Ein Häppchen Mord - Tim Berger - E-Book
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Ein Häppchen Mord E-Book

Tim Berger

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Beschreibung

Camilla und Peppino können sich nicht leiden, doch als in ihren Restaurants gemordet wird, müssen die Köche zusammen ermitteln.

Camilla ist angehende Sterneköchin aus England und legt Wert auf moderne Trends und vegane Küche. Peppino war Kriminalermittler, übernimmt aber zeitweise das italienische Restaurant seiner Familie gegenüber von Camillas Lokal. Beide sind stur und hitzköpfig, so dass bald Streit zwischen ihnen entbrennt. Doch dann ringt in Camillas Restaurant ein Gast um sein Leben, und ein Kunde verlässt Peppinos Trattoria mit den Füßen voraus. Ist das der Höhepunkt des Gastronomen-Duells – oder steckt etwas anderes dahinter? Die beiden Köche müssen gemeinsam ermitteln, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Der neue kulinarische Krimi mit Humor von Tim Berger, dem Pseudonym eines SPIEGEL-Bestsellerautors

Tim Berger ist das Pseudonym eines SPIEGEL-Bestsellerautors, der sich mit zahlreichen Projekten in der Spannung etabliert hat. Nun nimmt er sich des Themas “Foodtrends” mit Humor und cosy Atmosphäre in kulinarischen Krimis an.

Für Leser:innen von Tom Hillenbrand

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EPUB

Seitenzahl: 324

Veröffentlichungsjahr: 2024

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© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Kerstin von Dobschütz

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe

 

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Rezeptanhang

Vegan oder traditionell?

Camillas Sandwich (vegan)

Zutaten (für 4 Sandwiches)

Zubereitung

Peppinos Pasta mit Salsicce

Zutaten (für 4 Personen)

Zubereitung

Camillas Salsicce auf grünem Bett (vegan)

Zutaten (für 4 Personen)

Zubereitung

Peppinos Pfannenbrot (vegan)

Zutaten (für 8 Panini)

Zubereitung

Peppinos Orecchiette mit Brokkoli (vegan)

Zutaten (für 4 Personen)

Zubereitung

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

»Ich mach Feierabend, Chef.«

»Ich auch. Und danke, dass du mit mir die Sonderschicht geschoben hast.«

»Kein Problem. Es geht ja um die Wurst.«

Er lachte, und der andere stimmte mit ein.

»Wobei, Chef, Wurst … so ganz ohne Fleisch …«

»Du musst zugeben, die bisherigen haben nicht schlecht geschmeckt. Und die Kundin war auch sehr zufrieden. Sonst hätte sie ja nicht so viel nachbestellt.«

»Ja, aber …«

»Ich kenne dein Aber: kein Fleisch drin, keine Wurst.«

»Genau, Chef.«

»Ich fürchte, du wirst dich daran gewöhnen müssen. Wir können im Moment nicht allzu wählerisch sein.«

»Ist ja recht, Chef. Hauptsache, der Laden wird wieder flott. Alles andere kann mir ja wurst sein. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Er schaltete das Hauptlicht aus, schloss die Tür ab und folgte seinem Mitarbeiter durch den Hof zum Parkplatz. Bevor er in den Wagen stieg, hielt er einen Moment inne und ließ noch einmal den Blick über das Gelände der Firma schweifen, die er so verzweifelt zu retten versuchte. Das Gebäude von Liebeneiner & Söhne Wurstwaren stand still und dunkel vor ihm.

Nur in einem der Produktionsräume – und von außen nicht zu sehen – geisterte der Strahl einer Taschenlampe über den blitzsauberen Boden. Das Licht erfasste Rohre und Abfüllvorrichtungen und schließlich den großen Kessel, in dem die Masse für die veganen Würste die Nacht über immer wieder gekühlt und gerührt werden würde.

Kapitel 1

Horst Schachner war nun schon seit zwei Jahren Privatier, aber dieser Anblick brach ihm immer noch das Herz. Hinter den Fenstern seiner früheren Fleischerei saßen teuer gekleidete Menschen vor großen Tellern und stocherten in kleinen Portionen herum, die kunstvoll angerichtet und dekoriert waren. Der etwas blasiert dreinschauende Herr direkt vor ihm zerteilte eine fingerdicke Rolle, die fast wie eine deftige Wurst aussah. Schachner wandte sich seufzend ab. Ein veganes Restaurant in seiner alten Fleischerei. Das Leben hatte einen seltsamen Humor.

An der Kante des Bürgersteigs musste er warten. Von links knatterte Ole in seiner Ape 50 aus den Siebzigern daher, und hinter seinem altersschwachen Dreirad-Lastwägelchen schlich eine stattliche Autoschlange wie eine blecherne Prozession, eingenebelt vom stinkenden Abgas des Zweitakters. Schachner winkte Ole müde zu und betrachtete dann den rissigen Asphalt zu seinen Füßen. Mit der Schuhspitze schob er lose Steinchen hin und her, bis ihn die Karawane der Genervten endlich passiert hatte. Die Straße überquerte er so zügig, wie es seine füllige Statur zuließ, dann riss er die Tür der Trattoria auf, schnupperte kurz in der würzigen Luft, die ihm entgegenströmte, und tauchte lächelnd ein in die quirlige Atmosphäre des Salento.

»Ah, Horst! Buona sera!«

Salvatore Sensoni, von allen nur Toto gerufen, winkte ihm zu und deutete auf den freien Stuhl neben sich. Schachner schätzte kurz ab, ob das Sitzmöbel ihn wohl tragen würde, dann ließ er sich vorsichtig darauf nieder. Auf dem Tisch standen eine angebrochene Weinflasche und einige kleine Gläser.

»Auch einen Vino?«

Toto fragte zwar, aber mit dem Einschenken wartete er nicht, bis Horst hätte antworten können. Solche Fragen waren für beide ohnehin eher rhetorischer Art. Die Männer prosteten sich zu, dann tranken sie schweigend, nur ab und zu unterbrochen von kurzen Sätzen über Fußball oder das kulinarische Potenzial von Schweinenacken.

