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"Ein Buch, das in dieser Form noch nicht geschrieben wurde." Eckart Meyners Sie wollten schon immer wissen, nach welchem Rezept erfahrene Ausbilder vorgehen? Dann lassen Sie sich von Claudia Butry auf eine Reise durch ihr bewegtes Reiterleben mitnehmen: "Die Klassische Reitkunst, die sich per definitionem in erster Linie nach der Natur des Pferdes richtet, muss wieder mehr Raum in der modernen Reiterei bekommen. Wie Sie im Verlaufe des Buches feststellen werden, war und ist mein Weg nicht immer geradlinig verlaufen. Mit meiner Geschichte möchte ich Ihnen Mut machen, niemals aufzugeben, die Hoffnung nicht zu verlieren und positiv nach vorne zu schauen, auch wenn die Rahmenbedingungen nicht optimal sind und der Weg manchmal steinig ist." Mit diesem Buch wird das traditionelle Genre des erzählenden Fachbuchs zeitgemäß aufgegriffen. Es nutzt den Umstand, dass Lernen über Bilder und Gefühle verständlicher und einprägsamer sind als trockene Theorie. Der Leser wird innerhalb einer Story in die klassische Ausbildung von Pferd und Reiter eingeführt und erhält im Verlauf der interessanten Erzählung Zugang zu detailliertem Fachwissen. "Mit besonderer Eloquenz ist es der Autorin gelungen, traditionelles Wissen verständlich aufzubereiten. Sie lässt mit diesem Buch sowohl Einsteiger als auch Ausbilderkollegen an ihren Erfahrungen teilhaben." Anja Beran
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Seitenzahl: 231
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Claudia Butry
Gedanken einer Ausbilderin
Autoren und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.
In diesem Buch sind Reiter ohne splittersicheren Kopfschutz abgebildet. Dies ist nicht zur Nachahmung empfohlen. Achten Sie beim Reiten bitte immer auf entsprechende Sicherheitsausrüstung: Reithelm, Reitstiefel/-schuhe, Reithandschuhe und gegebenenfalls eine Sicherheitsweste.
Copyright © 2020 Cadmos Verlag GmbH, München
Covergestaltung: Gerlinde Gröll, Cadmos Verlag GmbH
Satz: DAS AGENTURHAUS Werbe und Markteing GmbH
Coverfoto: Maresa Mader
Zeichnungen: Claudia Butry
Lektorat: Dagmar Bruns
Deutsche Nationalbibliothek – CPI-Einheitsaufnahme
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten.
Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.
ISBN: 978-3-8404-10871eISBN: 978-3-8404-64751
VorwortEckart Meyners
VorwortAnja Beran
Einleitung
Unbefangenheit
Praxistipp 1: Auswahl der Sicherheitsausrüstung
Verlust der Unschuld
Praxistipp 2: Junges Pferd für „junge“ Reiter?
Praxistipp 3: Was sind denn nun Paraden?
Praxistipp 4: Auf die Grundstimmung kommt es an
Praxistipp 5: Artgerechte Haltung
Reiten ist mehr als Draufsitzen
Praxistipp 6: Warum Ausbildung für die Gesunderhaltung notwendig ist
Erste Einblicke
Praxistipp 7: Anlehnung
Der tiefe Fall
Kurz vor dem Absprung die Kehrtwende
Eine neue Herausforderung
Praxistipp 8: Auch ein temperamentvolles Pferd muss vor den treibenden Hilfen sein
Praxistipp 9: Grundlagen am Boden
Der Bruch
Ein Leben ohne Pferde
Praxistipp 10: Handlungsorientierter Unterricht
Vom Busch in die Reithalle
Praxistipp 11: Geländetraining
Praxistipp 12: Warum reiten wir eigentlich Lektionen?
Ein eigenes Pferd
Praxistipp 13: Regenerationszeit von Faszien
Praxistipp 14: ISG-Blockade
Alles auf Anfang und alles neu
Trainerlaufbahn Teil 1
Praxistipp 15: Rückentraining und Ausbildungsskala
Trainerlaufbahn Teil 2
Praxistipp 16: Trainingstagebuch
Praxistipp 17: Zick-Zack-Parcours
Dieses eine Pferd
Praxistipp 18: Entspannungsübungen
Neue Wege – neue Chancen
Praxistipp 19: Das Konzert der Hilfen
Trainerlaufbahn Teil 3
Riesenchancen
Praxistipp 20: Erste Hilfe bei Rückenschmerzen: der Katzenbuckel
Reiselustig unterwegs
Und noch ein Pferd
Der Schiefe des Pferdes auf der Spur
Praxistipp 21: Die natürliche Schiefe
Praxistipp 22: Schulterherein
Die Schiefe des Reiters
Praxistipp 23: Auf einer Gesäßhälfte dynamisch sitzen
Die Basis macht’s
Pferdepsychologie
Praxistipp 24: Ein Pferd sollte dein Freund sein
Ohne Gesundheit kein Reiten
Praxistipp 25: Der Sattel muss passen
Und nun?
