dass ich schon vor jener tollen Märztat mit der Betreffenden verlobt gewesen war. Ihre Angehörigen nannten es allerdings nur ein »freundschaftliches Verhältnis« und sahen selbst das mit scheelen Blicken an, wozu sie übrigens auch alles recht hatten. Allein wir standen nicht direkt unter deren Autorität, sondern beugten uns ihr nur aus einer gewissen politischen Rücksicht. Zwischen uns beiden aber war alles im reinen – meine Unwürdigkeit abgerechnet. Dies kann indes nur richtig ermessen werden, wenn ich gestehe, wie weit die Sache schon gediehen war, als ich an jenem Abend einen wertlosen Scheck für meine Verluste beim Bakkarat ausgestellt und mich in meiner Not dann an Raffles gewandt hatte. Sogar nachher sah ich »sie« zwar noch manchmal, doch ließ ich durchblicken, dass mehr auf meiner Seele laste, als sie je mit mir teilen dürfe, und schließlich schickte ich ihr eben doch den Abschiedsbrief. Wie lebhaft steht jene Woche vor mir! Es war gegen Ende eines solch herrlichen Mai, wie wir ihn seither nicht mehr erlebt haben, und ich fühlte mich so unglücklich, dass ich nicht einmal die aufregenden Kricketberichte in den Zeitungen verfolgen mochte. Raffles war nämlich der einzige, der damals auf den »Lordsgrounds«, dem Hauptkricketplatz von London, einen »batsman« schlug, und doch ging ich niemals hin. Gegen den Yorkshireklub gewann er außerdem hundert »Runs«, und dies veranlasste Raffles, auf seinem Heimweg zum Albanyklub bei mir vorzusprechen.
»Wir müssen miteinander dinieren und das seltene Ereignis feiern«, sagte er. »Hundert solche Schläge können in unsrer Zeit einen wohl etwas auf den Hund bringen, und auch du, Bunny, siehst ganz so aus, als brauchtest du deinen Teil an einer anständigen Flasche. Wie wär’s, wenn wir sie uns im Café Royal Punkt acht Uhr zu Gemüt führten? Ich werde dann schon etwas früher dort sein, um Tisch und Wein zu bestellen.«
Im Café Royal erzählte ich ihm denn auch unverzüglich von der Herzensnot, in der ich mich befand. Es war das erste Mal, dass er überhaupt etwas von meinem Liebeshandel erfuhr, und ich gestand ihm alles, wenn auch erst, nachdem unsrer Flasche noch eine zweite von derselben vortrefflichen Marke gefolgt war. Raffles hörte mir mit ernster Aufmerksamkeit zu, und seine Teilnahme war umso wohltuender durch die taktvolle Kürze, womit er sie mehr andeutete als ausdrückte. Er wünschte nur, ich hätte ihn gleich von Anfang an in diese Verwicklung eingeweiht. Da ich es nicht getan, stimmte er mit mir überein, dass der einzige Ausweg ein offener und vollständiger Verzicht sei. Meine Angebetete hatte übrigens ja auch keinen Pfennig, und ich konnte auf ehrlichem Wege keinen verdienen. Ich hatte Raffles auseinandergesetzt, dass sie eine Waise sei, die den größten Teil des Jahres bei einer aristokratischen Tante auf dem Lande und den übrigen unter dem »despotischen« Dache eines aufgeblasenen Politikers in Palace Gardens verbringe. Die Tante empfand, wie ich glaube, noch immer eine heimliche kleine Schwäche für mich, wogegen ihr berühmter Bruder sich mir von Anfang an feindlich entgegengestellt hatte.
»Hektor Carruthers«, murmelte Raffles, den verhassten Namen wiederholend, während sich seine klaren, kalten Augen auf die meinigen hefteten. »Du hast wohl nicht viel von ihm zu sehen bekommen?«
»Nichts, seit einer Ewigkeit«, antwortete ich. »Ich war zwar vergangenes Jahr ein paarmal im Hause, seither aber bin ich weder zum Wiederkommen aufgefordert, noch angenommen worden, wenn ich dort Besuch machen wollte. Das alte Scheusal scheint ein Menschenkenner zu sein!«
Und bitter lachte ich in mein Glas hinein.
»Hübsches Haus, was?« sagte Raffles, sich in seiner silbernen Zigarettendose betrachtend.
