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Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021 von Alfred Bekker, Pete Hackett Über diesen Band: Dieser Band enthält folgende Romane: Gelobtes blutiges Land (Pete Hackett/Alfred Bekker) Ein Mann namens Bradford (Alfred Bekker) Nugget-Jäger (Alfred Bekker) In Montana ist der Teufel los. In den Black Mountains hat man Gold gefunden, und jetzt ziehen die Glücksritter und Halunken von überall her dorthin, um schnell reich zu werden. Aber oft genug finden sie nur den Tod. So macht sich auch Jay Parry in das gelobte Goldland zwischen den schroffen Bergen auf. Ein Cowboy und Herumtreiber, schnell mit dem Revolver und glücklos beim Spiel. Schon bald ist Jay Parry in größten Schwierigkeiten. Und er trifft Gelbe Blume, eine Blackfeet-Indianerin. Eine Frau, die er nicht vergessen kann, obwohl sie nicht für ihn bestimmt ist...
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Seitenzahl: 402
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Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021
Alfred Bekker and Pete Hackett
Published by Alfred Bekker, 2021.
Title Page
Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021
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Gelobtes blutiges Land
Gelobtes blutiges Land
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Ein Mann namens Bradford: Western Sonder-Edition
EIN MANN NAMENS BRADFORD
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Nugget-Jäger: Western Sonder-Edition
Nugget-Jäger
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Ein Land, in dem der Colt regiert: Western Großband 3 Romane 12/2021
von Alfred Bekker, Pete Hackett
Über diesen Band:
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Dieser Band enthält folgende Romane:
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Gelobtes blutiges Land (Pete Hackett/Pete Hackett)
Ein Mann namens Bradford (Alfred Bekker)
Nugget-Jäger (Alfred Bekker)
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In Montana ist der Teufel los. In den Black Mountains hat man Gold gefunden, und jetzt ziehen die Glücksritter und Halunken von überall her dorthin, um schnell reich zu werden. Aber oft genug finden sie nur den Tod. So macht sich auch Jay Parry in das gelobte Goldland zwischen den schroffen Bergen auf. Ein Cowboy und Herumtreiber, schnell mit dem Revolver und glücklos beim Spiel. Schon bald ist Jay Parry in größten Schwierigkeiten. Und er trifft Gelbe Blume, eine Blackfeet-Indianerin. Eine Frau, die er nicht vergessen kann, obwohl sie nicht für ihn bestimmt ist...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author / COVER EDWARD MARTIN
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Gelobtes blutiges Land
Alfred Bekker and Pete Hackett
Published by Alfred Bekker, 2021.
Table of Contents
UPDATE ME
Roman von Pete Hackett & Alfred Bekker
nach einem Exposé von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 120 Taschenbuchseiten.
Das Jahr 1846 in Nordamerika: Der Fährtensucher Ned Brown soll einen Treck frommer Mormonen ins Gelobte Land im Westen führen. Doch Ned verliebt sich in die schöne Sarah. Eine verbotene Liebe, denn für die Mormonen ist Ned ein Ungläubiger. Und außerdem ist Sarah bereits einem anderen Mann als dritte Ehefrau versprochen. Gemeinsam fassen die beiden Liebenden einen wahnsinnigen Plan. Ihre Flucht führt sie in eine mörderische Wildnis – ein Land, das Gott im Zorn erschaffen haben musste... Und ihre Verfolger sind ihnen auf den Fersen!
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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© Roman by Author / COVER STEVE MAYER nach Motiven von Pixabay
nach einem Exposé von Alfred Bekker
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Alles rund um Belletristik!
Schon eine Ewigkeit saß Ned Brown jetzt im Sattel.
Es war unmenschlich kalt.
Ned Brown hatte das Gefühl, schon halb erfroren zu sein.
Er konnte kaum noch eine Gedanken fassen.
Das Pferd stapfte langsam voran. Mechanisch setzte es einen Huf vor den anderen.
Ein eisiger Wind fegte über dieses Land, das Gott in einem Anfall von Zorn erschaffen haben musste.
Es war später Nachmittag, als Ned Brown sein Pferd, eine Fuchsstute, bei dem etwas verwitterten Ortsschild mit der Aufschrift ‚Nauvoo‘ zügelte. Die schwarze Farbe, mit der der Name des Ortes auf die Holztafel geschrieben worden war, begann abzublättern.
Der Dezember des Jahres 1845 war erst wenige Tage alt. Es war kalt. Ned trug eine dicke Jacke aus Mackinaw-Wolle, deren Kragen er hochgeschlagen hatte, dicke Handschuhe und eine Mütze mit Ohrenschützern aus Biberfell, sowie eine Hose aus grobem Leinenstoff und Fellstiefel. Wenn er ausatmete, bildete sich eine Nebelwolke vor seinem Gesicht. Das Pferd unter ihm prustete und scharrte mit dem Huf. Ned tätschelte ihm den Hals und ließ den Blick über die Häuser, die die Main Street säumten, schweifen. Viele der Gebäude waren nur noch Ruinen, andere waren beschädigt. Die Fenster und Türen waren eingeschlagen, Vorbaudächer lagen auf den Vorbauten, die Vorbau- und Treppengeländer lagen auf dem Gehsteig oder auf der Straße. Kreuz und quer liegende Balken und Bretter zeugten von einem Werk sinnloser Zerstörung. Da das Holz weder marode war und ein Hurrikan für die Zerstörung einzelner Häuser nicht in Frage kam, sagte sich Ned, dass Menschen dafür verantwortlich sein mussten.
Am Ende der Hauptstraße erhob sich ein riesiger Tempel. Er schien unversehrt zu sein. Ned ahnte, dass der Tempel von den Mormonen errichtet worden war, die, wenige Monate, bevor er Ohio verlassen hatte, um jenseits des Mississippi in der Wildnis zu leben, die Stadt zum Hauptsitz ihrer Kirche erklärt hatten.
Jeder sucht irgendwo anders sein gelobtes Land, dachte Ned Brown. Aber manchmal findet man nur die Wüste - oder die eine oder andere Hölle!
Den Mormonen, so dachte er, würde es nicht anders gehen als so vielen anderen vor ihnen.
Nur wenige Menschen waren auf der Straße zu sehen. Die Kälte schreckte die Stadtbewohner wohl davor ab, das Freie aufzusuchen. Aus den Schornsteinen der unversehrten Häuser stieg dunkler Rauch. Da es windstill war, stieg er senkrecht zum Himmel und zerflatterte.
Ned war über den zugefrorenen Mississippi gekommen.
Er wollte nach Osten.
In der Wildnis jenseits des Mississippi hatte er seit nahezu vier Jahren als Fallensteller gelebt und mit den Indianern Handel getrieben. Hin und wieder hatte er sich als Scout an Auswanderer verdingt, um sie ein Stück westwärts zu führen. Jetzt war er auf dem Weg nach Ohio, wo bei Cincinnati seine Familie lebte. Er wollte zu Hause wieder einmal nach dem Rechten sehen. Seit er vor fast vier Jahren den Mississippi überschritten und die Zivilisation verlassen hatte, hatte er nichts mehr von seinen Eltern und Geschwistern gehört. Es war längst an der Zeit, sie zu besuchen.