Plädoyer für die Zukunft
Literaturverzeichnis
Bildnachweis
Claudia Butry legt ein Buch vor, das in dieser Form noch nicht geschrieben wurde. Es soll keine neue Reitlehre entstehen, weil solche Bücher zu Haufe auf dem Büchermarkt erschienen sind, sondern es geht um vielfältige Facetten des Umgangs mit dem Pferd und dem Reiten in unterschiedlichen Lebensaltersstufen des Menschen und mit jeweils anderen Pferden. Dabei werden gemäß den Lebens- und Reitsituationen vorrangig alte Meister der Reiterei (von Albrecht bis Steinbrecht und mehr) und heutige Standardwerke einbezogen. Neue Erkenntnisse der Beurteilung des Pferdes und des Umgangs mit ihm liefern u. a. Tiermediziner wie Heuschmann, Pferdephysiotherapeuten wie Stammer und Weller-Böller, Osteopathen wie Richter, Sportpädagogen wie Meyners bezüglich der Bewegungslehre des Reiters und der Unterrichtserteilung und Puchalla als Sprecherzieherin und Theaterwissenschaftlerin hinsichtlich der Präsentation von Inhalten.
Markante Lebenssituationen des Reitens als Kind in Lateinamerika (der Vater der Autorin wurde arbeitsmäßig dorthin versetzt, um den Bau eines Staudamms zu betreuen) verdeutlichen, dass Reiten nicht ausschließlich eine Sportart ist, sondern eine Lebensform, die plötzlich wie eine Blase platzen kann, wenn sich das Umfeld ändert.
Elementare Reiterfahrungen auf dem anderen Kontinent wurden durch konstruierte Lernsituationen ersetzt, mit denen die Autorin im Jugendalter nicht sofort umzugehen wusste. Es werden Facetten des Reitens aufgezeigt, die mit fundamentalen Zitaten unterstrichen bzw. interpretiert werden. Dabei erwachsen diese Darstellungen zeitlich und fachlich aus dem Erinnerungsvermögen der Autorin. Der rote Faden besteht in der speziellen Bedeutung der Erlebnisse für die Autorin selbst.
Die erste Hälfte des Buches bezieht die Autorin als Reiterin mit ihren gewonnen Erlebnissen und Sachkenntnissen ein, während sich der zweite Teil auf Claudia Butry als Ausbilderin der unterschiedlichen Lizenzebenen bezieht (Trainer C, B, A inklusive Bewegungstrainerinhalte). Erst in diesen Teil des Buches wird die Skala der Ausbildung integriert, sodass sich ein fachlicher Aufbau des Buches von der Erlebniswelt des Reitens zur mehr lektionsorientierten Welt ergibt. Dabei wird das Pferd nie als Instrument für eigene Sporterfolge gesehen, sondern die Reitlehre und die Vermittlung des Reitens dazu verwendet, das Pferd so lange wie möglich gesund zu erhalten und soziale Beziehungen zwischen beiden Partnern als Basis für die lebenslange Ausbildung darzustellen.
Es wird auch nicht verschwiegen, dass die Herzenswahl beim Kauf von Pferden zu einem Problem werden kann, wenn man sich nicht auf allen Ebenen durch Fachleute absichert. Der Kopf weiß es, aber das Herz zieht den Reiter zum Pferd hin und übersieht tieferliegende Krankheiten, die viel Zeit zum Mitleiden kosten. So ist es oft bei den gemeinsamen Aktivitäten mit Tieren schlechthin, aber gerade solche Situationen stärken die Beziehungen und führen zur umfassenden psychosozialen Stabilisierung beider Seiten.
Man erkennt als Leser, dass die Autorin ein Fundament an kulturgeschichtlichen Reitfachlichkeiten besitzt, die es ihr ermöglichen unterschiedliche Probleme bei Reitern und Pferden zu erkennen und grundstrukturell zu lösen. Es wird im Verlaufe des Buches immer wieder deutlich, wie komplex der Umgang mit dem Pferd und das Reiten ist, dass ein Leben nicht ausreicht, es zu erlernen. Claudia Butry legt uns das Buch über Pferde in unsere Hände – denken und fühlen wir uns in ihre Ausführungen hinein!
Eckart Meyners
Mit Claudia Butry hat die klassische Reitkunst eine weitere Verfechterin der jüngeren Generation gewonnen! Stetes Hinterfragen und den Dingen auf den Grund zu gehen gehört zu ihren wertvollsten Eigenschaften. Dass Claudia dabei das Wohl des Pferdes allem voranstellt, versteht sich von selbst. In diesem Buch nimmt sie den Leser mit auf ihren reiterlichen Werdegang und lässt uns auf unterhaltsame Weise an Erfolgen wie Misserfolgen und an ihrer Suche nach „dem richtigen Weg“ teilhaben.