»Tip top«, antwortete ich. »Du kennst doch die Häuser in Palace Gardens?«
»Nicht so gut, als ich gerne möchte, Bunny.«
»Nun, seines ist das schönste von allen – im Innern ein wahres Museum. Der alte Grobian ist ein Krösus mit einem wahrhaft fürstlich eingerichteten Haus.«
»Wie steht es mit den Fensterriegeln?« fragte Raffles so nebenher.
Ich aber prallte von der offenen Zigarettendose, die er mir während des Sprechens hinhielt, zurück. Unsre Augen begegneten sich, und in den seinigen lag jenes glitzernde Gefunkel von Mutwillen und Bosheit, jener sonnige Strahl verwegener Teufelei, der zwei Monate zuvor mein Verderben gewesen, und der mich bis zum Ende vom Liede stets in neues Verderben stürzte, so oft es ihm beliebte. Einmal aber widerstand ich doch diesem Zauber, einmal wies ich diesen strahlenden Blick mit eiserner Miene zurück. Er brauchte seine Pläne nicht laut werden zu lassen; ich las sie alle in den energischen Linien seines lebhaften, lächelnden Gesichts. Und meinen Stuhl im Eifer meines eigenen Entschlusses zurückstoßend, rief ich: »Nicht mit meinem Vorwissen! Ein Haus, wo ich Gastfreundschaft genossen – ein Haus, wo ich ›ihr‹ begegnet bin, ein Haus, wo ›sie‹ monatelang gewohnt hat! Sprich es nicht aus, Raffles, sonst stehe ich auf und laufe davon.«
»Das würde ich vor dem Kaffee und dem Likör doch lieber nicht tun«, sagte Raffles lachend. »Rauche erst eine kleine Sullivan; sie ist der beste Übergang zur Zigarre. Und nun gestatte mir die Bemerkung, dass deine Bedenken dir alle Ehre machen würden, wenn der alte Carruthers noch in dem fraglichen Hause wohnte.«
»Willst du damit sagen, dass er nicht mehr dort wohnt?«
Raffles zündete ein Streichholz an und reichte es mir zuerst. »Ich will damit sagen, mein lieber Bunny, dass man in Palace Gardens diesen Namen längst nicht mehr kennt. Du sagtest mir zu Anfang, dass du seit einem Jahre nichts mehr von diesen Leuten gehört habest. Das genügt, unser kleines Missverständnis zu erklären. Ich dachte an das Haus, und du an die Leute darin.«
»Aber wer sind denn diese Leute, Raffles? Wer hat denn das Haus jetzt gemietet, wenn der alte Carruthers wirklich ausgezogen ist, und woher weißt du denn, dass es noch immer eines Besuches wert ist?«
»Um deine erste Frage zu beantworten: Lord Lochmaben«, erwiderte Raffles, indem er Rauchringe gegen die Decke blies. »Du machst ein Gesicht, als habest du nie von ihm gehört. Da jedoch Kricket- und Rennberichte der einzige Teil deiner Zeitung ist, den du zu lesen geruhst, so kannst du nicht erwarten, mit allen neugeschaffenen Pairs auf dem laufenden zu sein. Deine andre Frage aber ist einer Antwort gar nicht wert. Wie glaubst du denn, dass ich diese Dinge erfahre? Es gehört ja doch zu meinem Beruf, sie zu wissen, und damit ist alles gesagt. Lady Lochmaben besitzt tatsächlich ebenso kostbare Diamanten wie Mrs. Carruthers, und aller Wahrscheinlichkeit nach bewahrt sie sie auch am selben Orte auf, wo Mrs. Carruthers die ihrigen aufbewahrt hat. Vielleicht kannst du mich über dieses Versteck aufklären.«
Das konnte ich denn auch zufällig, da ich von seiner Nichte wusste, dass gerade solche Dinge Mr. Carruthers’ Steckenpferd gewesen waren. Er hatte die Kniffe der Einbrecher förmlich studiert, um sie mit seinen eigenen zu überlisten. So erinnerte ich mich zum Beispiel ganz genau, dass die Fenster des Erdgeschosses sorgsam verriegelt und mit Läden verschlossen waren, und dass er an den Türen sämtlicher, auf die viereckige innere Halle mündender Zimmer extra Yaleschlösser hatte anbringen lassen, und zwar in so ungewöhnlicher Höhe, dass niemand sie vom Zimmer aus bemerkte. Des Haushofmeisters Aufgabe war es, alle diese Türen abzuschließen und die Schlüssel aufzubewahren, ehe er zu Bett ging. Den Schlüssel zum Kassenschrank aber pflegte der Hausherr selbst in ängstliche Obhut zu nehmen. Dieser Kassenschrank war seinerseits so sinnreich verborgen, dass ich ihn niemals von selbst gefunden hätte. Deutlich erinnere ich mich, wie diejenige, die ihn mir in der Unschuld ihres Herzens zeigte, mir unter Lachen versicherte, dass selbst ihre eigenen kleinen Schmucksachen jeden Abend feierlich darein verschlossen würden. Hinter der einen Seite des Bücherschranks war er in die Wand eingelassen, einzig und allein, um Mrs. Carruthers’ barbarisch-üppigen Schmuck zu bergen. Ohne Zweifel benützten diese Lochmabens ihn zum selben Zwecke, und unter den veränderten Umständen zögerte ich nicht, Raffles die gewünschte Auskunft zu geben. Ich entwarf sogar auf die Rückseite meiner Menükarte einen flüchtigen Grundriss des Erdgeschosses.
