Ein Kuss, der keine Zweifel lässt - Laurie Paige - E-Book

Ein Kuss, der keine Zweifel lässt E-Book

Laurie Paige

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Beschreibung

Auf der Suche nach ihrem Vater kehrt Moriah nach Hause zurück - in die Arme ihrer Jugendliebe Kane. Aber auch eine stürmische Liebesnacht fegt alte Zweifel nicht einfach weg. Deshalb zögert Moriah, ihr größtes Geheimnis zu verraten. Zu lange. Jemand anders kommt ihr zuvor …

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Seitenzahl: 213

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IMPRESSUM

Ein Kuss, der keine Zweifel lässt erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© by Harlequin Enterprises B.V. Originaltitel: „Father Found“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 870 - 1996 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Brigitte Bumke

Umschlagsmotive: andriikobryn / ThinkstockPhotos

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733774974

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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1. KAPITEL

Moriah Gilmore schloss ihr Apartment auf und ging hinein. Tiefe Stille empfing sie. Erst nachdem sie in der Küche die schwere Einkaufstasche abgestellt hatte, entdeckte sie die am Kühlschrank haftende Notiz.

Mom,

ich bin bei Jessy. Wir lernen für eine wichtige Arbeit. Ihre Mutter hat gesagt, ich kann zum Dinner bleiben. Ist das okay?

Gruß und Kuss,

Melanie

Moriah lächelte. Natürlich war sie einverstanden. Jessy und Melanie waren sehr gute Schülerinnen. Sie arbeiteten sogar an der Schulzeitung mit, was eine große Ehre war, denn jedes Jahr wurden dafür nur zwei Schüler aus der Junior-Klasse ausgewählt. Moriah war stolz auf die beiden Teenager.

Nachdem sie die Einkäufe weggeräumt hatte, machte sie sich ein Käsesandwich. Von ihrem Platz an der Frühstücksbar aus ließ sie den Blick zum Fenster hinaus nach Süden schweifen.

Am Horizont hingen dicke dunkle Wolken. Vermutlich regnete es dort. In Great Falls war es nur leicht bewölkt, aber recht kühl. Moriah war froh, nicht mehr für einen Kurs außer Haus zu müssen.

Nach dem Sommersemester hatte sie beschlossen, bis nach Weihnachten eine Pause einzulegen. Es war angenehm, sich für eine Weile nicht um Noten und Klausuren sorgen zu müssen.

Nach ihrem Abschluss an der Abendschule würde sie Rechtsanwalts- und Notargehilfin sein. Nur noch ein Jahr bis dahin!

Mit ihrer Erfahrung als Schreibkraft bei einer hiesigen Anwaltskanzlei sollte es ihr anschließend möglich sein, eine gute Stellung zu finden, vielleicht sogar in der gleichen Kanzlei. Sie arbeitete dort seit fast fünf Jahren.

Ihre Überlegungen wurden vom Klingeln des Telefons unterbrochen.

Das war sicher Melanie. „Na, was hast du denn vergessen, ohne das du nicht leben kannst?“

Schweigen. Moriah merkte, dass sie mit ihrer Bemerkung jemanden am anderen Ende der Leitung überrascht hatte … und es war nicht ihre Tochter.

„Entschuldigung, ich hatte jemand anderes erwartet.“ Dann verfiel sie in den freundlich-unverbindlichen Ton, mit dem sie im Büro Anrufe annahm. „Hier Gilmore. Was kann ich für Sie tun?“

„Moriah?“

Ihr blieb fast das Herz stehen. Es war knapp siebzehn Jahre her, seit sie diese männliche Baritonstimme zuletzt gehört hatte. Mit diesem unverwechselbaren Timbre – weich und rau zugleich.

Moriah fühlte sich von einer Sekunde zur anderen in die Vergangenheit zurückversetzt. In eine Zeit, in der diese Stimme ihr die süßesten Liebesworte ins Ohr geflüstert hatte, während sie in inniger Umarmung im Bett lagen.