Mit einem leichten Schenkeldruck trieb Ned sein Pferd wieder an. Die Hufe krachten auf dem gefrorenen Boden. Zu beiden Seiten der Straße hatten die Bewohner der Stadt Schneehaufen angehäuft. Das Tauwetter, das kurz vor Weihnachten eingesetzt und den Schnee auf den Dächern und der Straße geschmolzen hatte, hatte diesen Schneehaufen kaum etwas anhaben können. Gleich nach Weihnachten war es dann wieder frostig kalt geworden. Der von der Schmelze verschonte Schnee war beinhart gefroren.
Langsam ritt Ned an den Häusern entlang. Hinter den Fensterscheiben zeigten sich manchmal die Gesichter von Menschen, die ihn beobachteten. Der Mountainman sagte sich, dass mit dieser Stadt etwas nicht stimmte. Die vielen zerstörten und beschädigten Häuser sprachen für sich. Einen Moment dachte Ned an einen Überfall durch Indianer, aber aus Illinois und seinen angrenzenden Staaten waren die Ureinwohner längst vertrieben, sodass er diesen Gedanken sogleich wieder verwarf.
Ned sah einen Mietstall und lenkte das Pferd darauf zu. Im Wagen- und Abstellhof saß er ab. Am Zaun zur Main Street hin standen in Reih und Glied etwa ein halbes Dutzend Conestoga- und Studebakerschoner mit verwaschenen Planen. Das Stalltor stand offen. Ned vernahm das Schnauben, Prusten und Stampfen der Pferde in den Boxen. Im Stall herrschte Düsternis.
Der Trapper nahm das Tier am Kopfgeschirr und führte es durch das Tor. Stickige Luft, vermischt mit dem Geruch von Stroh und Pferdeschweiß schlug dem großen, hageren Mann entgegen. Ziemlich am Ende des Mittelganges hing eine Kerosinlampe von einem Querbalken. Der Docht war weit heruntergedreht und der Glaszylinder stark verrußt, sodass das Licht, das die Laterne spendete, lediglich die Düsternis in ihrem unmittelbaren Bereich ein wenig aufhellte. Fliegen summten, in den Stallecken spannten sich staubige Spinnennetze. Das Licht, das durch das Tor ins Stallinnere fiel, reichte aus, um sie erkennen zu können.
Unter der Lampe hockte der Stallmann, ein bärtiger Mann mittleren Alters, auf einer Futterkiste und fettete ein Zaumzeug ein. Er legte Zaumzeug und Bürste weg, erhob sich und ging Ned entgegen.
Ned blieb stehen. „Howdy“, grüßte er.
„Bilde ich mir das ein oder ist da wirklich jemand?”
„Da ist wirklich jemand”, sagte Ned Brown.
„Okay...”
„Hast du noch einen Platz für mein Pferd?“
Der Stallmann musterte Ned misstrauisch. An dem Patterson Colt, den Ned in einem Holster am Gürtel trug, verweilte sein Blick etwas länger. „Das kommt drauf an“, knurrte der Stallbursche schließlich.
„Worauf denn?”
„Falls du aus Carthage kommst, gibt es für dich hier keinen Platz. Dann empfehle ich dir, schnell wie der Blitz wieder zu verschwinden, andernfalls kann es nämlich leicht sein, dass dich unsere Leute am nächsten Baum aufknüpfen.“
„Schon seltsam, wie man hier bei euch angesichts der unmenschlichen Kälte, die im Moment herrscht, begrüßt wird!”
„Wieso seltsam?”
Ned fixierte den Stallmann betroffen. „Liegt Nauvoo im Krieg mit Carthage?“, fragte er dann. Ihm begann zu schwanen, dass die zerstörten und beschädigten Häuser damit in einem engen Zusammenhang standen.
„Hast du wirklich keine Ahnung?“, fragte der Stallmann, nach wie vor mit Argwohn in den Augen, und musterte Neds Gesicht prüfend, forschte regelrecht darin. Vielleicht versuchte er sich zu erinnern, ob er es schon einmal gesehen hatte.
„Ich war fast vier Jahre westlich des Mississippi als Fallensteller und Kundschafter für Wagenzüge unterwegs. Damals war diese Stadt noch sehr jung. Mormonen haben sie gegründet und ihr den Namen Commerce gegeben. Jetzt heißt der Ort Nauvoo. Ein seltsamer Name für eine Stadt.“
„Der Name ähnelt dem hebräischen Wort für schöner Ort“, klärte der Stallmann Ned auf. „Die Bezeichnung stammt aus der Bibel.“
„Aha“, machte Ned. „Viele Gebäude sind zerstört oder beschädigt. Waren das die Leute aus Carthage?“
Der Stallmann nickte. „Sie verfolgen uns mit ihrem Hass. Immer wieder tauchen Banden aus der Umgebung, hauptsächlich aus Carthage auf, jagen um sich schießend auf ihren Pferden durch die Stadt, verprügeln und töten unsere Männer, vergewaltigen unsere Frauen und reißen unsere Häuser nieder.“
Ned pfiff durch die Zähne. Dann fragte er: „Und ihr lasst euch das gefallen?“
„Wir sind zu schwach, um uns zu wehren“, erwiderte der Stallbursche. „Die Männer dieser Stadt sind Geschäftsleute und Handwerker. Um den Himmelhunden aus Carthage mit einem Schießeisen in der Hand entgegenzutreten, fehlt ihnen der Mut. Wir mussten sogar schlucken, dass in Carthage vor anderthalb Jahren Joseph Smith, unser Führer, ermordet wurde.“
„Warum hassen euch die Menschen von Carthage?“, fragte Ned.
„Weil wir Mormonen sind. Es ist wegen unseres Glaubens. Dazu kommt ein gehöriges Maß an Neid und Missgunst. Im Gegensatz zu den meisten unserer Gegner haben wir es zu Wohlstand gebracht. Wie ich schon sagte: Diese Banditen schrecken selbst vor Mord nicht zurück. – Man hat uns schon aus Missouri vertrieben, und nun haben uns diese Gotteslästerer mit ihrem Hass so sehr zermürbt, dass wir auch diese Gegend verlassen, um irgendwo im Westen das gelobte Land zu finden, wo wir vor Verfolgung sicher sind und ein Leben in Ruhe und Frieden führen können.“
„Ihr wollt diese Stadt aufgeben?“, fragte Ned fast ein wenig fassungslos.
„Brigham will mit uns die Staaten verlassen und uns über den Mississippi auf mexikanisches Terrain führen. Wie einst Moses die Juden aus Ägypten führte ...“ Damals gehörte das Gebiet westlich des Mississippi noch zu Mexiko.
„Brigham?“, kam es fragend von Ned, dabei griff er nach dem Kolben des Gewehres, das, wie der Colt, von Patterson auf den Markt gebracht worden war, und zog es mit einem Ruck aus dem Fellscabbard. Es handelte sich um ein Revolvergewehr mit einer Trommel für fünf Geschosse.
„Brigham Young“, klärte ihn der Stallmann auf. „Er ist Präsident des Kollegiums der Zwölf Apostel, Prophet, Seher und Offenbarer. Brigham will uns in das gelobte Land führen. Hast du die Prärieschoner draußen im Hof gesehen? Im Hof fast eines jeden Hauses hier in der Stadt findest du ein solches Gefährt. Sobald der Mississippi derart zugefroren ist, dass er eine Überquerung zulässt, wird der erste Wagentreck nach Westen gehen.”
