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Sie kennen Sherlock Holmes? Natürlich! Sie kennen auch Arsène Lupin? Glückwunsch! Aber kennen Sie A. J. Raffles, den berüchtigten Gentleman-Gangster? 1900 schuf Ernest William Hornung (übrigens ein Schwager des Sherlock-Holmes-Autors Arthur Conan Doyle) einen der interessantesten Köpfe der englischen Kriminalliteratur und gleichzeitig einen frühen Antihelden. A. J. Raffles hat in Oxford studiert, hat exzellente Manieren, ist ein Mann von Welt und lebt das Leben eines reichen Dandys. Er ist der Partylöwe unter den Schönen und Reichen und nutzt deren Festivitäten, um seine Beute auszukundschaften. Erleben Sie seine spannenden und äußerst unterhaltsamen Abenteuer erstmalig als E-Book. Null Papier Verlag
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Ernest William Hornung
Ein Einbrecher aus Passion
Kriminalgeschichten
Ernest William Hornung
Ein Einbrecher aus Passion
Kriminalgeschichten
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: F. Mangold EV: Verlag von J. Engelhorn, Stuttgart, 1903 (158 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962813-83-3
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Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Die Iden des März
Zweites Kapitel. Eine Aufführung in Kostüm
Drittes Kapitel. Dilettanten und Leute von Beruf
Viertes Kapitel. *Le premier pas.*
Fünftes Kapitel. Mord
Sechstes Kapitel. Ein Einbruch auf Bestellung
Siebentes Kapitel. Ein gefährlicher Besucher
Achtes Kapitel. Das Geschenk des Monarchen
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Es war eine halbe Stunde nach Mitternacht, als ich in den Albanyklub, die letzte Zufluchtsstätte, die mir meine Verzweiflung eingab, zurückkehrte. Der Schauplatz meines Verderbens war noch ziemlich in demselben Zustand, worin ich ihn verlassen hatte. Baccaratmarken lagen auf dem Tisch verstreut, und leere Gläser standen neben überfüllten Aschenschalen. Ein Fenster war geöffnet worden, um den Rauch abziehen zu lassen, aber dafür ließ es den Nebel herein. Raffles selbst hatte sich nur seines Fracks entledigt und statt dessen einen seiner unzähligen Hausröcke angezogen, und doch runzelte er die Stirn, als ob ich ihn aus dem Bette gerissen hätte.
»Etwas vergessen?« fragte er, als er mich erblickte.
»Nein«, antwortete ich, mich ohne Umstände an ihm vorbeidrängend und ihm mit einer Ungeniertheit in sein Zimmer vorausgehend, die mich selbst in Erstaunen setzte.
»Sie sind doch nicht etwa gekommen, um Revanche zu fordern? Denn die würde ich Ihnen beim besten Willen allein nicht geben können. Es tat mir selbst leid, dass die anderen …«
Wir standen uns an seinem Kamin gegenüber, als ich ihm ins Wort fiel.
»Raffles«, sagte ich, »Ihre Überraschung, dass ich so um diese Stunde zu Ihnen zurückkehre, begreife ich. Ich kenne Sie ja kaum und habe Ihr Zimmer bis heute Abend noch nie betreten. Aber ich war Ihr Leibfuchs in der Schule, und Sie sagten, Sie erinnerten sich meiner. Das ist natürlich keine Entschuldigung; aber wollen Sie mich anhören – nur zwei Minuten?«
»Gewiss, mein Lieber, solange Sie wollen. Zünden Sie sich eine Sullivan an und nehmen Sie Platz«, entgegnete er, indem er mir seine silberne Zigarettendose anbot.
»Nein«, erwiderte ich kopfschüttelnd und mit fester Stimme, »ich werde weder rauchen noch Platz nehmen, und wenn Sie gehört haben, was ich Ihnen zu sagen habe, werden Sie Ihre Einladung schwerlich wiederholen.«
»Wirklich?« antwortete er, während er sich eine Zigarette anzündete und seine klaren blauen Augen auf mich richtete. »Wie können Sie das wissen?«
»Weil Sie mir natürlich die Tür weisen werden«, rief ich bitter, »und Sie würden vollkommen recht haben, wenn Sie das täten. Aber was kann es nützen, auf den Busch zu klopfen? Sie wissen, dass ich vorhin zweihundert Pfund verloren habe.«
Er nickte.
»Und dass ich nicht so viel Geld bei mir hatte.«
»Ja, ich entsinne mich.«
»Aber ich hatte mein Scheckbuch und schrieb für jeden von euch einen Scheck dort an jenem Pulte.«
»Nun?«
»Keiner davon ist das Papier wert, worauf er geschrieben ist, Raffles. Ich habe mein Guthaben bei der Bank überschritten.«
»Doch gewiss nur für den Augenblick?«
»Nein, es ist alles fort.«
»Aber irgendjemand hat mir doch gesagt, Sie seien in ganz guten Verhältnissen und hätten geerbt.«
»Das habe ich auch – vor drei Jahren – das war eben mein Fluch, und nun ist alles hin – bis auf den letzten Heller! Ja, ich bin ein Narr gewesen, wie es keinen zweiten auf der Welt gibt oder geben wird … Genügt Ihnen das noch nicht? Warum werfen Sie mich denn nicht hinaus?«
Statt das zu tun, ging er mit sehr langem Gesicht auf und ab.