Mit besonderer Eloquenz ist es der Autorin gelungen, traditionelles Wissen verständlich aufzubereiten – mit Sinn und Verstand ausgewählte Zitate alter Meister unterstreichen immer wieder ihre Inhalte. Als Bewegungstrainerin nach Eckart Meyners hat Claudia ein hervorragendes Verständnis für den menschlichen Körper, was ihr einerseits hilft die Pferde bei Bewegungseinschränkungen des Reiters besser zu verstehen, andererseits hat die Trainerin dadurch einen fachkundigen Blick, um ihre Reitschüler bei Sitzproblemen kompetent zu unterstützen.
Unaufgeregt und besonnen bildet Claudia ihre Pferde aus und lässt mit diesem Buch sowohl Einsteiger als auch Ausbilderkollegen an ihren Erfahrungen teilhaben – denn manchmal muss man Dinge nur „anders“ hören oder in einem „anderen Kontext“ lesen und es erschließt sich etwas, zu dem man vorher keinen richtigen Zugang gefunden hat.
Liebe Claudia, ich wünsche Dir viel Erfolg auf Deinem weiteren Weg und ganz viele Leser für Dein neues Buch!
Anja Beran
„Die Menge an Büchern über die Reitkunst, mit welchen man seit langer Zeit das Publikum bereichert hat, scheint jeden Versuch, noch etwas darüber sagen zu wollen, überflüssig zu machen.“
Ludwig Hünersdorf, Anleitung zu der natürlichsten und leichtesten Art Pferde abzurichten, 2. Auflage 1800, Olms Verlag
Als die Idee ein Buch zu schreiben an mich herangetragen wurde, war mir eines sofort klar: Ich werde kein weiteres Buch über die Reitlehre oder den Reitersitz schreiben. Davon gibt es mehr als genug. Mal ganz abgesehen davon wurde seit Xenophon eigentlich schon alles, was es in der Reiterei und über Pferde zu wissen gibt, in Worte gefasst und niedergeschrieben. Glücklicherweise sieht das der Cadmos Verlag ebenso und so konnte ich dieses Buch genau so schreiben, wie Sie es jetzt vor sich sehen.
Die Lehren der Alten Meister sind für mich Verpflichtung und Inspiration zugleich. Deshalb würde ich ihr Wissen gerne in unsere heutige Pferdewelt übersetzen. Zu schade, wenn ihre Erkenntnisse verloren gingen oder aus Unverständnis ihrer für uns ungewohnten Sprache unbeachtet blieben. Es ist jammerschade, dass ihre Bücher scheinbar so unattraktiv für die modernen Reiter sind. Die Schrift ist zum Teil schwer lesbar und ihre Gestaltung, so fast ganz ohne Abbildungen und Fotos, entspricht nicht mehr den heutigen Lesegewohnheiten. Den Inhalt der alten Bücher muss man sich richtiggehend erarbeiten. Sie sind kein oberflächliches Konsumgut, das man sich mal eben schnell einverleiben kann. Dabei sind ihre Inhalte so wahr – und so aktuell!
Beispiel gefällig? „In der Dressurhaltung darf kein Pferd diesen Mangel (Nase hinter der Senkrechten) zeigen, sonst ist es eben zu früh und falsch in die Dressurhaltung hineingebracht worden.“ Oder: „Keinerlei Einwirkung des Reiters darf dem Pferde irgendeine bestimmte Haltung aufnötigen; es sucht sich diese selbst.“ Oder: „Auf dieser natürlichen Selbsthaltung gründet sich der Erfolg der ganzen Ausbildung.“ Alle Zitate von Hans von Heydebreck (aus: Die Deutsche Dressurprüfung). So werde ich in meiner täglichen Arbeit weiterhin versuchen, altes Wissen in „neues Reiten“ zu transferieren.
Was Sie hier vor sich sehen, entspringt meinem Herzenswunsch Wissen weiterzugeben. Die Klassische Reitkunst, die sich per definitionem in erster Linie nach der Natur des Pferdes richtet, muss wieder mehr Raum in der modernen Reiterei bekommen. Anhand meines eigenen Weges mit Pferden möchte ich Ihnen wichtige Wegmarken auf der lebenslangen Reise zum verständigen und verständnisvollen Reiter aufzeigen, der zu seiner und auch zur Freude des Pferdes reitet.
Wie Sie im Verlaufe des Buches feststellen werden, war und ist mein Weg nicht immer geradlinig verlaufen. Mit meiner Geschichte möchte ich Ihnen Mut machen, niemals aufzugeben, die Hoffnung nicht zu verlieren und positiv nach vorne zu schauen, auch wenn die Rahmenbedingungen nicht optimal sind und der Weg manchmal steinig ist. Ein weiser Reitersmann hat gesagt, dass zum Reitenlernen ein Leben nicht ausreichen würde. Wie recht er hat! Aber diese Tatsache birgt die Chance in sich zu wachsen, sich weiterzuentwickeln und regelmäßig neue Abenteuer zu erleben. Ist das nicht eine wundervolle Vorstellung? Nie Langeweile, kein Stillstand, immer wieder kleine gefühlte Sensationen und neue Erkenntnisse? Genau das ermöglichen uns die Pferde – wenn wir bereit sind uns auf dieses Abenteuer einzulassen.
