Raffles als Richter - Ernest William Hornung - E-Book

Raffles als Richter E-Book

Ernest William Hornung

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Beschreibung

Sie kennen Sherlock Holmes? Natürlich! Sie kennen auch Arsène Lupin? Glückwunsch! Aber kennen Sie A. J. Raffles, den berüchtigten Gentleman-Gangster? 1900 schuf Ernest William Hornung (übrigens ein Schwager des Sherlock-Holmes-Autors Arthur Conan Doyle) einen der interessantesten Köpfe der englischen Kriminalliteratur und gleichzeitig einen frühen Antihelden. A. J. Raffles hat in Oxford studiert, hat exzellente Manieren, ist ein Mann von Welt und lebt das Leben eines reichen Dandys. Er ist der Partylöwe unter den Schönen und Reichen und nutzt deren Festivitäten, um seine Beute auszukundschaften. Erleben Sie seine spannenden und äußerst unterhaltsamen Abenteuer erstmalig als E-Book. Null Papier Verlag

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Ernest William Hornung

Raffles als Richter

Kriminalroman

Ernest William Hornung

Raffles als Richter

Kriminalroman

(Mr Justice Raffles)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Berta Pogson EV: Verlag von J. Engelhorns Nachf., Stuttgart, 1912 (288 S.) 2. Auflage, ISBN 978-3-962813-86-4

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel. Ein Be­grü­ßungs­schmaus

Zwei­tes Ka­pi­tel. Er­tappt

Drit­tes Ka­pi­tel. Kriegs­rat

Vier­tes Ka­pi­tel. Un­ser Shy­lock

Fünf­tes Ka­pi­tel. Ver­schwun­den

Sechs­tes Ka­pi­tel. Ka­mil­la Bel­si­ze

Sie­ben­tes Ka­pi­tel. Eine ver­lo­re­ne Par­tie

Ach­tes Ka­pi­tel. Die Lage der Din­ge

Neun­tes Ka­pi­tel. Ein Drei­bund

Zehn­tes Ka­pi­tel. Ich hal­te zu Raffles durch dick und dünn

Elf­tes Ka­pi­tel. Ein Streich im Dun­keln

Zwölf­tes Ka­pi­tel. Das Werk ei­ner Som­mer­nacht

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel. Über­lis­tet

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel. Cor­pus de­lic­ti

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel. Raffles’ Ver­hör

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel. Wa­che

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel. Ein heim­li­cher Dienst

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel. Ei­nes Sün­ders Tod

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel. Recht­fer­ti­gung

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Kri­mis bei Null Pa­pier

Der Frau­en­mör­der

Eine De­tek­ti­vin

Hem­mungs­los

Der Mann, der zu viel wuss­te

Noch mehr De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Samm­lung

Eine Kri­mi­nal­ge­schich­te & Das graue Haus in der Rue Ri­che­lieu

Der Dop­pel­mord in der Rue Morgue

In­di­sche Kri­mi­na­ler­zäh­lun­gen

Kri­mi­nal­ge­schich­ten

und wei­te­re …

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Erstes Kapitel. Ein Begrüßungsschmaus

Raffles war aus dem Um­kreis von Lon­don ver­schwun­den, und selbst ich hat­te nicht die lei­ses­te Ah­nung, wo er sich auf­hielt, bis ich ein Te­le­gramm von ihm be­kam, in dem er mich bat, ihn am nächs­ten Abend um sie­ben Uhr ein­und­drei­ßig am Bahn­hof Cha­ring Cross ab­zu­ho­len. Das war am Diens­tag vor dem großen Uni­ver­si­täts-Kricket­match und vol­le vier­zehn Tage nach sei­nem rät­sel­haf­ten Ver­schwin­den. Die De­pe­sche kam aus Karls­bad, dem un­glaub­lichs­ten Ort der Welt für einen so ge­sun­den Men­schen wie Raffles, und es konn­te wohl nur einen Grund ge­ben, der ein sol­ches Bild phy­si­scher Kraft und Ge­sund­heit an die­sen bö­sen Platz ge­führt hat­te. Zu mei­nem Ent­set­zen aber ent­stieg am Mitt­woch Abend dem Zug an­statt des kraft­vol­len, ge­sund­heits­trot­zen­den Man­nes, den ich zu se­hen er­war­tet hat­te, eine ei­ner Lei­che ähn­li­che Ka­ri­ka­tur.

»Sprich kei­nen Ton, mein lie­ber Bun­ny, bis ich ei­ni­ge Bis­sen Roast­beef zu mir ge­nom­men habe«, sag­te er mit mat­ter, ton­lo­ser Stim­me, die völ­lig im Ein­klang mit sei­nen hoh­len Wan­gen stand. »Nein, jetzt mag ich mich nicht mehr mit dem Ge­päck auf­hal­ten; das be­sorgst du als gu­ter al­ter Ka­me­rad wohl mor­gen früh für mich, nicht, Bun­ny?«

»Na­tür­lich, wann du willst«, sag­te ich und schob mei­nen Arm durch den sei­nen. »Wo wol­len wir nun di­nie­ren? Bei Kell­ner? Nea­po­lo? Im Carl­ton oder im Klub?«

Raffles schüt­tel­te den Kopf.

»Ein Di­ner her­un­ter­es­sen mag ich nicht«, sag­te er, »ich weiß schon, was ich möch­te.«

So führ­te er mich aus dem Bahn­hof in die Stadt hin­ein. Be­hag­lich schlen­dernd schrit­ten wir durch die Stra­ßen; ein­mal blieb er ste­hen, um über Tra­fal­gar Squa­re hin­weg in die Son­ne zu star­ren. Woh­lig at­me­te er den Teer­ge­ruch des son­nen­war­men Holz­pflas­ters ein, der für sei­ne Nase einen eben­so lieb­li­chen Duft ent­hielt, wie der Lärm des Stra­ßen­ver­kehrs sei­nen Ohren Mu­sik be­deu­te­te. Wir ka­men dann an einen der po­li­ti­schen Pa­läs­te, die sich her­ab­las­send in der Lis­te der Klubs mit auf­zäh­len las­sen. Zu mei­nem Er­stau­nen trat Raffles ein, als sei die gan­ze präch­ti­ge Mar­mor­hal­le sein ei­gen; si­cher schritt er ge­ra­de hin­durch auf den Grill­room zu, wo Kö­che mit wei­ßen Müt­zen auf sil­ber­nen Ros­ten zi­schen­de Spei­sen be­rei­te­ten. Er frag­te mich nicht, was wir es­sen woll­ten; das hat­te er sich wohl be­reits im Zuge über­legt. Er wähl­te das Fi­lets­teak selbst aus, be­stand dar­auf, die Nie­ren zu se­hen, und füg­te noch ein paar Wor­te über die Brat­kar­tof­feln hin­zu, wie auch über das »Welsh Ra­re­bit«, das als Nach­spei­se fol­gen soll­te. Al­les dies sah dem nor­ma­len Raffles, der bei Tisch sonst nicht schwer zu be­frie­di­gen war, eben­so­we­nig ähn­lich wie der tie­fe Seuf­zer, mit dem er sich mir ge­gen­über in den Ses­sel fal­len ließ, um dann die Arme auf dem Tisch zu kreu­zen.

»Ich wuss­te gar nicht, dass du hier Mit­glied bist«, sag­te ich, weil die­se Ent­de­ckung mich wirk­lich in Auf­re­gung ver­setz­te, aber auch weil die­ses The­ma mir un­ver­fäng­li­cher er­schi­en als die Fra­ge nach sei­ner letz­ten ge­heim­nis­vol­len Fahrt.

