Ein Grab für den Mörder: Krimi Sonderband 4 Romane - Alfred Bekker - E-Book

Ein Grab für den Mörder: Krimi Sonderband 4 Romane E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Ein Gab für den Mörder: Krimi Sonderband 4 Romane (449) von Alfred Bekker Dieser Band enthält folgende Krimis von Alfred Bekker: Tod in Tanger Blumen auf das Grab Der Killer und sein Zeuge Für den Mörder geht es um die Wurst Die deutsche Studentin Elsa reist nach der für sie schmerzlichen elterlichen Scheidung nach Tanger, um Abstand zu gewinnen. Dort lernt sie den 38jährigen Robert kennen, einen attraktiven, indes einigermaßen undurchsichtigen Mann scheinbar dänischer Herkunft, in den sie sich verliebt und in dessen Villa sie bald darauf einzieht. Zunächst glaubt sie ihm bedingungslos und vertraut ihm etliches aus ihrer bedrückenden Vergangenheit an, doch als sie bemerkt, dass Robert Schminkutensilien benutzt und über mehrere Pässe verfügt, beginnt sie, sich über den Charakter von Roberts Geschäften Gedanken zu machen. Wenig später begibt sich Robert auf eine seiner sogenannten Geschäftsreisen nach Spanien und Frankreich, und Elsa bleibt zusammen mit dem arabischen Hausdiener in der Villa zurück. Es stellt sich heraus, dass Robert als professioneller Auftragsmörder tätig ist - eine schreckliche Entdeckung, die Elsa macht. Robert kann sie nun nicht mehr am Leben lassen…

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Ein Grab für den Mörder: Krimi Sonderband 4 Romane

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2022.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Ein Grab für den Mörder: Krimi Sonderband 4 Romane

Copyright

Tod in Tanger

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Blumen auf das Grab

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Der Killer und sein Zeuge

Die Hauptpersonen des Romans:

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Für den Mörder geht es um die Wurst: Kriminalroman

Copyright

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Epilog

Ein Grab für den Mörder: Krimi Sonderband 4 Romane

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis von Alfred Bekker:

Tod in Tanger

Blumen auf das Grab

Der Killer und sein Zeuge

Für den Mörder geht es um die Wurst

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, ALFREDBOOKS und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Titelbild Firuz Askin

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Tod in Tanger

Thriller von Alfred Bekker

Die deutsche Studentin Elsa reist nach der für sie schmerzlichen elterlichen Scheidung nach Tanger, um Abstand zu gewinnen. Dort lernt sie den 38jährigen Robert kennen, einen attraktiven, indes einigermaßen undurchsichtigen Mann scheinbar dänischer Herkunft, in den sie sich verliebt  und in dessen Villa sie bald darauf einzieht. Zunächst glaubt sie ihm bedingungslos und vertraut ihm etliches aus ihrer bedrückenden Vergangenheit  an, doch als sie bemerkt, dass Robert Schminkutensilien benutzt und über mehrere Pässe verfügt, beginnt sie, sich über den Charakter von Roberts Geschäften Gedanken zu machen. Wenig später begibt sich Robert auf  eine seiner sogenannten Geschäftsreisen nach Spanien und Frankreich, und Elsa  bleibt zusammen mit dem arabischen Hausdiener in der Villa zurück.

Es stellt sich heraus, dass Robert als professioneller Auftragsmörder tätig ist - eine schreckliche Entdeckung, die Elsa macht. Robert kann sie nun nicht mehr am Leben lassen...

1

Das erste Mal traf Elsa mit Robert Jensen im Postamt von Tanger zusammen.

Alles in allem war es nur eine sehr kurze Begegnung. Robert hatte sie fast umgerannt und schien sehr in Eile zu sein.

„Pardon!“, zischte es zwischen seinen dünnen Lippen hindurch.

„Macht nichts“, erwiderte Elsa. Sie sagte das instinktiv und ohne viel nachzudenken auf Deutsch, obwohl sie ja eigentlich nicht so ohne weiteres davon ausgehen konnte, dass ihr Gegenüber sie auch verstand.

Dann wechselten sie einen kurzen Blick miteinander. Elsa sah in hellblaue Augen.

Der Mann war blond, und sein Haar lichtete sich an manchen Stellen bereits. Dennoch, sein  Alter war schwer zu schätzen. Zwischen 25 und 40 schien alles möglich.

Aber da waren diese Augen, die einfach zu einem älteren Mann besser zu passen schienen.

Bei dem Zusammenprall war ihm der Pass heruntergefallen. Er bückte sich, um das Dokument wieder an sich zu nehmen; aber es gelang Elsa noch, einen Blick darauf zu werfen. Es war ein dänischer Pass, soviel konnte sie sehen.

Er nahm das Dokument und steckte es sofort in die Innentasche seines hellbraunen Sommerjacketts. Dann ging er an Elsa vorbei. Sie sah ihm nach, aber er drehte sich nicht zu ihr um, sondern wandte sich geradewegs zu einem der Schalter.

Dort hörte sie ihn in - soweit sie das beurteilen konnte - ziemlich fließendem Französisch reden. Sie verstand kaum etwas davon. Nur einzelne Wörter, die keinen Sinn ergaben.  Das nächste Mal, dass sie ihm begegnete, war am darauffolgenden Abend.

Der Muezzin hatte sein Abendgebet bereits per Lautsprecher über die Stadt gerufen und es war dunkel. Vom Meer her stiegen Nebel auf. Es wurde feucht und auch ziemlich kalt.

Sie zog sich ihre dünne Jacke enger um die Schultern und schlug den Kragen etwas hoch, aber diese feuchte Kühle ging durch alles hindurch. Es schien kein Mittel dagegen zu geben.

Sie wusste, dass es kaum wärmer sein würde, wenn sie sich in ihrem Hotel in die Decke rollte. Die Heizung war außer Betrieb. Da stand noch ein Elektro-Heizkörper - aber das schwache Stromnetz im Haus hatte schon Mühe, einen Haarföhn zu verkraften.

Elsa ließ sich in dem abendlichen Tanger treiben und sah den Menschen zu, die durch die Straßen drängten.

Wenn man mit dem Schiff hier herkam, dann sah die Stadt von weitem fast wie ein Ameisenhaufen aus. Ein Ameisenhaufen, der an einem Hang klebte.

Und sie war jetzt mitten drin. Inzwischen wusste sie, dass sie die aggressiven Straßenhändler und angeblichen Fremdenführer nicht beachten durfte.

„Voulez-vous visiter ma shop?“

Sie schüttelte sie ab, wie lästige Fliegen. Sie wollte nichts kaufen. Weder eine Lederjacke, noch einen Teppich oder eine 'original-marokkanische Handarbeit'.

Vielleicht sogar 'Made in Taiwan', dachte sie.

Aber wie dem auch immer war, sie hatte kein Geld für so etwas. Sie schlenderte an der Strandpromenade entlang. Eine Weile blieb ihr Blick an einem Mann hängen, der einen Eselskarren lenkte.

Das Meer war ruhig. Nebelschwaden hingen tief über der schier endlosen Wasserfläche.

Eine Filmkulisse, dachte sie plötzlich. Es ist wie in einem Film.

Kurz entschlossen ging sie noch etwas an den Strand. Sie zog sich die Schuhe aus und ließ das kalte Salzwasser um ihre Füße herumspielen. Sie lief ein Stück über den nassen Sand und träumte vor sich hin. Das Meer rauschte. Die Straße etwas weiter oberhalb rauschte auch, aber hier unten am Strand war das Meer lauter. Sie sah sich um.

Kein Mensch war um diese Zeit noch hier. Sie sah nur Dunkelheit und Nebel und das Meer... Und etwas weiter entfernt, als schwarze, düstere Schemen, die Verkaufsbuden und Strandrestaurants, die aber um diese Jahreszeit noch allesamt geschlossen waren. Auch tagsüber. Es waren einfach noch nicht genug Touristen da, als dass es sich gelohnt hätte, sie zu öffnen.

Das Mondlicht kam jetzt fahl durch den Nebel und tauchte alles in ein seltsames Licht. Plötzlich mischte sich das Meeresrauschen mit Stimmen, die bald näherkamen. Im ersten Moment erschrak Elsa,  dann lauschte sie. Es waren arabische Stimmen. Männerstimmen.

Sie stand wie erstarrt da, als die Gestalten aus der Dunkelheit ins fahle Mondlicht traten. Sie hörte sie reden, aber natürlich verstand sie kein Wort.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte.

Es waren drei junge Männer. Vielleicht 20, vielleicht 25 Jahre alt. Von der traditionellen Kleidung der Marokkaner schienen sie wenig zu halten. Sie trugen Jeans und dunkle Lederjacken. Und wäre da nicht der dunkle Teint ihrer Haut gewesen, man hätte sie nicht von Gleichaltrigen irgendwo in Westeuropa unterscheiden können.

Elsa erinnerte sich an den Eselstreiber, den sie kurz zuvor noch gesehen hatte. Alles das im selben Land zur selben Zeit...

Die Männer musterten sie auf eine Art und Weise, die ihr unangenehm war.

Sie blickte sich um. Aber da schien nirgendwo eine Menschenseele zu sein. Niemand außer diesen drei Typen.

Die Männer lachten.

Elsa hatte die instinktive Ahnung, dass es in ihrem Gespräch um sie ging. Mochte sein, dass sich ihr Gefühl manchmal täuschte, hier war sie sich ziemlich sicher.

Sie wollte gehen.

Einfach weg.