Mit zitternden Fingern fuhr sie sich durchs Haar und erinnerte sich sofort daran, dass diese Geste einmal andere Hände ausgeführt hatten. Kane hatte ihr Haar geliebt, hatte nur zu gern eine Strähne glatt gezogen und dann zugesehen, wie sie sich wieder lockte, sobald er sie losließ. Und er hatte zärtlich mit ihren Locken ihren Hals und ihre Brüste gekitzelt.

„Es ist wie Feuer“, hatte er gemurmelt, während er sie hingebungsvoll liebkoste. Dann hatte er die rotbraunen Löckchen zwischen ihren Beinen berührt. „Und hier ist auch Feuer“, hatte er sie geneckt und sie geliebt.

Sie war so jung gewesen. Siebzehn …

Sie atmete tief durch, bemüht, des Gefühlstumults, den seine Stimme heraufbeschwor, Herr zu werden.

„Moriah?“, sagte Kane Hunter noch einmal.

Sie musste endlich antworten, doch ihr schwirrte der Kopf. Kane … ihre erste Liebe. Ihr Geliebter, der sie verraten hatte …

„Ja?“, brachte sie schließlich hervor. Vielleicht war es gar nicht Kane, sondern ein Vertreter. Doch wieso sollte er ihren Vornamen mit diesem gewissen intimen Unterton aussprechen? Nein, der Mann am anderen Ende der Leitung war kein Fremder.

„Hier ist Kane Hunter. Ich spreche doch mit Moriah Gilmore, oder?“

„Ja.“

Das Gefühl zu ertrinken wurde stärker. Damals hatte sie geglaubt, vor Wonne in seinen Armen zu vergehen, so große Lust hatte er ihr bereitet. Und später so großen Schmerz.

Sie zwang sich, normal zu sprechen. „Kane, das ist aber eine Überraschung.“

„Das kann ich mir denken.“ Das klang spöttisch. „Ich rufe wegen deines Vaters an. Die Polizei sucht ihn.“

„Welche Polizei?“ Sie fasste das alles nicht – dass Kane wie ein Geist aus der Vergangenheit auftauchte und mit ihr über ihren Vater sprechen wollte, der sie und ihre Mutter vor Jahren im Stich gelassen hatte.

„Die Polizei von Whitehorn, wo du früher gelebt hast.“

Sie ging nicht auf diese bissige Bemerkung ein. „Und warum wird mein Vater gesucht?“

„Das will ich dir ja gerade erklären.“

Sie konnte förmlich sehen, wie angespannt er war, wie seine Kiefermuskeln unter seiner weichen dunklen Haut hervortraten. Und plötzlich hatte sie vor Augen, wie sie seinen gertenschlanken Körper streichelte und glaubte zu spüren, wie sich seine kräftigen Muskeln unter ihren Händen anspannten. Durch die jahrelange Arbeit auf der Ranch war Kanes Körper stahlhart gewesen – überall.

Energisch machte sie sich von der Erinnerung frei. „Dann tu es bitte“, forderte sie ihn auf.

„Ich fuhr zu seiner Blockhütte …“

„Mein Vater hat eine Blockhütte?“ Nachdem sie und ihre Mutter weggegangen waren, hatte sie ihm noch jahrelang an ihre alte Adresse geschrieben. Er hatte nicht geantwortet. „Das Haus gehört ihm nicht mehr?“

„Nein.“

Moriah entging die Ungeduld in seiner Stimme nicht. Der Kane, den sie einmal kannte, war unendlich geduldig mit ihr gewesen. Und zärtlich. Der einfühlsamste Geliebte überhaupt.

Das war vorbei. Das Haus, in dem sie sich in jenen zauberhaften Weihnachtsferien so oft geliebt hatten, war verkauft. Ihre Träume von einer gemeinsamen Zukunft hatten der Realität nicht standgehalten.

Ihr kamen die Tränen. Der Schmerz, den sie längst überwunden glaubte, erfasste sie erneut. Sie hatte Kane vertraut, und eine Zeit lang hatte er ihr Glück geschenkt und ein Gefühl der Freiheit … und so viele andere wunderbare Dinge.