Beginnen wir also direkt mit einer Durchhalteparole – es geht ganz allgemein ums Lernen (was wir Reiter ja lebenslang tun sollten): „Diese Lernweise ist charakteristisch für den Erwerb vieler Fertigkeiten: Immer wenn wir eine neue lernen oder eine alte verändern, gibt es gute und schlechte Tage, erleben wir extreme und überraschende Leistungsschwankungen. Das scheint der natürliche Gang der Dinge zu sein, wenn wir Fortschritte in einer motorischen Fähigkeit machen“, sagt Frank R. Wilson (aus: Die Hand – Geniestreich der Evolution). Neurologe Frank R. Wilson beschreibt etwas, das jeder Reiter kennt und daran auch oft verzweifelt. Seine Ausführungen geben Mut zum Durchhalten.
Wenn Sie also mögen, kommen Sie mit mir auf die Reise und lassen Sie uns schauen, welche Stolpersteine, Fallstricke und wunderbaren Momente und Erlebnisse am Wegesrand bereitliegen.
Wer auf dem Weg immer mal wieder an den Schwierigkeiten des Reitenlernens verzweifelt, dem möchte ich folgende tröstlichen Worte von Gustav Steinbrecht mit auf den Weg geben:
„Die Reitkunst ist eine unendlich schwere Kunst, und es ist wohl noch niemand derselben im vollen Sinne Meister geworden, bevor ihm das Alter den Scheitel gebleicht hat.“
(aus: Gymnasium des Pferdes)
… oder doch eher Unbedarftheit? Keine andere Frage könnte treffender beschreiben, wie mein Leben begann, sich mehr und mehr um die Pferde zu drehen.
Meinen Eltern bin ich sehr dankbar, dass mein „Initiationsritus“ zur Reiterin nicht, wie üblich, im örtlichen Reitverein vonstattenging. Diese Erfahrung sollte ich erst machen, nachdem ich mein Herz bereits an die Pferde verloren hatte. Und das war auch gut so, vielleicht hätte ich sonst die Freude an dem Zusammensein mit diesen sanften Wesen verloren oder nie erfahren dürfen.
Mein Weg zum Reiten war eher ungewöhnlich: Als ich acht Jahre alt war, bekam mein Vater die Chance, ein Staudammprojekt in Lateinamerika als kaufmännischer Leiter zu betreuen. Also zog die ganze Familie nach Honduras mitten in den Busch, in ein eigens aus Mobilehomes zusammengesetztes Camp, eineinhalb Stunden von der Zivilisation entfernt. Für mich begann damit ein wunderbares Abenteuer: Zuckerrohr pflücken im Busch, Begegnungen mit Skorpionen und giftigen Schlangen, Freundschaften mit Kindern aus Österreich, Italien und der Schweiz.
Dass Pferde mein ganzes Leben bis zum heutigen Tag zu einem andauernden und erfüllenden Abenteuer machen würden, war zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht einmal zu erahnen. Zunächst streiften die Pferde der umliegenden Bauern durch das Camp, war dies doch ursprünglich ihr Weideland. Nachdem das Camp umzäunt und von den neuen Bewohnern bezogen wurde, mussten die Pferde weichen. Doch eines schönen Tages zogen auch sie wieder auf das Gelände – als Reittiere einzelner Kinder im Camp. Ob diese Kinder schon in ihrer Heimat mit dem Reiten begonnen hatten, weiß ich bis heute nicht. Die Pferde wurden von den umliegenden Bauern erworben oder geliehen und wurden dann einfach auf den Freiflächen innerhalb des Camps gehalten, zum Teil einfach mit langen Leinen an Bäumen angebunden. In unserer Unbedarftheit war den Beteiligten zunächst gar nicht klar, was es bedeutet ein Pferd zu halten und zu versorgen. Nachdem ein Pferd zu Tode kam, weil es sich in Panik um den Baum gewickelt und quasi erhängt hatte, wurde ein Areal außerhalb des Camps für die immer zahlreicher werdenden Pferde gefunden. Man stellte einen „Pferdeboy“ ein, der sich auskannte und den letztendlich ahnungslosen Europäern die Pferde versorgte und sattelte.