»Es gibt noch so man­ches, was du von mir nicht weißt, Bun­ny«, gab er müde zu­rück. »Wuss­test du zum Bei­spiel, dass ich in Karls­bad war?«

»Nein.«

»Und doch ent­sinnst du dich wohl des letz­ten Abends, an dem wir zu­sam­men sa­ßen?«

»Du meinst den Abend, als wir im Sa­voy zu Nacht aßen?«

»Das ist kaum drei Wo­chen her.«

»Mir schei­nen es eben­so vie­le Mo­na­te.«

»Und mir Jah­re!« rief Raffles. »Du er­in­nerst dich doch ge­wiss noch des fa­mo­sen Stamm­va­ters am nächs­ten Tisch mit der Nase wie ein Pum­pen­schwen­gel und der Gat­tin mit dem herr­li­chen Sma­ragd­hals­band?«

»Das soll­te ich mei­nen!« er­wi­der­te ich. »Du re­dest von dem großen Dan Levy, ge­nannt Shy­lock. Du hast mir ja selbst al­les über ihn er­zählt, A. J.«

»So? Dann fällt dir viel­leicht auch wie­der ein, dass die Shy­locks am an­de­ren Tage nach Karls­bad reis­ten. Der Alte fei­er­te sei­ne letz­te Or­gie vor der all­jähr­li­chen Kur, und alle An­we­sen­den muss­ten da­von er­fah­ren. Ach, Bun­ny, jetzt füh­le ich wirk­lich et­was wie Mit­leid mit dem al­ten Kna­ben.«

»Was aber in al­ler Welt be­wog dich, auch da­hin zu fah­ren?«

»Das fragst du? Weißt du nicht mehr, dass du die Sma­rag­den un­ter dem Tisch lie­gen sahst, nach­dem sie auf­ge­stan­den wa­ren, und wie ich mich ver­gaß und ih­nen nach­lief mit dem schöns­ten Kol­lier, das ich seit den Ta­gen der Lady Mel­ro­se in mei­nen Hän­den ge­hal­ten habe?«

Ich schüt­tel­te den Kopf, halb als Ant­wort auf sei­ne Fra­ge, halb in Ge­dan­ken an eine recht ver­kehr­te Hand­lung, die mir noch im­mer den Sinn be­drück­te. Jetzt war ich frei­lich auf et­was noch weit Un­sin­ni­ge­res vor­be­rei­tet.

»Du hat­test nur zu recht«, fuhr Raffles fort; mei­ne da­ma­li­gen Vor­wür­fe la­gen ihm wohl im Sinn. »Ich war zu dumm und be­nahm mich wie ein takt­lo­ser Idi­ot, denn je­der halb­wegs ver­nünf­ti­ge Mensch muss­te se­hen, dass ein so schwe­res Kol­lier nicht her­un­ter­fal­len konn­te, ohne dass die Trä­ge­rin es be­merkt hät­te.«

»Meinst du denn, dass sie es ab­sicht­lich fal­len ließ?« rief ich mit plötz­lich er­wach­tem In­ter­es­se, denn ich fing an, die Fort­set­zung sei­ner Ge­schich­te zu er­ra­ten.

»Ja«, sag­te Raffles. »Die gute Alte tat es mit Vor­be­dacht, als sie sich nach ir­gen­det­was bück­te; und zwar da­mit es ge­stoh­len und ihre Rei­se nach Karls­bad da­durch ver­scho­ben wür­de, denn ihr Mann zwingt sie all­jähr­lich, dort die Kur mit ihm zu ge­brau­chen.«

Ich sag­te dar­auf, ich hät­te im­mer das Ge­fühl ge­habt, dass wir das un­ver­kenn­bar be­stimm­te Schick­sal der Sma­rag­den nicht er­füllt hät­ten, und es war bei­na­he rüh­rend, wie Raffles nun mit mir ge­gen sich selbst Par­tei nahm.

»In dem­sel­ben Au­gen­blick, als ich die Stei­ne er­griff und das fet­te Schwein flu­chen hör­te, sah ich mei­nen Irr­tum ein«, sag­te er. »Er sag­te ihr so­fort ins Ge­sicht sie habe den Schmuck mit Ab­sicht fal­len las­sen, und traf da­mit den Na­gel auf den Kopf; da es dies­mal ihr ar­mer Kopf war, sah ich mei­nen un­wür­di­gen Ei­fer gleich im rech­ten Licht, Bun­ny. Es be­durf­te nicht erst dei­ner Vor­wür­fe, um mir klar zu ma­chen, was für ein blö­der Tor ich ge­we­sen war. Das Hals­band war ei­gent­lich dein, und mei­ne Pf­licht war es, dir auf ir­gend­ei­ne Wei­se die Stei­ne zu ver­schaf­fen. Ich folg­te da­her den un­recht­mä­ßi­gen Be­sit­zern nach Karls­bad, so­bald es die Klug­heit ge­stat­te­te.«

»Groß­ar­tig«, rief ich, er­freut, Raffles nicht im ent­fern­tes­ten so ab­ge­spannt zu fin­den, wie er äu­ßer­lich den An­schein er­weck­te. »Aber dass du mich nicht mit­ge­nom­men hast, A. J., das wer­de ich dir so leicht nicht ver­ges­sen.«

»Mein lie­ber Bun­ny, du hät­test es dort nicht aus­ge­hal­ten«, sag­te Raffles fei­er­lich, »die Kur hät­te dich um­ge­bracht; sieh nur, wie ich aus­se­he.«

»Du willst mir doch nicht weis­ma­chen, du ha­best dort die Kur ge­braucht?« spot­te­te ich.

»Aber selbst­ver­ständ­lich, Bun­ny. Ich habe ge­wis­sen­haft al­les durch­ge­macht.«

»Wa­rum nur?«

»Du kennst eben Karls­bad nicht, sonst wür­dest du nicht fra­gen. Der gan­ze Ort wim­melt von Spio­nen und Schar­la­ta­nen. Wenn ich nun die mir von ei­nem Obe­r­auf­schnei­der und Be­trü­ger er­teil­ten Ver­hal­tungs­maß­re­geln nicht be­ach­tet hät­te, wäre ich als­bald aus­fin­dig ge­macht und selbst als Spi­on oder Be­trü­ger an die Luft ge­setzt wor­den.«

Jetzt ka­men uns­re Steaks, damp­fend heiß, dazu je eine Nie­re und im Kranz dar­um die ge­rös­te­ten Kar­tof­feln. Raffles’ nächs­te Wor­te gal­ten nur noch dem Kell­ner und be­zo­gen sich auf ei­ni­ge auf­ein­an­der fol­gen­de Krü­ge bit­te­ren Biers; au­ßer­dem mach­te er nur noch die über­flüs­si­ge Rand­be­mer­kung: »Der Mann, der ge­sagt hat, wir Eng­län­der sei­en kei­ne Bier­trin­ker, war ein Lüg­ner.« Of­fen­ge­stan­den ist mir das Bier­trin­ken im­mer schwer ge­wor­den, und ich leis­te­te das Un­mög­li­che jetzt nur aus Ka­me­rad­schaft. Schließ­lich er­hielt ich denn auch zur Be­loh­nung einen so bos­haf­ten Be­richt al­ler Ent­beh­run­gen, dass ich ihn nur mit Raffles’ ei­ge­nen Wor­ten wie­der­zu­ge­ben wage.

