Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Sie kennen Sherlock Holmes? Natürlich! Sie kennen auch Arsène Lupin? Glückwunsch! Aber kennen Sie A. J. Raffles, den berüchtigten Gentleman-Gangster? 1900 schuf Ernest William Hornung (übrigens ein Schwager des Sherlock-Holmes-Autors Arthur Conan Doyle) einen der interessantesten Köpfe der englischen Kriminalliteratur und gleichzeitig einen frühen Antihelden. A. J. Raffles hat in Oxford studiert, hat exzellente Manieren, ist ein Mann von Welt und lebt das Leben eines reichen Dandys. Er ist der Partylöwe unter den Schönen und Reichen und nutzt deren Festivitäten, um seine Beute auszukundschaften. Erleben Sie seine spannenden und äußerst unterhaltsamen Abenteuer erstmalig als E-Book. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 307
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ernest William Hornung
Raffles als Richter
Kriminalroman
Ernest William Hornung
Raffles als Richter
Kriminalroman
(Mr Justice Raffles)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Berta Pogson EV: Verlag von J. Engelhorns Nachf., Stuttgart, 1912 (288 S.) 2. Auflage, ISBN 978-3-962813-86-4
null-papier.de/angebote
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Ein Begrüßungsschmaus
Zweites Kapitel. Ertappt
Drittes Kapitel. Kriegsrat
Viertes Kapitel. Unser Shylock
Fünftes Kapitel. Verschwunden
Sechstes Kapitel. Kamilla Belsize
Siebentes Kapitel. Eine verlorene Partie
Achtes Kapitel. Die Lage der Dinge
Neuntes Kapitel. Ein Dreibund
Zehntes Kapitel. Ich halte zu Raffles durch dick und dünn
Elftes Kapitel. Ein Streich im Dunkeln
Zwölftes Kapitel. Das Werk einer Sommernacht
Dreizehntes Kapitel. Überlistet
Vierzehntes Kapitel. Corpus delicti
Fünfzehntes Kapitel. Raffles’ Verhör
Sechzehntes Kapitel. Wache
Siebzehntes Kapitel. Ein heimlicher Dienst
Achtzehntes Kapitel. Eines Sünders Tod
Neunzehntes Kapitel. Rechtfertigung
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze
Der Frauenmörder
Eine Detektivin
Hemmungslos
Der Mann, der zu viel wusste
Noch mehr Detektivgeschichten
Sherlock Holmes – Sammlung
Eine Kriminalgeschichte & Das graue Haus in der Rue Richelieu
Der Doppelmord in der Rue Morgue
Indische Kriminalerzählungen
Kriminalgeschichten
und weitere …
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Raffles war aus dem Umkreis von London verschwunden, und selbst ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er sich aufhielt, bis ich ein Telegramm von ihm bekam, in dem er mich bat, ihn am nächsten Abend um sieben Uhr einunddreißig am Bahnhof Charing Cross abzuholen. Das war am Dienstag vor dem großen Universitäts-Kricketmatch und volle vierzehn Tage nach seinem rätselhaften Verschwinden. Die Depesche kam aus Karlsbad, dem unglaublichsten Ort der Welt für einen so gesunden Menschen wie Raffles, und es konnte wohl nur einen Grund geben, der ein solches Bild physischer Kraft und Gesundheit an diesen bösen Platz geführt hatte. Zu meinem Entsetzen aber entstieg am Mittwoch Abend dem Zug anstatt des kraftvollen, gesundheitstrotzenden Mannes, den ich zu sehen erwartet hatte, eine einer Leiche ähnliche Karikatur.
»Sprich keinen Ton, mein lieber Bunny, bis ich einige Bissen Roastbeef zu mir genommen habe«, sagte er mit matter, tonloser Stimme, die völlig im Einklang mit seinen hohlen Wangen stand. »Nein, jetzt mag ich mich nicht mehr mit dem Gepäck aufhalten; das besorgst du als guter alter Kamerad wohl morgen früh für mich, nicht, Bunny?«
»Natürlich, wann du willst«, sagte ich und schob meinen Arm durch den seinen. »Wo wollen wir nun dinieren? Bei Kellner? Neapolo? Im Carlton oder im Klub?«
Raffles schüttelte den Kopf.
»Ein Diner herunteressen mag ich nicht«, sagte er, »ich weiß schon, was ich möchte.«
So führte er mich aus dem Bahnhof in die Stadt hinein. Behaglich schlendernd schritten wir durch die Straßen; einmal blieb er stehen, um über Trafalgar Square hinweg in die Sonne zu starren. Wohlig atmete er den Teergeruch des sonnenwarmen Holzpflasters ein, der für seine Nase einen ebenso lieblichen Duft enthielt, wie der Lärm des Straßenverkehrs seinen Ohren Musik bedeutete. Wir kamen dann an einen der politischen Paläste, die sich herablassend in der Liste der Klubs mit aufzählen lassen. Zu meinem Erstaunen trat Raffles ein, als sei die ganze prächtige Marmorhalle sein eigen; sicher schritt er gerade hindurch auf den Grillroom zu, wo Köche mit weißen Mützen auf silbernen Rosten zischende Speisen bereiteten. Er fragte mich nicht, was wir essen wollten; das hatte er sich wohl bereits im Zuge überlegt. Er wählte das Filetsteak selbst aus, bestand darauf, die Nieren zu sehen, und fügte noch ein paar Worte über die Bratkartoffeln hinzu, wie auch über das »Welsh Rarebit«, das als Nachspeise folgen sollte. Alles dies sah dem normalen Raffles, der bei Tisch sonst nicht schwer zu befriedigen war, ebensowenig ähnlich wie der tiefe Seufzer, mit dem er sich mir gegenüber in den Sessel fallen ließ, um dann die Arme auf dem Tisch zu kreuzen.