»Können denn Ihre Verwandten nichts für Sie tun?« fragte er endlich.
»Gott sei Dank!« rief ich, »Verwandte habe ich nicht. Ich war meiner Eltern einziges Kind und habe alles geerbt. Mein einziger Trost ist, dass sie dies nicht mehr erlebt haben und niemals erfahren werden.«
Bei diesen Worten warf ich mich auf einen Stuhl und verbarg mein Gesicht, während Raffles fortfuhr, auf dem reichen Teppich, der mit der ganzen Ausstattung seines Zimmers in Einklang stand, auf und ab zu gehen, ohne dass sich die Gleichmäßigkeit seiner leisen Schritte geändert hätte.
»Sie haben sich doch früher mit Literatur befasst«, sagte er endlich. »Haben Sie nicht vor Ihrem Abgang das Schulmagazin herausgegeben? Jedenfalls entsinne ich mich, dass Sie mir als Fuchs meine Verse machen mussten, und diese Art von Literatur ist ja heutigestags in der Mode. Jeder Dummkopf kann sich sein Brot damit verdienen.«
»Kein Dummkopf könnte mir meine Schulden vom Halse schreiben«, antwortete ich kopfschüttelnd.
»Sie haben aber doch irgend eine Wohnung?« fuhr er fort.
»Ja, in Mount Street.«
»Wie steht’s denn mit den Möbeln?«
In meinem Elend musste ich laut auflachen.
»Nicht ein Fußbänkchen darunter, woran nicht schon seit Monaten die Pfändungsmarke des Gerichtsvollziehers klebte!«
Als er diese Worte hörte, blieb Raffles mit emporgezogenen Augenbrauen und einem strengen Blick stehen, dem ich jetzt, wo er das Schlimmste wusste, besser begegnen konnte. Dann nahm er achselzuckend seine Wanderung wieder auf, und einige Augenblicke sprach keiner von uns ein Wort, allein in seinem schönen, starren Antlitz las ich mein Schicksal und mein Todesurteil. Mit jedem Atemzuge verwünschte ich meine Torheit und dass ich so feige gewesen war, mich überhaupt an ihn zu wenden. Weil er in der Schule als Kapitän der Cricketspieler freundlich gegen mich und ich sein Leibfuchs gewesen war, hatte ich es gewagt, auch jetzt noch auf seine Güte zu zählen; weil ich zu Grunde gerichtet und er reich genug war, den ganzen Sommer Cricket zu spielen und während des Restes des Jahres nichts zu tun, hatte ich törichterweise auf seine Nachsicht, seine Teilnahme und seine Hilfe gerechnet! Ja, ich hatte mich im Herzen trotz meiner äußerlichen Schüchternheit und Demut auf ihn verlassen, und nun geschah mir ganz recht. In seinen aufgeblähten Nüstern, der starren Kinnlade, den kalten blauen Augen, die niemals nach mir hinsahen, kam ebensowenig Milde als Teilnahme zum Ausdruck. Ich griff nach meinem Hute, erhob mich schwankend und würde ohne ein weiteres Wort gegangen sein, wenn nicht Raffles zwischen mir und der Tür gestanden hätte.
»Wo wollen Sie hin?« fragte er.
»Das ist meine Sache«, erwiderte ich. »Wollen Sie mich vorbeilassen?«
»Nicht eher, als bis Sie mir gesagt haben, wohin Sie gehen und was Sie vorhaben.«
»Können Sie das nicht erraten?« rief ich, und dann blieben wir lange einander gegenüber stehen und sahen uns in die Augen.
»Haben Sie auch den Mut dazu?« fragte er endlich in einem so cynischen Tone, dass sich der Bann, der mich umfangen hielt, löste und der letzte Tropfen meines Blutes zu kochen begann.
»Das will ich Ihnen zeigen«, antwortete ich, indem ich einen Schritt zurücktrat und den Revolver aus der Tasche riss. »Wollen Sie mich vorbeilassen, oder soll ich es hier tun?«
Die Mündung berührte meine Schläfe und der Zeigefinger den Drücker. Wahnsinnig vor Aufregung, wie ich war, zu Grunde gerichtet, entehrt, und jetzt fest entschlossen, meinem elenden, verfehlten Dasein ein Ende zu machen, ist es mir noch heute unbegreiflich, dass ich die Tat nicht auf dem Fleck vollbrachte. Der Wunsch, die verächtliche Befriedigung zu haben, einen anderen in meinen Untergang zu verwickeln, verstärkte mit seiner erbärmlichen Stimme die meiner niedrigen Selbstsucht, und noch jetzt überläuft mich ein Schauder bei dem Gedanken, dass mir die Erinnerung an einen Blick der Furcht oder des Schreckens eine hämische Genugtuung gewesen und ich glücklich gestorben sein würde, wenn sich im Angesicht meines Gefährten etwas Derartiges gezeigt hätte. Statt dessen erschien ein Ausdruck in seinen Zügen, der meine Hand lähmte. Weder Furcht noch Schreck lag darin, nur Überraschung, Bewunderung und ein solches Maß befriedigter Erwartung, dass ich meinen Revolver mit einem Fluche wieder in die Tasche steckte.