»Es war eigentlich recht schlau von dir, dass du die Art der Schlösser an den innern Türen beachtet hast«, bemerkte er, den Grundriss in die Tasche steckend. »Ob auch an der Haustüre ein Yaleschloss ist, erinnerst du dich wohl nicht?«
»Doch; es ist keines da«, konnte ich sofort antworten. »Ich weiß es zufällig, weil ich einmal den Schlüssel hatte, als – als wir miteinander ins Theater gingen.«
»Ich danke dir, lieber Freund«, sagte Raffles mitfühlend. »Das ist alles, was ich von dir wollte, Bunny, mein Junge. Eine günstigere Nacht als die heutige kann es nicht geben.«
Dies war einer seiner Aussprüche, wenn er das Schlimmste vorhatte.
Erschrocken sah ich ihn an. Unsre Zigarren waren gerade angezündet, und doch verlangte er schon seine Rechnung. Einwände zu erheben aber war unmöglich, ehe wir uns draußen auf der Straße befanden.
»Ich komme mit dir«, sagte ich, meinen Arm unter den seinigen schiebend.
»Was fällt dir ein, Bunny!«
»Warum denn nicht? Ich kenne jeden Zoll des Terrains, und da das Haus in andre Hände übergegangen ist, habe ich keine Skrupel mehr. Überdies bin ich schon einmal, wenn auch in andrem Sinne, dort eingebrochen. Wer einmal stiehlt – du weißt schon – wer A sagt, muss auch B sagen.«
Dies war von jeher meine Art gewesen, wenn mein Blut in Wallung geriet; mein Freund aber wusste diese Eigentümlichkeit wie gewöhnlich nicht zu schätzen. Schweigend kreuzten wir die Regent Street. Ich musste ihn am Ärmel packen, um meine Hand auf seinem ungastlichen Arme festzuhalten.
»Du tätest wirklich besser daran, wegzubleiben«, sagte Raffles, als wir das gegenüberliegende Trottoir erreichten. »Ich kann dich diesmal wirklich nicht brauchen.«
»Und doch glaubte ich, dir bis jetzt recht nützlich gewesen zu sein.«
»Wohl möglich, Bunny, aber ich gestehe dir ganz offen, dass ich dich heute Nacht lieber nicht bei mir haben möchte.«
»Und doch kenne ich das Terrain, und du kennst es nicht. Lass dir einen Vorschlag machen«, sagte ich. »Ich werde rasch mit dir kommen und dir den Weg zeigen, aber keinen Pfennig von der Beute annehmen.«
Ich wandte damit Raffles’ eigene neckische Art an, womit er mich stets nach seinem Willen lenkte; dass sie auch ihn jetzt zum Nachgeben bewog, entzückte mich. Raffles aber war liebenswürdig genug, sich mit einem Lachen zu fügen, wogegen ich im umgekehrten Falle nur zu leicht mit meinem Willen auch meine gute Laune einbüßte.