„Wie groß ist dieser Treck?”
„Es sind etwa sechshundert Menschen, die sich bereit erklärt haben, Brigham zu folgen.”
„Sind die Mormen nicht eigentlich viel zahlreicher?”
„Die anderen werden nach und nach folgen. Der Terror hier ist unerträglich geworden.
„Ich verstehe.”
„Was ist dein Ziel, Fremder?“
Ned Brown sah sein Gegenüber einen Augenblick mit schmalen Augen an, bevor er schließlich antwortete.
„Ohio“, erwiderte Ned knapp, lehnte das Gewehr gegen einen Tragebalken und machte sich daran, seine Satteltaschen loszuschnallen. Er warf sie sich über die Schulter, sodass eine Tasche auf seinen Rücken, die andere vor seiner Brust baumelte, schnappte sich die Flinte und ergriff noch einmal das Wort. „Ich suche einen Saloon, in dem ich etwas zu essen bekomme, außerdem eine Unterkunft für die Nacht.“
„Wir besitzen sogar ein Restaurant“, gab der Stallmann stolz zu verstehen.
„Wo?”
„Geh einfach die Main Street hinunter in die Richtung des Tempels.”
„Aha...”
„Du findest es auf der rechten Straßenseite. Gleich daneben befindet sich das Hotel. Du kannst aber auch hier, im Mietstall, auf dem Zwischenboden übernachten. Das kostet dich nichts.“
„Das überlege ich mir“, versetzte Ned. „Versorg das Pferd gut. Gib ihm Hafer zu fressen. Es ist ein treues Tier, das mich nach Cincinnati tragen soll.“ Nach einer kurzen Pause fügte er stolz hinzu: „Meine Großeltern und deren Eltern gehörten vor über fünfzig Jahren zu den Gründern der Stadt. Sie stammten aus Neuengland.“
Mit dem letzten Wort machte Ned kehrt und verließ auf sattelsteifen Beinen den Mietstall. Draußen atmete er tief durch, um den Stallmief aus den Lungen zu kriegen.
Er hatte gerade sein Steak mit Bratkartoffeln und Bohnen verzehrt, als fernes Hufgetrappel erklang, das schnell näherkam und sich bald als brandende Hufschläge entpuppten. Einige Schüsse donnerten, die Detonationen stießen durch die Stadt wie eine unheilvolle Botschaft von Untergang und Tod. Gleich darauf stob ein Rudel Reiter an dem Restaurant vorbei. Die Kerle stießen spitze Schreie aus und feuerten um sich. Ned, der am Fenster saß, konnte deutlich ihre Gesichter erkennen. Sie waren böse verkniffen und wirkten entschlossen. Die Krempen ihrer Hüte hatte der Reitwind vorne aufgestellt, ihre Halstücher flatterten.
„Bei Gott!“, rief jemand im Gastraum. Außer Ned waren noch einige Menschen – Männer und Frauen – anwesend. „Die Hundesöhne aus Carthage.“
Ned wusste jetzt, was sich anbahnte.
Der Pulk stob vorbei, lediglich zwei der Reiter zerrten ihre Pferde in den Stand, sprangen ab und rannten schräg über die Straße. Auf was sie es abgesehen hatten, konnte Ned nicht erkennen. Doch wenig später erklangen laute Stimmen sowie schallendes Gelächter, und schließlich die schrille, geradezu hysterische Stimme einer Frau. Sie rief um Hilfe.
Ned griff kurz entschlossen nach seinem Gewehr, erhob sich und verließ das Lokal.
Die Hufschläge, die der Rest des Rudels verursachte, drangen nur noch von Ferne an sein Gehör. Das Peitschen der Schüsse übertönte sie in unregelmäßigen Abständen. Schräg gegenüber sah Ned die beiden Kerle, deren Pferde mit geblähten Nüstern und peitschenden Schweifen mitten auf der Main Street stehengeblieben waren. Sie schubsten eine junge Frau. Sie trug ein knöchellanges, hellblaues Kleid und eine gleichfarbige Mütze, die mit weißen Spitzen gesäumt war. Ein Korb lag auf der Straße. Abgesehen von den dreien und der Reiterschar, die in Richtung des Tempels stob, war die Main Street wie leergefegt. Als die wilde Horde gekommen war, hatte nämlich jeder, der sich auf der Straße befunden hatte, geradezu von Panik erfasst Schutz gesucht. Niemand wollte der bösen Stimmung der wilden Reiterschar zum Opfer fallen.
Einer der Kerle packte die junge Frau von hinten und hielt sie fest, während der andere von vorne an sie herantrat, etwas sagte und dann ihr Gesicht in beide Hände nahm, um sie zu küssen.
Ihr Knie zuckte hoch, der anmaßende Bursche vor ihr brüllte auf, taumelte zwei Schritte zurück und krümmte sich, presste beide Hände in seinen Schritt und jaulte wie ein getretener Straßenköter. Die junge Frau zog und zerrte und wand sich, um sich aus dem Griff des anderen der Kerle zu befreien. Aber dessen Arme hielten sie fest wie ein Schraubstock. Der Bursche lachte meckernd, während der andere immer noch einen wahren Veitstanz aufführte und brüllte: „Du verdammtes Weibsbild! Dafür werde ich ...“
Die Wut ließ seine Stimmbänder versagen, vom Zorn übermannt trat er auf die junge Lady zu und zog mit dem rechten Arm auf, um sie zu schlagen.
Da fuhr dicht über seinen Kopf eine Kugel hinweg und riss seinem Kumpan den Hut vom Kopf. Das Gewehr Neds schleuderte einen peitschenden Knall hinterher, der durch die Stadt stieß und verklang.
Einen Augenblick lang waren die beiden Kerle völlig perplex, sogar die junge Frau hörte auf, sich dem Griff des groben Kerls entwinden zu wollen.
In dem Moment, als Ned unter dem Vorbaugeländer hindurchtauchte und auf die Fahrbahn sprang, richtete sich die Aufmerksamkeit der beiden auf ihn. Auf dem Vorbau zerflatterte nur langsam die Pulverdampfwolke von seinem Schuss. Das Gewehr an der Hüfte im Anschlag haltend schritt Ned über die Straße. Sein schmales, hohlwangiges Gesicht wies einen entschlossenen Ausdruck auf. Drei Schritte vor den Kerlen und ihrem Opfer hielt er an.
„Lass die Lady los!“, peitschte sein Organ und seine Augen blickten hart wie Bachkiesel. Dafür hatte er kein Verständnis.
Der Bursche, der die junge Frau festhielt, überragte diese um Haupteslänge. Die Mündung des Revolvergewehrs deutete auf sein Gesicht. Neds Zeigefinger krümmte sich locker um den Abzug. Vier der Kammern in der Trommel waren mit Kugeln und Zündhütchen bestückt, die fünfte war leer. Das Geschoss hatte ein Loch in den Hut des Kerls gestanzt. „Ich zähle bis drei“, warnte Ned. „Eins ...“
Jetzt mischte sich der andere der Männer ein. Er schien seine Not von dem Tritt überwunden zu haben. Seine Hand lag auf dem Knauf des Revolvers, der in seinem Gürtel steckte. Breitbeinig stand er da. „Du spielst mit deinem Leben, Fremder!“, keifte er. „Welcher Teufel reitet dich? Ich werde dir ...“
Die Hufschläge näherten sich wieder, auch die Detonationen schienen wieder deutlicher zu werden. Ned hatte nicht mehr allzu viel Zeit. Er machte zwei lange Schritte auf den Sprecher zu, sodass dieser erschreckt abbrach. Neds Gewehr wirbelte herum, ein weiterer Schritt, und ehe sich der Kerl versah, rammte ihm der Trapper den Kolben in den Leib. Aufbrüllend krümmte er sich.