„Mein Vater lebt also jetzt in einer Blockhütte?“, hakte sie nach, als das Schweigen unerträglich wurde. Ob Kane sich auch an alles erinnerte? Seufzend zwang sie sich, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

„Ja. Vorletzte Woche bin ich dort gewesen. Wir waren zum Angeln verabredet. Doch er war nicht da. Dann fragte mich Rafe Rawlings nach ihm.“

„Rafe Rawlings?“

„Ein Polizist aus Whitehorn. Wenn du mich ausreden lassen würdest … Also, dein Vater wird seit zwei Wochen vermisst.“

Sie wollte schon nachfragen, woher er das so genau wusste, unterließ es dann aber. Er würde nur gereizt reagieren.

„Rafe und ich haben ihn vergeblich gesucht. Das war am letzten Wochenende. Das Wochenende davor wollten wir angeln. Demnach ist er seit zwei Wochen verschwunden und hat insgesamt zwei Verabredungen nicht eingehalten.“

„Ist das ungewöhnlich?“

„Ja. Homer ist zwar ein wenig exzentrisch, aber eigentlich zuverlässig. Einfach zu verschwinden ist nicht seine Art.“

Von wegen, dachte Moriah zynisch. Damals, als sie schwanger war und dringend seine Hilfe brauchte, war ihr Vater auch nicht da gewesen.

Nur ihre Mutter hatte ihr zur Seite gestanden. „Männer verschwinden durch die Hintertür, wenn Probleme durch die Vordertür hereinkommen“, pflegte sie oft zu sagen. Für Moriah war es eine unumstößliche Tatsache. Männer verfolgten rigoros ihre eigenen Pläne und beschuldigten dann die Frauen, wenn alles anders kam.

„Damit ich dich richtig verstehe“, sagte sie, „mein Vater lebt also in einer Blockhütte bei Whitehorn. Seit zwei Wochen ist er verschwunden, und es gibt keine Spur von ihm.“

„Er lebt in einer ziemlich schäbigen Hütte auf dem Gelände der ehemaligen Baxter-Ranch. Sie gehört jetzt den Kincaids, aber sie lassen ihn seit Jahren dort wohnen.“

„Ich erinnere mich an die Hütte.“

„Es ist nicht die, die wir einmal aufgesucht haben“, erklärte Kane kühl.

Sein Hinweis auf die Berghütte, in der sie einmal Zuflucht vor einem Schneesturm gesucht hatten, ließ ihr die Röte ins Gesicht schießen. Sie hatten sich vor dem Kamin geliebt, während draußen der Sturm tobte.

Eine weitere Hitzewelle durchflutete sie, die sie zunehmend erregte. Sie umklammerte den Telefonhörer.

„Ich meinte nicht …“ Um sich zu fangen, atmete sie tief durch. „Mein Vater nahm mich oft zum Schürfen mit. Und da übernachteten wir in einer Hütte mitten im alten Bergwerksgebiet. Sie lag in der Nähe der Zufahrtsstraße zur Baxter-Ranch.“

„Ja, wahrscheinlich ist das die Hütte.“ Kane sprach ohne jede Gefühlsregung. „Du musst eine Vermisstenanzeige erstatten. Rafe und ich fürchten, dass ihm etwas zugestoßen ist.“

„Glaubst du, er hat sich in den Bergen verirrt?“

„Ich weiß es nicht. Es gibt zwar keinen Hinweis auf ein Verbrechen, aber ich habe einfach das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Homer braucht Hilfe. Du musst nach Hause kommen.“

Sein gebieterischer Ton verschlug Moriah zunächst die Sprache. „Ich kann nicht. Warum sollte ich auch?“

„Weil er dein Vater ist und ich die Verantwortung für ihn verdammt leid bin. Wenn du dich nicht um ihn kümmerst, wird er vermutlich sterben, vielleicht ist er irgendwo in einem eingestürzten Stollen gefangen.“

Sein Ärger war offenkundig, und sie wurde selbst ärgerlich. „Das zieht bei mir nicht. Mein Vater hat mich vor Jahren im Stich gelassen.“

„Das ist gelogen!“

Dass Kane derart heftig reagierte, überraschte Moriah. „Es ist wahr. Er hat uns verlassen. Mom und ich mussten weggehen und uns allein durchschlagen.“

„Dieses Märchen kannst du jemand anderem erzählen.“

Seine Verachtung traf sie wie ein Peitschenhieb. „Von dir erwarte ich auch kein Mitgefühl.“ Damit warf sie den Hörer auf die Gabel und versuchte, das heftige Zittern, das sie erfasst hatte, unter Kontrolle zu bringen.