»O Kaninchen, du wirst deinen Anteil bekommen, ob du mich begleitest oder nicht; aber allen Ernstes, solltest du nicht lieber an das Mädchen denken?«
»Was hülfe es?« rief ich stöhnend. »Du sagtest ja selbst, mir bleibe nichts andres übrig, als sie aufzugeben. Ich bin nur froh, dass ich dies schon selbst eingesehen hatte, ehe ich dich um deine Ansicht fragte, und dass ich es ihr am Sonntag schriftlich mitgeteilt habe. Nun haben wir Mittwoch, und sie hat noch keine Silbe von sich hören lassen. Dieses Warten auf ein Wort von ihr bringt mich noch um den Verstand.«
»Du hast wohl nach Palace Gardens geschrieben?«
»Nein, ich adressierte den Brief aufs Land. Aber sie mag sein, wo sie will, eine Antwort hätte längst kommen können.«
Wir hatten den Albanyklub jetzt erreicht und blieben, die brennenden Zigarren einander zugekehrt, wie auf Verabredung vor dem Eingang stehen.
»Willst du nicht hinaufgehen und sehen, ob die Antwort nicht am Ende in deinem Zimmer liegt?« fragte er.
»Nein. Wozu auch? Was hätte es für einen Sinn, sie aufgegeben zu haben, wenn es mich wieder reute, da jetzt doch alles zu spät ist? Und es ist nun einmal zu spät, ich habe sie endgültig aufgegeben und bin entschlossen, mit dir zu kommen.«
Die Hand, die den Kricketball geschickter als irgendjemand in England zu werfen verstand, legte sich jetzt mit überraschender Schnelligkeit auf meine Schulter.
»Gut denn, Bunny, das wäre abgemacht; aber dein Blut komme über deinen eigenen Kopf, wenn die Sache schief geht. Inzwischen können wir nichts Besseres tun, als hier hineingehen, bis du deine Zigarre, wie sie es verdient, zu Ende geraucht und zum Abschluss eine Tasse Tee getrunken hast, und zwar einen Tee, dem du lernen musst Geschmack abzugewinnen, wenn du in deinem neuen Berufe vorwärts kommen willst. Sobald Mitternacht vorüber ist, soll’s losgehen, Bunny, mein Junge, und ich scheue mich nicht, dir einzugestehen, dass ich herzlich froh bin, dich bei mir zu haben.«
Die in seinen Zimmern verbrachte Wartezeit steht noch lebhaft in meiner Erinnerung. Es wird wohl die erste und letzte Stunde dieser Art gewesen sein, die ich so ganz im Bewusstsein dessen, was vor mir lag, verbringen musste. Die ganze Zeit über hatte ich rastlos das eine Auge auf die Uhr, das andre auf Raffles’ Sphinxgesicht geheftet, das zu enträtseln, er sich unbarmherzig weigerte. Er gab auch zu, dass es ein Gefühl sein müsse, wie vor einem Zweikampf. Bei meiner schwachen Erfahrung in dem Sport, dessen er vollkommen Meister war, empfand ich es als eine Prüfung, die nicht ohne inneres Beben zu ertragen war. Andrerseits aber war ich auch immer wieder ganz ich selbst, sobald ich, bildlich gesprochen, vor dem »Wicket« stand, und die Hälfte der Überraschungen, womit Raffles mich zu überfallen pflegte, hatten ihren Grund zweifellos in seiner frühzeitigen Erkenntnis dieser Tatsache.
Diesmal aber verging mir rasch und unwiederbringlich jegliche Lust an dem Plane, den ich freiwillig mit so viel Eifer erfasst hatte. Je mehr meine künstlich angefachte Begeisterung schwand, desto mehr steigerte sich mein Widerwille, jenes Haus auf diese Weise zu betreten, und wuchs mein besseres Urteilsvermögen. So mächtig indes dieser Widerwille auch wurde, so war doch das Gefühl, dass wir im Begriff standen, uns – der Eingebung des Augenblicks folgend – in ein wichtiges Unternehmen zu stürzen, noch viel stärker in mir. Diesen letzteren Skrupel wagte ich Raffles einzugestehen, und nicht häufig war meine Liebe zu ihm größer, als in dem Augenblick, da er offen zugab, es sei dies das natürlichste Gefühl der Welt. Er versicherte mir indes, dass er schon seit Monaten ein Auge auf meine Lady Lochmaben und ihre Juwelen geworfen habe. Bei mehreren Premièren habe er hinter diesen Juwelen gesessen, und längst sei beschlossen, was er davon nehmen und was er zurücklassen wolle – kurz, er habe nur noch auf jene topografischen Einzelheiten gewartet, die zufällig ich ihm zu geben in der Lage gewesen. Nun erfuhr ich auch, dass er noch verschiedene andre Häuser auf seiner Liste stehen hatte, bei denen noch diese oder jene Einzelheit zur Vervollständigung seiner Angriffspläne fehlte. Bei dem Haus des Juweliers in der Bondstreet brauchte er einen zuverlässigen Genossen – im gegenwärtigen Falle eine genaue Kenntnis des Hauses. Überdies war heute auch noch die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, wo der ermüdete Abgeordnete sich früh zu Bett zu legen pflegte.