Sein Gefährte, der nach wie vor die Frau umklammert hatte, war ebenfalls von dieser Aktion überrascht worden, denn er war zu keiner Reaktion fähig. Und als die Erstarrung von ihm abfiel und er nach seinem Revolver greifen wollte, spürte er die Mündung von Neds Gewehr an der Schläfe. „Zwei!“, stieß Ned hervor.
Nun gab der Bursche die Frau frei. Sie trat schnell einen Schritt von ihm weg und starrte – wahrscheinlich konnte sie es noch immer nicht fassen, dass ihr in dieser Stadt jemand zu Hilfe geeilt war – ihren Retter an wie eine außerirdische Erscheinung.
Nun donnerte der Reiterpulk heran. Es waren sechs Kerle, die ihre Pferde grob in den Stand rissen. Die Tiere stiegen, drehten sich auf der Hinterhand und wieherten, und für kurze Zeit entstand ein richtiges Durcheinander. Schließlich aber nahmen die Reiter die Tiere hart an die Kandare und einer von ihnen, ein Mann um die vierzig mit wasserhellen Augen, stieß hervor: „Was ist da los? Warum bedrohst du meinen Freund Brad? Nimm sofort die Mündung von seinem Kopf. He, ich habe dich hier noch nie gesehen. Gehörst du zu denen?“ Er vollführte eine umfassende Armbewegung in die Runde, ohne den durchdringenden Blick von Ned zu nehmen.
„Ich gehöre zu niemandem”, sagte Ned Brown.
„Ach wirklich?”
„Wirklich.”
„Wer bist du?”
„Mein Name ist Ned Brown, und ich bin auf der Durchreise.”
„Ist es wahr?”
„Wen meinst du mit denen?“ Ned dachte nicht daran, das Gewehr zu senken. Er ließ aber auch den anderen der Kerle, dem er den Kolben in den Leib gedroschen hatte und der rechter Hand von ihm stand, nicht aus den Augen. In seinem Gesicht wütete noch der Schmerz, seine Mundwinkel zuckten.
„Ich rede von den Mormonen, von denen es in dieser Stadt wimmelt wie in einem Nest voller Kakerlaken.”
„Ich dachte, das sind fromme und gottesfürchtige Leute.”
„Wir wollen diese elenden Parasiten hier nicht, denn sie sind anders als wir.”
„Was haben sie euch getan?”
„Willst du nicht endlich die Mündung vom Kopf meines Freundes nehmen, Brown?“
„Kommt ihr aus Carthage?“, fragte Ned.
„Ja.”
„Wie heißt du?”
Er verzog das Gesicht.
Vielleicht hätte er jetzt gerne ausgespuckt, aber dazu war es einfach zu kalt.
„Mein Name ist Broderick Carlisle.“ Der Sprecher legte beide Hände übereinander auf das Sattelhorn. „Ich fordere dich nun zum letzten Mal auf, Brown: Nimm das Gewehr runter.“
Jetzt richtete Ned das Gewehr auf Carlisle. „Besser?“ Neds Stimme triefte vor Ironie.
Der Anführer des Rudels zog unbehaglich die Schultern an. „Warum mischt du dich hier ein? Wenn du nur auf der Durchreise bist, solltest du dich aus internen Angelegenheiten raushalten. Das kann höllisch ins Auge gehen.“
„Ich kann es bei Gott nicht ausstehen, wenn zwei Kerle eine Frau attackieren“, stellte Ned unbeeindruckt klar.
„Ach!”
„Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.”
„Na großartig!”
„Gebiete deinen beiden Kumpels, aufzusitzen, dann macht die Fliege.”
„Was?”
„Und versucht lieber nichts. Du wärst der erste, Carlisle, den ich vom Pferd putze.“
„Das ist nicht dein Ernst!”
„Du kannst es ja mal ausprobieren. Ich würde es nicht darauf ankommen lassen.”
Broderick Carlisle kämpfte mit sich.
Einen Moment lang hing alles in der Schwebe.
Man hörte nichts weiter als das Atmen von Menschen und Pferden in eisiger Kälte.
Ein ganz eigentümliches Geräusch.
Schließlich sah der Kerl wohl ein, dass er in diesem Spiel das Verliererblatt in der Hand hielt. Er nickte. „Okay, wir verschwinden. Aber wir kommen wieder. Und dann solltest du viele Meilen zwischen diese Stadt und dich gebracht haben. Denn sollten wir dich hier noch antreffen, ziehen wir dir die Hammelbeine lang. – Brad, John, aufsitzen! Wir reiten.“
„Gut”, sagte Ned Brown, dessen Augen zu sehr schmalen Schlitzen geworden waren.
„Bastard!”, knurrte Carlisle.
„Kommt nicht auf die Idee, es euch nochmal anders zu überlegen”, murmelte Ned Brown. Sein Gesicht war dabei weitgehend regungslos. Seine Lippen bildeten einen fast geraden Strich und bewegten sich kaum, während er sprach.
Gleich darauf stob das Rudel in die Richtung davon, aus der es gekommen war.
„Vielen Dank dafür, dass Sie mir gegen diese Grobiane beigestanden haben, Mister ... Äh, wie sagten Sie doch gleich wieder war Ihr Name?“
„Brown – Ned Brown, Miss.“ Ned schaute dem Pulk nach, der das Ortsende passierte und wenig später über die Kuppe einer Anhöhe verschwand.
Ringsherum verließen einige Männer ihre Häuser und näherten sich. Einige von ihnen hielten sogar Waffen in den Händen.
„Mein Name ist Sarah Naismith“, stellte sich die junge Frau vor.
Nun wandte Ned sich ihr zu und schaute in zwei tiefblaue Augen. O verdammt, durchfuhr es ihn, ist sie schön! Sekundenlang war er wie gebannt, plötzlich aber spürte er Verlegenheit, riss seinen Blick von ihrem gleichmäßigen Gesicht los und sagte: „Waren das die Kerle, die auch für die Zerstörungen in dem Ort verantwortlich sind?“
Die Männer, die sich jetzt, da die Gefahr gebannt war, aus ihren Häusern gewagt hatten, scharten sich um Ned und Sarah. Einige von ihnen hatten Neds Frage vernommen, einer beantwortete sie an Stelle Sarahs. „Sie gehören dazu. Broderick Carlisle ist einer unserer erbittertsten Gegner.“
Ned schaute in die bärtigen Gesichter. „Warum wehrt ihr euch nicht?“, fragte er und spürte, wie sehr er diese Kerle verachtete. „Ich sehe Waffen – Revolver und Gewehre – in euren Fäusten“, stieß er hervor. „Warum gebraucht ihr sie nicht?“
Der Mann, der vorhin seine Frage beantwortet hatte, maß ihn von oben bis unten, dann antwortete er: „Unsere Kirche ist auf die Lehren Jesu Christi gegründet.”
„Wie so viele andere auch”, sagte Ned Brown trocken.