Falls Kane glaubte, dass sie einfach alles stehen und liegen lassen würde, um sich auf die Suche nach ihrem Vater zu machen, hatte er sich getäuscht. Ihren Vater hatte es seit jeher in die Berge gezogen. Daran war nichts Ungewöhnliches.

Nach Whitehorn zurückkehren?

Niemals!

Dr. Kane Hunter überwachte die Geburt sowohl aus beruflichem als auch persönlichem Interesse. Lori Bains, die Hebamme, hatte ihn gebeten, dabei zu sein, falls ein Kaiserschnitt nötig würde. Außerdem kannte er die Eltern, da sie aus dem Laughing Horse-Reservat stammten, wo er selbst aufgewachsen war.

Er hatte Hunderten von Babys auf die Welt geholfen, im Reservat und in der Kleinstadt Whitehorn, aber das Ereignis ging ihm jedes Mal von Neuem nah.

Nachdenklich betrachtete er den werdenden Vater, der seiner Frau die Hand hielt.

Der ernste junge Mann war achtzehn.

Genauso alt wie Kane, als er seine erste Liebe traf …

Unerbittlich überkam ihn erneut die Erinnerung. Seit er am Montag mit Moriah wegen ihres Vaters telefoniert hatte, fielen ihm immer wieder Einzelheiten ihrer Beziehung ein.

Als er und Moriah Gilmore ineinander verliebt waren, hatte er geglaubt, die Welt aus den Angeln heben zu können. Er hatte gerade angefangen, mittels eines Stipendiums Medizin zu studieren. Und dann, am ersten Tag seiner ersten Weihnachtsferien, hatte er sie getroffen.

Sicher, er hatte sie vorher schon vom Sehen gekannt, war sie doch in der Highschool nur eine Klasse unter ihm gewesen. Aber sie hatten kaum miteinander gesprochen. Es wäre ihm nie eingefallen, sie zu bitten, mit ihm auszugehen. Die Kinder aus dem Indianerreservat wurden mit Bussen nach Whitehorn zur Schule gebracht, und er hatte kein Auto. Zudem verabredeten sich Mädchen nicht mit Jungen aus dem Reservat.

Sie hatten sich durch ein Missgeschick kennengelernt. Er war aus einem kleinen Restaurant gekommen und mit ihr zusammengestoßen. Weihnachtspäckchen waren in den Schnee gefallen, und als er sich entschuldigte, erkannte er sie sofort.

Sie hatte ihn mit ihren großen goldbraunen Rehaugen angesehen. „Meine Schuld. Ich hab’ nicht auf den Weg geachtet.“

Weil sie gegen den starken Wind gegangen war. Ihr Haar – ein tiefes Rotbraun, das ihn an ein loderndes Feuer erinnerte – war von Schneeflocken übersät gewesen.

Er hatte sich augenblicklich in sie verliebt.

„Bist du auf dem Weg zu deinem Wagen? Ich werde deine Päckchen für dich tragen.“

Ein guter Vorwand, um noch etwas länger bei ihr bleiben zu können. Selbst damals hatte er gewusst, dass er verrückt war, dass niemals etwas dabei herauskommen würde, aber …

Einen Moment lang hatte sie ihn betrachtet und ihm dann mit einem schelmischen Lächeln erlaubt, ihre Pakete zu tragen.

Als er in ihrem Zimmer die Geschenkpäckchen auf ihrem Bett ablegte, war er ganz nervös geworden. Nicht nur, weil ihr Vater auftauchen und ihm etwas Unsittliches unterstellen konnte, sondern vor allem, weil beim Anblick ihres Bettes die wildesten erotischen Fantasien in ihm aufstiegen.