Das Salento war gut besucht wie immer, es hing der Duft von gebackenem Pizzateig in der Luft, und die Gespräche an den Tischen rundum vermischten sich zu einem angenehmen Durcheinander. Horst war gern hier. Näher war er dem, was er an Italien zu lieben glaubte, bisher nicht gekommen. Auch nicht in dem Italienurlaub, den er vor vielen Jahren mit seiner damaligen Freundin begonnen hatte. Beendet hatte er ihn allein. Ihr Traum waren schöne Tage am Meer gewesen, Abende in der Oper oder im eleganten Ristorante. Er hatte zwei Wochen im engen Wohnwagen an der Adria organisiert und nach Sonnenuntergang Billigwein und mitgebrachte Rauchwürste genossen. Den Kontrast hatte sie keine fünf Tage ausgehalten.

Hier im Salento wollte dagegen niemand etwas von ihm, was er nicht gern zu geben bereit war. Hier ein Gespräch, dort etwas Trinkgeld. Inzwischen verdiente er als Vermieter des Mehrfamilienhauses, in dem auch Camilla Browns veganes Lokal untergebracht war, genug, um sich in der Trattoria auch etwas Teureres zu bestellen. Er hielt sich trotzdem oft an die einfachen Speisen, so auch an den günstigen Hauswein. Damit fuhr man nicht schlecht im Salento. Selbst die schlichtesten Gerichte waren lecker, anders als in Italien gab es in dieser Trattoria neben Fleisch- und Pastagerichten auch Pizzen, und weil Toto den Hauswein selbst aussuchte und ihn gern und reichlich trank, war sogar in dieser Kategorie kein Fusel zu befürchten.

»Prego, Signore.«

Die hübsche Donatella flitzte zwischen den Tischen hindurch und ließ keinen Gast unnötig lange auf Essen oder Getränke warten. Und wenn es doch mal etwas länger dauerte, beschwerte sich wegen ihres bezaubernden Lächelns zumindest keiner der männlichen Gäste. Horst bestellte eine Kleinigkeit, und die Panini aus dem Holzbackofen und die stattliche Wurstplatte wurden schon gebracht, noch bevor er sein Glas hatte leeren können.

Toto saß da, bedachte die Anwesenden immer wieder mit einem zufriedenen Lächeln und schien vollauf mit Schauen und Plaudern, Trinken und Nichtstun ausgelastet zu sein.

»Noch ein Gläschen, Horst?«

Der Padrone schenkte nach und stieß mit seinem Gast an. Er war schon früher nicht durch übertriebenen Fleiß aufgefallen. Zwar hatte er einige der Spezialitäten des Salento erfunden, aber an den Herd stellte er sich nur, wenn er Lust dazu hatte. Wann immer es ging, überließ er die Küche seiner Frau und setzte sich zu den Gästen. So gab Toto seit jeher zu einem Glas Roten den leutseligen Padrone, und Gina Sensoni schwang die Kochlöffel.

Inzwischen hatte die mamma ein bisschen zurückgesteckt. Die Hüfte, das Herz. Vor allem aber wollte sie neben etwas Ruhe auch mehr Möglichkeiten, ihren Gatten im Blick zu behalten. Gina war nicht oft in der Gaststube zu sehen, aber sie schien einen siebten Sinn dafür zu haben, wann Toto sich in Schwierigkeiten bringen konnte. Saß er wie jetzt im Lokal, war sie zufrieden und ging irgendwo im Haus oder im kleinen Kräutergarten gemächlich ihren Geschäften nach. Stand er auf und wandte sich zum Gehen, ob hinaus auf die Straße oder hinüber in die Küche, tauchte sie unvermittelt auf und wachte mit Argusaugen darüber, dass Toto nichts anstellte und ihm nichts zustieß. Aber alles konnte sie nicht verhindern.

Demenz ist eine hinterhältige Krankheit, vor allem, wenn sie dem Betroffenen in den meisten Momenten nicht anzumerken und ihm deshalb oft auch gar nicht bewusst ist. Wenn sich Toto, wie an diesem Abend, mit Horst unterhielt, zeigte er so gut wie nie Anzeichen von Vergesslichkeit. Er wiederholte einige seiner Geschichten, das schon, aber wer tat das nach hinreichend Rotwein nicht?

Doch wenn Toto manchmal abends nicht mehr nach Hause fand, wenn er morgens im Schlafanzug zum Supermarkt ging oder in Camillas Nobelrestaurant hartnäckig darauf bestand, wie üblich zweihundert Gramm Mortadella vom Metzgermeister aufgeschnitten zu bekommen, hatten seine Familie und die engsten Freunde gut damit zu tun, ihn mit möglichst wenig Aufsehen zurück ins Haus zu bringen.

Horst hatte ihn in der ehemaligen Fleischerei abgeholt, Ole hatte ihn am Stadtpark aufgelesen und ihn in seiner alten Ape die paar Kilometer zum Salento kutschiert, und mehr als einmal hatte sein Sohn Peppino ihm einen Mantel nachgetragen und übergeworfen, um dem Vater weitere Peinlichkeiten auf dem Nachhauseweg zu ersparen.

Ohnehin, Peppino: Totos Sohn war ein feiner Kerl. Auf ihn ließ auch sein Vater nichts kommen, obwohl der Junior als Kommissar für die hiesige Kriminalpolizei arbeitete, während viele von Totos Stammgästen das Gesetz eher nicht auf ihrer Seite hatten. Inzwischen ruhte Peppinos Kripojob, er war als Koch für seine Eltern eingesprungen. Vorübergehend, wie er gern betonte, wobei er sich als Kommissar für ein ganzes Jahr hatte beurlauben lassen und inzwischen so viel Freude am Kochen hatte, dass sich niemand zu wundern brauchte, wenn er der Kripo endgültig den Rücken kehren würde.