Wie gerne möchte ich, dass die ganze Welt Raffles hätte sehen, ihm zuhören und den Duft seiner geliebten Sullivan einatmen können, während er mich in die Geheimnisse seines schändlichen Handwerks einweihte! Weder Blick, noch Sprache hätten auf eine Niederträchtigkeit schließen lassen, und was sein Rednertalent anbelangt, so werde ich in diesem Leben überhaupt nie mehr jemand finden, der sich mit Raffles messen könnte. Dabei war seine Rede nur selten mit einem Fluch gewürzt, niemals aber, soviel ich mich erinnern kann, mit einem unsauberen Wort. Er machte den Eindruck wie ein Mann, der sich soeben zum Diner angezogen hat und nicht wie einer, der von einem solchen herkommt, denn sein ziemlich langes, gelocktes Haar sah trotz dieser Länge niemals unordentlich aus, auch befanden wir uns damals noch lange nicht in den Tagen seiner weißen Haare, und sein glattes, bewegliches Gesicht zeigte nur wenige Furchen. Der Rahmen aber war noch immer jene traute Bude mit ihrer geschmackvollen Unordnung, dem geschnitzten Bücherschrank, der Anrichte und den Truhen von noch älterem Eichenholz, sowie den hier und dort an den Wänden aufgehängten Bildern von Watts und Rossetti.
Es muss ein Uhr vorüber gewesen sein, als wir in einem Hansom bis zur Kensingtonkirche fuhren, anstatt vor dem Gittertore der zum Orte unsres Verderbens führenden Straße auszusteigen. Raffles, der stets vor dem direkten Angriffe eine gewisse Scheu empfand, machte wegen eines in den »Empress Rooms« in vollem Gang befindlichen öffentlichen Balles, von wo aus während der Pausen unter Umständen gefährliche Augenzeugen in die kühle, einsame Straße strömen konnten, noch einen weiteren Umweg. Deshalb führte er mich ein Stück weit die Church Street hinauf und dann einen schmalen Durchgang entlang nach Palace Gardens. Er kannte das Haus ebenso gut als ich. Den ersten Überblick nahmen wir von der anderen Seite der Straße aus und sahen nun, dass das Haus nicht ganz dunkel war. Über der Haustüre brannte ein mattes Licht, und ein helleres im Stall, der von der Straße aus noch weiter zurücklag.
»Das ist recht ärgerlich«, sagte Raffles. »Die Damen sind irgendwo in Gesellschaft gewesen – natürlich müssen die einem wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Zu Bett gehen sie ja wohl vor den Stallknechten, aber Schlaflosigkeit ist der Fluch ihres Geschlechts und unsres Handwerks. Jemand ist übrigens noch nicht daheim: wahrscheinlich der Sohn des Hauses, aber der ist ein Bruder Leichtfuß und kommt vielleicht überhaupt nicht.«
»Ein zweiter Alick Carruthers«, murmelte ich in Gedanken an denjenigen, den ich von der ganzen Familie, glaube ich, am allerwenigsten leiden mochte.
»Die beiden könnten Brüder sein«, antwortete Raffles, der alle lockern Zeisige der Stadt kannte. »Na, Bunny, weißt du, ich bin eigentlich wieder im Zweifel, ob ich dich wirklich brauchen werde.«
»Warum denn?«
»Wenn die vordere Tür nur eingeklinkt ist und du mit dem Schloss recht hast, so gehe ich einfach hinein, als sei ich der Sohn des Hauses.« Dabei rasselte er mit dem Dietrich, den er an einer Kette bei sich trug wie ehrliche Männer ihre Drücker.