»Ich wusste gar nicht, dass du hier Mitglied bist«, sagte ich, weil diese Entdeckung mich wirklich in Aufregung versetzte, aber auch weil dieses Thema mir unverfänglicher erschien als die Frage nach seiner letzten geheimnisvollen Fahrt.
»Es gibt noch so manches, was du von mir nicht weißt, Bunny«, gab er müde zurück. »Wusstest du zum Beispiel, dass ich in Karlsbad war?«
»Nein.«
»Und doch entsinnst du dich wohl des letzten Abends, an dem wir zusammen saßen?«
»Du meinst den Abend, als wir im Savoy zu Nacht aßen?«
»Das ist kaum drei Wochen her.«
»Mir scheinen es ebenso viele Monate.«
»Und mir Jahre!« rief Raffles. »Du erinnerst dich doch gewiss noch des famosen Stammvaters am nächsten Tisch mit der Nase wie ein Pumpenschwengel und der Gattin mit dem herrlichen Smaragdhalsband?«
»Das sollte ich meinen!« erwiderte ich. »Du redest von dem großen Dan Levy, genannt Shylock. Du hast mir ja selbst alles über ihn erzählt, A. J.«
»So? Dann fällt dir vielleicht auch wieder ein, dass die Shylocks am anderen Tage nach Karlsbad reisten. Der Alte feierte seine letzte Orgie vor der alljährlichen Kur, und alle Anwesenden mussten davon erfahren. Ach, Bunny, jetzt fühle ich wirklich etwas wie Mitleid mit dem alten Knaben.«
»Was aber in aller Welt bewog dich, auch dahin zu fahren?«
»Das fragst du? Weißt du nicht mehr, dass du die Smaragden unter dem Tisch liegen sahst, nachdem sie aufgestanden waren, und wie ich mich vergaß und ihnen nachlief mit dem schönsten Kollier, das ich seit den Tagen der Lady Melrose in meinen Händen gehalten habe?«
Ich schüttelte den Kopf, halb als Antwort auf seine Frage, halb in Gedanken an eine recht verkehrte Handlung, die mir noch immer den Sinn bedrückte. Jetzt war ich freilich auf etwas noch weit Unsinnigeres vorbereitet.
»Du hattest nur zu recht«, fuhr Raffles fort; meine damaligen Vorwürfe lagen ihm wohl im Sinn. »Ich war zu dumm und benahm mich wie ein taktloser Idiot, denn jeder halbwegs vernünftige Mensch musste sehen, dass ein so schweres Kollier nicht herunterfallen konnte, ohne dass die Trägerin es bemerkt hätte.«
»Meinst du denn, dass sie es absichtlich fallen ließ?« rief ich mit plötzlich erwachtem Interesse, denn ich fing an, die Fortsetzung seiner Geschichte zu erraten.
»Ja«, sagte Raffles. »Die gute Alte tat es mit Vorbedacht, als sie sich nach irgendetwas bückte; und zwar damit es gestohlen und ihre Reise nach Karlsbad dadurch verschoben würde, denn ihr Mann zwingt sie alljährlich, dort die Kur mit ihm zu gebrauchen.«
Ich sagte darauf, ich hätte immer das Gefühl gehabt, dass wir das unverkennbar bestimmte Schicksal der Smaragden nicht erfüllt hätten, und es war beinahe rührend, wie Raffles nun mit mir gegen sich selbst Partei nahm.
»In demselben Augenblick, als ich die Steine ergriff und das fette Schwein fluchen hörte, sah ich meinen Irrtum ein«, sagte er. »Er sagte ihr sofort ins Gesicht sie habe den Schmuck mit Absicht fallen lassen, und traf damit den Nagel auf den Kopf; da es diesmal ihr armer Kopf war, sah ich meinen unwürdigen Eifer gleich im rechten Licht, Bunny. Es bedurfte nicht erst deiner Vorwürfe, um mir klar zu machen, was für ein blöder Tor ich gewesen war. Das Halsband war eigentlich dein, und meine Pflicht war es, dir auf irgendeine Weise die Steine zu verschaffen. Ich folgte daher den unrechtmäßigen Besitzern nach Karlsbad, sobald es die Klugheit gestattete.«
»Großartig«, rief ich, erfreut, Raffles nicht im entferntesten so abgespannt zu finden, wie er äußerlich den Anschein erweckte. »Aber dass du mich nicht mitgenommen hast, A. J., das werde ich dir so leicht nicht vergessen.«
»Mein lieber Bunny, du hättest es dort nicht ausgehalten«, sagte Raffles feierlich, »die Kur hätte dich umgebracht; sieh nur, wie ich aussehe.«
»Du willst mir doch nicht weismachen, du habest dort die Kur gebraucht?« spottete ich.
»Aber selbstverständlich, Bunny. Ich habe gewissenhaft alles durchgemacht.«
»Warum nur?«
»Du kennst eben Karlsbad nicht, sonst würdest du nicht fragen. Der ganze Ort wimmelt von Spionen und Scharlatanen. Wenn ich nun die mir von einem Oberaufschneider und Betrüger erteilten Verhaltungsmaßregeln nicht beachtet hätte, wäre ich alsbald ausfindig gemacht und selbst als Spion oder Betrüger an die Luft gesetzt worden.«
Jetzt kamen unsre Steaks, dampfend heiß, dazu je eine Niere und im Kranz darum die gerösteten Kartoffeln. Raffles’ nächste Worte galten nur noch dem Kellner und bezogen sich auf einige aufeinander folgende Krüge bitteren Biers; außerdem machte er nur noch die überflüssige Randbemerkung: »Der Mann, der gesagt hat, wir Engländer seien keine Biertrinker, war ein Lügner.« Offengestanden ist mir das Biertrinken immer schwer geworden, und ich leistete das Unmögliche jetzt nur aus Kameradschaft. Schließlich erhielt ich denn auch zur Belohnung einen so boshaften Bericht aller Entbehrungen, dass ich ihn nur mit Raffles’ eigenen Worten wiederzugeben wage.
