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Was würden Sie von einem Gott halten, der zu Eroberungskriegen und zügelloser Gewalt aufruft, der den Mord an kleinen Kindern nicht nur gutheißt, sondern sogar anordnet, und der Andersgläubige gnadenlos verfolgt und mit dem Tode bedroht? Die Rede ist nicht von einem Aztekengott, sondern dem Gott der Christen. denen die dunklen Seiten ihres Gottes meist nicht bewusst sind. Selbst fromme Christen kennen ihre Bibel nur bruchstückhaft und klammern sich in der Regel an die schönen Stellen. Jörn Seinsch lenkt den Blick auf die unbekannten und dunklen Seiten der Bibel, über die in den Kirchen nicht gepredigt wird und die auch sonst gerne totgeschwiegen werden. Und mehr noch fragt der Autor danach, was Professoren der Theologie in ihren Bibelkommentaren aus solch inhumanen Zeilen machen, denn sie müssen sich ihnen ja irgendwie stellen. Wie sie dies tun, zeigt der Autor in diesem Buch kundig und entlarvend. Er weist nach, dass es nicht bei Strategien der Verharmlosung, vagen Entschuldigungen und wortreichem Umdeuten bleibt. Wenn Gott es befiehlt und der Aufruf dazu in der Heiligen Schrift steht, wird Mord und Gewalt in den Kommentaren sogar gerechtfertigt.
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Seitenzahl: 419
Jörn Seinsch
Ein Gott der Liebe?
Jörn Seinsch
Ein Gott der Liebe?
Wie Theologen die Bibel verfälschen
Tectum Verlag
Jörn Seinsch
Ein Gott der Liebe? Wie Theologen die Bibel verfälschen
© Tectum Verlag Marburg, 2015
ISBN: 978-3-8288-6227-2
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3456-9 im Tectum Verlag erschienen.)
Umschlagabbildung: Renate Seinsch
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Bibliografische Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Einer und Allen
Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen,und die Wahrheit wird euch befreien. (Das Evangelium des Johannes 8,32)
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Ezechiel
Die Landnahme
Esau und Jakob
Mitleid und Barmherzigkeit
Der Psalter
Die Tiere
Die Offenbarung des Johannes
Nachwort: Eine Groteske
Abkürzungsverzeichnis
Zitierte Literatur
VORWORT
Im Jahre 2010 war Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Die beiden Bewerber um das Amt des Ministerpräsidenten – Amtsinhaber und Christdemokrat Jürgen Rüttgers (katholisch) sowie Herausforderin und Sozialdemokratin Hannelore Kraft (evangelisch) – trennte vieles, aber in einem waren sie sich einig: Beide wollten die Bibel als Urlaubslektüre mitnehmen (ideaSpektrum Regional 14/2010). Auch die beiden Spitzenkandidaten für die Nachfolge von Rüttgers als Landesparteivorsitzender der CDU, Armin Laschet und Norbert Röttgen, hatten die Bibel dabei (Kölnische Rundschau 25.10.2010). Ob sie inzwischen gelesen wurde? – Kaum. Der angesehene Theologe Gerhard von Rad (1901-1971) schrieb schon vor mehr als 40 Jahren:
(Die Bibel) ist auch bei den Menschen, die gerne lesen, völlig an den Rand geschoben. Die Wahrheit ist, daß auch die Belesensten und Gebildetsten unter uns sie kaum mehr kennen. (Das Buch der Bücher, Altes Testament S 11)
Das Erstaunliche aber ist, dass es selbst bei den Theologen nicht viel anders aussieht. Ich habe mich wiederholt mit Theologiestudenten unterhalten. Sie lesen durchaus eine Menge während ihres Studiums, eine Menge Sekundärliteratur! Von der Bibel selbst sind es meistens nur die Bücher Genesis, Exodus, Ijob, Psalter, Jesaja, das Evangelium, die Apostelgeschichte und der eine oder andere Paulusbrief. Doch selbst wenn diese Bücher vollständig gelesen wurden, was bei den Psalmen und Jesaja sicher die Ausnahme ist, hat man erst ein Viertel der Heiligen Schrift erfasst. Die ganz überwiegende Mehrheit der Christen kennt aber noch viel weniger, weil sie in der Schule, der Kirche oder bei Ansprachen nur die Verse zu hören bekommt, die der Redner ausgewählt hat.