»Du vergisst die inneren Türen und den Kassenschrank.«
»Allerdings. Dort könntest du mir ja schon von Nutzen sein. Trotzdem nehme ich dich nicht gerne an solche Orte mit, wenn es nicht absolut notwendig ist, Bunny.«
»Dann erlaube, dass ich dich mitnehme«, antwortete ich und schickte mich an, über die breite, abgelegene Straße mit ihren in großen Gärten etwas zurückstehenden Häusern zu gehen, als sei das eine, uns gegenüberliegende, mein Eigentum. Ich glaubte, Raffles sei zurückgeblieben, denn ich hatte ihn nicht kommen hören, und doch stand er vor mir, als ich mich am Gittertor umwandte.
»Ich muss dich erst den richtigen Schritt lehren«, flüsterte er, den Kopf schüttelnd. »Du solltest niemals mit den Absätzen auftreten. Hier ist eine Raseneinfassung für dich: geh’ darauf, als wolltest du seiltanzen. Der Kies macht Lärm und Blumenbeete plaudern aus der Schule. Warte – ich will dich hier hinübertragen!«
Es war die Stelle, wo der Fahrweg eine Kurve machte, und da wir jetzt in dem matten, von der Türe herabfallenden Lichtschein standen, konnte der weiche, durchfurchte Kies bei jedem Schritt Alarm schlagen. Raffles aber durchquerte, mich in den Armen haltend, die gefahrbringende Stelle so leise wie ein Leopard.
»Schuhe in die Tasche – das ist das Schöne einer solchen Fußbekleidung!« flüsterte er auf der Hausstaffel. Sein leichtes Schlüsselbund klirrte kaum hörbar; ein paar Schlüssel wurden mit der Behutsamkeit eines menschenfreundlichen Zahnarztes hineingesteckt und probiert, bis der dritte uns Eingang in die Vorhalle verschaffte. Während wir dann nebeneinander auf der Matte standen und Raffles langsam die Türe zumachte, schlug im Innern eine Uhr die halbe Stunde mit einem mir so wohlbekannten, mich durchschauernden Klange, dass ich Raffles am Arm packte. Ganz das gleiche Glockenspiel hatte die halben Stunden hier verlebter Glückseligkeit begleitet. Empört schaute ich mich bei dem matten Lichte um. Hutständer und eine eichengeschnitzte Bank waren ebenfalls mit meiner Vergangenheit verknüpft. Raffles aber schaute mir jetzt lächelnd ins Gesicht, während er, mich zur Flucht auffordernd, die Türe weit offen hielt.
»Du hast mich angelogen«, stammelte ich flüsternd.
»Was fällt dir ein«, antwortete er. »Die Einrichtung ist die von Hektor Carruthers, aber das Haus ist das Haus Lord Lochmabens. Hier sieh her!«
Dabei hatte er sich hinuntergebeugt und glättete nun den zerknüllten Umschlag eines Telegramms: »Lord Lochmaben« stand, wie ich bei dem matten Lichte entzifferte, in Bleistiftzügen daraus, und sofort wurde mir alles klar. Meine Bekannten hatten ihr Haus möbliert vermietet, worüber mich jeder andre, Raffles ausgenommen, gleich anfangs aufgeklärt hätte.
»Gut«, sagte ich. »Mach die Türe zu.«
Und das tat er denn auch nicht nur ohne Geräusch, sondern er schob noch einen Riegel so leise vor, als sei er mit Gummi überzogen.
Im nächsten Augenblick waren wir an der Türe zum Arbeitszimmer beschäftigt, ich mit der winzigen Laterne und dem Petroleumfläschchen, er mit Brecheisen und Zentrumbohrer. Das Yaleschloss hatte er auf den ersten Blick bemerkt. Es war hoch oben an der Türe, mehrere Fuß über der Klinke angebracht, und der Kranz von Löchern, womit Raffles es bald umgab, befand sich auf gleicher Höhe mit seinen Augen. Die Uhr in der Halle aber schlug jetzt von neuem zweimal, dass es laut durch das stille Haus tönte, noch ehe wir uns Eingang ins Zimmer verschafft hatten.