Die „Wiese“, auf der die Pferde lebten, war ein riesiges eingezäuntes Stück Dschungel mit Hügeln und Tälern, Trampelpfaden und dem einen oder anderen Kuhgerippe. Natur pur! Die Pferde kannten keinen Stall, lediglich ein Gebäude für das Sattelzeug befand sich auf einem Hügel am Rande der riesigen Weidefläche. Nicht selten musste ich mein Pferd mit dem Lasso fangen und ritt dann zum „Stallgebäude“. Zu Fressen bekamen die Pferde eine Handvoll Mais – für ein ausgemergeltes Arbeitspferd im bitterarmen Honduras ein Festmahl.
Irgendwann befiel der um sich greifende Pferdevirus auch meine Eltern, die als ehemalige Stadtkinder in ihrem Alltag höchstens beim Besuch der Verwandtschaft auf dem Lande Kontakt zu Pferden gehabt hatten. Mein Vater mietete beim Bauern nebenan zwei Pferde für ein Jahr lang zum Preis von 300 DM. Für die armen Bauern war das ein gutes Geschäft: Es gab einige Mäuler weniger zu stopfen und die Pferde wurden gut versorgt. Gut aufgefüttert und ausgeruht, bekamen sie die Pferde nach Ablauf unseres Aufenthaltes in Honduras wieder zurück.
Unsere beiden Pferde waren Silver, ein brauner Wallach, und Espaviento, ein weißes Pony, das aber bald von Bajazzo (Bild rechts) abgelöst wurde, da ich sehr schnell zu groß für Espaviento war.
Aus heutiger Sicht, kann ich über meine Reitanfänge nur den Kopf schütteln: Absolut unerfahren, ohne je auf einem Pferderücken gesessen zu haben, rasten wir im gestreckten Galopp durch den Busch – natürlich ohne Kappe – fest davon überzeugt, dass das Horn am Westernsattel eigens zum Festhalten angebracht worden war. Die Pferde wurden darüber hinaus auf blanker Kandare mit starker Zungenfreiheit gezäumt. Zum Glück waren die hart arbeitenden Bauernpferde eher faul als heiß, so dass die Kandare letztendlich kaum zum Einsatz kam. An die Gefahren einen Sturzes wurde kein Gedanke verschwendet. Auch nicht, nachdem sich mein Pferd in einem Gewitter erschrak, ich vom blanken Pferderücken rutschte und mit einem Loch im Kopf ins Krankenhaus kam.
Dennoch oder gerade deshalb gehört diese Anfangszeit auf dem Pferderücken zu meinen schönsten und intensivsten Kindheitserinnerungen. Ich bin meinen Eltern auf ewig dankbar, dass sie meinen Freiheitsdrang nie zugunsten ihrer Sorgen und Ängste eingeschränkt haben! Nie wieder habe ich mich so frei, so mit der Natur im Einklang, so unbefangen und so eins gefühlt mit dem Pferd wie im honduranischen Urwald!
Rudolf G. Binding hat dieses Gefühl wunderbar poetisch in Worte gefasst: „Liebst Du den Tanz? Das Pferd ist ein Tänzer an Deiner Hand: Ein Tänzer in die Unendlichkeit. Aus dem Schwung, dem Du ihm mitteilst folgt die Leichtigkeit, folgt das Schweben. Alle Kraft fühlst Du sich unter Deinem Sattel vereinigen. Das Land bleibt hinter Dir zurück. Die Welt fliegt an Dir vorüber. Dein Tänzer trägt Dich davon.“ (aus: „Reitanweisung für eine Geliebte“)
Diese Erfahrung der Unbefangenheit wünsche ich jedem Reitanfänger. Denn Angstfreiheit, Vertrauen und Zwanglosigkeit sind Grundvoraussetzung, um ein richtiger Reiter zu werden.
Habe ich Angst herunterzufallen, kann ich mich nie ganz auf die Pferdebewegungen einlassen und eine vertrauensvolle Verbindung zum Pferd aufbauen. Meist zeichnet sich eine solche Unsicherheit auch im Sitz ab: Klemmen mit Knien und Oberschenkeln, Hochziehen der Schultern und eine insgesamt verkrampfte Körperhaltung sind nur einige Indizien, die auf ein subjektives Empfinden von Angst und mangelnder Sicherheit hinweisen.
In meiner Praxis erlebe ich häufig, dass unsichere Reiter in heiklen Situationen die Hände nach oben reißen. Eine ganz normale Reaktion, denn wir Menschen reagieren auf Störungen im Gleichgewicht, indem wir uns irgendwo festhalten. Das war überlebenswichtig als wir entwicklungsgeschichtlich betrachtet noch auf Bäumen lebten. Für das Pferd ist diese Reaktion allerdings kritisch. Es ist sowieso schon verunsichert, und der Reiter irritiert es zusätzlich durch seine Körpersprache und unkoordinierte Zügelanzüge. So entsteht aus einem kleinen unentspannten Moment unter Umständen eine echte Problemsituation. Der Reiter sollte üben, in solchen Momenten seine Hände auf dem Widerrist aufzulegen und/oder das Pferd dort mit den Fingern zu kraulen. Das beruhigt und vermittelt Sicherheit – und Halt gibt es auch noch.