Ich fragte einmal einen erfahrenen Hochschullehrer, wie viele der „Profis“, also der fertigen Theologen, die in der einen oder anderen Weise ihren Beruf ausüben, seiner Einschätzung nach die Bibel vollständig gelesen hätten. Seine Antwort: fünf Prozent.
*
Was folgt daraus? Muss man wirklich 40.000 Verse mit vielen verschrobenen Geschichten und so manchen altbackenen Sprüchen lesen, wenn die zentralen Inhalte – Wahrer Gott, ethische Gebote, ewiges Leben – allgemein bekannt sind? Bekannt ist vor allem auch die grenzenlose, umfassende Liebe und Barmherzigkeit, die zum Markenzeichen des biblischen Gottes gekürt wurde. Höchste Stellen und fachkundige Autoritäten haben das, wie wir noch sehen werden, immer wieder hervorgehoben.
Doch gesetzt, eine weltweit angesehene Organisation verspräche uns gegen entsprechende Pflichten die Erfüllung unserer Sehnsüchte und Sicherheitsbedürfnisse: Wäre es nicht angebracht, den Vertrag sorgfältig zu studieren? Freilich ist das Lesen umfangreicher Verträge sowie anderer Grundlagentexte nicht jedermanns Sache, und der Soziologe C. Northcote Parkinson („Parkinsons Gesetz“) hat auf den eigenartigen Umstand hingewiesen, dass der zeitliche Aufwand, den wir einer Angelegenheit widmen, oft im reziproken Verhältnis zu ihrer Bedeutung steht.
Bekanntlich hat sich aus dieser Verlegenheit von alters her ein ganzer Berufsstand entwickelt. Keine Institution, kein größeres Unternehmen ohne Vertreter, Vermittler, Instrukteure. Allerdings: Je geringer die Sachkenntnis des „Kunden“, umso höher ist der nötige Vertrauensvorschuss; denn rational entscheiden über die Objektivität und Lauterkeit des Mittlers hieße ja, sachverständiger als der Sachverständige zu sein.
In dem vorliegenden Buch wird der Leser deshalb nicht nur eine Bibel kennenlernen, wie er sie von Kanzel und Katheder nicht vernommen hat, er wird auch die spannende Frage verfolgen können, wie die berufenen Vertreter, also jene zumeist akademischen Lehrer, die die Bibel im Einzelnen erläutert und kommentiert haben, damit umgehen.
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Die sieben Kapitel des Buches sind in den Jahren 2010-2013 entstanden und in der Reihenfolge ihrer Entstehung abgedruckt. Sie sind unabhängig voneinander und können in beliebiger Folge gelesen werden. Da die drei Kapitel EZECHIEL, DER PSALTER und DIE OFFENBARUNG DES JOHANNES sich auf einzelne Bücher der Bibel beziehen, die anderen Stücke, also DIE LANDNAHME, ESAU UND JAKOB, MITLEID UND BARMHERZIGKEIT sowie DIE TIERE übergreifende Themen abhandeln, kommt es in wenigen Fällen zu Überschneidungen bzw. der Wiederholung bereits zitierter Verse.
Der erste Abschnitt über Ezechiel war ursprünglich nicht als Auftakt zu einem Buch über die Bibel geplant, sondern entsprang dem Wunsch, es einmal genauer zu wissen. Ich hatte so konsternierende Dinge gelesen, dass der Punkt erreicht war, wo ich es nicht mehr beim üblichen Halb- und Viertelverstehen belassen wollte. War das alles so zu nehmen, wie es da steht, oder handelt es sich um Chiffren für etwas ganz anderes? Was sagen die Fachleute, die Exegeten und Kommentatoren? - Die Antwort gibt das erste Kapitel. Die Themen der sechs anderen Stücke stellten sich nach diesem „Erweckungserlebnis“ fast von selbst ein. Erschöpft sind damit die in Frage kommenden Gegenstände bei Weitem nicht. Z.B. verdient das bei festlichen Anlässen gern zitierte Buch Jesaja eine eigene Betrachtung; doch habe ich davon abgesehen, weil eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Furor Ezechiels den Leser vielleicht ermüdet hätte. Es lohnt sich aber allemal, bei der öffentlichen Erwähnung von Jesaja-Versen die Bibel aufzuschlagen und den Kontext nachzulesen.