Sie fühlte sich in dieser Lage nicht wohl, wandte sich um und lief ein paar Schritte. Dann geschah das, was sie die ganze Zeit über schon befürchtet hatte. Sie sprachen sie an. Erst auf Französisch, dann kurz danach auf Englisch. Schließlich auf Deutsch.

„Woher kommst du?“, fragte einer von ihnen.

Sie blieb stehen und wandte sich zu ihnen um. Die drei kamen näher.

„Deutschland? Germany? Holland? Woher?“

„Deutschland“, sagte sie. Und ihre eigene Stimme klang ihr fremd.

„Deutschland - gut. Mein Bruder lebt dort. In Düsseldorf. Kennst du Düsseldorf?“

„Ja.“

„Ich war auch schon in Deutschland. In Hamburg. Und in Stuttgart. Mein Vater war beim Zirkus.“

Sie wandte sich erneut zum Gehen. Aber sie kam nicht weit. Ein paar Schritte nur.

„Hey, bleib hier!“

Sie sah in ein etwas ärgerliches Gesicht.

„Ich kann etwas Deutsch. Ich will mich nur unterhalten“, erklärte er. Die beiden anderen sahen gespannt zu. Einer grinste ziemlich frech.

„Nur etwas unterhalten“, meinte er. „Nichts verkaufen!“

„Das sagen alle!“, entfuhr es ihr - eine Spur unfreundlicher, als sie geplant hatte. Aber nun war es einmal heraus.

„Deutschland gut“, sagte er davon unbeeindruckt. „Gut im Fußball und gute Autos.“ Er schien gut Wetter machen zu wollen. Dann veränderte sich sein Gesicht ein wenig. „Bist du allein hier?“

Sie zögerte mit der Antwort.

Sie öffnete zwar den Mund, aber es kam nichts über ihre Lippen. Sie wollte keinen Fehler machen. Auf keinen Fall.

„Es ist niemand hier“, stellte er fest. „Hast du einen Mann?“

Daher wehte also der Wind. Er wollte die Besitzverhältnisse abklären und von ihr wissen, ob er bei ihr landen konnte - ohne dabei in die Rechte eines anderen einzugreifen.

„Nein“, sagte sie. „Ich meine, also...“ Sie stammelte etwas zusammen und wusste sofort, dass ihre Antwort ein Fehler gewesen war. Sie hatte es einfach so gesagt, ohne darüber nachzudenken.

Er lächelte, aber sie erwiderte sein Lächeln nicht.

Der junge Mann kam einen Schritt näher.

„Nicht verheiratet?“, fragte er.

Es schien sehr wichtig für ihn zu sein, sonst hätte er sich nicht noch einmal vergewissert.

Er trat einen weiteren Schritt an sie heran, und ehe sie zurückweichen konnte, hatte er sie am Arm gepackt.

„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte er. Aber sie hatte Angst. Sie zitterte sogar. Sie machte ihren Arm frei und wich erneut ein paar Schritte zurück. Die drei folgten ihr.

„Nur etwas reden...“

„Lasst mich in Ruhe!“

„Wir sind ein gastfreundliches Land! Und wir sind zu jedem freundlich, der zu uns freundlich ist...“

Das war schon eine Art Drohung

„Ihr sollt mich zufrieden lassen!“

Sie begann zu laufen. Keuchend hetzte sie vorwärts, während die drei ihr folgten.

Sie spielten mit ihr. Mit ihr und ihrer Furcht. Sie ließ die Schuhe fallen, die sie in der Hand gehalten hatte, und setzte zu einem Spurt an. Sie rannte, so schnell ihre Beine sie zu tragen vermochten.

Die Männer lachten und kamen hinter ihr her.

Elsa wusste kaum, wohin sie rannte. Sie lief einfach in die Dunkelheit hinein, weg vom Meer, weg vom Strand, dorthin, wo Menschen waren.

Möglichst viele Menschen. In der Masse wäre sie vielleicht sicher.

In dem weichen Sand stolperte sie über etwas. Treibholz vielleicht, das die Flut herangespült und die Ebbe nicht wieder mitgenommen hatte. Es lag einiges davon hier am Strand. Sie fiel zu Boden.

Sie fühlte den Sand, der in ihre Kleider drang.

Hinter ihr waren die drei Verfolger zu hören. Sie trugen Turnschuhe und kamen schnell heran. Verzweifelt versuchte sie, wieder auf die Beine zu kommen.

Sie betrachten mich als Freiwild!, schoss es ihr durch den Kopf.

Die Kerle schienen sich vollkommen sicher zu fühlen. Hier am Strand, wo es dunkel war und wo kein Mensch wartete...

Das Rauschen des Meeres und der Lärm der Straße, die am Meer entlangführte, betäubten gemeinsam die Ohren. Auf der Strandpromenade würde niemand etwas hören, wenn die  drei jetzt über sie herfielen.

Da sah Elsa eine Gestalt aus der Dunkelheit treten. Sie kam aus genau der Richtung, in die sie wollte. Sie kam von der Straße; dorther, wo das Leben war und die Menschen...

Zuerst erschrak sie, aber dann fiel das Mondlicht so, dass sie ein Gesicht sehen konnte. Es war der Däne, der sie auf der Post fast umgerannt hatte.

Er stand da und schien die Situation sofort zu erfassen. Seine Züge waren ruhig und gelassen. Sie waren sogar kalt. Völlig kalt.

Sie blickte zu ihm auf, dann zurück zum Wasser, dorthin, wo die drei Männer waren.

Dann stand sie auf. Sie stand wie angewurzelt da - und dasselbe galt für die drei, die hinter ihr hergelaufen waren.

Sie blickten stirnrunzelnd auf den Mann, der aus der Dunkelheit getreten war und dessen Absicht es ganz offensichtlich zu sein schien, ihnen den Weg zu verstellen.

Elsa setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, bis sie hinter dem Dänen stand. Sie atmete tief durch.

Die drei versuchten es mit dem Dänen auf Englisch, schließlich war nicht zu übersehen, dass er Europäer war. Aber der Mann antwortete auf Arabisch.

Elsa verstand kein Wort. Aber es schien nicht gerade freundlich zu ein, was er ihnen zu sagen hatte. In Augen der drei Marokkaner blitzte es giftig.

Der Däne blieb so kalt wie zu Anfang. Aber er war aufmerksam. Kein Detail in den Bewegungen seiner Gegner schien ihm zu entgehen. Er durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick.

Ein paarmal ging der Wortwechsel hin und her.

Und dann blitzte plötzlich ein Messer im Mondlicht. Die Typen grinsten. Ein zweites Messer wurde gezogen. Ein Springmesser. Gefährlich schnellte die Klinge aus dem Griff heraus, so wie die lange Zunge eines Leguans, der seine Beute blitzschnell erlegt und verspeist.

Leichte Beute - dafür schienen die drei den Dänen  auch zu halten. Das Zahlenverhältnis sprach für sie, außerdem wirkte der Däne in seinem eleganten Jackett nicht wie ein geübter Straßenkämpfer, der bereit war, sich mit seinen Gegnern im Dreck zu wälzen.

Das erste Messer schnellte drohend vor, die beiden anderen Männer hielten sich noch zurück. Sie schienen erst einmal abwarten zu wollen. Aber in ihren Gesichter stand ein zuversichtliches Grinsen.

Der Däne packte den rechten Arm seines Gegenübers und drehte ihn brutal herum. Mit einem Schrei ließ er das Messer in den Sand fallen.

Schon Sekundenbruchteile später befand sich der Marokkaner im Würgegriff des Dänen.

Die beiden anderen drängte er mit ein paar unfreundlichen Sätzen auf Arabisch zurück. Sie zögerten, und schienen erst etwas verunsichert und nicht recht schlüssig darüber, wie sie sich verhalten sollten, aber dann entfernten sie sich schnell.

Mit einem rauen Stoß beförderte der Däne den Angreifer dann in den Sand. Mit ungläubigen, weit aufgerissenen Augen machte er sich davon.

Das Messer blieb im Sand liegen.

Elsa hatte die ganze Zeit über wie angewurzelt dagestanden.

„Mein Gott!“, entfuhr es ihr.

Der Däne sah sie an.

Sein Gesicht wirkte entspannt und gelassen. Immer noch schien er ein  wenig unterkühlt zu sein.

„Alles in Ordnung?“, fragte er.

Sie nickte.

„Ja.“

„Dann ist es ja gut...“

„Ja... Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn Sie nicht gewesen wären.“

Sie wussten beide, was geschehen wäre.

Aber das war im Moment nicht so wichtig.

Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass er akzentfreies Deutsch gesprochen hatte. Bestes Hochdeutsch. Keinerlei landschaftlicher Einschlag festzustellen. Jedenfalls nicht für Elsa.

Sein Pass war der eines Dänen, aber er hätte auch als Deutscher durchgehen können. Ohne weiteres. Er wäre nirgends als Fremder aufgefallen.

Sie dachte daran, dass sie ihn auch Arabisch und Französisch hatte sprechen hören. Er musste sehr sprachbegabt sein.

„Kommen Sie mit?“

Er runzelte die Stirn.

„Wohin?“

„Zur Polizei.“

„Was wollen Sie dort?“

Sie blickte ihn verständnislos an.

„Aber... Ich meine, diese Typen...“

„Glauben Sie mir, Sie werden mehr Probleme bekommen, als die.“

„Aber es geht doch um... Gerechtigkeit. Ich meine, da kann doch nicht einfach jemand hergehen und einen... „

Er zuckte mit den Schultern und schien ziemlich ungerührt zu sein.