»Sie Teufel!« zischte ich. »Ich glaube, Sie wollten mich dazu bringen!«
»Da irren Sie sich«, antwortete er, leicht zusammenfahrend und mit einem Farbenwechsel, der nur etwas zu spät kam. »Um Ihnen jedoch die Wahrheit zu sagen, so glaubte ich halb und halb, Sie würden wirklich Ernst machen, und nie im Leben hat mich etwas so sehr angezogen. Dass Sie aus solchem Stoffe gemacht seien, Bunny, hätte ich mir nicht träumen lassen! Nein, ich will gehenkt werden, wenn ich Sie jetzt noch gehen lasse. Versuchen Sie aber den Scherz nicht noch einmal, denn ich würde zum zweiten Male nicht ruhig dabeistehen und zusehen. Wir müssen einen Ausweg aus der Klemme finden, aber geben Sie mir erst einmal Ihren Revolver.«
Bei diesen Worten legte er mir voll Güte eine Hand auf die Schulter, während die andre in meine Tasche glitt und sich, ohne dass ich mich widersetzt hätte, meiner Waffe bemächtigte. Das geschah nicht nur deshalb, weil Raffles, wenn er wollte, die bestrickende Gabe hatte, sich unwiderstehlich zu machen. Nie im Leben bin ich einem Menschen begegnet, der in Hinsicht auf Macht über andre den Vergleich mit ihm hätte aushalten können, aber meine Fügsamkeit entsprang doch noch anderen Umständen als der bloßen Unterwerfung der schwächeren Natur unter die stärkere. Die geringe Hoffnung, die mich nach dem Albanyklub geführt hatte, war wie durch einen Zauberschlag in ein beinahe betäubendes Gefühl der Sicherheit verwandelt worden. Raffles wollte mir doch helfen! A. J. Raffles wollte mein Freund sein! Es war, als ob sich plötzlich die ganze Welt auf meine Seite gestellt habe, und weit entfernt, mich seinem Tun zu widersetzen, ergriff ich seine Hand und drückte sie mit einer Inbrunst, deren ich ebensowenig Herr war. als des vorangegangenen Wahnsinns.
»Gott segne Sie!« rief ich aus. »Verzeihen Sie mir alles, was ich gesagt habe. Ich will Ihnen die Wahrheit bekennen. Ich glaubte wirklich, Sie würden mir in meiner Not helfen, obgleich ich wohl wusste, dass ich keine Ansprüche an Sie hatte. Indessen um der alten Schulzeiten willen dachte ich, Sie würden mir vielleicht noch eine Chance bieten. Wenn nicht, dann wollte ich mir eine Kugel durch das Hirn jagen – und das werde ich auch jetzt noch tun, falls Sie anderen Sinnes werden.«
Denn trotz seines gütigen Tones und des noch gütigeren Gebrauches meines alten Schulspitznamens fürchtete ich, dass sich eine solche Sinnesänderung vollziehe, da sein Ausdruck ein andrer wurde, während ich sprach. Seine nächsten Worte bewiesen mir jedoch, dass ich mich geirrt hatte.
»Voreilig mit Ihren Schlussfolgerungen wie ein Knabe! Ich habe meine Fehler, Bunny, aber in meinen Entschlüssen zu schwanken, gehört nicht dazu. Setzen Sie sich, mein Lieber, und zünden Sie sich eine Zigarette an; das beruhigt die Nerven. Ich bestehe darauf. – Whisky? Das Schlimmste, was Sie trinken können. Hier ist Kaffee, den ich gerade braute, als Sie kamen. Nun hören Sie mich an. Sie sprachen von ›noch einer Chance‹. Was meinen Sie damit? Noch eine Chance, Baccarat zu spielen? Mit meiner Zustimmung gewiss nicht. Sie glauben, das Glück müsse sich wenden. Aber nehmen wir einmal an, es wende sich nicht! Dann machten wir eine schlimme Lage nur noch schlimmer. Nein, lieber Freund, Sie haben genug über die Stränge geschlagen. Wollen Sie sich ganz in meine Hand geben, oder nicht? – Gut, dann wird nicht mehr gespielt, und ich verpflichte mich, meinen Scheck nicht einzukassieren. Aber unglücklicherweise haben noch andre Leute welche in Händen, und das Schlimmste ist, Bunny, dass ich im Augenblick ebenso tief darin stecke, als Sie.«
Jetzt kam an mich die Reihe, Raffles anzustarren. »Sie?« stieß ich hervor, »Sie stecken in der Klemme? Wie kann ich das glauben, wenn ich mich hier umsehe?«
»Habe ich Ihnen den Glauben verweigert?« erwiderte er lächelnd. »Und nehmen Sie angesichts Ihrer eigenen Erfahrung an, dass ein Mensch notwendigerweise ein Guthaben bei der Bank haben muss, weil er eine Wohnung in diesem Hause hat, zu ein paar Klubs gehört und ein bisschen Cricket spielt? Ich versichere Ihnen, mein Lieber, dass ich in diesem Augenblick in ebenso großer Geldverlegenheit bin, als Sie es jemals waren. Ich lebe nur von meiner Schlauheit – von weiter nichts. Für mich war es ebenso notwendig, heute Abend ein paar Groschen zu gewinnen, als für Sie. Wir segeln in demselben Boot, Bunny; und es wäre ratsam, wenn wir zusammen ruderten.«
»Zusammen?« rief ich, mit beiden Händen zugreifend. »Ich will alles für Sie tun, Raffles, was Sie verlangen können«, sagte ich, »wenn es Ihr Ernst war, dass Sie mich nicht im Stiche lassen wollen. Schlagen Sie mir vor, was Sie wollen – ich werde es tun! Als ich hierher kam, war ich ein Verzweifelter, und das bin ich noch jetzt in demselben Maße. Was ich tue, ist mir einerlei, wenn ich mir nur ohne Skandal aus dieser Klemme helfen kann.«
Noch jetzt sehe ich ihn vor mir, wie er sich auf einem der prächtigen Stühle zurücklehnte, womit sein Zimmer ausgestattet war. Ich sehe seine lässige, athletische Gestalt, seine bleichen, scharfgeschnittenen, glattrasierten Züge, seine lockigen schwarzen Haare, seinen kräftigen, gewissenlosen Mund, und wieder fühle ich, wie der klare Strahl seiner wunderbaren Augen kalt und leuchtend gleich einem Sterne in mein Hirn dringt – und die geheimsten Geheimnisse meines Herzens ergründet.