„Das Problem ist nur, dass meisten anderen das Wort Gottes nicht wirklich ernst meinen.”
„Mag sein”, sagte Ned Brown.
„Friedfertigkeit, Liebe und Vergebungsbereitschaft sind Tugenden, die Jesus gelehrt hat.”
„So habe ich es auch vom Reverend gelernt...”
„Wir nennen uns die Heiligen der letzten Tage. Jesus sprach: Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Jesus gebietet uns, seinen Anhängern: Entsagt dem Krieg und verkündigt Frieden. – Wer sich zum Evangelium Jesu Christi bekehrt hat, wird nicht im Sinn haben, andere zu verletzten, sondern will ohne Gewalt leben.“
„Das ist eine sehr vornehme Einstellung“, knurrte Ned, zuckte dann aber mit den Schultern und fügte hinzu: „Von mir aus. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.“ Er hob den Korb auf und hielt ihn Sarah hin. „Der gehört doch Ihnen.“
Sie nickte und ein Lächeln verzauberte ihr schönes Gesicht. Zwischen den sinnlich geformten Lippen blitzten weiße, regelmäßig gewachsene Zähne. Ihre Augen strahlten ihn an. „Danke.“ Sarah nahm den Korb und ergriff noch einmal das Wort, indem sie sagte: „Ich würde Sie gerne meinen Eltern vorstellen, Mister Brown.“
Eigentlich interessierten ihn ihre Eltern nicht. Aber tief in seinem Innersten fühlte er sich zu Sarah hingezogen, und es lag ihm viel daran, so lange wie möglich ihre Nähe zu genießen. Er war kein unbeschriebenes Blatt, was Frauen anbetraf. Vor allem bei den Indianerstämmen weiter im Westen, mit denen er Handel getrieben hatte und die ihm freundlich gesinnt waren, war es immer wieder zu Liebschaften zwischen ihm und der einen oder anderen Squaw gekommen.
Was die Dinge zwischen Männern und Frauen anging, kannten die Indianerinnen keine Tabus und wenig Scham. Ganz anders als die weißen Puritanerinnen.
Ned Brown sah sie an.
„Dagegen ist nichts einzuwenden“, sagte er.
„Es ist in Ordnung“, wandte sich Sarah an die Männer in der Runde. „Wie ihr seht, bin ich – dank der Hilfe Mister Browns – unversehrt. Geht wieder nach Hause, ihr Männer, und dankt dem Herrn, dass der heutige Überfall so glimpflich ausgegangen ist.“
„Carlisle und seine Anhänger werden uns diese Niederlage nicht verzeihen“, prophezeite einer. „Ich glaube, Mister Brown, Sie haben uns keinen Gefallen erwiesen.“
Neds Verachtung, die er vor diesen Feiglingen empfand, wuchs.
Sarah errötete leicht. Es war, als würde sie sich wegen des Verhaltens dieser Männer schämen. „Gehen wir, Mister Brown“, murmelte sie mit etwa unsicherer Stimme.
„Ihr Korb ist leer“, sagte Ned. „Ich vermute, Sie waren auf dem Weg in den Store.“
„Das ist richtig.”
„Nun, ich...”
„Möchten Sie mich begleiten?”
„Also...”
„Meinen Eltern kann ich Sie danach vorstellen.“
„Ich muss im Saloon meine Zeche begleichen, Miss.“
„Ich warte vor dem Saloon auf Sie“, gab sie zu verstehen und lächelte ihn an. Er erkannte die Schwermut in der Tiefe ihrer Augen. Sarah schien nicht besonders glücklich zu sein.
Sie ließen die Männer einfach stehen und schritten schräg über die Fahrbahn. Ned ging in den Saloon, zahlte seine Zeche, dann begleitete er Sarah zum General Store. Sie tätigte ihre Einkäufe, und Ned trug ganz gentlemanlike den Korb zu Sarah nach Hause.
Elias Naismith, Sarahs Vater, war ein schwergewichtiger, dreiundfünfzig Jahre alter Mann, Elsbeth, ihre Mutter, eine vorzeitig gealterte Frau von fünfzig Jahren. Ihr Haus lag nicht an der Main Street, sondern in einer der Seitenstraßen, und so hatten sie nicht mitbekommen, dass zwei Kerle ihre Tochter bedrängt hatten.
Sarah stellte ihnen Ned vor und erzählte, was sich auf der Hauptstraße zugetragen hatte.
„Wir haben die Schüsse gehört“, sagte Elias, nachdem Sarah geendet hatte. „Uns war auch klar, dass wieder die Halsabschneider aus Carthage in unsere Stadt eingefallen waren, vermuteten dich aber bereits im Store, Sarah.”
„Dem Herrn sei Dank ist alles letztlich gut ausgegangen”, sagte Sarah.
„Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, Mister Brown.”
„Nicht der Rede wert!”
„Der Herr, Jesus Christus, wird es Ihnen vergelten.“
„Sicher“, murmelte Ned, „ich denke aber, das hat noch Zeit.“ Mit dieser Bemerkung erreichte er, dass ihm sowohl Elias als auch Elsbeth missbilligende Blicke zuwarfen.
„Dürfen wir Sie einladen, sich ein wenig zu uns zu setzen?“, fragte Elsbeth. Sie wollte nicht unhöflich sein. „Ihr Gesicht ist von Regen, Wind und Sonne gegerbt, Sie tragen eine Biberfellmütze und Fellstiefel. Über den Mississippi kommen manchmal Männer zu uns, die uns Felle und indianische Handarbeiten verkaufen. Sind Sie auch einer dieser Fallensteller?“
„Ja, das bin ich.”
„Ah, ja...”
Ned fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut, doch Sarahs Blick, mit dem sie ihn regelrecht aufforderte, die Einladung anzunehmen, veranlasste ihn zu bleiben.
Sie setzten sich.
Elsbeth bot dem Gast einen Tee an, was Ned aber dankend ablehnte. Er erzählte von seinem Leben als Scout, Fallensteller und Jäger, von seiner Freundschaft mit vielen Indianern und von der Wildheit des Landes weiter im Westen.
Interessiert hörten Sarah und ihre Eltern zu.
„Viele von uns haben vor, nach Westen zu gehen und dort eine neue Stadt aufzubauen“, verriet Elias, als Ned schwieg.
„Nicht alle, die hier leben und dem Terror der Nachbarstädte ausgesetzt sind?“, fragte Ned.
„Viele sind noch unschlüssig.”
„Unschlüssig?”, echote Ned Brown und seine Augen wurden sehr schmal dabei. Wie konnte man angesichts der gegebenen Situation noch unschlüssig sein?
Wie konnte man da noch ernsthaft zögern?
Ned Brown hatte dafür kaum Verständnis.
Er hörte weiter zu, was sein Gegenüber ihm sagte.
„Bis jetzt sind es aber schon mehr als ein halbes Tausend, die sich entschlossen haben, auszuwandern. Brigham hat vom gelobten Land weit im Westen gesprochen. Das ist unser Ziel. Wir werden uns dort eine neue Existenz aufbauen, dem Herrn dienen, und mit unseren Nachbarn in Frieden leben.“
„Frieden?”, fragte Ned Brown ungläubig.”
„Ja.”
„Ihre Nachbarn werden Indianer sein.”
„Die Indianer sind unserer Lehre nach die Nachkommen der verlorenen Stämme Israels.”