Nötig geworden war Peppinos Hilfe, nachdem sein Vater in den vergangenen Monaten manchmal vor der Pfanne gestanden und über das Rezept eines von ihm erdachten Gerichts gegrübelt hatte. Was dabei herausgekommen war, hatte manche Gäste mit wilden Gewürzkombinationen erschreckt und andere fast verprellt. Mamma Gina wollte gar nicht mehr damit aufhören, über ihren zerstreuten Mann zu schimpfen. Und schließlich erbarmte sich der Sohn und übernahm die Küche.

Die Rezepte waren ihm von klein auf vertraut, er war gewissermaßen in der Küche des Salento aufgewachsen. Als Kind hatte er seinem Vater zugeschaut, während er eigentlich zwischen Schneidebrettern und Schüsseln seine Hausaufgaben hätte erledigen sollen. Als Jugendlicher hatte er sich und seinen Freunden nachts, wenn sie nicht mehr in den Clubs sein durften, noch schnell Spaghetti mit einer improvisierten Soße gekocht. Und nachdem er zu seinem Einstand als Kripokommissar einige Platten mit selbst gemachten Antipasti mit in die Inspektion gebracht hatte, waren stets alle Kollegen gern zur Stelle, wenn er das an seinen Geburtstagen wiederholte.

Wieder klingelte das Telefon. Donatella nahm den Hörer, notierte sich die Bestellung und sagte: »In swansig Minute.« Das war der erste Satz gewesen, den sie auf Deutsch gelernt hatte, und damit quittierte sie noch immer jede telefonische Essensbestellung, ganz gleich, wie lange es wirklich dauern würde. Ihr Deutsch war besser geworden in den vergangenen Monaten, aber ihren starken Akzent legte sie nicht ab.

Zum Glück nicht, dachte Horst. Ihre angeraute Stimme und ihr italienisch eingefärbtes Deutsch, mehr brauchte es nicht, um ihm nachts angenehme Träume zu bescheren.

»Das ist eine Frau, was?«

Toto war Horsts Blick gefolgt, nun lag ein seliges Lächeln auf seinem faltigen Gesicht.

»Peppino müsste sich nur endlich mal trauen«, raunte er, »müsste mal mit ihr ausgehen oder ihr nach Feierabend etwas kochen.«

Das war Totos aktuelles Projekt. Er wollte seinen Sohn mit dieser Frau verkuppeln. Auf die Idee hatte ihn sein Vater gebracht. Peppinos Opa, Don Armando, lebte nach wie vor im Heimatort der Familie, in Santa Maria di Leuca ganz unten am Absatz des italienischen Stiefels. Dort saß er wie eine Spinne im Netz und mehrte sein Vermögen mit Geschäften, über die niemand sprach. Einer seiner Handelspartner hatte drei ledige Töchter, Donatella war die älteste und hübscheste von ihnen, und Armando hatte ihn irgendwann davon überzeugt, dass sie unbedingt die Frau seines Enkels werden musste. Dieser Beschluss wurde besiegelt mit einem lukrativen Auftrag … und abgesichert dadurch, dass Armando wohlweislich verschwieg, was sein Enkel von Beruf war.

Natürlich dachte Donatella nicht im Traum daran, sich vorschreiben zu lassen, wen sie zu heiraten hatte. Aber die Arbeit in Deutschland reizte sie, also ging sie zum Schein auf die Bitte ihres Vaters ein. Und als sie Peppino kennenlernte, war sie mit den Plänen von Don Armando augenblicklich völlig einverstanden.

Totos Sohn schob sich durch die Pendeltür der Küche und ließ sich von Donatella die Notiz mit der Bestellung geben.

»Okay, ich mach mich gleich dran. Auf wann hast du ihm das fertige Essen versprochen?«

»Swansig Minute.«

»Dachte ich mir.« Er lachte. »Das wird aber knapp werden. Spendier dem Gast doch dann bitte noch ein Getränk fürs Warten an der Bar.«

»Gedt in Ohrrdnung.«

Die beiden gaben ein schönes Bild ab. Peppino war eine Handbreit größer als Donatella, schlank und sportlich, und er hatte sein Aussehen zum Glück mehr von seiner Mutter als vom Vater geerbt. Lachfalten und Grübchen an den Wangen verliehen seinem Gesicht etwas Lausbubenhaftes, wenn er lächelte oder grinste – und eins von beidem tat er fast immer. Dazu der Dreitagebart und eine nachlässig verwuschelte Kurzhaarfrisur. Falls George Clooney mal nicht mehr für Kaffeekapseln werben wollte, Peppino könnte den Job übernehmen.

Donatella strahlte ihn an. Peppino erwiderte ihr Lächeln freundlich, aber dann huschte er auch schon wieder zurück zu seinen Pfannen und Töpfen.

»Oje, so wird das nichts, mein Junge«, seufzte Toto und nahm einen Schluck.

Horst wusste, was er meinte. Peppino war freundlich zu Donatella, die beiden mochten sich und gingen sehr nett miteinander um. Aber an mehr schien Totos Sohn nicht interessiert zu sein.

Ein paar Minuten lang bediente Donatella in etwas gedrückter Stimmung, dann brach wieder ihre überschäumende Freundlichkeit durch.

 

Der Abend war gut gelaufen. Nachdem die letzten Gäste und kurz danach auch sein Vater die Trattoria verlassen hatten, war Peppino noch ein wenig in der Küche geblieben, um an einem neuen Rezept zu feilen. Mit dem Resultat war er nicht ganz zufrieden. Er stellte sich die Soße noch etwas deftiger vor, aber es ging schon in die richtige Richtung. Was dem Gericht noch fehlte, darüber dachte er nach, während er die Spülmaschine ausräumte, die Einkaufsliste für den nächsten Morgen vervollständigte, schließlich das Küchenlicht ausschaltete und den Hinterausgang nahm. Kurz blieb er vor dem Kräutergarten stehen, den seine Mutter so liebevoll hegte. Er schnupperte in die kühle Nachtluft, und obwohl die Aromen jetzt schwächer waren als tagsüber, wenn Basilikum und Oregano, Thymian und Rosmarin, Minze und Salbei von der Sonne beschienen wurden: Für einen kleinen Moment schloss Peppino die Augen und sog die Düfte lächelnd ein.