»Nein, Bunny, du hättest es nicht drei Tage dort ausgehalten. Du hättest die ganze Zeit ein langes Gesicht gemacht, so wie jetzt«, sagte Raffles lachend. Ich vermute, dass ich ein langes Gesicht machte – wie mir das leicht passiert – als er meine Ausdauer und Standhaftigkeit in Zweifel zog. »Lach mal, alter Junge! So, das ist schon besser«, fuhr er fort, als ich mir alle Mühe gab, lustig auszusehen. »Aber dort ist’s wahrlich nicht zum Lachen. Nach der ersten Woche lächelt niemand mehr, und zuallererst wird dort der Sinn für Humor ausgerottet. In meinem Hotel wohnte ein Sportsmann, der sein Gewicht heruntertrainierte, um ein bestimmtes Pferd reiten zu können; der war zu Haus sicher ein fideler Kumpan, dort aber gab es für ihn keine frohe Stunde. Vor dem ersten Frühstück musste er Kilometer um Kilometer zu Fuß laufen, dann gab es Moorumschläge den ganzen Vormittag und nicht einen Tropfen zu trinken, außer dem elenden kohlensauern Wasser, Gieshübler oder wie das Zeug heißt; davon durfte er eine Stunde nach der Mahlzeit, wenn ihm die Zunge buchstäblich am Gaumen klebte, ein Gläschen trinken. Beim ersten Hahnenschrei gingen wir zusammen zur Wage, und obwohl er äußerst gutmütig aussah, als ich ihn einmal in seinem Sessel schlafend überraschte, habe ich ihn doch in heller Wut seinen Wiegezettel zerreißen sehen, wenn er ein paar Gramm zugenommen hatte, anstatt ein oder zwei Pfund zu verlieren. Wir machten anfangs unsre Spaziergänge gemeinsam, doch pflegte seine Unterhaltung in eine solche körperliche Innenschau auszuarten, dass man nicht ein Wort über die Verrichtungen der eigenen Maschinerie einfügen konnte.«
»Mit deinem innern Werk war aber doch nichts los«, mahnte ich Raffles. Er zuckte die Achseln, als sei er seiner Sache nicht ganz sicher.
»Zuerst wohl nicht, aber dagegen hilft die Kur schnell genug. Ich schrumpfte zusammen wie eine Ziehharmonika und hoffe nur, dass ich mich ebenso werde wieder ausdehnen können. In dem verfluchten Nest ist es nämlich Sitte, dass man sofort nach der Ankunft an einen Arzt telefoniert. Ich fragte den Reitersmann, der mir natürlich den seinigen empfahl, um einen Gefährten auf dem Marterrost zu haben. Der alte Erzbetrüger kam schon nach zehn Minuten, untersuchte mich von Kopf zu Fuß und fällte, ohne zu erröten, sein Urteil über meinen Gesundheitszustand. Er sagte, bei mir sei es die Leber! Ich schwöre, ich fühlte nichts davon, bevor ich nach Karlsbad ging, würde mich aber gar nicht wundern, wenn sie sich jetzt bemerkbar machte.«
Mit tiefernstem Gesicht klappte er mit dem Deckel seines Bierkruges und machte sich dann eifrig über sein dampfendes geröstetes Käseschnittchen her, das der Kellner gerade serviert hatte.
»Goldig sehen sie aus und essen sich auch goldig«, rief der arme ausgehungerte Raffles. »Ich wünschte nur, der schlaue Fuchs von Arzt könnte mich jetzt sehen. Er verordnete mir eine Kur, die der des Reitersmannes so völlig glich, dass sie für den ganzen Abend die düstern Schatten aus dessen Seele bannte. Wir fingen unsre Trinkkur bei derselben Quelle an und promenierten in derselben Kolonnade bei dem Gelärm der feisten Musikkapelle. Es war bei Gott kein Spaß, Bunny; Moorumschläge und trockene Gerichte zu den Mahlzeiten mit etwas alkoholfreiem Gift dazwischen bekam ich auch. Du rümpfst die Nase, was? Ich sagte dir ja schon, du hättest es niemals ausgehalten; es war aber eben das einzige Mittel, den hohen Einsatz zu gewinnen, denn dadurch schützt man sich vor jedem Verdacht. Außerdem mache ich mir aus leiblichen Genüssen nicht halb so viel wie du oder der Reitersmann, der eines Tages in des Doktors Hause einen Ohnmachtsanfall bekam, in der Hoffnung auf einen Schluck Kognak; es gab aber nur ein Glas billigen Marsala.«
»Hast du denn schließlich die Smaragden bekommen?«
»Natürlich, Bunny«, antwortete Raffles gedämpft und mit einem Blick, der mir später wieder in den Sinn kam. »Die Kellner horchen aber sowieso schon, deshalb erzähle ich dir das übrige ein andermal. Du weißt vermutlich, was mich so rasch zurückbrachte?«
»War deine Kur denn nicht beendet?«
»Es fehlten noch volle drei Tage, und ich hatte den Genuss einer grimmigen Auseinandersetzung mit dem alten Heuchler, um meine überstürzte Abreise zu rechtfertigen. Wenn aber Teddy Garland nicht noch in elfter Stunde zu der erwählten Mannschaft der Blauen von Cambridge gesellt worden wäre, so säße ich noch in Karlsbad.«
E. M. Garland gehörte zu den Wächtern der Ballstäbe des Kricketklubs von Cambridge und war einer der jungen Spieler, die Raffles zu großem Dank verpflichtet waren. Sie waren einander auf dem Lande bei gemeinsamen Bekannten näher getreten, spielten in der Stadt auf derselben Partei, und im Hause des alten Garland wurde Raffles ständiger Gast. Ich fürchte, ich hegte ein leises Vorurteil sowohl gegen den Vater, einen ehemaligen Brauer, den ich nie kennen lernte, wie gegen den Sohn, mit dem ich ein oder zweimal im Albany zusammengetroffen war. Und doch konnte ich die Sympathie zwischen ihm, dem sehr viel Jüngeren, und Raffles verstehen; er war in manchen Dingen noch fast knabenhaft, schien aber, wie so manche mit der gleichen Universitätserziehung, eine Weltkenntnis über seine Jahre hinaus zu besitzen und hatte daneben einen ursprünglichen Reiz und eine Frische, die weder Wissen noch Erfahrung merklich beeinträchtigen konnten. Und doch hatte ich ihn im Verdacht, dass er sich die Hörner schon kräftig abgelaufen habe und dass es Raffles gewesen, der sich seiner angenommen und ihn zu dem Material herangezogen hatte, aus dem die Blauen gewählt werden. Überdies wusste ich, dass es für einen jungen Mann keinen ehrlicheren Freund und treueren Berater geben konnte als Raffles, und viele werden mir im Herzen recht geben; aber sie kannten ihren Raffles nicht, wie ich ihn kannte, und wenn sie behaupten, das sei gerade der Grund, weshalb sie so viel von ihm hielten, so mögen sie nur Geduld haben, und sie werden etwas zu hören bekommen, das sie nicht geringer von ihm denken lässt.