»Nein, Bun­ny, du hät­test es nicht drei Tage dort aus­ge­hal­ten. Du hät­test die gan­ze Zeit ein lan­ges Ge­sicht ge­macht, so wie jetzt«, sag­te Raffles la­chend. Ich ver­mu­te, dass ich ein lan­ges Ge­sicht mach­te – wie mir das leicht pas­siert – als er mei­ne Aus­dau­er und Stand­haf­tig­keit in Zwei­fel zog. »Lach mal, al­ter Jun­ge! So, das ist schon bes­ser«, fuhr er fort, als ich mir alle Mühe gab, lus­tig aus­zu­se­hen. »Aber dort ist’s wahr­lich nicht zum La­chen. Nach der ers­ten Wo­che lä­chelt nie­mand mehr, und zu­al­ler­erst wird dort der Sinn für Hu­mor aus­ge­rot­tet. In mei­nem Ho­tel wohn­te ein Sports­mann, der sein Ge­wicht her­un­ter­trai­nier­te, um ein be­stimm­tes Pferd rei­ten zu kön­nen; der war zu Haus si­cher ein fi­de­ler Kum­pan, dort aber gab es für ihn kei­ne fro­he Stun­de. Vor dem ers­ten Früh­stück muss­te er Ki­lo­me­ter um Ki­lo­me­ter zu Fuß lau­fen, dann gab es Moorum­schlä­ge den gan­zen Vor­mit­tag und nicht einen Trop­fen zu trin­ken, au­ßer dem elen­den koh­len­sau­ern Was­ser, Gies­hüb­ler oder wie das Zeug heißt; da­von durf­te er eine Stun­de nach der Mahl­zeit, wenn ihm die Zun­ge buch­stäb­lich am Gau­men kleb­te, ein Gläs­chen trin­ken. Beim ers­ten Hah­nen­schrei gin­gen wir zu­sam­men zur Wage, und ob­wohl er äu­ßerst gut­mü­tig aus­sah, als ich ihn ein­mal in sei­nem Ses­sel schla­fend über­rasch­te, habe ich ihn doch in hel­ler Wut sei­nen Wie­ge­zet­tel zer­rei­ßen se­hen, wenn er ein paar Gramm zu­ge­nom­men hat­te, an­statt ein oder zwei Pfund zu ver­lie­ren. Wir mach­ten an­fangs uns­re Spa­zier­gän­ge ge­mein­sam, doch pfleg­te sei­ne Un­ter­hal­tung in eine sol­che kör­per­li­che In­nen­schau aus­zuar­ten, dass man nicht ein Wort über die Ver­rich­tun­gen der ei­ge­nen Ma­schi­ne­rie ein­fü­gen konn­te.«

»Mit dei­nem in­nern Werk war aber doch nichts los«, mahn­te ich Raffles. Er zuck­te die Ach­seln, als sei er sei­ner Sa­che nicht ganz si­cher.

»Zu­erst wohl nicht, aber da­ge­gen hilft die Kur schnell ge­nug. Ich schrumpf­te zu­sam­men wie eine Zieh­har­mo­ni­ka und hof­fe nur, dass ich mich eben­so wer­de wie­der aus­deh­nen kön­nen. In dem ver­fluch­ten Nest ist es näm­lich Sit­te, dass man so­fort nach der An­kunft an einen Arzt te­le­fo­niert. Ich frag­te den Rei­ters­mann, der mir na­tür­lich den sei­ni­gen emp­fahl, um einen Ge­fähr­ten auf dem Mar­ter­rost zu ha­ben. Der alte Erz­be­trü­ger kam schon nach zehn Mi­nu­ten, un­ter­such­te mich von Kopf zu Fuß und fäll­te, ohne zu er­rö­ten, sein Ur­teil über mei­nen Ge­sund­heits­zu­stand. Er sag­te, bei mir sei es die Le­ber! Ich schwö­re, ich fühl­te nichts da­von, be­vor ich nach Karls­bad ging, wür­de mich aber gar nicht wun­dern, wenn sie sich jetzt be­merk­bar mach­te.«

Mit tief­erns­tem Ge­sicht klapp­te er mit dem De­ckel sei­nes Bier­kru­ges und mach­te sich dann eif­rig über sein damp­fen­des ge­rös­te­tes Kä­se­schnitt­chen her, das der Kell­ner ge­ra­de ser­viert hat­te.

»Gol­dig se­hen sie aus und es­sen sich auch gol­dig«, rief der arme aus­ge­hun­ger­te Raffles. »Ich wünsch­te nur, der schlaue Fuchs von Arzt könn­te mich jetzt se­hen. Er ver­ord­ne­te mir eine Kur, die der des Rei­ters­man­nes so völ­lig glich, dass sie für den gan­zen Abend die düs­tern Schat­ten aus des­sen See­le bann­te. Wir fin­gen uns­re Trink­kur bei der­sel­ben Quel­le an und pro­me­nier­ten in der­sel­ben Ko­lon­na­de bei dem Ge­lärm der feis­ten Mu­sik­ka­pel­le. Es war bei Gott kein Spaß, Bun­ny; Moorum­schlä­ge und tro­ckene Ge­rich­te zu den Mahl­zei­ten mit et­was al­ko­hol­frei­em Gift da­zwi­schen be­kam ich auch. Du rümpfst die Nase, was? Ich sag­te dir ja schon, du hät­test es nie­mals aus­ge­hal­ten; es war aber eben das ein­zi­ge Mit­tel, den ho­hen Ein­satz zu ge­win­nen, denn da­durch schützt man sich vor je­dem Ver­dacht. Au­ßer­dem ma­che ich mir aus leib­li­chen Genüs­sen nicht halb so viel wie du oder der Rei­ters­mann, der ei­nes Ta­ges in des Dok­tors Hau­se einen Ohn­machts­an­fall be­kam, in der Hoff­nung auf einen Schluck Ko­gnak; es gab aber nur ein Glas bil­li­gen Mar­sa­la.«

»Hast du denn schließ­lich die Sma­rag­den be­kom­men?«

»Na­tür­lich, Bun­ny«, ant­wor­te­te Raffles ge­dämpft und mit ei­nem Blick, der mir spä­ter wie­der in den Sinn kam. »Die Kell­ner hor­chen aber so­wie­so schon, des­halb er­zäh­le ich dir das üb­ri­ge ein an­der­mal. Du weißt ver­mut­lich, was mich so rasch zu­rück­brach­te?«

»War dei­ne Kur denn nicht be­en­det?«

»Es fehl­ten noch vol­le drei Tage, und ich hat­te den Ge­nuss ei­ner grim­mi­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem al­ten Heuch­ler, um mei­ne über­stürz­te Abrei­se zu recht­fer­ti­gen. Wenn aber Ted­dy Gar­land nicht noch in elf­ter Stun­de zu der er­wähl­ten Mann­schaft der Blau­en von Cam­bridge ge­sellt wor­den wäre, so säße ich noch in Karls­bad.«