»Ich möchte wissen, ob das alles Ernst ist«, sagte er endlich. »In Ihrer gegenwärtigen Stimmung gewiss, aber wer kann bis zum letzten Augenblick für seine Stimmung einstehen? Wenn jedoch ein Mensch diesen Ton anschlägt, darf man das Beste hoffen. Darüber fällt mir ein, dass Sie in der Schule ein ganz schneidiges Kerlchen waren und mir einmal einen großen Dienst geleistet haben. Wissen Sie noch, Bunny? Na, warten Sie mal, vielleicht kann ich Ihnen einen noch größeren erweisen. Lassen Sie mir nur Zeit, die Sache zu überlegen.«
Nach diesen Worten erhob er sich, zündete sich eine frische Zigarette an und begann wieder im Zimmer auf und ab zu gehen, aber mit langsameren und bedächtigeren Schritten und viel länger als vorher. Zweimal blieb er an meinem Stuhle stehen, als ob er im Begriffe sei, zu sprechen, allein jedes Mal besann er sich anders und nahm seine Wanderung schweigend wieder auf. Einmal riss er das Fenster auf, das er vor einiger Zeit geschlossen hatte, und blieb, sich in den den Hof des Albanyklubs füllenden Nebel hinauslehnend, ein paar Augenblicke daran stehen. Inzwischen schlug eine auf dem Kaminsims stehende Uhr eins, dann halb Zwei, und noch war kein Wort wieder zwischen uns gewechselt.
Trotzdem blieb ich geduldig auf meinem Stuhle sitzen, ja ich erlangte sogar einen gar nicht zu den Umständen passenden Gleichmut. Unbewusst hatte ich meine Bürde auf die breiten Schultern dieses herrlichen Freundes geladen, und meine Gedanken folgten meinen wandernden Augen, während die Zeit dahinging. Das geräumige Zimmer bildete ein Viereck und trug mit seinen Flügeltüren und dem marmornen Kaminsims den Stempel der dem Albanyklub eigentümlichen, etwas düsteren, altmodischen Vornehmheit. Es war allerliebst ausgestattet und eingerichtet, mit dem richtigen Maß von künstlicher Unregelmäßigkeit und gutem Geschmack. Was mir jedoch am meisten auffiel, das war das Fehlen der gewöhnlichen Merkmale, die meist die Wohnung eines Cricketspielers kennzeichnen. Statt des üblichen Gestells mit stark gebrauchten Schlaghölzern nahm ein wohlgefüllter Bücherschrank von geschnitztem Eichenholz den größeren Teil einer Wand ein, und wo ich Gruppenbilder von Cricketspielern zu finden erwartete, sah ich Darstellungen von »Liebe und Tod« und dergleichen in staubigen Rahmen. Der Bewohner hätte ein Dichterling statt eines Athleten vom reinsten Wasser sein können. Allein in Raffles’ komplizierter Natur hatte der Sinn für Ästhetik stets eine hervorragende Rolle gespielt; einige von diesen Bildern hatte ich selbst in seinem Arbeitszimmer in der Schule abgestäubt, und sie erinnerten mich an eine andre Seite seines vielseitigen Wesens – und an den kleinen Vorfall, den er eben angedeutet hatte.