»Ich konnte den armen Teddy nicht bei Lords spielen lassen«, erklärte mir Raffles, »wenn ich nicht dabei war, um ihn anzufeuern. Wie du weißt, habe ich ihn allerlei gelehrt, als wir im letzten August häufiger zusammen spielten. Ich nehme ein wahrhaft väterliches Interesse an dem Jungen.«
»Du hast viel Gutes an ihm getan«, warf ich ein, »in mehr als einer Beziehung.«
Raffles blickte fragend von der Rechnung auf. Ich sah wohl, dass meine Bemerkung ihm nicht recht war, doch nahm ich sie nicht zurück.
»Nun, wenn du mich fragst: ich glaube, du hast manches für ihn vermittelt und geordnet.«
»Ich habe dich gar nicht gefragt, Bunny«, sagte Raffles, und ich beobachtete, wie er dem Kellner ein Trinkgeld hinschob, ohne dass einem von beiden das unpassend erschienen wäre.
»Du hast mir doch selbst eine Menge über den Jungen erzählt«, sagte ich, während wir die Marmortreppe hinabstiegen. »Einmal hörte ich zum Beispiel von dir, dass er einen Haufen Schulden hätte.«
»Das fürchtete ich«, antwortete Raffles offen, »und unter uns gesagt, ich bot ihm an, ihn zu arrangieren, bevor ich nach dem Kontinent reiste. Aber Teddy wollte nichts davon hören, sein heißes, junges Blut kochte bei der Zumutung, und es war geradezu entzückend, wie er mich ablaufen ließ. Zieh also keine hässlichen Schlüsse, Bunny, sondern komm mit ins Albany zu einem Whisky.«
So ließen wir uns denn in der Halle unsre Hüte und Röcke aushändigen, zündeten unsre Zigaretten an, und schritten stolz wie die Besitzer dieses Palastes hinaus.
»Das ist entschieden der beste Grill in ganz Europa«, sagte ich, um auf ein andres Thema zu kommen, und völlig zufrieden mit mir und der Welt.
»Darum gingen wir ja hin, Bunny.«
»Mich wundert nur, wenn du dort Mitglied bist, dass du dem Kellner ein Trinkgeld gibst und auch eine Marke für deine Garderobe erhältst.«
Es überraschte mich nicht, dass Raffles sein Klublokal verteidigte.
»Ich würde an deiner Stelle noch einen Schritt weiter gehen und jeden Besucher seine Mitgliedskarte vorweisen lassen«, sagte er lachend.
»Der Portier kennt die Mitglieder doch sicher von Ansehen.«
»Ach, keineswegs; dazu gibt es zu viel Tausende.«
»Ich dachte, das sei seine Pflicht.«
»Ich weiß aber, dass er sie nicht kennt.«
»Du musst es ja wissen, da du selbst Mitglied bist.«
»Im Gegenteil, bester Bunny, ich weiß es so genau, weil ich niemals Mitglied war.«
Wie lachten wir, als wir Whitehall entlang schritten! Ich ahnte, dass ich mit Raffles auf einem Holzweg gewesen war, und das erhöhte meine Freude. Er war noch der alte tolle, lustige Spitzbube, und nur durch die unheimliche Macht seiner erstaunlichen Willenskraft war es ihm gelungen, auf dem Bahnhof einen so elenden und jammervollen Eindruck hervorzurufen. In dem Laternenlicht der Londoner Straßen und unter dem theaterblauen Sternenhimmel sah er jetzt schon wie ein andrer Mensch aus. Wenn durch einige Gläser bittern Bieres und ein paar Bissen Filetsteak solch eine Veränderung erreicht werden konnte, so war ich für mein ferneres Leben ein Freund aller Bierbrauer und erklärter Feind aller Vegetarianer.
Unter der glänzenden Laune entdeckte ich bei ihm doch tiefen Ernst, besonders als er wieder von Teddy Garland anfing und mir erzählte, dass er auch ihm von Karlsbad aus telegrafiert habe. Mit einem ganz leisen schimpflichen Stich im Herzen fühlte ich die verwunderte Frage in mir aufsteigen, ob der Verkehr mit diesem ehrenwerten Jüngling in Raffles wohl Gewissensbisse über seine Missetaten geweckt hatte, die ich nur zu oft in ihm wachzurufen versucht hatte, ohne damit Erfolg zu haben.