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Die Zitierung von Bibelversen legt regelmäßig die Einheitsübersetzung zugrunde, obwohl diese z.T. geglättet und weniger schroff ist als etwa die Lutherbibel, die wie auch andere Übersetzungen im Einzelfall herangezogen wurden, wenn sie deutlicher waren. Auch die Schreibweise von Namen ist, um eine einheitliche Grundlage zu haben, der Einheitsübersetzung entnommen, so dass z.B. „Hiob“ als „Ijob“ erscheint und „Nebukadnezar“ oder „Nebukadrezzar“ als „Nebukadnezzar“.
Zur Zitierweise:
Bei der Zitierung von Bibelversen wird wie allgemein üblich zuerst die Nummer des Kapitels und anschließend, durch ein Komma getrennt, die des Verses vermerkt. Mehrere Verse werden durch Punkte getrennt, ggf. auch mit Bindestrich zusammengefasst.
14,8 heißt also: Kapitel 14 Vers 814,8.11 heißt: Kapitel 14 Verse 8 und 1114,8-11 heißt: Kapitel 14 Verse 8 bis 11
Bei Abschnitten meines Buches mit übergreifenden Themen wird vor den Kapitelnummern das betreffende Buch der Bibel in der üblichen Abkürzung angegeben (siehe Abkürzungsverzeichnis), bei Abschnitten über ein bestimmtes Buch der Bibel ist das entbehrlich.
Bei der Zitierung von Sekundärliteratur erscheint im laufenden Text der Name des Verfassers und die Seitenzahl. Wird aus mehreren Büchern eines Autors zitiert, ist zusätzlich noch die Kurzbezeichnung des Schriftstückes angegeben.
Eine Besonderheit liegt mit dem seit 1974 bei der Württembergischen Bibelanstalt Stuttgart erscheinenden, umfangreichen Band „Lutherbibel erklärt“ vor, da die Erklärungen nicht von einem einzelnen Autor, sondern einem Kollektiv aus 51 Theologen stammen. Wegen seiner weiten Verbreitung im evangelisch-lutherischen Raum kann man die Schrift als offiziöses oder auch EKD-nahes Standardwerk für die bibellesende Gemeinde bezeichnen. Zwar will das Buch selbst kein Kommentar sein, zumal – wie es im Vorwort heißt – die Bibel keiner Erklärung bedarf, weil sie in ihren Grundaussagen jedem Leser einsichtig sei. Doch da die Heilige Schrift durchgehend, wenn auch mit Lücken an brenzligen Stellen, erläutert wird, ist die Bezeichnung „Kommentar“ durchaus angebracht. Zur Vereinfachung wird das Werk daher ohne Angabe des Verfassers als „Lutherbibel-Kommentar“ zitiert.
Und noch etwas: Wenn im vorliegenden Buch von Studenten, Christen oder Theologen die Rede ist, sind Menschen gemeint, nicht etwa Männer, da es sich zuerst um Gattungsbegriffe handelt, nicht um eine Art dieser Gattungen. Frauen sind also selbstverständlich eingeschlossen. Mit der „geschlechtergerechten Sprache“, also dem Partizip Präsens (Studierende), dem unsäglichen Binnen-I (ChristInnen) oder der jeweiligen Angabe zweier Genera (Theologen und Theologinnen) wäre zwar die quantitative Imposanz des Buches gewachsen, aber das wollte ich meinen Lesern (sic!) nicht zumuten.