E. M. Gar­land ge­hör­te zu den Wäch­tern der Ball­stä­be des Kricket­klubs von Cam­bridge und war ei­ner der jun­gen Spie­ler, die Raffles zu großem Dank ver­pflich­tet wa­ren. Sie wa­ren ein­an­der auf dem Lan­de bei ge­mein­sa­men Be­kann­ten nä­her ge­tre­ten, spiel­ten in der Stadt auf der­sel­ben Par­tei, und im Hau­se des al­ten Gar­land wur­de Raffles stän­di­ger Gast. Ich fürch­te, ich heg­te ein lei­ses Vor­ur­teil so­wohl ge­gen den Va­ter, einen ehe­ma­li­gen Brau­er, den ich nie ken­nen lern­te, wie ge­gen den Sohn, mit dem ich ein oder zwei­mal im Al­ba­ny zu­sam­men­ge­trof­fen war. Und doch konn­te ich die Sym­pa­thie zwi­schen ihm, dem sehr viel Jün­ge­ren, und Raffles ver­ste­hen; er war in man­chen Din­gen noch fast kna­ben­haft, schi­en aber, wie so man­che mit der glei­chen Uni­ver­si­täts­er­zie­hung, eine Welt­kennt­nis über sei­ne Jah­re hin­aus zu be­sit­zen und hat­te da­ne­ben einen ur­sprüng­li­chen Reiz und eine Fri­sche, die we­der Wis­sen noch Er­fah­rung merk­lich be­ein­träch­ti­gen konn­ten. Und doch hat­te ich ihn im Ver­dacht, dass er sich die Hör­ner schon kräf­tig ab­ge­lau­fen habe und dass es Raffles ge­we­sen, der sich sei­ner an­ge­nom­men und ihn zu dem Ma­te­ri­al her­an­ge­zo­gen hat­te, aus dem die Blau­en ge­wählt wer­den. Über­dies wuss­te ich, dass es für einen jun­gen Mann kei­nen ehr­li­che­ren Freund und treue­ren Be­ra­ter ge­ben konn­te als Raffles, und vie­le wer­den mir im Her­zen recht ge­ben; aber sie kann­ten ih­ren Raffles nicht, wie ich ihn kann­te, und wenn sie be­haup­ten, das sei ge­ra­de der Grund, wes­halb sie so viel von ihm hiel­ten, so mö­gen sie nur Ge­duld ha­ben, und sie wer­den et­was zu hö­ren be­kom­men, das sie nicht ge­rin­ger von ihm den­ken lässt.

»Ich konn­te den ar­men Ted­dy nicht bei Lords spie­len las­sen«, er­klär­te mir Raffles, »wenn ich nicht da­bei war, um ihn an­zu­feu­ern. Wie du weißt, habe ich ihn al­ler­lei ge­lehrt, als wir im letz­ten Au­gust häu­fi­ger zu­sam­men spiel­ten. Ich neh­me ein wahr­haft vä­ter­li­ches In­ter­es­se an dem Jun­gen.«

»Du hast viel Gu­tes an ihm ge­tan«, warf ich ein, »in mehr als ei­ner Be­zie­hung.«

Raffles blick­te fra­gend von der Rech­nung auf. Ich sah wohl, dass mei­ne Be­mer­kung ihm nicht recht war, doch nahm ich sie nicht zu­rück.

»Nun, wenn du mich fragst: ich glau­be, du hast man­ches für ihn ver­mit­telt und ge­ord­net.«

»Ich habe dich gar nicht ge­fragt, Bun­ny«, sag­te Raffles, und ich be­ob­ach­te­te, wie er dem Kell­ner ein Trink­geld hin­schob, ohne dass ei­nem von bei­den das un­pas­send er­schie­nen wäre.

»Du hast mir doch selbst eine Men­ge über den Jun­gen er­zählt«, sag­te ich, wäh­rend wir die Mar­mor­trep­pe hin­ab­stie­gen. »Ein­mal hör­te ich zum Bei­spiel von dir, dass er einen Hau­fen Schul­den hät­te.«

»Das fürch­te­te ich«, ant­wor­te­te Raffles of­fen, »und un­ter uns ge­sagt, ich bot ihm an, ihn zu ar­ran­gie­ren, be­vor ich nach dem Kon­ti­nent reis­te. Aber Ted­dy woll­te nichts da­von hö­ren, sein hei­ßes, jun­ges Blut koch­te bei der Zu­mu­tung, und es war ge­ra­de­zu ent­zückend, wie er mich ab­lau­fen ließ. Zieh also kei­ne häss­li­chen Schlüs­se, Bun­ny, son­dern komm mit ins Al­ba­ny zu ei­nem Whis­ky.«

So lie­ßen wir uns denn in der Hal­le uns­re Hüte und Rö­cke aus­hän­di­gen, zün­de­ten uns­re Zi­ga­ret­ten an, und schrit­ten stolz wie die Be­sit­zer die­ses Palas­tes hin­aus.

»Das ist ent­schie­den der bes­te Grill in ganz Eu­ro­pa«, sag­te ich, um auf ein andres The­ma zu kom­men, und völ­lig zu­frie­den mit mir und der Welt.

»Da­rum gin­gen wir ja hin, Bun­ny.«

»Mich wun­dert nur, wenn du dort Mit­glied bist, dass du dem Kell­ner ein Trink­geld gibst und auch eine Mar­ke für dei­ne Gar­de­ro­be er­hältst.«

Es über­rasch­te mich nicht, dass Raffles sein Klub­lo­kal ver­tei­dig­te.

»Ich wür­de an dei­ner Stel­le noch einen Schritt wei­ter ge­hen und je­den Be­su­cher sei­ne Mit­glieds­kar­te vor­wei­sen las­sen«, sag­te er la­chend.

»Der Por­tier kennt die Mit­glie­der doch si­cher von An­se­hen.«

»Ach, kei­nes­wegs; dazu gibt es zu viel Tau­sen­de.«

»Ich dach­te, das sei sei­ne Pf­licht.«

»Ich weiß aber, dass er sie nicht kennt.«

»Du musst es ja wis­sen, da du selbst Mit­glied bist.«

»Im Ge­gen­teil, bes­ter Bun­ny, ich weiß es so ge­nau, weil ich nie­mals Mit­glied war.«

Zweites Kapitel. Ertappt

Wie lach­ten wir, als wir Whi­te­hall ent­lang schrit­ten! Ich ahn­te, dass ich mit Raffles auf ei­nem Holz­weg ge­we­sen war, und das er­höh­te mei­ne Freu­de. Er war noch der alte tol­le, lus­ti­ge Spitz­bu­be, und nur durch die un­heim­li­che Macht sei­ner er­staun­li­chen Wil­lens­kraft war es ihm ge­lun­gen, auf dem Bahn­hof einen so elen­den und jam­mer­vol­len Ein­druck her­vor­zu­ru­fen. In dem La­ter­nen­licht der Lon­do­ner Stra­ßen und un­ter dem thea­ter­blau­en Ster­nen­him­mel sah er jetzt schon wie ein and­rer Mensch aus. Wenn durch ei­ni­ge Glä­ser bit­tern Bie­res und ein paar Bis­sen Fi­lets­teak solch eine Ver­än­de­rung er­reicht wer­den konn­te, so war ich für mein fer­ne­res Le­ben ein Freund al­ler Bier­brau­er und er­klär­ter Feind al­ler Ve­ge­ta­ria­ner.

Un­ter der glän­zen­den Lau­ne ent­deck­te ich bei ihm doch tie­fen Ernst, be­son­ders als er wie­der von Ted­dy Gar­land an­fing und mir er­zähl­te, dass er auch ihm von Karls­bad aus te­le­gra­fiert habe. Mit ei­nem ganz lei­sen schimpf­li­chen Stich im Her­zen fühl­te ich die ver­wun­der­te Fra­ge in mir auf­stei­gen, ob der Ver­kehr mit die­sem eh­ren­wer­ten Jüng­ling in Raffles wohl Ge­wis­sens­bis­se über sei­ne Mis­se­ta­ten ge­weckt hat­te, die ich nur zu oft in ihm wach­zu­ru­fen ver­sucht hat­te, ohne da­mit Er­folg zu ha­ben.