Trotz unsres kurzen Übermutes kamen wir jetzt besonnen und nachdenklich im Albany an und grübelten wirklich einmal über nichts Bösem in unserm sonst gesetzwidrigen Leben.
Im Hof fanden wir unsern alten Freund Barraclough, den Portier, der uns freudig willkommen hieß.
»Oben ist ein Herr, der ein paar Worte für Sie aufschreiben wollte«, sagte er zu Raffles, »es ist Herr Garland, deshalb führte ich ihn hinauf.«
»Teddy«, rief Raffles und nahm zwei Stufen auf einmal.
Ich folgte langsamer. In mir brannte nicht gerade Eifersucht, doch fühlte ich Bedenken dieser neugebackenen Freundschaft gegenüber. Ich folgte also mit dem Gefühl, dass für mich der Abend verdorben sei – und weiß der Himmel, dies Gefühl hatte mich nicht betrogen! Bis an mein Lebensende vergesse ich den Anblick nicht, der sich mir in den wohlbekannten Räumen bot. Ich sehe das Bild noch jetzt mit allen Einzelheiten vor meinem innern Auge.
Raffles hatte die Tür so lautlos, wie nur er es konnte, geöffnet, mit dem knabenhaften Wunsch, den anderen zu erschrecken; und natürlich war Garland von dem Schreibtisch, an dem er saß, in die Höhe gefahren, als plötzlich dicht hinter ihm sein Name genannt wurde. Das war seine letzte natürliche Bewegung. Er machte nicht einen Schritt, um Raffles’ ausgestreckte Hand zu ergreifen, und auf dem frischen, jungen Gesicht mit den nussbraunen Augen und der gesunden braunen Hautfarbe erschien auch nicht der leiseste Schimmer von Freude über das Wiedersehen. Unter unsern Blicken wich sogar jeder Blutstropfen aus dem jugendlichen Antlitz, das sich langsam mit krankhafter Blässe überzog. Teddy Garland stand wie festgenagelt an dem Schreibtisch, an dessen Platte er sich mit aller Kraft anklammerte. Ich sehe noch seine Knöchel, die sich wie Elfenbein von dem braunen Handrücken abhoben.
»Was gibt’s, was versteckst du denn da?« fragte Raffles.
Warm hatte die Liebe seine erste Anrede durchklungen; auch seine verwunderte Frage klang noch scherzend und freundlich, doch die Haltung des jungen Mannes veränderte sich nicht.
Während der Zeit war ich in unbestimmtem Entsetzen auf der Schwelle festgewurzelt stehen geblieben. Jetzt winkte mir Raffles und machte mehr Licht; es beleuchtete ein geisterhaftes, schuldiges Antlitz, das aber trotzdem tapfer der hellen Lichtflut standhielt. Raffles verschloss die Tür hinter mir, steckte den Schlüssel in die Tasche und trat auf den Schreibtisch zu.
Es ist unnötig, ihre ersten gestotterten Worte zu wiederholen; Garland schrieb nämlich keinen Brief, sondern einen Scheck, den er mit großer Mühe und Sorgfalt in Raffles’ Scheckbuch von einem alten Scheck aus dem Ausgabenbuch kopierte, das in braunes Leder gebunden, in goldenen Lettern den Namenszug A. J. Raffles trug. Raffles hatte sich erst im Laufe dieses Jahres auf der Bank ein Konto eröffnen lassen, und ich erinnerte mich noch, wie er lachend sagte, es falle ihm nicht ein, sich an die Vorschriften auf dem Scheckbuch zu halten; er wolle es immer frei herumliegen lassen, damit alle Welt wisse, dass er ein Bankkonto habe. Und nun war dies das Resultat. Der erste Blick musste den jungen Mann verbrecherischer Absicht überführen, denn auf dem Schreibtisch lag ein mit dem versuchsweise geschriebenen Namenszug über und über bedeckter Briefbogen. Und doch sah Raffles mit tiefem Mitleid auf den Jüngling, der trotzig den Blick erwiderte.
»Mein armer kleiner Kerl«, war alles, was er sagte.
Darauf fand auch die Zunge des Jüngeren wieder Worte. »Ruf doch gleich die Polizei«, stieß er heiser hervor; »was willst du mich noch quälen?«
Ich musste mit Gewalt an mich halten, um nicht dem Burschen zuzurufen, dass es nicht an ihm sei, hier Fragen zu stellen. Raffles aber fragte ihn nur in aller Ruhe, ob er mit der Absicht hergekommen sei.
»Weiß Gott, nein, A. J. Ich kam herauf, um dir ein paar Worte aufzuschreiben, das schwöre ich dir«, rief Garland von plötzlichem Schluchzen unterbrochen.
»Der Schwur ist unnötig«, gab Raffles mit leisem Lächeln zurück. »Dein Wort genügt mir vollkommen.«
»Das lohne dir Gott, nachdem, was ich tat«, sagte Garland tonlos und in schrecklicher Verfassung.
»Aber das liegt ja auf der Hand.«
»Wirklich? Bist du dessen ganz sicher? Und erinnerst du dich, dass du mir im letzten Monat einen Scheck angeboten hast, den ich ausschlug?«
»Aber natürlich«, rief Raffles mit so ungekünstelter Herzlichkeit, dass ich sofort wusste, er hatte seit dem Essen, wo er mir davon erzählte, nicht wieder daran gedacht. Ich sah nur gar keinen Grund zu so auffälliger Erleichterung darin, durchaus keine mildernden, sondern viel eher erschwerende Umstände des Vergehens.