„Westlich des Mississippi werden Sie außer einer Handvoll Leuten wie mich kaum Weiße antreffen“, erwiderte Ned.
„Dann leben wir eben mit den Indianern in Frieden“, versetzte Elias. Plötzlich wurde sein Blick lauernd. „Sie kommen von Westen, Mister Brown“, murmelte er schließlich. „Wir wollen nach Westen. Sicher kennen Sie eine Route, auf der wir mit unseren Prärieschonern keine allzu großen Komplikationen zu erwarten haben.“
„Das kommt drauf an, wie weit Sie nach Westen möchten“, antwortete Ned. „Westlich des Missouri wird es hügelig, und dann kommen die Rockys. Es gibt sicher einige Pässe, über die man auch mit Fuhrwerken nach Westen gelangt, aber die Unbilden und Strapazen eines solchen Trails sind wahrscheinlich kaum zu ertragen.“
„Wir werden es auf jeden Fall versuchen“, erklärte Elias, „und suchen einen Scout, der uns nach Westen führt“, fügte er hinzu. „Hätten Sie keine Lust? Wir würden Sie gut bezahlen. Ich denke, Sie wären der richtige Mann, Mister Brown. Sie haben schon Wagenzüge geführt, sind mutig und kennen die Indianer. Sagen Sie ja, Mister Brown, und ich stelle Sie unserem Führer, Brigham Young, vor.“
Sarah schaute Ned geradezu beschwörend an. Auch Elsbeths erwartungsvoller Blick war hoffnungsvoll auf ihn gerichtet.
Ned musste nicht lange überlegen. „Tut mir leid“, sagte er, „aber ich will nach Hause, denn ich habe meine Familie fast vier Jahre lang nicht gesehen. Ich weiß ja nicht einmal, ob meine Eltern und Großeltern noch leben. Ich habe drei Brüder und zwei Schwestern. Sie haben die ganze Zeit über kein Lebenszeichen von mir erhalten. Es ist mir ein inneres Bedürfnis, zu Hause mal nach dem Rechten zu sehen.“
„Das kann ich verstehen“, murmelte Elias ziemlich enttäuscht.
Ned warf Sarah einen schnellen Blick zu, und auch sie schien seine Ablehnung enttäuscht zu haben. Für einen Moment wurde er sogar wankend in seiner Entscheidung. Doch er blieb dabei. Die Ungewissheit seine Familie betreffend wog stärker als der Wunsch, die nächsten Wochen oder vielleicht sogar Monate in Gesellschaft Sarahs zu verbringen.
Als er wenig später in Richtung Mietstall marschierte, war er sich sicher, das Richtige zu tun.
Der Stallmann empfing ihn mit den Worten: „Es ist mit der Geschwindigkeit eines Steppenbrands durch die Stadt gegangen, dass du zwei von Broderick Carlisles Halunken auf ihre richtige Größe zurechtgestutzt hast. Darf ich dir einen guten Rat geben, Fremder?“
„Ich schätze, ich weiß, wie der gute Rat lautet. Ich soll mir so schnell wie möglich meinen Braunen zwischen die Beine klemmen und viele Meilen zwischen mich und Carlisle bringen. Stimmt‘s?“
„Tust du es nicht, zieht er dir das Fell über die Ohren. Das ist so sicher, wie die Nacht dem Tag folgt.“
„Ich reite morgen früh weiter“, erwiderte Ned. „Im Übrigen nehme ich dein Angebot an und schlafe hier im Heu. Deine Einladung gilt doch noch?“
„Gewiss.“
„Dann ist ja alles klar.”
Der Stallbursche half Ned am Morgen, das Pferd zu satteln und zu zäumen. Ned schnallte seinen Packen, der aus Deckenrolle, dem zusammengerollten Zelt und dem Schlafsack bestand, hinter dem Sattel fest und rammte das Gewehr in den Scabbard. Die Kugel, die er am vergangenen Tag verschossen hatte, hatte er ersetzt.
Auf dem Piston saß wieder ein Zündhütchen.
Wieder alles bereit, dachte er.
Die Welt war nicht so friedlich, wie es die Lehre der Heiligen der Letzten Tage behauptete. Und die Geschehnisse in dieser Stadt bestätigten Ned Browns Ansicht dazu nur.
Man musste sich zu wehren wissen.
Nur dann konnte man in Frieden leben.
Der Beitrag, den fromme Gebete dazu beitrugen, schätzte Ned Brown als relativ gering ein.
Der Stallmann sagte: „Falls du irgendwann im nächsten Jahr wieder nach Westen ziehst und nach Nauvoo kommst, wirst du mich hier nicht mehr antreffen, Fremder. Einer der Prärieschoner dort im Hof gehört mir. Ich bin einer von denen, die sich entschlossen haben, mit Brigham ins gelobte Land zu ziehen.“
„Dann bleibt es mir nur, dir und all den anderen viel Glück auf eurem Trail zu wünschen“, sagte Ned und griff nach dem Kopfgeschirr des Pferdes, um es aus dem Stall zu führen. Doch da waren im Hof plötzlich Stimmen zu hören. Ned zog das Gewehr aus dem Sattelschuh und hielt es mit beiden Händen schräg vor der Brust. Er rechnete mit unliebsamem Besuch und dachte in diesem Zusammenhang an Broderick Carlisle.
Die Gestalten zweier Männer verdunkelten das Stalltor. Eine sonore Stimme erklang: „Wir kommen noch rechtzeitig. Dem Himmel sei Dank.“
„Du kannst das Gewehr wegstecken“, brummte der Stallmann, der sich wieder entspannte. „Das sind Elias und Brigham. Und wie es aussieht, wollen sie zu dir.“
Die beiden kamen in den Stall. „Der Herr sei mit Ihnen, Mister Brown“, grüßte der Mann, der Brigham Young sein musste, denn Elias Naismith war Ned bekannt. „Auch mit dir, Dave.“ Er meinte den Stallmann. „Elias hat mir von Ihnen erzählt, Mister Brown.”
„So?”
„Von Ihrer Heldentat spricht die ganze Stadt. Sie müssen ein sehr mutiger Mann sein.“
„Es geht“, versetzte Ned ahnungsvoll. Die beiden waren nicht von ungefähr in den Mietstall gekommen. Er taxierte Brigham Young und sah einen Mann, ungefähr Mitte vierzig, groß und breitschultrig, mit nackenlangen, gewellten Haaren. Von Young ging etwas aus, das andere in seinen Bann zog. Das spürte Ned mit den geschärften Sinnen des Mountainmans.
„Wir suchen einen Kundschafter“, brachte Young den Grund seiner Vorsprache sogleich auf den Punkt.
„Davon habe ich schon gehört.”
„Elias hat Ihnen ein Angebot unterbreitet.”
„Ich musste es leider ablehnen.”
„Ich wiederhole es, Mister Brown.”
„Hören Sie...”