Jedermann weiß, wie sehr der Ton einer Schule von dem der Elf – der Cricketspieler – und ganz besonders vom Charakter des Cricketkapitäns bestimmt wird, und ich habe es niemals bestreiten hören, dass unser Ton zu A. J. Raffles’ Zeit gut, oder dass der Einfluss, den auszuüben er sich die Mühe gab, ein günstiger gewesen sei. Trotzdem flüsterte man sich in der Schule zu, er durchstreife die Stadt bei Nacht in einem grellkarierten Anzug und mit einem falschen Barte. Man flüsterte sich das zu, aber man glaubte es nicht. Mir allein war es als Tatsache bekannt, denn Nacht für Nacht hatte ich das Seil hinter ihm in die Höhe gezogen, wenn der Rest des Schlafsaals in tiefem Schlummer lag, und war stundenlang wach geblieben, um es ihm auf ein gegebenes Zeichen wieder hinunterzulassen. Eines Abends war er tollkühn gewesen, sodass er um ein Haar in der Blütezeit seines Ruhmes schmählich aus der Schule gejagt worden wäre. Seine unglaubliche Kühnheit und außerordentliche Kaltblütigkeit, denen zweifellos meine Geistesgegenwart zu Hilfe kam, wandten indes diese unangenehmen Folgen ab, und der wenig ehrenvolle Zwischenfall konnte mit dem Mantel des Schweigens bedeckt werden. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich ihn vergessen hätte, als ich mich in meiner Verzweiflung an das Mitleid dieses Mannes klammerte, und ich fragte mich gerade, inwieweit ich seine Nachsicht dem Umstand zu verdanken hätte, dass auch er sich seiner erinnerte, als er stehen blieb und sich wieder über meinen Stuhl neigte.
»Ich dachte eben an die Nacht, wo wir beide um ein Haar abgefasst worden wären«, begann er. »Warum fahren Sie zusammen?«
»Weil ich in diesem Augenblick auch daran dachte.«
»Sie waren damals ein kleiner Racker von der rechten Sorte, Bunny«, fuhr er lächelnd fort, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. »Sie hielten reinen Mund und waren kein Feigling; Sie stellten keine Fragen und schwatzten nicht aus der Schule. Ich möchte wohl wissen, ob Sie jetzt noch ebenso sind.«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete ich, durch seinen Ton etwas verblüfft. »Ich habe meine eigenen Angelegenheiten so gründlich verpfuscht, dass ich mir ebensowenig traue, als andre Leute mir trauen werden. Aber trotzdem habe ich nie im Leben einen Freund im Stiche gelassen, das kann ich wohl sagen, sonst wäre ich heute Abend vielleicht nicht in einer so verfluchten Klemme.«
»Sehr richtig«, sagte Raffles, vor sich hinnickend, als ob er einen geheimen Gedankengang bestätigt finde, »sehr richtig. So stehen Sie mir auch in der Erinnerung, und ich wette meinen Kopf, dass das heute noch ebenso wahr ist, als vor zehn Jahren. Wir ändern uns nicht, Bunny, wir entwickeln uns nur. Weder Sie noch ich sind wirklich anders geworden als damals, wo Sie mir das Seil herunterließen und ich hinaufkletterte. Für einen Kameraden würden Sie vor nichts zurückschrecken – nicht wahr?«
»Vor nichts in der Welt!« rief ich begeistert aus.
»Selbst nicht vor einem Verbrechen?« fragte Raffles lächelnd.
Nachdenklich zögerte ich; sein Ton war anders geworden, aber ich war sicher, dass er mich nur necken wollte. Und doch schien in seinen Augen so viel Ernst zu liegen, als immer, und ich war nicht in der Stimmung, Vorbehalte zu machen.
»Nein, selbst nicht davor«, erklärte ich. »Sagen Sie mir, um welches Verbrechen es sich handelt, und ich bin der Ihre.«
Einen Augenblick sah er mich erstaunt, dann zweifelnd an und schüttelte mit dem leisen cynischen Lachen, das ihm so eigentümlich war, den Kopf, als ob er die Sache von sich weisen wolle.
»Sie sind ein netter Kerl, Bunny! Ein richtiger verzweifelter Charakter – he! Im einen Augenblick Selbstmord, im nächsten jedes beliebige Verbrechen, das ich vorschlage. Was Ihnen fehlt, mein Junge, ist ein Hemmschuh, und Sie haben wohl daran getan, sich an einen anständigen, die Gesetze achtenden Bürger zu wenden, der einen guten Ruf zu verlieren hat. Aber trotzdem müssen wir das Geld diese Nacht haben – es mag biegen oder brechen.«
»Diese Nacht, Raffles?«
»Je früher, desto besser. Jede Stunde nach zehn Uhr morgens ist gefährlich. Wenn einer von Ihren Schecks bis zu Ihrer Bank gelangt, wird die Zahlung verweigert, und Sie sind entehrt. Nein, wir müssen uns das Geld diese Nacht verschaffen und morgen Vormittag, so bald als möglich, ein neues Konto für Sie eröffnen lassen. Und ich glaube zu wissen, wo wir das Zeug bekommen können.«
»Um zwei Uhr nachts.«
»Ja.«
»Aber wie – wo – zu dieser Stunde?«
»Bei einem meiner Freunde hier in Bond Street.«
»Das muss ein sehr intimer Freund sein.«
»Intim ist nicht das rechte Wort, aber ich kann bei ihm ein und aus gehen und habe einen eigenen Schlüssel zu seiner Wohnung.«
»Und Sie wollen ihn mitten in der Nacht heraustrommeln?«
»Wenn er zu Bett liegt, ja.«
»Ist es nötig, dass ich Sie begleite?«
»Unbedingt.«
»Dann kann’s nichts helfen, aber ich muss gestehen, dass mir der Gedanke sehr wenig gefällt, Raffles.«
»Ziehen Sie die andre Alternative vor?« fragte mein Genosse mit einem höhnischen Grinsen. »Nein, zum Henker, das war unrecht«, rief er reuig in demselben Atemzuge. »Ich begreife Sie sehr wohl, denn ich weiß, dass es eine furchtbare Probe ist; allein dass Sie draußen stehen bleiben, ist ganz unmöglich. – Ich will Ihnen etwas sagen, Sie sollen eine kleine Aufmunterung haben – aber nur eine. Hier ist der Whisky und da ein Siphon. Ich will einen Mantel umnehmen, während Sie sich ein Glas zurechtmachen.«
Das tat ich denn auch, und zwar war ich nicht allzu bescheiden dabei, denn dieser Plan war mir darum nicht weniger widerwärtig, dass ihm, wie es schien, nicht aus dem Wege zu gehen war. Indessen muss ich einräumen, dass er, noch ehe mein Glas leer war, viel von seinem Schrecken verloren hatte. Inzwischen trat Raffles wieder ein. Ein Mantel verhüllte seine bunte Flanelljacke und ein weicher Filzhut war nachlässig auf seinen Lockenkopf gestülpt, den er lächelnd schüttelte, als ich ihm die Flasche reichte.