»Ich habe meine damalige abschlägige Antwort seitdem, Tag für Tag, bereut«, fuhr der junge Garland schlicht fort. »Schon damals war es verkehrt gehandelt, aber gerade in dieser Woche wurde es für mich zum Verderben. Geld muss ich haben unter allen Umständen; ich werde dir gleich sagen, weshalb. Als ich gestern Abend dein Telegramm in Händen hielt, war es mir, als sei mein erbärmliches Gebet erhört worden. Ich hatte heute früh zu jemand gehen wollen, entschloss mich nun aber, lieber auf dich zu warten. Du bist ja der einzige, dem ich ganz vertrauen kann, und doch schlug ich dein großmütiges Anerbieten vor vier Wochen ab. Du hattest geschrieben, du würdest heute Abend zurück sein, aber als ich herkam, warst du nicht da. Ich telefonierte und hörte, dass der Zug zur rechten Zeit angekommen sei, und dass vor morgen früh keiner mehr einträfe. Morgen ist der Verfalltag und morgen ist auch das Kricketmatch.« Er hielt inne, als er sah, was Raffles tat. »Nein, Raffles, ich verdiene das nicht«, fügte er in neuer Verzweiflung hinzu.
Aber Raffles hatte den Tantalus schon aufgeschlossen, in dem Eckschrank einen Siphon gefunden und reichte dem schuldigen Jüngling ein gelbes Glas.
»Trink mal«, sagte er, »oder ich höre dir nicht länger zu.«
»Ich werde völlig ruiniert sein, bevor das Match beginnt. Ja, ganz bestimmt«, beharrte der arme Bursch und wandte sich zu mir, als Raffles den Kopf schüttelte. »Das bricht meinem Vater das Herz und – und – –«
Ich glaubte, er hätte uns noch Schlimmeres zu beichten, da er in solcher Verzweiflung abbrach; aber entweder änderte er seinen Sinn oder der Lauf seiner Gedanken wich von selbst in eine andre Bahn, denn als er wieder sprach, war es, um uns eine weitere Erklärung seiner Handlungsweise zu geben.
»Ich kam nur herauf, um Raffles ein paar Zeilen zu hinterlassen für den Fall, dass er noch rechtzeitig zurückkäme«, sagte er zu mir. »Der Portier brachte mich selbst herauf und führte mich an den Schreibtisch. Er wird Ihnen erzählen, wie oft ich vorher schon dagewesen bin. Und dann, Raffles, sah ich in dem kleinen Fach dein Scheckbuch und daneben dein Ausgabenbuch mit einer Menge alter Schecks drin.«
»Und weil ich nicht da war, um dir einen auszustellen, tatest du es für mich«, rief Raffles. »Und mit vollem Recht.«
»Mach dich nicht über mich lustig«, rief der junge Mann, bei dem jetzt die tiefe Blässe einer heißen Röte wich. Er sah wieder zu mir herüber, als verletzte ihn mein ernstes Gesicht weniger als die mutwillige Teilnahme seines Freundes.
»Ich mache mich nicht lustig, Teddy«, erwiderte Raffles freundlich, »ich war sogar nie im Leben ernster. Es war freundschaftlich von dir, in deiner Bedrängnis zu mir zu kommen, aber deine aufrichtige Zuneigung gebot dir, hinter meinem Rücken auf mich zu ziehen, um mir den lebenslangen Vorwurf zu ersparen, dich durch mein Zuspätkommen ruiniert zu haben. Du kannst den Kopf schütteln, soviel du willst, ich bleibe dabei, mir ist nie ein größeres Kompliment gemacht worden.«
Und dieser vollendete Gewissensverdreher fuhr fort, seine Gedanken weiter auszuspinnen, bis ein weniger unglücklicher Sünder sich vielleicht überzeugt gefühlt hätte, dass er gar nichts wirklich Ehrenrühriges getan habe; der junge Garland aber besaß so viel Anstand, weder selbst eine Entschuldigung vorzubringen, noch seine Handlungsweise durch Raffles entschuldigen zu lassen. Wohl nie habe ich einen Menschen sich selbst schärfer verurteilen oder das Beichten eines Fehltritts in härteren Worten ablegen hören; aber trotzdem lag in seiner Reue etwas so Aufrichtiges und Ursprüngliches, etwas, das Raffles und ich schon seit so langer Zeit eingebüßt hatten, dass uns sein törichter Streich mehr zu Herzen ging, als unsre eigenen Verbrechen. Ja, töricht genug war er gewesen, eigentlich wohl gar ein Verbrecher, wie er selbst sich nannte. Es war die alte Geschichte vom verlorenen Sohn und dem allzu gütigen Vater. Er hatte, wie ich vermutete, in tollem Saus und Braus gelebt, und erst Raffles’ Einfluss hatte diesem Treiben Einhalt getan; unbekümmert hatte er aber auch die größte Verschwendung getrieben, wovon Raffles natürlich nichts wusste, denn so ein junger Tunichtgut bekennt sich wohl zu seinen tollen Streichen, nicht aber zu seinen Dummheiten. Schließlich hatte er die Großmut des Vaters angerufen und musste da mit Entsetzen erkennen, dass der Vater selbst in Geldverlegenheit war.
»Was?« rief Raffles, »trotz dieses Hauses?«
»Ich wusste, dass dich das überraschen würde«, sagte Teddy Garland. »Ich kann es auch kaum fassen; er sagte mir nichts Näheres, die Tatsache genügt ja auch vollkommen. Danach konnte ich meinem Vater nicht alles eingestehen. Er stellte mir einen Scheck aus über die Summe, die ich gebeichtet hatte, und ich sah wohl, wie schwer ihm das wurde; da schwor ich mir, mich nie wieder auch nur um einen Groschen an ihn zu wenden, und den Schwur werde ich halten.«
Der Jüngling nahm einen Schluck aus dem Glase, denn seine Stimme brach; dann zögerte er noch einen Augenblick mit seinem weitern Bericht, um sich eine neue Zigarette anzuzünden, da ihm die seine zwischen den Fingern erloschen war. Das junge Gesicht mit der gerunzelten Stirn und dem zuckenden Mund war voll so tiefer Empfindung und maßloser Verzweiflung, dass Raffles den Blick abwandte, bis das Zündholz ausgeblasen war.