Trotz uns­res kur­z­en Über­mu­tes ka­men wir jetzt be­son­nen und nach­denk­lich im Al­ba­ny an und grü­bel­ten wirk­lich ein­mal über nichts Bö­sem in un­serm sonst ge­setz­wid­ri­gen Le­ben.

Im Hof fan­den wir un­sern al­ten Freund Bar­raclough, den Por­tier, der uns freu­dig will­kom­men hieß.

»Oben ist ein Herr, der ein paar Wor­te für Sie auf­schrei­ben woll­te«, sag­te er zu Raffles, »es ist Herr Gar­land, des­halb führ­te ich ihn hin­auf.«

»Ted­dy«, rief Raffles und nahm zwei Stu­fen auf ein­mal.

Ich folg­te lang­sa­mer. In mir brann­te nicht ge­ra­de Ei­fer­sucht, doch fühl­te ich Be­den­ken die­ser neu­ge­ba­cke­nen Freund­schaft ge­gen­über. Ich folg­te also mit dem Ge­fühl, dass für mich der Abend ver­dor­ben sei – und weiß der Him­mel, dies Ge­fühl hat­te mich nicht be­tro­gen! Bis an mein Le­bens­en­de ver­ges­se ich den An­blick nicht, der sich mir in den wohl­be­kann­ten Räu­men bot. Ich sehe das Bild noch jetzt mit al­len Ein­zel­hei­ten vor mei­nem in­nern Auge.

Raffles hat­te die Tür so laut­los, wie nur er es konn­te, ge­öff­net, mit dem kna­ben­haf­ten Wunsch, den an­de­ren zu er­schre­cken; und na­tür­lich war Gar­land von dem Schreib­tisch, an dem er saß, in die Höhe ge­fah­ren, als plötz­lich dicht hin­ter ihm sein Name ge­nannt wur­de. Das war sei­ne letz­te na­tür­li­che Be­we­gung. Er mach­te nicht einen Schritt, um Raffles’ aus­ge­streck­te Hand zu er­grei­fen, und auf dem fri­schen, jun­gen Ge­sicht mit den nuss­brau­nen Au­gen und der ge­sun­den brau­nen Haut­far­be er­schi­en auch nicht der lei­ses­te Schim­mer von Freu­de über das Wie­der­se­hen. Un­ter un­sern Bli­cken wich so­gar je­der Bluts­trop­fen aus dem ju­gend­li­chen Ant­litz, das sich lang­sam mit krank­haf­ter Bläs­se über­zog. Ted­dy Gar­land stand wie fest­ge­na­gelt an dem Schreib­tisch, an des­sen Plat­te er sich mit al­ler Kraft an­klam­mer­te. Ich sehe noch sei­ne Knö­chel, die sich wie El­fen­bein von dem brau­nen Han­drücken ab­ho­ben.

»Was gib­t’s, was ver­steckst du denn da?« frag­te Raffles.

Warm hat­te die Lie­be sei­ne ers­te An­re­de durch­klun­gen; auch sei­ne ver­wun­der­te Fra­ge klang noch scher­zend und freund­lich, doch die Hal­tung des jun­gen Man­nes ver­än­der­te sich nicht.

Wäh­rend der Zeit war ich in un­be­stimm­tem Ent­set­zen auf der Schwel­le fest­ge­wur­zelt ste­hen ge­blie­ben. Jetzt wink­te mir Raffles und mach­te mehr Licht; es be­leuch­te­te ein geis­ter­haf­tes, schul­di­ges Ant­litz, das aber trotz­dem tap­fer der hel­len Licht­flut stand­hielt. Raffles ver­schloss die Tür hin­ter mir, steck­te den Schlüs­sel in die Ta­sche und trat auf den Schreib­tisch zu.

Es ist un­nö­tig, ihre ers­ten ge­stot­ter­ten Wor­te zu wie­der­ho­len; Gar­land schrieb näm­lich kei­nen Brief, son­dern einen Scheck, den er mit großer Mühe und Sorg­falt in Raffles’ Scheck­buch von ei­nem al­ten Scheck aus dem Aus­ga­ben­buch ko­pier­te, das in brau­nes Le­der ge­bun­den, in gol­de­nen Let­tern den Na­mens­zug A. J. Raffles trug. Raffles hat­te sich erst im Lau­fe die­ses Jah­res auf der Bank ein Kon­to er­öff­nen las­sen, und ich er­in­ner­te mich noch, wie er la­chend sag­te, es fal­le ihm nicht ein, sich an die Vor­schrif­ten auf dem Scheck­buch zu hal­ten; er wol­le es im­mer frei her­um­lie­gen las­sen, da­mit alle Welt wis­se, dass er ein Bank­kon­to habe. Und nun war dies das Re­sul­tat. Der ers­te Blick muss­te den jun­gen Mann ver­bre­che­ri­scher Ab­sicht über­füh­ren, denn auf dem Schreib­tisch lag ein mit dem ver­suchs­wei­se ge­schrie­be­nen Na­mens­zug über und über be­deck­ter Brief­bo­gen. Und doch sah Raffles mit tie­fem Mit­leid auf den Jüng­ling, der trot­zig den Blick er­wi­der­te.

»Mein ar­mer klei­ner Kerl«, war al­les, was er sag­te.

Da­rauf fand auch die Zun­ge des Jün­ge­ren wie­der Wor­te. »Ruf doch gleich die Po­li­zei«, stieß er hei­ser her­vor; »was willst du mich noch quä­len?«

Ich muss­te mit Ge­walt an mich hal­ten, um nicht dem Bur­schen zu­zu­ru­fen, dass es nicht an ihm sei, hier Fra­gen zu stel­len. Raffles aber frag­te ihn nur in al­ler Ruhe, ob er mit der Ab­sicht her­ge­kom­men sei.

»Weiß Gott, nein, A. J. Ich kam her­auf, um dir ein paar Wor­te auf­zu­schrei­ben, das schwö­re ich dir«, rief Gar­land von plötz­li­chem Schluch­zen un­ter­bro­chen.

»Der Schwur ist un­nö­tig«, gab Raffles mit lei­sem Lä­cheln zu­rück. »Dein Wort ge­nügt mir voll­kom­men.«

»Das loh­ne dir Gott, nach­dem, was ich tat«, sag­te Gar­land ton­los und in schreck­li­cher Ver­fas­sung.

»Aber das liegt ja auf der Hand.«

»Wirk­lich? Bist du des­sen ganz si­cher? Und er­in­nerst du dich, dass du mir im letz­ten Mo­nat einen Scheck an­ge­bo­ten hast, den ich aus­schlug?«

»Aber na­tür­lich«, rief Raffles mit so un­ge­küns­tel­ter Herz­lich­keit, dass ich so­fort wuss­te, er hat­te seit dem Es­sen, wo er mir da­von er­zähl­te, nicht wie­der dar­an ge­dacht. Ich sah nur gar kei­nen Grund zu so auf­fäl­li­ger Er­leich­te­rung dar­in, durch­aus kei­ne mil­dern­den, son­dern viel eher er­schwe­ren­de Um­stän­de des Ver­ge­hens.