»Wenn wir wieder hier sind«, sagte er. »Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Sehen Sie wohl, welches Datum wir haben?« fügte er hinzu, indem er ein Blatt von seinem Wandkalender abriss, während ich mein Glas leerte. »Der 15. März. ›Des Märzen Iden, des Märzen Iden!‹ Vergessen Sie das nicht. He, Bunny, mein Junge, die werden Sie nicht vergessen, wie?«
Lachend warf er eine Schaufel Kohlen aufs Feuer, bevor er wie ein sorglicher Hausvater das Gas klein drehte, und so verließen wir das Zimmer, als die Uhr auf dem Kaminsims Zwei schlug.
*
Piccadilly lag wie ein mit kaltem weißem Nebel gefüllter, vom verschwommenen Schein der Laternen eingefasster und mit einer dünnen Schicht klebrigen Schmutzes bedeckter Graben vor uns. Wir begegneten keiner Menschenseele auf dem verlassenen Bürgersteig und wurden von dem Schutzmann, der den Dienst im Stadtviertel hatte, mit einem sehr scharfen Blick beehrt, aber auch durch eine Berührung des Helmes begrüßt, als er meinen Begleiter erkannte.
»Die Polizei kennt mich, wie Sie sehen«, bemerkte Raffles lachend, als wir weitergingen. »Arme Teufel! In einer Nacht wie diese heißt’s aufpassen! Für Sie und mich mag ein Nebel eine Unannehmlichkeit sein, Bunny, aber er ist eine wahre Gottesgabe für die Verbrecher, besonders so spät im Jahre. Aber hier sind wir an Ort und Stelle – und ich will mich hängen lassen, wenn der Mensch nicht doch im Bett liegt und schläft!«
Wir waren in Bond Street eingebogen und standen jetzt auf der rechten Seite ein paar Schritte von der Ecke am Randstein des Bürgersteigs. Raffles schaute nach einigen Fenstern auf der anderen Seite der Straße empor, Fenster, die durch den Nebel kaum zu erkennen waren, denn nicht der geringste Lichtschimmer hob sie aus ihrer Umgebung hervor. Sie lagen über einem Juwelierladen, wie ich an dem Guckloch in der Tür und dem dahinter brennenden hellen Licht sah, aber der ganze obere Teil nebst der neben dem Laden gelegenen Haustür war so schwarz als der Himmel selbst.
»Wollen wir’s nicht für diese Nacht aufgeben?« drängte ich. »Morgen früh haben wir noch Zeit genug.«
»Keineswegs«, entgegnete Raffles. »Ich habe seinen Schlüssel, und wir wollen ihn überraschen. Vorwärts!«
Bei diesen Worten ergriff er mich am rechten Arm, zog mich eilig über die Straße und öffnete die Tür mit seinem Drücker, um sie im nächsten Augenblick rasch, aber geräuschlos hinter uns zu schließen. Nun standen wir zusammen im Dunkeln. Draußen näherten sich gemessene Schritte, die wir schon beim Überschreiten der Straße durch den Nebel gehört hatten. Jetzt, wo sie deutlicher wurden, umklammerten Raffles’ Finger meinen Arm fester.
»Vielleicht ist er es selbst«, flüsterte er. »Er ist ein Satan von einem Nachtvogel. Keinen Laut, Bunny! Wir wollen ihn zu Tode erschrecken. – Ah!«
Die taktmäßigen Schritte waren vorübergegangen, ohne anzuhalten. Raffles holte tief Atem, und seine Finger, die meinen Arm so seltsam umspannt hatten, lösten sich.
»Aber trotzdem keinen Laut!« fuhr er in demselben Flüstertone fort. »Wir wollen ihn regelrecht überraschen, wo er auch sein mag. Ziehen Sie Ihre Schuhe aus und folgen Sie mir.«
Der Leser wird sich wundern, dass ich tat, wie mir geheißen wurde, aber er kennt eben A. J. Raffles nicht. Die Hälfte seiner Macht lag in der verbindlichen Art, in der er den Gebieter hinter dem Führer zurücktreten ließ, und es war geradezu unmöglich, einem Manne nicht zu folgen, der mit solchem Feuer führte. Als ich hörte, wie er seine Schuhe abstreifte, tat ich dasselbe und stieg hinter ihm die Treppe empor, noch ehe ich mir klar gemacht hatte, welch ein ungewöhnliches Vorgehen es sei, mitten in der Nacht jemand zu besuchen, von dem man Geld erbitten wollte. Augenscheinlich aber stand Raffles auf außerordentlich vertrautem Fuße mit ihm, und ich konnte gar nicht anders als annehmen, dass solche Schabernacke zwischen ihnen gang und gäbe seien.