»Zu der Zeit tat ich das Schlimmste, was ich tun konnte«, fuhr Teddy fort. »Ich nahm meine Zuflucht zu den Geldverleihern, denn ich hatte noch mehr Schulden – Ehrenschulden – die beglichen werden mussten. Ich fing mit zwei- oder dreihundert Pfund an, und ihr wisst vielleicht, wie solch ein Schneeball wächst in den Händen dieser Teufel; ich hatte keine Ahnung davon. Ich lieh mir dreihundert und unterschrieb einen Handwechsel auf vierhundertsechsundfünfzig.«
»Nur fünfzig Prozent«, sagte Raffles, »da kamst du billig davon, wenn die Prozente jährlich berechnet waren.«
»Warte einen Augenblick. Es sollte sogar noch gelinder sein, denn die vierhundertsechsundfünfzig sollten in monatlichen Raten von je zwanzig Goldfüchsen zurückerstattet werden; das hielt ich gewissenhaft inne, bis die sechste Zahlung fällig war. Das war gleich nach Weihnachten, wo jeder knapp ist, und zum ersten Mal kam ich um einen oder zwei Tage zu spät – mehr waren es nicht, versichere ich dir; und was meinst du, was geschah? Mein Scheck kam zurück, und der ganze verfluchte Saldo wurde bar auf den Tisch des Hauses verlangt.«
Raffles folgte gespannt jedem Wort mit der vollkommenen Konzentration, die in seiner geistigen Ausrüstung das Hauptmoment bedeutete. Keine Muskel in seinem Gesicht bewegte sich, er war voll so eifriger Aufmerksamkeit wie nur je ein Richter beim Verhör. Noch nie sah ich so klar vor meinem geistigen Auge, was für ein hervorragender Mensch er geworden wäre, hätte er nicht von Mutter Natur diesen Sparren mitbekommen, der ihn zu dem gemacht hatte, was er leider war.
»Der Handwechsel lautete auf vierhundertsechsundfünfzig, und diese plötzliche Forderung ging auf die ganze Summe, abgerechnet die hundert Pfund, die du bereits bezahlt hattest?« fragte er.
»Ja.«
»Und was taten Sie?« fragte ich, um zu beweisen, dass ich im schnellen Erfassen der Sachlage nicht hinter Raffles zurückstehe.
»Ich sagte, sie sollten meine Zahlung annehmen und sich mit dem Rest zum Teufel scheren!«
»Und was taten sie?«
»Ließen die ganze Sache völlig fallen bis zu eben dieser Woche und da kommen sie und verlangen – was glaubt ihr wohl?«
»Na, es wird nah an die tausend sein«, sagte Raffles nach kurzem Bedenken.
»Unsinn!« rief ich.
Garland sah ebenfalls sehr erstaunt aus. »Raffles kennt den Rummel«, sagte er. »Siebenhundert war die gegenwärtige Summe. Ich brauche dir wohl nicht erst zu sagen, dass ich den Hunden gehörig aus dem Weg gegangen bin, seit dem Tag des ersten Pumpes. Jetzt ging ich aber hin und wollte ihnen dies tüchtig eintränken. Aber die Hälfte der siebenhundert ist für verabsäumte Zinsenzahlung, denk nur, von Anfang Januar bis zum jetzigen Datum.«
»Hattest du dich damit einverstanden erklärt?«
»Nicht dass ich wüsste; aber da stand es klar und deutlich auf meinem Wechsel. Einen halben Penny auf den Schilling die Woche, außer den ursprünglichen Zinsen, wenn nicht pünktlich gezahlt würde.«
»War es auf den Wechsel gedruckt oder geschrieben?«
»Gedruckt – klein gedruckt natürlich, das brauch’ ich wohl kaum extra zu erwähnen, doch groß genug, dass ich es hätte lesen können – als ich den verfluchten Wisch unterschrieb. Ich glaube sogar, dass ich es gelesen habe, aber was ist denn ein halber Penny die Woche. Wer ahnt denn, dass sich das so aufsummen kann. Es stimmt aber, und der langen Rede kurzer Sinn ist, dass, wenn ich nicht bis morgen zwölf Uhr gezahlt habe, mein alter Herr gefragt wird, ob er für mich zahlen oder mich vor seinen Augen bankrott erklärt sehen will. Zwölf, gerade wenn das Match anfängt; das wissen sie natürlich und bauen darauf. Noch diesen Abend bekam ich ein höchst unverschämtes Ultimatum, bis dahin sei mit tödlicher Sicherheit mein letzter Termin.«
»Und da kamst du zu mir?«
»Ich wäre auf jeden Fall gekommen; jetzt wünsche ich nur, ich hätte mir eine Kugel durch den Kopf gejagt.«
»Mein lieber Junge, du hast mich nur stolz gemacht; lass uns den Sinn für gleichmäßiges Verhältnis nicht verlieren, Teddy.«
Der junge Garland aber hatte das Gesicht in den Händen verborgen und war wieder so gebrochen wie zu Anfang, als er uns stockend die Geschichte seiner Schande zu enthüllen begann. Die unbewusste Lebendigkeit, mit der er sein Herz entlastete, und die häufig jungenhaft derbe Ausdrucksweise, mit der sein Bericht geschmückt war, verblasste auf seinem Angesicht und erstarb auf seinen Lippen. Wieder war er nur eine Seele in den Qualen der Verzweiflung und Erniedrigung; in diesem erneuten Zusammenbruch erschien er bemitleidenswert, nicht verächtlich und noch weniger der Liebe unwürdig. Jetzt erkannte ich die Eigenschaften, die ihm Raffles’ Herz gewonnen hatten. Es gibt eine angeborene Vornehmheit, die nicht durch ein einmaliges Hinabsteigen zum Unedeln zerstört werden kann, eine so wirkliche Ehrenhaftigkeit, viel zu hell und glänzend, um durch eine zufällige Schmach verdunkelt zu werden; beide Eigenschaften blieben dem jungen Mann in den Augen der anderen zwei, die eben jetzt den Entschluss fassten, ihm alles das zu bewahren und zu erhalten, was sie selbst verloren hatten. Mir kam von selbst dieser Gedanke; und doch kann ich ihn auch von einem Gesicht hergeleitet haben, das augenblicklich leicht zu lesen war, einem schön geschnittenen Gesicht, das meines Wissens noch nie zu gleicher Zeit so fest und so mild im Ausdruck gewesen war wie jetzt.