„Hat irgendjemand behauptet, dass es in der Welt gerecht zugeht?“

„Nein, natürlich nicht...“

„Sie können selbstverständlich tun und lassen, was Sie wollen, aber ich gebe Ihnen den Rat, nicht zur Polizei zu gehen. Fehlt Ihnen denn was?“

„Nein...“

„Sind Sie verletzt? Ist irgend etwas Ernsthaftes passiert?“

„Nein, Sie sind ja gerade noch rechtzeitig dazwischen gekommen!“

„Dann sollten sie die Sache auf sich beruhen lassen! Glauben Sie mir. Ich lebe schon eine ganze Weile hier...“

„Aber Sie haben doch alles gesehen! Wenn Ihre Aussage...“

„Sie stellen sich das falsch vor“, meinte er. „Dies ist ein sehr bürokratisches Land. Und eines, in dem Beziehungen eine wichtige Rolle spielen. Vor allem verwandtschaftliche. Wissen Sie was passiert, wenn Sie einen Polizisten nach dem Weg fragen?“

„Nein.“

„Er wird Sie an einen Fremdenführer vermitteln. An irgendeinen entfernten Vetter. Dieser Fremdenführer macht das natürlich nicht umsonst. Er gibt dem Polizisten was, der die Sache vermittelt, hat und bringt Sie dann an Ihr Ziel. Aber nicht auf direktem Wege. Er geht davon aus, dass Sie sich hier nicht auskennen und wird Sie erst einmal an ein paar Geschäften vorbeibringen, mit deren Besitzern er entweder verwandt oder befreundet ist und von denen er vermutlich auch etwas dafür bekommt, dass er Touristen zu ihnen ins Geschäft lockt.“ Er lächelte jetzt ein wenig. „So funktioniert das Leben hier. Das gilt für alle Bereiche. Begreifen Sie jetzt, weshalb ich es nicht für sinnvoll halte, zur Polizei zu gehen?“

„Ich weiß nicht...“

„Eine ordnungsliebende Deutsche, die es gewohnt ist, dass alle Beamten unbestechlich sind und alles gut organisiert ist!“

„Machen Sie sich nicht über mich lustig!“

„Das tue ich nicht. Ganz bestimmt nicht.“

„Wie heißen Sie?“  Es interessierte Elsa auf einmal, was das für ein Mann war, der hier vor ihr stand. Es hatte sie schon gestern in der Post interessiert, aber da war es ihr nicht so bewusst gewesen.

„Ich heiße...“ er schien einen Moment zu zögern, bevor er weitersprach. Elsa konnte sich dieses Zögern nicht erklären. Sie dachte auch nicht weiter darüber nach. Später, viel später sollte es ihr verständlich werden.

„Jensen“, sagte er. „Robert Jensen.“

Er war Däne, sie hatte seinen Pass gesehen. Und sein Name klang  wie ein dänischer Name jedenfalls soweit sie das beurteilen konnte. Es war ein Allerweltsname. Dieser Name konnte ebenso gut einem Deutschen, einem Holländer oder einem Belgier flämischer Zunge gehören. Nicht zu vergessen die anderen skandinavischen Länder.

Sie maß dieser Tatsache kaum eine Bedeutung bei, sie dachte einfach so darüber nach.

„Und Sie?“, fragte er dann. „Wie ist Ihr Name?“

Man konnte wirklich keinen Akzent hören. Nicht einmal eine gewisse Unsicherheit in der Auswahl von Wörtern.

„Elsa“, sagte sie. „Elsa Karrendorf.“

„Woher kommen Sie in Deutschland?“

„Osnabrück.“

„Nicht gerade eine Weltstadt. Aber ich war schon einmal dort.“

„Sie sprechen gut Deutsch.“

„Danke.“

„Sie scheinen überhaupt recht sprachbegabt zu sein... Französisch, Arabisch...“

„Ja, es ist besser, man versteht, was die Leute sagen. Sie bescheißen einen dann nicht so leicht. Jedenfalls ist das meine Erfahrung.“

„Fremdsprachen waren mir immer ein Gräuel.“

„Das ist schade.“

„Ein bisschen Englisch in der Schule. Es ist gerade genug hängengeblieben, dass ich mich durchschlagen kann...“

„Na ja, es gibt so viele deutsche Touristen... Man liest jetzt auch hier Schilder mit der Aufschrift 'Man spricht Deutsch' und 'Dortmunder Kronen'!“

„Ja!“ Sie lachte. „Und 'Wiener Schnitzel'!“

Er lachte jetzt auch und entblößte dabei zwei Reihen makelloser Zähne.

Dann fragte Sie: „Woher kommen Sie - in Dänemark?“

Er runzelte etwas die Stirn. Dann schmunzelte er etwas.

„Mein Deutsch scheint doch nicht so gut zu sein, wenn man gleich hört...“

„Nein, ich habe gestern auf der Post Ihren Pass gesehen.“

„Ich verstehe...“

„Also, woher?“

„Kleines Nest. Kennen Sie bestimmt nicht. Und ich war auch schon lange nicht mehr dort. Schon sehr lange... Wahrscheinlich würde ich es gar nicht wiedererkennen.“

Sie stand vor ihm und fühlte sich plötzlich etwas verlegen. Ein paar Augenblicke lang hielt das unangenehme Schweigen an.

Dann meinte er plötzlich: „Soll ich Sie zu Ihrem Hotel bringen?“

Sie nickte. Er vermittelte ihr das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit; ein Gefühl, nachdem sie gerade jetzt, nach diesem unangenehmen Vorfall, ein großes Verlangen hatte.

Also sagte sie: „Ja.“

Sie sagte es schnell und ohne auch nur einen Moment zu zögern, denn sie hatte das Gefühl, dass sie diesem Mann vertrauen konnte.

„Gut, dann gehen wir.“

„Ja, aber ich will erst noch zum Wasser zurück.“

„Warum?“

„Meine Schuhe - ich habe sie verloren, als ich vor den Dreien davongerannt bin...“

„Sehen wir mal nach. Aber ich glaube nicht, dass wir sie wiederfinden.“

Sie fanden sie doch wieder. Gegen alle Wahrscheinlichkeit. Sie lagen im Sand, und Elsa hob sie auf, schüttelte sie aus und streifte sie über ihre nackten Füße.

Es waren billige Textilschuhe. Einer hatte bereits ein Loch an der Seite.

Unwillkürlich kamen ihr die Schuhe ins Blickfeld, die Robert Jensen trug. Es waren Leder-Slipper. Und wie alles andere, was er trug, nur vom Besten.

Er trug diese Dinge wie selbstverständlich. Sie waren nichts Besonderes für ihn.

Jensen machte den Eindruck, Geld zu besitzen. Genug jedenfalls, um ein gutes Leben führen zu können.

„Was machen Sie beruflich?“, fragte sie plötzlich.

„Lass das 'Sie' weg“, meinte er. „Ich bin Robert. Okay?“

„Gut, wie du willst...Robert.“

Sie gingen durch den weichen, feinen Sand, und sie hoffte, dass er noch ihre Frage beantwortete, aber er kam nicht mehr darauf zurück. Und sie wollte nicht  aufdringlich sein und nachhaken.

Sie hatte schließlich kein Recht, ihn in ein Kreuzverhör zu ziehen. Er musste selbst wissen, auf welche Fragen er ihr antwortete und auf welche nicht. Vielleicht wollte er es ihr nicht sagen, vielleicht hatte er auch nur nicht mehr daran gedacht...

Sie kamen zur Straße, die an der Küste entlangführte. Palmen wuchsen zu beiden Seiten. Viele von ihnen waren höher als die Häuser, die auf der dem Meer abgewandten Seite standen. Hupende Autos drängten sich auf dem Asphalt. Hier und da gab es Eselskarren, die den Betrieb aufhielten.

„In welchem Hotel wohnst du?“, fragte er.

„Hotel Massilia.“

„Kenne ich nicht.“

„Es ist halt sehr preiswert.“

„Verstehe...“

„Die Dusche ist zwar kalt, aber sonst ist es ganz nett. Ich bin nicht sehr anspruchsvoll...“

Sie gingen jetzt durch enge, leere Seitengassen. Die Kinder, die sonst in schwärmen umherliefen und sich unweigerlich auf jeden Touristen stürzten, um ihn anzubetteln und ihm die Kasbah, die Altstadt zu zeigen, waren jetzt wohl schon im Bett.

Schließlich erreichten sie das Hotel.

„Nochmals vielen Dank“, sagte sie ein wenig unbeholfen.

„Keine Ursache“, meinte er.

„Robert...“, sie öffnete den Mund, aber sie schien nach den richtigen Wörtern zu suchen.

„Ja?“

„Vielleicht sehen wir uns mal wieder.“

„Warum nicht!“

Sie nickte und lächelte.

„Schön.“

„Ich werde dich morgen abholen“, sagte er.

Sie schaute ihn überrascht an. Aber dann nickte sie erfreut.

„Gut.“

Sie fühlte ein eigenartiges Prickeln. Robert Jensen drehte sich von ihr fort und ging die Straße hinunter. Sie sah ihm nach, aber er blickte nicht zurück.

Sie musste ihre Gefühle erst ordnen. Alles, was an diesem Abend geschehen war, schien ihr auf einmal seltsam nebulös. Wie aus einem Traum, aus dem sie gerade erwachte und den sie nun langsam vergessen konnte.