Noch etwas war zu riechen. Zigarettenrauch. Peppino ging ums Haus herum. Im kleinen Vorgarten saß sein Vater auf einem alten Campingstuhl und paffte eine seiner Selbstgedrehten. Die Laternen tauchten Straße und Gehweg in ein kaltes Licht, aber wenn die Leuchtreklame für die Trattoria ausgeschaltet war, lag der Vorgarten unter der großen Linde in tiefem Schatten. Peppino trat neben seinen Vater und legte ihm die Hand auf die Schulter. Toto sah auf, und sein Sohn versuchte, seinen Blick zu lesen. Kurz runzelte Peppino die Stirn, dann lachte der Vater.

»Mach dir keine Sorgen, mio figlio. Ich weiß schon noch, wer du bist.«

Peppino seufzte.

»Ich weiß allerdings auch, dass du dich viel mehr anstrengen musst, wenn das mit Donatella noch was werden soll.«

Peppino seufzte noch lauter.

»Lass gut sein, papà. Donatella und ich kommen gut miteinander klar. Und mehr will ich auch gar nicht.«

»Dio mio, Peppino! Was glaubst du, was ich alles anstellen musste, bis deine mamma endlich mal mit mir ausgegangen ist.«

»Ist gut jetzt. Ich will von Donatella nicht mehr, als dass sie ihren Job gut macht. Und da kann ich mich nun wirklich nicht beklagen.«

»Aber gefällt sie dir denn nicht? Also, wenn ich jünger wäre …«

Toto schnalzte mit der Zunge, und Peppino verzog das Gesicht.

»Hast du mir nicht gerade von mamma vorgeschwärmt?«

»Natürlich, deine mamma war ja auch eine schöne Frau damals. Sie und die andere Gina waren damals auf jeden Fall die Schönsten in ganz Italien. Dafür konnte man sich schon mal anstrengen, vero? Am ersten Abend sind wir ins Kino gegangen, dann zweimal essen und dann …«

Seine Stimme bekam einen kehligen Unterton, und Peppino unterbrach ihn eilig.

»Hör bitte auf, papà! Das muss ich wirklich nicht wissen. Du solltest vielleicht etwas langsamer tun mit dem Wein.«

»Mach ich doch«, versetzte der Alte und kicherte.

Erst jetzt fiel Peppino das Wasserglas in der Hand seines Vaters auf. Es war noch knapp zur Hälfte gefüllt. Und gerade wollte er ihm lobend auf die Schulter klopfen, als ihm ein Hauch von Grappa in die Nase stieg.

 

Camilla Brown trat vors Haus und atmete tief durch.

Die Stadtluft war auch nachts längst nicht so frisch, wie sie das von ihrem Heimatdorf her kannte. An der englischen Küste hatte oft der Wind unangenehme Aromen weggeweht, noch heute sehnte sie sich manchmal nach den salzigen Brisen, die ihr mal mit und mal ohne Regen das Gesicht kühlten. Aber immerhin hatten sich auch hier, in der Stadt, in ihrer Wahlheimat, die weit vom nächsten Meer entfernt war, mit dem Nachmittag auch die Abgasschwaden verzogen, und nach den Stunden in der Küche genoss sie es vor allem, dass es nirgendwo nach Essen roch.

Sie schloss die Augen, lauschte den Geräuschen dieser Stadt, die selten schlief. Der Verkehr rauschte in der Ferne, irgendwo in der Nähe verriet ein leises, schnelles Trippeln eine Maus, und kurz darauf huschte eine Katze von einem Schatten in den nächsten. Dann ein kurzes Quieken, und Camilla stellte sich vor, wie die Katze mit ihrer Beute im Maul langsam in irgendeinem dunklen Eck verschwand, wo sie mit dem halb toten Nager spielen würde, bis sie keine Lust mehr dazu hatte.

Ein Hauch von Zigarettenqualm wurde zu ihr herübergeweht, und Camilla griff reflexartig mit der linken Hand in die Tasche ihrer Jacke. Doch da waren keine Zigaretten mehr. Sie hatte sich das Rauchen abgewöhnt, um ihre Geschmacksknospen empfindlich zu halten. Den einen Erfolg, den sie sich davon versprochen hatte, konnte sie inzwischen genießen: Ihr Restaurant florierte, die Gäste überboten sich geradezu mit Lobeshymnen, entweder ihr gegenüber oder online. Auf den anderen Erfolg musste sie dagegen noch warten: auf einen Stern für das Camilla’s, aus dem irgendwann gern auch einmal zwei werden durften.

Sie legte den Kopf leicht in den Nacken und schnupperte. Der Zigarettengeruch kam von der anderen Straßenseite. Und wenn sie ganz genau hinschaute, konnte sie auch sehen, wie dort, unter dem großen Baum, immer wieder ein kleiner Punkt aufglimmte. Sie glaubte, fast zu schmecken, wie der inhalierte Rauch ihre Kehle hinabzog, wie es sie beruhigte, tief einzuatmen und dann kurz zu verharren, bevor sie die Luft wieder entweichen ließ. Mein Gott, wie ihr das Rauchen fehlte. Vor allem jetzt, nach der Arbeit, wenn nichts mehr zu tun war, wenn sie nirgendwo hinkonnte mit ihrer Rastlosigkeit, die sich den ganzen Tag über in der Küche entladen hatte und doch noch nicht völlig weggearbeitet war.