»Ich habe mei­ne da­ma­li­ge ab­schlä­gi­ge Ant­wort seit­dem, Tag für Tag, be­reut«, fuhr der jun­ge Gar­land schlicht fort. »Schon da­mals war es ver­kehrt ge­han­delt, aber ge­ra­de in die­ser Wo­che wur­de es für mich zum Ver­der­ben. Geld muss ich ha­ben un­ter al­len Um­stän­den; ich wer­de dir gleich sa­gen, wes­halb. Als ich ges­tern Abend dein Te­le­gramm in Hän­den hielt, war es mir, als sei mein er­bärm­li­ches Ge­bet er­hört wor­den. Ich hat­te heu­te früh zu je­mand ge­hen wol­len, ent­schloss mich nun aber, lie­ber auf dich zu war­ten. Du bist ja der ein­zi­ge, dem ich ganz ver­trau­en kann, und doch schlug ich dein groß­mü­ti­ges Aner­bie­ten vor vier Wo­chen ab. Du hat­test ge­schrie­ben, du wür­dest heu­te Abend zu­rück sein, aber als ich her­kam, warst du nicht da. Ich te­le­fo­nier­te und hör­te, dass der Zug zur rech­ten Zeit an­ge­kom­men sei, und dass vor mor­gen früh kei­ner mehr ein­trä­fe. Mor­gen ist der Ver­fall­tag und mor­gen ist auch das Kricket­match.« Er hielt inne, als er sah, was Raffles tat. »Nein, Raffles, ich ver­die­ne das nicht«, füg­te er in neu­er Verzweif­lung hin­zu.

Aber Raffles hat­te den Tan­ta­lus schon auf­ge­schlos­sen, in dem Eck­schrank einen Si­phon ge­fun­den und reich­te dem schul­di­gen Jüng­ling ein gel­bes Glas.

»Trink mal«, sag­te er, »oder ich höre dir nicht län­ger zu.«

»Ich wer­de völ­lig rui­niert sein, be­vor das Match be­ginnt. Ja, ganz be­stimmt«, be­harr­te der arme Bursch und wand­te sich zu mir, als Raffles den Kopf schüt­tel­te. »Das bricht mei­nem Va­ter das Herz und – und – –«

Ich glaub­te, er hät­te uns noch Schlim­me­res zu beich­ten, da er in sol­cher Verzweif­lung ab­brach; aber ent­we­der än­der­te er sei­nen Sinn oder der Lauf sei­ner Ge­dan­ken wich von selbst in eine and­re Bahn, denn als er wie­der sprach, war es, um uns eine wei­te­re Er­klä­rung sei­ner Hand­lungs­wei­se zu ge­ben.

»Ich kam nur her­auf, um Raffles ein paar Zei­len zu hin­ter­las­sen für den Fall, dass er noch recht­zei­tig zu­rück­käme«, sag­te er zu mir. »Der Por­tier brach­te mich selbst her­auf und führ­te mich an den Schreib­tisch. Er wird Ih­nen er­zäh­len, wie oft ich vor­her schon da­ge­we­sen bin. Und dann, Raffles, sah ich in dem klei­nen Fach dein Scheck­buch und da­ne­ben dein Aus­ga­ben­buch mit ei­ner Men­ge al­ter Schecks drin.«

»Und weil ich nicht da war, um dir einen aus­zu­stel­len, ta­test du es für mich«, rief Raffles. »Und mit vol­lem Recht.«

»Mach dich nicht über mich lus­tig«, rief der jun­ge Mann, bei dem jetzt die tie­fe Bläs­se ei­ner hei­ßen Röte wich. Er sah wie­der zu mir her­über, als ver­letz­te ihn mein erns­tes Ge­sicht we­ni­ger als die mut­wil­li­ge Teil­nah­me sei­nes Freun­des.

»Ich ma­che mich nicht lus­tig, Ted­dy«, er­wi­der­te Raffles freund­lich, »ich war so­gar nie im Le­ben erns­ter. Es war freund­schaft­lich von dir, in dei­ner Be­dräng­nis zu mir zu kom­men, aber dei­ne auf­rich­ti­ge Zu­nei­gung ge­bot dir, hin­ter mei­nem Rücken auf mich zu zie­hen, um mir den le­bens­lan­gen Vor­wurf zu er­spa­ren, dich durch mein Zusp­ät­kom­men rui­niert zu ha­ben. Du kannst den Kopf schüt­teln, so­viel du willst, ich blei­be da­bei, mir ist nie ein grö­ße­res Kom­pli­ment ge­macht wor­den.«

Und die­ser vollen­de­te Ge­wis­sens­ver­dre­her fuhr fort, sei­ne Ge­dan­ken wei­ter aus­zu­spin­nen, bis ein we­ni­ger un­glück­li­cher Sün­der sich viel­leicht über­zeugt ge­fühlt hät­te, dass er gar nichts wirk­lich Ehren­rüh­ri­ges ge­tan habe; der jun­ge Gar­land aber be­saß so viel An­stand, we­der selbst eine Ent­schul­di­gung vor­zu­brin­gen, noch sei­ne Hand­lungs­wei­se durch Raffles ent­schul­di­gen zu las­sen. Wohl nie habe ich einen Men­schen sich selbst schär­fer ver­ur­tei­len oder das Beich­ten ei­nes Fehl­tritts in här­te­ren Wor­ten ab­le­gen hö­ren; aber trotz­dem lag in sei­ner Reue et­was so Auf­rich­ti­ges und Ur­sprüng­li­ches, et­was, das Raffles und ich schon seit so lan­ger Zeit ein­ge­büßt hat­ten, dass uns sein tö­rich­ter Streich mehr zu Her­zen ging, als uns­re ei­ge­nen Ver­bre­chen. Ja, tö­richt ge­nug war er ge­we­sen, ei­gent­lich wohl gar ein Ver­bre­cher, wie er selbst sich nann­te. Es war die alte Ge­schich­te vom ver­lo­re­nen Sohn und dem all­zu gü­ti­gen Va­ter. Er hat­te, wie ich ver­mu­te­te, in tol­lem Saus und Braus ge­lebt, und erst Raffles’ Ein­fluss hat­te die­sem Trei­ben Ein­halt ge­tan; un­be­küm­mert hat­te er aber auch die größ­te Ver­schwen­dung ge­trie­ben, wo­von Raffles na­tür­lich nichts wuss­te, denn so ein jun­ger Tu­nicht­gut be­kennt sich wohl zu sei­nen tol­len Strei­chen, nicht aber zu sei­nen Dumm­hei­ten. Schließ­lich hat­te er die Groß­mut des Va­ters an­ge­ru­fen und muss­te da mit Ent­set­zen er­ken­nen, dass der Va­ter selbst in Geld­ver­le­gen­heit war.

»Was?« rief Raffles, »trotz die­ses Hau­ses?«

»Ich wuss­te, dass dich das über­ra­schen wür­de«, sag­te Ted­dy Gar­land. »Ich kann es auch kaum fas­sen; er sag­te mir nichts Nä­he­res, die Tat­sa­che ge­nügt ja auch voll­kom­men. Da­nach konn­te ich mei­nem Va­ter nicht al­les ein­ge­ste­hen. Er stell­te mir einen Scheck aus über die Sum­me, die ich ge­beich­tet hat­te, und ich sah wohl, wie schwer ihm das wur­de; da schwor ich mir, mich nie wie­der auch nur um einen Gro­schen an ihn zu wen­den, und den Schwur wer­de ich hal­ten.«

Der Jüng­ling nahm einen Schluck aus dem Gla­se, denn sei­ne Stim­me brach; dann zö­ger­te er noch einen Au­gen­blick mit sei­nem wei­tern Be­richt, um sich eine neue Zi­ga­ret­te an­zu­zün­den, da ihm die sei­ne zwi­schen den Fin­gern er­lo­schen war. Das jun­ge Ge­sicht mit der ge­run­zel­ten Stirn und dem zu­cken­den Mund war voll so tiefer Emp­fin­dung und maß­lo­ser Verzweif­lung, dass Raffles den Blick ab­wand­te, bis das Zünd­holz aus­ge­bla­sen war.