Raffles’ nächste Maßregel bestand darin, die Glocke am Fensterladen mit einem vom Hutständer genommenen seidenen Taschentuch zu umwickeln, und uns dadurch einen Notausgang zu verschaffen, indem er zuerst den Laden und dann das Fenster selbst öffnete. Glücklicherweise war es eine windstille Nacht, und der hereinströmende Luftzug störte uns kaum. Hierauf begann Raffles seine Operationen am Kassenschrank, der, wie ich verraten hatte, hinter dem beweglichen Bücherschrank versteckt war, während ich auf der Schwelle Schmiere stand. Ich mochte etwa zwölf Minuten dort gestanden und auf die laut tickende Uhr in der Halle, sowie auf die sanfte Zahntechnik Raffles’ im Munde des Kassenschranks hinter mir gelauscht haben, als ein dritter Laut mir durch jeden Nerv zuckte. Er rührte von dem ebenfalls vorsichtigen Öffnen einer Türe im Gange über mir her.
Ich musste erst meine Lippen anfeuchten, ehe ich Raffles eine Warnung zuflüstern konnte. Aber seine Ohren hatten das Geräusch ebenso rasch, wenn nicht noch rascher erfasst. Als ich den Kopf umwandte, verdunkelte sich bereits seine Laterne, und im nächsten Augenblick fühlte ich seinen Atem an meinem Nacken. Es war jetzt selbst zum Flüstern zu spät und auch vollständig ausgeschlossen, die verstümmelte Türe zuzumachen. So blieb uns nichts andres übrig, als stehen zu bleiben, ich auf der Schwelle, Raffles dicht neben mir, während jemand mit einem Licht in der Hand die Treppe herunterschlich.
Die offene Tür zum Arbeitszimmer stand im rechten Winkel zum untersten Treppenabsatz und war einer zweiten, in die Halle führenden Treppe gerade gegenüber. Wir konnten deshalb unmöglich sehen, wer die betreffende Person war, bis sie dicht vor uns stand. Allein aus dem Rauschen des Kleides schlossen wir, dass es eine der Damen sein müsse, und zwar noch in ihrer Ball- oder Theatertoilette. Unwillkürlich wich ich zurück, als der Lichtschein in unsern Gesichtskreis flutete, doch war dieser Schein kaum einige Zoll breit vorwärtsgedrungen, als sich eine Hand fest, aber geräuschlos auf meinen Mund presste.
Dies wenigstens konnte ich Raffles nicht verargen! Schon im nächsten Augenblick hätte ich laut aufgeschrien, denn das Mädchen mit dem Licht, das Mädchen in Balltoilette bei nachtschlafender Zeit, das Mädchen mit dem abzuschickenden Briefe war das Mädchen, dem ich auf Gottes weiter Welt zuallerletzt zu begegnen gewünscht hätte – ich ein mitternächtlicher Einbrecher in dem Hause, wo ich zwar widerwillig, aber um ihretwillen eben doch empfangen worden war.
Ich dachte nicht mehr an Raffles. Ich dachte nicht mehr an den neuen, unauslöschlichen Groll, den ich jetzt gegen ihn hegte. Selbst an seine auf meinen Mund gepresste Hand dachte ich nicht eher, als bis er sie wieder wegzunehmen geruhte. Denn hier vor mir stand das einzige Mädchen, das für mich existierte. Ich hatte weder Augen noch Sinn für sonst jemand oder sonst etwas. Sie hatte uns indes weder gesehen, noch gehört, weder rechts noch links geschaut. Auf der anderen Seite der Halle aber stand ein eichenes Tischchen, und auf dieses ging sie jetzt zu. Hier befand sich ein für die zur Post zu gebenden Briefe bestimmtes Kästchen, und darauf beugte sie sich hinunter, um beim Kerzenlicht die Zeit der nächsten Leerung abzulesen.
Die Standuhr tickte und tickte geräuschvoll weiter. Das junge Mädchen hatte sich jetzt zu ihrer ganzen Höhe aufgerichtet, der Leuchter stand auf dem Tischchen, den Brief hielt sie mit beiden Händen, und auf ihrem gesenkten Gesicht lag eine solche reizende, mitleidsvolle Unschlüssigkeit, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Wie durch einen Schleier sah ich, dass sie den kaum zugeklebten Umschlag wieder öffnete und ihren Brief noch einmal durchlas, als hätte sie ihn schließlich gerne noch ein wenig geändert. Dazu war es nun freilich zu spät; aber sie nahm plötzlich eine Rose von ihrer Brust, und als sie sie mit dem Briefe ins Kuvert schob, stöhnte ich laut auf.