Der Raucher jenseits der Straße war vermutlich der Seniorchef der Trattoria, und wenn sie sich nicht täuschte, stand neben ihm sein Sohn, der jede Gelegenheit nutzte, sie zu necken und – o nein, da trat er auch schon ins Licht der Straßenlaternen und kam ein paar Schritte auf sie zu.

»Buona sera, Donna Camilla«, rief er herüber, offensichtlich bestens gelaunt und zum üblichen Geplänkel aufgelegt. »Haben auch alle ihre Pflänzchen brav aufgegessen?«

Sie verzog ihr Gesicht zu einem schiefen Lächeln.

»Signore Sensoni«, sagte sie und gab sich keine Mühe, ihren englischen Akzent zu verbergen. »Ich nehme an, auch Sie bieten Ihren Gästen Salat an und vielleicht auch Auberginen und Pilze als Antipasti?«

Peppino Sensoni hatte ihre Seite der Straße erreicht. Er grinste sie an, und Ärger stieg in ihr hoch. Wie konnte dieser Bursche nach einem Arbeitstag in der Küche so frisch wirken, so munter sein und … ja, auch das: so verdammt gut aussehen?

»Ich könnte das nicht.«

Er ließ gern einen Satz vom Stapel, der für sein Gegenüber rätselhaft blieb. Und auch diesmal schwieg er danach lange genug, dass sie schließlich nachfragte.

»Was können Sie nicht?«

»Mich mit dem Essen freiwillig beschränken. Kein Fleisch, kein Fisch, keine Meeresfrüchte.«

»Auch keine Milch, nicht zu vergessen, und keine Eier.«

Peppino Sensoni schüttelte sich.

»Keine Spaghetti Carbonara, keine Pannacotta. Das wäre nichts für mich.«

»Meine Salsicce sind allerdings schon sehr beliebt in der Stadt. Ich habe sie seit Kurzem auf der Karte, und meine Gäste sind ganz begeistert.«

»Salsicce? Vegane Salsicce?«

Camilla musste grinsen. Sie hatte ihn tatsächlich aus der Fassung gebracht.

»Ja, ohne Fleisch und trotzdem lecker.«

»Sie machen Witze.«

»Nein, Signore Sensoni. Erst heute Abend war ein Gastrokritiker in meinem Restaurant, hat die Salsicce probiert und fand sie sehr schmackhaft.«

Peppino schnaubte.

»Salsicce ohne Speck – nicht einmal solche ohne den richtigen Speck – sind keine Salsicce, basta! Das können Sie nicht mit ein bisschen Soja oder Algenpampe imitieren. Für den richtigen Geschmack brauchen Sie Fleisch und Fett.«

»Ich nicht«, gab sie trotzig zurück. »Und damit das nicht nur meine Stammgäste wissen, habe ich für morgen Abend eine kleine Aktion eingeplant, das Inserat dazu stand heute in der Zeitung: Ich biete ein Special mit veganen Salsicce an. Ich werde sie auf einem deftigen Salat- und Gemüsebett servieren.«

Aus dem Gesicht ihres Gegenübers wich die Farbe. War er erschrocken, weil sie sich an einem italienischen Heiligtum vergriff, oder setzte es ihm so sehr zu, dass sie eine Idee hatte, die ihm auch gern gekommen wäre. Und weil er sonst nie um einen frechen Spruch verlegen war, setzte sie spontan noch eins drauf.

»Wissen Sie was, Signore Sensoni? Ich biete morgen außerdem Spaghetti mit Salsiccia an. Die Würste habe ich ja schon, Crème fraîche ist schnell ersetzt, und alle anderen Zutaten sind ja ohnehin vegan.«

»Sie …« Peppino musste sich räuspern, bevor er weiterreden konnte. »Sie treten uralte Traditionen mit Füßen!«

Camilla zuckte lächelnd mit den Schultern.

»Salsicce brauchen Fleisch und Fett, und das werde ich Ihnen beweisen! Ich …« Sie konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Ich … ich werde selbst eine Aktion starten. Und wenn dann Ihre Gäste hungrig und enttäuscht auf die Straße treten, können sie sich bei mir mit richtigen Würsten satt essen!«

Er ballte die Fäuste und wandte sich abrupt ab. Nach zwei Schritten blieb er stehen, die Schultern nach vorn gebeugt, die Fäuste fest geschlossen. In einem Comic hätten sich über seinem Kopf jetzt kleine Rauchwölkchen gebildet. Aber im wirklichen Leben zögerte er nur kurz, dann stapfte er weiter zu seiner Trattoria und verschwand im Schatten der großen Linde.

 

Die Belegschaft von Liebeneiner & Söhne Wurstwaren hatte am nächsten Tag ordentlich zu tun. Die veganen Würste für das Nobelrestaurant der Engländerin mussten fertiggestellt werden, und obendrein war am Morgen noch die Bestellung über einen großen Posten Salsicce nach traditionellem italienischem Rezept eingegangen. Wenigstens hatten die Stammkunden für ihre üblichen Lieferungen keine Sonderwünsche angemeldet.

Stefan Kutterer war froh, dass er die veganen Würste nicht mehr probieren musste. Das hatte der Chef schon am Vorabend erledigt, bevor sie ihre Sonderschicht beendet hatten. Und so ließ er sich Proben der Salsicce schmecken, der richtigen Salsicce, wie er den Kollegen gegenüber nicht müde wurde zu betonen, und als die ersten Würste abgebunden waren und fertig zur Auslieferung, setzte er sich mit den anderen zusammen und ließ sich eine große Portion schmecken. Auch der Chef stieß kurz zu ihnen, und als auch er nur die Salsicce mit Fleisch und Speck probierte, musste er sich einige Frotzeleien seines Mitarbeiters anhören. Nur der Lehrling, Simon, der sich trotz seines Berufs vorwiegend vegetarisch ernährte, nahm sich ein paar vegane Exemplare, aß aber kaum die Hälfte eines Würstchens und packte den Rest für daheim ein, wo er am Herd damit experimentieren wollte.