Ihr gesamtes Inneres schien durcheinandergewirbelt zu sein. Sie wusste nur, dass dieser Mann sie interessierte. Sie konnte nicht sagen weshalb. Es war einfach so. Und sie hatte nicht die Absicht, sich dieser Regung entgegenzustellen. Nein, ganz im Gegenteil. Sie freute sich darauf, ihn wiederzusehen.

2

Robert hielt sein Versprechen und tauchte im Frühstücksraum des Hotel Massilia auf, als sie vor ihrem Milchkaffee und dem Weißbrot saß. Sie war gerade damit beschäftigt, sich die Marmelade auf das Brot zu streichen.

Es war Kakteenmarmelade, und sie empfand sie als ziemlich bitter. Aber es gab hier nichts anderes.

Er setzte sich zu ihr an den Tisch.

„Guten Morgen, Elsa.“

„Guten Morgen...“

„Gut geschlafen?“

„Es ging.“

„Na ja, verständlich - nach dem, was gestern Abend geschehen ist. Du solltest die Sache so schnell wie möglich vergessen.“

„Ich versuche es. Ehrlich. Aber das ist leichter gesagt als getan. Ich habe einen ziemlichen Schrecken gekriegt...“

„Wenn wundert's?“

„Ich meine, man hat solche Dinge so oft im Kino oder im Fernsehen gesehen, aber wenn es einem dann selbst passiert. Das ist  dann doch etwas ganz anderes.“

„Natürlich.“

„Möchtest du auch etwas frühstücken, Robert?“

„Nein, danke. Ich habe schon.“

Sie musterte sein Gesicht, während sie sich das Brot in den Mund schob und abbiß. In seiner Gegenwart fühlte sie sich sicher, vielleicht war das ihre wichtigste Empfindung ihm gegenüber.

Sie fand ihn auch sonst als anziehend, aber dieses Gefühl war beherrschend.

Bei einem Mann war für sie schon immer das Wichtigste gewesen, dass er ihr ein Gefühl von Sicherheit gab. Und dass er wusste, was er wollte und was zu tun war. Ein Mann, der vorausblickte, der Gefahren kommen sah, lange vor allen anderen.

Sie sah in sein Gesicht und dachte: Ja, er weiß was er will. Dies war das Gesicht eines entschlossenen Charakters, der keinen Moment zweifelt. Jedenfalls nicht an sich. Am Rest der Welt vielleicht, aber nie an sich selbst und seiner Kraft, seiner Intelligenz und seiner Überlegenheit.

Elsa war ganz anders.

Sie zweifelte ständig an sich, an ihrem Aussehen, ihrer Figur, ihrem Charakter, ihren Fähigkeiten, ihrer Intelligenz..., an allem, was sie betraf. Alles schien perfekt und schön und gut und überlegen zu sein, nur sie nicht.

Sie wusste nicht, woher das kam, und sie mochte auch nicht darüber nachdenken. Schon gar nicht in diesem Augenblick. Nein, in diesem Augenblick, als sie Robert gegenübersaß schon gar nicht.

„Was machst du?“, fragte er plötzlich.

Seine tiefe, ruhige Stimme... Ja, es war nicht nur das Gesicht, das ihr Sicherheit vermittelte. Es war auch diese Stimme. Ein Mann, der eine solche Stimme hatte, die kein bisschen unsicher klang, der musste sich seiner Sache einfach sicher sein, der konnte keine Zweifel haben.

Diese zersetzenden Zweifel. Sie verscheuchte diesen Gedanken erst einmal erfolgreich. Sie wusste ohnehin, wohin das führte. Geradewegs in eine Depression hinein.

Sie wusste es, weil sie es schon so oft erlebt hatte. Und sie war dumm genug, es immer wieder mitzumachen.

Ihr Arzt hatte ihr geraten, in eine psychologische Beratung zu gehen, aber sie hatte das empört von sich gewiesen.

Roberts Stimme drang wie ein blitzendes Messer durch ihre trüben Gedanken und durchtrennte den Nebel, der in ihrem Inneren herrschte.

„Was ich mache? Wie meinst du das?“

„Beruflich meine ich.“

„Ach so.“

„Also?“

„Ich studiere.“

„Was?“

„Germanistik und Kunst.“

„Interessant.“

Der Klang seiner Stimme hätte jedem anderen verraten, dass er es nicht besonders interessant fand. Aber sie hörte das nicht. Sie hatte einfach keine Ohren dafür.

„Auf Lehramt?“, fragte er.

„Ja. Erst habe ich ein Magisterstudium begonnen, aber jetzt bin ich umgestiegen.“

„Warum?“

„Man muss ja schließlich irgendwann auch einmal damit anfangen, sein eigenes Geld zu verdienen.“

„Ja, das ist richtig.“

„Und was machst du, Robert?“

Sie hörte ihre Stimme seinen Namen sagen, und auf einmal klang das, was über ihre Lippen kam, ihr selbst fremd. Sie blickte auf, direkt in seine hellblauen Augen. Und sie dachte: stell ihn dir mit grauen Haaren vor, dann könnte er dein Vater sein.

Aber er hatte keine grauen Haare.

Und er war auch nicht ihr Vater. Es war einfach ein Gedanke gewesen, der sie angeflogen und nicht wieder losgelassen hatte. Dieser Gedanke sollte sie noch eine ganze Weile lang verfolgen.

„Na?“, fragte sie. Er hatte nicht sofort geantwortet. Und an seinem unbewegten Gesicht war nicht zu erkennen, worin der Grund dafür lag.

Vielleicht war es auch nur Einbildung.

Vielleicht war sie einfach zu ungeduldig.

„Geschäfte“, sagte er unverbindlich.

„Müssen ganz gut laufen, deine Geschäfte“, meinte sie und er runzelte unwillkürlich die Stirn.

„Wie kommst du darauf?“

„Nun, die Sachen, die du trägst, sind nicht gerade billig. Die Uhr da an deinem Handgelenk...  Ich vermute es einfach. Du siehst aus wie jemand, der Erfolg hat und der nicht jeden Pfennig umdrehen muss, bevor er ihn ausgibt.“

Er lächelte.

„Ja, das trifft es wohl...“, murmelte er nachdenklich. Sie hoffte, dass er noch etwas Näheres dazu sagen würde.

Aber es kam nichts mehr.

Stattdessen fragte er, als er sah, dass Elsa aufgegessen hatte: „Was machen wir heute?“

„Ich weiß nicht...“

„Mein Auto steht vor der Tür. Wir können etwas in der Umgebung herumfahren!“

Sie zuckte erst mit den Schultern. Dann nickte sie.

„Okay.“

Er lächelte und zeigte dabei seine Zähne.

„Gut, dann los!“

Robert fuhr einen Landrover.

„Wow!“, staunte Elsa. „Ich habe schon immer davon geträumt, mal in so einem Ding zu sitzen!“

„Na, nun sitzt du ja drin!“

„Gehört er dir? Oder ist der Wagen geliehen?“

Schon als es über ihre Lippen gekommen war, wusste sie die Antwort. Es war eine dumme Frage. Eine, die sich im Grunde erübrigte. Sein Gesichtsausdruck in diesem Moment sagte ihr genau das.

Jemand wie Robert brauchte sich keinen Wagen zu leihen. Es war zumindest mehr als unwahrscheinlich.

„Er gehört mir“, sagte er.

Sie fuhren los.

„Wohin geht's?“

Sie hatten nicht darüber gesprochen.

Und Elsa wunderte sich über sich selbst.

Da stieg sie zu einem Mann ins Auto, den sie kaum kannte und ließ sich von ihm irgendwohin fahren.

Es zeigte, wie  sehr sie ihm vertraute. Von Anfang an, ohne einen wirklich fassbaren Grund dafür zu haben. Und dann kam es ihr erneut in den Sinn: Wenn er graue Haare hätte, könnte er mein Vater sein...

Vielleicht war das der Grund.

Sie dachte nur ganz kurz darüber nach. Einen Sekundenbruchteil lang vielleicht. Dann scheuchte sie den Gedanken beiseite. Sie wollte hier nicht weitergrübeln.

Sie wusste, wohin das führte. Ihr Vater... Nein, das war ein eigenes Kapitel, und sie hatte jetzt einfach keine Lust, darin zu lesen.

„Also wohin, Robert?“, hörte sie sich selbst sagen.

„Einfach ein bisschen in der Gegend herum, dachte ich. Einverstanden?“

„Meinetwegen.“

„Seit wann bist du in Tanger?“

„Seit vorgestern.“

„Bist du schon aus der Stadt heraus gewesen?“

„Nein.“

„Hab ich mir gedacht...“

„Ich war in der Kasbah und auf dem Markt.“

„Natürlich, da führen sie einen immer zuerst hin.“

„Ich hatte einen offiziellen Führer. Einen mit Ausweis. Die sind gleich am Hafen gewesen.“

„Ja, wie die Hyänen stürzen die sich auf neu angekommene Touristen. Trotzdem: Wenn du an einen offiziellen Führer gerätst, ist das Risiko nicht so groß, an einen Halsabschneider zu geraten.“

„Meiner war ganz nett. Und es war ein offizieller Führer. Er hat mich auch zum Hotel gebracht. Ich habe ihm gesagt, was ich mir leisten kann, und er hat mich hingebracht.“

„Hat er dir auch ein Taxi besorgt?“

„Ja, hat er.“

„Und dir den Geldumtausch besorgt?“

„Ja, hat er auch. Aber woher...?“

„Vielleicht waren das alles seine Cousins: Der Hotelbesitzer, der Taxifahrer...“

„Und wenn schon!“

Sie lachten beide.