Wie hätte ich das wohl unterdrücken können? Der Brief war ja für mich, das wusste ich so genau, als wenn ich ihr über die Schulter gesehen hätte. Sie war treu wie Gold. Es existierten nicht zwei Männer, denen sie im Schoße der Nacht schrieb und Rosen sandte. Dies war die einzige Gelegenheit für sie, mir zu schreiben. Niemand würde von diesem Briefe erfahren. Und ihre Liebe ging so weit, dass sie die Vorwürfe, die ich mehr als reichlich verdient hatte, mit einer roten Rose milderte, die warm von ihrem eigenen warmen Herzen kam. Und hier – hier stand ich, ein ganz gemeiner Dieb, der eingebrochen hatte, um zu stehlen. Dass ich einen Laut ausgestoßen, kam mir indes erst dann zum Bewusstsein, als sie erschrocken aufschaute und jene Hände hinter mir mich an die Stelle fesselten, wo ich stand.
Sie muss uns selbst im trüben Scheine des einzigen Kerzenlichts gesehen haben. Trotzdem entschlüpfte ihr kein Laut, als sie mutig nach unserer Richtung hinschaute. Keines von uns rührte sich. Nur die Uhr in der Halle hämmerte weiter, und jedes Ticktack klang mir wie ein Trommelschlag, der uns das ganze Haus auf den Hals jagen müsse. Eine Minute verflog wie in atemlosem Traume. Und dann kam das Erwachen, und zwar durch ein heftiges Klopfen und Klingeln an der Haustüre, das uns alle im Nu zur Besinnung brachte.
»Der Sohn des Hauses!« flüsterte Raffles mir ins Ohr, während er mich zum Fenster zerrte, das er für alle Fälle zu unsrer Flucht geöffnet hatte. Nachdem er jedoch als Erster hinausgesprungen war, bannte ein gellender Ruf mich auf die Fensterbank. »Zurück! Zurück! Wir sind ertappt!« rief er, und während der einzigen Sekunde, die ich dort stand, sah ich, wie er einen Schutzmann zu Boden warf und mit einem anderen, ihm auf den Fersen folgenden über den Rasen jagte. Ein dritter kam aufs Fenster zugelaufen. Was blieb mir andres übrig, als ins Haus zurückzustürzen? Und hier in der Halle stand ich meiner verlorenen Liebe gegenüber.
Sie hatte mich bis zu diesem Augenblick nicht erkannt. Rasch flog ich auf sie zu, um sie aufzufangen, denn sie drohte zusammenzubrechen. Allein meine Berührung rief sie ins Leben zurück, und mich von sich stoßend, stammelte sie atemlos: »Sie sind es! – Sie – –!« bis ich das nicht mehr ertragen konnte und wieder dem Fenster des Arbeitszimmers zustürzte. »Nicht dort hinaus! Nicht dort hinaus!« rief sie in ihrer Herzensangst. Mit beiden Händen hielt sie mich jetzt fest. »Dort hinein! Dort hinein!« flüsterte sie, indem sie mich mit sich fortzog und auf einen Schrank unterhalb der Treppe deutete, wo Hüte und Mäntel hingen. Und sie war es auch, die, aufseufzend, die Türe hinter mir zumachte.
Im obern Stock wurden bereits Türen geöffnet, Stimmen riefen, andre antworteten, wie ein Lauffeuer ging der Alarm von Zimmer zu Zimmer. Zarte Füße trippelten in meiner nächsten Nähe den Gang entlang und die Treppe herunter. Ich weiß nicht, was mich dazu bewog, meine Schuhe wieder anzuziehen, aber ich glaube, dass ich drauf und dran war, ja mich sogar danach sehnte, meinen Schlupfwinkel zu verlassen und mich selbst auszuliefern. Was und wer mich allein davon abhielt, brauche ich nicht zu sagen. Ich hörte ihren Namen rufen. Ich hörte, wie man ihr zusprach, als sei sie in Ohnmacht gefallen. Auch die verhasste Stimme Alick Carruthers’, meiner »bête noir« erkannte ich, die rau klang, wie es von dem liederlichen Hund nicht anders zu erwarten war, die aber doch ihren Namen zu stottern wagte. Dann hörte ich, ohne sie jedoch zu verstehen, ihre leise Erwiderung auf eine Frage, die von einer ganz anderen Person in schroffem Ton an sie gerichtet wurde, und aus dem, was nun folgte, merkte ich, dass sie überhaupt nicht ohnmächtig gewesen war.
»Hinaufgelaufen ist er, Miss? Sind Sie auch ganz sicher?«