Alle hatten kräftig mit angepackt, und so konnten die Lieferwagen pünktlich das Firmengelände verlassen.

»Feierabend«, sagte Kutterer, als er auf dem Weg zum Spind dem Chef begegnete.

»Ja, und heute mal pünktlich«, antwortete Ralph Liebeneiner. »Danke, dass ihr alle so gut mitgezogen habt.«

»Ist doch klar, Chef.«

»Und jetzt heißt es Daumen drücken. Wenn uns die Stammkunden treu bleiben und die beiden Restaurants gut nachbestellen, müssten wir das Schlimmste hinter uns haben.«

»Das wird schon, Chef. Wo ist eigentlich Simon?«

»Der hat sich vorhin bei mir abgemeldet. Ihm war etwas flau, da habe ich ihn nach Hause geschickt.«

»Da können Sie mal sehen: Er war der Einzige, der von dem veganen Zeugs gegessen hat. Mit gutem Fleisch drin wäre ihm das nicht passiert.«

Liebeneiner winkte lachend ab und ging ins Büro. Kutterer zog sich um und freute sich auf einen ruhigen Abend mit seiner Frau.

 

Ob die Zeitungsannonce dafür gesorgt hatte oder doch eher die persönlichen Empfehlungen und die Infos im Internet, jedenfalls waren für diesen Abend alle Tische im Camilla’s schon seit dem späten Vormittag ausgebucht. Wer auf gut Glück gegen 18 Uhr vor dem Lokal eintraf, musste wieder gehen. Manche nahmen das nicht gut auf, andere reservierten stattdessen für einen der folgenden Tage.

Der erste Anrufer, der reserviert hatte, war Konrad Börr gewesen. Das hatte Camilla Brown nicht allzu sehr überrascht, Börr war ein sehr treuer Gast ihres Restaurants. Als einflussreicher Gourmetkritiker war er ohnehin immer willkommen, aber sie hätte nicht sicher zu sagen gewusst, ob er ihr Lokal wirklich nur der exzellenten Küche wegen so häufig besuchte – oder ob er das Essen nicht auch als Vorwand dafür nahm, sie hier zu treffen. Börr hatte ein tadelloses Auftreten, allerdings wirkte er stets ein wenig blasiert, seine Freundlichkeit war durchaus auch etwas aufdringlich. Und natürlich war er als schreibender Feinschmecker durchdrungen von seiner Wichtigkeit für alle ambitionierten Restaurants im Allgemeinen und für das Camilla’s mit seinem Streben nach dem ersten Stern im Besonderen.

Deshalb hielt er es auch nicht für nötig, besonders pünktlich im Restaurant zu erscheinen. Er war an diesem Abend erst der fünfte Gast, der das Lokal betrat. Natürlich hatte sie ihm einen besonders schönen Platz reserviert, wie immer mit Blick auf den Pass, wo sie ihre Kreationen dem Service übergab und ihm zwischendurch ein kurzes Lächeln schenken konnte. Aber dass er nicht der Erste sein sollte, der an diesem Tag ihre veganen Salsicce kosten durfte, verdarb ihm einen Moment lang die Stimmung. Doch als Camilla zu ihm gegangen war, um ihn mit einem speziell für ihn komponierten Amuse-Bouche zu beschwichtigen, war er einstweilen zufrieden.

Dann gab es allerdings ein Durcheinander in der Küche. Die erste Portion Salsicce wurde noch fertig. Die beiden kleinen Würstchen lagen würzig duftend auf einem Bett aus Brunnenkresse, Rucola und Zucchini-Carpaccio, umgeben von knackigen Romanesco-Röschen, sorgfältig aufgefächerten hauchdünnen Karottenscheiben und marinierten Tomatenfilets, am Rand bestreut mit Weißbrot-Croûtons, die sie in edlem Olivenöl zusammen mit fein gewürfelter roter Zwiebel angeschwitzt hatte. Diese Croûtons und die Zwiebelwürfel waren dann auch der Auslöser des Malheurs, das alle weiteren Serviervorgänge verzögerte.

Der junge Commis de Cuisine, der beides für die Pfanne vorbereiten sollte, war sonst sehr zuverlässig, schien heute aber aus irgendeinem Grund nicht ganz bei der Sache. Und so landeten zu groß gewürfelte Brotstücke und Zwiebelwürfel, zwischen denen sich noch nicht fein genug gehackte Stücke befanden, im Olivenöl. Camillas Souschef, ohnehin nicht ihr nervenstärkster Mitarbeiter, fuhr den jungen Kollegen so harsch an, dass der den Tränen nahe durch die Hintertür stürmte. Der Saucier konnte gerade noch verhindern, dass der Souschef mit der Pfanne nach dem Beikoch warf.

Aber auch ohne fliegendes Schmiedeeisen musste nun erst wieder Ordnung geschaffen werden. Die Zwiebeln mussten gründlicher zerkleinert, das Brot noch einmal neu zerkrümelt und das Olivenöl wieder auf die richtige Temperatur gebracht werden. Dafür sprangen die Potagère und der Entremetier ein, die an ihren Stationen in den nächsten Minuten nicht zwingend gebraucht wurden. Camilla folgte dem jungen Kollegen und redete ihm gut zu. Er fasste sich auch bald wieder, und als sie mit ihm in die Küche zurückkehrte, warf sie dem Souschef einen strengen Blick zu. Der machte pflichtschuldig eine zerknirschte Miene, gab dem Commis die Hand, und damit konnten sich alle wieder an ihre Arbeit machen.

Nur Valentin, der den Service so elegant, effizient und geräuschlos leitete, stand nervös am Pass und musste warten, wann ihm endlich der nächste Teller zugereicht wurde. Camilla sah die Gäste ungeduldig werden und konnte nur hoffen, dass wenigstens niemandem aufgefallen war, wie hoch es gerade hinter den Kulissen zugegangen war. Sie lugte zu Konrad Börr, dessen Miene nichts Gutes verhieß. Wenn der Mann nicht sehr bald sein Salsicce-Gericht bekam, war aus seiner Feder erst einmal keine Lobeshymne mehr auf das Camilla’s zu erwarten.