„Was suchst du hier in Marokko?“

„Ich habe keine Ahnung.“

Robert gegenüber war sie völlig offen. Es schien, als könnte sie nichts vor ihm verbergen, als würde sich alles in ihr ihm gegenüber von selbst öffnen. Es beängstigte sie ein wenig. Aber sie fühlte sich gut dabei. Und das war doch alles, worauf es im Moment ankam.

Nein, sie beschloss, keine Zweifel zuzulassen, nicht an sich selbst und schon gar nicht an dem Mann, der neben ihr saß.

„Ich wollte mal was anderes sehen“, sagte sie. „Einfach mal was anderes. Sonne, verstehst du?“

„Ich weiß nicht...“

„Bei uns zu Hause gibt es zu dieser Jahreszeit oft noch Schneeschauer... Das ist so trostlos. Irgendwie...“ Sie suchte nach Wörtern, nach Wörtern, die passten und das ausdrückten, was sie empfand. Und dabei stellte sie fest, dass sie selbst sich darüber kaum im Klaren war. Im Grunde genommen hatte sie nur sehr oberflächlich darüber nachgedacht. Und dann war es auf einmal heraus: „Abstand...“, murmelte sie.

Sie sah zu ihm hinüber.

Er saß ruhig am Steuer. Seine Stirn hatte sich ein klein wenig in Falten gelegt. Er hob die Augenbrauen.

„Abstand?“, fragte er.

„Ja.“

„Abstand wovon?“

„Ich weiß nicht, ob dich das interessiert...“

„Doch, es interessiert mich, Elsa. Weil du mich interessierst.“

Das hatte er nett gesagt, fand sie. Und es ging ihr ganz warm den Rücken hinunter.

„Es ist eine sehr persönliche Sache“, sagte sie. „Und sehr unangenehm...“

Sie wurde sich schnell darüber klar, dass er daraus nicht schlau werden konnte. Sie redete einfach so, wie ihre Gedanken kamen, aber wie sollte er das verstehen.

Er sah kurz zu ihr hinüber.

„Eine Liebesgeschichte?“

„Nein.“

„Was dann?“

„Meine Eltern...“

Sie schluckte.

„Was ist mit ihnen?“

„Sie haben sich gerade scheiden lassen. Jetzt, nach so vielen Jahren...“

Sie sah es ihm an, was er dachte. So etwas passiert doch jeden Tag. Jeden Tag dutzendmal, hundertmal, tausendmal... Kein Mensch regte sich über so etwas auf.

„Es hat mich sehr mitgenommen“, fügte sie hinzu, als müsste sie etwas erklären.

„Ich verstehe...“

Er verstand es nicht, davon war sie überzeugt. Aber er tat immerhin so, und das war nett.

„Ich habe immer gedacht, dass zwischen meinen Eltern alles in Ordnung wäre“, sprudelte es aus ihr heraus. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie sich früher viel gestritten haben. Ich meine, in anderen Ehen gibt es Gewalt und Alkohol und so etwas - und die werden nicht geschieden...“

„Wie alt bist du?“, fragte er.

„22. Warum?“

„Du bist eine erwachsene Frau.“

Sie glaubte zu verstehen, was er meinte.

„Ja schon, aber...“

„Und deine Eltern sind ebenfalls erwachsene Menschen, nicht wahr?“

„Ich weiß. Mein Verstand weiß das. Mein Gefühl glaubt es nicht. Verstehst du das, Robert? Dass die eine Hälfte von dir etwas weiß, die andere es aber nicht wahrhaben will?“

„Ja.“

Mein Gott, dachte sie. Ich kenne ihn seit gestern Abend, und schon erzähle ich ihm meine ganze Familiengeschichte. Sie hätte noch weiter gesprochen, wenn sie sich nicht plötzlich gebremst hätte.

Sie musste an ihren Arzt denken.

Elsa hatte immer wieder unter psychosomatischen Beschwerden gelitten. Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Hautausschläge und anderes.

Und dann hatte sie dem Arzt plötzlich Dinge erzählt, die ihn eigentlich nichts angingen. Und die auch gar nicht in den Bereich eines Arztes fielen. Von ihren Problemen mit Männern und ihren Eltern und tausend anderen Dingen. Ihrer Angst, das Studium eines Tages ohne Prüfung aufgeben zu müssen.

Sie hatte diese Angst, die Prüfung nicht zu schaffen, schon  gehabt, als sie gerade das Abitur hinter sich gebracht hatte. Und vor dem Abitur hatte sie auch Riesenangst gehabt - seit sie das Gymnasium besuchte.

Im Grunde genommen hatte sie ihr ganzes Leben lang Angst davor gehabt, dieses und jenes nicht zu schaffen.

Der Arzt hatte ihr gesagt, dass sie jemanden brauchte, bei dem sie sich aussprechen konnte. Einen Psychotherapeuten. Einer, der dafür ausgebildet war.

„Ich bin doch nicht verrückt!“, hatte sie dem Arzt empört geantwortet. Aber vielleicht hatte der Arzt recht gehabt.

Vielleicht brauchte sie so jemanden. Eine Art Pfarrer, der ihr die Beichte abnahm.

Plötzlich hörte sie Roberts ruhige Stimme. Sie klang warm in ihren Ohren. Warm und sicher.

„Vielleicht war es gar keine schlechte Idee, erst einmal eine Reise zu unternehmen“, meinte er. „Das lenkt einen etwas ab, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt.“

Robert jagte den Landrover die schmale Küstenstraße entlang. Eine Weile schwiegen sie beide.

Dann fragte Elsa plötzlich: „Wie alt bist du eigentlich?“

In diesem Moment kam ein Wagen von vorne. Er schoss um eine unübersichtliche Kurve herum und kam dabei ziemlich weit auf die andere Fahrbahn. Robert musste im letzten Moment ausweichen.

„Idiot!“, schimpfte er vor sich hin.

Auf ihre Frage kam er nicht mehr zurück. Sie fuhren weiter in der Umgebung herum, und auf diese Weise sah Elsa etwas vom Land. Einmal stiegen sie an einer schönen Stelle aus. Ein Steilhang ging zum Meer hinab. Weiter oberhalb lagen grüne Hügel.

„Man denkt immer an Wüste, wenn von Nordafrika die Rede ist“, meinte sie. „Unwillkürlich denkt man an Wüste. Aber wenn man mit dem Schiff von Algeciras hier ankommt, dann sieht man schon diese grünen Flächen auf den Hügeln...“

Er lachte.

„Ja.“

„Seit wann bist du hier, Robert?“

„Schon ein paar Jahre.“

„Du lebst hier?“

„Ja.“

Ihr fiel ein, dass er Arabisch sprach. Ja, er schien wirklich hier zu Hause zu sein.

„Ich habe ein Haus unweit von Tanger“, meinte er. „Es liegt direkt am Meer.“

„Und du kannst deine Geschäfte von hier aus abwickeln?“, fragte sie. Sie wollte nicht zu neugierig erscheinen, aber jetzt interessierte es sie doch ziemlich stark, womit er sein Geld verdiente. Was mochten das für Geschäfte sein, die man von einem Ort wie Tanger aus erledigen konnte?

Wie ein Teppichhändler sah er jedenfalls nicht aus.

Er blickte sie an und strich ihr über das Haar, das sie zu einem Knoten zusammengesteckt hatte.

„Manchmal muss ich für einige Zeit verreisen“, sagte er. „Aber das meiste geht von zu Hause aus... Möchtest du mein Haus mal sehen?“

Sie schob sein Jackett beiseite und legte ihren Arm um seine Hüften. Sie nickte.

„Ja, warum nicht?“

Sie fühlte seinen Arm um ihre Schultern und war wie elektrisiert. Es ist wie in einem Traum, dachte sie. Ein Traum...

Sie gingen zum Auto zurück, und Robert ließ den Motor an. Dann brauste der Landrover los.

Es geht alles so schnell, dachte sie. Aber sie hatte ein gutes Gefühl.

Sie fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr, schon sehr lange. All die trüben Nebel schienen aus ihrem Bewusstsein hinausgefegt worden zu sein.

Robert drehte die Stereo-Anlage an. Kühle, abgedämpfte Trompetentöne, die aus dem Nichts zu kommen schienen...

„Was ist das für Musik?“, fragte sie.

„Miles Davis. Ein Jazztrompeter.“

Der Name sagte ihr nichts. - Aber sie mochte diese Musik nicht.

3

Das Haus war weiß. Schneeweiß und genau so, wie man sich ein orientalisches Haus vorstellt. Eine Villa, umgeben von einer hohen Mauer, auf der ein gusseisernes Gitter aufgesetzt war. Es schien ziemlich einsam zu liegen und von einem großen Grundstück mit Garten umgeben zu sein.

Elsa hörte das Meeresrauschen bereits, als Robert das Tor passierte und den Wagen vor der Haustür abstellte.

„Macht ein solches Anwesen nicht unwahrscheinlich viel Arbeit?“, fragte sie unwillkürlich.

Er lächelte.

„Es geht...“

Ihr zweiter Gedanke betraf das Geld, dass ein solches Anwesen kosten musste. Mein Gott, dachte sie, mit was für einem Mann habe ich es hier zu tun? Solche Villen besaßen in den Fernsehkrimis immer die großen Drogenbosse und Mafia-Chefs.

Es war ein dummer, abwegiger Gedanke und sie schalt sich einen Narren. Elsa öffnete die Tür des Landrovers auf und stieg hinaus.