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Herrn Stephan Schenk und Frau Embla Dencker danke ich für Hinweise und Korrekturen, Herrn Guido Hackelbusch von der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Augustin für seine Hilfe bei der Literatur-Recherche. Nicht genug danken kann ich Herrn Dieter Langel, der als Studiendirektor für Deutsch der ideale Lektor war. Er hat den Text mehrmals durchgearbeitet und mich auf Rechtschreibfehler und stilistische Mängel aufmerksam gemacht. Dennoch etwa verbliebene Fehler sind allein von mir zu verantworten. Für die Aufnahme des Buches in das Programm des Tectum Verlages gilt mein Dank Herrn Dr. Heinz-Werner Kubitza, für die freundliche Zusammenarbeit seiner Projektbetreuerin, Frau Ina Beneke. Schließlich danke ich meiner Frau, die die Reinschrift des Manuskripts übernommen hat und bei der jahrelangen gemeinsamen Bibellektüre mein erster Gesprächspartner war.
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EZECHIEL
Der Begriff „Israel“ im engeren Sinn bezieht sich auf das im Jahr 931 v.Chr., nach dem Zerfall des salomonischen Reiches, entstandene Nordreich, im Unterschied zum Südreich Juda; im weiteren Sinn meint „Israel“ das gesamte Land und Volk Israel, also Israel im engeren Sinn und Juda zusammen.
Wenn man im ersten Stock der Bonner Universität das Philosophische Seminar verlässt und an der Treppe vorbei zehn Meter geradeaus läuft, stößt man auf eine Tür, über der in großen weißen Buchstaben „Evangelisch-Theologisches Seminar“ steht. Jahrzehntelang habe ich diese Tür nicht wahrgenommen. Lag es an einer Verengung des Blickfeldes, oder hingen die Gedanken noch an den eben gewälzten philosophischen Problemen? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass es im Frühjahr 2003 anders war, und warum es anders war, das lag an Ezechiel!
Ezechiel, oder eingedeutscht Hesekiel, ist neben Jesaja und Jeremia einer der drei großen Propheten des Alten Testaments. Im Jahr 597 v.Chr. wurde er mit seinem König Jojachin und vielen anderen von Nebukadnezzar nach Babylonien verschleppt und bei Tel Abib an einem Euphrat-Kanal angesiedelt. Dort lebten sie anscheinend unbehelligt, aber voller Sehnsucht nach Jerusalem. Jojachins Vater, König Jojakim, hatte sich im Jahr 604 Nebukadnezzar unterworfen, war aber drei Jahre später wieder abgefallen, so dass der babylonische Herrscher 597 nach Jerusalem zog und die judäische Oberschicht deportierte.
Doch die Daheimgebliebenen fielen unter ihrem neuen König Zidkija (Zedekia) im Jahr 589 wieder von Babylon ab, worauf Nebukadnezzar erneut gegen Jerusalem zog und die Stadt nach eineinhalbjähriger Belagerung eroberte. Diesmal kannte er keine Gnade. Die Stadt samt Tempel wurde zerstört, Zidkija, der noch versucht hatte zu fliehen, geblendet und mit den Überlebenden nach Babylonien verschleppt.
Inzwischen, d.h. noch vor der Vernichtung Jerusalems, war Ezechiel von Jahwe zum Propheten berufen worden und zeigte sich als würdiges Sprachrohr seines Gottes. Wie seine Vorgänger Jesaja und Jeremia verfügte er über ein enormes Schimpf- und Drohpotenzial. Ob seine Worte wirklich v o r den Ereignissen verkündet oder nachträglich rückdatiert wurden, sei dahingestellt. Recht hatten die Propheten à la longue immer: Im Frieden prophezeiten sie wegen des Verfalls der Sitten großes Unglück; und Krieg oder andere Katastrophen waren die Strafe Gottes.
Wer aber nun erwartet, Jahwe hätte durch Ezechiel nach der ersten Vertreibung Worte des Trostes und der Hoffnung an das gebeutelte Volk gerichtet, sieht sich getäuscht, denn er beschließt die totale Vernichtung und lässt einen Sturm von Flüchen und Verwünschungen auf die Judäer niederprasseln.
Nachstehend einige Kostproben zur Einstimmung.
Darum sollen in deiner Mitte Väter ihre Kinder und Kinder ihre Väter fressen; (5,10)
Es soll ein Drittel von dir an der Pest sterben und durch Hungervernichtet werden in deiner Mitte, und das zweite Drittel soll durchs Schwert fallen rings um dich her, und das letzte Drittel will ich in alle Winde zerstreuen und will hinter ihnen her das Schwert ziehen. (5,12)
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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