Doch dann veränderte sich die Stimmung im Gastraum. Auch Börr wandte seinen Blick vom Pass ab und sah zu dem Gast hin, der die erste Portion des heutigen Specials bekommen hatte. Camilla drängte sich neben Valentin, der sie gar nicht beachtete, sondern ebenfalls gebannt in die Mitte des Restaurants starrte.

Der Gast hatte beide Würstchen gegessen und zuletzt ein Romanesco-Röschen auf die Gabel gespießt. Jetzt schien er nach Luft zu schnappen, die Gabel entglitt seinem Griff, und er stützte sich mit einer Hand auf die Tischplatte.

Valentin warf sich herum, riss ein Schnapsglas aus dem Regal, füllte es mit Kräuterlikör und flog geradezu dem röchelnden und schwankenden Gast entgegen.

Camilla fühlte, wie ihre Knie weich wurden. Hier würde kein Kräuterlikör mehr helfen. Zitternd nahm sie das Telefon und wählte den Notruf.

 

Peppino Sensoni hatte einige Schüler engagiert, die links und rechts des Nobelrestaurants auf dem Bürgersteig warteten und allen, die im Camilla’s keinen Platz mehr bekamen, einen Besuch in der Trattoria gegenüber empfahlen. Er hatte ihnen Handzettel mitgegeben, auf denen er für »Salsicce – all you can eat« warb. Und tatsächlich lockte die Aktion – und sicher auch der auffällig günstige Preis – einige der Enttäuschten ins Salento. Dort hatten sich außerdem viele der Stammgäste der Trattoria eingefunden, darunter ein Mann, den Horst Schachner als Kunde seiner Metzgerei noch in sehr guter Erinnerung hatte: Claus Hundt, ein knapp drei Zentner schwerer Liebhaber von deftiger Kost und würziger Wurst.

Hundt war als einer der Ersten gekommen, und er ließ sich schon zum zweiten Mal Nachschub bringen, als sich die verhinderten Gäste vom Camilla’s noch zögerlich nach einem freien Platz im Lokal umsahen. Peppino freute sich über den Erfolg seiner kurzfristig angesetzten Aktion, er genoss den Trubel im gut gefüllten Lokal, und weil das Wetter zwar kühl, aber trocken war, hatte er im Vorgarten zwei Biergarnituren aufstellen lassen, an denen sich ebenfalls Hungrige einfanden. Wer wollte, konnte sich eine Decke bringen lassen, aber wichtiger waren allen die deftigen Würste, die auf Platten herumgereicht wurden, das Pizzabrot frisch aus dem Holzbackofen und die Teller mit Pasta und einer würzigen Soße mit Stücken vom Salsiccia-Wurstbrät.

Da sich die meisten auf die Würste konzentrierten, hatte Peppino weniger in der Küche zu tun als sonst. Er half im Service mit, denn der heutige Ansturm brachte selbst die schnelle Donatella an ihre Grenzen. Und wann immer er nach draußen eilte, um die Gäste im Vorgarten zu versorgen, warf er einen prüfenden Blick hinüber zum Restaurant seiner englischen Nachbarin. Auch dort war kein Platz mehr unbesetzt, aber er hatte so viel zu tun, zu servieren und zu kassieren, dass gar keine Zeit blieb, sich darüber zu ärgern.

Am Ende würden es die Gäste schon begriffen haben, dass eine Salsiccia nur mit Speck und Fleisch wirklich gut schmeckte. Peppino wandte sich grinsend ab und wollte gerade wieder ins Salento eilen, da hörte er von fern die Sirene eines Krankenwagens. Er blieb stehen, horchte, drehte sich zur Straße um. Das Geräusch kam schnell näher, und dann sah er auch schon, wie die Fassaden nahe der nächsten Kreuzung in hektisch rotierendes Blaulicht getaucht wurden.

 

Camilla Brown eilte vor die Tür, knetete ihre Finger und sah aufgeregt nach links und rechts. Die Schüler, die dort entlang der Straße seit Stunden herumlungerten und Handzettel verteilten, standen nun beisammen und tuschelten. Auf dem Gehweg gegenüber sah sie Peppino Sensoni stehen. Sie war nicht sicher, ob er besorgt wirkte oder eher mit einer gewissen Befriedigung registrierte, dass es im Camilla’s offenbar ein Problem gab.

Als erst der Sportwagen des Notarztes und gleich danach der Krankenwagen um die Ecke schossen und vor dem Restaurant scharf abbremsten, hatte sie keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.

»Schnell«, rief sie dem Arzt entgegen und riss für ihn die Eingangstür auf, »da drin. Er bewegt sich nicht mehr.«

Der Arzt spurtete in den Gastraum. Servicechef Valentin wies ihm den Weg zum Patienten. Das hätte er sich sparen können. Alle Gäste waren inzwischen aufgestanden und bildeten einen Halbkreis um den Mann, der seltsam verrenkt auf dem Boden lag. Neben ihm war der Stuhl umgekippt, auf dem er gesessen hatte, und überall um ihn herum lagen Tellerscherben und Wurststücke, die er im Fallen mit sich gerissen hatte. Die mit Wein und Salatsoße getränkte Tischdecke bedeckte seinen Oberkörper. Der Arzt zupfte sie mit spitzen Fingern zur Seite.

»Er hat vegane Salsicce, etwas Brot und Gemüse gegessen«, redete Valentin auf den Arzt ein. »Dann wurde ihm übel, ich habe ihm noch einen Kräuterschnaps gebracht, aber den konnte er gar nicht mehr trinken.«

Camilla trat neben Valentin. Der Arzt hantierte mit routinierten Bewegungen an dem leblosen Körper, prüfte Puls und Atmung und ging dann dazu über, mit übereinandergelegten Handballen kräftig und rhythmisch auf den Brustkorb des Mannes zu drücken.