So langsam tasteten wir uns die Treppe hinan, dass ich Zeit hatte, mancherlei zu beobachten, bevor wir oben anlangten. Auf der Treppe lag kein Läufer, die ausgespreizten Finger meiner rechten Hand fühlten nichts auf der feuchten Wand, während die meiner linken mir verrieten, dass dicker Staub auf der Handleiste des Geländers lag. Eine unheimliche Empfindung hatte sich meiner bemächtigt, seit wir in dem Hause waren, und diese verstärkte sich mit jeder Stufe, die wir erstiegen. Was für ein Einsiedler war das, den wir in seiner Zelle erschrecken wollten?
Jetzt kamen wir an einen Absatz. Das Geländer wandte sich nach links und abermals nach links. Noch vier Stufen, dann standen wir wieder auf einem neuen, längeren Absatz, und plötzlich flammte ein Streichholz in der schwarzen Finsternis auf. Von seinem Anreiben hatte ich nicht das Geringste gehört. Der Schein war blendend; als sich meine Augen jedoch daran gewöhnt hatten, sah ich Raffles, das Streichholz mit einer Hand hoch haltend und mit der anderen beschattend, zwischen kahlen Bretterwänden und den offenen Türen leerer Zimmer stehen.
»Wohin haben Sie mich geführt?« rief ich. »Das Haus ist ja nicht bewohnt.«
»Bst! Warten Sie!« flüsterte er, indem er mir in eins der leeren Zimmer vorausging. Sein Streichholz erlosch, als wir die Schwelle überschritten, und er strich ohne das geringste Geräusch ein andres an. Nun kehrte er mir den Rücken und machte sich mit etwas zu schaffen, das ich nicht sehen konnte; allein als er das zweite Streichholz wegwarf, leuchtete statt dessen ein andres Licht und ein schwacher Ölgeruch machte sich bemerkbar. Ich trat vor, um einen Blick über seine Schulter zu werfen; aber ehe ich das tun konnte, drehte er sich um und ließ den Schein einer winzigen Laterne auf mein Gesicht fallen.
»Was ist das?« stammelte ich mit stockendem Atem. »Was für einen faulen Streich führen Sie im Schilde?«
»Er ist schon gespielt«, antwortete er mit einem ruhigen Lachen.
»Gegen mich?«
»Ich fürchte, ja, Bunny!«
»Es ist also niemand im Hause?«
»Niemand außer uns beiden.«
»Was Sie von einem Freund in Bond Street sagten, der uns das Geld geben würde, war also weiter nichts als Schwindel?«
»Doch nicht ganz. Es ist vollkommen wahr, dass Danby mein Freund ist.«
»Danby?«
»Der Juwelier unten.«
»Was meinen Sie?« flüsterte ich zitternd wie Espenlaub, als die Erkenntnis seiner wahren Absicht in mir empordämmerte. »Werden wir das Geld von dem Juwelier erhalten.«
»Nun, das nicht gerade.«
»Was denn?«
»Geldeswert – aus seinem Laden.«
Weitere Fragen waren überflüssig, denn mir war alles klar, ausgenommen meine eigene Blindheit. Ein Dutzend Anspielungen hatte er gemacht, und ich hatte keine durchschaut. Und nun stand ich in dem leeren Zimmer vor ihm und starrte ihn an, und er stand mit seiner Blendlaterne mir gegenüber und lachte mich aus.
»Ein Einbrecher!« keuchte ich. »Sie – Sie?«
»Ich sagte Ihnen ja, dass ich von meiner Schlauheit lebe.«
»Warum haben Sie mir Ihre Absicht nicht mitgeteilt? Weshalb haben Sie mir nicht getraut? Warum war es nötig, mich zu belügen?« fragte ich, denn trotz meines Abscheus fühlte ich mich empfindlich verletzt.
»Ich wollte es Ihnen eigentlich sagen«, antwortete er, »und war mehr als einmal drauf und dran, es zu tun. Sie entsinnen sich doch, wie ich wegen eines Verbrechens bei Ihnen auf den Busch klopfte, obgleich Sie wahrscheinlich vergessen haben, was Sie darauf antworteten. Ich glaubte auch nicht, dass es Ihr Ernst war, allein ich gedachte Sie auf die Probe zu stellen. Jetzt sehe ich, dass ich recht hatte, aber ich verdenke Ihnen das nicht. Mich allein trifft die Schuld. Machen Sie sich aus dem Staub, mein lieber Junge, so rasch Sie können, und überlassen Sie die Sache mir. Verraten werden Sie mich doch wohl nicht, was Sie auch sonst tun mögen!«
O, seine Schlauheit, seine satanische Schlauheit! Hätte er Drohungen, Zwang und Hohn angewandt, wäre vielleicht alles anders gekommen, aber er stellte es mir anheim, ihn im Stiche zu lassen. Selbst zur Verschwiegenheit suchte er mich nicht zu verpflichten; er traute mir einfach. Meine schwachen, wie meine starken Seiten kannte er ganz genau und mit Meisterhand wusste er sich ihrer zu bedienen.