»Zu der Zeit tat ich das Schlimms­te, was ich tun konn­te«, fuhr Ted­dy fort. »Ich nahm mei­ne Zuf­lucht zu den Geld­ver­lei­hern, denn ich hat­te noch mehr Schul­den – Ehren­schul­den – die be­gli­chen wer­den muss­ten. Ich fing mit zwei- oder drei­hun­dert Pfund an, und ihr wisst viel­leicht, wie solch ein Schnee­ball wächst in den Hän­den die­ser Teu­fel; ich hat­te kei­ne Ah­nung da­von. Ich lieh mir drei­hun­dert und un­ter­schrieb einen Hand­wech­sel auf vier­hun­dert­sechs­und­fünf­zig.«

»Nur fünf­zig Pro­zent«, sag­te Raffles, »da kamst du bil­lig da­von, wenn die Pro­zen­te jähr­lich be­rech­net wa­ren.«

»War­te einen Au­gen­blick. Es soll­te so­gar noch ge­lin­der sein, denn die vier­hun­dert­sechs­und­fünf­zig soll­ten in mo­nat­li­chen Ra­ten von je zwan­zig Gold­füch­sen zu­rück­er­stat­tet wer­den; das hielt ich ge­wis­sen­haft inne, bis die sechs­te Zah­lung fäl­lig war. Das war gleich nach Weih­nach­ten, wo je­der knapp ist, und zum ers­ten Mal kam ich um einen oder zwei Tage zu spät – mehr wa­ren es nicht, ver­si­che­re ich dir; und was meinst du, was ge­sch­ah? Mein Scheck kam zu­rück, und der gan­ze ver­fluch­te Sal­do wur­de bar auf den Tisch des Hau­ses ver­langt.«

Raffles folg­te ge­spannt je­dem Wort mit der voll­kom­me­nen Kon­zen­tra­ti­on, die in sei­ner geis­ti­gen Aus­rüs­tung das Haupt­mo­ment be­deu­te­te. Kei­ne Mus­kel in sei­nem Ge­sicht be­weg­te sich, er war voll so eif­ri­ger Auf­merk­sam­keit wie nur je ein Rich­ter beim Ver­hör. Noch nie sah ich so klar vor mei­nem geis­ti­gen Auge, was für ein her­vor­ra­gen­der Mensch er ge­wor­den wäre, hät­te er nicht von Mut­ter Na­tur die­sen Spar­ren mit­be­kom­men, der ihn zu dem ge­macht hat­te, was er lei­der war.

»Der Hand­wech­sel lau­te­te auf vier­hun­dert­sechs­und­fünf­zig, und die­se plötz­li­che For­de­rung ging auf die gan­ze Sum­me, ab­ge­rech­net die hun­dert Pfund, die du be­reits be­zahlt hat­test?« frag­te er.

»Ja.«

»Und was ta­ten Sie?« frag­te ich, um zu be­wei­sen, dass ich im schnel­len Er­fas­sen der Sach­la­ge nicht hin­ter Raffles zu­rück­ste­he.

»Ich sag­te, sie soll­ten mei­ne Zah­lung an­neh­men und sich mit dem Rest zum Teu­fel sche­ren!«

»Und was ta­ten sie?«

»Lie­ßen die gan­ze Sa­che völ­lig fal­len bis zu eben die­ser Wo­che und da kom­men sie und ver­lan­gen – was glaubt ihr wohl?«

»Na, es wird nah an die tau­send sein«, sag­te Raffles nach kur­z­em Be­den­ken.

»Un­sinn!« rief ich.

Gar­land sah eben­falls sehr er­staunt aus. »Raffles kennt den Rum­mel«, sag­te er. »Sie­ben­hun­dert war die ge­gen­wär­ti­ge Sum­me. Ich brau­che dir wohl nicht erst zu sa­gen, dass ich den Hun­den ge­hö­rig aus dem Weg ge­gan­gen bin, seit dem Tag des ers­ten Pum­pes. Jetzt ging ich aber hin und woll­te ih­nen dies tüch­tig ein­trän­ken. Aber die Hälf­te der sie­ben­hun­dert ist für ver­ab­säum­te Zin­sen­zah­lung, denk nur, von An­fang Ja­nu­ar bis zum jet­zi­gen Da­tum.«

»Hat­test du dich da­mit ein­ver­stan­den er­klärt?«

»Nicht dass ich wüss­te; aber da stand es klar und deut­lich auf mei­nem Wech­sel. Ei­nen hal­b­en Pen­ny auf den Schil­ling die Wo­che, au­ßer den ur­sprüng­li­chen Zin­sen, wenn nicht pünkt­lich ge­zahlt wür­de.«

»War es auf den Wech­sel ge­druckt oder ge­schrie­ben?«

»Ge­druckt – klein ge­druckt na­tür­lich, das brauch’ ich wohl kaum ex­tra zu er­wäh­nen, doch groß ge­nug, dass ich es hät­te le­sen kön­nen – als ich den ver­fluch­ten Wisch un­ter­schrieb. Ich glau­be so­gar, dass ich es ge­le­sen habe, aber was ist denn ein hal­ber Pen­ny die Wo­che. Wer ahnt denn, dass sich das so auf­sum­men kann. Es stimmt aber, und der lan­gen Rede kur­z­er Sinn ist, dass, wenn ich nicht bis mor­gen zwölf Uhr ge­zahlt habe, mein al­ter Herr ge­fragt wird, ob er für mich zah­len oder mich vor sei­nen Au­gen bank­rott er­klärt se­hen will. Zwölf, ge­ra­de wenn das Match an­fängt; das wis­sen sie na­tür­lich und bau­en dar­auf. Noch die­sen Abend be­kam ich ein höchst un­ver­schäm­tes Ul­ti­ma­tum, bis da­hin sei mit töd­li­cher Si­cher­heit mein letz­ter Ter­min.«

»Und da kamst du zu mir?«

»Ich wäre auf je­den Fall ge­kom­men; jetzt wün­sche ich nur, ich hät­te mir eine Ku­gel durch den Kopf ge­jagt.«

»Mein lie­ber Jun­ge, du hast mich nur stolz ge­macht; lass uns den Sinn für gleich­mä­ßi­ges Ver­hält­nis nicht ver­lie­ren, Ted­dy.«

Der jun­ge Gar­land aber hat­te das Ge­sicht in den Hän­den ver­bor­gen und war wie­der so ge­bro­chen wie zu An­fang, als er uns sto­ckend die Ge­schich­te sei­ner Schan­de zu ent­hül­len be­gann. Die un­be­wuss­te Le­ben­dig­keit, mit der er sein Herz ent­las­te­te, und die häu­fig jun­gen­haft der­be Aus­drucks­wei­se, mit der sein Be­richt ge­schmückt war, ver­blass­te auf sei­nem An­ge­sicht und erstarb auf sei­nen Lip­pen. Wie­der war er nur eine See­le in den Qua­len der Verzweif­lung und Er­nied­ri­gung; in die­sem er­neu­ten Zu­sam­men­bruch er­schi­en er be­mit­lei­dens­wert, nicht ver­ächt­lich und noch we­ni­ger der Lie­be un­wür­dig. Jetzt er­kann­te ich die Ei­gen­schaf­ten, die ihm Raffles’ Herz ge­won­nen hat­ten. Es gibt eine an­ge­bo­re­ne Vor­nehm­heit, die nicht durch ein ein­ma­li­ges Hin­ab­stei­gen zum Une­deln zer­stört wer­den kann, eine so wirk­li­che Ehren­haf­tig­keit, viel zu hell und glän­zend, um durch eine zu­fäl­li­ge Schmach ver­dun­kelt zu wer­den; bei­de Ei­gen­schaf­ten blie­ben dem jun­gen Mann in den Au­gen der an­de­ren zwei, die eben jetzt den Ent­schluss fass­ten, ihm al­les das zu be­wah­ren und zu er­hal­ten, was sie selbst ver­lo­ren hat­ten. Mir kam von selbst die­ser Ge­dan­ke; und doch kann ich ihn auch von ei­nem Ge­sicht her­ge­lei­tet ha­ben, das au­gen­blick­lich leicht zu le­sen war, ei­nem schön ge­schnit­te­nen Ge­sicht, das mei­nes Wis­sens noch nie zu glei­cher Zeit so fest und so mild im Aus­druck ge­we­sen war wie jetzt.