Stayin’ alive, ging es Camilla durch den Kopf, war das nicht die Eselsbrücke für Ersthelfer? Und noch während sie in Gedanken den Refrain im Takt der Wiederbelebungsversuche mitsang, stellten die beiden Sanitäter eine Trage neben Arzt und Patient ab. Sie schauten dem Mediziner stumm zu, und ihre Mienen verhießen nichts Gutes. Der Arzt presste seine Lippen auf die des Mannes und pumpte ihm Atemluft in den Mund, setzte die Herzmassage fort, versuchte noch eine Mund-zu-Mund-Beatmung, noch mehr Herzmassage. Die Sanitäter traten etwas zurück und legten ihre Trage weg. Und schließlich stellte auch der Arzt seine Bemühungen ein, blieb noch kurz in der Hocke, schloss dem Mann am Boden die Lider und erhob sich.

 

Der Krankenwagen versperrte Peppino die Sicht auf das Lokal der Engländerin. Also überquerte er die Straße, ging an den Fahrzeugen vorbei und blieb ein paar Meter vor dem Eingang des Camilla’s stehen. Das Innere des Restaurants konnte er von hier aus nicht einsehen, aber näher heran wollte er auch nicht. Dabei wusste er selbst nicht, ob er gerade nur gaffen oder bereitstehen wollte, falls seine Hilfe gebraucht werden sollte.

Die Tür schwang auf, der Notarzt kam heraus, dicht gefolgt von zwei Sanitätern, die eine leere Trage herausbrachten. Der Arzt gab telefonisch jemandem eine kurze Beschreibung der Stituation, dann stieg er in seinen Sportwagen und flitzte davon. Einige Gäste erschienen nun in der Tür und schauten zu, wie die Sanitäter die leere Trage in den Krankenwagen schoben. Die Gruppe teilte sich, und Camilla Brown trat heraus, machte ein paar unsichere Schritte und blieb stehen, aschfahl im Gesicht und mit schreckgeweiteten Augen.

Peppino rührte sich nicht. Er behielt sie im Blick, aber sie schien sich trotz ihrer schlechten Verfassung noch allein auf den Beinen halten zu können.

Ein Sanitäter schloss das Heck des Fahrzeugs und kletterte auf den Beifahrersitz. Der andere hatte sich schon hinter das Steuer gesetzt und den Motor gestartet. Ohne große Eile fuhr der Krankenwagen davon. Camilla schaute ihm nach, sah dabei für einen Augenblick geradezu durch Peppino hindurch, erst als der Krankenwagen außer Sicht war, bemerkte sie ihn wirklich.

Um ihren Mund legte sich ein bitterer Zug, sie straffte sich und kam langsam auf ihn zu.

»Gratuliere«, zischte sie, als sie ihn erreicht hatte. »Wenn Sie miterleben wollten, wie meine Aktion so richtig in die Hose geht, dann sind Sie hier und jetzt genau richtig.«

»Nein, ich …«

Peppino wurde ganz verlegen. Er wünschte niemandem etwas Schlechtes, nicht einmal dieser Konkurrentin, die offenbar überhaupt kein Gespür für den Wert kulinarischer Traditionen hatte. Und doch musste er zugeben: Dass soeben offenbar ein Gast in ihrem Restaurant gestorben war, tat ihm weniger leid, als es angebracht gewesen wäre. Fieberhaft dachte er darüber nach, was er jetzt am besten sagen sollte. Ein falsches Wort in dieser heiklen Situation, und aus bloßer Konkurrenz konnte erbitterte Feindschaft werden.

Sein Problem löste sich auf unerwartete Weise.

»Peppino? Komms du bitte snell?«

Donatella hatte gerufen. Sie stand vor dem Salento, und ihr Gesichtsausdruck ließ das Schlimmste befürchten.

 

Peppino erreichte sein Lokal binnen Sekunden, und als er in den Gastraum spurtete, rempelte er in seiner Eile zwei Gäste zur Seite, die ihn nicht hatten kommen hören.

An einem kleinen Ecktisch neben der Theke saßen sein Vater und Horst Schachner und blickten unverwandt in die Mitte des Raums. Sonst waren alle aufgesprungen und standen eng beieinander an den Wänden des Salento entlang, als wollten sie alles sehen können und doch möglichst viel Raum zwischen sich und das bringen, was sie entsetzt und erschrocken anstarrten. Dann sah auch Peppino den einzigen Gast, der nicht aufgesprungen war.

Claus Hundt saß auf seinem Stuhl. Sein Oberkörper war nach vorn gekippt, und sein Gesicht ruhte auf seinem Teller, recht weich gebettet auf Salsicce und Pasta. Sein Glas war umgestürzt, der verschüttete Wein leuchtete tiefrot wie Blut.

»Um Himmels willen, warum ruft denn niemand einen Arzt?«

Keine Antwort. Nur sein Vater schaute trübe zu ihm her.

»Hätte doch nur jemand kurz Bescheid gegeben!«, ereiferte sich Peppino weiter und trat näher an Hundt heran. »Der Notarzt war gerade drüben im Camilla’s, der hätte nach Claus schauen können! Jetzt ist er wieder weg.«

»Beruhig dich, Peppino.«

»Spinnst du, papà? Ich kann mich nicht beruhigen! In meinem Lokal braucht ein Mann dringend ärztliche Hilfe!«

»Braucht er nicht.«

»Wie? Wieso nicht?«

»Braucht er nicht mehr.«

»Aber … aber er …«

Ein älterer Mann trat vor.

»Mein Freund ist Arzt.«

Aber statt sich um Claus Hundt zu kümmern, kam er zu Peppino, schaute ihm prüfend in die Augen und fühlte ihm den Puls.

»Was soll das denn jetzt?«, brauste Peppino auf und entriss dem anderen seinen Arm. »Schauen Sie lieber nach meinem Gast dort!«