„Wir zahlen Ihnen für jede Meile, die Sie uns nach Westen führen, zwei Dollar.“
„Das wäre sehr viel Geld“, erwiderte Ned. „Ich muss dieses Angebot allerdings ausschlagen. Wäre es mir nicht so wichtig, zu Hause wieder einmal nach dem Rechten zu sehen, hätte ich den beschwerlichen Weg über hunderte von Meilen nicht angetreten.“ Er hob wie bedauernd die Hände und ließ sie wieder sinken. „Sie müssen sich einen anderen Scout suchen.“
„Wir sind Mormonen, die Heiligen der letzten Tage. Wir sind verpönt und gezwungen, diese Stadt, die wir aufgebaut haben, aufzugeben, um weiterer Verfolgung zu entgehen. Darum werden wir im Umkreis von hundert oder noch mehr Meilen keinen finden, der uns nach Westen führt. Er würde sich dem Hass unserer Verfolger aussetzen und bekäme hier keinen Fuß mehr auf die Erde.“
„Sie wissen das und unterbreiten mir dennoch Ihr Angebot“, versetzte Ned leicht verärgert. „Das zeigt mir, welchen Wert Sie meiner Person zumessen.“
„Sie haben das falsch verstanden, Mister Brown“, entgegnete Brigham Young. „Sie sind nicht aus der Gegend. Wo immer Sie auch leben – nie wird ein Mensch danach fragen, ob Sie irgendwann einmal einen Wagentreck der Mormonen nach Westen geführt haben. Sie können aber auch einer von uns werden. Führen Sie meine Leute zusammen mit mir ins gelobte Land und bleiben Sie bei uns. Wir haben es bisher überall zu Reichtum und Wohlstand gebracht. Warum sollten Sie daran nicht teilhaben?“
„Das Leben, das ich führe, gefällt mir“, entgegnete Ned. „Wenn ich weiß, dass zu Hause alles seine Ordnung hat, kehre ich in den Westen zurück. Ich will wieder Fallen stellen, jagen, mit den Indianern Handel treiben und von der Zivilisation, in der es nur Neid, Missgunst und Hass zu geben scheint, so wenig wie möglich wissen.“
„Ist das Ihr letztes Wort?“, fragte Elias Naismith.
Ned nickte. „Ja. Jedes weitere Wort Ihrerseits wäre zwecklos.“
„Schade“, knurrte Brigham Young. „Na schön, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Zwingen können wir Sie nicht. Wir wollen Sie auch nicht länger aufhalten.“
Ned führte die Stute aus der wohligen Wärme des Stalls. Die Kälte biss regelrecht in sein Gesicht. Er stempelte den linken Fuß in den Steigbügel, griff mit beiden Händen nach dem Sattelhorn und zog sich mit einem Ruck auf den Pferderücken.
Er verließ Nauvoo und war wieder auf dem Trail.
So sehr er sich auch bemühte, nicht an Sarah zu denken, ihr Bild erschien immer wieder vor seinem inneren Auge. Nie würde er den wehmütigen Blick vergessen, mit dem sie ihn bedachte, als er sich tags zuvor von ihr verabschiedet hatte. Zwischen ihnen war etwas gewesen, eine Verbundenheit, die deutlich zu spüren war.
Vergiss sie!, hämmerte eine Stimme in ihm. Sie gehört dieser Sekte an und es ist ihr nicht gestattet, sich in einen andersgläubigen Mann zu verlieben. Eines Tages wird sie die dritte oder vierte Frau eines reichen Mormonen, und sie wird mit ihrem Leben zufrieden sein. Du bist ein Waldläufer, ein Mountainman. Soll sie mit dir in einem Dougut hausen und wie ein Indianer von dem leben, was die Natur zu bieten hat? Nein, das würde sie nicht wollen, selbst wenn sie es könnte.
*
Eigentlich schade, dass ich ihn nicht wiedersehen werde, dachte Sarah. Sie sah Ned Brown aus der Stadt reiten und blickte ihm nach. Er gehört nicht zu uns, ging es ihr durch den Kopf. Darum könnte er nie ein Mann für dich sein.
Sie atmete tief durch.
Sarah schluckte. Sie fühlte einen Kloß im Hals.
Und sie fühlte, wie ihr der Puls bis zum Hals schlug, so als wäre sie gerannt. Aber sie war nicht gerannt. Sie war einfach nur aufgewühlt - so wie nie zuvor in ihrem Leben.
Auch wenn es nicht sein darf: Dieser Fremde Kerl mit seiner Fellmütze gefällt dir!, ging es ihr durch den Kopf.
Die Art und Weise, wie er sich für sie eingesetzt hatte, imponierte ihr.
Es gefiel ihr.
Er hat mich beschützt, dachte sie.
Ihr Blick war auf den einsamen Reiter gerichtet, der nun die Stadt verließ.
Irgendwie hoffte sie, dass er sich vielleicht noch einmal umdrehte.
Aber das tat er nicht.
Ned Brown blickte nicht zurück.
Nicht zu ihr.
Ich werde von dir träumen, dachte sie. Und ich werde vielleicht noch oft an dich denken. An dich und die Art, wie du mich beschützt hast!
Sarah rechnete in diesem Augenblick nicht damit, ihn je nochmal wiederzusehen.
Doch da sollte sie sich irren.
Die Tage vergingen. Wenn sich die Möglichkeit ergab, übernachtete Ned in einem Hotel, einem Mietstall oder einer Scheune, in der Heu und Stroh deponiert waren. Hin und wieder musste er auch im Zelt nächtigen. Der Schlafsack, den er besaß, war warm, dennoch war Ned am Morgen nach einer Nacht im Freien durchgefroren und wie gerädert.
Vor ihm lagen noch gut und gerne dreihundert Meilen. Und der Winter hatte noch gar nicht richtig angefangen. Der Januar würde erst die richtige Kälte bringen.
Ned ließ sich nicht beirren. Er schonte sein Pferd und ritt jeden Tag ungefähr zwanzig Meilen. Wenn er in einer Stadt übernachten konnte, gönnte er sich und dem Pferd manchmal sogar einen ganzen Tag Ruhe. Anfang Januar des Jahres 1846 erreichte er die kleine Farm am Ohio River. Sie war dem Verfall preisgegeben. Etwas abseits entdeckte Ned vier flache Grabhügel. Die Holzkreuze waren halb verrottet, dennoch konnte Ned die Namen, die darauf standen, entziffern. Es waren die Namen seiner Großeltern und Eltern.
Erschüttert bis in seinen Kern begab er sich nach Cincinnati, wo er erfuhr, dass seine Eltern und Großeltern an den Pocken gestorben waren und seine Geschwister daraufhin die Gegend verlassen hatten. Es hatte von ihnen kein Lebenszeichen mehr gegeben.
Ned hatte viele hundert Meilen härtesten Trails hinter sich gebracht, um am Ende vor vier Gräbern und einer halb verfallenen Farm zu stehen. Er war enttäuscht und verbittert und begann mit dem Schicksal zu hadern.
Nach einigen Tagen Aufenthalt beschloss er, in den Westen zurückzukehren. Er schnallte seine Habseligkeiten hinter dem Sattel fest und machte sich wieder auf den Weg. Hier hielt ihn nichts. Es gab auch niemanden, von dem er sich verabschieden musste. Die Menschen, die er früher mal gekannt hatte, würden ihn längst abgeschrieben haben.
Er fragte sich, ob er den Weg über Nauvoo nehmen sollte. Gefühl und Verstand lagen bei ihm in zäher Zwietracht. Gefühlsmäßig wollte er in Erfahrung bringen, ob Brigham Young und eine große Zahl seiner Anhänger tatsächlich nach Westen aufgebrochen waren, um das gelobte Land zu finden. Der Verstand riet ihm, einen weiten Bogen um die Stadt zu machen. Den Grund dafür wusste er selbst nicht zu deuten. Daran, dass Broderick Carlisle aus Carthage noch eine Rechnung mit ihm offen hatte, verschwendete er nur einen kurzen Gedanken.