»Was tun wir mit diesen Geldleuten?« fragte Raffles schließlich.
»Es handelt sich im Grunde nur um einen.«
»Sollen wir seinen Namen raten?«
»Nein, ich will ihn gern nennen. Es ist Dan Levy.«
»Natürlich!« rief Raffles und nickte mir zu. »Unser geliebter Shylock in voller Glorie.«
»Du kennst ihn doch nicht etwa?« fragte Teddy und hob plötzlich den Kopf.
»Ich könnte fast sagen, ich kenne ihn genau; in Wahrheit aber traf ich ihn erst auf der Reise.«
Jetzt stand Teddy wieder auf den Füßen. »Aber kennst du ihn gut genug, um –«
»Natürlich. Ich mache ihm morgen früh meinen Besuch. Ich muss dann aber die Quittungen haben von den verschiedenen Zahlungen, die du geleistet hast, und vielleicht auch den Brief, in dem er dir morgen Mittag als letzten Termin angibt.«
»Hier ist alles«, sagte Garland und zog ein dickes Kuvert hervor. »Ich gehe aber natürlich mit dir –«
»Du denkst gar nicht daran! Ich will nicht, dass du dir um diesen alten Grobian die Augen für das Match verdirbst, auch lasse ich dich nicht die ganze Nacht hier herumsitzen. Wo bist du abgestiegen?«
»Noch nirgends. Ich ließ meine Sachen im Klub. Ich wollte zu Fuß nach Haus gehen, wenn ich dich früh genug getroffen hätte.«
»Braver Bursch! Du bleibst hier.«
»Aber, alter Freund, wie kann ich das!« rief Teddy dankerfüllt.
»Mein Junge, mich kümmert es gar nicht, ob du kannst oder nicht. Du bleibst hier, und zwar verfügst du dich sofort ins Bett. Ich kann dir mit allem aushelfen, was du brauchst, und Barraclough kann dir deine Sachen holen, noch ehe du aufwachst.«
»Du hast doch gar kein zweites Bett, Raffles.«
»Du bekommst das meine. Ich gehe doch sehr selten ins Bett, was, Bunny?«
»Ich hab’ dich selten darin gefunden.«
»Du bist aber doch die ganze vorige Nacht gereist?«
»Und den Tag dazu, glatt durch bis zum Abend, und im Zug schlafe ich fast die ganze Zeit«, sagte Raffles. »Heute habe ich den ganzen Tag über kaum mal die Augen aufgemacht; wenn ich mich jetzt hinlegen wollte, könnte ich nicht einmal einnicken.«
»Nun, ich kann es auch nicht«, sagte Garland hoffnungslos. »Ich habe das Schlafen ganz verlernt.«
»Wart, bis ich es dich lehre«, sagte Raffles, ging in das innere Zimmer und machte dort Licht.
»Ich bin ganz außer mir über mich selbst«, flüsterte mir der junge Garland zu, als seien wir nun ganz alte Freunde.
»Sie tun mir sehr leid«, sagte ich herzlich, »ich kenne das Gefühl.«
Garland starrte noch vor sich hin, als Raffles mit einem winzigen Fläschchen zurückkam und kleine runde schwarze Dingerchen aus demselben in seine linke Hand schüttelte.
»Reine Bettwäsche für dich, Teddy, sieht sehr einladend aus«, sagte er. »Nimm nur noch zwei von diesen und einen Tropfen Whisky und du schläfst in zehn Minuten.«
»Was ist das?«
»Somnol. Das Neueste, was es gibt, und zugleich das Allerbeste.«
»Bekomme ich aber nicht einen schrecklich schweren Kopf davon?«
»Nicht im geringsten. Zehn Minuten nach dem Erwachen bist du frisch wie ein Fisch im Wasser. Und vor elf brauchst du morgen früh ja nicht fort, denn du hast doch nicht nötig, erst ein paar Probeschläge zu machen, nicht wahr?«
»Eigentlich sollte ich’s wohl«, sagte Teddy ernsthaft.
Aber Raffles lachte ihn aus.
Und ehe er noch recht wusste, wie ihm geschah, hatte Raffles ihm schon das Schlafmittel verabreicht; im nächsten Augenblick drückte er mir zum Abschied die Hand, und bald darauf ging Raffles zu ihm hinein, um das Licht auszulöschen. Er blieb eine ganze Weile, und ich erinnere mich, dass ich mich zum Fenster hinauslehnte, um von ihrem Gespräch nichts zu hören. Die Nacht war einzig schön und die Sternendecke über dem Hof des Albany kaum weniger blau, als wir, Raffles und ich, vor ein paar Stunden heimkamen. Von Piccadilly schallte der lärmende Verkehr so deutlich herüber wie in einer frostklaren Winternacht, und der nächste Tag bei Lords musste strahlend schön werden. Ich möchte wohl wissen, ob je ein Mann das Universitätsmatch mit einer solchen Last auf der Seele, wie E.M. Garland sie jetzt in dem erzwungenen Schlummer vergessen sollte, gespielt hat, aber auch, ob je eine schwerbelastete Seele auf zwei solche Beichtbrüder wie Raffles und mich gestoßen ist!