Als Ausbilder stelle ich fest, dass das Thema Angst heutzutage immer mehr in den Vordergrund tritt. Das mag zum einen dran liegen, dass immer mehr Späteinsteiger, aber auch erwachsene Wiedereinsteiger vom Reiten fasziniert sind. Zum anderen glaube ich aber auch, dass wir in einer Zeit leben, die von wachsender Unsicherheit geprägt ist. Und das, obwohl zumindest die westliche Welt selten solch komfortable Lebensumstände genießen konnte. Da man mit Angst auch noch gute Geschäfte machen kann, stürzen sich Medien und Wirtschaft auf das Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Diese gesellschaftliche Entwicklung wird auch deutlich, wenn man in der reiterlichen Geschichte zurückblickt. In Dokumentationen, Filmen und auf Bildern aus der Nachkriegszeit kann man feststellen, dass zu dieser Zeit sogar im Geländeparcours und beim Springen auf eine Reitkappe verzichtet wurde. Heute wird man in den sozialen Netzwerken schon aufs Schärfste kritisiert, wenn man einmal ein Reitbild ohne Kappe veröffentlicht. Tatsächlich ist es auch ratsam sich zu schützen! Reiten ist nicht ungefährlich, haben wir es doch mit einem Fluchttier zu tun, das in Panik seinen Instinkten folgt. Es kann daher schnell und manchmal völlig unerwartet passieren, dass sich ein Pferd unter dem Sattel erschrickt, losrennt, Haken schlägt und den Reiter so in heikle Situationen bringt. Stürzt der Reiter in einem solchen Moment, kann eine Reitkappe Leben retten.
Praxistipp 1: Auswahl der Sicherheitsausrüstung
Aus meiner Sicht als Bewegungstrainer gibt es bei der Auswahl der Sicherheitsausrüstung ein paar wichtige Dinge zu beachten:
Die Reitkappe: Bei der Wahl der Reitkappe ist neben der aktuell gültigen Sicherheitsnorm auf eine gute Passform zu achten. Rutscht die Kappe zu weit ins Gesichtsfeld, macht man sich als Reiter bei dem Versuch den Überblick zu behalten im Nacken fest. Unter diesem Aspekt ist es auch sinnvoll, darauf zu achten, dass der Schirm nicht zu groß ist. Probieren Sie es aus: Stellen Sie sich mit leicht gebeugten Knien hin und schuckeln Sie ein wenig. Dabei nehmen Sie den Kopf mal in den Nacken und mal auf die Brust. Fühlen Sie nach, wie geschmeidig sie Schuckeln können. In welcher Kopfposition fühlt sich die Bewegung am harmonischsten an? Wann fließt die Bewegung von Kopf bis Fuß durch Ihren Körper? In welcher Position fühlt sich diese Bewegung weich fließend an und in welcher eher unrund und stockend? Wann sind sie auf ihr körperliches Wohlbefinden bezogen eher auf Hawaii, wann eher in Sibirien? Nun schauen Sie geradeaus, parallel zum Boden, und nehmen die Nase zwei bis drei Zentimeter tiefer. Wie schuckelt es sich jetzt? Wie fühlt sich die Bewegung nun an? Spüren Sie wie viel weicher die Bewegung nun ist? In dieser Kopfhaltung ist das Kopfgelenk, das sogenannte Okzipitalgelenk (Übergang Schädelknochen zum ersten Halswirbel) frei und sorgt so für Bewegungsfluss von Kopf bis Fuß. Diese Tatsache ist auch wichtig für die Auswahl der Weitenverstellung Ihrer Reitkappe. Dies wird oft durch ein Rädchen bewerkstelligt. Liegt dieses direkt auf dem Okzipitalgelenk, wird der Nacken verspannt und Kopfschmerzen können entstehen.
Sicherheitsweste: Ich persönlich habe ein etwas gespaltenes Verhältnis zu Sicherheitswesten. Da ich meine Kindheit nahezu schutzlos auf dem Pferderücken verbracht habe, fühle ich mich von einer Sicherheitsweste eher eingeschränkt in meiner Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeit. Daher werde ich sogar tendenziell eher unsicher, wenn ich mit Weste reite. Meiner Ansicht nach geht durch eine Sicherheitsweste das originäre Gefühl für die Bewegungen des Pferdes verloren. Wenn die Passform der Weste nicht optimal ist, wird der Reiter körperlich eingeschränkt. Andererseits kann ich auch Reitlehrer verstehen, die darauf bestehen, dass vor allem ihre minderjährigen Schüler nur mit Weste reiten dürfen. Sie tragen eine riesengroße Verantwortung für diese Personen und sind angehalten die Risiken des Reitens so weit wie möglich zu minimieren. Außerdem gibt es auch einige Reiter, denen eine solche Weste Sicherheit gibt. Über die Entwicklung des Sicherheitsbedürfnisses in unserer Gesellschaft habe ich ja weiter oben bereits geschrieben.