Robert beobachtete sie lächelnd. Ihr stand eine ganze Weile lang der Mund offen. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, meinte sie schließlich.

„Dann sag eben nichts“, lachte er.

Sie liefen zusammen zur Haustür. Er öffnete, und dann gingen sie hinein.

„Fühl dich wie zu Hause“, meinte er.

„Gut.“

„Ich schätze, du bist durstig. Ich jedenfalls bin es.“

„Ja, ich auch.“

„Einen Drink?“

„Nein, nichts Alkoholisches.“

„Eine Frage der Überzeugung?“

„Nicht direkt, nein. Aber wenn ich ehrlich bin, dann trinke ich kaum Alkohol. Manchmal etwas Wein. Aber nicht zu süß.“

„Ich habe auch Wein...“

„Nein, nicht schon um diese Tageszeit. Lieber eine Cola.“

„Auch okay.“

Sie standen in einem großen Wohnzimmer, hell eingerichtet mit bequemen Möbeln. Robert ging nach nebenan und holte die Getränke aus dem Kühlschrank.

Elsa nahm die Cola-Büchse, riss sie auf und setzte sie an den Mund. Sie war eiskalt.

Elsa trat an die helle Fensterfront, die nach hinten hinaus, zum Garten ging. Hohe Fenster mit einer Glastür. Dahinter war eine überdachte Terrasse. Und dahinter Rasen. Er schien frisch gemäht zu sein.

Wie in einem Park, dachte Elsa. Und dann sah sie den Swimmingpool.

„Sollen wir hinausgehen?“, fragte Robert.

„Gerne.“

„Dann komm!“

Er öffnete die Tür und sie traten hinaus. Sie liefen zum zum Pool. Elsa beugte sich nieder und tauchte die Hand in das klare Wasser.

„Warm genug?“, erkundigte sich Robert schmunzelnd.

Sie blickte zu ihm auf und schien im ersten Moment etwas irritiert.

Dann lächelte sie. Ein wenig Verlegenheit lag in diesem Lächeln.

„Ja, sicher.“

„Wollen wir baden, Elsa?“

Sie sah seinen festen Blick, in dem eine Mischung aus Begehren und Entschlossenheit stand.

„Baden?“

„Ja.“

Sie wollte Zeit gewinnen, obwohl ihr nicht klar war wozu eigentlich. In Wahrheit hatte sie sich längst entschieden.

„Ich habe keinen Badeanzug dabei“, wandte sie ein.

Ein schwacher Einwand. Und sie trug ihn auch nicht besonders entschlossen vor.

Um seine Lippen spielte ein provokativer, etwas spitzbübischer Zug.

„Macht das etwas?“

„Ich weiß nicht...“

„Wir baden so!“, entschied er. „Wer sollte uns hier schon beobachten können?“

Das Herausfordernde in seinem Blick gefiel ihr. Sie begann sich auszuziehen.

„Also los!“ Wenig später schwammen sie  zusammen in dem glasklaren Wasser. Elsa fühlte sich wunderbar, und eine schreckliche Sekunde lang fragte sie sich, wo all ihre Ängste geblieben waren.

Robert schwamm hinter ihr her und holte sie rasch ein. Elsa strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Sie fühlte seine Arme, die sich um ihre Schultern legten und schmiegte sich an ihn.

Sie küssten sich, erst zärtlich und sehr vorsichtig, dann immer heftiger und leidenschaftlicher. Schließlich stiegen sie gemeinsam aus dem Pool. Das Wasser tropfte von ihren Körpern.

Sie gingen ins Haus.

In dem großzügigen Wohnzimmer bedeckte kalter Stein den Fußboden. Aber da lag auch ein großer Teppich, und auf ihm sanken sie gemeinsam nieder und liebten sich.

Es war ein Rausch, der stark genug war, sie beide vollkommen zu erfassen und mit sich zu reißen.

Später dann, als Elsa hinaus an den Pool trat, um ihre Sachen aufzusammeln, fiel ihr Blick auf Roberts Jackett. Er hatte es einfach hingeworfen, bevor sie zusammen ins Wasser gegangen waren. Sie hob es auf und blickte sich um. Robert war noch nicht hinausgetreten.

Blitzschnell schoss ihre Hand in die Innentasche und zog den Pass heraus. Sie blätterte in dem Dokument herum  und fand schließlich, was sie suchte: Das Geburtsdatum.

Sie rechnete. 38 Jahre!, dachte sie. Er war 38 und sie selbst 22. 16 Jahre lagen zwischen ihnen. 22 Jahre lagen zwischen ihr und ihrem Vater...

Sie dachte an ihren ersten Freund, den ersten, mit dem sie intim geworden war. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie alt er gewesen war. Irgend etwas zwischen 40 und 45. Aber sie wusste noch genau, wie alt sie gewesen war: 17.

Er war einer ihrer Lehrer gewesen und sie hatte ihn abgöttisch geliebt. Aber für ihn war sie nicht mehr als ein Abenteuer gewesen.

Wie hätte es auch anders sein können. Ein verheirateter Mann mit Kindern, der sehr auf seinen Ruf bedacht war! Für jeden, der bei klarem Verstand war, lag die Sache auf der Hand.

Aber sie war nicht bei klarem Verstand gewesen. Damals nicht. Ein paar Wochen hatte es gedauert, dann war alles zu Ende gewesen.  Als Robert hinaustrat und ebenfalls seine Sachen zusammen sammelte, steckte sie den Pass zurück ins Jackett und gab es ihm.

„Du bist 38“, stellte sie fest.

Er murmelte etwas.

„Ich weiß fast nichts über dich, Robert!“

Er nahm die Jacke und schien ein klein wenig ratlos zu sein. Dann meinte er: „Ist denn das so schlimm? Kommt es auf das an, was gewesen ist?“

„Nein, aber...“

„Das einzige, was zählt, ist die Gegenwart, Elsa. Der Augenblick, sonst nichts. Jeder von uns kommt aus dem Nichts und verschwindet dort eines Tages auch wieder.“

Sie sah ihn an und schüttelte ganz energisch den Kopf.

„Nein!“, sagte sie. „Das stimmt nicht!“

„Nein?“

Eine Spur von Spott war jetzt in seiner Stimme. Eine winzige Spur nur und nicht stark genug, um Elsa zu verletzen.

„Jeder von uns hat seine Geschichte. Und niemand kann aus seiner eigenen Geschichte heraus“, erklärte sie bestimmt.

Robert verzog das Gesicht.

„Klingt beängstigend.“

„Schon möglich. Aber ich finde, dass es stimmt!“

„Ich ziehe mein Weltbild vor.“

„Und ich möchte etwas mehr von deiner Geschichte erfahren, Robert!“

Er zuckte mit den Schultern.

„Wenn es weiter nichts ist...“ Das sollte leicht dahergesagt klingen, aber die Leichtigkeit blieb aufgesetzt. Er zuckte erneut mit den Schultern.

„Was hast du diese ganzen 38 Jahre lang gemacht, Robert! Ich liebe dich, und ich möchte jede Minute davon kennenlernen! Hörst du, jede Minute! So wie ich jeden Zentimeter deines Körpers kennengelernt habe!“

Er runzelte die Stirn, als wollte er sagen: Das kannst du doch nicht ernst meinen, Elsa! Aber er sagte es nicht. Er stand einfach da und schaute sie unschlüssig an.

„Gehen wir erst einmal 'rein“, murmelte er dann und legte den Arm um ihre Schulter.

Sie zogen sich an.

Zusammen sanken sie auf eine weiche Couch. Elsa legte den Kopf an Roberts Schulter.

„Erzähl mir etwas über deinen Vater!“, forderte sie.

„Meinst du das ernst?“

„Ja.“

„Also gut.Er war Pfarrer.“

„Ehrlich?“

„Ja, sicher, weshalb sollte ich nicht ehrlich sein?“

„Und deine Mutter? Was kannst du über sie sagen?“

„Sie war die Frau eines Pfarrers. Was soll ich sonst noch über sie sagen? Ich glaube, dass sie das hinreichend charakterisiert.“

„Glaubst du an Gott?“

In seinem Gesicht stand Verwirrung.

„Ein seltsamer Fragenkatalog ist das, findest du nicht auch, Elsa?“

„Nein, finde ich nicht. Ich finde es sogar sehr naheliegend, danach zu fragen. Dein Vater ist Pfarrer...“

„...war Pfarrer. Er lebt nicht mehr.“

„Das tut mir leid.“

„Braucht es nicht. Er ist alt genug geworden.“

„Trotzdem: Es interessiert mich, wie du über die Sache denkst!“

„Gott? Religion? Christentum?“

„Ja, alles das, was für deinen Vater doch schrecklich wichtig gewesen sein muss.“

Robert atmete tief durch. Einen Augenblick lang schien er zu überlegen. Dann erklärte er: „Ich glaube an mich selbst.“

„An sonst nichts?“

„Nein.“

„Das kann doch nicht alles sein!“

„Warum nicht?“

„Ich meine, man muss ja nicht gleich an ein höheres Wesen glauben. Aber irgendwelche Werte vielleicht...“

„Nein.“

„Das überrascht mich!“

„Mein Vater war ein Mann mit strengen Grundsätzen...“

„Und du, Robert?“

„Ich habe die Nase voll von solchen Dingen. Gestrichen voll.“ Es klang etwas bitter. Elsa runzelte die Stirn.

„Wie ist das gekommen?“

Er strich ihr das Haar glatt.