Sie hatte ihm heiße Schokolade angeboten, und er hatte den ganzen Nachmittag mit ihr verbracht, bis ihre Eltern von der Arbeit nach Hause gekommen waren. Mrs Gilmore hatte seine Anwesenheit nicht gefallen, aber Homer hatte nichts dagegen gehabt …

„Okay, noch einmal pressen“, wies Lori die junge Mutter an. Gleich darauf wurde ein kleiner Junge geboren.

Kane musste blinzeln, um seiner heftigen Gefühlsregung Herr zu werden. Als er hochsah, bedachte Lori ihn mit einem Schmunzeln. Sie hatte ihn oft scherzhaft als „alten Softie“, bezeichnet.

„Bis später“, verabschiedete er sich, denn er konnte nun gehen, weil Mutter und Baby wohlauf waren.

„Einen schönen Tag. Entspann dich.“ Das war ein Befehl.

„Ja, Ma’am.“ Nach einem letzten Blick auf das glückliche Elternpaar verließ er den Kreißsaal.

Als er auf dem Weg zu seinem Kombi mit Vierradantrieb noch einmal an das neugeborene Baby dachte, kam er sich plötzlich alt vor. Vor ein paar Monaten war er fünfunddreißig geworden. Ihm wurde klar, dass er, wenn er eine Familie gründen wollte, bald damit anfangen musste.

Unversehens holte ihn die Erinnerung wieder ein. Damals, während jener Weihnachtsferien vor fast siebzehn Jahren, war für ihn alles sonnenklar gewesen. Er und Moriah würden heiraten, Kinder haben, miteinander in Whitehorn alt werden. Der Traum eines Narren …

Er wurde wütend. Doch warum regte er sich über etwas längst Vergangenes auf? Es ergab keinen Sinn.

Aber so vieles an seiner kurzen Affäre mit Moriah hatte er nicht verstanden. Ihre erste Begegnung war durch ein Missgeschick zustande gekommen – genau wie ihr erster Kuss. Kane war auf einem schneeglatten Weg ausgerutscht, und Moriah hatte sich besorgt über ihn gebeugt.

Da hatte er ihren Kopf zu sich hinabgezogen und sie auf den Mund geküsst. Anstatt ihm eine Ohrfeige zu geben – was er eigentlich erwartet hatte –, hatte sie seinen Kuss erwidert.

Und nicht nur diesen einen. Sondern all seine Liebkosungen, die immer kühner wurden. Er hatte ihr alles gegeben – seine Liebe, seine Träume, seine Zukunft.

Kane schüttelte den Kopf, als könnte er so die Erinnerungen verscheuchen. Seine erste Erfahrung mit der Liebe war eine sehr schmerzliche Lektion für ihn gewesen, die er nicht vergessen hatte, obwohl alles so lange zurücklag.

Moriah. Er hatte damals geglaubt, sie sei die Liebe seines Lebens. Als sie im darauffolgenden Frühling ohne eine Erklärung weggezogen war, war er verwirrt, verletzt und schließlich wütend gewesen. Seine Briefe waren mit dem Vermerk „Adressat unbekannt“ zurückgekommen. Und er hatte nie erfahren, was mit ihr geschehen war.

Als der kühle Oktoberwind ihn frösteln ließ, merkte er, dass er stehen geblieben war und Löcher in die Luft starrte. Er stieg in seinen Wagen und fuhr nach Hause, um sich umzuziehen.

Es war Mittwoch. Er hatte jetzt frei, und er würde den Tag genießen, verdammt! Er würde an seinem Haus weiterbauen. Holzsägen und Hämmern beruhigten ihn immer.

Jedoch eine Stunde später war er auf dem Weg zu Homer Gilmores Blockhütte, um noch einmal nach dem alten Mann zu sehen.

Auch diesmal öffnete ihm niemand auf sein Klopfen hin.

Kane trat ein. Alles war genauso wie vor zwei Wochen.

Das Zimmer war unaufgeräumt. Zeitungen lagen auf dem Boden herum, und die wenigen Möbelstücke waren mit Staub bedeckt. Es sah ganz so aus, als habe der alte Kauz sein Quartier aufgegeben.