Denn da war auch noch der Gedanke an Sarah...
Ihre Augen...
Ihr Blick...
Die Art, wie sie ihn angesehen hatte...
Er hatte öfter an sie gedacht, als er es zunächst für möglich gehalten hatte - zumal ihm klar war, dass daraus nichts werden konnte.
Schon deshalb nicht, weil er keiner von den Heiligen der Letzten Tage war.
Keiner von ihnen.
Trotzdem.
Das Gefühl siegte. Mitte Februar erreichte er die Mormonenstadt. Er ritt sofort den Mietstall an. Der Stallmann war ein anderer als der, den Ned in Erinnerung hatte. Ned erkundigte sich nach Dave. So hatte Brigham Young den Stallburschen genannt.
„Der steht mit seinem Planwagen zusammen mit mehr als einem halben tausend unserer Brüder und Schwestern am Mississippi und wartete darauf, dass die Eisdecke dick genug ist, um ihn zu überqueren.“
„Young und seine Leute sind also noch nicht nach Westen auf den Trail gegangen?“, murmelte er wie im Selbstgespräch, allerdings überflüssigerweise, denn die Antwort hatte ihm der Stallmann sozusagen schon vor seiner Frage gegeben.
Er erhielt trotzdem eine Antwort. „Nein“, sagte der Stallknecht. „Das Eis auf dem Fluss hätte sie nicht getragen. Aber sie sind bereit. Sobald das Eis die Wagen und die Zugtiere aushält, spannen sie ein und gehen auf den Trail.“
„Danke“, sagte Ned, verließ mitsamt seinem Pferd den Stall, saß auf und ritt durch die Stadt zum Fluss. In Nauvoo gab es deutlich mehr Verwüstungen als im Dezember, als er für eine Nacht in der Stadt weilte. Der Terror war also weitergegangen.
Mit jedem Schritt seines Pferdes wuchs die Ungeduld in Ned. Er konnte es nicht erwarten, Sarah zu sehen!
Es waren mehr als hundert Planwagen-Schoner, die am Ostufer des Mississippi in mehreren Reihen abgestellt waren. Dazwischen brannten Kochfeuer, die zugleich den Zweck hatten, die Männer, Frauen und Kinder zu wärmen. In einem Seilcorral standen die Zugtiere, in einem anderen Kühe und Bullen, die der Aufzucht dienen sollten, in einem weiteren an die dreihundert Pferde.
Diejenigen, die sich entschlossen hatten, vor Hass und Verfolgung in die Wildnis jenseits des Mississippi zu fliehen, um sich irgendwo eine neue Existenz aufzubauen, waren in Aufbruchstimmung.
Ned wurde beobachtet, als er an den Fuhrwerken entlangritt. Einige von diesen Männern kannten ihn vom Sehen. Seine Augen waren unablässig in Bewegung und suchten Sarah oder jemanden von ihrer Familie. Tatsächlich entdeckte er ihre Mutter. Sie stand bei einem Feuer, über dem von einem eisernen Dreibein ein verrußter Kessel hing. Ned lenkte die Stute auf sie zu, zügelte und grüßte: „Howdy, Mrs. Naismith.“
Sie schien sekundenlang der Stimme hinterherzulauschen, dann aber drehte sie sich um und sagte lächelnd: „Ah, Sie sind es, Mister Brown. Freut mich, Sie wiederzusehen. Wie Sie sehen, sind wir bereit für den Trail nach Westen. Waren Sie zu Hause? Wenn ja, dann hat es Sie aber nicht sehr lange dort gehalten. Hat Sie das Fernweh wieder übermannt?“
Das Gesicht Neds verschloss sich ein wenig. Vielleicht war es auch nur die Erinnerung daran, die seine Züge überschattete, dass er nach vielen Wochen eines harten Ritts nur die Gräber seiner Eltern und Großeltern sowie eine verlassene Farm vorfand. „Mein Vater, meine Mutter, mein Grandpa sowie meine Grandma sind an den Pocken gestorben, meine Geschwister in alle Winde verstreut. Es gab nichts mehr, was mich halten hätte können.“
Kaum, dass das letzte Wort über seine Lippen war, erklang Sarahs erfreute Stimme: „Großer Gott, es ist tatsächlich Ned Brown. Ich habe es fast nicht glauben können ...“
Sie hatte sich im Wagen aufgehalten. Nun stieg sie über den Bock, sprang auf den Boden und stellte sich neben ihre Mutter. Ihre Augen leuchteten vor Wiedersehensfreude.
„Schön Sie wiederzusehen, Sarah”, sagte Ned Brown.
„Ganz meinerseits”, sagte sie schluckend. „Ich dachte schon...”
„Was?”
„Ich habe nicht angenommen, dass sich unserer Wge noch einmal kreuzen.”
„Manchmal führen Wege doch wieder zusammen”, sagte Ned Brown.
„Ja.”
„Ich wähnte euch schon längst irgendwo in der Wildnis“, verriet Ned und schwang sich vom Pferd, führte es zum Wagen und band es an einem der großen, eisenbereiften Räder fest. Dann kam er zum Feuer, zog die Handschuhe aus und hielt die klammen Hände darüber.
Scheinbar hatte Elsbeth, während Ned Brown sein Pferd anleinte, Sarah darüber informiert, was der Grund für seine schnelle Rückkehr war. „Das mit Ihrer Familie tut mir leid“, gab sie zu verstehen. „Ich denke, Sie möchten zurück in den Westen. Werden Sie sich uns anschließen?“
„Ich weiß es noch nicht. Wie gesagt, ich wähnte euch längst auf dem Trail und habe keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass ich mich euch anschließen könnte. Habt ihr schon einen Kundschafter gefunden, der euch führt?“
„Nein. Wären Sie jetzt gegebenenfalls bereit?“ Sarah musterte ihn mit einer gewissen Herausforderung im Blick.
„Bis nach Fort John in Wyoming könnte ich euch führen“, antwortete Ned. „Dort treffen sich Pelzhändler und Indianer zum Warentausch. Außerdem ist Fort John einer der wichtigsten Stützpunkt jener Auswanderer, die – wie ihr – nach Westen wollen.“
„Mein Vater ist bei Brigham“, erklärte Sarah. „Brigham hat ihn und einige andere Männer wegen einer Besprechung zu sich gebeten. Haben Sie was dagegen, wenn ich Sie zu ihnen bringe, Mister Brown? Wenn Sie sich uns als Scout zur Verfügung stellen, löst das eine Reihe von Problemen, vor denen wir gestanden hätten.“
Sie sah ihn an.
Auf ihre ganz eigene, unverwechselbare Weise.
Ihr Lächeln war verhalten, aber hintergründig.
Ned Brown erwiderte es kurz.
„In Ordnung, Miss Naismith, bringen Sie mich zu Ihrem Anführer.“
„Gut!”
„Könnte also sein, dass unsere Wege noch eine Weile parallel verlaufen.”
„Wäre das so schlimm?”
„Natürlich nicht.”
„Es ist der Herr, der unsere Wege bestimmt, Mister Brown. Nicht wir Menschen.”
Ned Brown antworte darauf nicht.