»Nicht so hitzig«, sagte ich. »Habe ich Sie auf diesen Gedanken gebracht, oder würden Sie es auf jeden Fall getan haben?«
»Nicht auf jeden Fall«, antwortete Raffles. »Den Schlüssel habe ich allerdings seit einigen Tagen, allein als ich heute Abend gewann, gedachte ich die Sache aufzugeben, denn, um die Wahrheit zu sagen, es ist ein Unternehmen, zu dessen Ausführung mehr als einer gehört.«
»Das entscheidet die Frage – ich bin der Ihre.«
»Im Ernst?«
»Ja – für diese Nacht.«
»Guter alter Bunny!« murmelte er, mir die Laterne einen Augenblick vors Gesicht haltend. Darauf setzte er mir seinen Plan auseinander, und ich nickte, als ob wir unser ganzes Leben lang Einbrüche miteinander begangen hätten.
»Ich kenne den Laden, denn ich habe ein paar Sachen dort gekauft«, flüsterte er, »und ich kenne auch den oberen Teil des Hauses. Er ist seit einem Monat zu vermieten, und ich habe mir eine Anweisung zur Besichtigung der Wohnung verschafft und einen Abdruck des Schlüssels genommen, ehe ich davon Gebrauch machte. Das einzige, was ich noch nicht weiß, ist, wie man von oben in den Laden gelangt; gegenwärtig besteht keine Verbindung. Vielleicht könnten wir sie von hier aus herstellen, aber ich würde dem Kellergeschoss den Vorzug geben. Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, kann ich mich bestimmt aussprechen.«
Bei diesen Worten stellte er die Laterne auf den Fußboden und schlich an eins der Hinterfenster, das er fast geräuschlos öffnete, aber nur um kopfschüttelnd zurückzukehren, nachdem er es mit derselben Vorsicht geschlossen hatte.
»Das war unsre einzige Möglichkeit«, sagte er. »Hinterfenster über Hinterfenster, aber es ist so dunkel, dass man nichts sehen kann, und draußen Licht zu zeigen, dürfen wir nicht wagen. Folgen Sie mir nach dem Kellergeschoss und vergessen Sie nicht, dass wir so wenig Geräusch als möglich machen dürfen, obgleich keine Menschenseele im Hause ist. Da – da – hören Sie wohl?«
Es war derselbe taktmäßige Schritt, den wir vorhin auf den Platten des Bürgersteigs vernommen hatten. Raffles verdunkelte seine Laterne, und wieder blieben wir regungslos stehen, bis der Schritt vorbei war.
»Entweder ein Schutzmann«, murmelte er, »oder ein Privatwächter, den sich diese Juweliere zusammen halten. Der Wächter ist der Mann, den wir beobachten müssen, denn er wird dafür bezahlt, solche Unternehmungen zu verhindern.«
Leise schlichen wir die Treppe hinab, die trotz aller Vorsicht etwas knarrte. Nachdem wir im Flur unsre Schuhe aufgenommen hatten, stiegen wir einige schmale Stufen hinunter, an deren Fuß Raffles seine Laterne öffnete, seine Schuhe wieder anzog und mich aufforderte, dasselbe zu tun, wobei er lauter sprach, als er es sich oben gestattet hatte. Wir waren jetzt ziemlich tief unter dem Niveau der Straße in einem kleinen Raume, der ebenso viele Türen als Wände hatte. Drei von diesen klafften, und wir sahen durch sie in leere Keller, allein die vierte war verschlossen und verriegelt. Durch diese gelangten wir sehr bald auf den Boden eines tiefen viereckigen mit Nebel gefüllten Schachtes.
Eine ähnliche Tür lag in der entgegengesetzten Wand des kleinen Höfchens vor uns. Raffles hielt die Laterne, sie mit seinem Körper beschattend, dicht daran, und dann brachte ein kurzes plötzliches Krachen meinen Herzschlag zum Stocken. Im nächsten Augenblick stand die Tür weit offen, und Raffles winkte mir mit einem Brecheisen.
»Tür Nummer eins«, flüsterte er. »Der Teufel weiß, wie viele es noch sein mögen, aber mindestens zwei sind mir bekannt. Viel Lärm wird’s dabei auch nicht geben, und hier unten hat das weniger zu bedeuten.«
Jetzt standen wir am Fuße einer schmalen Steintreppe, dem genauen Gegenstück derjenigen, welche wir eben herabgekommen waren. Das Höfchen oder der Schacht bildete das Bindeglied zwischen den Wohn- und den Geschäftsräumen; allein diese Treppe führte nicht in einen offenen Gang, sondern wir sahen uns auf der obersten Stufe einer sehr starken Mahagonitür gegenüber.
»Das dachte ich mir«, murmelte Raffles, mir die Laterne reichend und einen Ring mit Dietrichen in die Tasche steckend, nachdem er sie eine Weile am Schlosse versucht hatte. »Hier durchzukommen, wird uns eine Stunde Arbeit kosten.«