Kane überkam große Besorgnis. Homer war Anfang sechzig und lebte von Sozialhilfe und den gelegentlichen Zuwendungen von ihm, Kane, und Rafe Rawlings. Sie beide hatten sich seit Jahren um den exzentrischen Alten gekümmert.

Erneut stieg Wut in Kane auf. Homer Gilmore war Moriahs Vater. In den letzten sechzehn Jahren war sie nicht einmal zurückgekehrt, um nach ihm zu sehen. Selbst wenn sie ihn, Kane, nie wiedersehen wollte, hätte sie sich wenigstens um ihren Vater kümmern können.

Ach, warum rührte er bloß dauernd an Vergangenes? Fluchend machte er sich daran, etwas Ordnung zu schaffen.

Er nahm den Brief einer Detektei, der offen auf dem Tisch lag, zur Hand und überflog ihn von Neuem. Er enthielt Moriahs Adresse. Daher wusste er, dass sie jetzt in Great Falls lebte. Homer hatte Nachforschungen nach seiner Tochter anstellen lassen.

Der Brief war über ein Jahr alt, und er fragte sich, warum Homer sich die Mühe gemacht hatte, sie zu finden. Moriah scherte sich einen Dreck um ihren Vater.

Wie auch immer, es ging ihn nichts an. Nachdem er einige Vorräte ins Haus getragen hatte – für den Fall, dass Homer auftauchte –, setzte er sich zu einem kurzen Lunch auf die Veranda und grübelte über die vergangenen Wochen.

Außer mit ihm zum Angeln war Homer auch mit einigen Leuten vom Nationalpark verabredet gewesen, um Karten des umliegenden Geländes zu aktualisieren. Denn es gab hier viele verlassene Minen, die eine Gefahr darstellten. Auch diese Verabredung hatte er platzen lassen.

Während Kane blicklos auf die Berge starrte, schweiften seine Gedanken vom Vater zur Tochter.

Moriah hatte die Berge geliebt. Auf ihren Spaziergängen in den Wäldern um Whitehorn hatte sie zwischen den Bäumen Verstecken mit ihm gespielt. Lachend hatte sie sich von ihm einfangen lassen, und er hatte einen Kuss von ihr gefordert … und noch einen …

Erregende Hitze wallte in ihm auf. Damals hatte ihr bloßer Anblick genügt, um sein Herz höher schlagen zu lassen. Wenn sie sich liebten, hatte ihr Feuer ihn verzehrt, und er hatte sich jedes Mal wie neugeboren gefühlt.

Sie hatte so gern mit ausgebreiteten Armen an einem Abhang gestanden und sich das Haar vom Wind zerzausen lassen. Und wie gern hatte er ihr Haar berührt – diese unbändige Lockenpracht! – und sein Gesicht hineingeschmiegt.

Heftiges Verlangen erfasste Kane, und er konnte sich nicht dagegen wehren. Ja, er hatte sie sehr geliebt, seine Schöne des Waldes, aber er hatte sie nicht zu halten vermocht.

Er sprang auf. Er war nicht hier, um über Moriah und ihre gemeinsame Vergangenheit nachzudenken. Es ging um Homer.

Entschlossen schlug er den Pfad in den Wald ein.

2. KAPITEL

„Hallo, Mom!“

Moriah, die am Tisch saß und wie jeden Freitag Rechnungen beglich, blickte hoch. Mit einem Anflug von Stolz lächelte sie ihrer Tochter, die in ihrem üblichen Eiltempo in die Wohnung gestürmt kam, zu.

„Hallo, Melanie, wie geht’s?“

„Echt schlecht.“ Was im Teenager-Jargon so viel wie „sehr gut“, hieß.

Mit fliegenden Haaren – Melanie hatte langes dunkles, fast glattes Haar – rannte sie in ihr Zimmer. Zwei Minuten später kam sie in Jeans und Sweatshirt zurück und durchsuchte den Kühlschrank nach etwas Essbaren.