„Vielleicht bin ich damit überfüttert worden.“ Und dann, nach kurzer Pause: „Hast du Hunger?“

„Ein bisschen, ja.“

„Sollen wir in die Stadt fahren?“

„Nach Tanger?“

Er lachte kurz.

„Natürlich, wohin sonst!“

Sie überlegte einen Augenblick. Dann sagte sie: „Nein, ich möchte lieber hier bleiben.“

Er nickte.

„Auch gut. Dann werde ich mal sehen, was noch im Kühlschrank ist!“

Am nächsten Morgen erwachte Elsa in einem Bett, das nicht das ihre war. Sie war nicht in ihr Hotel zurückgekehrt, sondern hatte die Nacht mit Robert verbracht.

Sie wunderte sich ein wenig über sich selbst und ihren Mut, und jetzt, im Rückblick, erschien ihr immer noch alles als sehr ungewöhnlich.

Es war wie beim Anschauen eines Films, der einen zwar berührt, aber bei dem man doch Zuschauer bleibt - ohne Einfluss auf den Gang der Ereignisse.

Elsa dachte an die vergangene Nacht und lächelte still, ohne dabei die Augen zu öffnen. Ihre Hand ging zur Seite, aber da war nichts.

Robert war wohl schon aufgestanden. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. Dann gähnte sie.

Draußen war es sonnig.

Sie schlug die Decke zur Seite, stand auf und trat  ans Fenster, von wo aus sie einige Augenblicke lang die Aussicht auf das Meer genoss. Es war ein wunderbares Panorama.

Dann zog sie sich dann ein Hemd über und verließ das Schlafzimmer. Barfuß ging sie die Treppe hinab. Sie hörte Roberts Stimme, diese Stimme, nach deren Klang sie geradezu süchtig geworden war. Da gab es keine Entzugstherapie, die etwas dagegen tun konnte. Sie hätte es auch gar nicht gewollt.

Er telefonierte gerade.

Sie liebte den Klang dieser Stimme, so wie sie Robert liebte. Darin war sie sich absolut sicher.

Sie hörte ihn sprechen.

„Nein, das geht in Ordnung.“

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, worum es ging.

„Bitte rufen Sie mich nicht mehr unter dieser Nummer an. Haben wir uns verstanden?“

Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen. Sie konnte der Versuchung, zu lauschen, einfach nicht widerstehen.

Ein wenig nur, dachte sie und hörte weiter zu.

„Bilden Sie sich nur nichts ein!“, sagte Robert eisig, und sie erschrak, als seine Stimme diesen Klang bekam.

Alles, was sie dann noch mitbekam, waren ein paar Fetzen, Wörter, die für Elsa nichts bedeuteten. Dann legte Robert auf.

Er hatte mit seinem Gesprächspartner Deutsch gesprochen, das fiel ihr noch auf.

Als sie  weiter die Treppe hinunterkam, wirbelte er etwas überrascht - und wohl auch ärgerlich - herum.

„Was machst du da?“

„Nichts, ich...“

Sein Gesicht entspannte sich wieder.

„Schon gut“, meinte er.

Einen Augenblick lang zweifelte sie daran, dass wirklich alles in Ordnung war.

Robert war bereits vollständig angezogen und  wohl auch schon geduscht. Er musste schon vor einer ganzen Weile aufgestanden sein, um... Ja, um was eigentlich?

Vielleicht seine Geschäfte...

Er nahm sie in den Arm.

„Ich habe gar nicht bemerkt, dass du aufgestanden bist“, meinte sie.

Er versuchte ein dünnes Lächeln.

„Du hast noch so fest geschlafen“, meinte er. „Wie ein Murmeltier! Ich wollte dich nicht wecken!“

„Das ist nett, aber du hättest es ruhig tun können!“

„Weißt du, wie spät es ist, Elsa?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein.“

„Fast zwölf.“

„Oh...“

„Was soll's! Du machst Urlaub hier, du hast das Recht, lange zu schlafen! Aber ich muss für meinen Lebensunterhalt sorgen!“

„Verstehe.“

Sie verstand es nicht, aber das schien ihr im Moment nicht weiter wichtig zu sein.

Plötzlich schlug er vor: „Wie wär's, wenn du deine Sachen aus dem Hotel holst! Oder willst du lieber weiter in diesem kalten, feuchten Zimmer ohne heißes Wasser wohnen?“

„Nein“, murmelte sie nachdenklich.

„Wenn du willst, kannst du eine Weile hier bleiben!“

„Gut!“

„Nachher fahren wir in die Stadt, um deine Sachen zu holen. Einverstanden?“

Sie war einverstanden.

„Ich weiß, es ist schon etwas spät dafür, aber... Soll ich uns etwas zum Frühstück machen?“

„Danke, mir nicht! Geh in die Küche, da steht alles schon fertig auf dem Tisch. Kaffee ist auch noch da.“

Bevor sie ging, war ein Mann eingetreten. Er war von draußen über die Terrasse gekommen, durch die Glastür, Es war ein Araber, so um die 50 und grauhaarig. Über den Lippen trug er einen buschigen, ebenfalls ergrauten Schnurrbart.

Elsa erschrak im ersten Moment. Sie hatte den Mann nicht kommen hören, und nun war er auf einmal da, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht.

„Das ist Aziz“, sagte Robert, als würde das irgend etwas erklären.

Für Elsa erklärte es nicht allzuviel. Aber immerhin wusste sie jetzt, dass der Mann auf irgendeine Art und Weise hierher, in dieses Haus gehörte.

Robert wechselte mit ihm ein paar Worte auf Arabisch. Dann verschwand Aziz auf demselben Weg, auf dem er so plötzlich ins Haus gekommen war.

„Was macht er hier?“, fragte Elsa.

„Aziz?“

„Ja.“

„Er kümmert sich um alles im Haus. Garten, Swimmingpool, Haushalt und so weiter. Seine Frau und seine beiden älteren Töchter kommen einmal die Woche zum Putzen.“

Elsa schien wirklich erstaunt.

„Du lebst hier wie ein Prinz“, meinte sie, und er lachte. Dann lachten sie beide.

„Manche Dinge, die anderswo sehr teuer sind, sind hier ausgesprochen günstig“, sagte er. „Zum Beispiel die menschliche Arbeitskraft.“

Nachdem Elsa etwas gefrühstückt hatte, nahmen sie den Landrover und fuhren nach Tanger, um Elsas Sachen aus dem Hotel Massilia zu holen.

Es war nicht viel. Soviel, wie in eine Reisetasche eben passt.

Sie verstauten die Sachen in den Landrover und schlenderten noch durch die Straßen.

Jetzt fühlte Elsa sich fiel sicherer. Sie hakte sich bei Robert unter und wusste, dass ihr nichts geschehen konnte. Sie erinnerte sich an das, was eine Freundin ihr einmal gesagt hatte, die drei Semester Psychologie hinter sich gebracht hatte, bevor sie auf Theologie umgestiegen war. „Du hast eine klassische Angstneurose, Elsa“, hatte sie ihr gesagt. Wenn ihr jemand mit solchen Dingen kam, war sie sehr schnell taub, und sie konnte sich auch kaum noch an Einzelheiten aus dem Redeschwall erinnern, der dann gefolgt war.

Eine graue Masse aus Fachwörtern. Hörte sich alles sehr gut an, war aber letztlich nur angelesen. Angstneurose...

Elsa musste unwillkürlich lächeln, als sie daran dachte. Jetzt, in diesem Augenblick und an Roberts Arm konnte sie darüber lächeln - über Dinge, die ihr sonst den kalten Angstschweiß über den Rücken trieben.

Die schwarzen Schatten der Depression, die ihrer Seele immer so empfindlich nahe gewesen waren, hatten sich verflüchtigt. Und ihre Ängste, von denen ein kleiner Teil ihres Inneren wusste, dass sie völlig unbegründet waren und die sie dennoch nie wirklich verlassen hatten - im Augenblick war von diesen unangenehmen, aber treuen Begleitern nirgends etwas zu sehen.

Sie bummelten zusammen durch die engen Gassen der Altstadt und später saßen sie am Strand. Ein paar Jugendliche spielten dort Fußball. Zum Baden war der Atlantik noch zu kalt.

Aber wenn auch das Wasser noch kalt war, die Sonne hatte bereits viel Kraft. 20 bis 25 fünfundzwanzig Grad erreichte sie leicht..

Als sie schließlich Hunger bekamen, gingen sie ins Hotel MARCO POLO, um etwas zu essen. Ein großes, unübersehbares Schild verriet, dass das MARCO POLO „unter deutscher Leitung“ stand - was immer das auch zu bedeuten haben mochte. Man hatte es wohl hingeschrieben, um die wachsende Zahl deutscher Touristen anzulocken.

„Ich bin hier schon vorbeigekommen“, erinnerte sich Elsa, als sie den üppigen Garten betraten, der das Gebäude umgab und den Gästen selbstverständlich zur Verfügung stand. Einige Bäume spendeten angenehmen Schatten.

„Es sieht teuer aus“, meinte sie nachdenklich.

Robert lachte nur.

„Alles ist relativ.“

„Was heißt das: 'Unter deutscher Leitung'?“

„Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls sprechen die Kellner allesamt Deutsch. Und zwar ziemlich gut!“  Sie bekamen Fensterplätze im Obergeschoss, von denen sie eine hervorragende Aussicht hatten. Elsas Blick fiel auf die Gleise, die zum nahen Bahnhof gingen. Dahinter lag das Meer.