Das Thema lässt sich also nicht aus einer reinen Schwarz-Weiß-Perspektive betrachten. Daher empfehle ich Ihnen, auf Ihr Bauchgefühl zu hören. Wenn Ihnen die Risiken ohne Weste zu hoch erscheinen, benutzen Sie sie. Achten Sie dann aber bitte auf folgende Punkte: Die Weste sollte am Rücken nicht zu lang sein, damit sie nicht auf dem Sattelkranz aufsetzt. Überhaupt sollte man sich nicht eingeengt fühlen, da der Körper sonst nicht mehr geschmeidig in der Pferdebewegung mitgehen kann. Empfehlenswert finde ich Westen, die sich mittels Druckluftpatrone im Fall eines Sturzes aufblasen. Sie tragen sich wie normale Reitwesten und schränken die Beweglichkeit nicht ein.
Schuhe oder Stiefel: Das Schuhwerk sollte unbedingt einen Absatz haben, damit man nicht durch den Steigbügel durchrutschen kann, und es sollte Wert auf eine relativ dünne, flexible Sohle gelegt werden. Warum? Unsere Fußsohle besteht unter anderem aus der sogenannten Plantarfaszie. Diese bindegewebige Struktur ist durchzogen von verschiedenen Rezeptoren, die unserem Gleichgewichtssystem Auskunft über die Lage des Körpers im Raum geben. Außerdem sorgt ihre Stimulierung für eine Entspannung der tiefen Rückenmuskulatur und erhöht die Sensibilität für den Untergrund. Trägt man nun Schuhe mit zu dicker Sohle, ist der Reiter buchstäblich seiner Sinne beraubt, kann sich schlechter im Bügel ausbalancieren und auch keine differenzierten Impulse mehr aus einem lockeren Fußgelenk geben.
Handschuhe: Wem einmal ein scheuendes Pferd einen Führstrick oder eine Longe durch die Hand gezogen hat, weiß, warum ich auf diesen weniger offensichtlichen Aspekt Wert lege. Ohne Handschuhe kann man sich in problematischen Situationen übelste Verbrennungen und Verletzungen zuziehen.
Ob man beim Reiten Handschuhe trägt oder nicht, hängt aus meiner Sicht von individuellen Vorlieben ab. Viele Reiter beklagen mit Handschuhen kein Feingefühl mehr zu haben. Ich persönlich empfinde es genau andersherum. Meine Feinfühligkeit nimmt ohne Handschuhe ab. Allerdings achte ich immer darauf, möglichst dünne und flexible Handschuhe zu tragen. Vielleicht hängt dieser Aspekt auch mit der Empfindlichkeit der Haut zusammen?
Es kam wie es kommen musste: Irgendwann hatte die Zeit in Honduras ein Ende, und meine Familie kehrte nach Deutschland zurück. Für mich war es, als würde ich eingesperrt. Natürlich bin ich auch in Honduras zur Schule gegangen, aber in meiner Freizeit konnte ich mich frei bewegen. Es gab keinen Straßenverkehr, kaum Konventionen, die eingehalten werden mussten, oder Wege, die man nicht begehen durfte. In Deutschland kam mir alles steif, festgefahren und streng vor.
Eines nahm ich aus Honduras ganz besonders mit nach Deutschland zurück: die frisch entfachte Leidenschaft für die Reiterei, die mir bis heute erhalten blieb. Nach unserer Rückkehr aus Lateinamerika taten meine Eltern das, wovon in jedem Fachbuch abgeraten wird: Sie kauften bei einem Bekannten eine dreieinhalb Jahre alte, völlig rohe Fjord-Araber-Mix-Stute. Unnötig zu erwähnen, dass Flocky weder halfterführig war, noch die Hufe ordentlich geben konnte. Das wurde mir mit zarten zehn Jahren und Zahnstocherärmchen erst so richtig klar, als ich beim ersten Führversuch über den Hof samt Halfter – aber ohne Pony – im Misthaufen landete.
Praxistipp 2: Junges Pferd für „junge“ Reiter?
An dieser Stelle eine Warnung an alle Reiter, die sich ein junges Pferd aufschwatzen lassen!