„Mom, ich hab’ heute Abend eine Verabredung.“

„Mit wem denn?“, erkundigte sich Moriah vorsichtig. Als Melanie schelmisch schmunzelte, meinte sie gespielt fassungslos: „Doch nicht etwa mit diesem Supertyp?“

Ausgelassen tanzte Melanie durch die Küche. „Ja. Ja. Ja!“

Moriah musste lachen. Manchmal fragte sie sich, wie sie zu diesem wundervollen, bezaubernden Kind gekommen war. Eine gütige Fee musste ihr Melanie in die Arme gelegt haben. Von Anfang an hatte sie ein strahlendes Wesen mit sonnigem Gemüt und lachte gern.

Melanie mochte jeden und wurde von jedem gemocht.

Wo sie selbst reserviert reagierte, war ihre Tochter überschwänglich. Sie hatte sich für ihre guten Noten immer anstrengen müssen, Melanie dagegen meisterte die Schule mit links. Sie hatte nicht nur jede Menge Charme, sondern war auch hochintelligent und eine fleißige Schülerin.

Als Melanie verschwand, um sich für ihre Verabredung herzurichten, ertappte sich Moriah dabei, dass ihre Gedanken wieder in die Vergangenheit schweiften wie so oft, seit Kane Hunter sie angerufen hatte.

Was erwartete er von ihr – dass sie alles hinwarf und durch die Berge wanderte, bis sie ihren Vater fand?

Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Ihr Leben gefiel ihr. Ihre Mutter, Joleen, lebte in der Nähe, sodass sie sich besuchen konnten. Sie, Moriah, hatte endlich einen Job, der ihr ein gutes Auskommen sicherte. Die Zukunft sah rosig aus, nicht ein Wölkchen am Himmel. Bis zu Kanes Anruf.

Nach Melanies Geburt und ihrem Highschool-Abschluss hatte sie als Serviererin gearbeitet, damit Joleen nach der Arbeit in einem Kaufhaus auf das Baby aufpassen konnte. Später war Moriah im Bekleidungsgeschäft ihrer Mutter beschäftigt gewesen. Melanie war damals schon eingeschult und kam nach dem Unterricht immer ins Geschäft. Weil ihre Mutter jedoch allmählich alles in ihrem und Melanies Leben bestimmte, war Moriah vor fünf Jahren in ihr eigenes Apartment gezogen.

Als Moriah einfiel, dass Melanie in der kommenden Woche zwei Tage freihaben würde, erinnerte sie sich automatisch daran, wie sie Kane damals in den Weihnachtsferien kennengelernt hatte und wie sie zu Liebenden geworden waren. Sie versuchte, die Erinnerung abzuwehren, denn sie wollte nicht daran denken, wie töricht sie gewesen war.

Auch wenn Kane sie mit seiner Forderung, nach Whitehorn zurückzukehren, wütend machte, so hatte er doch auch Schuldgefühle in ihr geweckt. Sie hatte Rafe Rawlings auf der Polizeistation angerufen, und er hatte Kanes Meinung bestätigt.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Immerhin war Homer ihr Vater. Aber er hatte sie und ihre Mutter verlassen, um zum Schürfen zu gehen, gerade damals, als sie ihn brauchte.

„Was hältst du davon, Mom?“ Melanie kam in die Küche gewirbelt.

Moriah konzentrierte sich auf ihre Tochter. Sie trug ein apfelgrünes Kostüm mit engem Minirock und dazu eine weiße Seidenbluse ihrer Mutter. Das Haar und die Augen hatte Melanie von ihrem Vater, aber die zarte rosige Haut hatte sie von ihr, Moriah. Allerdings bekam sie keine Sommersprossen, sondern wurde problemlos braun. Sie sah wunderschön aus, wie eine Rose.

Sofort fiel ihr ein, dass Kane sie einmal zärtlich mit einer Rose verglichen hatte, als sie zusammen im Bett lagen.