„Die Züge sehen ziemlich klapprig aus“, bemerkte sie. „Einige Wagen haben überhaupt keine Fenster.“ Ihr Gesicht wirkte nach innen gekehrt. „Ursprünglich hatte ich vor, mit dem Zug weiter ins Landesinnere zu fahren. Nach Casablanca.“

„Da wollen viele hin“, meinte Robert wie beiläufig. „Hauptsächlich wohl wegen des Films.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ja, kann schon sein.“

„Bogart und Bergmann.“

„Kennst du den Film?“

„Wer kennt ihn nicht?“

„Die Schlussszene... Die spielt auf einem Flughafen. Im Nebel... Humphrey trägt seinen berühmten Trenchcoat...“

„Na und?“

„Ich habe immer gedacht: Das ist doch Unfug! Völliger Unfug! Ich meine, der Film ist zwar im Atelier gedreht, aber ein bisschen muss er sich doch auch nach der Realität richten, oder etwa nicht?“

„Und, tut er es denn nicht?“

„Doch, aber ich kannte die Realität nicht! Ich dachte an Nordafrika als ein Gebiet, in dem die Sonne scheint und es sehr warm ist. Nicht an Nebel und eine kalte Nacht, in der man einen Mantel braucht, so wie Bogie in dem Film. Aber der Irrtum lag bei mir. Jetzt weiß ich, dass es auch hier Nebel gibt - und nicht nur in London!“

„Casablanca ist nicht besonders zu empfehlen“, warf Robert ein.

„Meinst du den Film oder die Stadt?“

„Ich meinte jetzt die Stadt. Aber ich mag den Film auch nicht.“

„Warum nicht?“

Sie wechselten einen Blick miteinander, und zum ersten Mal schien ihm das unangenehm zu sein. Elsa hatte keine Ahnung, woran das lag.

Er blickte zur Seite und wich ihr so aus.

„Was willst du erst hören, meine Meinung zum Film oder zur Stadt?“

„Erst die Stadt!“, verlangte Elsa.

„Das große Erdbeben von 1750 hat das meiste vom wirklich alten Casablanca vernichtet. Heute ist es eine Großstadt wie viele. Kaum etwas, was man nicht auch anderswo findet.“

„Und der Film?“

In diesem Moment kam der Kellner an den Tisch. Er sprach tatsächlich hervorragend Deutsch.

Robert bestellte für sie beide ein Mineralwasser, das den Namen „Sidi Harasem“ trug. Es stammte aus der Gegend und war weltberühmt.

Und sie nahmen beide einen „salade nicoise“.

„Deine Meinung zum Film, Robert!“, hakte Elsa nach, als der Kellner sich wieder entfernt hatte. „Warum magst du den Film nicht?“

Er zuckte mit den Schultern. Sein Blick war nach innen gerichtet.

„Es geht um einen Mann, der vorgibt, ein Zyniker zu sein, und der sich dann aber am Schluss als Idealist entpuppt. Solche Stories mag ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Sie überzeugen mich einfach nicht. Diese wundersamen Wandlungen... Vom Saulus zum Paulus. Nein, ich kann das nicht nachvollziehen. Es stimmt einfach nicht! Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun, nicht das geringste!“

„Muss es das denn?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Diese Sachen sind auch nicht mein Metier.“

„Was ist dein Metier?“

Sein Blick ging hinaus durch das Fensterglas. Dorthin, wo die Schienen lagen und die klapprigen Waggons ohne Fenster standen.

Er sah ins Nichts. Elsa spürte, dass er mit den Gedanken sehr weit weg war. Sehr weit...

Der Kellner brachte unterdessen das „Sidi Harasem“ und die Salate.

Vor dem MARCO POLO hielt ein Taxi und drei Amerikaner stiegen aus, ein Mann und zwei Frauen.

Elsa lachte unwillkürlich, als sie die drei aus dem Taxi steigen sah und als sie dann erschrocken die Hand vor den Mund nahm und sich umschaute, bemerkte sie, dass sie nicht die einzige war, bei der dieses Trio Heiterkeit auslöste.

Selbst das sonst so betont zurückhaltende Hotelpersonal konnte ein gewisses Schmunzeln einfach nicht unterdrücken.

Die drei sahen genauso aus, wie man sich typische Amerikaner in einer Karikatur vorstellt.

Der Mann war farbig.

In der Rechten trug er einen überdimensionalen Radiorecorder und auf dem Kopf einen riesigen, hellbeigen Cowboyhut. Das knallbunte Hawaihemd und die grellen Bermudas bissen sich farblich wie Hund und Katze.

Aber das schien den Schwarzen nicht im geringsten zu stören. Er schien sich ohnehin nicht besonders um die Meinung irgendeines anderen Menschen zu scheren.

Obwohl sein Radio abgeschaltet war, machte er bereits auf der Straße einen ziemlichen Krach. Er sprach so laut, als hätte er eine Rolle in einem Freilichtspiel und wäre gezwungen, gegen kräftigen Wind bis zu seinem Publikum hinüber zu schreien.

Eine der beiden Frauen, die ihn begleiteten, war schlank. Gertenschlank, fast schon magersüchtig. Ihre Wangen waren hohl, das Kinn spitz - Ellbogen und Rippen vermutlich auch.

Die andere war das genaue Gegenteil. Sie war klein und fett.

Die Dünne war schwarz, die Dicke weiß.

Es dauerte nicht lange, und das Trio tauchte an einem der Nachbartische auf. Robert und Elsa waren nicht die einzigen, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Alle Gespräche, auch unter den Angestellten, waren von einem Augenblick zum anderen verstummt.

Der Mann fläzte sich auf den Stuhl, setzte den Radiorecorder auf dem Boden auf und legte den großen Cowboyhut auf den Tisch. Er war so riesig, dass er ein gutes Drittel der Tischplatte einnahm.

„Hey, come here!“, rief er den Kellner heran. „I want spaghetti bolognese! Right now!“

Die dicke Frau wollte ebenfalls Spaghetti.

Die Dünne ein Stück Kuchen.

Und dann doch lieber Spaghetti. Und nach vier Sekunden, als der Kellner bereits den halben Weg bis zur Bar zurückgelegt hatte, wurde er noch einmal zurückgepfiffen. Keine Spaghetti, sondern Kuchen.

Als der arme Kellner bald darauf den Kuchen an den Tisch der drei brachte, durfte er ihn gleich wieder mitnehmen.

Die Dünne wollte jetzt nur noch ein Mineralwasser.

Die beiden anderen nahmen ihre Spaghetti in Empfang. Die Dicke schaufelte sich so viel hinein, dass ihr gleich wieder die Hälfte aus dem Mund fiel.

Der Mann stocherte lustlos auf seinem Teller herum und schob ihn dann zur Seite. Und während der ganzen Zeit machten sie Witze über den Kellner. Die Augen der dicken Weißen wurden dabei so klein, dass man kaum erkennen konnte, ob sie offen oder geschlossen waren. Die der schwarzen Dünnen quollen dafür noch mehr aus ihren Höhlen heraus, als sie es ohnehin schon taten.

Der Kellner wurde erneut herbeigerufen. Der Mann wollte jetzt ein Stück Kuchen und ein kühles Bier. Seine Spaghetti wurden abgeräumt.

Das Bier und der Kuchen kamen bald darauf, aber er schlürfte nur das Bier. In zwei Zügen.

Dann unterzog er den Kuchen einem äußerst kritischen Blick, verzog das Gesicht und reichte dann das Stück an die dünne Schwarze weiter.

Aber die verzog auch nur das Gesicht, nahm ein paar Krümel und reichte es schließlich an die dicke Weiße weiter, die inzwischen ihre Spaghetti restlos vertilgt hatte.

Das Stück Kuchen wäre für sie sicher auch kein unlösbares Problem gewesen, aber die Dünne war ziemlich ungeschickt. Das Kuchenstück fiel ihr vom Teller herunter auf den Boden, und dann hatte keiner mehr Appetit darauf.

Der Mann rief abermals den Kellner herbei und holte mit großer Geste ein riesiges Bündel Geldscheine heraus.

„Na, so viel hast du noch nie auf einem Haufen gesehen, was?“

Was sollte der arme Kerl darauf erwidern? Er machte gute Miene zum bösen Spiel. Und etwas anderes blieb ihm auch gar nicht.

Der Schwarze zählte laut und für alle im Raum vernehmlich das Geld ab. Ein gutes Trinkgeld war dabei.

Vielleicht ließ sich die offensichtliche Geringschätzung so besser ertragen...

Und dann waren die drei so schnell weg, wie sie gekommen waren. Wenig später hörte man von der Straße her das Gedudel des überdimensionalen Radiorecorders.

Die Erheiterung über das merkwürdige Trio brach sich jetzt endgültig Bahn. Sowohl unter den Gästen, als auch beim Personal konnte kaum noch jemand an sich halten vor Lachen.

„Wenn ich das zu Hause erzähle, glaubt mir das niemand“, meinte Elsa. Und dann war ihre Heiterkeit auf einmal wie weggeblasen, während alle anderen im Raum noch lachten.

Zu Hause... Der Gedanke machte sie traurig.

„Lass uns gehen, Robert“, meinte sie.

Er runzelte die Stirn.

„Warum?“

„Ich weiß nicht. Lass uns einfach von hier weggehen.“

„Gefällt es dir hier nicht?“

„Ich kann es dir nicht erklären, Robert.“

Er zuckte mit den Schultern.

„Gut, wie du willst.

4

Die nächsten Tage und