Der unerfahrene Reiter gehört auf ein ausgebildetes Pferd, nur der ausgebildete Reiter auf ein unerfahrenes Pferd. Warum das so ist, erklärt sich aus folgendem Zitat:
„Es gibt keine Normalhilfe für alle Pferde, vielmehr muß der Reiter in jedem einzelnen Falle die angebrachtermaßen zweckdienliche aus den sämtlichen zu Gebote stehenden Hilfen auszuwählen wissen. Leider aber hat man sich bisher damit begnügt, gewissermaßen für ein normal gehendes Pferd die Hilfen zuzuschneiden; der jüngere Reiter erfährt nur, wie er auf dieses nie vorhandene Normaltier einzuwirken haben würde. Das Verfahren führt zu Schematismus und gefühllosem Reiten!“
Otto de la Croix (aus: Natürliche Reitkunst)
Das bedeutet, dass eine Hilfe bei demselben Pferd in einem Moment hilfreich, im nächsten kontraproduktiv wirken kann. Der Reiter braucht einen riesigen „Werkzeugkasten“ an Handlungsmöglichkeiten und Lösungsstrategien, um variantenreich und differenziert auf jedes Pferd individuell einzugehen. Ein junges Pferd dergestalt zu schulen, ist also nur einem erfahrenen Reiter gegeben, der schon viele Pferde geritten hat.
Ein erfahrenes Pferd hat hingegen gelernt, sich unter dem Reiter auszubalancieren und auf seine Einwirkung zu reagieren. Es kennt die Bedeutung der reiterlichen Hilfen und kann dem unerfahrenen Reiter helfen, ein Gefühl für die richtige Dosierung zu entwickeln. In der Regel ist ein solcher vierbeiniger Lehrmeister so gefestigt, dass er sich von der mangelhaften Ausführung des Reitanfängers nicht aus der Ruhe bringen lässt. Ein solches Pferd ist Gold wert, denn es macht die richtige Einwirkung für den Reiter fühlbar. Nehmen wir das Beispiel einer halben Parade (diese wird im Verlaufe des Buches näher erläutert). Als Reitlehrer kann ich mit meinen Bildern, Beschreibungen, Aufgaben und Anweisungen immer nur einen müden Abklatsch der zu erfühlenden Bewegung liefern. Das korrekt ausgebildete, erfahrene Pferd „erklärt“ dem Reiter mit nur einigen wenigen korrekten halben Paraden, wie sich die Übung anfühlen muss.
Auch B.H. von Holleufer nimmt darauf in seinem Werk „Die Bearbeitung des Reit- und Kutschpferdes zwischen den Pilaren“ (zitiert aus Bertold Schirg, Die Reitkunst im Spiegel ihrer Meister) Bezug: „Gibt man dem Anfänger ein gut gerittenes Pferd mit mäßigem Temperament, vor allen Dingen ein solches, welches sich selbst im Gleichgewicht trägt, so wird ihm alles leichter, er lernt gleich von Haus aus das richtige Gefühl kennen, er ist leichter darin weiterzubilden und erlangt mit der Zeit die Fähigkeit, auf Pferde, welche in der Ausbildung noch zurück oder roh sind, verbessernd einzuwirken …“
Gustav Steinbrecht erläutert noch einmal anschaulich, warum Erfahrung eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für das Reiten junger Pferde ist:
„Das jedem Pferde angemessene Verhältnis der Hilfen herauszufinden ist eben eine der Hauptaufgaben des Reitertaktes und, wenn der erfahrene, feingebildete Reiter dasselbe mit Sicherheit treffen wird, so lasse sich der Anfänger ein gewisses Experimentieren hier nicht verdrießen … Dieser Reitertakt, welcher lediglich durch lange, unablässige Übung zur höchsten Feinheit entwickelt werden kann, wird nur erworben auf der Grundlage eines weichen, anschmiegsamen Schulsitzes, in welchem gleichsam jeder Nerv seine Fühlfäden ausstreckt. Diesen Sitz sich als bleibendes, unveräußerliches Eigentum zu erwerben und zu erhalten, sei daher das erste und hauptsächlichste Streben jeden angehenden Bereiters, dann wird auch sein Gefühl sich nach und nach zu jener Feinheit entwickeln, welche ihm in allen Stadien der Arbeit das richtige Abwägen seiner Einwirkungen ermöglichen wird.“
(aus: Gymnasium des Pferdes)
Es dämmerte mir, dass die gestellte Aufgabe wohl doch nicht alleine zu bewältigen sein würde, und so meldeten mich meine Eltern im örtlichen Reitverein an. Dort wurde mir zum ersten Mal in meinem jungen Leben bewusst, wie wenig ich doch wusste. Gleichzeitig kam dieser Einstieg in die „Deutsche Reiterei“ in der Rückschau einem Verlust der Unschuld nahe. Die erste Reitstunde fand an der Longe auf der unerschütterlichen Anja statt. Longe? Was ist das denn? Und dann sollte ich leichttraben … Hä??? Ich verstand gar nichts! Ich konnte doch reiten – und zwar in allen Gangarten durch den Wald! Und nun machte mir der Reitlehrer auf didaktisch wenig sinnvolle Art klar, dass ich nichts konnte und Minigolf spielen durchaus eine bedenkenswerte Alternative sei. Eine Alternative über die ich auch heute noch in schöner Regelmäßigkeit mit einem Schmunzeln nachdenke. Immer dann, wenn ich mal wieder das Gefühl habe nicht weiter zu kommen. Sie merken, das ist als Reiter völlig normal.