„Mom?“

Moriah kehrte in die Gegenwart zurück. „Perfekt. So könntest du glatt zum Essen zu ihm nach Hause gehen.“

„Genau das haben wir vor. Oh, übrigens, bist du wegen der Bluse böse? Ich hatte absolut nichts …“

„Ich hätte darauf bestanden, dass du sie trägst.“

Melanie umarmte sie stürmisch. „Du bist die beste Mom der Welt!“

Es klingelte. Melanie wurde ernst. „Da ist er.“

„Bitte ihn herein, damit wir die Befragung hinter uns bringen.“ Moriah prüfte Melanies Freunde immer auf Herz und Nieren.

Melanie rümpfte die Nase. „Lass ihn aber bitte ganz“, bat sie gespielt besorgt und eilte dann zur Tür, um zu öffnen.

„Mom? Würdest du einmal herkommen? Da ist ein Mann, der dich sprechen möchte.“

Etwas verwirrt kam Moriah der Bitte ihrer Tochter nach.

„Hallo, Moriah“, wurde sie von Kane Hunter begrüßt.

Mom. Dieses kleine Wort brachte Kane völlig aus der Fassung. Moriah hatte eine Tochter. Gab es auch einen Ehemann?

An diese Möglichkeit hatte er überhaupt nicht gedacht. Aber sie hatte sich am Telefon mit ihrem Mädchennamen gemeldet, oder? Schon, doch heutzutage nahmen Frauen nicht immer den Namen ihres Mannes an.

Ihre Augen – diese großen goldbraunen Rehaugen – spiegelten ihre Überraschung wider, als sie erkannte, wer vor ihr stand. Ein seltsamer Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Schock? Eher Panik. Als Arzt hatte er einen Blick dafür.

Ihm entging auch nicht, dass sie schön wie eh und je war und dass er genauso auf sie reagierte wie damals, als sie zusammengestoßen waren. Sein Herzschlag schien auszusetzen, und ihm wurde heiß.

„Komm doch herein, Kane.“ Sie lächelte jetzt.

Offenbar hatte er ihre Gefühlsaufwallung falsch gedeutet. Warum sollte ein Wiedersehen mit ihm sie auch irgendwie berühren? Nach ihren unglaublich schönen Liebesstunden hatte sie ihn damals ohne Abschied verlassen und sich nie wieder gemeldet.

Kane verdrängte diese Gedanken. Schließlich war er nur wegen ihres Vaters gekommen.

„Was führt dich denn in diese Gegend?“, fragte Moriah.

Ihre Hände zitterten leicht.

Seine Anwesenheit war ihr also doch nicht gleichgültig. Ihm selbst verursachte ihr Anblick noch immer Herzklopfen. Er versuchte, sich an die Begrüßungsworte zu erinnern, die er sich auf der Fahrt vom Flughafen zurechtgelegt hatte.

„Mom?“

Kane merkte, dass das junge Mädchen ihn neugierig betrachtete. Er schätzte sie auf sechzehn, höchsten siebzehn.

Nein, so alt konnte sie nicht sein. Im April war es genau sechzehn Jahre her gewesen, dass Moriah und ihre Mutter stillschweigend weggezogen waren. Während der Frühjahrsferien.

Er hatte eisern gespart, um zu seiner großen Liebe nach Hause fahren zu können. Und dann hatte er Moriah gar nicht zu sehen bekommen. Ihre Mutter hatte seinen Anruf abgefangen und ihm untersagt, sich mit ihr zu treffen.

Kane musste sich eingestehen, dass das junge Mädchen ihn neugierig machte … und der Mann, der seinen Platz im Bett der Mutter eingenommen hatte.

Das Haar des Teenagers war sehr dunkel, aber nicht ganz schwarz. Im Flurlicht war deutlich zu erkennen, dass es leicht rötlich braun schimmerte.

Ihre Augen waren ebenfalls sehr dunkel. Wie ihre Mutter hatte sie zarte helle Haut, die jedoch leicht gebräunt war.

Kanes Blick wanderte zurück zu Moriah. Sie wirkte nach wie vor scheu und verletzlich. In ihrem hellblauen Jogging-Anzug und ohne Make-up sah sie jung und unschuldig wie ihre Tochter aus.

Ihr etwas zu langes Zögern machte ihm klar, dass Moriah eigentlich nicht wollte, dass er ihre Tochter kennenlernte.