»Was tun wir mit die­sen Geld­leu­ten?« frag­te Raffles schließ­lich.

»Es han­delt sich im Grun­de nur um einen.«

»Sol­len wir sei­nen Na­men ra­ten?«

»Nein, ich will ihn gern nen­nen. Es ist Dan Levy.«

»Na­tür­lich!« rief Raffles und nick­te mir zu. »Un­ser ge­lieb­ter Shy­lock in vol­ler Glo­rie.«

»Du kennst ihn doch nicht etwa?« frag­te Ted­dy und hob plötz­lich den Kopf.

»Ich könn­te fast sa­gen, ich ken­ne ihn ge­nau; in Wahr­heit aber traf ich ihn erst auf der Rei­se.«

Jetzt stand Ted­dy wie­der auf den Fü­ßen. »Aber kennst du ihn gut ge­nug, um –«

»Na­tür­lich. Ich ma­che ihm mor­gen früh mei­nen Be­such. Ich muss dann aber die Quit­tun­gen ha­ben von den ver­schie­de­nen Zah­lun­gen, die du ge­leis­tet hast, und viel­leicht auch den Brief, in dem er dir mor­gen Mit­tag als letz­ten Ter­min an­gibt.«

»Hier ist al­les«, sag­te Gar­land und zog ein dickes Ku­vert her­vor. »Ich gehe aber na­tür­lich mit dir –«

»Du denkst gar nicht dar­an! Ich will nicht, dass du dir um die­sen al­ten Gro­bi­an die Au­gen für das Match verdirbst, auch las­se ich dich nicht die gan­ze Nacht hier her­um­sit­zen. Wo bist du ab­ge­stie­gen?«

»Noch nir­gends. Ich ließ mei­ne Sa­chen im Klub. Ich woll­te zu Fuß nach Haus ge­hen, wenn ich dich früh ge­nug ge­trof­fen hät­te.«

»Bra­ver Bursch! Du bleibst hier.«

»Aber, al­ter Freund, wie kann ich das!« rief Ted­dy dank­er­füllt.

»Mein Jun­ge, mich küm­mert es gar nicht, ob du kannst oder nicht. Du bleibst hier, und zwar ver­fügst du dich so­fort ins Bett. Ich kann dir mit al­lem aus­hel­fen, was du brauchst, und Bar­raclough kann dir dei­ne Sa­chen ho­len, noch ehe du auf­wachst.«

»Du hast doch gar kein zwei­tes Bett, Raffles.«

»Du be­kommst das mei­ne. Ich gehe doch sehr sel­ten ins Bett, was, Bun­ny?«

»Ich hab’ dich sel­ten dar­in ge­fun­den.«

»Du bist aber doch die gan­ze vo­ri­ge Nacht ge­reist?«

»Und den Tag dazu, glatt durch bis zum Abend, und im Zug schla­fe ich fast die gan­ze Zeit«, sag­te Raffles. »Heu­te habe ich den gan­zen Tag über kaum mal die Au­gen auf­ge­macht; wenn ich mich jetzt hin­le­gen woll­te, könn­te ich nicht ein­mal ein­ni­cken.«

»Nun, ich kann es auch nicht«, sag­te Gar­land hoff­nungs­los. »Ich habe das Schla­fen ganz ver­lernt.«

»Wart, bis ich es dich leh­re«, sag­te Raffles, ging in das in­ne­re Zim­mer und mach­te dort Licht.

»Ich bin ganz au­ßer mir über mich selbst«, flüs­ter­te mir der jun­ge Gar­land zu, als sei­en wir nun ganz alte Freun­de.

»Sie tun mir sehr leid«, sag­te ich herz­lich, »ich ken­ne das Ge­fühl.«

Gar­land starr­te noch vor sich hin, als Raffles mit ei­nem win­zi­gen Fläsch­chen zu­rück­kam und klei­ne run­de schwar­ze Din­ger­chen aus dem­sel­ben in sei­ne lin­ke Hand schüt­tel­te.

»Rei­ne Bett­wä­sche für dich, Ted­dy, sieht sehr ein­la­dend aus«, sag­te er. »Nimm nur noch zwei von die­sen und einen Trop­fen Whis­ky und du schläfst in zehn Mi­nu­ten.«

»Was ist das?«

»Som­nol. Das Neues­te, was es gibt, und zu­gleich das Al­ler­bes­te.«

»Be­kom­me ich aber nicht einen schreck­lich schwe­ren Kopf da­von?«

»Nicht im ge­rings­ten. Zehn Mi­nu­ten nach dem Er­wa­chen bist du frisch wie ein Fisch im Was­ser. Und vor elf brauchst du mor­gen früh ja nicht fort, denn du hast doch nicht nö­tig, erst ein paar Pro­be­schlä­ge zu ma­chen, nicht wahr?«

»Ei­gent­lich soll­te ich’s wohl«, sag­te Ted­dy ernst­haft.

Aber Raffles lach­te ihn aus.

Und ehe er noch recht wuss­te, wie ihm ge­sch­ah, hat­te Raffles ihm schon das Schlaf­mit­tel ver­ab­reicht; im nächs­ten Au­gen­blick drück­te er mir zum Ab­schied die Hand, und bald dar­auf ging Raffles zu ihm hin­ein, um das Licht aus­zu­lö­schen. Er blieb eine gan­ze Wei­le, und ich er­in­ne­re mich, dass ich mich zum Fens­ter hin­aus­lehn­te, um von ih­rem Ge­spräch nichts zu hö­ren. Die Nacht war ein­zig schön und die Ster­nen­de­cke über dem Hof des Al­ba­ny kaum we­ni­ger blau, als wir, Raffles und ich, vor ein paar Stun­den heim­ka­men. Von Pic­ca­dil­ly schall­te der lär­men­de Ver­kehr so deut­lich her­über wie in ei­ner frost­kla­ren Win­ter­nacht, und der nächs­te Tag bei Lords muss­te strah­lend schön wer­den. Ich möch­te wohl wis­sen, ob je ein Mann das Uni­ver­si­täts­match mit ei­ner sol­chen Last auf der See­le, wie E.M. Gar­land sie jetzt in dem er­zwun­ge­nen Schlum­mer ver­ges­sen soll­te, ge­spielt hat, aber auch, ob je eine schwer­be­las­te­te See­le auf zwei sol­che Beicht­brü­der wie Raffles und mich ge­sto­ßen ist!

Drittes Kapitel. Kriegsrat